Der Prophet Hesekiel



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Transkript:

Der Prophet Hesekiel - Einleitung in den Propheten Hesekiel - 1 Der geschichtliche Hintergrund Im Jahr 598 v.chr. kam mit 18 Jahren Jojachin, der Sohn von Jojakim, auf den Thron in Juda. Er hielt sich nicht an die mosaischen Gebote und nach nur 3 Monaten Regierungszeit kam der babylonische König Nebukadnezar und belagerte Jerusalem. (2. Könige 24,8ff) Jojachin ging zum babylonischen König hinaus, wurde mit samt seinem Hofstaat gefangen genommen. Mit zehntausend der führenden Bürgern Judas wurde Jojachin nach Babylon verschleppt. Unter ihnen war auch Hesekiel. Nun setzte Nebukadnezar Jojachins Onkel, Mattanja, als König ein und änderte dessen Namen in Zedekia (2. Könige 24,17ff). Die von Nebukadnezar in Jerusalem eingesetzte Marionettenregierung rebellierte jedoch gegen die babylonische Herrschaft. Nebukadnezar zog darauf hin erneut nach Jerusalem, zerstörte 587 v.chr. die Stadt und den Tempel völlig und führte eine weitere, größere Gruppe von Juden ins Exil (2. Könige 25). Gedalja wurde nun zum Statthalter eingesetzt, doch er wurde nach sieben Monaten ermordet. Das ganze Volk floh anschließend aus Furcht vor den Babyloniern nach Ägypten (2. Könige 25,22ff). 2 Hesekiel - der Mensch Hesekiel wuchs in Juda auf und wurde in seiner Jugend vermutlich von Josias Reformen und Jeremias Prophetien beeinflußt. Sein Name bedeutet: "Gott möge stärken" oder Gott ist stark. Er war von Beruf Priester, bevor er zum Propheten berufen wurde. Er wurde 597 v.chr. zusammen mit König Jojachin und weiteren Juden nach Babel verschleppt und wurde dort gemeinsam mit ihnen in Tel-Abib am Fluß Kebar angesiedelt. 5 Jahre später, 593 v.chr. wurde er mit dreißig Jahren in einer Vision von Gott zum Propheten für die Exilsgemeinde berufen (1,2). Er wirkte bis etwa 571 v.chr. Er lebte zusammen mit den Deportierten in Babel und teilte ihr Schicksal in der Fremde.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 2 von 11 Er hörte in der Ferne von den politischen Entscheidungen des Königs Zedekia in Jerusalem und erhielt schließlich die Nachricht von der Zerstörung Jerusalems (587 v.chr.) und von der 2. Deportation. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hesekiel fast ausschließlich das Gericht Gottes anzusagen (Kap. 4-32). Nach 5897 änderte sich die Botschaft des Propheten: er konnte nun im Auftrag Gottes neues Heil ansagen (Kap. 33-48) Er kämpfte als einzelner Gerichtsprophet gegen die Mehrheit der falschen Heilspropheten. Wahrscheinlich ist der größte Teil seiner Botschaften an die Exilsgemeinde gerichtet. Nach seiner Berufung wirkte Hesekiel 22 Jahre als Prophet im Babylonischen Exil. Aus dem Kapitel 24,15-18 geht hervor, daß Hesekiel verheiratet war. Hesekiel hatte vermutlich innerhalb der jüdischen Kolonie eine wichtige Stellung (8,1; 14,1 [Die Ältesten saßen kamen und setzten sich von ihn]), und doch verwarfen die meisten Menschen seine Warnungen (3,25) oder nahmen ihn nicht ernst (33,30-32). 3 Die Visionen Vier Visionen geben dem Buch eine besondere Prägung: 1,1-3,15: Die Berufungsvision (Die Herrlichkeit Gottes) 8-11: Schau der "Greuel" im Jerusalemer Tempel, Untergang der Stadt, Auszug Jahwes aus dem Tempel 37,1-14: Feld mit den Totengebeinen 40-48: Vision vom neuen Tempel und Israel 4 Die Zeichenhandlungen Hesekiels Zeichenhandlung sind weitaus stärker und symbolträchtiger als bei den anderen Propheten: er zeichnet eine Belagerungsskizze gegen Jerusalem (4,1-4); er muß 390 Tage auf der linken Seite liegend die Schuld des Nordreiches "tragen" und 40 Tage auf der rechten die Schuld des Südreiches (4,4-8); er soll auf Kot gebackenes Brot essen, in so geringen Rationen, daß er gerade noch überleben kann (4,9-14); er soll an hellen Tag mit Gepäck aus der Stadt ausziehen (12,1-16); er darf nicht um den plötzlichen Tod seiner eigenen Frau trauern (23,15-24).

