Schwierige Situation in Ungarn: Flüchtlinge protestieren auf einem Bahnhof in Bicske dagegen, dass sie dort festgehalten werden. (Balazs Mohai, dpa)

Transkript

1 Bericht Weser Kurier vom Stationen der Flucht Mappes-Niediek Seit Jahresbeginn sind mehr als Flüchtlinge in Europa angekommen. Nachrichten von Tausenden Toten im Mittelmeer, extrem hohen Schlepperpreisen und systematischer Misshandlung in Libyen haben die Passage über das Mittelmeer nach Italien oder Malta zunehmend unattraktiv gemacht. Immer mehr Menschen flüchten stattdessen über die sogenannte Balkanroute. Syrer stellen unter ihnen die große Mehrheit, gefolgt von Afghanen und Irakern. Seit die Türkei voriges Jahr für mehrere afrikanische Länder die Visumpflicht aufgehoben hat, sind auch einige Afrikaner darunter. Die Reise nach Deutschland und von dort weiter nach Norbert Nord- und Westeuropa führt über mindestens sechs Staaten. Die meisten von ihnen winken Flüchtlinge inzwischen einfach durch, andere, wie Bulgarien und Ungarn, setzen auf Abschreckung. Weil es so viele Grenzen sind und die Behörden den Landesfremden so unberechenbar vorkommen, setzen viele, die es sich leisten können, auf teure All-in -Schlepper, die gleich von Griechenland oder der Türkei bis Deutschland durchfahren oft unter lebensbedrohlichen Umständen. Schwierige Situation in Ungarn: Flüchtlinge protestieren auf einem Bahnhof in Bicske dagegen, dass sie dort festgehalten werden. (Balazs Mohai, dpa) Türkei Mit ihren direkten Grenzen zu Syrien und dem Irak ist die Türkei eines der Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Allein mehr als 1,9 Millionen Syrer sind hier registriert; sie leben in einem der 22 Lager im Land oder unter beklagenswerten Umständen in improvisierten Unterkünften und einfach auf der Straße. Hinzu kommen Hunderttausende aus dem Irak, dem Iran und Afghanistan. Von den Mitteln, die das Uno-Flüchtlingshilfswerk für die überlaufenen Erst-Asylländer Libanon, Jordanien und Türkei bereitstellen wollte, haben die reichen Mitgliedsstaaten bisher nur ein Drittel wirklich gezahlt. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge hat die Chance, sich durch Schwarzarbeit das Geld für eine Flucht nach Europa zusammenzusparen. Wer es schafft, probiert es über das Mittelmeer: Die griechischen Inseln Lesbos, Chios oder Kos liegen nahe an der türkischen Küste; nach Samos sind es vom Festland

2 an der schmalsten Stelle nur 1,7 Kilometer. Für die Bootspassage nach Lesbos, zehn Kilometer vor der türkischen Küste, verlangen Schlepper bis zu 1200 Dollar. Viele Syrer fliehen in die nahegelegene Türkei. (Str, picture alliance / dpa) Griechenland Obwohl es zu den Unterzeichnerstaaten des Dublin-Abkommens gehört, werden nach Griechenland seit Monaten keine Flüchtlinge zurückgeschickt mit der Aufnahme aller, die aus der Türkei kommen, wäre das Land bei Weitem überfordert. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass es in diesem Jahr schon waren, 5000 allein im Juli. Mehr als 3000 Menschen warten zurzeit auf der Insel Lesbos, um sich registrieren zu lassen. Die Behörden dort sind bemüht, aber es mangelt an Unterkünften und vor allem an Toiletten. Von den Inseln geht es auf Staatskosten mit der Fähre weiter nach Athen oder Saloniki. Syrer haben die Erlaubnis, sich mehrere Monate im Land aufzuhalten. Wer in Athen oder Saloniki gelandet ist, kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter nach Mazedonien reisen; von Saloniki sind es nur 80 Kilometer, der Preis für die Busfahrkarte liegt bei 10 bis 20 Euro. Polizei und Ausländerbehörden des Krisenstaates sind überfordert, unternehmen aber nichts, um Flüchtlinge abzuschrecken oder zu schikanieren. Die Kontrollen in Österreich wurden verstärkt. (Peter Nyikos, dpa) Bulgarien Mit dem Bau eines Grenzzauns, der Massierung von Polizei und der Installation von Sensoren und Nachtsichtgeräten hat Bulgarien den Flüchtlingsstrom erheblich reduziert: Statt wie im Jahr 2013 kamen schon im Vorjahr nur noch 4000 Flüchtlinge durch das Land. Dabei legt die Regierung Wert darauf, die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention und des Dublin- Abkommens formal zu erfüllen. Der Weg durch das Land aus der Türkei und weiter nach Rumänien oder Serbien ist gefährlich. Illegaler Grenzübertritt ist ein Straftatbestand. Wer im Land um Asyl ersucht, wird in schlecht geführten Lagern weitgehend sich selbst überlassen.

