Lehrertypen. Die Altruisten. Ein Beispiel: Äußere Erscheinung. Berufliches Verhalten. Kontakt mit den Kollegen

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Lehrertypen / Die Altruisten Lehrertypen Die Altruisten Ihr auffälligstes Wesensmerkmal ist ihre Selbstlosigkeit und ihr voller Einsatz für das Wohlergehen anderer. Ihr Verhalten steht in krassem Gegensatz zum Egoismus mancher ihrer Kollegen. Ein Beispiel: Äußere Erscheinung Gabriele K., 35, Hauptschullehrerin, wirkt durch ihr Äußeres unscheinbar; ihr farbloses Gesicht und ihr eher ungepflegtes Haar stehen in Einklang mit der schlichten, eintönigen Kleidung, die mehr auf Haltbarkeit als auf modische Aspekte ausgerichtet ist. Berufliches Verhalten Gabriele lebt nur für ihren Beruf. Sie betritt zeitig in der Früh das Schulhaus und bereitet sich gründlich auf jede Stunde vor. Ihr Unterrichtsfach ist ihr wichtig; sie hofft aber darüber hinaus, den Schülern nicht nur Wissen, sondern auch wesentliche charakterliche Qualitäten wie Arbeitseifer und Genauigkeit weitergeben zu können. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt einer Schülerin, die in schwierigen sozialen Verhältnissen lebt und deren Begabung sie mit allen Mitteln fördern will. Wenn ihr Schützling eine gute Note bekommt, freut sie sich fast mehr als das Kind selbst, und jeder Misserfolg ist auch für sie eine schwere Enttäuschung. Die Versuche der 13-Jährigen, ihre äußere Erscheinung durch einen hübschen Haarschnitt zu verbessern, quittiert sie mit freudigem Lob, und sie beobachtet mit stiller Freude das Heranreifen des hübschen Mädchens, dessen Schicksal sie weit über die Schulzeit hinaus verfolgen wird. Kontakt mit den Kollegen Gabrieles Kontakt mit ihren Kollegen beschränkt sich hauptsächlich auf schulische Belange. Geht es um ein Kind ihrer Klasse, setzt sie sich voll dafür ein. 33

Privatleben und Freizeit Ihre Freizeit widmet Gabriele zum Teil der schulischen Vorbereitung, ansonsten arbeitet sie in ihrer Pfarre als Heimstundenleiterin mit. Sonntags fährt sie entweder zu ihren Eltern, die 30 km von ihrem Wohnort entfernt leben, oder sie unternimmt Wanderungen mit einer etwas älteren, ebenfalls alleinstehenden Freundin; häufig dienen solche Ausflüge der Vorbereitung von Schulwandertagen. Vorgeschichte Gabrieles um zwei Jahre ältere Schwester ist vor der Reifeprüfung durch einen Unfall ums Leben gekommen. Weder die Mutter noch der Vater, dessen erklärter Liebling die ältere Tochter war, konnten den Verlust ganz überwinden. Gabriele hatte mit ihrer hübscheren Schwester immer stark rivalisiert und versucht, sie nachzuahmen. Nach dem Unglück wurde Gabriele stiller, achtete immer weniger auf ihr Aussehen und zog die kürzere Ausbildung zur Hauptschullehrerin dem vorher geplanten Hochschulstudium vor. Unbewusste Motivation für den Lehrberuf Unsere Frage ist nun, inwiefern Gabriele durch die Wahl und Ausübung ihres Berufs unbewusste Wünsche erfüllt. Offensichtlich erlebt sie große Befriedigung in der Bemühung, dem ihr besonders bedürftig erscheinenden Mädchen zu einer positiven Entwicklung zu verhelfen. Sie hat ihre eigenen Wünsche, ihre geistigen Möglichkeiten und ihre körperliche Attraktivität zu entfalten, an ihre Schülerin abgetreten und strebt nur mehr die Befriedigung dieser Wünsche an, die sie auf einen oder mehrere andere Menschen verschoben hat. Dafür vermag sie sich voll einzusetzen, nötigenfalls sogar auf aggressive Weise. Sie selbst hat ihre eigenen Ziele aufgegeben, als die beneidete Schwester verunglückte. Ihre unbewussten Schuldgefühle (so als hätte sie den Tod der Rivalin verursacht) veranlassen sie, sich intensiv um andere zu kümmern und auf die eigene Entfaltung zu verzichten. Damit erfüllt sie ein unbewusstes Strafbedürfnis. Gleichzeitig gelingt es ihr auf diese Weise leichter, die Enttäuschung über sich selbst zu überwinden, denn in dem Rausch des Helfens erlebt sie sich als mächtig und erfolgreich. Verallgemeinernd können wir festhalten, dass Altruismus immer dann entstehen wird, wenn die Erfüllung eigener Wünsche aus irgendeinem Grund als schuldhaft erlebt wird. 34

