Minigolf kommt zu dir Konzeption, Durchführung und Evaluation eines sportspielorientierten Bewegungsangebotes in Pensionistenhäusern in Wien



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Transkript:

ROSA DIKETMÜLLER & MICHAEL KOLB Minigolf kommt zu dir Konzeption, Durchführung und Evaluation eines sportspielorientierten Bewegungsangebotes in Pensionistenhäusern in Wien 1 Einleitung Für alte Menschen scheinen die Barrieren für den Zugang zu und die langfristige Teilnahme an organisierten Sport- und Bewegungsangeboten besonders hoch zu sein. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass nur ein äußerst geringer Teil der alten Menschen an organisierten Sport- und Bewegungsaktivitäten teilnimmt. Wenn Ältere überhaupt körperlich aktiv sind, so gehen sie überwiegend in selbst organisierten Rahmen moderaten Bewegungsaktivitäten wie Spazierengehen, Wandern, Walken etc. nach. Offensichtlich bieten derartige in eigener Regie organisierte Formen eine zeitliche und räumliche Flexibilität sowie die Möglichkeit der eigenständigen Bestimmung von Umfang und Intensität der körperlichen Belastung, die den Bedürfnissen älterer Menschen deutlich entgegenkommt. Alte Menschen nehmen insbesondere kaum an irgendeiner Form des Sportspiels teil, zu deren Durchführung in der Regel eine regelmäßige zeitliche und räumliche Abstimmung einer ganzen Gruppe von Personen erforderlich ist. Ein weiterer Grund für ihre Abstinenz ist sicherlich darin zu suchen, dass Männer sich im Alter insgesamt in deutlich geringerem Umfang an Bewegungsaktivitäten beteiligen als Frauen, die vor allem an gesundheitsorientierten gymnastischen und tänzerischen Bewegungsinhalten interessiert sind. Offensichtlich bedarf es besonderer Inszenierungsformen, um gerade Sportspiele für Ältere in attraktiver Weise anzubieten. Im Folgenden soll über das Projekt Minigolf kommt zu dir berichtet werden, das im Rahmen des EU-Jahres 2004 unter dem Thema Erziehung durch Sport, in Kooperation mit der Minigolfcompany, dem Kuratorium der Wiener Pensionistenwohnhäuser sowie der Abteilung Bewegungs- und Sportpädagogik des Zentrums für Sportwissenschaft der Universität Wien durchgeführt wurde. Ziel dieses von der EU geförderten Projektes war es, den Bewohner/innen von 32 Pensionistenhäusern in Wien die Gelegenheit zu eröffnen, Minigolf kennen zu lernen, regelmäßig Minigolf zu spielen und an Minigolf-Wettbewerben teilzunehmen. Besonderes Augenmerk wird in der nachfolgenden Darstellung auf die Frage gerichtet, wie es im Rahmen des Projektes gelungen ist, die in diesem spezifischen Setting lebenden alten Personen zu erreichen und zu teilweise wettkampforientierten Sportspielaktivitäten zu animieren. Dabei wird zunächst auf die spezielle Zielgruppe sowie die konkrete Gestaltung der Interventionsmaßnahmen eingegangen, die sich an Konzepten der Gesundheitsförderung sowie einer zeitgemäßen Altenbildung orientieren (2). Im Anschluss werden einzelne Ergebnisse aus der begleitenden Evaluation vorgestellt und ein kurzes Resümee (3) wird gezogen. 1

