Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer nach deutschem Verfassungsrecht

Ähnliche Dokumente
Bedeutung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG im Zusammenhang mit Abschiebeverboten im Ausländerrecht

Einsatz der Bundeswehr im Innern Übernahme von hoheitlichen Aufgaben der Polizei durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe

Wissenschaftliche Dienste. Ausarbeitung. Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG Deutscher Bundestag WD /16

Geltung der Grundrechte und des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots für gesetzliche Krankenkassen

Frage zur Wirkung eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Beschluss zu BT-Drs. 18/7365, Ziff. 4

Zu den Begriffen deutsches Volk, Deutsche und deutsche Volkszugehörigkeit im Grundgesetz

AUSARBEITUNG. Kommunales Wahlrecht für Ausländer (Drittstaater)

Durchsetzung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers

Leistungsausschluss von der Grundsicherung nach SGB II für Personen unter 50 Jahren

Ausschreibungspflicht von Sondernutzungsverträgen Im Hinblick auf die EU-Konzessionsvergaberichtlinie

Auswahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts

Zur Ableitung einer Pflicht zur Durchführung systematischer Grenzkontrollen aus 18 Asylgesetz

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages Deutscher Bundestag WD /18

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand

Fragen zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen

Zustimmungserfordernisse bei Veräußerungen von Liegenschaften des Bundes

Einzelfrage zur Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn AG

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Videoüberwachung im öffentlichen Raum Deutscher Bundestag WD /16

Vereinbarkeit einer allgemeinen Dienstpflicht mit Art. 4 EMRK

Fragen zum deutschen und israelischen Staatsangehörigkeitsrecht

Strafrechtliche Konsequenzen bei der Weitergabe von Informationen

AUSARBEITUNG. Rechtliche Würdigung der Möglichkeit einer Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Frauen und junge Männer. Tel.

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Sanktionen bei Datenmissbrauch Deutscher Bundestag WD /18

Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen

Das Asylrecht als subjektiv-öffentliches Recht in Deutschland und anderen Staaten

Aussetzen des Familiennachzugs zu international subsidiär Schutzberechtigten aus verfassungsrechtlicher Sicht

Integrierte Stadtentwicklungskonzepte und Wertsteigerung von Grundstücken

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Rechtsstellung der Bundesnetzagentur Deutscher Bundestag WD /17

Das Tragen religiös begründeter Kopfbedeckungen von Richtern/Staatsanwälten bei Amtshandlungen

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Wahlrecht der im Ausland lebenden Deutschen Deutscher Bundestag WD /17

Genehmigungsbedürftigkeit und Anzeigepflicht von Tierhaltungsanlagen bei Verringerung des Tierbestandes

Verlängerung des Zeitraums des Kindergeldanspruchs auf Grund von Wehrdienstzeiten

Zur Möglichkeit der Abschiebung während eines laufenden Strafverfahrens

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Rekommunalisierung und Enteignung Deutscher Bundestag WD /16

Ausweitung der Optionspflicht bei doppelter Staatsangehörigkeit

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Fragen zum Verkehrsflughafen Berlin-Tegel Deutscher Bundestag WD /17

Offenlegung von Unternehmensbeteiligungen im Jahres- und Konzernabschluss

Umsatzsteuerliche Regelung juristischer Personen des öffentlichen Rechts bei unternehmerischer Tätigkeit

Rechtliche Rahmenbedingungen des Africa Agriculture and Trade Investment Fund

Allgemeine Geschäftsbedingungen von Versicherungsmaklern

Errichtung von Steganlagen an Bundeswasserstraßen

Einschulung, elterliche Sorge und paritätisches Wechselmodell bei getrennt lebenden Eltern

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Einzelfragen zum BAföG

Kfz-Versicherungsbeiträge für Senioren mit Blick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Neuwahlen nach einer gescheiterten Regierungsbildung

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Zweitwohnungsteuer bei Gartenlauben Deutscher Bundestag WD /18

Laufbahn- und Besoldungsrecht für Grundschullehrer

Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Bundestages im Falle eines so genannten dritten Griechenlandpaketes durch den Europaausschuss des Bundestages

Übernachtungsteuer für Abgeordnete Rechtliche Rahmenbedingungen am Beispiel Berlins

Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Bundesgesetze vor Inkrafttreten

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Nachbarrecht Deutscher Bundestag WD /16

Aktuelle Rechtspolitik Ausgewählte Quellen am Übergang von der 18. zur 19. Wahlperiode

