Arge Protektorat Böhmen und Mähren, Mbl. 166 Beilage 214 Vilém Bulant PDR1, NEUENBURG a.d. ELBE - NYMBURK, grüner Orts-Tagesstempel Vilém Bulant Mit etwas Übertreibung kann man von ihm sagen, dass er in verschiedenen tschechischen und deutschen Katalogen besondere Aufmerksamkeit genießt. Seine Bewertung ist hoch, denn sein Vorkommen ist sehr gering und allgemein ist der Stempel etwas mit Dunkel umhüllt. Der folgende Beitrag fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen und fügt das bei, was es dem Verfasser festzustellen gelang. Es geht um den Orts-Tagesstempel des Postamtes Neuenburg/Nymburk mit dem Unterscheidungsbuchstaben i, welcher Anfang November 1940 in grüner Farbe zum 80. Jahrestag Neuenburger Hlahol-Vereins verwendet wurde. Zum ersten Mal wurde dieser Stempel im Artikel des Redakteurs K.V. Niederle erwähnt, welcher 1942 in der Zeitschrift Český filatelista auf Seite 192 erschien. In diesem Artikel gibt der Autor eine Übersicht der gesuchtesten Sonderstempel, und unter ihnen befindet sich auch der grüne Stempel aus Neuenburg. Die angegebene Verwendungszeit begrenzt sich hier nur auf das Datum 4.XI.1940. Woher die zusätzliche Information kommt, dass die Verwendung der grünen Farbe vom Ministerium bewilligt wurde, ist nicht bekannt, aber im Amtsblatt des Verkehrsministeriums für den Bereich der Protektoratspost Böhmen und Mähren und im Amtsblatt der Postdirektion in Prag habe ich keine solche Angaben gefunden. Genauso ergebnislos war meine Suche im Nationalarchiv im Fond des Postministeriums (MPT 429). Niederle berichtet, dass der Grund angeblich die ungenügende Zeit zur Beschaffung eines Sonderstempels war, und deshalb wurde als Notmassnahme die Verwendung des üblichen Tagesstempels in abweichender Farbe gewählt. Zur Person von K.V. Niederle kann nur gesagt werden, dass es ein bekannter Prager Händler, Redakteur und Verleger war, welcher u.a. Abschläge von Sonderstempeln für Sammler beschaffte, dies auf Kärtchen mit der Bezeichnung SNR bzw. Služba Niederlovy ročenky ( Dienst des Niederle-Jahrbuches ) mit dem Bild eines Posthorns und einer Zeichnung des Hradschin. Er bot auch Vermittlung des Briefmarkentausches an und war Herausgeber eines philatelistischen Jahrbuches. Also jemand, der sich in der Philatelie bewegte und auskannte und Verbindungen zu Angestellten der Postverwaltung haben konnte. Bekannt sind auch seine Briefe, frankiert mit Briefmarken in der Form eines unvollkommenen Hakenkreuzes.
Seite 2 Was waren eigentlich die Gründe für die Verwendung eines Sonderstempels, oder zumindest der grünen Farbe bei der Abstempelung mit dem Orts-Tagesstempel Neuenburg/Nymburk? Der 1.XI.1940 war der 80. Jahrestag des Neuenburger Hlahol-Sängervereins: am 1.XI.1860 fand die erste (Gründungs-)Vereins-Sitzung statt, aus der Initiative des damaligen Neuenburger k.k. Postmeisters Gustav Slabihoudek. Er war nicht nur Mitgründer, sondern auch der erste Dirigent und ein mächtiger Tenor. Als Erinnerung an die Jubiläumsfeierlichkeiten wurde ein Gedenkblatt im A4- Format herausgegeben, wo die gründenden Mitglieder gelistet sind und insbesondere an Gustav Slabihoudek erinnert wird. Auf dem Blatt wurde eine 5h-Lindenblütenmarke (Pof./Mi. 20) aufgeklebt und mit dem erwähnten Stempel mit dem Datum 1.XI.1940 versehen. Ursprüngliches Gedenkblatt Original-Gedenkblatt mit dazugeklebten Marken, die am 5.XI.1940 abgestempelt sind Nun können wir zur Verwendung des Poststempels in grüner Farbe zurückkehren. Das von K.V. Niederle in seinem Artikel erwähnte Datum 4.XI.1940 wurde von den Katalogen Trojan und Pofis übernommen und ist auch im Katalog Engel zusammen mit einem zweiten Datum 2.XI.1940 erwähnt. Der Prüfer und Sammler Hans H. Paetow aus der deutschen ArGe Böhmen und Mähren erwähnt in seinem Artikel im Mitteilungsblatt Nr. 119 auch andere belegte Daten zwischen den 1.XI. und 10.XI. und zum Datum 4.XI. gibt er an, dass er es nur in Form einer Stempelfälschung kennt, welche sich vom Original durch den Ton der verwendeten Stempelfarbe, Ausführung der Datumsziffern (insbesondere der dicken Null in der Jahreszahl) und weiteren Details der Zeichnung unterscheidet. Wie sind aber die Fakten? Nach einigen Jahren meiner Sammler- und Forschungs-Bemühungen kann ich feststellen, dass der grüne Stempel Nymburk am 1.XI.1940 und an mehreren weiteren Tagen verwendet wurde und dass das späteste bisher festgestellte Datum der 10.XI.1940 ist. Die einzelnen Daten habe ich auf Grund folgender Unterlagen festgestellt: 1. 11. 1940 (Freitag) - Der Stempel wurde auf Gedenkblättern mit aufgeklebter 5h-Marke verwendet. Ein Teil der Gedenkblätter wurde von Sammlern mit anderen Marken beklebt und diese dann mit dem gleichen Stempel, aber mit anderen Daten abgestempelt. Auf den
