Text I. Jans Enikel (13. Jahrhundert) Weltchronik v

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Transkript:

Text I Jans Enikel (13. Jahrhundert) Weltchronik v. 26551-26676 Ich kan iu wærlîch niht verdagen, von einem künig wil ich iu sagen, der was geheizen Salatîn. zwâr der kund niht milter gesîn: er gap ros und gewant, sô man si best veil vant. silber, golt, edel gestein gap er allez gemein. sîn milt sich niht vor êren spielt, wan er niur einen tisch behielt. der was ein safir grôz, daz nieman vant sînen genôz, bezzer dann ein rubîn. dhein hort kund niht bezzer sîn wan der selb tisch was. sîn leng ich geschriben las: er was drîer ellen lanc. zuo dem tisch was manic gedranc dô man in für den fürsten truoc sô hêt er schouwær genuoc. sîn wît wil ich iu mezzen, des mac ich niht vergezzen, wan er was an der selben zît wol zweier dûmellen wît. sîn tischgestell was von golt, als ez got wünschen solt. sô rîchen nieman gesach, als es manic fürst jach. swer disen tisch, den stein erkant, er sprach: ich næm in für ein lant. Der herr was milt, als man im jach; sô miltez herz nieman sach, sô er hêt in dem lîb sîn, und tet daz mit werken schîn, wan vor milt im niht beleip. den hort er allen von im treip. ich sag iu allen sîn gelt, daz er in steten und in velt hêt vil sicherlîche, der edel künic rîche, Seite 1 / 10 zehen tûsent unz goldes rôt. dâ bî leit er grôz nôt und gebresten von der miltikeit, wan grôzer gâb was er bereit: er verseit sîn gâb nieman, für wâr ich iu daz sagen kan. sîn gâb er milteclîch tet, nieman verzêch er sîner bet, wan milter herz wart nie gesehen, des muoz ich von schulden jehen. Swie milt der selb herr was, doch wart er siech und niht genas. dô im diu krancheit wart bekant, nâch guoten meistern er dô sant und hiez si sînen brunnen sehen. si begunden all jehen, daz er sicher niht möht genesen, er müest wærlîch tôt wesen. dô wart er alsô sêr gekleit: frouwen, ritter unde meit klagten niht eine, daz volc gar gemeine hêt umb in ein sölich klagen, daz ich ez nimmer kan gesagen. dô der frum heiden gesach, daz er solt scheiden von êr unde von guot, dô wart trûric sîn muot, wan sîn leben wolt im leiden. er sprach: sol ich nû scheiden, sô muoz ich verjehen, wie sol mîner sêl geschehen? wer sol der pflegend sîn, so si scheidet von dem lîb mîn? wer pfliget ir dann dâ ze stet? sol ich sie dann Machmet enpfelhen, daz ist der kristen spot, die jehent, daz ir herr got sî sterker dann Machmet; alsô ieglîch kristen ret. sô ist mir daz wol bekant, daz die juden zehant jehent, daz ir got sterker sî. welher under den drîen mich sorgen frî macht, dem wil ich mîn sêl lân und disen zwein ab gestân. nû ist leider diser strît under juden, kristen ze aller zît. die heiden jehent sîn ouch niht. daz ist ein jæmerlîch geschiht. ôwê west ich diu mære, welher der tiurst wære, dem wolt ich mînen tisch geben ân aller hand widerstreben. sît ich den rehten niht enwizzen kan und ich ir aller zwîfel hân, sô wil ich den edeln stein in teilen gemein, ich mein den tisch der dâ ist mîn; zwâr der muoz ir drîer sîn. den tisch hiez er für sich tragen. daz kan ich iu für wâr sagen, ein bîl dâ bereitet wart. dô wart niht lenger gespart, den tisch hiez er mit heil teilen in driu teil. daz ein teil gap er ze stet sînem got Machmet, daz ander teil ân spot gap er durch der kristen got: daz dritt teil gap er gar für der juden got zwâr. er sprach: swelher sterker sî, der muoz mich tuon sorgen frî, wan ich niht bezzers wizzen kan. alsô sprach der frum man: und sî daz got der heiden gewaltic sî, der müez mich scheiden von mînem ungemach gar, swenn mîn sêl von hinnen var; sî aber der kristen got gewaltic, der helf mir ûz nôt; sî aber got der juden rîch gewaltic sicherlîch, der müez mich niht von im verlân. dâ mit diu sêle schiet von dan. (Nach der Ausgabe von Philipp Strauch (1891) http://www.dunphy.de/ac/je/jehome.htm) Seite 2 / 10 Text II Gesta Romanorum deutsch (13./14. Jhd.) Von einer gewonhait in dem achten capitel Ez waz ein chünich der het drey sün vnd do er sterben wolt oder scholt do gab er dem ersten svn daz Erib. dem andern seinen hort Den dritten sein chostpaerlich vingerlin. daz waz als guot. als der zwayer besitzung Vnd den vodern zwain gab er auch guoti vingerlein doch nicht als daz dritt waz. vnd worn elli drew ayner gestalt vnd doch nicht eyner güet. Nach dez vater tod sprach der erst svn ich han daz guot vingerlein meins vater der ander sprach also han auch ich do sprach der dritt ez