Heiner Ganßmann Geld, Kredit und fiktives Kapital -- was trägt die Marxsche Theorie bei zum Verständnis der Finanzkrise?
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- Claudia Giese
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1 5. Februar 2014 Heiner Ganßmann Geld, Kredit und fiktives Kapital -- was trägt die Marxsche Theorie bei zum Verständnis der Finanzkrise? Referat zur Kasseler Tagung: Die Finanzkrise Grundlage für eine Marx- Renaissance? 1. Einleitung: Verortung der Marxschen Geldtheorie in der allgemeinen geldtheoretischen Diskussion Heutzutage ist wohl der Hauptgegensatz in der Geldtheorie der zwischen Mengerianern und Neochartalisten, also denjenigen, die Geld und Geldgebrauch aus dem Handeln auf Märkten ableiten und denjenigen, die eine Variante der "staatlichen Theorie des Geldes" im Gefolge von Knapp (1905) weiterentwickeln, z.b. durch eine Fusion mit Keynesschen Bausteinen (wie in der sog. MMT=modern monetary theory, Wray 1990 usw.). Inhaltlich wird der Gegensatz häufig so stilisiert, dass für die Mengerianer die Tauschmittelfunktion des Geldes (als Ware unter Waren), für die Chartalisten die unit of account-funktion primär sein soll (zu letzterer These s. den Anfang von Keynes Treatise on Money, Ingham 2004, zuletzt Peabody 2013). Die anderen üblichen Geldfunktionen werden (vorgeblich) aus dieser primären Funktion abgeleitet. Die Idee eine primäre Funktion hervorzuheben geht wohl auf Keynes (1930) zurück, ist aber nicht besonders gut begründet. Diese Anordnung geldtheoretischer Ansätze ist üblich (Goodhart 1998) und nicht nur in Bezug auf Marx sehr grob (z.b. ist eine Frage, wie man die suchtheoretischen Ansätze einordnet). Für die Stilisierung des Gegensatzes wird wenig Rücksicht genommen auf Feinheiten der Theorie in der Erklärung der Entwicklung des Geldes, etwa vom Waren- zum Kreditgeld. Die chartalistische Theorie des Geldes verlagert das Problem, wie man den Ursprung des Geldes erklärt, in die Sphäre des Rechts oder des Herrschaftshandelns, mitunter wird auch auf religiöse Ursprünge hingewiesen (nach dem Vorbild von Laum (1924): "Heiliges Geld". Demgegenüber halten die meisten Ökonomen, inkl. Marx, an dem Muster einer "invisible hand"- 1
2 Erklärung (Aydinonat 2011) fest und versuchen, Geld als "result of human action, but not of human design" (Ferguson) zu verstehen -- wobei im Laufe der Geldgeschichte die Design-Komponente (also der Anteil politisch bewusst gestalteter Eigenschaften der Geldsysteme) immer mehr Gewicht bekommt. Da Marx im ersten Schritt seiner Gelderklärung das Geld als Ware, in seinen Worten: die "Verdopplung der Ware in Ware und Geld", behandelt, gilt er, wie Adam Smith und die meisten Klassiker, als Vertreter einer Theorie, die das Geld aus den Hindernissen des unmittelbaren Produktentauschs herleitet. "Barter" wird behindert durch das Problem der doppelten Koinzidenz der Bedürfnisse (Jevons1876). Marx geht allerdings seine Erklärung nicht, wie z.b. Menger (1893), handlungstheoretisch an, sondern strukturalistisch i.s. einer Ableitung des Geldes in der Kette: Ware, TW, Wert, Wertform..., wobei der Antrieb zum jeweils nächsten Schritt nach dem Muster gewonnen wird: Welche Form erfordert die äußere Darstellung von analytisch erschlossenen, immanenten Eigenschaften der Ware(n). Bei der skizzierten Einordnung von Marx als Geldtheoretiker wird oft übersehen, dass er zwar einerseits darauf besteht, dass Geld tatsächlich in seiner Funktion als Weltgeld nach wie vor Ware sein muss, mit Gold und Silber in Münzen- oder Barrenform als Geldobjekten. Andererseits macht Marx aber bei der Darstellung der Geldfunktionen und ihrer Entwicklung von vornherein (und im Vorgriff auf die systematische Platzierung