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 3 von 11 5 Die Bildreden Eine ganze Reihe von Bilderreden prägen die Verkündigung von Hesekiel: Kap. 15: Jerusalem das unnütze Rebholz Kap. 16: Jerusalem die untreue Ehefrau Kap. 17: Adler, Zeder und Weinstock als Bild für Zedekias Bundesbruch Kap. 19: Totenklage über Löwenmutter und Rebe Kap. 20: die unzüchtigen Schwestern Ohola und Oholiba Kap. 27: das Prachtschiff Tyrus und sein Untergang 6 Die Wirkungsperioden Hesekiels Das Buch Hesekiel ist nach theologischen Gesichtspunkten geordnet, nicht nach einer historischen Reihenfolge. 6.1 593 bis 587 v.chr. = die Zeit von seiner Berufung bis zur Belagerung Jerusalems. Hesekiel mußte die falschen Hoffnungen zerstören, die immer noch auf eine Wiederherstellung des Reiches hofften. So muß er unbedingtes Gericht verkündigen. Er gleicht hierin Jeremia. Er muß die Hoffnungen, die durch die falschen Heilspropheten verkündigt wurden zerschlagen. So verkündigt er den Untergang der Stadt Gottes, Jerusalems. Gott läßt die Zerstörung zu, aber er bleibt dabei trotzdem der mächtige Gott. Er bereitet sein Volk damit auf ein neues Gottesverständnis vor. Er stellt sein Volk vor die bisher unmögliche Alternative: Gott oder Jerusalem. Das Volk sollte erkennen, daß Gott nicht an Jerusalem gebunden ist. Man hatte den Fehler gemacht, Gott an seine Verheißungen zu binden und ihn dadurch berechenbar zu machen (Gott muß so und so handeln). Die Folge war ein falsches Heilssicherheitsdenken, das hochmütige Anspruchsforderungen an Gott stellt. Sie sollten lernen auf Gott zu vertrauen, ohne ein sichtbares Unterpfand zu haben. In der Gerichtszeit handelt Gott anders, kehrt sich aber nicht von seinem Volk ganz ab. In der Annahme der Situation liegt für das Volk also die Chance zur Bewährung und Glaubensreife. Das Volk sollte sich ganz an Gott binden und nicht mehr von sichtbaren Dingen abhängig sein, die Gott für eine bestimmte Zeit gegeben hat.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 4 von 11 6.2 587 bis 586 v.chr. = nach der Katastrophe Jetzt muß Hesekiel die Verzweifelten aufrichten und ihnen Hoffnung geben. Seine Botschaft ist in dieser Zeit von bedingter Heilsverkündigung gekennzeichnet. Gott hat das Volk zu einem Nullpunkt geführt, wo es keine eigenen Sicherheiten mehr hatte. Nur so konnte Gott mit seinem Volk neu anfangen. Der entscheidende neue Gedanke ist der, daß die Trennungslinie des Heils nicht mehr zwischen dem Volk Israel und den Heiden gezogen wird, sondern quer durch das Gottesvolk geht. Entscheidend ist jetzt, wie die Einzelperson zu Gott steht. Wer seine Zuflucht bei Gott sucht, steht in seinem Heil. Wer in der Ablehnung verharrt, bleibt unter dem Gericht Gottes. Es geht Hesekiel um die Jahwe-Gemeinde innerhalb des Gottesvolkes. In dieser Zeit kommt der Gedanke des Individualismus auf. Mit den politischen Führern Judas, die den Untergang zu verantworten haben, geht Hesekiel hart ins Gericht. Die Unheilsverkündigungen für die Nachbarvölker sind indirekt Heilsverkündigungen für Israel, weil so die Feinde Israels geschwächt werden. 6.3 3. Die Zeit nach 586 = neue Deportierte aus Jerusalem sind eingetroffen. Hesekiels Botschaft ist nun durch unbedingte Heilszusagen gekennzeichnet, und zwar für alle, die ihre Hoffnung auf Gott setzen. 