habt noch nicht daz recht vingerlein da von daz der erst hat daz Erib vnd der ander den hort vnd ich han daz chostpaerleich vingerl vnd daz pest. Nu merchet christus ist der künich der die drey sün hat. Daz sint die ivden Sarraten vnd die christen. Den Juden gab er daz gelobt lant- Den Sarraten daz sint die haiden den gab er den hort Aber den christen gab er daz chostpaerleich vingerl daz da ist über allen reichtum. den christenleichen gelauben. Wann er die christenhait im selben hat gemaehelt Als er spricht mit dem weissagen: Desponsabo te mihi in fide ich maehel dich mir in dem gelauben vnd darvmb redt Ysayas von der christenhait: Tamquam sponsam decorant me corona. Als ein praut hat er mich gechrönt mit eyner chrone. Versus Eyn künich so reich Het drey sün also vngeleich Juden hayden vnd christen Auf erd wonend mit listen Den israhelitten Gab er daz lant mit sitten Sarraten oder haiden Von den wolt er mit horde schaiden Den christen laeuten Sein gothait wolt er betaeuten Mit dem gelauben Den truog er offen vnde taugen

Die christen haide Sein vingerl hat an sich gelaide Vnd haizzt auch gottez prawt Als man nv saget so lawt Daz vingerlein so guot Geit der sel so hohen muot Daz si wigt ringe Die werlt gen götlichem dinge Wer an christ pricht sein trew Der macht mit dem allez new Gottez fluoch den er adam Gab do er prach ab dem stam (Nach der Ausgabe von Walter Röll, bisher nicht erschienen) Text III Giovanni Boccaccio (14. Jhd.) Decameron 1, 3 Der Jude Melchisedech entgeht durch eine Geschichte von drei Ringen einer großen Gefahr, die Saladin ihm bereitet. Als Neiphile schwieg und ihre Geschichte von allen gelobt worden war, fing Philomena, nach dem Wunsche der Königin, also zu reden an: Die Erzählung Neiphiles erinnert mich an die gefährliche Lage, in der sich einst ein Jude befand, und, da von Gott und der Wahrheit unsers Glaubens bereits in angemessener Weise gesprochen worden ist, es mithin nicht unziemlich erscheinen kann, wenn wir uns zu den Schicksalen und Handlungen der Menschen herablassen, so will ich euch jene Geschichte erzählen, die vielleicht Eure Vorsicht vermehren wird, wenn ihr auf vorgelegte Fragen zu antworten habt. Ihr müsst nämlich wissen, liebreiche Freundinnen, dass, wie die Thorheit gar manchen aus seiner glücklichen Lage reißt und ihn in tiefes Elend stürzt, so den Weisen seine Klugheit aus großer Gefahr errettet und ihm vollkommene Ruhe und Sicherheit gewährt. Dass in der That der Unverstand oft vom Glücke zum Elend führt, zeigen viele Beispiele, die wir gegenwärtig nicht zu erzählen gesonnen sind, weil deren täglich sich unter unsern Augen zutragen. Wie aber die Klugheit helfen kann, will ich versprochenermaßen in folgender kurzen Geschichte euch zeigen. Saladin, dessen Tapferkeit so groß war, dass sie ihn nicht nur von einem geringen Manne zum Sultan von Babylon erhob, sondern ihm auch vielfache Seite 3 / 10 Siege über sarazenische und christliche Fürsten gewährte, hatte in zahlreichen Kriegen und in großartigem Aufwand seinen ganzen Schatz geleert, und wusste nun, wo neue und unerwartete Bedürfnisse wieder eine große Geldsumme erheischten, nicht, wo er sie so schnell, als er ihrer bedurfte, auftreiben sollte. Da erinnerte er sich eines reichen Juden namens Melchisedech, der in Alexandrien auf Wucher lieh und nach Saladins Dafürhalten wohl imstande gewesen wäre, ihm zu helfen, aber so geizig war, dass er von freien Stücken nie gethan haben würde. Gewalt wollte Saladin nicht brauchen; aber das Bedürfnis war dringend, und es stand bei ihm fest, auf die eine oder die andere Art sollte der Jude ihm helfen. So sann er denn nur auf einen Vorwand, unter einigem Schein von Recht ihn zwingen zu können. Endlich ließ er ihn rufen, empfing ihn auf das freundlichste, hieß ihn neben sich sitzen und sprach alsdann: "Mein Freund, ich habe schon von vielen gehört, du seiest weise und habest besonders in göttlichen Dingen tiefe Einsicht; nun erführe ich gern von dir, welches unter den drei Gesetzen du für das wahre hältst, das jüdische, das sarazenische oder das christliche." Der Jude war in der That ein weiser Mann und erkannte wohl, dass Saladin ihm solcherlei Fragen nur vorlegte, um ihn in seinen Worten zu fangen; auch sah er, dass, welches von diesen Gesetzen er vor den andern loben möchte, Saladin immer seinen Zweck erreichte. So bot er denn schnell seinen ganzen Scharfsinn auf, um eine unverfängliche Antwort, wie sie ihm noth that, zu finden, und sagte