ADHS und komorbide Erkrankungen
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- Viktor Huber
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3 Wichtiger Hinweis: Die Verfasser haben größte Mühe darauf verwandt, dass die Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen dem jeweiligen Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, übernimmt der Verlag für derartige Angaben keine Gewähr. Jeder Anwender ist daher dringend aufgefordert, alle Angaben auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Verantwortung des Benutzers.
4 Christine M. Freitag Wolfgang Retz (Hrsg.) ADHS und komorbide Erkrankungen Neurobiologische Grundlagen und diagnostisch-therapeutische Praxis bei Kindern und Erwachsenen Mit Beiträgen von Tobias Banaschewski, Andreas Becker, Katja Becker, Günter Esser, Christine M. Freitag, Alexander von Gontard, Sabine C. Herpertz, Christian P. Jacob, Monika Johann, Katrin Lampe, Rainer Laufkötter, Klaus-Peter Lesch, Wolfgang Retz, Michael Rösler, Veit Roessner, Aribert Rothenberger, Harald Scherk, Martin H. Schmidt, Jutta Schmitt, Christina Schwenck, Jürgen Staedt, Monika Vogelgesang, Susanne Walitza, Andreas Warnke, Norbert Wodarz, Anne Wyschkon Verlag W. Kohlhammer
5 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. 1. Auflage 2007 Alle Rechte vorbehalten 2007 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany ISBN E-Book-Formate: pdf: ISBN
6 Inhalt Inhalt Verzeichnis der Autorinnen und Autoren... 9 Vorwort I Komorbidität bei ADHS: Verlaufsuntersuchungen und neurobiologische Grundlagen Neurobiologie der Komorbidität des ADHS Christian P. Jacob und Klaus-Peter Lesch 1.1 Komorbidität auf Achse-I Komorbidität mit Achse-II-Störungen Neurobiologische Grundlagen Endophänotypen Komorbide Störungen bei ADHS im Kindes- und Jugendalter und ihre Therapie Christina Schwenck, Susanne Walitza und Andreas Warnke 2.1 ADHS und Störung des Sozialverhaltens/oppositionelles Trotzverhalten ADHS und Angststörungen ADHS und Depression ADHS und Sucht ADHS und andere Störungen im Kindes- und Jugendalter ADHS und multiple Komorbiditäten Bedeutung komorbider Störungen im Kindesalter für den Langzeitverlauf der ADHS Anne Wyschkon und Günter Esser 3.1 Störungen des Sozialverhaltens Depressive Störungen und Angststörungen Umschriebene Entwicklungsstörungen Ergebnisse eigener Analysen
7 Inhalt II ADHS und Entwicklungsstörungen ADHS und Ausscheidungsstörungen Alexander von Gontard 4.1 Kinder mit ADHS/HKS Kinder mit Enuresis Mögliche Zusammenhänge Tic-Störungen und ADHS Veit Roessner, Andreas Becker, Tobias Banaschewski und Aribert Rothenberger 5.1 Basisinformationen zu Tic-Störungen Tic-Störungen als Differentialdiagnose zu ADHS Tic-Störungen als Komorbidität von ADHS ADHS und autistische Störungen Komorbidität oder Differentialdiagnose? Christine M. Freitag 6.1 Diagnostische Kriterien und überlappende klinische Symptome Neuropsychologische Modelle Genetische Modelle Differentielle Therapie ADHS und Restless Legs-Syndrom Jürgen Staedt 7.1 Restless Legs-Syndrom ADHS und Restless Legs-Syndrom Therapie III ADHS, Persönlichkeitsentwicklung und affektive Störungen ADHS Störung des Sozialverhaltens Antisoziale Persönlichkeitsstörung Michael Rösler 8.1 Was bewirkt ADHS im sozialen Leben? Prävalenz von ADHS in kriminologischen und forensischen Populationen Welche Zusammenhänge sind zwischen ADHS und CD gefunden worden? Der Verlauf der ADHS in seinen Beziehungen zur CD ADHS und Deliktstruktur ADHS und Psychopathy Vergleichende neuropsychologische Ergebnisse zur ADHS im Erwachsenenalter und Borderline Persönlichkeitsstörung Implikationen für komorbide Störungen Katrin Lampe und Sabine C. Herpertz 9.1 Eigene Studie Stichprobe