3 Obwohl es nach dem Dublin-Abkommen möglich wäre, werden deshalb kaum Flüchtlinge aus Deutschland dorthin zurückgeschickt. Berichte über Misshandlungen durch die Grenzpolizei wurden nie entkräftet. Die Stimmung in der Bevölkerung ist feindselig. Mit einem Grenzzaun will sich Ungarn abschotten (Tamas Soki, dpa) Mazedonien Nach einem gescheiterten Versuch, den Flüchtlingsstrom am Grenzübergang zu Griechenland mit Gewalt aufzuhalten, lässt Mazedonien Flüchtlinge seit zwei Wochen wieder ungehindert passieren. In diesen Tagen kommen täglich rund 3000 Menschen dort an. Zwischen 50 und 60 Prozent derer, die sich registrieren lassen, sind Syrer, 25 Prozent Afghanen und etwa 10 Prozent Iraker; viele reisen aber einfach unregistriert durch. Züge und Busse bringen die Ankommenden weiter bis Kumanovo nahe der serbischen Grenze. Die Passage durch das kleine Balkanland dauert mit dem Zug nur drei Stunden. Wer sich registrieren lässt, erklärt damit seine Absicht, Asyl zu beantragen und hat dann die Wahl, entweder in eines der drei Aufnahmelager im Land zu reisen oder aber es wieder zu verlassen. Fast alle wählen die letztere Möglichkeit. Anders als Griechenland gehört Mazedonien nicht zum Schengen-Raum und muss Flüchtlingen deshalb auch nicht die Fingerabdrücke abnehmen und die Daten nicht ins Informationssystem Eurodac einspeisen. In Bussen ging es am Sonnabend von Budapest aus weiter. (BORIS ROESSLER, dpa) Serbien Wie der Nachbar Mazedonien ist Serbien reines Transitland; von den geschätzten Menschen, die seit Beginn der Flüchtlingswelle durch Serbien gezogen sind, haben nur 500 hier Asyl beantragt. Ankommende aus Mazedonien werden vom UNHCR per Bus zur Registrierung in die Kleinstadt Presevo gebracht. Von dort fahren Busse kostenlos nach Belgrad. Die Registrierung ist ein erster Flaschenhals auf der Route über den Balkan: Etwa 1200 Menschen

