Zur Situation von Kindern psychisch kranker Eltern

Transkript

1 Zur Situation von Kindern psychisch kranker Eltern Vortrag am Fachtag Kinder psychisch kranker Eltern am von Gabriele Blechta 1

2 Erfahrungen von Kindern psychisch kranker Eltern I Vertrauensverlust Rücksichtnahme Normales Verhalten von anderen lernen Verunsicherung Angst Schweigegebot Ausgrenzung Rollentausch (Parentifizierung) 2

3 Erfahrungen von Kindern psychisch kranker Eltern II Keine Unbeschwertheit, nicht Kind sein dürfen Eingeschränkte Freizeit- und Kontaktmöglichkeiten Verantwortung für Eltern, Ehe, Familienfrieden Unberechenbarkeit Alles, was man tut, kann falsch sein Wachsam sein für gute und schlechte Phasen Familienzusammenhalt durch Krankheit gestärkt 3

4 Wie viele Kinder sind von psychischer Erkrankung der Eltern betroffen? Geschätzt erleben ca. 3 Mio. Kinder im Laufe eines Jahres einen psychisch erkrankten Elternteil Zu einem beliebigen Zeitpunkt leben Kinder in Deutschland bei einem Elternteil, der sich in psychiatrisch-psychosozialer Behandlung befindet (Schweizer Studie 2007) Kinder erleben im Jahr die stationäre psychiatrische Behandlung eines Elternteils wegen einer psychischen Erkrankung Ungenutzte Behandlungsmöglichkeiten wegen: Stigmatisierung und Tabuisierung Angst vor Verlust des Sorgerechts 4

5 Risiko für Kinder psychisch kranker Eltern, selbst eine psychische Störung zu entwickeln Bis zu 60% der Kinder entwickeln eine psychische Auffälligkeit oder Störung, z.b. Konzentrations- und Leistungsprobleme Soziale Ausgrenzung Ängstlichkeit Konflikte mit Betreuungspersonen Überaktivität Schlafstörungen Nägelkauen Einnässen Kontaktprobleme 5

6 Psychiatrisches Erkrankungsrisiko hoch Risiko, die gleiche psychiatrische Erkrankung zu bekommen wie der Elternteil, ist relativ niedrig (ca. 10%) Genetisch und Umweltfaktoren sind etwa gleichbedeutend Umweltfaktoren, die zum Auftreten einer psychischen Erkrankung beitragen, finden sich gehäuft in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil 6

7 Relevante Umweltfaktoren I Niedriger sozioökonomischer Status und Armut Arbeitslosigkeit in der Familie Beengte Wohnverhältnisse Sexueller Missbrauch Misshandlungen Disharmonie zwischen den Eltern 7

8 Relevante Umweltfaktoren II Scheidung oder Trennung der Eltern Betreuung durch einen alleinerziehenden Elternteil Verlust wichtiger Bezugspersonen, insb. der Mutter Häufige oder längere Trennung von den Eltern in den ersten sieben Lebensjahren nach Mattejat (2008) 8

9 Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf die Kinder Direkte Auswirkungen bestehen in: Einschränkungen des Erziehungsverhaltens(z.B. durch Denkstörungen, abrupte Stimmungswechsel, wenig Einfühlsamkeit, Unberechenbarkeit, Feindseligkeit, wenig Interesse, Einbezug in Wahnsysteme) Trennungen von dem Elternteil Dauer und Schweregrad der Erkrankung Rückfallhäufigkeit/symptomfreie Phasen 9

10 Mütterliche Erkrankung scheinbar gravierender Alter: je älter das Kind, desto deutlicher sind die Folgen Geschlecht: Mädchen werden oft von Müttern stärker in das Krankheitsgeschehen einbezogen Intelligenz: unterschiedliche Aussagen Indirekte Auswirkungen: Häufung psychosozialer Belastungsfaktoren 10

11 Schutzfaktoren Zwei Faktorenkomplexe nach Mattejat (2008): Stabile, tragfähige und Sicherheit vermittelnde interpersonale Beziehungen Adäquate Krankheitsbewältigung (innere Einstellung zur Krankheit, Bewältigungsformen) 11

12 Schutzfakoren im einzelnen (Lenz 2005; Mattejat 2008) Altersadäquate Aufklärung über die Erkrankung Wissen, nicht schuld daran zu sein konstruktiver Umgang des erkrankten Elternteils mit seinem Leiden Stabiles Familienklima trotz der Belastungen Gefühl, vom erkrankten Elternteil geliebt zu werden 12