8 Inhalt 9.3 Neuropsychologische Verfahren Statistische Methoden Ergebnisse und Interpretation Schlussfolgerungen ADHS und affektive Erkrankungen im Erwachsenenalter Harald Scherk 10.1 Prävalenz von ADHS und affektiven Störungen Symptomatik von ADHS und affektiven Störungen Krankheitsausbruch von ADHS und affektiven Störungen Komorbidität bei erwachsenen Patienten IV ADHS und Sucht ADHS und Alkoholabhängigkeit Norbert Wodarz, Rainer Laufkötter und Monika Johann 11.1 Frühe Befunde ADHS und Substanzmissbrauch/-abhängigkeit ADHS und Substanzmissbrauch, einschließlich Nikotin Katja Becker und Martin H. Schmidt 12.1 ADHS und Rauchen ADHS und illegale Drogen Haben mit Stimulanzien behandelte Kinder mit ADHS ein erhöhtes Risiko, eine Suchterkrankung zu entwickeln? ADHS und pathologisches Glücksspiel Wolfgang Retz, Jutta Schmitt, Monika Vogelgesang und Michael Rösler 13.1 Was ist pathologisches Glücksspiel? Gibt es einen Zusammenhang zwischen ADHS und pathologischem Glücksspiel? Untersuchung zur Prävalenz von ADHS bei pathologischen Spielern Therapeutische Überlegungen Stichwortverzeichnis
9 Inhalt
10 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Professor Dr. Dr. Tobias Banaschewski Zentralinstitut für Seelische Gesundheit des Kindes- und Jugendalters Mannheim Andreas Becker Zentrum für Psychosoziale Medizin Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Von-Siebold-Straße Göttingen Priv.-Doz. Dr. Katja Becker Zentralinstitut für Seelische Gesundheit des Kindes- und Jugendalters Mannheim Professor Dr. Günter Esser Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität Potsdam Komplex 2 Karl-Liebknecht-Straße Potsdam-Golm Priv.-Doz. Dr. Christine M. Freitag Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum des Saarlandes Homburg Professor Dr. Alexander von Gontard Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum des Saarlandes Homburg Professor Dr. Sabine C. Herpertz Zentrum für Nervenheilkunde der Universität Rostock Gehlsheimer Straße Rostock Dr. Christian P. Jacob Bayerische Julius-Maximilians-Universität Füchsleinstraße Würzburg Dr. Monika Johann Universität Regensburg am Bezirksklinikum Universitätsstraße Regensburg Katrin Lampe Zentrum für Nervenheilkunde der Universität Rostock Gehlsheimer Straße Rostock Dr. Rainer Laufkötter Universität Regensburg am Bezirksklinikum Universitätsstraße Regensburg Professor Dr. Klaus-Peter Lesch Bayerische Julius-Maximilians-Universität Füchsleinstraße Würzburg 9
11 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Professor Dr. Wolfgang Retz Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie Universität des Saarlandes Homburg Professor Dr. Michael Rösler Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie Universität des Saarlandes Homburg Dr. Veit Roessner Zentrum für Psychosoziale Medizin Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Von-Siebold-Straße Göttingen Professor Dr. Aribert Rothenberger Zentrum für Psychosoziale Medizin Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Von-Siebold-Straße Göttingen Dr. Harald Scherk Zentrum für Psychosoziale Medizin Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie Von-Siebold-Straße Göttingen Professor Dr. Dr. Martin H. Schmidt Zentralinstitut für Seelische Gesundheit des Kindes- und Jugendalters Mannheim Jutta Schmitt Psychosomatische Fachklinik Münchwies Turmstraße Neunkirchen Christina Schwenck Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Julius-Maximilians-Universität Würzburg Füchsleinstraße Würzburg Professor Dr. Jürgen Staedt Vivantes-Klinikum Berlin-Spandau Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Neue Bergstraße Berlin Dr. Monika Vogelgesang Psychosomatische Fachklinik Münchwies Turmstraße Neunkirchen Priv.-Doz. Dr. Susanne Walitza Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Julius-Maximilians-Universität Würzburg Füchsleinstraße Würzburg Professor Dr. Andreas Warnke Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Julius-Maximilians-Universität Würzburg Füchsleinstraße Würzburg Priv.-Doz. Dr. Norbert Wodarz der Universität Regensburg am Bezirksklinikum Universitätsstraße Regensburg Anne Wyschkon Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität Potsdam Komplex 2 Karl-Liebknecht-Straße Potsdam-Golm 10