2 Konzeption und Implementierung des Minigolf-Angebotes Erkenntnisse aus der Gesundheitsförderung wie der Altenbildung zeigen, dass es für eine Etablierung neuer Verhaltensweisen im alltäglichen Leben von Menschen nicht ausreicht, Informationen weiterzugeben oder über gesundheitsgefährdende Faktoren aufzuklären. Es bedarf vielmehr gleichzeitig einer gezielten verhältnisorientierten Gestaltung der Bedingungen, z.b. einer bewegungsanregenden Umwelt, die es Menschen vielfach erst ermöglicht, ihr Verhalten zu verändern bzw. neue Bewegungsaktivitäten aufzunehmen. Leitlinie für das Projekt war deshalb, eng an den Möglichkeiten und Bedürfnissen Älterer anzusetzen und direkt in den Pensionistenhäusern, also dem Setting, in dem die Menschen leben, strukturelle Veränderungen zu initiieren, die den Beteiligten einen möglichst barrierefreien Zugang zu Bewegungsaktivitäten ermöglichen. Zielgruppe und Setting Zielgruppe des Projektes Minigolf kommt zu dir sind alte und hochaltrige Menschen, und hier vor allem Frauen, die überwiegend nicht mehr in der Lage sind, einen eigenen Haushalt zu führen und deshalb aufgrund zunehmender körperlicher und/oder geistiger Einschränkungen in ein Pensionistenwohnhaus gezogen sind. In der Evaluation zeigte sich, dass von den mehr als 150 Personen, die an dem Projekt bzw. den verschiedenen Bewegungsangeboten teilgenommen haben, 77 % Frauen im Alter zwischen 69 und 95 Jahren waren. Das Durchschnittsalter betrug 77,4 Jahre. Rund 40% der Teilnehmenden waren zwischen 70 und 80 Jahre alt, mehr als die Hälfte der Teilnehmer/innen war älter als 80 Jahre. Der älteste männliche Mitspieler zählte 92 Jahre, die Siegerin eines Wettbewerbs sogar 95 Jahre. Gerade die Zielgruppe der heute Alten hatte im Laufe ihres Lebens vielfach kaum die Chance, einen Zugang zu Sportaktivitäten zu finden. Oft beschränken sich ihre Bewegungserfahrungen auf den lange Zeit zurückliegenden Turnunterricht, der in ihrer Kindheit oft nur sporadisch stattgefunden hat. Für eine erfolgreiche Implementierung von Bewegungsangeboten ist es deshalb von besonderer Bedeutung, diese weitgehend fehlenden Vorerfahrungen zu berücksichtigen und Bewegungsinhalte anzubieten, die zum einen an wahrscheinliche biographische Bewegungserlebnisse anknüpfen und zum anderen möglichst niedrige Zugangsbarrieren haben. Minigolf erscheint hier als eine ideal geeignete Bewegungsform, da viele alte Menschen Minigolf z. B. im Rahmen von Urlaubs- und Freizeitaktivitäten ausgeübt haben, dafür nur vergleichsweise geringe körperliche Voraussetzungen erforderlich sind und man für das Minigolfspiel keine besondere Sportbekleidung tragen muss. Minigolf kann zudem auch von Personen mit deutlichen körperlichen Einschränkungen bis hin zu Behinderungen gespielt werden. Eine problematische Zugangsbarriere ist allerdings, dass für das Minigolfspiel spezielle Minigolfbahnen aufgesucht werden müssen. Dies ist insbesondere für bewegungsbeeinträchtigte alte Menschen mit einem beschwerlichen Aufwand verbunden, den viele nicht mehr auf sich zu nehmen bereit oder in der Lage sind. Gelöst wurde dieses Problem im Rahmen des Projektes durch mobile Indoor- Minigolfbahnen, die direkt in den Pensionistenhäusern aufgebaut werden können. 2

Implementierung des Bewegungsangebotes Ein wesentlicher Grund für die erfolgreiche und nachhaltige Implementierung des Minigolfs liegt in der gelungenen Kooperation der drei beteiligten Organisationen. Die ursprüngliche Idee, Minigolf alten Menschen in Pensionistenwohnhäusern auf mobilen Indoorbahnen zugänglich zu machen, stammt von Vertreter(inne)n der Minigolfcompany (www.minigolfcompany.com), einem Verein zur Förderung des Minigolfsports in Österreich. Trainer/innen und Lehrwarte und Lehrwartinnen des Sportvereins Union Rot Gold unterstützten die Minigolfcompany bei der konkreten Durchführung der Schnupperveranstaltungen und bei der Organisation der Minigolf-Wettbewerbe in den verschiedenen Pensionistenwohnhäusern. Ermöglicht wurde das Projekt vor allem durch die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Kuratorium der Wiener Pensionistenwohnhäuser (KWP), der Trägerinstitution der mehr als 30 sogenannten Häuser zum Leben in Wien. Das besondere Engagement der Direktorin der Einrichtung erleichterte die Kommunikation mit den Verantwortlichen in den Häusern vor Ort, ermöglichte die Einbindung der Veranstaltung in die täglichen Routinen, insbesondere in die nachmittäglichen Jausen, und die Unterstützung der Veranstaltungen durch die Betreuer/innen in den Häusern. Zudem konnte die etablierte organisationsinterne Kommunikationsstruktur dafür genutzt werden, das Projekt zu bewerben und auch die Kontakte zu den Medien für mehrere Fernsehauftritte, Radiosendungen sowie laufende Berichterstattung in Tages- und Wochenzeitungen usw. herzustellen. Aufgabe der Abteilung Bewegungs- und Sportpädagogik des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Wien war es, auf Basis bisheriger Projekterfahrungen mit der Zielgruppe Alte Menschen ein inhaltliches Konzept für das Projekt zu entwickeln, die Mitarbeiter/innen der Minigolfcompany beratend zu begleiten, den Projektverlauf zu evaluieren und nicht zuletzt professionelle Unterstützung bei der Beantragung der Projektfinanzierung durch die EU zu geben. Bei der Implementierung organisierten die Mitarbeiter/innen der Minigolfcompany zunächst Schnupperangebote in den Pensionistenwohnhäusern. Meist fanden diese zu den Zeiten und an den Orten statt, an denen sich die Hausbewohner/innen ohnehin z.b. zur gemeinsamen Jause im Cafe treffen. Dort wurden zu dieser Zeit die mobilen Minigolfanlagen aufgebaut und die wichtigsten Spielregeln erläutert. Auf diese Weise kamen die alten Menschen in unverbindlicher Form in Kontakt mit dem Minigolf und hatten die Möglichkeit, die Anlagen ohne großen persönlichen Aufwand auszuprobieren. Wichtig war, dass sie die Erfahrung machen konnten, dass Minigolf auch durchführbar ist, wenn man sich nicht mehr bücken bzw. nicht mehr in der Lage ist, einen Ball vom Boden aufzuheben. Die Bälle lassen sich mit Hilfe einer speziellen Saugvorrichtung am Schlägerkopf vom Boden greifen. Von entscheidender Bedeutung war auch, dass die Direktor(inn)en in den Häusern so direkt miterleben konnten, dass das Minigolfspiel sich für die Bewohner/innen als Bewegungsaktivität ideal eignet und gut angenommen wird. Sie erhielten das Angebot, die mobilen Anlagen zu erwerben und in eigener Regie zu nutzen. Es bestand aber auch die Möglichkeit, die Anlagen zeitweise zu entlehnen. 3

