Es müsste gnädiger zugehen Predigt am Reformationstag 2017
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- Kirsten Fiedler
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1 Es müsste gnädiger zugehen Predigt am Reformationstag 2017 Liebe Gemeinde, es müsste gnädiger unter uns zugehen. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus ist das nur ein frommer Wunsch am Sonntagmorgen? Es müsste gnädiger unter uns zugehen. Warum all das Misstrauen, die Abneigung, das schlechte Reden übereinander, die bange Frage: Meint der es gut mit mir, oder redet er hinten rum schlecht über mich? Vorgestern, Sportplatz Großeicholzheim, ein Spiel der Kreisklasse A. Es geht nicht um viel. Aber ein Foul hier, ein Protestruf da und erwachsene Menschen gehen aufeinander los. Wo Menschen zusammen kommen, kommt es zu Spannungen, Missverständnissen. Man beobachtet andere. Vorbehalte kommen auf. Auch in christlichen Gemeinden. Es müsste gnädiger unter uns zugehen. 1
2 Warum setzen Eltern ihre Kinder unter Druck? Warum zerstreiten sich Geschwister nach dem Tod der Eltern? Warum gönnt einer dem anderen seinen Anteil nicht? Warum treiben Schüler Lehrer zur Weißglut? Warum spotten Lehrer im Lehrerzimmer über Schüler? Warum werden Frauen wie Tauschware behandelt? Warum wird verächtlich über Flüchtlinge geredet? Warum wird so viel über andere gestöhnt, Gemeinden über ihre Ältesten und Pfarrer. Älteste über ihre Gemeinden und Pfarrer. Pfarrer über ihre Ältesten und Gemeinden. Warum fällt es so schwer, einen Menschen anzuschauen und zu sagen: Ich hör dir zu, und dein Anliegen ist mir wichtig. Nicht nur mein eigenes. Es müsste gnädiger unter uns zugehen. Nur: Wie kann es dazu kommen? Wie kann es dazu kommen, wenn ich ständig mit mir selbst am Ringen bin? Weil ich mir meine eigenen Fehler nicht verzeihen kann? Weil ich mit meinem eigenen Leben unzufrieden bin? Mit dem, was ich nicht so gut kann wie andere? Mit meinem Aussehen? Mit meinem Kontostand? Mit dem, was meine Kinder machen? 2
3 Gnädiger sein mir selbst gegenüber das fällt schon so schwer. Heute, am Reformationstag 2017 sind wir am selben Punkt wie Martin Luther vor 500 Jahren. Und wie die Menschen zu allen Zeiten. Auf der Suche nach Glück, auf der Suche nach wirklicher Gemeinschaft, auf der Suche nach Liebe, auf der Suche nach erfülltem Leben stellt sich die Frage: Wie kann es gelingen, dass unser Leben unter dem Vorzeichen der Gnade steht? Dass wir uns angenommen wissen und nicht abgelehnt? Im Laufe von 500 Jahren verändert sich manches. Unsere Zeit unterscheidet sich in vielem von der Zeit Luthers. Wir leben nicht im 16. sondern im 21. Jahrhundert. Aber die Sehnsucht nach einem Leben unter dem Vorzeichen der Gnade ist dieselbe. Der Autor und Journalist Andreas Malessa beschreibt das in einem Artikel in der Zeitschrift aufatmen sehr prägnant. Er betont, dass dem mittelalterlichem Bemühen Martin Luthers, durch Beten und Beichten, Fasten und Verzichten immer frömmer, heiliger, demütiger zu werden, in der Postmoderne das Bemühen höher, schneller, weiter zu kommen entspricht. Es geht um richtiger essen, gesünder abnehmen, besser aussehen, entspannter lieben, konsequenter erziehen, erfolgreicher arbeiten. 3