von Kredit und zinstragendem Kapital in späteren Teilen seiner Theorie) deutlich, dass sowohl in der "kleinen" Zirkulation als auch im großen Handels- und Finanzverkehr Geldobjekte benutzt werden, die nicht die üblichen Wareneigenschaften (als Einheiten von TW und GW) haben. Im Kleinverkehr sind das Münzen oder Staatspapiergeld, im großen Wechsel und Schecks, also Formen des --im Privatverkehr entstehenden-- Kreditgelds (MEW 23:154, heute spricht man von "endogenous money"). Zudem kannte Marx bereits frühe Formen des Zentralbankgelds ("legal tender" MEGA II, 4.2.1: 474) und hat sich -- wie seine Exzerpte zeigen -- ausführlich mit dem Problem befasst, ob und wie die Noten der Bank von England durch Goldreserven für den Außenhandel "gedeckt" sein müssen. Er hat sein Theorievorhaben in dieser 2
3 Richtung aber klar begrenzt: "Die besondren Creditinstrumente, wie die besondren Formen der Banken sind für unsere Zwecke nicht weiter zu betrachten." Ebenso schloss er als Gegenstand aus: "die Concurrenz zwischen Verleihern und Borgern und die daraus resultierenden kürzeren Oszillationen des Geldmarkts" (MEGA II, 4.2.1: 431) Man kann also davon ausgehen, dass Marx im "Kapital", 3.Bd., keine ausdifferenzierte Theorie des Finanzsektors einbauen wollte, zumal er die Auffassung vertrat, dass die Aufspaltung des Mehrwerts in Profit und Zins (und Rente) nicht von irgendwelchen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten bestimmt sei, sondern einerseits von der (konjunkturabhängigen) Inanspruchnahme von Krediten durch das Arbeit ausbeutende Kapital und andererseits von der Durchsetzungsfähigkeit der entsprechenden Interessen, die sich im Zyklus in typischen Verläufen verschiebt. Im Aufschwung ist der Zins niedrig und die Profitrate hoch, im Abschwung ist es umgekehrt (434), aber der Zins kann auf Dauer die Profitrate nicht übersteigen. Die Akkumulation von Geldkapital hat zwar keine quantitative, aber eine Sinngrenze: "Wenn aber keine wirkliche Accumulation stattfände, was würde die Accumulation von moneyed claims upon that production nützen?" (488) Mit ihrem Bezug auf die Produktion und "wirkliche" Akkumulation soll die Arbeitswertlehre helfen, diese Grenze sichtbar zu machen: "Durch die Identität des surplusvalue mit der Surplusarbeit ist eine qualitative Grenze für die Accumulation des Capitals gesetzt -- der Gesamtarbeitstag, die jedesmal vorhandene Entwicklung der Produktivkräfte und der Population, welche die Anzahl der gleichzeitig exploitierbaren Arbeitstage limitirt. Wird dagegen der Mehrwert in der begriffslosen Form des Zinses gefaßt, so ist die Grenze nur quantitativ und mocks all the powers of imagination." (468) 2. Kredit und Kreditgeld bei Marx Die Marxsche Ableitung des Kreditgeldes erfolgt in den folgenden Schritten: 1. Durch Funktion des Geldes als Zahlungsmittel entstehen Gläubiger- Schuldner-Beziehungen. Die "Ware wird verkauft nicht gegen Geld, sondern gegen ein schriftliches promise of paying, Zahlungsversprechen an einem gewissen Termin" (469) 2. "die Schuldtitel (Wechsel etc.) werden Zahlungsmittel für den Gläubiger". 3. "die Compensation der Schuldtitel 3
4 ersetzt das Geld" (441). Wechsel zirkulieren "selbst als Zahlungsmittel und sie bilden das eigentliche // Handelsgeld. Soweit sie schließlich durch Ausgleichung von Schulden und Forderungen sich aufheben, funktioniren sie absolut (Hrvh.HG) als Geld, indem dann keine schließliche Verwandlung derselben in Geld stattfindet. Wie diese wechselseitigen Vorschüsse... die eigentliche Grundlage des Creditwesens bildet, so deren Circulationsinstrument, der Wechsel, die Basis des eigentlichen Creditgelds, der Banknotencirculation u.s.w., deren Basis nicht die Geldcirculation (sei es