Kapitel 5: Entscheidung unter Unsicherheit
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- Manuela Auttenberg
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1 Kapitel 5: Entscheidung unter Unsicherheit Hauptidee: Die Konsequenzen einer Entscheidung sind oft unsicher. Wenn jeder möglichen Konsequenz eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird, dann kann eine rationale Entscheidung getroffen werden.
2 5.1 Motivation Entscheidungen haben oft unsichere Konsequenzen: Gebrauchtwagenkauf: welche Reparaturen werden nötig? Geldanlage: welche Rendite wird erzielt? Wohnung wählen: wie sind die Nachbarn, Wohngegend, Vermieter? Studienplatz wählen: wie sind die Kommilitonen, die Stadt, mein Interesse fürs Studienfach? Verschiedenste Unternehmensentscheidungen 2
3 Wahrscheinlichkeitseinschätzungen Annahme 1: Der Entscheider ordnet jeder möglichen Konsequenz jeder Alternative eine Wahrscheinlichkeit zu Ohne diese Annahme wäre es schwierig für einen Entscheider, vollständige Präferenzen zu haben Reale Entscheider denken meist nicht bewusst in Wahrscheinlichkeiten, sondern in relativen Häufigkeiten, was aber auf das gleiche herauskommt 3
4 Konsequenzen Annahme 2: Der Entscheider ordnet jeder möglichen Konsequenz jeder Alternative eine Zahl zu Interpretation: Die Zahl ist eine 1-dimensionale Bewertung, die die Konsequenzen nach ihrer Wünschbarkeit sortiert Die Zahl kann (muss aber nicht) Geld sein 4
5 Zufallsvariable Eine Zufallsvariable ist eine Größe, deren Wert vom Zufall abhängig ist Beispiel: Zufallsvariable X = Anzahl der Punkte bei dem Wurf eines Würfels Aus Annahme 1 und Annahme 2 folgt, dass jede Alternative als Zufallsvariable modelliert werden kann Die Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen ist also eine Wahl zwischen Zufallsvariablen 5
6 Erwartungswert Der Erwartungswert einer Zufallsvariablen beschreibt die Zahl, die die Zufallsvariable im Mittel annimmt Der Erwartungswert ist also der mit den Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtete Durchschnitt aller möglichen Ergebniswerte Bei einer diskreten Zufallsvariable X ist der Erwartungswert E X = pppp X = X j j Beispiel: Die erwartete Anzahl der Punkte bei dem Wurf eines Würfels ist E X = =3,5 6 X j
7 Übungsaufgabe K5.1 Wir würfeln mit einem gezinkten Würfel Die Punktzahlen 1 bis 5 sind alle gleich wahrscheinlich Die Punktezahl 6 ist doppelt so wahrscheinlich wie die anderen Punktzahlen Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Punktzahlen Rechnen Sie die erwartete Anzahl der Punkte aus 7
8 Beispiel: Wahl zwischen zwei Zufallsvariablen Wählen Sie zwischen folgenden Zufallsvariablen: Sie bekommen 100 sicher Mit Wahrscheinlichkeit 0,5 erhalten Sie 0, mit Wahrscheinlichkeit 0,5 200 Beide Zufallsvariablen haben den gleichen Erwartungswert Viele Menschen bevorzugen aber die erste Zufallsvariable Anmerkung: die erste Zufallsvariable ist degeneriert ( nicht wirklich zufällig ), die zweite ist nicht-degeneriert ( wirklich zufällig ) 8
9 Beispiel: St. Petersburg Paradox Eine faire Münze wird solange geworfen, bis zum ersten Mal Zahl erscheint Falls Zahl zum ersten Mal beim n-ten Münzwurf auftritt, wird ein Betrag von 2 n ausgezahlt Beispiele: kommt es nur zu einem Wurf bekommen Sie 2, kommt es zu zwei Würfen 4, bei drei Würfen 8... Wie viel würden Sie bezahlen, um an diesem Spiel teilzunehmen? Genauso viel wie die erwartete Auszahlung? 9
10 Eher nicht! Denn diese ist E X = = = 10
11 Implikation Die Ergebnisse der beiden Beispiele deuten darauf hin, dass man bei der Nutzenbewertung einer Alternative/ Zufallsvariablen nicht nur dessen Erwartungswert, sondern auch das damit verbundene Risiko berücksichtigen muss! 11