Seite 3 Gedenkblättern befindet sich also nur ein Stempel mit dem Datum 1.11.1940 und alle anderen Abschläge haben ein unterschiedliches Datum. 2. 11. 1940 (Samstag) - Dieses Datum ist im Katalog Engel erwähnt und eine Abbildung dieses Stempels befindet sich im o.e. Artikel von Herrn H.H. Paetow. 3. 11. 1940 (Sonntag) - Dieses Datum ist bisher nicht belegt. 4. 11. 1940 (Montag) Dies ist das bei Sammlern meist bekannte Datum, bisher habe ich aber nur Abschläge auf Ausschnitten gesehen. 5. 11. 1940 (Dienstag) Dieses Datum kenne ich von zwei gelaufenen Briefen (beides Hlahol-Umschläge) und auch von Abschlägen auf den Gedenkblättern wie oben erwähnt. Einer der erwähnten Briefe ist Prag-Burg adressiert und trägt den Ankunftsstempel Prag 10/Praha 10 vom 6.11.1940, der zweite Brief ist unten abgebildet. 6. 11. 1940 (Mittwoch) - Auf einem Ausschnitt belegt. 7. 11. 1940 (Donnerstag) Nur auf einer Reproduktion aus unbekannter Quelle bekannt. 8. 11. 1940 (Freitag) - Auf einem Ausschnitt belegt. 9. 11. 1940 (Samstag) Der Stempel auf Gedenkblatt ist im o.e. Artikel von Herrn H.H. Paetow reproduziert. 10. 11. 1940 (Sonntag) Der Stempel ist im o.e. Artikel von Herrn H.H. Paetow reproduziert. Original-Abbildungen einiger der o.e. Verwendungsdaten (s. oben) Original-Abbildung des Briefes vom 5.11. aus dem Exponat von Dipl. Ing. Michal Příkazský (mit freundlicher Genehmigung des Inhabers).
Seite 4 Abbildungen einiger der o.e. Verwendungsdaten aus der Literatur (s. oben) Die meisten der erwähnten Belege befinden sich in meiner Sammlung (Gedenkblätter und Ausschnitte), einige wurden mir zum Studium geliehen und ein Teil der Erkenntnisse stammt aus der Literatur. Die Schlussfolgerung ist eindeutig: der Stempel wurde an mehr Tagen verwendet, als bisher bekannt war. Da der grüne Stempel Nymburk zu den wertvollsten Sonderstempeln des Protektorats zählt, muss man mit dem Vorkommen von Fälschungen rechnen. Der folgende Teil meiner Studie ist diesem Problem gewidmet und bringt meine Erkenntnisse zu diesem Thema. Nach Messungen und gründlichem Vergleich der vergrößerten Stempelbilder (der festen, aber auch der beweglichen Teile Datum und Stunde) kam ich zu dem Schluss, dass die Abschläge mit dem Datum 4.XI.1940 zwei Varianten aufweisen. Abschläge mit anderen Daten weisen keine Unterschiede auf und haben einheitliches Aussehen. Die Stempel mit dem Datum 4.XI.1940 habe ich in zwei Gruppen eingeteilt und als A und B bezeichnet. Die Gruppe A umfasst Abschläge, deren Bild mit jenem der Abschläge mit anderen Daten übereinstimmt. Diese umfassen auch Abschläge auf Belegen, die nachweisbar echt sind, wie die Gedenkblätter und die Hlahol-Briefumschläge. Die Gruppe B enthält Abschläge, die ein von der Gruppe A unterschiedliches Bild aufweisen und identisch mit der als Fälschung bezeichneten Abbildung im Artikel von Herrn H.H. Paetow sind. Die beiden Gruppen unterscheiden sich in den folgenden sichtbaren und messbaren Merkmalen: Gruppe A: Die Höhe des oberen Segments beträgt 3,6 mm und des unteren Segments 3,5 mm Die verlängerte obere Kante der oberen Linie der Datumbrücke liegt links 0,3 mm unter dem Buchstaben U, rechts 0,5 mm unter dem Buchstaben E Die Abmessungen des Stempels sind 24,5 mm x 24,5 mm und bilden einen idealen Kreis Die erste 4 im Datum ist oben durch eine gerade Linie gebildet Die Null in der Jahresangabe ist schlank und berührt nicht die 4 Gruppe B: Die Höhe des oberen Segments beträgt 3,3 mm und des unteren Segments 3,5 mm Die verlängerte obere Kante der oberen Linie der Datumbrücke quert