Soziale Sicherung auf dem Prüfstand Stimmt die Balance zwischen Fördern F Fordern?



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Soziale Sicherung auf dem Prüfstand Stimmt die Balance zwischen Fördern F und Fordern? Hans-Werner Sinn 9. Oktober 2008

Armut und Armutsgefährdung Der Einfluss der Arbeitslosigkeit Das deutsche Jobwunder und die Agenda 2010 Der alte Mindestlohn Der neue Mindestlohn Schlussfolgerung

Armut und Armutsgefährdung

ist armutsgefährdet. Jeder Achte lebt in Armut. Olaf Scholz zum 3. Armutsbericht der Bundesregierung, BamS, 18. 5. 2008

Begriffsbestimmung (Statistisches Bundesamt, Eurostat) Armut (2005 4%) weniger als 40% des bedarfsgewichteten mittleren Äquivalenzeinkommens Armutsgefährdung (2005 13%) weniger als 60% des bedarfsgewichteten mittleren Äquivalenzeinkommens

Größenordnung (Monatseinkommen 2005 in Euro) Single (1301) Ehepaar mit 2 Kindern (2733) arm < 520 < 1093 armutsgefährdet < 781 < 1640

Anteil der Armutsgefährdeten vor und nach staatlicher Umverteilung (in %) vor Sozialtransfers nach Sozialtransfers 17 20 21 22 22 22 23 24 24 24 24 24 25 25 25 25 26 26 26 27 27 28 28 29 29 29 30 30 33 12 12 23 23 21 20 20 20 20 20 20 20 20 19 19 19 19 19 19 18 18 18 18 18 18 16 16 16 16 16 16 15 15 14 14 14 14 14 14 13 13 13 13 13 13 13 13 12 12 12 12 12 12 10 10 10 10 Bulgarien Slowakei Niederlande Tschechien Malta Zypern Griechenland Slowenien Luxemburg Rumänien Spanien Italien Frankreich Österreich Estland Portugal EU25 EU15 Belgien Litauen Dänemark Lettland Schweden Finnland Polen Ungarn Großbritannien Irland Lettland Griechenland Großbritannien Spanien Italien Litauen Portugal Polen Rumänien EU15 Estland Irland Zypern Ungarn EU25 Belgien Bulgarien Luxemburg Malta Deutschland Frankreich Österreich Finnland Dänemark Slowenien Slowakei Schweden Tschechien Niederlande Deutschland Platz 17 Platz 10

Relative Verringerung des Anteils der Armutsgefährdeten im Jahr 2005 durch Sozialleistungen* in % Schweden Dänemark Finnland Tschechien Niederlande Deutschland Slowenien Österreich Frankreich Ungarn Irland Belgien Luxemburg Slowakei EU 25 Großbritannien Malta Polen Portugal Estland Zypern Litauen Rumänien Lettland Bulgarien Italien Spanien Griechenland Quelle: Eurostat; ifo. 8,7 20,8 17,9 17,6 16,7 16,7 28,0 28,0 27,3 25,9 58,6 57,1 55,2 54,5 52,4 50,0 50,0 48,0 48,0 46,7 45,5 44,4 41,7 40,0 38,5 36,7 36,4 34,5 * Renten sind in den Sozialleistungen nicht enthalten. 0 10 20 30 40 50 60 70

Der Einfluss der Arbeitslosigkeit

Wer ist von Armut bedroht? (Quote in %, 2005) 43 12 15 12 13 13 6 West Ost bis 15 Jahre ab 65 Jahre Erwerbstätige Arbeitslose * Anteil der Personen in Privathaushalten deren Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des Mittelwerts aller Personen beträgt. Quelle: Armutsbericht der Bundesregierung. Gesamt

Arbeitslosigkeit in Deutschland 2001 3,9 Mill. 2005 4,9 Mill. 2008 3,3 Mill.

Der Armutsbericht enthält veraltete Zahlen, die aus dem Jahr der maximalen Arbeitslosigkeit der Bundesrepublik Deutschland stammen.

