Kapitel 1. Holomorphe Funktionen
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- Emil Schmidt
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1 Kapitel 1 Holomorphe Funktionen Zur Erinnerung: I IR sei ein offenes Intervall, und sei z 0 I. Eine Funktion f : I IR heißt differenzierbar in z 0, falls der Limes fz fz 0 lim =: f z 0 z z 0 z z 0 existiert. Dazu ist äquivalent: Es existiert eine in z 0 stetige Funktion auf I mit fz = fz 0 + z z 0 z, z I. Es gilt z 0 = f z 0. Auf IR 2 sieht dies analog aus: U IR 2 sei offen, f : U IR 2 heißt reell differenzierbar in z 0, falls eine lineare Abbildung A : IR 2 IR 2 existiert mit fz = fz 0 + Az z 0 + o z z 0 z z 0. Schreiben wir z = x, y, f = f 1, f 2, hat A die folgende Matrixdarstellung Jacobimatrix: 1 x A = z 0 1 z y 0 2 z x 0 2 z y 0 Eine äquivalente Formulierung der totalen reellen Differenzierbarkeit von f ist: Es existiert eine in z 0 stetige Abbildung A : U Mat2, IR, z A 1 z B 1 z A 2 z B 2 z, so dass für alle z U gilt: fz = fz 0 + Azz z 0. Es gilt Az 0 = Dfz 0. Unser Ziel ist, herauszuarbeiten, wie der Differentialquotient, der ja auch für komplexe Zahlen sinnvoll ist, mit der Jacobimatrix in Einklang gebracht werden kann. 10
2 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 11 Wir schreiben dazu zuerst f := g + ih mit reellwertigen Funktionen g und h, ferner z = x + iy, z 0 = x 0 + iy 0. Dann bedeutet reelle Differenzierbarkeit gz gz 0 A 1 z B 1 z x x 0 fz = = + hz hz 0 A 2 z B 2 z y y 0 gz 0 A 1 zx x 0 B 1 zy y 0 = + hz 0 A 2 zx x 0 B 2 zy y 0 gz 0 A 1 z B 1 z = + x x 0 +y y 0 hz 0 A 2 z B 2 z }{{}}{{} =: 1 z =: 2 z Die Funktionen 1, 2 : U lc sind in z 0 stetig mit 1 z 0 = x z 0, 2 z 0 = y z 0. Definition 1.1 U lc sei offen, f : U lc, z 0 U. f heißt komplex differenzierbar in z 0, falls der Grenzwert 1.1 f z 0 := lim z z0 fz fz 0 z z 0 existiert. f : U lc wird komplex differenzierbar genannt, falls f in allen Punkten z 0 D komplex differenzierbar ist. f heißt holomorph in z 0 U, falls f in einer Umgebung um z 0 komplex differenzierbar ist. Äquivalent zu 1.1 ist: es existiert eine in z 0 stetige Funktion : U lc mit fz = fz 0 + zz z 0. Dazu setzt man als z gerade den Differenzenquotienten in 1.1 Bemerkung: Sei z lc. lc w z w lc Multiplikation in lc ist lc linear, also auch IR linear. Folglich gilt: Falls f = g + ih in z 0 komplex differenzierbar ist, ist f auch reell differenzierbar man wähle Az = z, und es gilt g x Az 0 = z g 0 z y 0 h z h x 0 z y 0