7 Das Berufungserlebnis Der Anfang des Buches erschwert den Zugang zum Buch für den modernen Menschen. Isaac Casaubon (1559-1614), ein hugenottischer Theologe, schreibt über das Buch Hesekiel: "Im ganzen Alten Testament ist nichts dunkler, als der Anfang und das Endes des Buches Hesekiel". Auch Calvin bekannte, die Visionen nicht zu verstehen. Hieronimus schrieb über die jüdische Auslegungspraxis der ersten und letzten Kapitel des Buches, daß "in ihrer Interpretation alle Synagogen der Juden stumm sind, indem sie sagen, es gehe über menschliches Vermögen". Die jüdische Tradition empfiehl vor Vollendung des 30. Lebensjahres weder den Anfang der Genesis, noch das Hohelied, noch Anfang und Ende des Hesekielbuches zu lesen.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 5 von 11 Dieser Zurückhaltung in der Auslegung stehen reichhaltige, mystische spekulative Interpretationen gegenüber. 7.1 Hesekiel 1 - Die Vision Der Prophet ist in seiner Ekstase Herr seiner Sinne. Er weiß was mit ihm geschieht. Er verliert nicht seine Identität. Er nimmt das Geschehen bewußt wahr und versteht den Sinn dessen, was geschieht. Er kann später darüber berichten. Dabei wird auch deutlich, daß das eigentlich Entscheidende nicht die Ekstase, sondern die Botschaft Gottes ist. Bei den Visionen Hesekiels wird der Geist Gottes stark betont, wie bei keinem anderen Propheten. Bei den bildhaften Beschreibungen stellt sich für uns heute sofort die Frage: Wie mag das ausgesehen haben? Für den Hebräer stellt sich vielmehr die Frage: Wozu ist das da? Es ist das alttestamentliche Fragen nach der Funktion, nicht nach dem Aussehen. Die Menschengestalt auf dem Thron ist der sichtbare Ausdruck der Macht Gottes. Mit symbolischen Mitteln wird hier die Erhabenheit Gottes dargestellt (wenn Hesekiel immer wieder mit "Menschensohn" angeredet wird, wird auch die Distanz und der Unterschied unterstrichen, der ihn von Gott trennt). Dies war gerade für die Exilsgemeinde wichtig, die ja in einem starken Glaubenszweifel lebte, ob Gott noch an der Macht ist. Seine Herrlichkeit ist für die Exilsgemeinde jetzt nicht sichtbar, aber trotzdem real da, wie es Hesekiel in seiner Vision sieht. Gott ist mit in das Exil gekommen. 7.2 Hesekiel 2 - Die Audition Bei der Audition geht es um das Gehörte. Auch wenn die Vision einen breiten Raum einnimmt, so ist das Entscheidende Gewicht doch auf dem Gesagten. Die Vision soll Hesekiel auf seine Botschaft vorbereiten. Die Vision dient niemals als Selbstzweck zur Erbauung des Menschen. Das was der Prophet der Exilsgemeinde mitteilen muß ist, daß Gott nicht an ein Land oder einen Tempel gebunden ist. Hesekiel teilt ihnen mit, daß Gott auch im Exil bei ihnen ist. Diese Botschaft wird jedoch von der Exilsgemeinde abgelehnt. Sie können nicht akzeptieren, daß die alte Gleichung: Gottes Heil in Gottes Land, nicht mehr stimmen. Doch ihr Gottesbild ist so eingefahren, daß sie sich nicht darauf einstellen können, daß Gott sich auch anders verhalten kann. Vielleicht kann man das besser verstehen, wenn man es mit der Messiaserwartung zur Zeit Jesu vergleicht.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 6 von 11 8 Die Botschaft 1 8.1 Das Wesen Gottes Die Juden im Exil zweifelten wohl an Gottes Macht. Hatte Gott versagt? Hesekiel verkündet das Gegenteil, die Größe und Allmacht Gottes: Gott ist herrlich und ehrfurchtgebietend (1,25-28; 3,23); Gott ist heilig (5,11; 36,23); Gott ist grenzenlos mächtig (3,12-27; 5,5); Gott hat Macht über alle Völker (25,1-33,32); Gott ist gerecht (18,25; 33,20); Gott leitet sein Volk (2,2; 11,1+5); Gott sorgt für sein Volk wie ein guter Hirte (34,11-16); Gott gibt neues Leben (36,25-32). 