dann, als ihm plötzlich eingefallen war, wie er sprechen sollte: "Mein Gebieter, die Frage, die Ihr mir vorlegt, ist schön und tiefsinnig; soll ich aber meine Meinung darauf sagen, so muss ich euch eine kleine Geschichte erzählen, die Ihr sogleich vernehmen sollt. Ich erinnere mich, oftmals gehört zu haben, dass vor Zeiten ein reicher und vornehmer Mann lebte, der vor allen andern auserlesenen Juwelen, die er in seinem Schatz verwahrte, einen wunderschönen und kostbaren Ring werth hielt. Um diesen seinem Werthe und seiner Schönheit nach zu ehren und ihn auf immer im Besitz seiner Nachkommen zu erhalten, ordnete er an, dass derjenige unter seinen Söhnen, der den Ring, als vom Vater ihm übergeben, würde vorzeigen könnten, für seinen Erben gelten und vor allen andern als der vornehmste geehrt werden sollte. Der erste Empfänger des Ringes traf unter seinen Kindern eine ähnliche Verfügung und verfuhr dabei wie sein Vorfahre. Kurz der Ring ging von Hand zu Hand auf viele Nachkommen über. Endlich aber kam er in den Besitz eines Mannes, der drei Söhne hatte, die sämmtlich schön, tugendhaft und ihrem Vater unbedingt gehorsam, daher auch gleich zärtlich von ihm geliebt waren. Die Jünglinge kannten das Herkommen im Betreff des Ringes, und da ein jeder der Geehrteste unter den Seinigen zu werden wünschte, baten alle drei einzeln den Vater, der schon alt war, auf das inständigste um das Geschenk des Ringes. Der gute Mann liebte sie alle gleichmäßig und wusste selber keine Wahl unter ihnen zu treffen; so versprach er denn den Ring einem jeden und dachte auf ein Mittel, alle zu befriedigen. Zu dem Ende ließ er heimlich von einem geschickten Meister zwei andere Ringe verfertigen, die dem ersten so ähnlich waren, dass er selbst, der doch den Auftrag gegeben, den rechten kaum zu erkennen wusste. Als er auf dem Todbette lag, gab er heimlich jedem der Söhne einen von den Ringen. Nach des Vaters Tode nahm ein jeder Erbschaft und Vorrang für sich in Anspruch, und da einer dem andern das Recht dazu bestritt, zeigte der eine wie die andern, um die Forderung zu begründen, den Ring, den er erhalten hatte vor. Da sich nun ergab, dass die Ringe einander so ähnlich waren, dass niemand, welcher der echte sei, erkennen konnte, blieb die Frage, welcher von ihnen des Vaters wahres Erbe sei, unentschieden, und bleibt es noch heute. So sage ich euch denn, mein Gebieter, auch von den drei Gesetzen, die Gott der Vater den drei Völkern gegeben, und über die Ihr mich befraget. Jedes der Völker glaubt seine Erbschaft, sein wahres Gesetz und seine Gebote zu haben, damit es sie befolge. Wer es aber wirklich hat, darüber ist, wie über die Ringe, die Frage noch unentschieden." Als Saladin erkannte, wie geschickt der Jude den Schlingen entgangen sei, die er ihm in den Weg gelegt hatte, entschloss er sich, ihm geradezu sein Bedürfnis zu gestehen. Dabei verschwieg er ihm nicht, was er zu thun gedacht habe, wenn jener ihm nicht mit so viel Geistesgegenwart geantwortet hätte. Der Jude diente Saladin mit allem, was dieser von ihm verlangte, und Saladin erstattete jenem nicht nur das Darlehen vollkommen, sondern überhäufte ihn noch mit Geschenken, gab ihm Ehre und Ansehen unter denen, die ihm am nächsten standen, und behandelte ihn immerdar als seinen Freund. Seite 4 / 10 (Giovanni Boccaccio, Das Dekameron, Übers. von Karl Witte. Bd. 1., Leipzig 1859. S. 49-53) Text IV G.E. Lessing Nathan der Weise Dritter Aufzug, vierter Auftritt (Szene in Jerusalem: Ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin) Saladin und Sittah (Schwester von Saladin) (im Hereintreten, gegen die Türe) Hier bringt den Juden her, so bald er kömmt. Er scheint sich eben nicht zu übereilen. Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich Zu finden. Schwester! Schwester! Tust du doch Als stünde dir ein Treffen vor. Und das Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen. Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen; Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen. Wenn hätt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das Gelernt? - Und soll das alles, ah, wozu? Wozu? - Um Geld zu fischen; Geld! - Um Geld, Geld einem Juden abzubangen; Geld! Zu solchen kleinen Listen wär ich endlich Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir Zu schaffen? Jede Kleinigkeit, zu sehr Verschmäht, die rächt sich, Bruder. Leider wahr. - Und wenn nun dieser Jude gar der gute, Vernünftge Mann ist, wie der Derwisch dir Ihn ehedem beschrieben?