Informationsrechte bei der Zulassung von Windenergieanlagen

Wissenschaftliche Dienste. Ausarbeitung

Zur Frage der Veranschlagung von Mindereinnahmen im Bundeshaushalt

Ausweisung von Ausländern aufgrund strafbarer Handlungen

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Deutscher Bundestag WD /17

Privatrechtliche Handlungsfähigkeit von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Zur Möglichkeit der Aussetzung der Heranführungshilfe der EU an die Türkei

Sachstand. Gesetzliche Regelungen mit Bezug zu islamischen Religionsgemeinschaften. Wissenschaftliche Dienste

Zur Kostentragungspflicht von Schaustellern auf Weihnachtsmärkten

Aufnahme, Speicherung und Weitergabe von Stimmproben durch die Polizei

Rechtliche Regelungen der Organisation des Bäcker- und Konditorenhandwerks

Beitragsbemessung in der Künstlersozialversicherung

Beschäftigungsverhältnisse bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts

Marktzugangsverpflichtungen der EU für Dienstleistungen im Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA und im Trade in Services Agreement (TiSA)

Zur Umsatzsteuerbefreiung von Kleinunternehmen in Deutschland

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Rangfolge von Insolvenzforderungen Deutscher Bundestag WD /18

Wissenschaftliche Dienste. Ausarbeitung. Gesetzgebungskompetenzen für das Strafrecht Deutscher Bundestag WD /18

Kindergeld in grenzüberschreitenden Fällen (Europäische Union, Europäischer Wirtschaftsraum und Schweiz)

Maßnahmen zur Bankenrettung infolge der Finanzkrise und Bankenregulierung

Umfang abgerufener Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) durch einzelne Bundesländer

Sachstand. Regelsätze für SGB II-Leistungsempfänger Regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben. Wissenschaftliche Dienste

Regelungen zur Zulässigkeit ärztlicher Informationen über Schwangerschaftsabbrüche in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU

Deutscher Bundestag. Ausarbeitung. Ist der Ausschluss einzelner politischer Gruppierungen vom Christopher Street Day rechtlich zulässig?

Zur sog. Ausbildungsduldung nach 60a Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz

Einzelfrage zur Berechnung von Investitionen des Sektors Staat

Nutzung der Business Class bei Auslandsdienstreisen Vergleich der Regelungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Obersten Bundesbehörden

Wohnungstausch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Mietrechtliche Regelungen

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Markierung von Wanderwegen Deutscher Bundestag WD /16

Reichweite des Auskunftsrechts eines Abgeordneten bei Finanzsanktionen

Transparenz bei gewählten Politikern und Spitzenbeamten

Kompetenzübertragung im Rahmen der Bundessteuerverwaltung Möglichkeit einer Übertragung ohne die Zustimmung aller Länder

Kostenerstattung des Bundes an die Länder im Bereich der Asylpolitik

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Nachtarbeitszuschlag Deutscher Bundestag WD /17

ABGEORDNETENHAUS VON BERLIN WISSENSCHAFTLICHER PARLAMENTSDIENST Berlin, den 2. Februar 2016

Bestandteile des Portfolios von Immobilienfonds

Ansprüche aus der Bundeswehr ausscheidender Soldatinnen und Soldaten auf Zeit auf staatliche Leistungen im Krankheitsfall

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Kaufkraftvergleiche historischer Geldbeträge Deutscher Bundestag WD /16

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Einzelfrage zum Bundeshaushalt Deutscher Bundestag WD /18

Fragen zur geplanten Reform der Bundesauftragsverwaltung im Bereich der Bundesfernstraßen

Französisches Kindergeld für EU-Bürger mit Kindern in anderen EU-Staaten

Einbürgerungsvoraussetzungen für Ausländer ohne qualifizierte Aufenthaltserlaubnis

Genehmigungsvoraussetzungen für Windkraftanlagen

Leistungen für erkrankte schwangere Arbeitnehmerinnen

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Rechtliche Fragen zur Münzproduktion Deutscher Bundestag WD /18

Wissenschaftliche Dienste. Dokumentation. Zulässigkeit von Windkraftanlagen Deutscher Bundestag WD /17

Kurzdarstellung zum Zusammenhang von Schulpflicht und Homeschooling

Informationen zur Einkommenssituation von Selbständigen und ihrer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung

Transkript:

Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer nach deutschem Verfassungsrecht 2016 Deutscher Bundestag

Seite 2 Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer nach deutschem Verfassungsrecht Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: 20.06.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.

Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Erläuterungen zum deutschen Verfassungsrecht 4 2.1. Möglichkeiten einer Einführung durch einfaches Gesetz 4 2.1.1. Militärische und zivile Dienstpflichten nach Art. 12a GG 4 2.1.2. Allgemeine Dienstleistungspflicht nach Art. 12 Abs. 2 Halbsatz 2 GG 5 2.2. Möglichkeiten einer Einführung durch Verfassungsänderung 7 3. Ergebnis für das deutsche Verfassungsrecht 8

Seite 4 1. Fragestellung Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob es möglich wäre, eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer einzuführen. Dies könnte z.b. in einem sozialen, ökologischen oder technischen Pflichtjahr für junge Frauen und Männer bestehen, wobei es vorliegend auf die genaue Tätigkeit nicht ankommen soll. Die aufgeworfene Frage soll sowohl am Maßstab des deutschen als auch des internationalen Rechts betrachtet werden. In dieser wird die Frage nur anhand des deutschen Rechtes, insbesondere des Verfassungsrechts geprüft. Die Prüfung der Frage nach Maßgabe des Europa- und Völkerrechts findet sich in den gesonderten Gutachten des Fachbereichs Europa (PE 6) und des Fachbereichs Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit (WD 2). 2. Erläuterungen zum deutschen Verfassungsrecht Die Wissenschaftlichen Dienste haben bereits im Jahr 2003 zu der aufgeworfenen Frage Stellung genommen. 1 Die damalige Arbeit kommt hinsichtlich des deutschen Verfassungsrechts zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Dienstpflicht für Frauen und Männer durch einfaches Gesetz nach dem geltenden Verfassungsrecht nicht zulässig wäre. Allerdings könnte das Grundgesetz so geändert werden, dass auf dieser Basis die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht möglich wäre. Dieses Ergebnis ist für das deutsche Verfassungsrecht weiterhin gültig. Daher beruht diese Arbeit weitgehend auf den Ausführungen der Arbeit aus dem Jahr 2003, wobei die neuere Literatur und Rechtsprechung in den folgenden Ausführungen berücksichtigt wurden. 2.1. Möglichkeiten einer Einführung durch einfaches Gesetz Das Grundgesetz äußert sich zu allgemeinen Dienstpflichten bzw. Dienstleistungspflichten in Art. 12 Abs. 2 GG. Als Grundsatz gilt danach, dass niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf (Verbot des Arbeitszwangs, Art. 12 Abs. 2 1. Halbsatz GG). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur zulässig auf der Basis der in Art. 12a GG geregelten militärischen und zivilen Dienstpflichten und im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen öffentlichen Dienstleistungspflicht im Sinne des Art. 12 Abs. 2 2. Halbsatz GG. 2 2.1.1. Militärische und zivile Dienstpflichten nach Art. 12a GG Art. 12a GG regelt in seinen sechs Absätzen verschiedene Dienstpflichten. Als Ausnahmen vom Verbot des Arbeitszwangs kommen dabei die zivilen Dienstpflichten nach Art. 12a Abs. 3 bis Abs. 6 nicht in Betracht, da diese nur im Verteidigungsfall bzw. Spannungsfall 1 Wissenschaftliche Dienste, Rechtliche Würdigung der Möglichkeit einer Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Frauen und junge Männer, 15. August 2003, Az.: WF III - 180/03 (https://www.bundestag.de/blob/407416/b3d790fb6fcd9e4a6c4ce444c91aef0c/wf-iii-180-03-pdf-data.pdf). 2 Einen weitere Ausnahme ergibt sich aus Art. 12 Abs. 3 GG für die Zwangsarbeit, die nur bei gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung zulässig ist. Da nach einer solchen Zwangsarbeit vorliegend jedoch nicht gefragt ist, bleibt dieser Fall in den folgenden Ausführungen außer Betracht.