8.2 Der Ernst der Sünde Hesekiels Gerichtspredigt an Mensch, die im Exil litten, erscheint hart und gefühllos; aber die Verbannten mußten begreifen, daß das Exil Gottes Strafe war. Hesekiel führte den Menschen ihre totale Verdorbenheit vor Augen, um sie zu echter Umkehr zu bewegen: sie hatten Gottes Namen Schande gemacht (20,9; 36,20) sie hatten Gottes Tempel entweiht (5,11; 23,38) sie waren Götzendiener (20,7+18; 22,4) sie nahmen am Kinderopfer teil (20,26+31) sie ignorierten das Gesetz (44,6-8) sie unterdrückten die Armen (22,7+12) 8.3 Die Notwendigkeit des Gerichts Weil Gott gerecht ist, muß Israel bestraft werden. Nur aufgrund seiner großen Geduld hatte er das Volk so lange ertragen. Hesekiel bringt nun die Botschaft, daß Gottes Geduld zu Ende ist: das Gericht kann nicht mit einem Achselzucken abgetan werden (12,22+27); das Gericht ist unausweichlich (7,14-27; 22,14); das Gericht kommt nicht irgendwann, sondern jetzt (9,10; 24,14). 1 Nach W. Steinseifer, Die Bibel auf einen Blick, Verlag Bibellesebund

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 7 von 11 8.4 Die Verheißung des neuen Lebens Gott wollte Israel immer noch retten. Im Exil verbüßt das Volk seine Strafe, und danach konnte es einen Neuanfang geben. Alle werden aufgefordert Buße zu tun und sich im Glauben der neuen Gemeinschaft von Gottes Volk anzuschließen, die... aus einzelnen besteht, deren Herz Gott umgewandelt hat (36,25-27); Leben durch Gottes Geist erhält (37,5); ungeteilt ist (37,15-17); einen ewigen Bund mit Gott hat (14,11;37,23); von einem davidischen Messias-König geführt wird (37,24-28); der Welt neues Leben bringt (47,1-12). 9 Anwendung Hesekiel zeigt anhand vieler Beispiele, wie Israels Herrscher ihrem Auftrag untreu wurden, Gottes Repräsentanten zu sein, und das Volk seine Berufung vergaß, ein gottgefälliges Leben zu leben. Er weist jedoch auch den Weg nach vorn: Gott will, daß ihr so lebt! 9.1 Kennzeichen des 'neuen' Menschen: Er läßt sich von Gott leiten. Sein Herz wendet sich Gott zu. Er will Gott verherrlichen. Er akzeptiert freudig Gottes Willen. Er ist an seinem Gehorsam Gott gegenüber zu erkennen. Er lebt in dem sicheren Wissen, daß Gott für ihn sorgt. Er kümmert sich um seinen Nächsten. 9.2 Kennzeichen eines guten Leiters: Er gehorcht Gott in allem. Er holt sich seine Kraft bei Gott. Er engagiert sich. Er identifiziert sich mit seinen Leuten. Er sorgt für seine Leute. Er trifft gerechte Entscheidungen.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 8 von 11 Er bezieht Stellung. 10 Schlüsselthemen 10.1 Gottes Ehre Die Israeliten hatten die Ehre Israels und die Ehre Gottes miteinander verquickt und meinten deshalb, Gott würde Israels Zerstörung nie zulassen. Das war ein Irrtum; Israel selbst hatte dem Namen Gottes Unehre gemacht. Um seiner eigenen Ehre willen handelt Gott, erst strafend, dann rettend. (28,25+26;36,16-23; 38,17-23;39,7+8+25-29). 10.2 Gottes Fürsorge Gott sorgt für Israel, auch wenn er es strafen mußte (11,17;16,60-63;28,24-26;34,11-31;37,25-27). Vergleiche das Bild Gottes als Hirte Israels (Kap. 34) mit Jesu Bild vom guten Hirten (Joh. 10,7-18). 10.3 Verantwortung Jeder Mensch ist Gott für sein Tun verantwortlich. Weder die Familie noch die Lebensumstände können letztlich verantwortlich gemacht werden für die Art, wie sich ein Mensch entwickelt. Er selber muß sich immer neu entscheiden, Gott zu dienen oder nicht (18,1-32; 33,7-20). 10.4 Der Wächter Hesekiel nahm seine Berufung zum Wächter sehr ernst, warnte seine Mitmenschen, daß Gottes Gericht kommen werde, und gab ihnen die Chance, umzukehren und Gottes Ausweg zu benutzen (3,12-21; 33,1-9). 