Lehrertypen / Die Altruisten Kontakt mit den Schülern Man könnte meinen, dass es für Schüler ein großes Glück bedeute, einem altruistischen Lehrer zu begegnen. Sicher kann die intensive Bemühung oft förderlich sein, doch besteht die Gefahr, dass Altruisten gerade das für ihre Schützlinge anstreben, was ihren eigenen Bedürfnissen entspricht, nicht aber in realistischer Weise den Möglichkeiten der Heranwachsenden Rechnung trägt. Es ist das gleiche Risiko, das bei so vielen Eltern vorliegt, die das Beste für ihr Kind wollen und doch seiner Persönlichkeit Gewalt antun, indem sie zu aktiv sein Leben bestimmen und seine eigenen Wünsche einfach nicht wahrnehmen. Ein weiterer Nachteil für die Schüler ist, dass Altruisten meist wenig geeignete Identifikationsobjekte darstellen. Während der Reifezeit besteht ein intensiver Drang, sich mit Erwachsenen zu identifizieren, die als stark und imponierend empfunden werden. Das ist aber bei Lehrern, die ihre persönlichen Neigungen ebenso wie ihr Äußeres vernachlässigen, selten der Fall. Außerdem spüren viele Kinder und Jugendliche den Unterschied zwischen Echtheit und Spontaneität einer reifen Persönlichkeit und der eher verzweifelten Notlösung eines resignierten Erwachsenen. Kontakt mit den Eltern Manche Eltern loben den Idealismus von Gabriele K. und bedauern, dass sie unter den Lehrern ihrer Kinder eine rühmenswerte Ausnahme ist. Andere empfinden es als lästige Einmischung, dass sie sich nicht nur um schulische Belange kümmert, sondern ihre Nase zu viel in die persönlichen Angelegenheiten der Familien steckt. Bisweilen fallen auch verächtliche Bemerkungen, dass ihr überdurchschnittlicher Einsatz auf ihr spärliches oder unbefriedigendes Privatleben zurückzuführen sei. Etliche Mütter und Väter sind zurückhaltender, da sie sich nicht berechtigt fühlen, über die Lehrerin Urteile zu fällen, die mit ihrer beruflichen Arbeit wenig zu tun haben; sie kümmern sich selbst genügend um ihre Kinder, sodass sich Gabriele ohnehin kaum genötigt sieht, zu viel einzugreifen, und was ihnen von ihr an Beobachtungen oder Ratschlägen in Sprechstunden mitgeteilt wird, überlegen und besprechen sie gründlich und finden manchmal ihre Unterstützung in der Erziehungsaufgabe durchaus verwertbar. Altruisten vermitteln durch ihre Haltung, dass eigene Wünsche verleugnet werden müssen und deren Befriedigung nur dann erlaubt ist, wenn sie an anderen vollzogen wird. Mangelnde Selbsterkenntnis schadet ihnen selbst und macht sie 35

auch als Vorbild fragwürdig. Außerdem besteht die latente Gefahr, dass die positive Zuwendung zu Schülern in Neid umschlägt, sobald diese selbst zur Verwirklichung eigener Bedürfnisse gelangen. Eine überzeugende, bewusste Gestaltung des eigenen Lebens fehlt. Das Problem altruistischer Lehrer besteht also darin, dass sie die eigenen Wünsche und Bedürfnisse aufgrund von Schuldgefühlen nicht anerkennen können. Wäre es ihnen möglich, das Schuldgefühl zu erkennen und zu überwinden, könnte an die Stelle von Verleugnung eine realitätsangepasste