Narzisstische Gewalt Besuch in einer Selbsthilfegruppe

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1 Manuskript Notizbuch Titel Autor Redaktion Narzisstische Gewalt Besuch in einer Selbsthilfegruppe Leonie Thiem Redaktion Notizbuch Sendedatum Freitag, 9. Februar 2018 Sendezeit Programm Uhr Bayern 2 BEITRAG O-Ton 1: Dr. Hubert Mair und das Schweigen Wichtig ist, dass alles, was man hier sagt, freiwillig ist und auf der anderen Seite für die Teilnehmer, die zuhören, sollten wissen, dass von hier kein Wort nach außen dringen soll, insbesondere, wenn es dann um sehr spezifische Konstellationen geht. Im Dachgeschoss des Selbsthilfezentrums München sitzen elf Menschen in einem Stuhlkreis. Männer und Frauen, von Anfang 30 bis Anfang 60. Dienstags, alle zwei Wochen treffen sich im Münchner Westend Opfer von narzisstischem Missbrauch und emotionaler Gewalt. service@bayern2.de; Seite 1 von 5

2 O-Ton 2: Dr. Hubert Mair Begrüßung Herzlich willkommen zur Selbsthilfegruppe Narzisstische Gewalt in Beruf und Partnerschaft. ( ) In dieser Gruppe ist der Fokus auf die beiden Themen narzisstischer Missbrauch im Beruf oder in der Partnerschaft. Also so zusagen im erwachsenen Bereich, würde ich es jetzt mal nennen. Viele der Teilnehmer sind in sich gekehrt. Kein Lächeln im Gesicht, vom Weinen verquollene Augen, hängende Köpfe, beschämte Blicke auf den Boden. Eine gibt zu, dass sie zwei Bier gebraucht hat, um überhaupt den Mut aufzubringen, zu dieser Gruppe zu gehen. Geleitet wird die Gruppe von Dr. Hubert Mair. Der Allgemeinmediziner nimmt ihr gleich zu Beginn die Angst und erklärt: alles kann, nichts muss. O-Ton 3: Dr. Hubert Mair zum Ablauf der Gruppe Vom Ablauf machen wir das immer so, dass wir zunächst eine kleine Vorstellungsrunde machen, wo jeder sich so in ein, zwei, drei, maximal vier Minuten kurz vorstellt und seine Konstellation oder wie er zu dem Thema gekommen ist oder wie er meint, dass er da betroffen ist ohne aber jetzt schon sehr in die Details zu gehen, weil gerade bei der Gruppengröße, das ist die erste Runde relativ lang, wenn das dann ausufert." Den Teilnehmern fällt es schwer über ihre Probleme zu sprechen. Erst recht vor dem Mikro. Deswegen bleibt es die meiste Zeit aus. Namen, Geschlecht, Alter und persönliche Geschichten sind in diesem Beitrag geändert. Zu groß ist die Scham, erkannt zu werden. Als die Vorstellungsrunde beginnt traut sich nur eine, offen zu sprechen während die Aufnahme läuft. service@bayern2.de; Seite 2 von 5

3 O-Ton 4: Teilnehmerin schildert ihre Situation Ich habe einen 15-jährigen Sohn und war davor schon, also insgesamt knapp zwanzig Jahre mit so einem Menschen zusammen. Er hat vor zwei Jahren die Scheidung eingereicht ohne aber eine Scheidung zu wollen. Also seitdem bekriegt er mich und, obs um Unterhalt oder Vermögensauseinandersetzungen oder was auch immer geht. Er hat schon mehr als ein halbes dutzend Gerichtsverfahren gegen mich eröffnet. Und die zwei Dinge, die mich jetzt beschäftigen sind: das eine: wie kann ich eigentlich mit diesem Widerspruch zwischen Verhalten und Worten, die von so einem Menschen ausgehen. Wie kann ich mich dem völlig entziehen, weil halt einfach noch ein Kind da ist, ein Minderjähriges, was ja irgendwie zu regeln ist ( ) und mir gehen dann irgendwie die körperlichen Kräfte aus nach zwei Jahren jetzt. Und das zweite ist, was mich ganz persönlich betrifft, dass ich mich frage, was habe ich möglicherweise noch an Co-narzisstischem Verhalten mir bewahrt, was für meine Zukunft ja geradezu fatal wäre. Das sind die Dinge, die mich gerade so beschäftigen. Das heißt, dass sie auch den eignen Anteil in der Beziehung erkennt. Im Laufe der anschließenden Diskussion wird klar, Opfer von Narzissten müssen wieder lernen, auf sich zu hören. Das "Ich" in den Mittelpunkt zu stellen, nicht das ihn oder sie. Es gibt ein gesundes Maß an Egoismus, erklärt Dr. Hubert Mair. O-Ton 5: Dr. Hubert Mair zum gesunden Egoismus Und das ist dann gar nicht egoistisch, weil man die Entwicklungsrichtung in diese Richtung braucht, weil man so weit auf der anderen Seite unten ist. Dieser Egoismus soll helfen das eigene Selbstwertgefühl zu stärken und sich so vom narzisstischen Partner zu lösen. service@bayern2.de; Seite 3 von 5

