Die Waggonfabrik Quedlinburg

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1 Die Waggonfabrik Quedlinburg 1 Die Geschichte der Quäke ist verbunden mit der Geschichte der Waggonfabrik Quedlinburg. Die besten Informationen bekommt man von Menschen, die diese Zeit aktiv gelebt und gestaltet haben. Ich hatten das Glück den Passenden zu finden. Herr Dipl. Ing. Klaus Reimer aus dem RAW Quedlinburg, Produktionsleiter von 1971 bis 1989, Leiter des Werkes von 1990 bis 1993 ist Quelle und Urheber für die nachfolgenden Informationen und Bilder. Mir als Eisenbahner und Eisenbahnfreund kam 2005 die Rolle des Schreiberlings zu, so dass dieser Teil der lokalen Verkehrsgeschichte auch zukünftig erhalten bleibt. Kurzer geschichtlicher Abriss über die Waggonfabrik Quedlinburg Aus den Anfangsjahren der Firma liegen nur wenige Informationen vor. Die Geschichte des Standortes Quedlinburg geht auf das Jahr 1923 zurück. Am 09 Mai 1923 erhielt die Firma Bahnwagen-Werk Kraus und Co einen Bau-Erlaubnisschein für ein Bürogebäude, ein Pförtnerhaus, eine Wagenhalle nebst Trafostation, ein Gartenhaus sowie die erforderliche Umzäunung. Das Werk war Reparaturbetrieb für Güter- und Spezialwagen. Der nächste Besitzer war die GmbH Ernst Meyer und Co. Im Jahre 1929 wird das Werk laut Grundbucheintrag uneingeschränktes Eigentum der Eisenbahn-Verkehrsmittel-Aktiengesellschaft (EVA) mit Verwaltung in Berlin Wilmersdorf. Das Kapital der EVA, und damit auch das der Waggonfabrik Quedlinburg, befand sich in diesem Zeitraum in den Händen eines belgischen Chemiekonzerns mit Sitz in Brüssel. Von 1939 bis 1945 war der Betrieb als Rüstungsbetrieb eingestuft und wurde sogar als kriegeswichtig klassifiziert. In den Vorkriegsjahren bis zum Kriegsausbruch waren bis zu 180 Beschäftigte tätig. In den Kriegsjahren reduzierte sich die Beschäftigtenzahl auf ca. 120 plus etwa 10 bis 15 Krieggefangene weitestgehend französischer Nationalität. Blick von der Schiebebühne Richtung Reinigungsgleis (Aufnahmedatum unbekannt)

2 2 Haupttor der Waggonfabrik 1948 Ausstellung zum 2 - Jahresplan 1949

3 3 Nach dem 2. Weltkrieg war die Enteignung nach dem Befehl 124 vom nicht möglich, da alliierte Vermögenssubstanz (EVA war belgisches Eigentum!) unantastbar war. Eine kurzzeitige Überführung der Waggonfabrik in Volkseigentum musste rückgängig gemacht werden. Somit arbeitete man unter dem Status eines Treuhandbetriebes mit ausländischem Vermögen. Als solches wurde das Werk am 01. Mai 1950 der Kesselwagenleitstelle mit Sitz in Berlin Wilmersdorf unterstellt. Herr Gerhard Müller wurde als Geschäftsführer in Verwaltung der Deutschen Reichsbahn eingesetzt. Der rollende Kesselwagenpark wurde bald darauf von der Deutschen Reichsbahn übernommen. Die Anzahl der Beschäftigten erhöhte sich stetig. Firmierung bis 1971 Mit den Friedensveträge von 1971 ging das Werk Quedlinburg vollständig zu DR über und wurde als Werkteil dem RAW Leipzig Engelsdorf zugeordnet. Werktor 1993