12 5.2 Erwartungsnutzentheorie Macht man einige zusätzliche Annahmen an die Präferenzen (diese werden wir nicht behandeln), dann lassen sich die Präferenzen durch eine Nutzenfunktion U repräsentieren, welche die Erwartungsnutzenform hat Formal: Jeder möglichen Konsequenz X j wird ein Bernoulli- Nutzen u(x j ) zugeordnet, wobei u strikt wachsend ist Der von-neumann-morgenstern-nutzen einer beliebigen Alternative/Zufallsvariablen X ist dann U X = E u X D.h. der Nutzen einer Zufallsvariablen gleicht dem Erwartungswert der Nutzen der einzelnen Konsequenzen 12
13 Beispiel Wir betrachten wieder das St.-Petersburg Spiel und nehmen an, dass u X j = ln (X j ) ist Dann ist U X = E u X Dies kann man umformen zu Da n=1 n 2 n = 1 2 n=1 n ln 2 2n n=1 n ln 2n = 2 ist (siehe Formelsammlung) erhalten wir U X = E u X = 2 ln 2 1,39 13
14 Übungsaufgabe K5.2 Eine Entscheiderin kann zwischen zwei Projekten wählen Projekt A erbringt eine Auszahlung von 0 mit Wahrscheinlichkeit ¼, 1 mit Wkt. ½ und 2 mit Wkt. ¼ Projekt B erbringt eine Auszahlung von 0 mit Wahrscheinlichkeit ½ und 2 mit Wkt. ½ Der Bernoulli Nutzen der Entscheiderin ist u X j = X j Welches Projekt sollte die Entscheiderin wählen? 14
15 Anmerkung Transformation Eine Transformation einer Bernoulli- Nutzenfunktion, h(u ), verändert die Präferenzen über die Zufallsvariablen es sei denn, die Transformation ist positiv und affin: h u A > 0 und B = AA + B, mit Zahlen Daraus folgt, dass Erwartungsnutzen kein ordinales, sondern ein kardinales Konzept ist 15
16 5.3 Einstellung gegenüber Risiko Ein Entscheider wird risikoavers genannt, wenn E u X < u(e[x]) für alle nichtdegenerierten Zufallsvariablen X gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst schlechter als den Erwartungswert der Zufallsvariablen Der Entscheider würde das Risiko also gerne ausschalten 16
17 Risikoaversion und Konkavität Wir zeigen nun, dass Risikoaversion genau dann erfüllt ist wenn u konkav ist Wir betrachten eine Zufallsvariable, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit 10 oder 20 ist (Beispiel: wir werfen eine Münze, die Auszahlung bei Kopf ist 10, bei Zahl 20 ) Da wir positiv affine Transformationen durchführen können, ist es ohne Einschränkung der Allgemeinheit anzunehmen, dass u 10 = 0 und u 20 = 1 ist 17
18 Der erwartete Nutzen ist E u X = 0, ,5 1 = 0,5 Der Erwartungswert ist E X = 0, ,5 20 = 15 Im folgenden Diagramm sehen wir, dass bei einer konkaven Nutzenfunktion u der Nutzen des Erwartungswertes u E X den Erwartungsnutzen E[u X ] übersteigt 18
19 u u 20 = 1 u E X = u(15) E u X = 0,5 u 10 = X 19
20 Risikoneutralität Ein Entscheider wird risikoneutral genannt, wenn E u X = u(e X ) für alle Zufallsvariablen X gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst exakt genauso gut wie den Erwartungswert der Zufallsvariablen 20
21 Risikoaneutralität ist genau dann erfüllt, wenn u eine lineare Funktion mit positiver Steigung ist u u 20 = 1 u E X = u(15) = E u X = 0,5 u 10 = X 21
22 Risikofreude Ein Entscheider wird risikofreudig genannt, wenn E u X > u(e[x]) für alle nichtdegenerierten Zufallsvariablen X gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst besser als den Erwartungswert der Zufallsvariablen 22
23 Risikofreude ist genau dann erfüllt, wenn u konvex ist u u 20 = 1 E u X = 0,5 E X = u(15) u 10 = X 23
24 Grenznutzen Der Grenznutzen des Geldes ist der Nutzenzuwachs den der Besitz einer zusätzlichen Einheit Geld verursacht Formal: Grenznutzen des Geldes an der Stelle X ist u (X) 24