metallisches oder Staatspapiergeld) sondern die Wechselcirculation." (470f.) Die Banknote wiederum "ist nichts als ein Wechsel auf den banquier, / der an porteur zahlbar ist und den er den Privatwechseln substituirt." (473f.) Unter den Banken bildet sich eine Hierarchie. Diejenigen, die Noten ausgeben, bezeichnet Marx als "sonderbaren Mischmasch zwischen Nationalbank und Privatbank (der) in der Tat den Nationalcredit hinter sich hat und (deren) Noten mehr oder weniger legal tender sind." (474) Allerdings "bildet die Banknote nur die Münze des Großhandels und es ist stets das Deposit, was die Hauptsache bei den Banken bildet." (475) Marx hat also schon klar gesehen, dass das Hauptvolumen des Zahlungsverkehrs "bargeldlos" abgewickelt wurde. Diese wenigen Zitate zeigen, dass Marx eine Theorie des endogenen (in der Ökonomie selbst generierten, nicht von außen angebotenen) Geldes vorschlägt, mit dem hier noch nicht ersichtlichen Zusatz (gegenüber denjenigen Ökonomen von Schumpeter bis Gorton, die private Kreditinstrumente umstandslos als Geld ansehen), dass in der Geldkrise eine Trennung sichtbar wird zwischen Kreditzahlungsmitteln auf der Grundlage privater Schuldtitel und "hartem Geld". Letzteres kann bei Marx auch schon das oben genannte gesetzliche Zahlungsmittel sein: "legal tender", die Noten der Nationalbank. Marx hat also a) entgegen den Behauptungen der Neochartalisten (z.b. Ingham 2004) durchaus die Rolle des Staates im Geldwesen gesehen, aber nicht in seine Theorie auf der von ihm angezielten Stufe der Abstraktion/begrifflichen Entwicklung einbauen wollen; und b) nicht 4
5 behauptet, dass der "Rückfall ins Monetarsystem" 1 in der Geldkrise eine Rückkehr zu Warengeld impliziert. 3. Geldkrisen bei Marx Marx unterscheidet zwei Arten der "Geldkrise". Erstens die Geldkrise als Moment der allgemeinen Krise, in der die "prozessierende Kette der Zahlungen und ein künstliches System der Ausgleichungen" heftig gestört wird. Damit schlägt das "Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld" (dabei kann das, was "hartes Geld" heisst, verschiedene Formen haben: "Gold oder Kreditgeld, Banknoten etwa" (MEW 23: 152). Zweitens die Geldkrise, "die selbständig auftreten kann, so dass sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind dies Krisen, deren Bewegungszentrum las Geldkapital ist, und daher Bank, Börse, Finanz ihre unmittelbare Sphäre." (ibid, Fn in 3.Aufl. hinzugefügt). Die Finanzkrise von 2007/8 gehört in diese Krisenklasse, aber die "nur rückschlagende" Wirkung war so gewaltig, dass da wohl der Schwanz mit dem Hund gewedelt hat. Das dazu erforderliche gewaltige Kreditdoping gab es zu Marx Zeiten noch nicht. In Sinne der von mir angezielten Sicht des Geldes als Institution der Unsicherheitsabsorption (Ganßmann 2012) könnte man die Marxsche These so beschreiben: In der Geldkrise explodiert die Unsicherheit darüber, welche Zahlungsinstrumente noch funktionieren. Diese Unsicherheit wird zumindest partiell abgebaut durch Nutzung derjenigen Zahlungsinstrumente, hinter denen der "Nationalcredit" steht. Wenn allerdings die Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Nationalstaats in Frage steht, gibt es auch auf dieser Ebene keinen ausreichenden Sicherheitsgewinn mehr. 4. Die Finanzkrise von 2007/8 Während der Verlauf der Großen Rezession (GR) in vieler Hinsicht dem der klassischen Finanzkrisen ähnelt, spielten für Ausbruch, Schwere und Verlauf 1 Man kann vermuten, dass er mit dem "Rückfall ins Monetarsystem" nicht einen realen Prozeß der Rückkehr zu Gold und Silber als Geld meinte, sondern eine spontane Rückkehr zur -- schon von Adam Smith kritisierten -- Ansicht der Monetaristen, dass der Gelderwerb auf nationaler Stufenleiter vordringliches Ziel der Wirtschaftspolitik sein sollte. 5