12 Vorwort Vorwort Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine häufige Erkrankung, mit der sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie schon seit vielen Jahren intensiv auseinandersetzt. Es existieren daher inzwischen gut ausgearbeitete und evidenzbasierte Leitlinien zur Diagnose und Behandlung betroffener Kinder und Jugendlicher. Anders als dies in der Vergangenheit und bisweilen noch immer angenommen wird, persistiert die Erkrankung in vielen Fällen auch bis in das Erwachsenenalter. Die psychopathologische Kernsymptomatik besteht in allen Lebensaltern aus Aufmerksamkeitsstörungen, erhöhter Impulsivität und Hyperaktivität. Während Impulsivität und Hyperaktivität im Verlauf eine rückläufige Tendenz erkennen lassen oder einem Symptomwandel unterliegen, bleiben die Aufmerksamkeitsstörungen bei Erwachsenen oft unverändert und sind meist mit desorganisiertem Verhalten vergesellschaftet. Die unterschiedlichen Entwicklungen in den psychiatrischen Fachdisziplinen, die sich entweder mit den Erkrankungen des Kinder- und Jugendalters oder denen des Erwachsenenalters beschäftigen, haben dazu geführt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich der ADHS bei Kindern und Jugendlichen nur teilweise von der Erwachsenenpsychiatrie wahrgenommen und für deren Patienten nutzbar gemacht wurden. Obwohl aus Längsschnittuntersuchungen die Persistenz der ADHS im Erwachsenenalter bereits seit über 20 Jahren bekannt ist, erfolgte bis in die letzten Jahre weder ein nennenswerter Austausch zwischen den Fachdisziplinen noch waren in größerem Umfang wissenschaftliche Aktivitäten im Erwachsenenbereich zu verzeichnen. Inzwischen sind im deutschsprachigen Raum erfreuliche Entwicklungen des Austausches und der gemeinsamen Erforschung des Krankheitsbildes, seiner Ätiologie, Diagnose und Behandlung in Gang gekommen. Zum Nutzen auch erwachsener Betroffener konnten diese bereits vielerorts in Form ambulanter Hilfsangebote nutzbar gemacht werden. Auch die Erarbeitung evidenzbasierter Leitlinien für die Diagnose und Behandlung der ADHS in diesem Lebensabschnitt stellt einen großen Fortschritt dar. Gleichwohl ist noch ein erheblicher Nachholbedarf an Forschung, deren Vermittlung und Umsetzung vorhanden. Vor diesem Hintergrund wurde vom Neurozentrum des Universitätsklinikums des Saarlandes 2003 erstmals zu einer nationalen Konferenz eingeladen, bei der unter Einbeziehung aller Berufsgruppen und der Betroffenen selbst die unterschiedlichen Aspekte der ADHS in ihrer biographischen Dimension diskutiert wurden. Die in zweijährigem Abstand stattfindende Veranstaltung will Impulse für einen anhaltenden Dialog und eine Zusammenarbeit geben. Mit Unterstützung verschiedener Fachgesellschaften der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie wurde 2005 eine zweite Veranstaltung durchgeführt, die sich intensiv mit Fragen der Differentialdiagnose und der Komorbidität der ADHS auseinandersetzte, da sich gezeigt hatte, dass sowohl bei Kindern und Jugendlichen als 11