3 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 12 mit folgenden Gleichungen 1.2 g x z 0 = h y z 0, h x z 0 = g y z 0 Cauchy Riemannsche Differentialgleichungen oder in Kurzschreibweise g x = h y, h x = g y Die Umkehrung gilt auch: Sei f in z 0 U reell differenzierbar, und gelte fz = fz 0 + Azz z 0, A Mat2, IR, z Az in z 0 stetig, und gelten die Cauchy Riemannschen Differentialgleichungen in z 0. Dann hat Az 0 die Gestalt einer komplexen Zahl vermöge des Isomorphismus Φ : x, y x y y x. Die Cauchy Riemannschen Differentialgleichungen bedeuten also nichts Anderes als dass die reelle Jacobimatrix von f die Form einer Drehstreckung hat und damit mit einer komplexen Zahl identifiziert werden kann. Satz 1.2 f : U lc ist genau dann reell differenzierbar in z 0 U, wenn es in z 0 stetige Funktionen A 1, A 2 : U lc gibt mit fz = fz 0 + A 1 zz z 0 + A 2 zz z 0 Beweis: Reelle Differenzierbarkeit von f in z 0 ist äquivalent zu der Aussage 1.3 fz = fz 0 + x x 0 1 z + y y 0 2 z mit in z 0 stetigen Funktionen 1, 2 : U lc. Nun gilt x x 0 = 1 2 z z 0 + z z 0, y y 0 = 1 2i z z 0 z + z 0. Setzen wir dies in Gleichung 1.3 ein, erhalten wir fz = fz 0 + z z z + i 2 z +z z z i 2 z. } 2 {{}} 2 {{} =:A 1 z =:A 2 z Umgekehrt kann man aus zwei Funktionen A 1, A 2, die diese Gleichung erfüllen, wiederum zwei Funktionen B 1, B 2 : U lc gewinnen, so dass fz = fz 0 + x x 0 B 1 z + y y 0 B 2 z. Diese Rechnung bleibt dem Leser zur Übung überlassen.
4 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 13 Die Aussage des Satzes legt es nahe, z und z als unabhängige Variablen zu betrachten. Man definiert daher die sogenannten Wirtingerschen Ableitungen z 0 := 1 2 f x if y, z 0 := 1 2 f x + if y, Diese Definition wird klarer, wenn man sich folgende Rechnung vor Augen führt: Wir schreiben f = g + ih. Dann ist f = g x h x g y h y. Falls f komplex differenzierbar ist, gelten die Cauchy Riemannschen Differentialgleichungen, und f kann mit der komplexen Zahl g x ig y identifiziert werden. Gleichzeitig gilt f x = g x + ih x = g x ig y, f y = g y + ih y = g y + ig x, und für / und / folgt: 2 2 = f x if y = g x ig y ig y + ig x = 2g x 2ig y = 2f = f x + if y = g x ig y + ig y + ig x = 0 Wir haben damit die Aussage, dass, falls f komplex differenzierbar in z 0 ist, gilt: f z 0 = z 0, = 0. Die Bedeutung der zweiten Gleichung wird vor allem durch den folgenden Satz deutlich Satz 1.3 Sei f : U lc, und sei z 0 U. Dann ist f in z 0 komplex differenzierbar genau dann, wenn f in z 0 reell differenzierbar und z 0 = 0 ist. 1 Nach Wilhelm Wirtinger Die Operatoren wurden von Henri Poincaré eingeführt, die Theorie um sie wurde jedoch von Wirtinger ausgebaut, weshalb sich vor allem im deutschsprachigen Raum der Begriff Wirtingerkalkül eingebürgert hat.