4 Alle sind heute hier, um sich auszutauschen und zu hören, wie andere, Gleichgesinnte umgehen mit diesem Psychoterror so wird es empfunden und beschrieben. Dr. Hubert Mair moderiert die Selbsthilfegruppe, aktuell lässt sich der Allgemeinmediziner zum Psychotherapeuten weiterbilden. O-Ton 6: Dr. Hubert Mair über die fünf E's Es gibt diese fünf E s des Narzissmus: Egozentrik, Eigensucht, durchaus auch mit Unterstreichung des Worts Sucht, Empfindlichkeit, Empathiemangel und Entwertung. Das so Kernaspekte, die beim Narzissmus immer wieder im Vordergrund stehen. Durchaus als Charaktereigenschaften, als Merkmale, wo man das abklopfen kann. Diese Punkte passen bei allen Teilnehmern, beziehungsweise sie passen zu den Menschen, unter denen sie leiden. Zwei haben in der Vorstellungsrunde erzählt, dass sie unter narzisstischen Kollegen beziehungsweise unter einer narzisstischen Chefin leiden. Die meisten heute Anwesenden aber leben mit einem Narzissten oder einer Narzisstin zusammen oder haben sich erst vor kurzem getrennt. Einer hat nach mehr als zweit Jahrzehnten Ehe festgestellt, dass sich seine Frau stark verändert hat, ihn immer mehr unter Druck setzt, klein macht, provoziert. Als er von seinem Leid erzählt, gerät er richtig in Fahrt, redet sich in Rage. Wird laut und macht seinem Kummer Luft. Die anderen fragt er fast schon verzweifelt: "Bin ich eigentlich blöd, dass ich das so lange nicht gemerkt habe?" O-Ton 7: Dr. Hubert Mair zu Typen von Narzissten Es gibt, was Typen von Narzissten angeht, welche, die man so ganz natürlich sich sehr gut vorstellen kann. Es gibt welche, die kennt man jetzt nicht so klassischer weise. Also, der Grandiose, ich glaube, das geht relativ natürlich her. Dass man sagt, ok das verbindet man mit Narzissmus. Aber der Demütige service@bayern2.de; Seite 4 von 5

5 jetzt, zb nicht so geläufig, dass es da unterschiedliche Ausprägungsgrade gibt oder unterschiedliche Arten von Narzissmus." Nicht immer ist eindeutig, ob der Mensch gegenüber überhaupt Narzisst ist und wenn ja, welche Form davon. Vielleicht muss eine exakte Diagnose auch nicht sein. Einer Teilnehmerin reicht es, ihren Partner als eine Art Narzisst identifiziert zu haben. Das hilft ihr, sich sein widersprüchliches Verhalten zu erklären, mit der Erkenntnis kann sie sich über das Thema informieren und zur Selbsthilfegruppe gehen, um es vielleicht irgendwann zu schaffen, ihn zu verlassen. Diese Geschichten zu hören, ist heftig. Seelische, teils körperliche Gewalt, Lügen, Manipulation, Herabsetzen und das jeden Tag. Dann sieht man diesen erwachsenen Menschen ins Gesicht und merkt, was man einander antun kann. Die Gruppe gibt sich gegenseitig Halt. O-Ton 8: Fazit Teilnehmerin Für mich ist es immer wieder etwas besonderes, immer, wie jeder, wie sehr persönlich jeder so Teile auf diesen Tisch legt und welche Offenheit in so einer sehr fremden Runde herrschen kann. Das finde ich, ist etwas Besonderes und dafür danke ich Euch. Seite 5 von 5