O nun dann! Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt Ja nur dem geizigen, besorglichen, Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht Dem weisen Manne. Dieser ist ja so Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausredt; Mit welcher dreisten Stärk' entweder, er Die Stricke kurz zerreißet; oder auch mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast Du obendrein. Nun, das ist wahr. Gewiß; Ich freue mich darauf. So kann dich ja Auch weiter nichts verlegen machen. Denn Ist's einer aus der Menge bloß; ist's bloß Ein Jude, wie ein Jude: gegen den Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr; Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm Als Geck, als Narr. So muß ich ja wohl gar Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht Schlecht denke? Traun! wenn du schlecht handeln nennst, Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen. Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er Nicht zu beschönen wüßte! Zu beschönen! Das feine, spitze Ding, besorg' ich nur, In meiner plumpen Hand zerbricht! - So was Will ausgeführt sein, wie's erfunden ist: Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. - Doch, Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann; Und könnt' es freilich, lieber - schlechter noch Als besser. Trau dir auch nur nicht zu wenig! Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. - Daß uns die Männer deines gleichen doch Seite 5 / 10 So gern bereden möchten, nur ihr Schwert, Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht. Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit dem Fuchse jagt: - des Fuchses, nicht der List. Und daß die Weiber doch so gern den Mann Zu sich herunter hätten! - Geh nur, geh! - Ich glaube meine Lektion zu können. Was? ich soll gehn? Du wolltest doch nicht bleiben? Wenn auch nicht bleiben... im Gesicht euch bleiben - Doch hier im Nebenzimmer - Da zu horchen? Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn. - Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kömmt! - doch daß Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach. (indem sie sich durch die Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein, und Saladin hat sich gesetzt.) Dritter Aufzug, fünfter Auftritt Saladin und Nathan Tritt näher, Jude! - Näher! - Nur ganz her! - Nur ohne Furcht! Die bleibe deinem Feinde! Du nennst Dich Nathan? Ja. Den weisen Nathan? Nein. Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk. Kann sein; das Volk! Du glaubst doch nicht, daß ich Verächtlich von des Volkes Stimme denke? - Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen, Den es den Weisen nennt. Und wenn es ihn Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vorteil gut versteht Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch? Dann freilich wär' der Eigennützigste Der Klügste. Dann wär' freilich klug und weise Nur eins. Ich höre dich erweisen, was Du widersprechen willst. - Den Menschen wahre Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du. Hast du zu kennen wenigstens gesucht; Hast drüber nachgedacht: das auch allein Macht schon den Weisen. Der sich jeder dünkt Zu sein. Nun der Bescheidenheit genug! Denn sie nur immerdar zu hören, wo Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. (Er springt auf.) Laß uns zur Sache kommen! Aber, aber Aufrichtig, Jud', aufrichtig! Will sicherlich dich so bedienen, daß Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe. Bedienen? wie? Du sollst das Beste haben Von allem; sollst es um den billigsten Preis haben. Seite 6 / 10 Wovon sprichst du? doch wohl nicht Von deinen Waren? - Schachern wird mit dir Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!) - Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun. So wirst du ohne Zweifel wissen wollen, Was ich auf meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings sich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen? - Wenn ich unverholen... Auch darauf bin ich eben nicht mit dir Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel Ich nötig habe. - Kurz: - Gebiete, Sultan. Ich heische deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm. - Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal - Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet? Sultan, Ich bin ein Jud' Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. - Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. - Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. Wohlan! so teile deine Einsicht mir Dann mit. Laß mich die Gründe hören, denen Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit Gehabt. Laß mich die Wahl, die diese Gründe Bestimmt, - versteht sich, im Vertrauen - wissen, Damit ich sie zu meiner mache. Wie? Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? - Kann Wohl sein, daß ich der erste Sultan bin, Der eine solche Grille hat; die mich Doch eines Sultans eben nicht so ganz Unwürdig dünkt. - Nicht wahr? - So rede doch! Sprich! - Oder willst du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut, ich geb' ihn dir. - (Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen; Will hören, ob ich's recht gemacht. - ) Denk' nach. Geschwind denk' nach! Ich säume nicht, zurück Zu kommen.

(Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben) Dritter Aufzug, sechster Auftritt Nathan (allein). Hm! hm! - wunderlich! - Wie ist Mir denn? - Was will der Sultan? was? - Ich bin Auf Geld gefaßt; und er will - Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, - so bar, so blank, - als ob Die Wahrheit Münze wäre! - ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! - Das ginge noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er? - Doch wie? Sollt' er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fordern? - Zwar, Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur Als Falle brauche, wär' auch gar zu klein! - Zu klein? - Was ist für einen Großen denn Zu klein? - Gewiß, gewiß: er stürzte mit Der Tür so ins Haus! Man pocht doch, hört Doch erst, wenn man als Freund sich naht. - Ich muß Behutsam gehn! - Und wie? wie das? - So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. - Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft' er mich nur fragen, Warum kein Muselmann? - Das war's! Das kann Mich retten! - Nicht die Kinder bloß, speist man Mit Märchen ab. - Er kömmt. Er komme nur! Dritter Aufzug, siebenter Auftritt Saladin und Nathan: (So ist das Feld hier rein!) - Ich komm' dir doch Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande Mit deiner Überlegung. - Nun so rede! Es hört uns keine Seele. Möcht' auch doch Die ganze Welt uns hören. So gewiß Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn' Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! für sie alles auf das Spiel Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut! Seite 7 / 10 Ja! ja! wann's nötig ist und nutzt. Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt des Gesetzes, Mit Recht zu führen. Traun, ein schöner Titel! Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue, Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu Erzählen? Warum das nicht? Ich bin stets Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut Erzählt. Ja, gut erzählen, das ist nun Wohl eben meine Sache nicht. Schon wieder So stolz bescheiden? - Mach'! erzähl, erzähle! Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Daß ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring Von seinen Söhnen dem geliebtesten; Und setzte fest, daß dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, Ohn Ansehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. - Versteh mich Sultan. Ich versteh' dich. Weiter! So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, - sowie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergießend Herz Die andern zwei nicht teilten, - würdiger Des Ringes; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, solang es ging. - Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort Verlassen, so zu kränken. - Was zu tun? - Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen, - Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch, Sultan? (der sich betroffen von ihm gewandt). Ich hör', ich höre! - Komm mit deinem Märchen Nur bald zu Ende. - Wird's Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, verstht sich ja von selbst. - Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; - (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet) Fast so unerweislich, als Uns itzt - der rechte Glaube. Wie? das soll Die Antwort seine auf meine Frage?... Soll Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau' zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. Seite 8 / 10 Die Ringe! - Spiele nicht mir mir! - Ich dächte, Daß die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank! Und nur von seiten ihrer Gründe nicht. - Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! - Und Geschichte