Daneben und doch mittendrin
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- Sofie Ursler
- vor 6 Jahren
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Transkript
1 Daneben und doch mittendrin Eine Geschichte aus dem Leben aus meinem Leben! Es geht um meine Geschichte und um Erfahrungen aus meinem Leben. Deshalb möchte ich mich zuerst kurz vorstellen. Ich bin 39 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern im Alter von fünf und acht Jahren. Dass ich unsere Kinder ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten darf und kann, dafür bin ich sehr dankbar. Glücklich und zufrieden nehme ich wahr, wie sie sich entwickeln und ihr Leben zunehmend selbstständiger gestalten, wie sie selbstbewusster werden und lernen, mit verschiedenen Situationen umzugehen. Gelernt habe ich den Beruf der Ergotherapeutin und ich bin nach einer langen Mutterschaftspause wieder in diesen Beruf eingestiegen. Die Berufsarbeit bereichert mein Leben zusätzlich, da ich den Umgang mit Menschen sehr schätze und Freude an deren Behandlung und Begleitung habe. - Vieles hat sich in meinem Leben gut entwickelt. Dies änderte sich plötzlich, als mein Mann erkrankte. Er leidet seit längerer Zeit an einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit Depressionen, Zwangsgedanken und Suizidgedanken. Vor mehr als drei Jahren musste er zum ersten Mal für einen längeren Aufenthalt in eine Klinik eintreten, nachdem er zuhause einen Zusammenbruch erlitten hatte. In dieser Situation musste ich die Verantwortung für ihn übernehmen, ich musste überlegen, was zu tun ist und ich musste handeln. Währenddessen warteten unsere Kinder auf mich. Sie waren verunsichert und weinten. Ich musste ruhig und überlegt bleiben.
2 Dies war meine einzige Strategie, denn ich musste handeln. Zuerst musste ich jemanden für die Kinder organisieren, dann die Klinik anrufen. Ich musste mich um unsere Kinder kümmern, dann wieder um meinen Mann - hin und her, immer ruhig und klar. Die Kinder wurden abgeholt und verabschiedeten sich weinend von mir. Es zerriss mich fast, ich hatte keine Zeit, mein Mann wartete auf mich, er hatte Suizidgedanken. Ich musste einige Sachen einpacken und schnell in die Klinik fahren. Es brauchte Zeit, Geduld und Zuversicht Auf dem Nachhauseweg kamen Angst und Verzweiflung auf - und Fragen, sehr viele Fragen. Wieso? Warum? Ich wusste es nicht. Niemand wusste es - noch nicht. Es brauchte Zeit und Geduld, Zuversicht und Vertrauen - und davon immer wieder sehr viel. Der Alltag forderte oft viel, sehr viel, von mir. Manchmal überforderte er mich beinahe. Denn ich musste mich nicht nur um sehr vieles kümmern unsere Kinder, das Haus, den Garten sondern ich musste auch mit meinem Mann unzählige Krisensituationen meistern und überwinden. Ihm ging es sehr oft sehr schlecht. Weder Medikamente noch Elektrokrampftherapie (EKT) hatten geholfen. Gute Phasen wechselten sich mit schlechten Phasen. Immer wieder. Und ich war mittendrin. Daneben und doch mittendrin. Sehr lange durchlebte ich mit meinem Mann unzählige Krisen. Ich war für ihn da, wenn er mich brauchte fast Tag und Nacht. Unzählige Besuche, Gespräche, Spaziergänge folgten. Für uns alle war dies eine emotionale und sehr zeitintensive Phase - bis es zu viel wurde, fast zu viel. Denn meine Bedürfnisse kannte ich kaum mehr, Ruhe und Erholung ebenfalls nicht. Nur mein