25 Bei einer konkaven Nutzenfunktion (Person risikoavers) ist u < 0 d.h. der Grenznutzen ist fallend Dies ist häufig sehr plausibel Beispiel: Nutzenzuwachs durch die 1. Million vs. Nutzenzuwachs durch die Million Bei einer linearen Nutzenfunktion (Person risikoneutral) ist u = 0 d.h. der Grenznutzen ist konstant Bei einer konvexen Nutzenfunktion (Person risikofreudig) ist u > 0 d.h. der Grenznutzen ist steigend 25
26 Übungsaufgabe K5.3 Lisa besitzt ein Fahrrad im Wert von 500 Ihr Bernoulli Nutzen ist u = Y + F, wobei Y = 300 ihr sonstiges Vermögen darstellt und F den Wert ihres Fahrrades Das Fahrrad wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 9% gestohlen Eine Versicherungspolice kostet 50 Sollte Lisa eine Versicherung abschließen? Was sollte sie machen wenn Y = 1000 ist? Interpretieren Sie die Ergebnisse 26
27 Übungsaufgabe K5.4 Max hat 1000, welche er anlegen will Entweder in Festgeld (dieses bringt einen Zins von 10%) oder in einen Aktienfond (dieser bringt mit gleicher Wahrscheinlichkeit einen Verlust von 10% oder einen Gewinn von 40%) Wieviel sollte er in welche Anlageform investieren, wenn sein Bernoulli Nutzen u X j = ll X j ist? Wie ändert sich seine Entscheidung, wenn der Aktienfond mit gleicher Wahrscheinlichkeit einen Verlust von 10% oder einen Gewinn von 30% erbringt? 27
28 Risikoprämie Die Zahlungsbereitschaft eines Entscheiders für die Vermeidung von Unsicherheit heißt Risikoprämie Formal: Die Risikoprämie für die Zufallsvariable X ist der Betrag R, so dass E u X = u(e X R) 28
29 Risikoprämie und Risikoeinstellung Man kann zeigen, dass die Risikoprämie bei einem... risikoaversen Entscheider positiv ist... risikoneutralen Entscheider Null ist... risikofreudig Entscheider negativ ist 29
30 Grafische Illustration u u 20 = 1 E X = u(15) E u x = 0,5 R u 10 = X 30
31 Übungsaufgabe K5.5 Eine Entscheiderin hat einen Bernoulli Nutzen von u X j = X j Ihr Projekt bringt eine Auszahlung von 0 mit Wahrscheinlichkeit 1 2 und 2 mit Wkt. 1 2 Wie viel ist sie maximal bereit zu bezahlen, um statt des Projekts die erwartete Auszahlung des Projekts zu bekommen? 31
32 5.4 Risikoabbau Es gibt verschiedene Methoden mit deren Hilfe Risiken abgebaut werden können: Diversifikation (Risikoreduzierung durch Kombination nicht perfekt positiv korrelierter Risiken) Beispiel: Sie können zwei Läden eröffnen. Beide (a) in getrennten Märkten oder (b) in einem Markt. Der Gewinn eines Ladens ist 1, wenn der Markt boomt und 0 wenn nicht. Beides ist gleich wahrscheinlich und die Entwicklung beider Märkte ist unkorreliert. Daraus folgt, dass bei Läden in getrennten Märkten der Gesamtgewinn 0 ist mit Wkt. 1/4, 1 ist mit Wkt. 1/2 und 2 ist mit Wkt. 1/4. Wenn beide Läden in einem Markt sind ist der Gesamtgewinn 0 mit Wkt. 1/2 und 2 mit Wkt. 1/2. Beide Optionen liefern den gleichen erwarteten Gesamtgewinn; Option (b) ist aber riskanter. Vgl. Auszahlungen bei ÜA K5.2! 32
33 Versicherung (vgl. ÜA K5.3) Beschaffung weiterer Informationen (z.b. Investition in Marktforschung, um richtige Kapazität einer Fabrik zu bestimmen) 33
34 Zusammenfassung I Erwartungsnutzenmaximierung: Nutzen jeder Alternative/Zufallsvariable gleicht dem Erwartungswert der Nutzen der einzelnen Konsequenzen Formal: U X = E u X Risikoaversion: E u X < u(e[x]) für alle X u konkav Risikoneutralität: E u X = u(e[x]) für alle X u linear Risikofreude: E u X > u(e[x]) für alle X u konvex 34
35 Zusammenfassung II Risikoprämie: Zahlungsbereitschaft eines Entscheiders für die Vermeidung von Unsicherheit Formal: Risikoprämie R löst E u X = u E X R R > 0 Risikoaversion R = 0 Risikoneutralität R < 0 Risikofreude 35
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