muß doch wohl allein auf Treu' Und Glauben angenommen werden? - Nicht? - Nun, wessen Treu' und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir sind? doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war? - Wie kann ich meinen Vätern weniger Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. - Kann ich von dir verlangen, daß du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? - (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muß verstummen.) Laß auf unsre Ring' Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! - Nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Genießen. - Wie nicht minder wahr! - Der Vater, Beteu'rte jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein: und eh' er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnen lass': eh' müss' er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verräter Schon auszufinden wissen; sich schon rächen. Und nun der Richter? - Mich verlangt zu hören, Was du den Richter sagen lässet. Sprich! Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel Zu lösen da bin? Oder harret ihr, Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? -

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! - Nun: wen lieben zwei Von Euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten? - O, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. Herrlich! herrlich! Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur! - Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. - Möglich; daß der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollen! - Und gewiß; Daß er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen. - Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad' ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der Bescheidne Richter. Gott! Gott! Saladin, Wenn du dich fühlest, dieser weisere Versprochne Mann zu sein:... (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt). Ich Staub? Ich Nichts? O Gott! Was ist dir Sultan? Nathan, lieber Nathan! - Die tausend tausend Jahre deines Richters Sind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nicht Der meine. - Geh! - Geh! - Aber sei mein Freund. Und weiter hätte Saladin mir nichts Zu sagen? Nichts. Nichts? Gar nichts. - Und warum? Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht, Dir eine Bitte vorzutragen. Braucht's Gelegenheit zu einer Bitte? - Rede! Ich komm' von einer weiten Reis', auf welcher Ich Schulden eingetrieben. - Fast hab' ich Des baren Gelds zuviel. - Die Zeit beginnt Bedenklich wiederum zu werden; - und Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. - Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht, - weil doch Ein naher Krieg des Geldes immer mehr Erfodert, - etwas brauchen könntest. (ihm steif in die Augend sehend.) Nathan! - Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon Bei dir gewesen; - will nicht untersuchen, Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses Erbieten freier Dings zu tun:... Ein Argwohn? Ich bin ihn wert. - Verzeih mir! - Denn was hilft's? Ich muß dir nur gestehen, - daß ich im Begriffe war - Doch nicht, das Nämliche An mich zu suchen? Allerdings So wär' Uns beiden ja geholfen! - Daß ich aber Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken, Das macht der junge Tempelherr. Du kennst Ihn ja. Ihm hab' ich eine große Post Vorher noch zu bezahlen. Tempelherr? Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht Mit deinem Geld auch unterstützen wollen? Ich spreche von dem einen nur, dem du Das Leben spartest... Ah! woran erinnerst Du mich! - Hab' ich doch diesen Jüngling ganz Vergessen! - Kennst du ihn? - Wo ist er? Wie? So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, Hat meine Tochter aus dem Feur gerettet. Er? Hat er das? - Ha! darnach sah er aus. Das hätte traun mein Bruder auch getan. Dem er so ähnelt! - Ist er denn noch hier? So bring' ihn her! - Ich habe meiner Schwester Von diesem ihren Bruder, den sie nicht Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie Sein Ebenbild doch auch muß sehen lassen! - Geh, hol' ihn! - Wie aus einer guten Tat, Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft, Doch so viel andre guten Taten fließen! Geh, hol' ihn! (indem er Saladins Hand fahren läßt). Seite 10 / 10 Augenblicks! Und bei dem andern Bleibt es doch auch? (Ab.) Ah! daß ich meine Schwester Nicht horchen lassen! - Zu ihr! zu ihr! - Denn Wie soll ich alles das ihr nun erzählen? (Ab von der andern Seite.) Seite 9 / 10