11 Das Buch Das Buch Hesekiel enthält einen Bericht über das Leben des Propheten sowie Prophetien aus der Zeit 597-570 v.chr. Es weit vier große Teile auf. Die Prophetien in Kapitel 1-24 betreffen hauptsächlich die Zeit vor 587 v.chr. Hesekiel hält den Menschen ihre Sünde vor und zeigt, warum der Fall Jerusalems unausweichlich war und sie das Gericht Gottes verdient hatten. Kapitel 25-32 kündigen den Nachbarvölkern Gottes Gericht an. Kapitel 33-39 kommen nach dem Fall Jerusalems. Hesekiel fordert die Verbannten zur Buße und zum erneuten Dienst für Gott auf.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 9 von 11 Der letzte Teil (40-48) blickt voraus auf die Rückkehr aus dem Exil bis zur Endzeit un beschreibt Hesekiels Vision des neuen Jerusalems. Wir verstehen das Buch am besten, wenn wir es als Botschaft an ein bestimmtes Volk in einer konkreten Notlage lesen. 12 Überblick 12.1 Grober Überblick 1-3 Hesekiels Berufung 4-12 Gerichtsprophetien über Jerusalem 13-24 Die Sünden Israels und Jerusalems 25-32 Prophetien (Gericht) über die Völker 33-39 Prophetien im Blick auf die Zukunft: Rettung und Erneuerung Israels 40-48 Pläne für das neue Jerusalem: Der neue Tempel 12.2 Überblick im Detail 12.2.1 Hesekiels Berufung 1 Hesekiel sieht den Thronwagen Gottes mit den vier Gestalten 2 Gott beauftragt Hesekiel; der Prophet muß die Buchrolle essen 3 Der Prophet wird zum Wächter über IsraeI bestellt 12.2.2 4-24 Gerichtsprophetien über Jerusalem 4 (bis 5,4) Das Gericht über Jerusalem (Zeichenhandlung) 8-10 Greuel im Tempel; das schreckliche Gericht; Gottes Herrlichkeit 11 (11,14-12,12) Gericht über die Obersten; Verheißung des neuen Geistes; Gottes Herrlichkeit zieht aus dem Tempel aus; Zeichenhandlung: Loch durch die Wand 15 Gleichnis vom unbrauchbaren Rebholz 16 (vgl. 23) Hurerei Jerusalems: geschichtlicher Rückblick 17 Bild vom Zedernwipfel und vom Weinstock (gegen das Bündnis Zedekias mit Ägypten; Gott wird wieder ein neues Reis pflanzen) 24 Bild vom rostigen Topf; Tod der Frau; Zerstörung Jerusalems 12.2.3 25-32 Gericht über die Völker Nicht nur Israel, auch die Nachbarvölker, die IsraeI zum Götzendienst und zur falschen Bündnispolitik bewegten, werden gerichtet: Ammon, Moab, Edom (25), Tyrus (26-28), Sidon (28),

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 10 von 11 Ägypten (29-32) 12.2.4 33-39 Rettung und Erneuerung Israels 33 Hesekiel wird neu zum Wächter über IsraeI bestellt (vgl. Kap. 3) - jetzt, nachdem Jerusalem gefallen ist 34 Gegen die schlechten Hirten Israels: Gott ist der Hirte, der das Verlorene wieder sammeln und einen neuen Hirten erwecken wird 36 Gott, der Herr, wird IsraeI wieder suchen 37 Das Feld der Totengebeine - Leben kommt wieder in sie! 12.2.5 40-48 Der neue Tempel 40 (V. 1-7) Beginn der Gesichte 43 (V. 1-12) Die Herrlichkeit des Herrn zieht wieder in den Tempel ein 47 (V. 1-12) Der wunderbare Strom aus dem Tempel 12.3 Zu den Kapitel 12.3.1 Kap. 1-3: Berufung Hesekiel sieht Erstaunliches kommen - feurig, glänzend, rauschend, bewegt, blendend, überwältigend: Gottes Herrlichkeit. In Wind, Wolken und Feuer (= Zeichen der Gegenwart Gottes) naht sich ein Thronwagen. Vier menschenähnliche Wesen bilden ihn; jedes hat vier Flügel und trägt vier Gesichter - Mensch, Löwe, Stier, Adler. Hesekiel sieht, wie der Wagen, den die Wesen mit ihren Flügeln bilden, sich bewegt, mit ihm die vier ineinandergefügten Räder voll glänzender Augen. Der Prophet beschreibt die Wesen ausführlich; erst danach wagt