Befriedigung von Wünschen treten. Die Überfürsorglichen Sie behandeln ihre Schüler und auch andere Mitmenschen mit übertriebener Fürsorge, welche die Fähigkeit jener, selbst für sich zu sorgen, in Abrede stellt und sie auch in keiner Weise wecken möchte. Von den Altruisten unterscheiden sie sich dadurch, dass ihr Verhalten weniger einer selbstlosen Aufopferung als einem aggressiv gefärbten Eingreifen in das Leben anderer gleichkommt. Ein Beispiel: Äußere Erscheinung Käthe A. unterrichtet seit mehr als zwanzig Jahren am Gymnasium Deutsch und Handarbeiten. Sie ist leicht übergewichtig, was ihrem Aussehen etwas Matronenhaftes verleiht. Sie ist immer ordentlich, wenn auch ein wenig altmodisch gekleidet. Verwendet sie zu besonderen Anlässen behutsam einen Lippenstift, so wischt sie seine Spuren sogleich wieder unbeholfen weg, als hätte sie sich bei einer Jugendtorheit ertappt. Berufliches Verhalten Die jüngeren Schüler pflegen ihr in den ersten Monaten während der Umstellung von der Volksschule auf das Gymnasium nachzulaufen, weil Käthe A. wie eine Gluckhenne ihre Flügel um die ängstlichen Küken breitet. Sie hört sich jede Petzerei mit ernster Miene an und rügt den verklagten Übeltäter. In ihrer 36

Lehrertypen / Die Überfürsorglichen eigenen Klasse verwendet sie alle 14 Tage eine Stunde dafür, den Schülern andere Plätze zuzuweisen, um die jeweils besten Möglichkeiten gegenseitiger Beeinflussung zu erzielen. Im Handarbeitsunterricht leidet sie sichtlich unter der Ungeschicklichkeit der Mädchen und pflegt ihnen die Arbeit aus der Hand zu nehmen, um sie seufzend zu verbessern. Auch in Deutsch sieht sie sich meist genötigt, die Ausdrucksweise der Kinder zu korrigieren; für originelle Formulierungen oder Ideen hat sie wenig Sinn. Das nehmen ihr vor allem jene Schüler der Oberstufe übel, die nicht mehr bereitwillig jede Vorschrift akzeptieren. Manche allerdings geben entmutigt die Versuche auf, ihren eigenen Stil zu finden, und trachten danach, sich an den mehr oder weniger klaren Unterweisungen der Professorin zu orientieren. Kontakt mit den Kollegen Bei Kollegen und Vorgesetzten gilt Käthe A. als verlässlich. Sie fehlt kaum jemals, und wenn, so schickt sie Anweisungen an die sie vertretenden Kollegen, mit welchem Stoff sie ihre Klasse einstweilen versorgen sollen. Privatleben und Freizeit Käthe A. ist verheiratet und hat eine zwölfjährige Tochter, was ihr das Gefühl gibt, sich auch in ihre Schülerinnen optimal einfühlen zu können und zu wissen, was für jede gerade das Beste sei. Wenn sie ihr blasses Kind mit den seit Jahren bestehenden Essschwierigkeiten ansieht, befällt sie allerdings oft Unbehagen, man könne doch nicht ausreichend für jemanden sorgen. Von ihrem Mann, der nach einer Magenoperation in Frühpension gehen musste, erwartet sie wenig Unterstützung in ihrer Erziehungsaufgabe. Sie muss sich ja bemühen, ihn aus seiner depressiven Verstimmung zu reißen, und ihm ab und zu kleinere Aufträge geben, damit er sich nicht so unnütz vorkommt. Freizeit hat Käthe A. keine. Wenn sie in Phasen der Erschöpfung ihre Arbeiten kurz unterbricht, kommt in ihr Verbitterung hoch. Sie fühlt sich überlastet und im Grunde sehr einsam. Sie versteht nicht, warum ihr voller Einsatz im Beruf, in der Schule und daheim doch nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt. Vorgeschichte Außer den familiären Kontakten hat Käthe A. wenige Beziehungen. Mit einer Jugendfreundin - Charlotte - trifft sie sich gelegentlich. Sie verstehen einander, 37