4 4 Die Beschäftigten wurden von der DR unter Anrechnung ihrer gesamten Dienstzeit als Eisenbahner mit Dienstgrad und Attestierung übernommen. Für das Werk war die Entwicklung recht günstig. Durch eigenständige Investkredite und Eigenleistungen der Beschäftigten konnten die Arbeits- und Lebensbedingungen und die Produktionsbedingungen deutlich verbessert werden. Es wurden Gebäude saniert und 1978 eine dreigleisige Reparatur- und Montagehalle und eine Radsatzwerkstatt nach aktuellen Gesichtspunkten gebaut. Eine neue Schiebebühne, ein neues Zuführungsgleis mit 5t Krananlage und eine neue Kesselwagen-Reinigungsanlage mit säurefestem gummiertem Spülbecken brachten weitere Verbesserungen. Der Neubau eines Sozialgebäudes mit Küche, Kantine und Betriebsarztstation vervollständigen das Bild. Im Jahre 1979 wurde das 50- jährige Betriebsjubiläum gefeiert. In diesen Jahren arbeiten bis zu 228 Mitarbeiter in der Wagonfabrik. In einer eigenen Lehrwerkstatt wurden jährlich bis zu 6 Lehrlinge als beruflicher Nachwuchs als Instandhaltungs- bzw. Schienenfahrzeugschlosser ausgebildet. In der Verwaltung erfolgte die Ausbildung von 1 bis 2 Lehrlingen zu kaufmännischen Angestellten. Das Schicksal nach der Wende gleicht dem so vieler Betriebe in Deutschland. Trotz ernsthafter Bemühungen einiger leitender Mitarbeiter die Weiterführung des Werkes zu ermöglichen, scheiterte dies vor allem auch an den Eigentumsverhältnissen (EVA). Prospekt aus dem Jahr 1992/1993

5 5 Am setzte die Langfristige Werke Ordnung der DB DR dem Weiterbestand des Werkes ein endgültiges Ende. Das RAW Leipzig, Werkteil Quedlinburg wurde aufgelassen. Mit diesem Tag verloren 114 Menschen ihre Aufgabe im Werk Quedlinburg. Ein Standortnachteil waren hierbei die Einschränkung des Produktionsprofil infolge der territorialen und baulichen Voraussetzungen. Damit endet 1993, und damit mit dem Ende der Deutschen Reichsbahn, nach 64 erfolgreichen Jahren die Geschichte von Waggonbau und -reparatur in Quedlinburg. Zuführungsgleis (Aufnahmedatum unbekannt)

