Eine Zeitreise mit Oliver Twist
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- Lena Dittmar
- vor 6 Jahren
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1 Eine Zeitreise mit Der Healthy-migrant-Effekt: Mögliche Gründe für niedrige Sterblichkeit von Migranten Prof. Dr. Oliver Razum Universität Bielefeld AG Epidemiologie & International Public Health Ein scheinbares Paradox Niedriger sozio-ökonomischer Status geht mit erhöhter Sterblichkeit einher, aber: Migranten der 1. Generation haben meist keine höhere Sterblichkeit als die Bevölkerung des Ziellandes - trotz niedrigem sozio-ökonomischem Status (und ohne Datenfehler) Relatives Sterberisiko von Migranten Herkunftsland Zielland relatives Risiko Männer Frauen China Kanada Lateinamerika USA Vietnam England Ähnliche Muster: Herzinfarkt, Brustkrebs, Magenkrebs Auswahlprozess? Modell des Healthy-worker-Effekts: Vorteil klingt nach 3-5 Jahren ab Vorteil relativ zur Herkunftsbevölkerung Mortalität Arbeiter Herkunftsbevölkerung Zeit Probleme des Modells Der Healthy-migrant-Effekt hält Jahrzehnte an Vorteil relativ zur Bevölkerung des Ziellandes Mortalität Bevölkerung Zielland Migranten Ein Gedankenexperiment und seine literarischen Genossen aus der Zeit um 1830 migrieren in das heutige England oder Deutschland Wie würde sich eine solche Migration in der Zeit auf ihr Sterberisiko auswirken? Migration Zeit Time travel with - 1
2 oder Der Weg eines Fürsorgezöglings Charles Dickens Illustrationen von G. Cruikshank Olivers Mutter (bei der Geburt verstorben) Mr Bumble, Gemeindediener niedriger Hygienestandard Lebensbedingungen Armut, Enge Zugänglichkeit/ Effektivität der medizinischen Versorgung gering Gedankenexperiment Zeitreise Migration ins heutige Deutschland oder England Auswirkungen auf die Mortalität - durch Infektionskrankheiten/ mütterliche Ursachen - durch chronische Erkrankungen (Lebensstil)? London (Gustave Doré, 1872) Müttersterblichkeit Moderne, geografisch wie finanziell gut zugängliche medizinische Versorgung von hoher Qualität: Olivers Mutter hätte wahrscheinlich überlebt Ernährung kalorienarm kein Fleisch (könnte Oliver rebellisch machen) keine zuckerhaltige Limonade Oliver möchte noch etwas mehr ausreichend Bewegung Time travel with - 2
3 Infektionskrankheiten Chronische Erkrankungen Bessere Ernährung: Little Dick wäre aufgrund gestärkter Immunabwehr evtl. gar nicht erkrankt Moderne und gut zugängliche medizinische Versorgung: Little Dick hätte seine Krankheit wahrscheinlich überlebt Bessere Hygiene: Keine Cholera-Epidemien mehr Risiko-Exposition wirkt verzögert (lag time): Olivers Risiko für koronare Herzerkrankung bleibt noch Jahrzehnte niedrig Energieaufnahme gering, Umsatz hoch: Olivers Mutter hat ein vergleichsweise geringes Brustkrebs-Risiko Tabak Rauchen schon damals aber nicht wie heute Zigaretten täglich und päckchenweise Chronische Erkrankungen Tabakkonsum niedriger, lange lag time: Der Baldowerer hat für längere Zeit ein niedrigeres Lungenkrebs-Risiko Ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit Mr Bumble macht Mrs Corney einen Antrag Exposition in der Kindheit Mr Bumble war wohlbeleibt - als Kind lebte er aber in Armut. Niedriges Geburtsgewicht, später adipös niedriger Hygienestandard Die Unfinished agenda Intrauterine Mangelentwicklung: Mr Bumble hat ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck und (hämorrhagischen) Schlaganfall Niedriger hygienischer Standard: Mr Bumble und Oliver haben ein hohes Magenkrebs-Risiko (H. pylori) Bessere medizinische Versorgung: Höhere Überlebenswahrscheinlichkeit Time travel with - 3
4 Ungleichheit Ungleichheit und Mortalität Einkommensungleichheit innerhalb einer Gesellschaft ist assoziiert mit erhöhter Sterblichkeit Verantwortlich sind strukturelle Faktoren wie eine ungleiche Verteilung von Ressourcen (Bildung!) Oliver und Zeitgenossen wären im heutigen Deutschland / England geringerer Ungleichheit ausgesetzt London (Gustave Doré, 1872) Ball im Mansion House Victoria Victoria We are not amused und Victoria erfülltes Leben und psycho-sozial gesund. Aber könnte sie sich auf die Kultur des 21. Jahrhunderts einstellen? Psychosoziale Gesundheit: Oliver wird Probleme mit seiner Mutter bekommen Das Gedankenexperiment einer Zeitreise verdeutlicht: Migration kann konzeptionell als gesundheitlicher Übergang interpretiert werden Er hat zwei Komponenten, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen Therapeutische Komponente: Sterblichkeit an behandelbaren Erkrankungen sinkt schnell Risikofaktoren-Komponente: Sterblichkeit z.b. an koronarer Herzkrankheit erreicht erst nach Jahrzehnten Niveau des Ziellandes Time travel with - 4
5 Unfinished agenda : Anhaltend hohe Sterblichkeit an Krankheiten, die mit Deprivation während der Kindheit einhergehen (z.b. Magenkrebs, Schlaganfall) Kultureller Übergang : Risiko schwerer innerfamiliärer Konflikte und psychischer Krankheit Niedrige Sterblichkeit von Migranten auch ohne Auswahleffekte (bei Migration bzw. Rückkehr) und ohne Datenfehler Migranten sind nicht per se kränker Stigmatisierung vermeiden! Ziel: Chance, gutes Leben zu führen Sterblichkeit als Maß ungeeignet (gegenüber welchem Standard?) Ausnahmen Mütter- und Säuglingssterblichkeit: ungleich = ungerecht! Voraussetzung: Migranten werden mit Achtung behandelt. Paradoxe Mortalitätsmuster spiegeln enorme gesundheitliche Ungleichheit zwischen Nationen wider Public Health muss daher auch in Herkunftsländern der Migranten ansetzen Ende Prof. Dr. med. Oliver Razum Abt. Epidemiologie & International Public Health Fakultät für Gesundheitswissenschaften Universität Bielefeld Postfach , Bielefeld Tel: + 49 (0) oliver.razum@uni-bielefeld.de Literatur: Razum O, Twardella D. Time travel with - towards an explanation for a paradoxically low mortality among recent immigrants. Trop Med Int Health 7(1):4-10. Time travel with - 5
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