Genetik und Evolution der Laktosetoleranz im Menschen
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- Manfred Weiner
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1 Semesterarbeit FS 2012 Genetik und Evolution der Laktosetoleranz im Menschen Universität Bern, Institut für Ökologie und Evolution Erhaltene Note: 6.0 Vorgelegt von Carmela Hodel Betreuer Prof. Laurent Excoffier
2 Inhaltsverzeichnis 1 Vorbemerkung Abstract Einführung Der Zucker Laktose Laktosetoleranz Laktoseintoleranz Der T/C Polymorphismus Oct GADPH HNF1α Die Struktur der Region mit dem LPH-Promoter Mögliche Genregulation in vivo Kurzzusammenfassung der Genregulation in der T/C Variante Weitere für Laktosetoleranz verantwortliche Polymorphismen Der G/A Polymorphismus Laktosetoleranz in Afrika Laktosetoleranz im Mittleren Osten Evolution der Laktosetoleranz Der Ursprung des laktosetoleranten Phänotyps Genetische Anzeichen für starke positive Selektion des laktosetoleranten Genotyps Unabhängige Entstehung der für Laktosetoleranz verantwortlichen Allele Aufgetretene Probleme und Diskussion Datenmangel Probleme bei den Untersuchungen der Laktasegenregulation Schlussfolgerung und eigene Meinung Quellen Erklärung...11 Carmela Hodel Seite 2 von 11
3 1 Vorbemerkung Die meisten der heute bekannten Mechanismen und Merkmale der Laktasegenexpression wurden in vitro in Modellzellen (Caco-2, HeLa) gefunden und beschrieben. Folglich besteht kein Anspruch auf das Wirken der gleichen Mechanismen in vivo. Für die in der folgenden Arbeit beschriebenen genetischen Mechanismen und Merkmale gilt folglich, dass diese, wenn nicht explizit erwähnt, bisher nur für Modellzellen gefunden wurden. 2 Abstract Die folgende Arbeit gibt einen Überblick über die Genetik und die Evolution des Merkmals Laktosetoleranz, das erst vor relativ kurzer Zeit in der menschlichen Population entstanden ist. Es steht im Zusammenhang mit der Veränderung von einzelnen Nukleotiden der DNA und ermöglicht die Verdauung des Milchzuckers Laktose. Es sind bereits zahlreiche mit Laktosetoleranz assoziierte Allele bekannt, von welchen einige beschrieben werden sollen. Zudem werden Probleme mit der Beschreibung dieses Merkmals diskutiert. 3 Einführung 3.1 Der Zucker Laktose Laktose ist ein Disaccharid, bestehend aus einem Glukose- und einem Galaktose-Molekül, die durch eine β-glykosidische Bindung verknüpft sind. Durch das Verdauungsenzym Laktase wird die Hydrolyse von Laktose katalysiert, das Laktosemolekül wird gespalten und es entstehen Glukose und Galaktose, die über die Membran der Darmschleimhaut absorbiert werden (Olds und Sibley, 2003). 3.2 Laktosetoleranz Als Laktosetoleranz bezeichnet man die Fähigkeit erwachsener Menschen, den Milchzucker Laktose zu verdauen (Itan et al., 2010). Laktosetoleranz ist definiert als ein Zustand des menschlichen Körpers, in dem Darmzellen kontinuierlich das Laktase-Phlorizin-Hydrolase-Gen, das für das Laktose spaltende Enzym Laktase-Phlorizin-Hydrolase 1 oder Laktase codiert, exprimieren (Olds und Sibley, 2003; Enattah et al., 2008). Das Merkmal Laktosetoleranz wird autosomal dominant vererbt (Olds und Sibley, 2003) und tritt vor allem in Populationen mit europäischer Abstammung und in einigen Populationen in Afrika, im Mittleren Osten und im Süden Asiens auf. An den übrigen Orten der Welt tritt das Merkmal entweder sehr selten oder gar nicht auf (Itan et al., 2010). Für die laktosetoleranten Allele sind Veränderungen von einzelnen Nukleotiden (Polymorphismen) verantwortlich (Olds und Sibley, 2003). Diese Allele sind unabhängig voneinander entstanden und folglich von Population zu Population verschieden (Enattah et al., 2008). Bis heute wurden noch längst nicht alle mit Laktosetoleranz assoziierten oder für Laktosetoleranz verantwortlichen Allele entdeckt und beschrieben (Itan et al., 2010). 1 Laktase-Phlorizin-Hydrolase wird im Folgenden mit LPH abgekürzt. Carmela Hodel Seite 3 von 11