Seite 5 auferlegt werden können. Eine allgemeine Dienstpflicht, die auch außerhalb dieser Sondersituation gelten soll, kann daher auf dieser Grundlage nicht eingeführt werden. Die in Art. 12a Abs. 1 und Abs. 2 GG geregelten Ausnahmen, d.h. der Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz, in einem Zivilschutzverband oder im Rahmen des Wehrersatzdienstes, sind zwar nicht auf besondere Situationen beschränkt, beziehen sich nach ihrem Wortlaut jedoch nur auf Männer. Abs. 1 spricht ausdrücklich von Männern, Abs. 2 von Kriegsdienstverweigerern, wofür nach Abs. 1 nur Männer in Betracht kommen. Der Wortsinn dieser Vorschriften steht also einer Erstreckung der dort geregelten Pflichten auf Frauen entgegen. 3 Dies verstößt auch nicht gegen die speziellen Gleichheitssätze bzw. Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 2 oder Abs. 3 GG. Denn Art. 12a GG verdrängt als speziellere ebenfalls Verfassungsrang besitzende Norm diese Diskriminierungsverbote. 4 2.1.2. Allgemeine Dienstleistungspflicht nach Art. 12 Abs. 2 Halbsatz 2 GG Art. 12 Abs. 2 Halbsatz 2 GG erlaubt es dem Gesetzgeber 5 Frauen und Männern allgemeine, für alle gleiche, öffentliche Dienstleistungspflichten 6 auferlegen, wenn diese herkömmlich sind. Herkömmlich in diesem Sinne ist eine Dienstleistungspflicht, wenn diese Art der Dienstleistungspflicht seit geraumer Zeit, insbesondere vor der Zeit des Nationalsozialismus, 7 tradiert ist. 8 Hierzu gezählt werden die in vielen Gemeinden bestehenden Hand- und Spanndienste sowie die Feuerwehr- und die Deichschutzpflicht. 9 Die genannten Pflichten dürfen zwar der technischen Entwicklung angepasst werden (Erfüllung des Spanndienstes nicht mehr durch Zugtier, sondern durch KfZ). 10 Doch auch dann sind die von einer allgemeinen Dienstpflicht umfassten Tätigkeiten, 3 Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 12a Rdnr. 5. 4 Herrschende Meinung vgl. statt aller: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 3. Auflage 2013, Art. 12a Rdnr. 18; Gornig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 6. Auflage 2010, Art. 12a Rdnr. 24; Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 12a Rdnr. 5 jeweils m.w.n. auch aus der Rechtsprechung. 5 Zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 47. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2006), Art. 12 Rdnr. 501; Mann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 12 Rdnr. 185 jeweils m.w.n. 6 Im Ergebnis jedenfalls für die hier zu beantwortende Frage bestehen zwischen der in der Frage genannten Dienstpflicht und der Dienstleistungspflicht im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG keine verfassungsrechtlichen Unterschiede. Siehe dazu Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 47. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2006), Art. 12 Rdnr. 496. 7 Dazu BVerfGE 92, 91, 111. 8 Mann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 12 Rdnr. 186; im Ergebnis wohl ebenso Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 47. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2006), Art. 12 Rdnr. 497. 9 Kämmerer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 12 Rdnr. 92; ebenso Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 47. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2006), Art. 12 Rdnr. 497 jeweils m.w.n. 10 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 47. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2006), Art. 12 Rdnr. 497 m.w.n.

