Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - BRK)
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- Oldwig Meinhardt
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1 15. Jahrestagung 2011 der Leiterinnen und Leiter von Betreuungsbehörden in Erkner am 30. Mai 2011 Die UN Behindertenrechtskonvention aus der Betroffenenperspektive - Vorstellung einer inkludierenden Gesellschaft Vortrag von Klaus Lachwitz, Bundesgeschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - BRK) verabschiedet im Dezember 2006 von Deutschland ratifiziert im Dezember 2008 innerstaatliches deutsches Recht seit dem 26. März Zahlen der Vereinten Nationen: ca. 650 Mio. Menschen sind behindert. Dies entspricht etwa 10 % der Weltbevölkerung 80 % der behinderten Menschen leben in Entwicklungsländern unter den Menschen, die als arm gelten, d. h. weniger als 2 Dollar pro Tag zur Verfügung haben, gilt jeder fünfte (20 %) als behindert 3 1
2 Inzwischen haben 100 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Behindertenrechtskonvention ratifiziert, davon allerdings 18 unter Vorbehalt gemäß Art. 46 BRK bzw. unter Hinterlegung einer Interpretative Declaration. Dazu zählen u.a. Australien, Frankreich, Kanada und die Niederlande 4 Die Behindertenrechtskonvention ist die Antwort der Weltgemeinschaft auf die jahrhunderte alte Tradition, Menschen mit Behinderungen aus überwiegend medizinischer Perspektive als Menschen mit Defiziten, als Problemfälle, nicht als Träger von Rechten und gleichberechtigte Bürger zu beschreiben. 5 Weltweit haben sich behinderte Menschen und ihre Interessenvertreter gegen diese Betrachtung zur Wehr gesetzt. In einem langen Prozess, der insbesondere in der Dekade der UN für Menschen mit Behinderungen (1980 bis 1990) angeschoben wurde, haben behinderte Menschen und ihre Interessenvertreter aus aller Welt den Nachweis führen können, dass es notwendig ist, die allgemeinen Menschenrechte aus ihrer Perspektive zu beschreiben. 6 2
3 Die zentrale Forderung lautete: Weg von einem defizitorientierten Behinderungsbegriff und einer statischen Festschreibung des behinderten Menschen ; hin zur Anerkennung aller behinderten Menschen als vollwertige Bürger und Inhaber aller Menschenrechte 7 Die Entstehungsgeschichte der Behindertenrechtskonvention (BRK) 8 Die Behindertenrechtskonvention ist mehr als ein Völkerrechtsvertrag Sie ist auch das Ergebnis eines fast 3jährigen Austauschs (Januar 2004 Dezember 2006) von Fakten und Meinungen unterschiedlich behinderter Menschen aus aller Welt und insoweit ein Erfahrungsschatz und eine Vision behinderter Menschen in der Terminologie des Völkerrechts 9 3
4 Im Januar 2004 trafen in New York 14 Tage lang Diplomaten der Vereinten Nationen und Regierungsdelegationen mit behinderten Menschen der weltweit organisierten und weltweit tätigen Weltbehindertenverbände (World Blind Union, World Deaf Federation, Inclusion International, Network of the Survivors of Psychiatry etc.) zusammen, um die Behindertenrechtskonvention zu entwerfen. 10 Spontan bildete sich unter den Vertreterinnen und Vertretern der Organisationen behinderter Menschen ein International Disability Caucus. Tag und Nacht wurde getagt und verhandelt. Jeden Vormittag wurden zu den einzelnen Menschenrechten Textvorschläge vorgestellt. Alle Formulierungen gründeten auf Erfahrungsberichten und Beispielen behinderter Menschen. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen spielten nur eine untergeordnete Rolle. 11 Schon knapp drei Jahre später im Dezember 2006 wurde die Behindertenrechtskonvention (BRK) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Niemals zuvor ist es gelungen, ein UN Human Rights Instrument so schnell durch die Gremien der UN zu bringen wie die BRK! 12 4
5 Der Gedanke der Selbstbestimmung und der Inklusion durchzieht die BRK wie ein roter Faden: Der behinderte Mensch soll selbst entscheiden und auswählen dürfen, und er soll das Recht und die Möglichkeit haben, von Anfang an mitten in der Gesellschaft zu leben, beschult zu werden, zu wohnen, zu arbeiten usw. Jede Form der Institutionalisierung oder Sonderbehandlung wird abgelehnt, wenn sie nicht ausdrücklich gewünscht wird. 13 Menschen mit Behinderungen sind nicht länger Objekte der Fürsorge, sondern Subjekte der Teilhabe (Inklusion) McKay, Neuseeland, Vorsitzender des UN-ad-hoc-Komittees der Vereinten Nationen für die Behindertenrechtskonvention 14 Die wichtigsten Ziele der Behindertenrechtskonvention: uneingeschränkte Bürgerrechte für alle Menschen mit Behinderungen (Status als vollwertige und gleichberechtigte Bürger der jeweiligen Gesellschaft) Selbstbestimmung und Autonomie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in der Form von Inklusion 15 5