4 3.3 Laktoseintoleranz Mehr als die Hälfte aller Menschen, ungefähr 65% (Itan et al., 2010), sind dagegen laktoseintolerant, das heisst, die Expression von LPH im Dünndarm wird nach dem Abstillen durch die Abnahme der Aktivität des LPH-Promoters stark reduziert, was dazu führt, dass der Zucker Laktose nicht mehr verdaut werden kann (Lewinsky et al., 2005). Konsumieren laktoseintolerante Menschen laktosehaltige Nahrungsmittel, führt dies bei ihnen zu Völlegefühl, Blähungen, Krämpfen und Übelkeit (Itan et al., 2010). Die Abnahme der Aktivität des Laktase-Promoters kann verschiedene Ursachen haben, wie eine verringerte Bindung der Transkriptionsaktivatoren oder der Anstieg der Zahl der an den Promoter bindenden Repressoren (Lewinsky et al., 2005). 4 Der T/C Polymorphismus Bei der ersten Allelvariante, von der gezeigt werden konnte, dass sie mit einer erhöhten Laktasegenexpression assoziiert ist, handelt es sich um einen Polymorphismus, der durch den Austausch einer C-Base durch eine T-Base Basenpaare upstream 2 vom LPH-Gen, im Intron 13 des MCM6-Gens, dem Nachbargen des LPH-Gens, auf dem Chromosom 2 gekennzeichnet ist (Olds und Sibley, 2003; Itan et al., 2010). Heute ist bewiesen, dass die T-Variante in europäischen Populationen zu 100% mit Laktosetoleranz assoziiert ist (Lewinsky et al., 2005). Die DNA-Sequenz, die den T/C Polymorphismus umgibt, enthält den Promoter des LPH- Gens, der eine hohe Transkriptions-Verstärkungs-Aktivität aufweist. Der Grund für diese starke Aktivität ist die Bindung von zahlreichen im Darm exprimierten Transkriptionsaktivatoren an den Promoter sowie ihre Interaktion. Die Bindung und Interaktion dieser Transkriptionsaktivatoren ist wichtig für die Genexpression im Darm (Lewinsky et al., 2005). Im Folgenden sollen einige der Transkriptionsaktivatoren beschrieben werden. 4.1 Oct-1 Von besonderer Bedeutung für die Transkriptions-Verstärkungs-Aktivität der Region ist die spezifische Bindung des nuklearen Faktors Oct-1, ein trans-aktivierendes Protein, wobei die Position ein Teil seiner Bindungsseite ist. Oct-1 bindet stärker an die DNA-Sequenz mit der T-Variante und erhöht so die Aktivität des LPH-Promoters (Lewinsky et al., 2005) und folglich auch die Transkription von LPH-mRNA in der Darmschleimhaut (Olds und Sibley, 2003) in der T-Variante stärker. Die Bildung einer starken Bindungsseite für den Transkriptionsaktivator Oct-1 ist auch der Grund für die Laktosetoleranz von erwachsenen Personen mit der T Variante. Die verstärkte Bindung von Oct-1 verhindert die Abnahme der Expression des LPH-Gens nach dem Abstillen und eventuell auch die Bindung eines Repressors (Lewinsky et al., 2005). 4.2 GADPH Während Oct-1 direkt an die DNA bindet, interagiert ein weiterer für die Laktosetoleranz verantwortlicher Faktor, Glyceraldehyd-3-Phosphat Dehydrogenase (GADPH), mit Oct-1 und bindet selbst nicht an die DNA. Es existieren zwei verschiedene Formen von GADPH, eine im Zellkern und eine im Cytosol, wobei die nukleare Form mit Oct-1 interagiert (Lewinsky et al., 2005). 2 D.h. vor dem Gen in der Nähe des Promoters, also gegen die 5`-Region des codierenden Strangs. Carmela Hodel Seite 4 von 11