6 6 Das Produktionsprofil der Waggonfabrik Im Werk Quedlinburg wurden Güterwagen, insbesondere Kessel- und Behälterwagen gebaut und repariert. Durch die territoriale Lage und die baulichen Einrichtungen war das Werk Quedlinburg in seiner Produktion eingeschränkt. Es waren nur Aufarbeitungen von 2-achsigen Behälter und Güterwagen mit einem maximalen Radstand von 6,00 m und LÜP von max. 11,9 m möglich (eingeschlossen 3 achsige Behälterwagen Typ IV a mit pneumatischer Entleerung für Ladegut Kohlestaub). Neben der komplexen Aufarbeitung der Behälter und Güterwagen in den Instandhaltungsstufen - G 0 Bedarfsausbesserung - G 2 Jahresuntersuchung - G 3 Jahresuntersuchung mit Anstrich - G 4 Hauptuntersuchung mit Anstrich - G 5 Generalreparatur mit Anstrich erfolgte die Aufarbeitung der Radsätze (Reprofilierung, Lageraufarbeitung, Prüfung), die Aufarbeitung der Laufwerksteile mit Ausnahme der Teile der Zugvorrichtung (Zughaken, Kupplungen, Zugstangen, Schalenmuffen) sowie Tragefedern. Diese Aufarbeitung erfolge im RAW Magdeburg. Steuerventile der Bremse einschließlich der Löseeinrichtungen wurden im Auftrag durch das RAW Warschauer Straße in Berlin aufgearbeitet. Bei der Rekonstruktion bzw. dem Neubau von Behälterwagen wurde für die Bereitstellung von Behältern mit verschiedenen Firmen kooperiert. Dies waren zum Beispiel für Stahlbehälter der Behälter- und Apparatebau Magdeburg, für Aluminiumbehälter der Chemieanlagenbau Reinsdorf bei Wittenberg und für Behälter aus legiertem Stahl V2A bzw. V4A der Behälter- und Anlagenbau Grimma. Die Untergestelle wurden im Rahmen der Generalreparatur (G 5) für Rekonstruktionen aufgearbeitet. Für den komplexen Neubau wurden die Untergestelle vom RAW Leipzig bezogen. Die Aufarbeitung der Stosseinrichtungen - Hülsenpuffer (Ring- sowie Kegelfeder) erfolgte im Werk Quedlinburg. Die Behälterauskleidungen der Druckbehälter Typ III d für Ladegüter wie Säuren und Lagen erfolgte im Gummiwerk Elbe, Wittenberge (Gummiauskleidungen) sowie in der Bleihütte Halsbrücke bei Freiberg (homogene 6 mm Bleiauskleidung) Hier ein Auszug aus dem Produktionsprofil: Typ Gattungszeichen Achsstand LüP Ladegut (z.b.) Offene Wagen Typ E und F Es - 4 6,00 10,50 Stück- und Schüttgut 2 achsige Normal Kesselwagen ohne Heizung Typ 0 Uh-w 4,85 9,50 Brennbare Flüssigkeiten Typ I Uh 4,85 9,50 Öle, Alkohol etc. Typ I Uhk 4,50 8,74 Spiritus 2 achsige Normal Kesselwagen mit Heizung Typ II a, II b Uh 4,85 9,50 Mineralöl Typ II a Uh 4,85 9,5 Heizöl, Teerprodukte, Paraffine Typ II d mit Heizung und Isolierung Uh 4,85 9,00 Bitumen 2 achsige Spezialkesselwagen ohne Heizung mit Druckentleerung Typ III a Uch 4,50 8,35 Säuren, Laugen Typ III b mit Heizung Uch 4,50 8,35 Säuren, Laugen Typ III c (mit Hz, Isolierung, V2A Uhk 4,85 9,00 Bi85, Emulgator bzw. V4A, Schwerkraftentladung Typ III c, ohne Hz, V2A bzw. V4A, Uhk 4,85 9,00 Säuren; Laugen, Wein Schwerkraftentladung Typ III c, ohne Hz, V2A bzw. V4A, Uchk 4,85 9,00 Säuren, Laugen Druck- bzw. Schwerkraftentladung

7 Typ Gattungszeichen Achsstand LüP Ladegut (z.b.) Typ III d, ohne Hz, Behälter mit Uch 4,85 9,00 Säuren, Laugen Gummi oder Blei ausgekleidet, Druckentleerung Typ III e, Topfwagen mit 10 bis 14 Uhk 4,85 10,90 Säuren, Laugen Steinzeugtöpfen (ca Liter) Typ III f, Spezial Kesselwagen mit Uch 4,85 9,00 Acrylnitrit, Alubehälter, ohne Heizung, Salpetersäure Druckentleerung Typ Iva, 3 achsige Uc-x 6,00 11,90 Kohlenstaub Behälterwagen mit pneumatischer Entleerung Typ IV e, 2 achsiger Uce/Ucv 5,00 9,19 Zement Behälterwagen mit pneumatischer Entleerung 7 Damit präsentierte das Werk Quedlinburg eine Spezialwerkstatt für Güterwagen, insbesondere Behälterwagen., aber auch die Reparatur eisenbahntypischer Einzelteile Die kurze Darstellung verdeutlicht, das selbst zu einem schnöden Güterwagen ein wenig mehr gehört, als der gemeine Eisenbahnfreund vermutet. Bilder von produzierten Wagen bis etwa zum Ende des zweiten Weltkrieges Die folgenden Bilder zeigen das Produktionsprofil bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Schnell wird klar, warum das Werk als kriegswichtig eingestuft war. Leider lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wo die Aufnahmen gemacht wurden. Sicher wurden aber viele Bilder auf den Gleisen der Quäke aufgenommen.