4 erhalten dort ihre Durchfahrterlaubnis, medizinische Hilfe und Proviant. Wer das nicht braucht, kann weiter ins nahe Bujanovac ziehen und dort in einen Linienbus steigen. In Belgrad übernachten täglich etwa 600 Menschen in Parks nahe dem Autobusbahnhof und warten auf eine Chance zur Weiterreise an die ungarische Grenze per Bus oder Kleinbus und grundsätzlich auf eigene Faust. Behörden und Bevölkerung verhalten sich freundlich und solidarisch, bringen Essen, Kleidung und Windeln. Diese Familie ist kurz vor der Grenze zu Mazedonien. (Vassil Donev, dpa) Österreich Seit Ungarn seine Flüchtlinge in Züge nach Österreich einsteigen ließ, kampieren Menschen zu Hunderten auf dem Wiener Westbahnhof und warten auf Züge nach Deutschland. Die Behörden machen, anders als an der Brenner-Grenze zu Italien, keine Anstalten mehr, sie aufzuhalten. Germany, Almaya!, rufen Bahnbeamte und weisen den Weg zum richtigen Gleis. Einen endgültigen Umgang mit dem Flüchtlingsstrom hat das Land noch nicht gefunden. Die rechte FPÖ fordert Grenzkontrollen und Zäune, die Grünen setzen auf Aufnahme. Die Regierung schwankt. Das große Erstaufnahmelager in Traiskirchen bei Wien ist hoffnungslos überfüllt. Nach einem Amnesty-Bericht über unhaltbare Zustände stöhnt die Lagerleitung über den Ansturm von hilfsbereiten Bürgern, die Spenden da lassen. Seit dem Fund von 71 Toten fahndet die Polizei vor allem an der ungarischen Grenze verschärft nach Schleppern und setzt sich damit dem Verdacht aus, künftige Grenzkontrollen gegen Flüchtlinge vorzubereiten. In Belgrad campieren viele Flüchtlinge im Park. (KOCA SULEJMANOVIC, dpa) Ungarn Ungarn tut alles, um Flüchtlinge abzuschrecken. Die Nachrichten vom Bau des Grenzzauns haben den Flüchtlingsstrom an der serbischen Grenze vorerst allerdings kräftig anschwellen

5 lassen: Allein in der letzten Augustwoche kamen Menschen in Ungarn an. Weil der Zaun zwei Meter vor der Grenze steht, befindet sich jeder, der dicht an ihn herantritt, schon auf ungarischem Territorium und muss im Prinzip über einen Einlasspunkt ins Land geleitet werden. Nach Erkenntnissen des Uno-Flüchtlingshilfswerks schieben die Behörden aber einige Flüchtlinge nach Serbien zurück obwohl sie das nach der Genfer Konvention nicht dürfen. Das Helsinki-Komitee schätzt, dass 90 Prozent der Ankommenden weiter nach Österreich reisen. Aber die Behörden handeln widersprüchlich und weisen Durchreisewillige auch aus Zügen, um sie in Lagern zu internieren. Noch in diesem Monat sollen alle aus Serbien kommenden Flüchtlinge wegen illegalen Grenzübertritts bis zu drei Jahren Haft bekommen können ein weiterer klarer Bruch der Genfer Konvention. Ein völlig überfülltes Schlauchboot vor Kos. (Yannis Kolesidis, dpa) Übrige Länder Spätestens wenn bis Jahresende der Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien endgültig fertig ist und Budapest parallel dazu seine Abschreckungspolitik weiter verschärft, so die Befürchtung, werden die Flüchtlinge über andere Länder ausweichen. Am nächsten liegen Kroatien und Rumänien. Bisher aber sind dort keine Flüchtlinge aufgetaucht. Solange der Zaun noch überwindbar ist, scheuen die Flüchtlinge den Umweg, denn er bedeutet eine teure und gefährliche Grenze mehr. Beide Länder sind nicht Teil des Schengen-Raums. In Alarmbereitschaft sind die Behörden auch in Albanien: Die Grenze zu Griechenland ist extrem durchlässig, und von hier führen Schmuggelwege sowohl über die Adria als auch über Montenegro oder Bosnien nach Kroatien. Überall in der Region sind heimliche Grenzpassagen üblich. Viel Widerstand ist nicht zu erwarten. Die Kontrollen sind lasch, die Polizei ist schwach motiviert und obendrein oft bestechlich.