5 4.3 HNF1α HNF1α bindet an den proximalen LPH-Promoter und ist folglich wichtig für dessen Aktivität. HNF1α interagiert mit Cdx-2, GATA-Faktoren und Oct-1. Oct-1 kann nur in Anwesenheit von HNF1α an die DNA binden (Lewinsky et al., 2005). 4.4 Die Struktur der Region mit dem LPH-Promoter Enhancer Promoter Abb. 1: Die Struktur der Enhancer 3 -Region und des proximalen LPH-Promoters mit den Bindungsseiten für die Transkriptionsaktivatoren HNF4α, Fox, Oct-1, GATA und Cdx-2 im Enhancer und den Bindungsseiten für GATA, HNF1 und Cdx-2 im proximalen Promoter. Der Enhancer ist spezifisch für die LPH-Genexpression, das heisst, er aktiviert ausschliesslich den LPH-Promoter, er hat also eine Promoter-Präferenz (Lewinsky et al., 2005). Cdx-2, HNF1α, Fox und GATA-6 binden an die Region des proximalen Promoters des LPH-Gens und regulieren so die Aktivität des LPH-Promoters. Der proximale Promoter umfasst die ersten 150 Basenpaare des Promoters, die stark konserviert sind (Lewinsky et al., 2005). Für einen vollständigen Transkriptionsverstärkungseffekt ist das Vorhandensein und die Bindung aller Transkriptionsaktivatoren von Bedeutung. Besonders Mutationen in den Bindungsseiten von Oct-1, GATA, HNF4α und Fox reduzieren den Verstärkungseffekt (Lewinsky et al., 2005). 4.5 Mögliche Genregulation in vivo Es kann sein, dass der Stoffwechselzustand der Zelle die Transkription des Laktasegens beeinflusst (feed back 4 ). Oct-1 besitzt die Fähigkeit, Chromatin-modifizierende Faktoren zu rekrutieren, die die Expression eines Gens verstärken oder abschwächen können, je nach Zelltyp und Promoter. Folglich ist es möglich, dass die Bindung von Oct-1 an die T-Variante Chromatinveränderungen nahe dem LPH-Gen verursacht, welche dann die Genexpression verstärken und folglich eine Ursache des laktosetoleranten Phänotyps sind (Lewinsky et al., 2005). 3 Als Enhancer bezeichnet man eine DNA-Sequenz, die durch die Bindung von Transkriptionsaktivatoren das Ablesen eines Gens verstärkt. Sowohl der Enhancer als auch der proximale Promoter sind Teile des Promoters. Der Promoter besteht folglich aus mehreren Abschnitten. 4 Feed back bedeutet, dass die für die Spaltung eines Moleküls benötigten Enzyme nur exprimiert werden, wenn dieses auch vorhanden ist. In anderen Worten: Das Vorhandensein eines Moleküls löst die Expression der für seine Spaltung benötigten Enzyme aus Verhinderung der Verschwendung von Energie für die Produktion von nicht benötigten Enzymen (Griffiths et al., 2010). Carmela Hodel Seite 5 von 11
6 4.6 Kurzzusammenfassung der Genregulation in der T/C Variante Die T/C Variante funktioniert in vitro als ein cis-regulationselement, das fähig ist, verschiedene Transkriptionsaktivierungen des Laktasepromoters zu verstärken (Olds und Sibley, 2003). Ein Komplex bestehend aus den Transkriptionsaktivatoren Oct-1 und GADPH bindet an den DNA-Abschnitt mit dem T/C Polymorphismus, und zwar mit einer höheren Affinität an die T-Variante als an die C-Variante. Diese Bindung verstärkt, zusammen mit der Bindung von HNF1α an den proximalen Promoter des LPH-Gens, die Transkription des LPH-Gens. Für volle Verstärkungs-Aktivität werden funktionsfähige, das heisst nicht mutierte, Bindungsseiten für die Transkriptionsaktivatoren benötigt (Lewinsky et al., 2005). 5 Weitere für Laktosetoleranz verantwortliche Polymorphismen Die Anwesenheit des T Allels konnte zwar die Laktosetoleranz in Europa erklären, für die Laktosetoleranz von Populationen in anderen Regionen sind jedoch andere Polymorphismen verantwortlich. Diese befinden sich aber alle ebenfalls 5` des LPH-Gens im Intron 13 des MCM6- Gens in unmittelbarer Nähe des sehr gut untersuchten T/C Polymorphismus (Itan et al., 2010). Einige dieser weiteren für Laktosetoleranz verantwortlichen Polymorphismen sollen hier beschrieben werden. 