weil sie sich beide in Sorge um andere aufreiben. In der Kindheit hatte Käthe A. die Freundin Charlotte sehr um deren Mutter beneidet, die sich Tag und Nacht - wie es schien - um ihre Lotte kümmerte, ihr ständig mit einer Weste nachlief, um eine Erkältung zu verhüten, oder mit einem Löffel Sirup, um den bereits eingetretenen Husten zu kurieren. Selbst Mutter geworden, bemühte sich Käthe, dieses Vorbild an mütterlicher Fürsorge nachzuahmen. Sie wusste ja, wie schmerzlich es war, unbeachtet und nur mit dem Allernotwendigsten versorgt aufzuwachsen. An ihre eigene Mutter hatte sie nur sehr vage Erinnerungen; ihr Vater war im Krieg gefallen; bald darauf war sie zu Pflegeeltern nach Holland geschickt worden, wo sie in einer zwar sicheren, aber kalten Atmosphäre lebte, bis sie nach der Reifeprüfung ihr Lehramtsstudium in ihrer Heimatstadt beginnen konnte. Unbewusste Motivation für den Lehrberuf Was Käthe unbewusst zum Lehrberuf drängte, war der Wunsch, selber andere zu bemuttern und dadurch einen Ersatz für den eigenen, schmerzhaft erlebten Mangel an Fürsorge zu schaffen. Sie empfindet die Schüler - wie sie auch ihre Tochter sieht - als Teil der eigenen Person; deshalb löst jeder Versuch eines Kindes, selbständig zu sein, Ängste in ihr aus, die sie durch sofortiges aktives Eingreifen zu unterdrücken versucht. Sie muss die anderen ständig entmutigen und ihnen das Gefühl geben, ohne sie hilflos zu sein, damit sie sie nicht verliert. Dass sie dadurch mitunter eine gesunde Reaktion bei denjenigen weckt, die sich gegen eine solche Entmachtung vehement zur Wehr setzen, verunsichert sie. Da sie sich innerlich leer fühlt und völlig davon abhängt, gebraucht zu werden, kann sie es sich gar nicht leisten, einmal untätig zu sein und die anderen loszulassen. Durch ihre Fürsorge, die sie allen aufzwingt, versucht sie, sie zu beherrschen; nur so scheint sie einen Ersatz für echte Zuwendung und eine gewisse Bestätigung ihres Selbstwertgefühls zu finden. Es ist ihr in keiner Weise bewusst, dass sie mit ihrer übertriebenen Fürsorge auch ein beträchtliches Maß an Wut und Enttäuschung über ihre eigene frühere Vernachlässigung auslebt. Indem sie ihre Schüler ständig korrigiert, ihre Tochter vergeblich zu füttern versucht und ihrem Gatten so offensichtlich über sein sinnloses Leben hinweghelfen will, ohne ihm aber seine realen Kompetenzen zb als Vater zu lassen, beschneidet sie die anderen in ihren Möglichkeiten, ihre eigenen Wünsche und Kräfte zu entfalten. Was der Umgebung oft als pflichtbewusster Einsatz erscheint, ist eigentlich höchst destruktives Verhalten. 38

Lehrertypen / Die Überfürsorglichen Kontakt mit den Schülern Die Schüler reagieren darauf häufig instinktiv richtig mit Abwehr. Diese kann durch eine oberflächliche Scheinanpassung getarnt sein, oder durch demonstrative Unselbständigkeit, durch die sie der Lehrerin einen Gefallen zu machen versuchen. Manche machen sich auf diese Weise auch über sie lustig. Andere verschaffen sich hinter einer Fassade von kriecherischer Abhängigkeit genügend Spielraum, um sich innerlich zu distanzieren. Einige in ihrer Persönlichkeit stärker gefestigte Kinder, die daheim mehr Ermutigung erfahren haben, lehnen sich offen gegen die Bevormundung auf. Ältere, besonders reife Schüler bringen sogar etwas Verständnis für die Haltung der Lehrkraft auf, die sie eigentlich bemitleiden, weil sie ihre Hilflosigkeit und Bedürftigkeit ahnen. Bei etlichen Schülern gelingt Käthe A. der Versuch der Manipulation: Sie werden in ihrer Abhängigkeit verstärkt und lassen sich von weiteren Loslösungsversuchen abschrecken, weil sie spüren, dass ihre Selbständigkeit mit