5 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 14 Beweis: Die Richtung = wurde bereits in obiger Rechnung gezeigt. = : Sei f reell differenzierbar und gelte z 0 = 0. Dann folgt: f x + if y = 0 g x + ih x + ig y + ih y = 0 g x h y + ih x + g y = 0 = g x = h y h x = g y. Beispiel 1.4 Beispiele und Regeln für komplexe Differentiation: 1. fz = z ist nirgends komplex differenzierbar, denn Df = erfüllt nicht die Cauchy Riemannschen Differentialgleichungen. 2. f f ist lc-linear. 3. Es gelten Produkt-, Quotienten- und Kettenregel. 4. Sei fz = z n. Dann ist f z = nz n Sei fz = a nz z 0 n mit Konvergenzradius R > 0. Behauptung: f ist auf der offenen Kreisscheibe B R z 0 holomorph. 1. Beweis: a Man zeigt: f ist in z 0 differenzierbar; dies ist offensichtlich. b Man zeigt durch Umentwicklung: f ist in z 1 differenzierbar mit z 1 z 0 < R. 2. Beweis: OBdA. nehmen wir an, der Entwicklungspunkt sei z 0 = 0 und damit fz = n a nz n. Sei b lc mit b < R. Dann ist fz fb =! a n z n b n = z b z mit : B R 0 lc in b stetig z n b n = z b a n 1 z b. Was wir also zeigen müssen, ist die Stetigkeit dieser Reihe in b. n=1
6 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 15 Nebenrechnung: z n b n z b n 1 = z n 1 k b k k=1 ist ein Polynom vom Grad n-1. Sei ϕ n z := { z n b n, z b z b nb n 1, z = b Sei nun r < R, und gelte b r, z r. Dann ist ϕ n z n 1 k=0 z }{{} r n 1 k b Wir haben also die Abschätzung a n ϕ n z = n=1 }{{} r k nr n 1 a n+1 ϕ n+1 z a n+1 n + 1r n. Es bleibt zu zeigen: die Potenzreihe n + 1a n+1z n hat auch den Konvergenzradius R. Sei R der Konvergenzradius dieser Reihe, also 1 R = lim sup n Es bleibt zu zeigen: R = R. n n + 1 an+1 = lim sup n n + 1 n }{{} =1 lim sup n α R sei der Konvergenzradius von a n+1z n. Dann ist a n z n = a 0 + z a n+1 z n R R. n an+1. β Sei z < R, z 0. Dann ist nach Voraussetzung a nz n <. Es folgt a n+1 z n 1 z a n z n 1 z a 0. Lemma 1.5 Regeln für die Wirtingerschen Ableitungen 1. sind lc lineare Operatoren, für die die Leibnizsche Regel gilt. und
7 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN = = 1, 5. = 0, falls f holomorph, 2 f = 1 4 = 0, 2 f x + 2 f 2 y 2 } {{ } =: f 6. Sei w = fz. Dann gilt = 1. = 0, falls f holomorph. g g f = w + g w, g g f = w + g w. 7. Sei U lc offen und seien ϕ : [a, b] U und f = g + ih : U lc reell differenzierbar. Dann gilt d dt f ϕt 0 = Dfϕt 0 ϕ t 0 = = In komplexer Schreibweise ist dies g x h x g x ϕ 1t 0 + g y ϕ 2t 0 h x ϕ 1t 0 + h y ϕ 2t 0 = f x ϕ 1t 0 + f y ϕ 2t 0. g y h y ϕ 1t 0 ϕ 2t 0... = 1 2 fx if y ϕ 1 t 0 + iϕ = ϕ t 0 + ϕ t 0. fx + if y ϕ 1 t 0 + iϕ 2 Anwendung von Eigenschaft 7: γ 1, γ 2 : [0, ε] lc seien stetig mit γ j 0 = z 0 und γ j0 0.
8 KAPITEL 1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 17 γ γ γ 2 γ 1 z 0 Wir haben γ 1, γ 2 = arg γ 20 γ 10. Sei f : U lc stetig differenzierbar und injektiv. Wir werden später zeigen, dass dann automatisch f z 0 für z U folgt. Wir betrachten t f γ j t. Nach Eigenschaft 7 ist f γ j 0 = f z z 0 γ j0 + f z z 0 γ j 0 Falls f sogar holomorph ist, gilt f z z 0 = 0 und f z z 0 = f z 0 0. Damit ist f γ 1, f γ 2 = arg f z 0 γ 20 f z 0 γ 10 = argγ 20 γ 10 = γ 1, γ 2, mit anderen Worten: f ist winkeltreu. Es gilt auch die Umkehrung: Ist f winkeltreu und reell differenzierbar, so ist f holomorph. Dazu betrachten wir die Wege γ 1 : t z 0 + t, γ 2 : t z 0 + it. Aus der Winkeltreue von f folgt f γ 1, f γ 2 = π und hieraus 2 Es folgt weiter also f γ 2 0 = if γ 1 0. if z z 0 f z z 0 = if z z 0 + f z z 0, f z z 0 = 0 und somit die Holomorphie von f in z 0.
Bemerkung Als Folge von Satz 6.2 kann man jede ganze Funktion schreiben als Potenzreihe. α m z m. f(z) = m=0. 2πi. re it t [0,2π] 2πi
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