links 0,2 mm den Buchstaben U und berührt rechts den Buchstaben E Der Stempelabschlag ist 23,7 mm hoch und 24 mm Breit (der Kreis ist oben etwas abgeflächt) Die erste 4 im Datum ist oben durch eine leicht gebogene Linie gebildet Die Null in der Jahresangabe ist breiter und berührt die 4 Was die Stundenangabe 10 betrifft, ist die Ziffer 1 bei der Gruppe A meist nur teilweise oder überhaupt nicht abgeschlagen, bei der Gruppe B ist die Zahl immer komplett abgeschlagen, aber gegen der Ziffer 0 nach unten verschoben. Bei Gruppe A können bei allen Ziffern der Datumbrücke teilweise bzw. unvollkommene Abschläge gefunden werden, variabel ist auch deren vertikale und
Seite 5 horizontale gegenseitige Lage, bei der Gruppe B ist die Lage konstant. Abschläge, welche nur als Reproduktion vorlagen, wurden nicht gemessen, sondern nur nach der Position der oberen Linie der Datumbrücke zu den Buchstaben der Ortsbezeichnung untersucht, was genügend war, um über die Zugehörigkeit zur Gruppe A oder B zu entscheiden. Zur Illustration zeige ich unten die vergrößerten Bilder des typischen Aussehens von Abschlägen beider Gruppen. A B Abschläge des echten Stempels Neuenburg / i aus der Zeit vor der Feier
Seite 6 Die unterschiedlichen Merkmale der Gruppe B könnten nicht als Resultat einer Beschädigung des ursprünglichen Stempels erklärt werden, denn Abschläge mit späterem Datum weisen die Merkmale der Gruppe A auf. Zur Bestätigung meiner Theorie habe ich auch Abschläge des Stempels mit dem Unterscheidungsbuchstaben i auf normaler Korrespondenz (in schwarzer Farbe) gesucht. Nach Jahren gelang es mir, einen Beleg aus der Zeit vor und zwei Belege aus der Zeit nach der Verwendung der grünen Farbe zu finden. Alle drei Abschläge haben Merkmale der Gruppe A, obwohl sie aus einem längeren Zeitraum stammen. Abschließend erlaube ich mir in Übereinstimmung mit Herrn H.H. Paetow den Schluss zu ziehen, dass es sich bei den Abschlägen der Gruppe B um gut gelungene und auf den ersten Blick schwer zu identifizierende Fälschungen handelt. Sie stammen nicht aus der letzten Zeit, ich habe sie schon vor vielen Jahren gefunden. Da das Datum 4.XI.1940 lange als einziges Verwendungsdatum dieses Sonderstempels geführt wurde, ist es logisch, dass die Fälschung dieses Datum aufweist. Das Papier sieht bei den Fälschungen zeitgemäß aus, ohne optische Aufheller, aber es ist ungewöhnlich groß. Die Ausschnitte mit dem echten Stempel sind meistens sehr klein und vermutlich durch Zerschneiden größerer Bogen mit vielen abgestempelten Marken entstanden, wie es damals üblich war. Auch die grüne Farbe der Fälschungen sieht originalgetreu aus, auch wenn manche Abschläge einen leicht gelblichen Stich aufweisen. Das kann aber mit der Intensität des Abschlages, Dichte und Menge der Farbe und der Qualität des Papiers zusammenhängen. Dieser Artikel ist nicht als Leitfaden für die Herstellung von weiteren und erfolgreicheren Fälschungen gemeint, will aber auf die Risiken beim Kauf dieses interessanten Stempels aufmerksam machen. Ich begrüße jede Information, Kommentar und Anregung, die meine Feststellungen weiter ergänzen könnten. Quellen: K. V. Niederle: Která pamětní razítka Protektorátu jsou hledaná. Český filatelista, Jahrgang 47 (1942), S. 192. Katalog Trojan, Protektorát Čechy a Morava, Slovenský štát 1939-1945, Sudety 1938, 1995. Katalog Pofis, Protektorát Čechy a Morava, 1999. Engel, Böhmen und Mähren Spezialkatalog, 1990. H.-H. Paetow: Sonderstempel Nr.120 Neuenburg a. d. Elbe - Nymburk, Ub: i (Tagesstempel in grüner Farbe). ArGe Böhmen und Mähren, Mitteilungsblatt Nr. 119, Juli 1999, Beilage 110. Eigene Sammlung und ausgeliehenes Material. Veröffentlicht am 2. März 2012 auf den Internetseiten des Auktionshauses und Internetshops Burda- Auction (http://www.burda-auction.com/de/). Ins Deutsche übersetzt von P. Gebauer aus der tschechischen Originalfassung (http://www.burda-auction.com/cz/sberatelstvi/odborne-clanky/show/ 83/) mit einigen vom Verfasser autorisierten Änderungen, und im Mitteilungsblatt der Arge Protektorat Böhmen und Mähren mit freundlicher Zustimmung des Autors und der Firma Burda-Auction veröffentlicht.