Liebesentzug bestraft würde. Natürlich kommt manchmal die fürsorgliche Zuwendung auch einem Kind zugute, das hier einen Ausgleich für Vernachlässigung findet. Die Beziehung ist vor allem dann förderlich, wenn sie durch äußere Faktoren - wie zb einen Lehrerwechsel - zeitlich limitiert wird, bevor sich der zunächst günstige Einfluss durch wechselseitige Totalitätsansprüche in einen negativen verwandelt. Kontakt mit den Eltern Nur wenige Eltern können sich mit der scheinbar idealistischen und aufopfernden Berufsauffassung Käthes anfreunden; das gelingt noch am ehesten jenen, die sich selbst gern in ähnlicher Weise rühmen, nur für ihre Kinder zu leben und sich beständig um deren Wohlergehen zu bemühen. Die meisten, die sich in den durchschnittlich üblichen Intervallen nach den Fortschritten ihrer Sprösslinge erkundigen, können sich eines vagen unbehaglichen Gefühls nicht erwehren. Es ist häufig darin begründet, dass sie sich entweder selbst von dieser übereifrigen und in der Regel unzufriedenen Lehrerin bevormundet und kritisiert fühlen und durch dieses Verhalten unangenehm an ihre eigenen Kindheitserfahrungen mit ähnlich überfürsorglichen Erwachsenen erinnert werden. Jene Eltern, die Käthes Probleme etwas durchschauen, können ihre Fürsorge annehmen, wo sie ihnen nützlich erscheint; sie können ihr aber ebenso gut zu verstehen geben, wie weit sie lieber selbst die Verantwortung übernehmen oder sie bereits ganz bewusst dem Kind überlassen möchten. 39

Die Überfürsorglichen haben Angst, andere sich selbst zu überlassen und ihnen Eigenständigkeit zuzutrauen, was auf den Wunsch zurückzuführen sein kann, die anderen mögen tatsächlich hilflos sein. Nur dadurch können sie sie beherrschen und verhindern, dass sie sich ihnen entziehen und sich loslösen. Ein solcher Entzug hat ihr Leben schon einmal überschattet, auch wenn sie sich nicht wirklich daran erinnern. Es ist ihnen nicht möglich, Schüler durch Ermutigung zu erziehen. Die Furcht vor Verlust und Trennung ist zu groß. Stattdessen begrüßen sie alle Anzeichen von Unselbständigkeit. Ein Lehrer, der zu solchem als overprotection bezeichneten Verhalten tendiert, hätte zuerst seine Angst zu bewältigen, die die Ablösung anderer Menschen bei ihm auslöst, die er offenbar als Bestandteil der eigenen Person erlebt. Es wäre zu fragen, ob er selbst ähnlich erzogen wurde oder ob die Erfahrung mangelnder Fürsorge ihn dazu gedrängt hat, dieses Defizit als Erzieher auszugleichen. Er käme nicht umhin, die aggressive Komponente seines einschränkenden und manipulierenden Erziehungsstils zu sehen. Erst dann hätte er die notwendige Flexibilität, um nur so lange aktiv in das Leben der Kinder einzugreifen, bis diese selbständig handeln oder doch wenigstens schon dazu ermutigt werden können. Die Karitativen Ihnen geht es in der Schule weniger um Wissensvermittlung als um die Persönlichkeitsbildung der Kinder, wobei sie darunter aber in erster Linie die Überwindung des Egoismus verstehen. Ein Beispiel: Äußere Erscheinung Lisbeth V. ist eine ältere, stets mit peinlicher Sorgfalt gekleidete Dame. Begegnet man ihr, kann man sich leicht vorstellen, sie wäre mit ihren vollen Taschen auf dem Weg zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Berufliches Verhalten Mit Vorliebe übernimmt sie den Religionsunterricht in den Klassen der Unterstufe. Den Diskussionseifer älterer Schüler schätzt sie weniger, bei jüngeren ließe sich ihrer Meinung nach noch eher der gute Kern der Kinder retten. Sie bemüht sich, das Gebot der Nächstenliebe nicht nur als den wichtigsten Leitgedanken der 40