6 Barrierefreiheit und Nachteilsausgleich Schutz vor Diskriminierung Deinstitutionalisierung 16 Behinderung wird nicht länger als Defizit angesehen, sondern in der Präambel wie folgt definiert: Das Verständnis von Behinderung entwickelt sich ständig weiter. Behinderung entsteht aus einer Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. 17 Damit können sich Menschen mit Behinderung auf das unveräußerliche Recht zur Wahrung der Menschenwürde, auf das Recht auf Selbstbestimmung, auf den Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung unabhängig von Art und Ausmaß der Behinderung und auf die Solidarität der Gesellschaft berufen. 18 6
7 Selbstbestimmung auf der Grundlage der UN- Behindertenrechtskonvention ist ein Menschenrecht, das die Freiheit umfasst, eigene Entscheidungen zu treffen (Präambel n) und Art. 3 a), sich auf die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde und seine individuelle Autonomie stützt (3 a). 19 aus der allgemeinen Handlungsfreiheit ableitet (Art. 12), keinen Menschen aufgrund der Art und des Ausmaßes seiner Behinderung ausschließt (Präambel j), Art. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2, die Unterschiedlichkeit von Menschen beachtet (Art. 3 d), 20 und den Menschen mit Behinderungen, die zur Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung Unterstützung (Assistenz) benötigen, entsprechend Hilfe anbietet. 21 7
8 Die Behindertenrechtskonvention ist ein Völkerrechtsvertrag und damit ein Rechtsdokument. Die Vereinten Nationen haben die Konvention jedoch auch als Policy Paper bezeichnet. 22 Diese Einschätzung stützt sich u.a. auf Art. 4 Abs. 1 c) BRK Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen. 23 Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP will dieser Verpflichtung Rechnung tragen und hat im Koalitionsvertrag angekündigt, dass alle Gesetze, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, künftig an der Behindertenrechtskonvention zu messen sind. 24 8
9 Sie hat außerdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragt, in Abstimmung mit den anderen Bundesministerien und den Bundesländern einen Nationalen Aktiosplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention (NAP) zu erarbeiten. 25 Zusätzlich heißt es in Art. 4 Abs. 3: Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein. 26 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat einen Ausschuss eingesetzt, der die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention begleitet. Diesem Ausschuss gehören u.a. Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates (DBR) an. 27 9
10 Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen hat einen Inklusionsbeirat eingesetzt, der sich aus Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zusammensetzt und den mit dem Nationalen Aktionsplan in Gang gesetzten Umsetzungsprozess der Behindertenrechtskonvention beeinflussen und überprüfen soll. 28 Aktivitäten auf internationaler Ebene: Bislang fünf Sitzungen des Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 34 BRK) im erweiterten Kreis von 18 Expertinnen und Experten aus aller Welt. Erste offizielle Äußerung des Fachausschusses zum Staatenbericht Tunesiens 29 Hauptaufgabe des Fachausschusses: Die Entwicklung und Verabschiedung von General Comments zu den einzelnen Menschenrechten der BRK Kritische Auseinandersetzung mit den Staatenberichten der Vertragsstaaten Entgegennahme von Beschwerden von Individuen nach Maßgabe des Fakultativprotokolls zur BRK 30 10
11 Gründung der International Disability Alliance (IDA) durch die Weltverbände der Organisationen für Menschen mit Behinderungen mit Sitz in Genf und in New York und faktische Anerkennung der IDA als offizieller Gesprächspartner und wichtiger Informant des UN Fachausschusses (Art.34 BRK). 31 Anfertigung von Alternativberichten (Schattenberichten) durch nationale und internationale Behindertenorganisationen, Human Rights Organisations, Human Rights Commissions und Human Rights Institutes zur Information und Einflussnahme auf den Fachausschuss (Art. 34 BRK). 32 Besondere Aktivitäten in Deutschland: Erarbeitung einer nationalen Interpretation der Behindertenrechtskonvention: Beispiel: Denkschrift der Bundesregierung zur Behindertenrechtskonvention (BT-Drs.16/10808) 33 11