8 8 Wagen zum Geflügeltransport ( ) Wagen zum Geflügeltransport ( )

9 9 Wagen zum Geflügeltransport ( ) Alukesselwagen für Formaldehyd (um 1940)

10 10 Stahlkesselwagen für Benzin 1936 Stahlkesselwagen Schwefelkohlenstoff 1936

11 11 Schüttgutwagen 1938 Stahlkesselwagen für Benzin 1940

12 12 Stahlkesselwagen mit Heizwanne für Schwefelsäure 1940 Stahlkesselwagen für Natronlauge 1940

13 13 Stahlkesselwagen für ölige Flüssigkeiten 1940

14 14 Bilder von Wagen aus der Zeit zwischen 1945 und 1989 Kohlenpendelwagen 1946 Stahlkesselwagen für Schwefelsäure 1951

15 15 Flaschenwagen für Sauerstoff 1953 Gummierter Kesselwagen für Salzsäure1960

16 16 Neubau - Weinkesselwagen mit isoliertem Umhausung 1970 Kesselwagen für Trichloräthylen 1980

17 17 Bilder aus den Produktionsprofil der Nachwendezeit Auch nach der Wende wurden hochwertige Kesselwagen in Quedlinburg produziert. Negativ für den Weiterbestand des Standortes wirkte sich der allgemeine Trend zu vierachsigen Fahrzeugen aus. Hier ein paar Bilder von Fahrzeugen aus den Jahren :

18 18

19 19 Kesselwagen für Löschmittel (V 4 a) 1992

20 20 Die Waggonfabrik 1993 Die nachfolgenden Bilder dokumentieren die Waggonfabrik im letzten Jahr des aktiven Bestehens. Interessant ist der Blick in das Innere, der heute nicht mehr möglich ist und eine (teilweise vergangene) Ära wiederspiegelt. Westansicht Verwaltungsgebäude

21 21 Montagehalle und Produktionsvorbereitung Tragfederlager

22 22 Schmiede mit Friktionsspindelpresse Montagehalle Ucv

23 23 Hubstand Ucv Ohne motivierte Mitarbeiter geht nichts

24 24 Aufbau Neubaukessel (1991) Große Montagehalle Schiebebühne

25 25 Hier steht Arbeitsvorrat Kesselwagenreinigung

26 26 Kran des Materiallagers Materiallager

27 Ein wichtiges Aufgabengebiet war zum Schluss auch die Zerlegungen von Güterwagen: 27 Zerlegeplatz mit Werklok im Hintergrund Zerlegeplatz

28 28 Blick aufs nördliche Werkgelände Zu den Triebfahrzeugen gibt es keine weiteren Informationen, aber die Bilder zeigen, dass eine Werklok vorhanden war. Wer hat mehr Informationen dazu? Werklok V 15

29 Eine Dampflok diente als Heizlok - auch hier fehlen weitere Informationen: 29 Heizlok

30 Ah bis zum Ende durchgehalten! Dann gibt es noch eine Story aus dem wahren Leben: Quelle: bekannt ;o) 30 Neben den detaillierten Fakten zur Geschichte gibt es natürlich noch mehr. Hier noch eine Geschichte eines jungen Eisenbahners im Zusammenhang mit der Quäke und dem Werk Quedlinburg: Bekanntermaßen erfolgte in Quedlinburg die Reparatur von Kesselwagen. Doch nicht nur die gefährlichen Güter wurden in Kesselwagen transportiert, sondern auch die Hochprozentigen! Irgendwann in den 70 er Jahren bringt ein junger Eisenbahner als zweiter Mann auf der Lok einen Schadwagenzug von Halberstadt nach Quedlinburg. Kaum in Quedlinburg West angekommen hat es sein Meister sehr eilig. Ein Kesselwagen für Brandwein wird zielstrebig auf das schlechteste Gleis des Bahnhofs gefahren. Schon glaubt man dass der Kesselwagen auf Grund der Gleisverwindung entgleist. Sein Meister stürmt mit einem Blecheimer zu dem Kesselwagen und fummelt daran herum. Der Jungeisenbahner schaut neugierig zu. Des Rätsels Lösung ist einfach: Warum soll der gute Schnaps beim Spülen der Behälter vor der Reparatur einfach verloren gehen. Richtig auf das Gleis gestellt lassen sich die letzten Liter herausholen und das wurde auch gemacht...