er, von der Gestalt zu reden, die auf dem Thronwagen sitzt: Gott selbst in gleißendem Lichtschein, Feuer und Glanz. Nur andeutend kann Hesekiel die Herrlichkeit des Herrn beschreiben. Hesekiel hat bis jetzt gesehen; nun hört er seinen Auftrag: "Du sollst ihnen meine Worte sagen" (2,7). Er muß die Schriftrolle voller "Klage, Ach und Weh" (2,10) essen, sich einverleiben, verinnerlichen. Er erfährt: Sein Auftrag wird schwer; aber der Herr sorgt für ihn. Der Geist führt ihn zu den Verbannten am Fluß Kebar. Hesekiel soll ab jetzt "stumm" (3,26) sein - das bedeutet: er soll ab jetzt nur noch für Gottes Auftrag und seine Botschaft da sein. Weder menschlicher Trost noch Beschwichtigung soll über seine Lippen kommen. Eine solch ausführliche Prophetenberufung begegnet uns nur bei Hesekiel - mit gutem Grund: Der in die Ferne verschleppte Hesekiel sieht Gottes Herrlichkeit - und erfährt damit: Gott ist nicht an Jerusalem gebunden. Er ist auch hier im babylonischen Reich der Herr! Seine Herrlichkeit ist nicht allein im Allerheiligsten des Tempels zu suchen, sondern auch hier bei den Gefangenen. Er Iäßt sie nicht im Stich.

Der Prophet Hesekiel (Einleitung) Seite 11 von 11 12.3.2 Kap. 4-32: Gottes Gericht über Israel und die Völker Hesekiel muß das Gericht über IsraeI und seine Nachbarvölker in aller Schärfe ansagen. Jerusalem wird untergehen. IsraeI gehorchte nicht. Im Bild der Hurenweiber malt der Prophet Götzendienst und Untreue drastisch vor Augen. Seine Verkündigung muß Hesekiel durch eindrückliche, oft krasse Zeichenhandlungen unterstreichen, zum Beispiel: - Er soll mit Ziegelstein und Eisenplatte die Belagerung Jerusalems darstellen. - Er darf täglich nur 20 Lot (ca. 240 g) Brot essen - zum Zeichen der knappen Rationen während der Belagerung Jerusalems. - Er muß ein Loch in seine Hauswand schlagen und mit Wandergepäck davoneilen; so wird König Zedekia aus Jerusalem fliehen. - Der Tod der Frau wird zum Zeichen für den Untergang Jerusalems. (vgl. Kap. 4; 12; 24. Kennen Sie noch weitere Zeichenhandlungen?) 12.3.3 Kap. 33-39: Rettung und Erneuerung Israels Eine neue Situation: Jerusalem ist gefallen (33,21f; vgl. 24,26). Hesekiel wird jetzt aufs neue zum Wächteramt bestimmt. In Kap. 34 verbinden sich Gericht und Barmherzigkeit Gottes auf tröstliche Weise miteinander: Den schlechten Hirten, die die Herde IsraeI ins Unglück stürzten, stellt der Prophet den Hirten gegenüber, der sich jetzt selbst seiner Herde annimmt. Gott, der Herr, wird sein Volk wieder sammeln (Kap. 36), wird ihm ein neues Herz und einen neuen Geist geben: "Und sie sollen erfahren, daß ich der Herr bin" (36,38). Kap. 37 gehört zu den ergreifendsten Kapiteln des Buches Hesekiel: Der Prophet sieht ein Feld voller Totengebeine; auf einmal zieht wieder Leben in sie ein, Gottes Odem: Er wird Gräber öffnen, sein Volk sammeln und es wieder in sein Land setzen. 12.3.4 Kap. 40-48: Der neue Tempel Der Prophet wird durch die Hand des Herrn in einer Vision nach IsraeI geführt; dort sieht er den neuen Tempel, den Bau, die Mauern, die kultischen Einrichtungen - und die Herrlichkeit des Herrn, die wieder in den Tempel einzieht. Nach den Anweisungen für Priesterdienst und Opfer beschreibt Hesekiel den Strom lebendigen Wassers, der aus dem Tempel das Kidrontal hinab ins Tote Meer fließt - ein Strom, der die Wüste blühend und das Tote Meer lebend macht; hier sieht der Prophet in die neue Schöpfung Gottes. 2004 EFG Berlin-Hohenstaufenstr. Alle Rechte vorbehalten. Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de