13 Vorwort auch bei Erwachsenen oftmals eine erhebliche Unsicherheit besteht, wenn es darum geht, ADHS von anderen psychischen Störungen abzugrenzen. Tatsächlich ist der Verlauf der ADHS im Erwachsenenalter mit einer Fülle von gesundheitlichen Risiken, komorbiden Leiden und sozialen Gefährdungen belastet, die ihren Ausgang von der ADHS im Kindesalter und den Komorbiditäten in diesem Lebensabschnitt nehmen. Während bei Kindern die diagnostische Differenzierung der ADHS von anderen Entwicklungs- bzw. Sozialisierungsstörungen oft nicht einfach ist, sind es im Erwachsenenalter affektive Syndrome, Suchterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen, die den Blick auf die ADHS-Symptomatik verdecken können. Es liegt auf der Hand, dass eine sorgfältige differentialdiagnostische Abklärung und die angemessene Erfassung komorbider Störungen eine entscheidende Voraussetzung für die Wahl der adäquaten Therapie darstellen. Wegen des großen Interesses an den auf unserem 2. Saarbrücker ADHS-Kongress im September 2005 diskutierten Themen entstand die Idee, den aktuellen Wissensstand über ADHS und komorbide Erkrankungen in einer Monographie zusammenzutragen. Bei der Konzeption des vorliegenden Buches ließen wir uns inhaltlich von den Vorträgen leiten, die bei der Tagung von namhaften Fachleuten referiert wurden. Durch die Bereitschaft vieler Referenten, das Thema in einem Buchbeitrag darzustellen, ist auf diese Weise ein Buch entstanden, das alle wesentlichen Aspekte der Differentialdiagnose, der Komorbiditätsproblematik sowie der Differentialtherapie abdeckt. Es stellt insofern eine Ergänzung des Angebotes von Büchern zum Thema ADHS dar, als es sich ausschließlich mit der speziellen Komorbiditätsproblematik befasst, und dabei die üblichen Altersgrenzen psychiatrischer Tätigkeit überwindet. Zur besseren Übersichtlichkeit wurden allgemeine Fragen zur Komorbidität im ersten Teil des Buches zusammengestellt. Weitere Kapitel widmen sich der Komorbidität der ADHS mit einzelnen Störungskomplexen, die je nach ihrer Bedeutung in den verschiedenen Lebensabschnitten von namhaften Kinder- und Jugendpsychiatern und Allgemeinpsychiatern dargestellt werden. Allen Autoren, die am Gelingen dieses Buches engagiert beteiligt waren, gilt der Dank der Herausgeber. Den wissenschaftlich interessierten Leserinnen und Lesern bietet das Buch die Gelegenheit, sich über den aktuellen Stand der Forschung zu informieren, den mehr praxisorientierten Leserinnen und Lesern gibt es Hilfestellungen für die Diagnose und Behandlung der ADHS im Spannungsfeld mit komorbiden psychischen Erkrankungen in verschiedenen Lebensaltern. Homburg, im Sommer 2007 Christine M. Freitag und Wolfgang Retz 12
14 Vorwort I Komorbidität bei ADHS: Verlaufsuntersuchungen und neurobiologische Grundlagen
15 I Komorbidität bei ADHS
16 1 Neurobiologie der Komorbidität des ADHS 1 Neurobiologie der Komorbidität des ADHS Christian P. Jacob und Klaus-Peter Lesch Einleitung 1.1 Komorbidität auf Achse-I 1.2 Komorbidität mit Achse-II-Störungen 1.3 Neurobiologische Grundlagen 1.4 Endophänotypen Diskussion Literatur Einleitung Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien zeigen eine ausgeprägte Heritabilität des Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) (H 2 0,7 0,8) (Faraone et al. 2005). Genomweite Kopplungsanalysen weisen auf verschiedene Suszeptilitätsloci, z. B. auf den Chromosomen 4q13.2, 16p13 und 17p11 (Faraone et al. 2005). Mehrere Suszeptibilitätsgene mit signifikanter Evidenz für Assoziationen mit ADHS werden in einer Metaanalyse von Faraone und Kollegen genannt (Faraone et al. 2005): diese Gene kodieren für den Dopamin-D4-Rezeptor (DRD4), Dopamin-D5-Rezeptor (DRD5), Dopamin- Transporter (DAT), Dopamin-β-Hydroxylase (DBH), Serotonin-1B-Rezeptor (5- HT1B), Serotonin-Transporter (5-HTT) und das synaptosomal-assoziierte Protein 25 (SNAP-25). Für die genetische Komponente werden multiple Gene mit jeweils kleiner bis moderater Wirkung auf die Symptome von ADHS entsprechend dem Quantitative Trait Loci (QTL)-Ansatz verantwortlich gemacht. Schließlich ist anzunehmen, dass komplexe Gen x Umwelt- Interaktionen die individuelle Vulnerabilität für ADHS beeinflussen (Caspi et al. 2003). 