Gesetzgebungsverfahren II
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- Eleonora Stieber
- vor 6 Jahren
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1 1 Gesetzgebungsverfahren II Harte Zeiten für Lottokönige Aufgrund der angespannten Finanzsituation beschließt der Bundestag im Dezember 2007 ein Gesetz zur Änderung der Einkommenssteuer. Der Gesetzentwurf wurde von einem Abgeordneten Z der C-Partei in den Bundestag eingebracht. Er sieht vor, dass in Zukunft auch Gewinne des Einzelnen aus Lotterien und Glücksspielen steuerpflichtige Einkünfte sind. Diese Änderung soll bereits für den Veranlagungszeitraum 2006 gelten. Von der Idee sind die Abgeordneten so begeistert, dass das Gesetz nach der ersten Lesung beschlossen wird. Im Bundesrat wird dem Gesetz mit 36: 33 Stimmen zugestimmt. Das Gesetz wurde nach Gegenzeichnung des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. Die Landesregierung des Landes L ist empört über das Gesetz. Sie hält das Gesetz nicht nur für eine pseudo-legalisierte Räuberpistole sondern auch für verfassungswidrig. Das Vertrauen der Bürger dürfe man nicht derart missbrauchen. Die Landesregierung möchte vor dem BVerfG gegen das Gesetz vorgehen. Wie kann die Landesregierung gegen das Gesetz vor dem BVerfG vorgehen und wie sind die Erfolgsaussichten zu beurteilen? Bearbeitervermerk: 25 I 1 EStG: Die Einkommenssteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, dass der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. 36 EStG: Die Einkommenssteuer entsteht mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.
2 2 Lösungsskizze Fall Die Landesregierung von L könnte gegen das Gesetz vor dem BVerfG mit einer abstrakten Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG A. Zulässigkeit I. Antragsteller, Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG Hier: eine Landesregierung II. Antragsgegenstand, Art. 93 I Nr. 2 GG hier: 76 I Nr. 1 BVerfGG, ein formelles Bundesgesetz III. Klarstellungsinteresse, Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG Hier: Landesregierung hält Gesetz für verfassungswidrig, also auch für nichtig IV. Form und Frist Hinsichtlich der Form ist die Schriftform nach 23 I BVerfGG zu beachten. Es gelten keine Fristen. Zwischenergebnis: Der Antrag der Landesregierung ist zulässig
3 3 B. Begründetheit Der Antrag der Landesregierung von L ist zulässig, wenn das angegriffene Gesetz verfassungswidrig ist. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 1. Gesetzgebungskompetenz - grds. Länder gem. Art. 30, 70 GG - Ausnahmen nach Art. 71 ff. GG Hier: Einkommenssteuer, kein Kompetenztitel für den Bund in Art. 71 ff. GG - Möglicherweise Kompetenz aus Art. 105, 106 GG - Einkommenssteuer kein Zoll oder Finanzmonopol, Art. 105 I GG (-) - konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 II - Art. 106 III GG Bund und Ländern steht Einkommenssteuer gemeinsam zu. Somit konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 II i.v.m Art. 106 III 1 GG. 2. Gesetzgebungsverfahren a) Eineitungsverfahren, Art. 76 GG - Art. 76 I GG Problem Kann ein Abgeordneter schon die Mitte des Bundestages nach Art. 76 GG darstellen - z. T. wird vertreten, dass mit Mitte des Bundestages eine Mehrzahl von Abgeordneten gemeint ist - Dagegen wird vertreten: Wortlaut lässt Gegenteiliges zu. Originäres Recht des Abgeordneten aus Art. 38 I 2 GG Gesetzesvorschläge zu machen - Aber: 75 I lit. a), 76 I GO BT könnten verfassungsrechtliche Konkretisierung darstellen - grds.: Verstoß gegen GO BT führt nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit - Es sei denn: Vorschrift der GO BT besitzt verfassungsrelevanten Inhalt indem sie eine Vorschrift des GG wiederholt oder konkretisiert I GG konkretisiert das Gesetzesinitiativrecht, gestützt aus Art. 40 I 2 GG.