13 Sichere Bindung an einen gesunden Erwachsenen Freunde Interesse an Schule und Schulerfolg Positives Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit Soziale Problemlösefähigkeiten Geeignete Hilfe von außen 13

14 Elternschaft und psychische Erkrankung Psychisch kranke Eltern sind keine Randgruppe Angst, das Sorgerecht zu verlieren Wunsch nach Unterstützung bei der Aufklärung der Kinder über die Erkrankung, in der Erziehung und Aufrechterhaltung der Beziehung zu den Kindern Kinder werden von Eltern oft als auffällig und mit Hilfebedarf eingeschätzt 14

15 Wie erleben die Kinder ihre Situation? Desorientierung Schuldgefühle Tabuisierung Isolation Betreuungsdefizit 15

16 Zusatzbelastungen Parentifizierung Abwertungserlebnisse von außen Loyalitätskonflikte innerhalb der Familie Loyalitätskonflikte außerhalb der Familie Mattejat (2008) 16

17 Ergebnisse der Kinderbefragung einer Studie (Lenz 2005) Eigene, kritische Sichtweise ab 7 Jahren Sensible Beobachter der Eltern (Frühwarnzeichen) Trennungsängste Angst vor Krankheitsverschlimmerung und Suizid Resignation 17

18 Wut Angst vor eigener Erkrankung Schuldgefühle Gefühle von Leere und Alleinsein (während des Klinikaufenthalts der Mutter) Krankheitsursachen werden psychosozialen Belastungen zugeschrieben 18

19 Was erleben Kinder als hilfreich? Offene, ehrliche Antworten Einbezug in die Behandlung des Elternteils Kontakt- und Austauschmöglichkeiten in Gruppen Aufklärung der Öffentlichkeit über psychische Krankheiten 19

20 Hilfen durch Fachleute I Kindbezogene Information und Beratung für Eltern Entwicklungsförderung für die Kinder Adäquater Einbezug der Kinder in die Behandlung des Elternteils Stärkung sozialer Ressoucen der Familie Praktische Hilfen (SPFH, Kinderbetreuung, erweiterte Familie) 20

21 Hilfen durch Fachleute II Stärkung personaler Schutzfaktoren, wie: Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit Erstellung eines Krisenplans Förderung der Problemlösekompetenz 21

22 Hilfen durch Fachleute III Aktivierung familiärer und sozialer Schutzfaktoren Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen Netzwerkkonferenzen Gruppenkonzepte 22

23 Was können die Eltern tun? Darauf achten, wie es ihnen selbst geht Probleme der Kinder richtig einordnen Sicherheit gewinnen Unterstützung von Einrichtungen und Ämtern bei organisatorischen Fragen annehmen Kontakte der Kinder zu anderen Vertrauenspersonen unterstützen Aufklärung der Kinder über die Krankheit 23

24 Hilfe für betroffene Kinder heißt: Sie anhören, ihnen zuhören Ihre Fragen beantworten, sie an Lösungen beteiligen Ihren kindlichen Bedürfnissen Geltung verschaffen Ihnen altersgemäße Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen Ihnen Spiel-Raum verschaffen im Herzen wie im Haus Die Eltern unterstützen, den Kindern den Raum (wieder) zu geben (S. Heim, in Mattejat 2008, S.63) 24

25 Literatur I Lenz, Albert (2005); Kinder psychisch kranker Eltern; Hogrefe Lenz, Albert (2008); Interventionen bei Kindern psychisch kranker Eltern; Hogrefe Mattejat, Fritz & Lisofsky, Beate (Hg.) 2008; Nicht von schlechten Eltern; Balance Riedel Klaus,(2008); Empathie bei Kinder psychisch kranker Eltern; GwG-Verlag Schrappe, Andreas (2008);Kinder psychisch erkrankter Eltern; Erziehungsberatung aktuell, LAG Bayern 25

26 Literatur II Kinderschutzforum 2004, RisikoKindheit: Meine Eltern sind anders; Die Kinderschutz-Zentren Die Kinderschutz-Zentren, 2008; In Beziehung kommen Kindeswohlgefährdung als Herausforderung zur Gemeinsamkeit Homeier Schirin (2006), Sonnige Traurigtage, Mabuse-Verlag 26

27 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 27