6 der Krise mehrere institutionelle Komponenten eine wichtige Rolle, also Organisations- und Transaktionsformen (FCIC 2012), die es zu Marx Zeit einfach noch nicht gab oder die nur ein unbedeutendes Gewicht hatten. Dabei geht es nicht einfach um Spekulation. 2 a) Globale Vernetzung des Finanzsystems bei hoher Kommunikationsgeschwindigkeit. Große Investment-Banken konnten sich als global player aufführen, mit Vorkrisenetiketten wie "masters of the universe". b) Großes Gewicht und seit den 70er Jahren des 20.Jh. rapides Wachstum des Finanzsystems. Steigende Anteile an gesamtwirtschaftlicher Aktivität, insbesondere in USA und UK. c) Seit der Weltwirtschaftskrise von 1929ff. wachsender Staatsinterventionismus zur Stützung des Finanzsystems, zur Sanierung nach Krisen: Too big to fail. The "state assumed a new role --that of guaranteeing the integrity of the financial system." (Schularick 2012:4) Staatliche Depositenversicherung. Kehrseite war ursprünglich: Stramme Regulierung (Glass-Steagall Act von 1933) d) Seit den 1990er Jahren beschleunigte Deregulierung (nicht zuletzt als Folge von regulatory arbitrage, beginnend mit dem Eurodollar-Markt) -- am krassesten in USA (unter Clinton!) und UK. e) Neue Finanzunternehmen: Hedge-Fonds, Private Equity, Schattenbanken (SIVs) und zunehmendes Gewicht von außerbörslichen Transaktionen (OTCtrading). f) Neue sog. Finanz-"produkte": Mehrfach auf neue Weise verpackte und (um)strukturierte Verbriefungen von Kreditforderungen: Beispiel Subprime- Hypotheken, Verkauf der Forderungen: a) in Paketform an Schattenbanken, dort Tranchierung, b) an "Investoren", d.h. andere Finanzhäuser oder Endvermarktung an Privatkunden weltweit. Die dadurch angeblich erzielte Risikodiversifizierung lief bei einem gewichtigen Teil der ABS, vor allem bei MBS (mortgage backed securities) darauf hinaus, dass insgesamt immer höhere Risiken eingegangen wurden, weil sie auf der Ebene der Einzeltäter bedenkenlos weitergereicht werden konnten (moral hazard). Hinzu kamen hedging-möglichkeiten über Credit Default Swaps (CDS). Die "Investoren" 2 Börsenspekulation gab es in kapitalistischer Form schon im 17.Jh, z.b. Warentermingeschäfte in Amsterdam. 6
7 wussten häufig nicht, was sie da kauften. Und die Regulierer hatten ebensowenig wie die Finanzhäuser einen Überblick über die so entstehenden Verflechtungen und die daraus folgenden Risiken auf der Systemebene. g) Wachsende Rolle der Rating Agenturen. Im Gegensatz zur Barzahlung beruht die Gewährung von Kredit auf "Vertrauen". Der Gläubiger braucht ein Dossier über den Schuldner, um sich seiner Kreditwürdigkeit zu versichern. Rating Agenturen beschaffen, sammeln und verkaufen die erforderlichen Informationen. Bei all diesen Operationen dürfte kaum jemand die Illusion gehabt haben, dass die "Investoren", die Käufer der Papiere, Kapital bilden. In diesem Sinn ist das Wort "investieren" missverständlich: Geld wird "angelegt", benutzt um mehr Geld daraus zu machen, aber es geht dabei genausowenig um Kapitalbildung wie beim Kauf von Staatsschuldenpapieren. Hier wie überall kommt es darauf an, was der Schuldner mit dem Kredit, den er aufnimmt, macht/gemacht hat. Nehmen wir das Beispiel einer Hypothek, die ein privater Haushalt aufnimmt, um ein selbst bewohntes Eigenheim zu kaufen. Dabei ist der Bankier, der die Hypothek vergibt, durchaus dabei, sein Kapital, möglichst noch stark gehebelt, zu verwerten. Es handelt sich um einen Kredit für ein sog. langlebiges Konsumgut. Der Gläubiger handelt als Kapitalist, der Schuldner jedoch als Konsument. Nun kommt Operation 2: Der Bankier will seine Hypothekenforderung aus seiner Bilanz haben, um Platz für weitere