5.1 Der G/A Polymorphismus Bei einer Untersuchung in Finnland wurde zusätzlich zum C/T Polymorphismus ein G/A Polymorphismus Basenpaare upstream vom LPH-Gen gefunden, der in die Regulation der Aktivität des LPH-Promoters involviert sein könnte. Die G/A-Variante verstärkt die Promoteraktivität jedoch nur in Kombination mit der C/T-Variante, wobei der laktosetolerante Genotyp die T Variante und die A Variante enthält. Insgesamt erhöht die Anwesenheit der G/A-Variante die Promoteraktivität aber nur minimal. Diese Variante ist folglich assoziiert mit, aber nicht verursachend, für den laktosetoleranten Phänotyp (Olds und Sibley, 2003). 5.2 Laktosetoleranz in Afrika Afrikanische Populationen unterhalb der Sahara weisen einen hohen Anteil an laktosetoleranten Individuen auf (Enattah et al., 2008). Die eurasische T/C-Variante ist jedoch in diesen Populationen nicht vorhanden, was nahelegt, dass die Laktosetoleranz durch andere Allele verursacht wird (Bersaglieri et al., 2004). Bis heute wurden drei möglicherweise für die Laktosetoleranz verantwortliche Allele gefunden: ein G Allel, ein C Allel und ein G Allel. In Afrika besteht jedoch eine hohe Heterogenität für Laktosetoleranz, es existieren also wahrscheinlich noch zahlreiche weitere für dieses Merkmal verantwortliche Polymorphismen (Enattah et al., 2008). Carmela Hodel Seite 6 von 11
7 5.3 Laktosetoleranz im Mittleren Osten Verursacher der Laktosetoleranz von Populationen des Mittleren Ostens ist ein zusammengesetztes Allel, das aus einem T/G Polymorphismus in der Region vor dem Laktasegen und einem T/C Polymorphismus im Exon 17 des MCM6-Gens, 3712 Basenpaare vom Laktasegen entfernt, besteht. Der laktosetolerante Phänotyp enthält das C Allel und das G Allel. Für den Transkriptionsverstärkungseffekt sind beide Polymorphismen notwendig, sowie die Bindung des nuklearen Faktors HNF1α. Die genaue Rolle der beiden Polymorphismen für die Laktosetoleranz in vivo ist jedoch noch nicht bekannt (Enattah et al., 2008). 6 Evolution der Laktosetoleranz 6.1 Der Ursprung des laktosetoleranten Phänotyps Die geografische Verteilung der Laktosetoleranz folgt der der Milchwirtschaft (Simoons 1969; Kretchmer 1971; Scrimshaw und Murray 1988, zitiert in Bersaglieri et al., 2004). Vor einigen 10`000 Jahren begann der Mensch im Mittleren Osten mit der Zähmung von Schafen, Ziegen und Vieh (Enattah et al., 2008). Durch die damit verbundene vermehrte Nutzung von Milch als Nahrungsmittel bis ins Erwachsenenalter bildete sich ein Selektionsvorteil für laktosetolerante Individuen (Bersaglieri et al., 2004) und die DNA-Region, die das LPH-Gen und den laktosetoleranten Genotyp enthält, wurde ungewöhnlich starker positiver natürlicher Selektion unterworfen (Itan et al., 2010). So stieg ihre Häufigkeit in relativ kurzer Zeit in Milchwirtschaft betreibenden Populationen stark an. Für das T Allel konnte gezeigt werden, dass es erst vor kurzem entstanden ist (Itan et al., 2010), also eine späte Anpassung in der Evolution des Menschen darstellt (Lewinsky et al., 2005). Es tauchte etwa um 7500 vor Christus in der Region zwischen Zentraleuropa und nördlichem Balkan bei einer anfänglich kleinen Zahl von Milchwirtschaft betreibenden Bauern auf (Itan et al., 2010). Die Selektion für das T Allel fand nach der Trennung von Populationen mit europäischer Abstammung von Populationen mit asiatischer oder afrikanischer Abstammung und sehr