1.1 Komorbidität auf Achse-I Die Angaben zur Komorbidität von ADHS mit anderen psychiatrischen Erkrankungen auf Achse-I variieren erheblich. Diese wird bei Kindern und Erwachsenen in der Größenordnung von bis zu 80 % geschätzt (Marks et al. 2001). Zwei oder mehr komorbide Erkrankungen weisen ungefähr 20 % der Betroffenen auf. Die Häufigkeit komorbider Erkrankungen wird möglicherweise durch die Persistenz des ADHS im Erwachsenenalter beeinflusst. Komorbidität ist durch Zunahme von Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung, Teilleistungsstörungen und Abnahme des sozioökonomischen Status prognostisch ungünstig. ADHS weist erhöhte Komorbidität besonders mit affektiven Störungen (mono- und 15
17 I Komorbidität bei ADHS bipolar), Angststörungen, Störungen des Substanzgebrauches und Störungen des Sozialverhaltens auf (Biederman 2005). Depression ist häufig überrepräsentiert in klinisch-stationären Stichproben von Kindern (24 %) und Erwachsenen (17 31 %) (Spencer et al. 2000). ADHS weist dabei frühere Erstmanifestationen auf als intrinsisch depressive Erkrankungen. Drei prospektive Studien bestätigen eine erhöhte Prävalenz von affektiven Erkrankungen im jungen Erwachsenalter jedoch nicht (Weiss und Hechtman 1993). Die Komorbidität mit bipolaren Erkrankungen (bipolar-i) wird mit 5 % angegeben (McGough et al. 2005). Die Komorbidität des ADHS mit verschiedenen Angst- und Zwangserkrankungen bei Jugendlichen ist ebenfalls erhöht (Geller et al. 2002). Die Differentialdiagnose mit der Zwangsstörung kann komplex sein, da Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit sowohl die Folge von mit Zwang assoziierten Ängsten als auch des ADHS sein können. Darüber hinaus kann zwanghaftes Verhalten Ausdruck der Kompensationsstrategien des ADHS sein. Die Komorbidität mit Substanzgebrauch wird im Erwachsenenalter mit bis zu 50 % angegeben (Sullivan und Rudnik-Levin 2001). Insbesondere besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für Nikotinkonsum (Sullivan und Rudnik-Levin 2001). Die Prävalenz von Nikotinabhängigkeit bei adultem Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätssyndrom (AADHS) beträgt 40 % und ist damit gegenüber 26 % in der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht (Sullivan und Rudnik-Levin 2001). Einige retrospektive Studien berichten, dass die Prävalenz von Alkoholmissbrauch bei ADHS 2- bis 3-mal höher ist als bei Kontrollen. Etwas unerwartet ergaben jedoch Longitudinalstudien von Hechtman et al. (Hechtman und Weiss 1986) und Mannuzza et al. (Mannuzza et al. 1998) keinen Hinweis auf erhöhten Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. Die Komorbidität des ADHS mit Alkoholabhängigkeit ist häufig assoziiert mit frühem Beginn der Suchterkrankung und weist dadurch Überschneidungen mit Alkoholismus vom Typ II nach Cloninger auf (Johann et al. 2004). Retrospektive (Biederman et al. 1993) und prospektive Studien (Mannuzza et al. 1998) zeigen, dass Drogenmissbrauch bei AADHS im Vergleich zu Kontrollen 3- bis 4-fach erhöht ist. Sullivan und Mitarbeiter diskutieren ADHS als unabhängigen Risikofaktor für Substanzgebrauch mit frühem Beginn und langer Dauer bei rascher Progression von Alkoholabhängigkeit zu Missbrauch und Abhängigkeit von anderen Drogen (Sullivan und Rudnik-Levin 2001). Gemeinsame Risikofaktoren sind männliches Geschlecht und niedriger sozioökonomischer Status (McGough et al. 2005). Studien mit männlichen Kindern und Erwachsenen zeigen hingegen, dass ADHS ohne Störung des Sozialverhaltens keine erhöhte Komorbidität mit Substanzgebrauch aufweist (Lynskey und Hall 2001). Aufmerksamkeitsstörungen werden als eine der Ursachen für die Komorbidität des ADHS mit Substanzgebrauch diskutiert. Insbesondere der vorwiegend unaufmerksame Typ und der Mischtyp des ADHS weisen eine erhöhte Komorbidität mit Alkohol- und Cannabismissbrauch-/abhängigkeit auf (Murphy et al. 2002). Unspezifische Aufmerksamkeitsstörungen sind in einer Studie mit Heranwachsenden mit Substanzgebrauch jedoch nicht mit ADHS assoziiert (Tapert et al. 2002). Der Konsum von psychotropen Substanzen kann bei ADHS einen inadäquaten und dysfunktionalen Selbstbehandlungsversuch darstellen. Medikamentöse Behandlungen mit Stimulanzien in der Kindheit scheinen das Risiko späterer Störungen des Substanzgebrauches reduzieren (Huss und Lehmkuhl 2002; Robbins 2002). ADHS tritt im Kindesalter gehäuft mit oppositioneller Verhaltensstörung auf (Döpfner et al. 2000). Gegenstand aktueller Dis- 16