Kreditvergaben (und entsprechende Gewinne) zu schaffen, ohne die Reservepflichten zu vernachlässigen. Er verkauft paketweise Forderungen gegen Hypothekenschuldner (Verbriefung). An wen? Nicht direkt an Zahnärzte aus Wanne-Eickel, die ihre "freien Spitzen" gewinnbringend anlegen wollen. Sondern an einen Vermittler: Eine grössere Bank oder Schattenbank, die aus solchen Paketen von Hypothekendarlehen ein "innovatives Finanzprodukt" bastelt. Pooling and tranching. Wenn die Nachfrage nach diesen Finanzprodukten groß genug ist, wie vor der Subprime-Krise, entsteht ein Sog in der Kreditpipeline, der die Vergeber von Hypotheken verführt, immer weniger auf die Zahlungsfähigkeit der Hypothekennehmer zu achten. Das Risiko des Zahlungsausfalls reichen sie ja weiter (moral hazard). 7
8 5. Was nützt uns Marx bei der Analyse der jüngsten Finanzkrise? Kann man die skizzierten Verbriefungsgeschäfte besser verstehen, wenn man sie als Geschäfte mit "fiktivem Kapital" i.s.v. Marx klassifiziert? Was die "Käufer" dieser "Finanzprodukte" erwerben, ist ein Anspruch auf einen Einkommensstrom in der Form von Verzinsungen des von ihnen verliehenen, damit als zinstragendes Kapital eingesetzten Geldes. Der Käufer der Verbriefung tritt als Gläubiger an die Stelle der Bank, die den Kredit zuerst vergeben hat. Der Schuldner bleibt derselbe. Eine Kredittransaktion wird dabei semantisch als Kauf-Verkaufstransaktion dargestellt. Diese Verkleidung wird (wenn alles funktioniert) gestützt durch die Möglichkeit, das Finanzprodukt wie eine x-beliebige Ware weiterzuverkaufen. Vorausgesetzt ist ein Markt für diese Papiere, der deren Liquidität -- jederzeitige Veräußerung gegen Geld -- sicherstellen soll. Dabei wird der Preis dieser Papiere nach dem Muster der Kapitalisierung gebildet, inkl. einer Risikogewichtung. Z.B. sei der herrschende Zinssatz 3%, der erwartete Ertrag auf das Papier betrage 6%, dann hätte ein Papier mit dem Nominalwert von 100 einen Marktpreis von 200 usw. Wieweit ist Marx Unterscheidung von fiktivem und "wirklichem" Kapital hilfreich? Offenbar fällt Marx selbst die Unterscheidung schwer. Im Manuskript zum 3. Bd. geht Marx auf dieses Problem ein, aber sein Ergebnis ist nicht eindeutig. "Die Form des Zinstragenden Capitals bringt es mit sich, daß jede bestimmte und regelmäßige Geldrevenu als Zins eines Capitals erscheint, sie mag aus einem Capital entspringen oder nicht. Erst wird Geldeinkommen in Zins verwandelt und mit dem Zins findet sich dann auch das Capital ein, woraus es entspringt...dieß ist und bleibt jedoch eine rein illusorische Vorstellung, <klar, aber jetzt kommt eine Einschränkung:> ausser unter der Voraussetzung, daß die Quelle (des Einkommens, HG.), sei dies ein bloßer Eigentumstitel oder //Schuldforderung, oder sei es ein wirkliches Produktionselement, wie z.b. Land, direkt übertragbar ist oder eine Form erhält, worin es übertragbar ist." (520f.) Dann geht Marx auf zwei Beispiele für fiktives Kapital ein, einmal die Staatsschuld, wo der Schuldschein transferierbar ist, aber kein Kapital existiert, zum andern auf den Arbeitslohn, 8
9 Gegen die Vorstellung, der Arbeitslohn sei die Verzinsung des Humankapitals (das Wort benutzt Marx natürlich nicht) weist Marx darauf hin, dass der Arbeiter dummerweise arbeiten muss, um sich als Kapital zu verzinsen. Bei Staatsschuldenpapieren gilt zwar das Kriterium der Übertragbarkeit, es gibt aber kein Kapital. Wenn man ein solches trotzdem imaginiert, handelt es sich nicht doch wieder um "eine rein illusorische Vorstellung"? Ebenso schwierig sind die Marxschen Bemerkungen zu Aktien als Kapital zu verstehen. Einerseits leitet Marx das Thema ein mit dem Satz: "Die Bildung des fiktiven Capital heißt Capitalisiren." (522) und