Seite 6 z.b. im Rahmen eines sozialen oder ökologischen Jahres, noch so weit von diesen traditionellen Pflichten entfernt, dass sie wohl nicht als herkömmlich bezeichnet werden können. 11 Man könnte freilich überlegen, ob der bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 über mehrere Jahrzehnte praktizierte Zivildienst (Art. 12a Abs. 2 GG) dazu geführt hat, dass die hiervon erfassten Tätigkeiten inzwischen als herkömmlich im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG anzusehen sind. Dagegen sprechen jedoch drei Aspekte: Zum ersten hält sich das Bundesverfassungsgericht an den Willen des Verfassungsgebers, der Dienstpflichten, wie sie im Nationalsozialismus bestanden, ausschließen wollte. 12 Danach wäre herkömmlich im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG so zu verstehen, dass die Dienstpflicht schon vor dem Jahr 1933 bestanden haben muss. Dies ist aber bei dem Zivildienst gerade nicht der Fall. Der zweite, wohl wichtigere Punkt ist, dass der Zivildienst als Ersatz für den Wehrdienst eingeführt worden ist. Damit sollte folglich keine eigenstände Dienstpflicht, sondern nur ein Surrogat 13 für den Wehrdienst geschaffen werden, wenn jemand aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigerte. 14 Daher musste auch der Zivildienst zwingend ausgesetzt werden, als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. 15 Da der Zivildienst im Sinne des Art. 12a Abs. 2 GG folglich in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Durchführung der Wehrpflicht steht, kann darin wohl auch keine eigenständige mittlerweile herkömmliche Dienstpflicht gesehen werden. Als dritter Punkt ist zu berücksichtigen, dass der Zivildienst in Art. 12a Abs. 2 GG ausdrücklich nur für Männer eingeführt wurde. Zwar kann es bei einfachgesetzlich eingeführten Dienstpflichten zulässig sein, die Pflicht auf Frauen auszuweiten, z.b. bei einer Feuerwehrdienstpflicht. 16 Es erscheint jedoch nicht möglich, dass der einfache Gesetzgeber eine Dienstpflicht, die in einer anderen, insbesondere spezielleren Verfassungsnorm auf Männer beschränkt ist (Art. 12a Abs. 2 GG), nunmehr im Rahmen von Art. 12 Abs. 2 GG auch für Frauen als herkömmlich definiert und über diesen Weg einen Zivildienst auch für Frauen einführt. Die Vorschriften des Grundgesetzes kann nicht der einfache, sondern nur der verfassungsändernde Gesetzgeber ändern (Art. 79 Abs. 2 GG). Allgemeine Dienstpflichten für Männer und Frauen, die über die herkömmlichen Dienste im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG (z.b. Hand- und Spanndienste) hinausgehen, dürfen somit nicht durch einfaches Gesetz eingeführt werden. 17 11 Ebenso: Dreist, Darf eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht ersetzen?, UBWW 2003, 441, 444. 12 BVerfGE 92, 91, 111. 13 Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 3. Auflage 2013, Art. 12a Rdnr. 25; Dreist, Darf eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht ersetzen?, UBWW 2003, 441, 442. 14 Unter Bezug auf die historische Einführung und Entwicklung des Zivildienstes erläutert Bröhling, dass der Zivildienst von der Militärpolitik maßgeblich bestimmt war und als abschreckender Ersatzdienst konzipiert worden sei. Sozialpolitische Aspekte hätten bei der Ausgestaltung dieses alternativen Kriegsdienstes allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt: Bröhling, Vom zivilen Kriegsdienst zur allgemeinen Dienstpflicht?, in: Kindler/Regelmann/ Tullney (Hrsg.), Die Folgen der Agenda 2010, 2004, S. 142, 143 ff. 15 Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 12a Rdnr. 21. 16 BVerfGE 92, 91, 111. 17 So im Ergebnis auch: Köhler, Allgemeine Dienstpflicht für junge Erwachsene?, ZRP 1995, 140, 141 f.

Seite 7 2.2. Möglichkeiten einer Einführung durch Verfassungsänderung Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Frauen und Männer wäre demnach allenfalls nach vorheriger Änderung des Grundgesetzes möglich. Allerdings müssen dabei die Vorgaben der so genannten Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG, für den vorliegenden Falle insbesondere die Vorgaben der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), beachtet werden. Im Grundsatz stehen die Vorgaben der Menschenwürde der Einführung neuer Dienstpflichten in das Grundgesetz nicht entgegen. 18 Es kann zwar nicht übersehen werden, dass gerade totalitäre, die Menschenwürde missachtende Regime gern aufgrund volkswirtschaftlicher oder erzieherischer Motive allgemeine Arbeitspflichten auferlegen. Jedoch liegen wie die Entstehungsgeschichte zeigt dem Art. 12 Abs. 2 GG volkswirtschaftliche und dem Art. 12 Abs. 3 GG erzieherische Motive zugrunde. 19 Dies spricht dagegen, dass der Verfassungsgeber die Auferlegung von Dienstpflichten aufgrund solcher Motive als schlechthin mit der Menschenwürde unvereinbar angesehen hat. Auch wurde bei der Schaffung des Grundgesetzes im Rahmen der Diskussion, ob man Art. 12 Abs. 2 GG auf herkömmliche Dienstpflichten begrenzen solle oder nicht, nicht ein einziges Mal das Argument ins Feld geführt, nur eine Beschränkung auf herkömmliche Dienstpflichten trage der Menschenwürde hinreichend Rechnung. 20 Dass die Menschenwürdegarantie der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer nicht schlechthin entgegensteht, bedeutet freilich noch nicht, dass sich aus Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG keinerlei Grenzen für die Einführung von neuen Dienstpflichten ergeben. So würde um ein extremes Beispiel zu bilden eine zeitlich unbegrenzte Arbeitspflicht, die den Einzelnen Zeit seines Lebens zwingt, seine Arbeitskraft vollständig dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen, und die jede denkbare Tätigkeit umfassen kann, diesen zum bloßen Objekt des Staates degradieren und somit seine Menschenwürde missachten. 21 Dem Einzelnen muss ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit verbleiben. Abgesehen von diesen Grenzen ist der verfassungsändernde Gesetzgeber jedoch nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG an der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer gehindert. Die Frage, ob eine allgemeine Dienstpflicht auch für Frauen im Widerspruch zu dem Menschenwürdegehalt des Gleichheitsgrundsatzes 22 steht (Art. 79 Abs. 3, Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG), 18 Kritischer in dieser Hinsicht Köhler, Allgemeine Dienstpflicht für junge Erwachsene?, ZRP 1995, 140, 143 f.; Incesu, Frauen an die (soziale) Front? Zur Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht, Vorgänge 34 (1995), 132/14, 18. 19 von Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR neue Folge, Band 1, 1951, 134. 20 Vgl. dazu von Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR neue Folge, Band 1, 1951, 133 ff. 21 Siehe zur Objektformel als Test für das Vorliegen einer Verletzung der Menschenwürde aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 109, 279, 312 m.w.n.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 55. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2009), Art. 1 Abs. 1 Rn. 36 m.w.n. 22 Siehe dazu: BVerfGE 84, 90, 121; 94, 12, 34; Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 79 Rdnr. 37.