18 1 Neurobiologie der Komorbidität des ADHS kussion ist jedoch, ob eine echte Komorbidität oder eine Expressionsdimension der Grunderkrankung vorliegt. Komorbide Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und Störung des Sozialverhaltens sind assoziiert mit erhöhtem Risiko für Delinquenz, Substanzmissbrauch und antisozialen Persönlichkeitsstörungen (Herpertz et al. 2001). ADHS-Patienten mit persistierender Störung des Sozialverhaltens weisen eine ungünstigere Prognose auf (Biederman et al. 1991). Faktorenanalytisch ist die Differenzierung in einen Hyperaktivitäts- und einen Aggressionsanteil belegt (Döpfner et al. 2000). Follow-up Studien mit hyperaktiven Jungen deuten darauf, dass antisoziales und delinquentes Verhalten eher mit kindlicher Aggressivität als mit Hyperaktivität verbunden ist (August et al. 1983). ADHS mit und ohne Störung des Sozialverhaltens sind möglicherweise Subtypen des Syndroms mit Unterschieden in Ätiologie, Verlauf und Prognose. 1.2 Komorbidität mit Achse-II-Störungen Untersuchungen zur Komorbidität des ADHS mit Achse-II Störungen fokussieren dissoziale Persönlichkeitsstörungen. Prospektive Studien geben die Komorbidität vom kindlichen ADHS mit dissozialen Persönlichkeitsstörungen bei der Follow-up Untersuchung zwischen % an (Fischer et al. 2002). Biederman und Kollegen erfassten diese Komorbidität des ADHS in einem klinischen Kollektiv mit Behandlungsindikation mit 12 % (Biederman et al. 1993). Dissoziale Persönlichkeitsstörungen liegen bei biologischen Vätern von Kindern mit ADHS häufiger vor als bei deren Adoptivvätern (Cadoret und Cain 1980). Die Komorbidität des ADHS mit anderen spezifischen Persönlichkeitsstörungen ist nicht hinreichend untersucht. Eine prospektive Studie von Fischer und Mitarbeitern belegt, dass kindliches ADHS mit späteren histrionischen (12 %), dissozialen (21 %), passiv-aggressiven (18 %) und emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen (14 %) assoziiert ist (Fischer et al. 2002). In einer eigenen Untersuchung beträgt die Komorbidität des AADHS mit Persönlichkeitsstörungen 72,5 %; unter diesen weisen histrionische Persönlichkeitsstörungen mit 36,8 % die höchste Komorbidität auf (Jacob et al. 2005a). Die Diagnosekriterien des DSM-IV basieren auf einem kategorialen, die Persönlichkeitsinventare NEO PI-R (Revised NEO Personality Inventory) und TPQ (Tridimensional Personality Questionnaire) auf einem dimensionalen Modell der Persönlichkeit, das mit dem QTL-Ansatz vereinbar ist. Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit von Costa und McCrae ist theoretische Grundlage des NEO-PI-R und NEO-FFI (NEO Fünf-Faktoren-Inventar). Probanden mit AADHS weisen im Vergleich zu Kontrollen signifikant höhere Werte für das Angst- und Depressions-bezogene Merkmal Neurotizismus und signifikant niedrigere Werte für Gewissenhaftigkeit auf (Retz et al. 2004). Der TPQ basiert auf der biosozialen Persönlichkeitstheorie von Cloninger. Nach einer Untersuchung von Downey und Mitarbeitern ist AADHS unabhängig von komorbiden Störungen signifikant assoziiert mit höheren Werten für Novelty Seeking (Suche nach neuen Erfahrungen) und Harm Avoidance (Vermeidung von Schädigungen) (Downey et al. 1997). 17
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