fährt fort: "Die Papiere... stellen wirkliches Capital vor... die Geldsumme, die von den sociétaires vorgeschossen ist, um als Capital in solchen Unternehmungen verausgabt zu werden." Dann wendet er selbst ein: "Aber dies Capital existiert nicht doppelt... die Aktie ist nichts als ein Eigentumstitel auf den von ihm zu realisierenden Mehrwert." Woher kommt dann die Vorstellung die "Papiere...stell(t)en wirkliches Capital vor"? Offenbar daher, dass es mit der Börse einen Markt für diese Papiere gibt: "Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, seien es Staatseffekten oder Aktien bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Capital neben dem Capital, oder dem Anspruch, auf die sie Titel sind. Sie werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung oder Bestimmung hat. Ihr Marktwert erhält von ihrem Nominalwert verschiedne Bestimmung, ohne daß sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen Kapitals ändert." (523) Unterlassen wir es, den letzten Halbsatz zu kritisieren 3. Marx sagt ansonsten: Weil die Preisbildung bei Aktien auf den Märkten tendenziell nach den Regeln der Kapitalisierung läuft (d.h. "Marktwert" = Nominalwert x Dividende/Zins) entsteht der "Schein, als bildeten sie wirkliches Capital". Wobei hinzukommt: "Der Marktwert ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete (vorher zu kalkulierende) bestimmt ist." (ibid.) 4 3 Der "Wert" des "wirklichen Kapitals" ändert sich selbstverständlich in Abhängigkeit von seiner Verwertung, spätestens sobald, wie im zeitgenössischen Kapitalismus, ganze kapitalistische Unternehmen zu Waren werden. 4 Auch hier könnte man die Einschränkung "zum Teil" kritisieren: es geht um die erwartete Dividende. Für die Bildung dieser Erwartung ist die Vergangenheit kein verlässlicher Anhaltspunkt. Sie ist notgedrungen spekulativ. 9
10 6. Schluss: Falsche Gegensätze? Wirkliches und fiktives Kapital, Realökonomie und Geldökonomie. Man kann aus alledem schließen, dass Marx es sich nicht einfach gemacht (oder sich schwer getan) hat mit der Unterscheidung von "wirklichem" und "fiktivem" Kapital. Jedenfalls hat er nicht irgendeinen groben Materialismus gegen die "Scheinwelt" der Finanz ausgespielt. Das ist bis heute eher bei Ökonomen üblich, die das Geld als "Schleier" ansehen wollen, der über den "realen" Verhältnissen liegt. Was man hoffentlich lernen kann, ist sich mit Marx bei der Analyse der Finanzwelt zu erinnern: "Wenn aber keine wirkliche Accumulation stattfände, was würde die Accumulation von moneyed claims upon that production nützen?" (488). Natürlich lässt sich hier das Adjektiv "wirklich" problematisieren, so als sei die Akkumulation von Geld etwas Unwirkliches. Gemeint ist: Es gibt einerseits einen Produktionsapparat, den Produzenten betätigen. So entsteht laufend ein Sozialprodukt (in welcher Gestalt immer, von Kartoffeln bis zu Unterhaltungsfilmen bis zu Computerprogrammen ist alles drin), das käuflich auf Märkten erscheint. Und es gibt andererseits Ansprüche auf Anteile an diesem Sozialprodukt, die auf unterschiedliche Weise entstehen. Zunächst sozusagen "klassisch" in der Produktion in Form von Löhnen, Profiten, Renten und Zinsen. Zum andern vermittelt, etwa wenn ein Kreditnehmer (= Schuldner) auftritt, der mit Geld, das er geliehen und das seine Bank "geschaffen" hat, zusätzliche Nachfrage ausübt. Zusätzlich im Sinne von: (noch) nicht gedeckt durch einen Eigenbeitrag zu Produktion, Austausch oder Verteilung. Geld verkörpert beide Sorten von Ansprüchen, egal wie jemand zu Geld gekommen ist. Allerdings ist es nicht so, dass irgendeine konkrete Person oder Instanz dem Geldeigentümer etwas schuldet, wie manche Geldtheoretiker, angesichts privater Zahlungsinstrumente wie Wechsel, Schuldscheine oder private Banknoten verallgemeinernd meinen. Vielmehr ist das Geld Platzhalter für Handlungsmöglichkeiten und dient Akteuren als wirksamer Hebel, um in den Wirtschaftsprozess einzugreifen. Dabei ist sowohl gleichgültig, wie groß das relative Gewicht materieller und immaterieller Güter in diesem Prozeß ist, als auch welche Form das Geld hat --solange es als solches allgemein anerkannt 10