wahrscheinlich nach der Kolonisation von Europa statt (Bersaglieri et al., 2004). Zudem war der Selektionsvorteil lakosetoleranter Individuen nicht konstant über Europa verteilt, sondern die Demographie war ein bedeutendes Element in der Evolution und Ausbreitung der Laktosetoleranz in Europa (Itan et al., 2010). Auch wurde das T Allel nicht nur in Europa, sondern auch in Pakistan und in Populationen des Mittleren Ostens gefunden, und zwar auf demselben Haplotyp 5 wie bei den Europäern. Folglich besteht die Möglichkeit, dass laktosetolerante Individuen mit diesem Allel zwischen Populationen wanderten und so das Allel verbreiteten (Bersaglieri et al., 2004). 5 Als Haplotyp bezeichnet man die Kombination von Allelen an verschiedenen Loci auf demselben Chromosom. Zwei homologe Chromosomen, die dasselbe Allel an jedem der betrachteten Loci haben, haben denselben Haplotyp (Griffiths et al., 2010). Carmela Hodel Seite 7 von 11
8 6.2 Genetische Anzeichen für starke positive Selektion des laktosetoleranten Genotyps Die Chromosomen, die das mit Laktosetoleranz assoziierte Allel tragen, verfügen über einen gemeinsamen Haplotyp, der über ungewöhnlich lange Distanzen intakt bleibt. Dies wurde gezeigt für den Haplotyp, der die T und A Allele enthält. Er ist über mehr als 800 kb identisch (Bersaglieri et al., 2004). Der Grund dafür ist folgender: Steigt die Häufigkeit eines ausgewählten Allels, hier das für Laktosetoleranz, durch starke positive Selektion rasch, das heisst über eine sehr kurze Zeitspanne, an, so steigt auch die Häufigkeit der mit diesem Allel verlinkten Allele auf dem das ausgewählte Allel umgebenden Haplotyp ( 1 mb) an. Da der Haplotyp in so kurzer Zeit nicht durch Rekombination verändert werden kann, steigt seine Häufigkeit ebenfalls an. Das Fehlen von Rekombination verursacht lange homologe Bereiche, welche einen Beweis für die positive Selektion darstellen. Zudem ist der Haplotyp so häufig, dass er ohne Selektion gar nicht zu so einer hohen Häufigkeit hätte ansteigen können (Bersaglieri et al., 2004). 6.3 Unabhängige Entstehung der für Laktosetoleranz verantwortlichen Allele Das für die Laktosetoleranz in Ostafrika verantwortliche G Allel und das für die Laktosetoleranz in Eurasien verantwortliche T Allel haben denselben ursprünglichen Haplotyp und dieselbe Geschichte, wahrscheinlich verbunden mit demselben Viehzähmungs-Ereignis in Nordeuropa vor ungefähr 5000 bis 10`000 Jahren (Enattah et al., 2008). Im Gegensatz zu diesen beiden Allelen zeigt das zusammengesetzte arabische C G Allel einen anderen, stark divergenten Ur-Haplotyp. Das arabische Allel entstand wohl durch die Domestikation des Kamels und den Beginn der Nutzung von Kamelmilch als Nahrungsmittel vor rund 6000 Jahren und sein Alter wird auf etwa 4095 (±2045) Jahre geschätzt (Enattah et al., 2008). Das Vorhandensein dieser verschiedenen Allele suggestiert, dass Laktosetoleranz mehrmals unabhängig voneinander durch unterschiedliche Selektionseffekte, verursacht durch verschiedene Anpassungen an die Milchnutzung in unterschiedlichen Regionen, entstanden ist und die dafür verantwortlichen Allele in Populationen, die in diesen Regionen leben, sehr häufig wurden (Enattah et al., 2008). Dies erklärt die grossen Unterschiede in den Häufigkeiten der verantwortlichen Allele verschiedener laktosetoleranter Populationen (Bersaglieri et al., 2004). 7 Aufgetretene Probleme und Diskussion 7.1 Datenmangel Die meisten bisher durchgeführten genetischen Studien zu Laktosetoleranz konzentrierten sich auf die Regionen, in denen dieses Merkmal häufig auftritt (Europa, Afrika und der Mittlere Osten) und folglich stammen auch alle bisher bekannten mit Laktosetoleranz assoziierten Allele aus diesen Regionen (Itan et al., 2010). Carmela Hodel Seite 8 von 11