In der Evaluation zeigte sich, dass die Bewohner/innen die Anlagen regelmäßig nutzten und teilweise sogar intensiv für die Wettbewerbe trainierten. Zu diesen Wettbewerben, die jeweils in einem anderen Pensionistenwohnhaus stattfanden, wurden die Bewohner/innen der anderen Häuser eingeladen und die Häuser konnten sich so in Einzel- als auch in Häuserwettbewerben miteinander messen. 3 Evaluationsergebnisse und Resümee Die Evaluation bestätigte, dass es durch das eng settingorientierte Vorgehen und die Einbeziehung der konkreten Lebenssituationen der Hausbewohner/innen gelungen ist, eine ganze Anzahl der Bewohner/innen zur Aufnahme sportspielorientierter Bewegungsaktivitäten zu animieren. So gaben fast 80 % der Teilnehmenden an, auch zwischen den Wettbewerben regelmäßig zu Trainingszwecken zu üben. Mehr als 30 % spielten mehrmals wöchentlich, knapp 20 % sogar täglich und organisierten dabei ihr Training weitgehend gemeinsam. Einige der Teilnehmenden, die in ihrem Haus über keine eigene mobile Bahn verfügten, fuhren sogar für ihr Training zu anderen Häusern. Nicht wenige nahmen sogar trotz deutlicher körperlicher Beeinträchtigungen im Rollstuhl und mit Gehhilfen an den Wettbewerben teil. Neben den Bewegungsaktivitäten zeigte sich eine ganze Anzahl an positiven Begleiteffekten. So wurden die Heimbewohner/innen durch den Besuch anderer Häuser zu erhöhter Alltagsmobilität angeregt. Zwischen den weitgehend isolierten Häusern kam es zu Kontakten und der Stellenwert von Bewegungsaktivitäten innerhalb der allgemeinen Betreuung wurde verbessert. Dies zeigt sich z.b. auch darin, dass in der Zwischenzeit in Informationsmaterialien der Wiener Pensionistenwohnhäuser sogar mit Minigolf als einem besonderen Bewegungsangebot geworben wird. Zudem erhielten die Teilnehmenden durch das Projekt einen Anstoß, sich neuen Medien zuzuwenden. Fast alle der Befragten kennen die Homepage der Minigolfcompany, die sie als Informationsquelle und zum Betrachten der Fotos der Wettbewerbe nutzen. 32 % können selbstständig am Computer arbeiten und 15 % besuchen die Homepage gemeinsam mit Betreuer(inne)n oder Verwandten. Wenn Sportspielorganisationen und sportspielbezogene Forschung sich dazu bereit finden, über den gewohnten jugend- und leistungssportorientierten Denk- und Wahrnehmungshorizont hinauszugehen und sich an den Bedürfnissen und Lebensbedingungen älterer Menschen zu orientieren, so kann es, wie das Beispiel zeigt, gelingen, auch diese bislang weitgehend inaktive Zielgruppe für Spielsportaktivitäten zu begeistern. Literatur Diketmüller, R. (u. Mitarb. v. Toril Jones). (2005). Projektdokumentation und Projektevaluation des EU-geförderten Projektes im Europäischen Jahr der Erziehung durch Sport Minigolf kommt zu Dir. Bewegung und lebenslanges Lernen mit älteren Menschen in Wiens Häusern zum Leben. Unveröff. Projektbericht Wien. 4