4 4 - Die Norm soll die Funktionsfähigkeit des Bundestages schützen und erfüllt daher ein verfassungsrelevanten Inhalt - Ein Verstoß gegen 76 I GO BT führt daher mittelbar zu einem Verfassungsverstoß Aber: Bundestag hat den von Z eingebrachten Gesetzesentwurf letztlich beschlossen, die Mehrheit hat sich somit den Vorschlag zu eigen gemacht. Der Mangel im Einleitungsverfahren ist folglich geheilt worden. b) Beschluss des Bundestages, Art. 77 I GG Zwar hat Bundestag Gesetzentwurf beschlossen, aber bereits nach einer Lesung - 78 I GO BT schreibt jedoch drei Lesungen vor - die Beratungen sollen sicherstellen, dass jeder Abgeordnete effektiv an dem Gesetzgebungsverfahren mitwirken kann - dies ist bei der Durchführung von nur einer Lesung ebenfalls gewährleistet Ergebnis: Somit führt ein Verstoß gegen 78 I GO BT nicht zur Verfassungswidrigkeit. Der Beschluss des Bundestages erging somit fehlerfrei. c) Beteiligung des Bundesrates - Bundesrat stimmte dem Gesetz zu - Daher Unterscheidung zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetz irrelevant Ergebnis: Der Bundesrat wurde ordnungsgemäß beteiligt. 3. Ausfertigung und Verkündigung - laut Sachverhalt wurde das Gesetz vom Bundeskanzler gem. Art. 58 S. 1 GG gegengezeichnet und vom Bundespräsidenten gem. Art. 82 I GG ausgefertigt und verkündet. Ergebnis: Das Gesetz ist formell verfassungsmäßig.
5 5 II. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes Hier: durch änderung der steuerpflichtigen Einkünfte bzgl. Der Veranlagungszeiträume 2006 und 2007 evtl. Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip in Ausprägung des Rückwirkungsverbots I. Besteuerung für 2006 als echte Rückwirkung Ein Gesetz mit echter Rückwirkung liegt vor, wenn ein abgeschlossener Tatbestand (Lebensvorgang) für die betroffenen Bürger nachträglich ungünstiger geregelt wird. - diese Gesetze sind grds. unzulässig - Ausnahmen zulässig, insb. wenn: damit zu rechnen war unklare und verworrene Gesetzeslage beseitigt wird eine nichtige Norm vorlag zwingende Gründe des Allgemeinwohls vorliegen hier: - Veranlagungszeitraum für neue Steuerschuld ist vor Erlass des Gesetzes beendet gewesen (siehe 25 I 1, 36 EStG ), daher echte Rückwirkung - Ausnahmegrund könnte angespannte Finanzlage sein - Aber: Dauerzustand und kein zwingender Grund des Allgemeinwohls Ergebnis: Die Änderung des EStG für den Veranlagungszeitraum 2006 ist eine unzulässige Rückwirkung und verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip und ist daher verfassungswidrig. II. Besteuerung für 2007 als unechte Rückwirkung Ein Gesetz mit unechter Rückwirkung liegt vor, wenn es in einem begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Tatbestand (Lebensvorgang) zum Nachteil der Betroffenen eingreift. - diese Gesetze sind grds. zulässig - ausnahmsweise unzulässig, wenn: willkürliches staatliches Handeln ersichtlich Vertrauensschutz des Bürgers größer als öffentliches Interesse (Abwägung) - Hier: - Veranlagungszeitraum (2007) für neue Steuerschuld ist nach Erlass des Gesetzes (Dezember 2007) beendet (siehe 25 I 1, 36 EStG ), daher echte Rückwirkung
6 6 evtl. ausnahmsweise unzulässig - willkürliches staatliches Handeln ist nicht ersichtlich - Abwägung zwischen Öffentlichem Interesse - gespannte Finanzlage - ESt knüpft an wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an, die ist bei Lottogewinnern erhöht - Hoffnungen und Erwartungen im Veranlagungszeitraum steuerlich ungünstig erfasst zu werden ist kein schützenswertes Vertauen Vertrauensschutz des Bürgers - Dezember 2007 war kurz vor Ende des Veranlagungszeitraums - Lottogewinner haben nicht damit gerechnet Ergebnis: Die unechte Rückwirkung ist damit zulässig und damit materiell verfassungsmäßig. III. Gesamtergebnis Soweit das Gesetz den Veranlagungszeitraum 2007 betrifft ist es verfassungsgemäß und soweit das Gesetz den Veranlagungszeitraum 2006 betrifft ist es verfassungswidrig und damit nichtig. Dafür, dass eine isolierte Geltung des Veranlagungszeitraums 2007 nicht auch im Sinne des Gesetzgebers wäre ist nichts ersichtlich. Aus der Teilnichtigkeit folgt daher nicht die Gesamtnichtigkeit. Der Antrag der Landesregierung ist zulässig und teilweise begründet nd hat teilweise Aussicht auf Erfolg.
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