9 Es wurden jedoch erst wenige Populationen untersucht, und deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass alle mit Laktosetoleranz assoziierten oder für Laktosetoleranz verantwortlichen Allele bekannt sind. Für zahlreiche gefundene Polymorphismen, die mit Laktosetoleranz assoziiert zu sein scheinen, kann die Laktosetoleranz verursachende Funktion aufgrund dieses Mangels an Daten von untersuchten Individuen nicht hundertprozentig bestätigt werden (Itan et al., 2010). Oft wurden nur kurze DNA-Regionen (Enattah et al., 2008) untersucht, zudem stammen die Daten für Genotyp und Phänotyp oft nicht von den gleichen Individuen oder sogar von Individuen aus nicht nahe miteinander verwandten Populationen. Da nur für Populationen, von denen sowohl Genotyp als auch Phänotyp bekannt ist, Schätzungen über die Häufigkeit von Laktosetoleranz gemacht werden können, ist die geschätzte Häufigkeit von Laktosetoleranz sehr wahrscheinlich zu tief (Itan et al., 2010). 7.2 Probleme bei den Untersuchungen der Laktasegenregulation Caco-2-Zellen, die als Modell für die Differenzierung von Darmzellen dienen und in denen die meisten bis heute bekannten Merkmale der Laktasegenexpression gefunden wurden, sind keinesfalls identisch mit erwachsenen Darmzellen in vivo. Daher ist es möglich, dass bei Untersuchungen in vitro wichtige Co-Regulator-Proteine fehlen, die für die maximalen phänotypischen Expressionsmuster in vivo verantwortlich sind und die verschiedenen Polymorphismen in vivo eine grössere Diversität an Regulationseffekten zeigen würden (Olds und Sibley, 2003). Da die Chromosomen, die das mit Laktosetoleranz assoziierte Allel tragen, einen sehr langen gemeinsamen Haplotyp haben, kann es auch sein, dass eine andere Variante als die identifizierten und mit Laktosetoleranz assoziierten Polymorphismen, die sich irgendwo in dieser grossen Region befindet, für die Laktosetoleranz verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich ist. Ein Beweis dafür liefert ein Individuum, das homozygot für das C Allel aber trotzdem laktosetolerant ist (Bersaglieri et al., 2004). 8 Schlussfolgerung und eigene Meinung Zusammenfassend kann man sagen, dass bis heute schlichtweg zu wenige Daten gesammelt und ausgewertet wurden, um die genaue Funktion der Laktasegenregulation sowohl in vitro als auch in vivo vollständig zu erklären. Folglich sind weitere Studien zwecks der Identifikation weiterer für die Laktosetoleranz verantwortlicher Polymorphismen und deren Wirkung auf den Phänotyp notwendig, besonders in bisher wenig untersuchten Regionen wie in West- und Südafrika, Asien und Südosteuropa, um die genetischen Hintergründe dieses Merkmals vollständig verstehen zu können (Itan et al., 2010). Auch besteht weiterer Untersuchungsbedarf der bereits bekannten Polymorphismen. Hier lässt sich allerdings der Nutzen solcher weiterer Studien diskutieren. Die Untersuchung der Genetik der Laktosetoleranz mag spannend sein und viele Informationen über die Entwicklung von Populationen in unterschiedlichen Regionen der Welt sowie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Genregulation, nicht zwingend nur für das LPH-Gen, liefern. Allerdings muss man auch bedenken, dass Laktoseintoleranz keine lebensgefährliche oder die Lebensqualität stark einschränkende Krankheit darstellt. Der grösste Teil aller Menschen ist laktoseintolerant und für laktoseintolerante Personen in laktosetoleranten Populationen gibt es immer mehr Möglichkeiten, ein Leben ohne Einschränkungen zu führen. Es existieren zahlreiche Alternativen zu laktosehaltigen Produkten, wie zum Beispiel Produkte aus Sojamilch, und nicht zuletzt immer mehr laktosefreie Milchprodukte. Carmela Hodel Seite 9 von 11