3 Wille zu leben und nicht nur zu überleben, war stets da. Zugleich wollte ich unseren Kindern eine verlässliche Mama sein. Ich wollte für sie da sein und wieder vermehrt auch ihren Bedürfnissen gerecht werden. Dies veranlasste mich dazu, eine Veränderung zu fordern, bevor ich selber krank wurde. Ich musste lernen, mich abzugrenzen Im Gespräch mit verschiedenen Menschen erkannte ich, dass mein Mann nicht nur an wiederholten Depressionen litt. Meiner Auffassung nach drehte er sich im Kreise. Für mich wurde bald klar, dass er intensive Psychotherapie brauchte und seine Vergangenheit anschauen musste. Doch ich war und bin keine Therapeutin. Ich bin die Ehefrau, der oftmals eher Überforderung als ein tiefer Einblick in das Leben meines Mannes zugetraut wurde. An etlichen Gesprächen war ich dabei, doch verändern konnte ich nichts - bis ich schlichtweg sagte, dass es so für MICH nicht mehr weitergehen konnte: Mein Mann konnte nicht mehr nach Hause kommen, um nach einigen Wochen erneut in die Klinik einzutreten. Dieses Hoffen und Bangen und alles, was dies mit sich brachte, ging für mich und für unsere Kinder nicht mehr. Ich konnte und wollte nicht mehr so weiterfahren. Innert kurzer Zeit wurde eine andere Lösung gefunden: die Verlegung in eine spezialisierte Klinik. Mein Mann wurde auf einer Psychotherapiestation aufgenommen - für die Abklärung und danach auch für eine intensive Behandlung. Dies war der Anfang der Veränderung und Verbesserung seiner und somit auch unserer - Situation. Doch die Erkrankung meines Mannes zog weite Kreise, denn zu den erwähnten Belastungen gesellten sich Konflikte mit den Schwiegereltern und danach auch mit meinen Eltern. Sie konnten die psychische Erkrankung
4 des eigenen Sohnes und Schwiegersohnes nicht gut akzeptieren. Schuldgefühle kamen dazu und eine Erklärung musste gefunden werden. Mit dieser zusätzlichen Belastung konnte ich nicht gut umgehen, denn ich hätte von ihnen Unterstützung gewünscht und gebraucht. Es drohte, mir zu viel zu werden. Deshalb suchte ich mir selber Unterstützung bei einem Psychotherapeuten - für mich, einfach nur für mich. Ich musste lernen, mich abzugrenzen von den weiteren Angehörigen, bei mir zu bleiben und die Probleme der anderen bei ihnen zu lassen. Ich musste wieder lernen, was meine Bedürfnisse waren und sind. Dies hatte ich verlernt. Oftmals ging es um meinen Mann oder um unsere Kinder auch über die Situation der Kinder redete ich viel. Was brauchen sie, um sich in dieser belastenden Situation doch gesund entwickeln zu können? Kinder, die mutig und mit Vertrauen ihren Weg gehen Verschiedenes ist wichtig für sie: zunächst das Wissen darum, weshalb es dem Papa schlecht geht und was ihm hilft, wie es in der Klinik aussieht, wo er schläft und was er dort tut. Wichtig sind aber auch Zuversicht und Vertrauen - Vertrauen in ihr Leben - und natürlich die Befriedigung ihrer alltäglichen kindlichen Grundbedürfnisse. Zum Glück haben wir viele Menschen um uns herum, die immer wieder für uns da sind, mit denen wir im Austausch sind, die sich liebevoll um unsere Kinder kümmern, ehrlich und wertschätzend sind. Da sie nicht direkt betroffen sind, wie die weiteren Angehörigen, sind sie auch unbeschwert. Das tut uns gut. Jeden Tag spielen unsere Kinder mit anderen Kindern. Stundenlang sind sie in Rollenspiele vertieft, in denen sie oft unsere Familiensituation nachspielen. Sie gehen offen und natürlich damit um und können ihre Gefühle und
5 Gedanken ausdrücken. Sie sind einfach normale Kinder, die vor allem und immer wieder Kinder sein wollen, die mutig und mit Vertrauen ihren Weg gehen und die wissen, dass nicht jeder Weg gerade verläuft und dass es sich trotzdem lohnt, ihn zu gehen. Auch ich habe vieles erfahren und gelernt, für mich und für mein Leben. Trotzdem sehne ich mich nach Ruhe und Gewissheit, nach Zeit in der Natur und Wanderferien, nach meiner Arbeit als Ergotherapeutin, die ich nicht mehr weiterführen konnte, nach Musik, Tanzen und Unbekümmertsein. Dies ist meine Geschichte, mit der ich anderen Menschen Mut machen möchte. Denn das Leben verändert sich immer wieder; immer wieder auch zum Guten - dies weiss ich aus Erfahrung.
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