Das deutsche Jobwunder und die Agenda 2010

5,0 Entwicklung der Arbeitslosigkeit 1970 2008 Millionen Personen 1,1 Millionen 4,5 4,0 3,5 3,0 neue Jobs durch die Agenda 2010 2005 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Westdeutschland inkl. Westberlin Trend 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 800 Tsd. 800 Tsd. -300 Tsd. 800 Tsd. Quelle: Bundesagentur für Arbeit; 2008 und 2009: Schätzung des ifo Instituts (Juni 2008); Aufteilung von Berlin: ab 2001 Schätzungen des ifo Instituts. 24. Juni, 2008

Woher kam der Erfolg?

Der alte Mindestlohn

Der alte Sozialstaat: Geld für s Wegbleiben erzeugt impliziten Mindestlohn.

Sozialstaat Private Wirtschaft

Steigerung 1970 2004 219% 292% Nettolohn Sozialhilfesatz

+ Arbeitslosenhilfe + Frührente

Der neue Sozialstaat: Mehr Geld für s Mitmachen, weniger für s Wegbleiben.

Die Agenda 2010 senkt den Mindestlohn... Mindestlohn = Lohnersatz./. Lohnzuschuss 1,3 Mio. Aufstocker 1,1 Mio. mehr Stellen im Westen allein Abschaffung der Arbeitslosenhilfe

... und sie senkt den Anteil der Armutsgefährdeten.

910 781 700 Vollzeitbeschäftigung 4 je Stunde + Aufstockung Armutsgefährdungsgrenze Hartz IV (Sozialhilfe) 520 Armutsgrenze 2005

Anteil der Armutsgefährdeten (%) 24 22 20 18 Ostdeutschland 16 14 12 10 Westdeutschland 8 6 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 Quelle: DIW (Sozioökonomisches Panel). 2. Oktober, 2008

64 Mittelschicht 1) Anteil an der Bevölkerung in % 62 60 58 56 54 52 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 1) Personen, deren bedarfsgewichtetes Äquivalenzeinkommen zwischen 70% und 150% des mittleren Einkommens (Median) liegt. Quelle: DIW (Sozioökonomisches Panel). 2. Oktober, 2008

Der neue Mindestlohn

Jeder muss von seiner Hände Arbeit leben können. Klaus Zumwinkel

Von einem Mindestlohn, den man nicht bekommt, kann man nicht leben.

Wie viele Jobs gehen durch gesetzlichen Mindestlohn verloren?

Häufigkeitsdichte 7 6 5 4 3 2 1 Beschäftigungsverluste durch den Mindestlohn (2001) 7,50 Jobverluste West: 0,8 Mill. = 3,1% Jobverluste Ost: 0,3 Mill. = 6,4% 1,1 Millionen Westen: 26.1 Mill. Jobs in der Privatwirtschaft neue Arbeitslose + Agenda - Jobs? Osten: 4.7 Mill. Jobs in der Privatwirtschaft 0 <,50 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 Bruttolohn (Euro je Stunde) 12. Dezember, 2007

Mindestlohn oder neoliberale Kälte? Mindesteinkommen statt Mindestlohn: Lohnzuschüsse

Jeder muss von seiner Hände Arbeit leben können. Oder: Jeder, der will, muss arbeiten können und dann genug zum Leben haben.

Aber der Mitnahmeeffekt...

Andere Länder?

Kosten für den Staat? Statt Arbeitslose komplett zu bezahlen, könnte es billiger sein, Beschäftigte zu bezuschussen.

Kosten der Arbeitslosigkeit 2007 60 Mrd. Euro Kosten der Aufstockung 8-9 Mrd. Euro

Der Staat sollte noch mehr für s Mitmachen bezahlen, damit er noch weniger für s Wegbleiben bezahlen muss.

Schlussfolgerungen Armutsbericht operiert mit veralteten Zahlen. Agenda 2010 hat deutschen Mindestlohn gesenkt. Agenda 2010 hat deshalb Jobwunder geschaffen. Agenda 2010 hat den Anteil der Armutsgefährdeten dramatisch gesenkt. Mindesteinkommen statt Mindestlöhne!