Seite 8 ist mittlerweile durch das Bundesverfassungsgericht 23 entschieden worden. 24 Zuvor wurde diskutiert, ob der Gleichheitsgrundsatz, der nicht nur gebietet, Gleiches gleich, sondern auch Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln, 25 wegen der typischerweise Mehrfachbelastungen der Frauen durch Hausarbeit, Kinderbetreuung und Beruf eine Frauen und Männer treffende Dienstpflicht unzulässig sei. 26 In seiner Entscheidung zur Feuerwehrdienstpflicht hat das Bundesverfassungsgericht jedoch klar gestellt, dass eine solche Differenzierung bei Dienstpflichten vom Gleichheitsgrundsatz nicht geboten ist. Den erwähnten Mehrfachbelastungen könne durch die gesetzliche Ausgestaltung der Dienstpflichten, z.b. mit entsprechenden Freistellungsregelungen, Rechnung getragen werden. 27 In dem konkreten Fall der Feuerwehrdienstpflicht hielt das Gericht eine Beschränkung dieser Pflicht auf Männer sogar wegen der Ungleichbehandlung zulasten der Männer für verfassungswidrig. 28 Der verfassungsändernde Gesetzgeber könnte diese Dienstpflichten für Männer und Frauen im Detail in der Verfassung selbst regeln. Dies würde das Grundgesetz jedoch überfrachten, so dass eine einfachgesetzliche Ausgestaltung der Pflichten sinnvoll erscheint. Soweit dies in einem Bundesgesetz erfolgen soll, wäre zu prüfen, ob dem Bundesgesetzgeber für alle geplanten Tätigkeitsfelder, die die allgemeine Dienstpflicht umfassen soll, eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz zukommt (Art. 71 ff. GG). Ist dies nicht der Fall, müsste eine solche Gesetzgebungskompetenz ebenfalls vom verfassungsändernden Gesetzgeber geschaffen werden. 3. Ergebnis für das deutsche Verfassungsrecht Allgemeine Dienstpflichten für Frauen und Männer, die über die herkömmlichen Dienstleistungspflichten im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG hinausgehen, können nicht durch einfaches Gesetz eingeführt werden. Der verfassungsändernde Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) könnte jedoch das Grundgesetz entsprechend ändern, und solche (neue) allgemeine Dienstpflichten darin verankern. Diese dürfen jedoch die von der Menschenwürdegarantie (Art. 79 Abs. 3 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gezogenen Grenzen nicht überschreiten. Letzteres wäre der Fall, wenn die Dienstpflichten die betroffenen Frauen und Männer unverhältnismäßig belasten und ihren unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit verletzen. Ende der Bearbeitung 23 BVerfGE 92, 91. 24 Ebenso: Dreist, Darf eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht ersetzen?, UBWW 2003, 441, 443. 25 BVerfGE 71, 255, 271; 103, 242, 258. 26 Dazu ausführlich noch das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste zu diesem Thema aus dem Jahr 2003 (Fn. 1), S. 7. 27 BVerfGE 92, 91, 112 f. 28 BVerfGE 92, 91, 109 ff.