10 Folglich sind meiner Meinung nach Untersuchungen der genetischen Ursachen und Mechanismen von schwerwiegenden Krankheiten wie Krebs oder SCID-X viel wichtiger und von grösserer Bedeutung als die Untersuchung des Mechanismus der Laktasegenexpression, da diese Krankheiten viel verheerendere Auswirkungen auf die Gesundheit eines Menschen haben und bis heute nur auf Zeit oder gar nicht behandelt werden können. Durch die intensivierte Untersuchung der Genetik dieser Krankheiten könnten Heil- und Therapiemethoden entwickelt oder zumindest die Herstellung von besseren Medikamenten ermöglicht werden. Deshalb bringt, zumindest aus der Sicht des Nutzens für die Menschheit, die Intensivierung der Untersuchung der Genetik dieser schwerwiegenden Krankheiten sicher mehr als die Intensivierung der Untersuchung der Laktasegenexpression. Der Nutzen der Untersuchung anderer Genregulationsmechanismen als der von Genen, deren Defekte mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden sind, darf allerdings, wie schon erwähnt, trotzdem nicht ausser Acht gelassen werden. Diese Untersuchungen leisten einen wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Verständnis der Genregulation. Wird schon die Genregulation anderer, vielleicht weniger komplexer Merkmale nicht verstanden, können auch die komplexen und schwer zu untersuchende Genregulationsmechanismen der erwähnten Krankheiten nicht verstanden werden. Carmela Hodel Seite 10 von 11
11 9 Quellen 1. Itan Y, Jones BL, Ingram CJE, Swallow DM, Thomas MG (2010): A worldwide correlation of lactase persistence phenotype and genotypes. BioMed Central Ltd. Link: (Stand ) 2. Lewinsky RH, Jensen TG, Moller J, Stensballe A, Olsen J, Troelsen JT (2005): T DNA variant associated with lactase persistence interacts with Oct-1 and stimulates lactase promoter activity in vitro. Hum Mol Genet 14(24): Link: (Stand ) 3. Olds LC, Sibley E (2003): Lactase persistence DNA variant enhances lactase promoter activity in vitro: functional role as a cis regulatory element. Hum Mol Genet 12(18): Link: (Stand ) 4. Bersaglieri T, Sabeti PC, Patterson N, Vanderploeg T, Schaffner SF, Drake JA, Rhodes M, Reich DE, Hirschhorn JN (2004): Genetic signatures of strong recent positive selection at the lactase gene. Am J Hum Genet 74(6): Link: (Stand ) 5. Enattah NS, Jensen TG, Nielsen M, Lewinski R, Kuokkanen M, Rasinpera H, El-Shanti H, Seo JK, Alifrangis M, Khalil IF, et al (2008): Independent introduction of two lactase-persistence alleles into human populations reflects different history of adaptation to milk culture. Am J Hum Genet 82(1): Link: (Stand ) 6. Anthony J.F. Griffiths, Susan R. Wessler, Sean B. Carroll, John Doebley (2010): Introduction to Genetic Analysis, Tenth Edition Freeman, International Edition; Seiten , 612 Abb. 1: Abgeändert aus: Figure 3A. Functional analysis of the enhancer region. In (Lewinsky et al., 2005). 10 Erklärung Ich erkläre hiermit, dass ich diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäss aus Quellen entnommen wurden, habe ich als solche gekennzeichnet. Mir ist bekannt, dass andernfalls die Semesterarbeit als ungenügend taxiert werden kann. Buttisholz, Carmela Hodel Seite 11 von 11
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