4 Die Angst vor dem eigenen Ungenügen ist deshalb nicht nur dieselbe wie im 16. Jahrhundert sie ist im 21. Jahrhundert sogar dramatischer geworden! Soweit Andreas Malessa. Haben Sie sich wiedererkannt in dem ein oder anderen Satz? In dem Gefühl der Angst vor dem eigenen Ungenügen? Und nun? Es müsste gnädiger unter uns zugehen nur wie? Woher soll die Gnade kommen? Wer kann es sich leisten, gnädig zu sein? Zu sich und zu anderen? Derjenige kann es sich leisten, der erkannt hat, dass sein Leben umhüllt ist von nichts anderem als genau dem: einem Übermaß an Gnade. Das ist es, was Martin Luther entdeckt hat, und was bei ihm eine solche Energie freigesetzt hat, dass er zum Reformator der Kirche wurde. Das ist es, was er in der Bibel erkannt hat: In Jesus Christus, der als Gottes Sohn auf diese Welt gekommen ist, zeigt sich das Übermaß an Gnade: Gott liebt uns. So sehr, dass er am Kreuz für unsere Schuld gestorben ist. Gnade bedeutet: Er liebt uns auch dann, wenn wir es nicht verdient haben. 4
5 Gnade bedeutet: Er liebt uns auch dann, wenn wir uns selbst nicht mehr lieben. Paulus schreibt im Epheserbrief: Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Und schon im AT in Psalm 108: Herr, deine Gnade reicht soweit der Himmel ist und deine Treue, soweit die Wolken gehen. darf. Das ist Gnade im Übermaß. Gnade, in die ich eintauchen In einem modernen Lobpreislied ist das so formuliert: Wasser des Lebens fließt wie ein Strom, Vom Himmel her, von Gottes Thron. Es überflutet das dürre Land. So ist der Segen aus Gottes Hand ( ) Im Strom der Gnade schwimme ich und deine Liebe fließt durch mich. Gnade verändert. Sie verändert unseren Blick auf uns selbst und auf unseren Nächsten. Gnade befreit, sich anzunehmen. Und meinen Nächsten. 5
6 Kann es sein, dass ich Gottes Gnade für mein Leben erkannt habe und glaube und dann noch verbissen andere auf ihre Schuld und ihre Unvollkommenheit festnagele? Kann es sein, dass ich jeden Tag dankbar beginne weil es ein Tag ist aus Gottes Gnade und dann genervt darüber stöhne, dass die Hecke meines Nachbarn immer noch 5 cm zu hoch ist? Kann es sein, dass ich im Gottesdienst vertrauensvoll singe Ach, bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesus Christ aber meinem Nächsten einen gnädigen Umgang und einen freundlichen Blick verweigere? Ja, es kann tatsächlich sein. Weil wir vergesslich sind. Weil wir anfechtbar sind. Weil wir noch längst nicht da angekommen sind, dass die Sünde keinen Einfluss mehr auf uns hätte. Aber gerade dann zeigt sich der Reichtum der Gnade aufs Neue. Dass ich dann nicht verzweifle und mich selbst verdamme. Dass ich aber auch nicht in Hochmut alles von mir weise und mich selbst gerecht spreche. Der Reichtum der Gnade zeigt sich darin, dass ich immer wieder aufs Neue Gottes Vergebung in Anspruch nehme und seine Gnade für mein Leben gelten lasse und für das Leben meines Nächsten. 6
7 Aber sag mal, könnte jemand fragen. Heißt Gnade nun, dass wir alles gut finden, alles richtig, keine Kritik mehr? Nein, das heißt es nicht. Gnade heißt manchmal gerade: Ansprechen, was in die falsche Richtung läuft. Statt hinten rum zu meckern oder innerlich aufzustöhnen. Aber: Gnade bedeutet, auf freundliche Art Kritik üben, so dass der andere keine Angst haben muss, sein Gesicht zu verlieren. Es müsste gnädiger unter uns zugehen. Gemeinsam Abendmahl feiern das ist ein guter Anfang. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. G: Amen. 7
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