12 Innerstaatliche Durchführung und Überwachung (Monitoring) Art. 33 BRK: - Einrichtung einer Anlaufstelle (sog.focul Point) in Ministerien und Behörden - Schaffung von unabhängigen Mechanismen zur Überwachung der Umsetzung der BRK (Beispiel: Berufung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Berlin, zur offiziellen Kontrollstelle ) - Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Überwachungsprozess 34 Hinweise auf einige wichtige Artikel in der Behindertenrechtskonvention aus der Sicht von Menschen mit geistiger Behinderung: 35 Art. 24 Bildung (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives (inklusives) Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen
13 Art. 24 Bildung (2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; 37 Art. 4 (Abs. 2): Allgemeine Verpflichtungen Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. 38 Inklusive Bildung i.s. des Art. 24 BRK ist ein kulturelles und soziales Recht gemäß Art. 4 Abs. 2 BRK und legt den Vertragsstaaten somit die Verpflichtung zur schrittweisen Verwirklichung im Rahmen zur Verfügung stehender finanzieller Mittel auf (sog. Progressionsvorbehalt)
14 Auch kulturelle, wirtschaftliche und soziale Rechte i.s. des Art. 4 Abs.2 BRK müssen jedoch sofort umgesetzt werden, wenn die Verweigerung der Umsetzung den Tatbestand der Diskriminierung i.s. des internationalen Völkerrechts erfüllt. 40 Die Ablehnung einer staatlichen Schulbehörde, ein behindertes Kind in die Grundschule aufzunehmen, kann im Einzelfall eine Diskriminierung i. S. d. Art. 4 Abs. 1, Art. 5 BRK sein, denn die Verweigerung, sog. angemessene Vorkehrungen (reasonable accomodations) zu treffen, um einem behinderten Kind den Grundschulbesuch zu ermöglichen, kann das Prinzip der Nichtdiskriminierung verletzen. 41 Entmündigungen oder Anordnungen von gesetzlicher Vertretung durch Dritte, die zur Folge haben, dass Menschen mit Behinderungen ganz oder teilweise als geschäftsunfähig gelten, sind mit dem Recht auf Selbstbestimmung (Art.1 und Art.2 BRK) unvereinbar. Dies folgt aus Art. 12 BRK
15 Art. 12 (2) Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und H a n d l u n g s f ä h i k e i t genießen 43 Art. 12 (3) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der U n t e r s t ü t z u n g zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen. 44 Das deutsche Betreuungsrecht ( 1896 ff. Bürgerliches Gesetzbuch BGB) enthält Elemente der rechtlichen Vertretung, die die rechtliche Handlungsfähigkeit eines Menschen mit Behinderungen beeinträchtigen (Beispiel: Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach 1903 BGB). Das Betreuungsrecht und seine Praxis gehören deshalb auf den Prüfstand! 45 15
16 Art. 14 (Freiheit und Sicherheit der Person) (1 b) Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Freiheit nicht rechtswidrig und willkürlich entzogen wird und dass das Vorliegen einer Behinderung in k e i ne m F a l l eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. 46 Die Zahl von Unterbringungen in geschlossenen Einrichtungen gemäß 1906 BGB bzw. nach Maßgabe der Unterbringungsgesetze (PsychKGs) der Bundesländer hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies gilt auch für Fixierungen und Medikamentenvergaben gemäß 1906 Abs.4 BGB, die Menschen in ihrer Freiheit beeinträchtigen. Auch diese Vorschriften gehören auf den Prüfstand! 47 Art. 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit g l e i c h e n W a h l m ö g l i c h- k e i t e n wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben 48 16
17 Die Vertragsstaaten treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den Genuss dieses Rechts zu erleichtern, indem sie gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben möchten und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. 49 Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass b) Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause haben,. einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft notwendig ist. 50 Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass c) gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen
18 Fasst man den Inhalt des Art. 19 zusammen und versucht man ihn in ein sozialpolitisches Programm umzusetzen, so zeigt sich eine Vielfalt von Pflichten/Anregungen für die künftige Sozialgesetzgebung: 1. Leben und Wohnen behinderter Menschen unabhängig von Art und Ausmaß der Behinderung in der Normalität, d. h. in Wohnungen und Häusern mitten in der Gemeinde, 2. Barrierefreie Sozialraumgestaltung, die behinderten Menschen eine unabhängige Lebensführung in der gemeinde ermöglicht, 3. Hilfe und Schutz durch persönliche Assistenz 4. Behindertengerechte Angebote und Dienstleistungen aller Art 52 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 53 18
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