11 wird. Mit Geld kann man alle Elemente des Wirtschaftsprozesses als Waren, als käufliche Objekte, anzielen. Und umgekehrt werden Waren auf den Markt gebracht, um sie in Geld zu verwandeln. Wegen dieses allgegenwärtigen Rolle des Geldes und des Gelderwerbs als Handlungsziel ist es schlicht nicht sinnvoll, die ökonomische Welt zweizuteilen in eine "reale" einerseits und eine nominale, symbolische, monetäre, finanzielle usw. andererseits. Dass Marx trotzdem "wirkliche Accumulation" und Geldakkumulation gegenüberstellt, hängt mit seiner Werttheorie zusammen. Was auch immer sie sonst leisten soll, sie liefert einen normativen Maßstab, den Hintergrund für die Marxsche Kritik am Kapitalismus als Ausbeutungssystem. Im Grunde appelliert Marx damit an ein meritokratisches Prinzip. Niemand sollte ohne gesellschaftliche Legitimation Teile des Surplusprodukts, damit der Surplusarbeit, aneignen können. Im Kapitalismus ist das aber laufend der Fall. Man kann sich damit abfinden oder nicht. Jedenfalls gibt es Kapitalismus nicht ohne Kredit. Und Kredit verstärkt nicht nur die Abweichung von der meritokratischen Norm, indem er geldgestützte Eingriffe ohne Vorleistung ermöglicht. Sondern Kredit ermöglicht immer wieder sich selbst verstärkende Spekulationswellen. Daher die Geldkrisen. Blasen sind zum Platzen da... Literatur: Aydinonat, N.E. (1911), Explaining the origin of money, in: Ganssmann (2011)(ed.), Financial Crisis Inquiry Commission (2011), Financial Crisis Inquiry Report, Government Printing Office, Washington, DC. Ganssmann, H. (1996), Geld und Arbeit, Frankfurt: Campus. Ganssmann, H. (2011)(ed.), New approaches to monetary theory. Interdisciplinary perspectices, London: Routledge. Ganssmann, H. (2012), Doing money. Elementary monetary theory from a sociological standpoint, London: Routledge. Ganssmann, H. (2013), Die Finanzkrise und ihre Folgen, in: Berliner Journal für Soziologie, 23: Goodhart, C.A.E. (1998), The two concepts of money: implications for the analysis of optimal currency areas, in: European Journal of Political Economy, vol. 14, Gorton, G.B. (2012), Misunderstanding Financial Crisis. Why we donʼt see them coming, Oxford: Oxford University Press. Ingham, G. (2004), The Nature of Money, Cambridge: Polity. 11
12 Jevons, W. S. (1876), Money and the mechanism of exchange, New York: Appleton. Keynes, J.M. (1930), A treatise on money, vol.1, London: Macmillan. Knapp, G. F. (1905), Staatliche Theorie des Geldes, 4.Aufl., München: Duncker & Humblot. Laum, B. (1924), Heiliges Geld. Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes, Tübingen: Mohr. Marx, K. (1962), Das Kapital, Bd.1, MEW 23, Berlin: Dietz. Marx, K. (1992), Ökonomische Manuskripte , MEGA II, Bd.4.2.1, Berlin: Dietz Menger, C. (1892), Geld, in: ders., Gesammelte Werke Bd.IV, Tübingen: Mohr, Peacock, M. (2013), Introducing money, London: Routledge. Schularick, M. (2012), Public debt and financial crisis in the 20th century, Freie Universität Berlin, School of business and economics, Discussion paper 2012/1. Schumpeter, J.A. (1954), History of economic analysis, New York: Oxford UP. Wray, L.R. (1990), Money and credit in a capitalist economy, Aldershot: Edward Elgar. < -adresse des Autors: heiner.ganssmann@gmail.com> 12
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