GEORG BÜCHNER DANTON S TOD DRITTER AKT, SZENE 1
GOTT SCHÖPFER! GOTT EXISTIERT NICHT S. 56, 1-29 [Das Luxemburg; ein Saal mit Gefangenen: Chaumette, Payne, Mercier, Hérault de Séchelles und andere Gefangene] Paynes Beweis der Inexistenz Gottes. Chaumettes [Anaxagors] Sorge: Hat der Tod einen Sinn? Paynes Ironie: ich will dich katechisieren. 1. Argument: Wenn Gott Schöpfer, dann existiert die Welt unabhängig von Gott. Wenn die Welt unabhängig von Gott existiert, dann ist Gott nicht die Ursache von allem, das existiert. Wenn Gott nicht die Ursache von allem, das existiert, ist, dann gibt es keinen Gott. Deshalb: Wenn Gott Schöpfer, dann gibt es keinen Gott. Deshalb: Entweder Gott = Schöpfer oder es gibt keinen Gott. 2. Argument Wenn Gott = Schöpfer, dann existiert die Welt entweder schon ewig (wie Gott), oder die Welt existiert seit einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn die Welt seit einem bestimmten Zeitpunkt existiert, dann hat Gott sich einmal verändert ( Gott muss also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein. ). Wenn Gott sich einmal verändert hat, ist er ein Wesen, das in der Zeit existiert (er hat einmal eine Veränderung in sich erlitten [ ] die den Begriff Zeit auf ihn anwenden lässt. ). Gott ist kein Wesen, das in der Zeit existiert (das heißt, er ist ewig). Deshalb: Wenn die Welt seit einem seit einem bestimmten Zeitpunkt existiert, dann Gott Schöpfer. 3. Argument Die Welt existiert seit einem bestimmten Zeitpunkt (oder mindestens das ich [laut Descartes]). Deshalb: die Welt existiert unabhängig von Gott. Deshalb: es gibt keinen Gott. Q.E.D.
KÖNNTE DIE SCHÖPFUNG EWIG SEIN? DIE UNVOLLKOMMENHEIT DER WELT S. 57, 1-24 4. Argument (Mercier: wenn aber die Schöpfung ewig ist? ): Wenn die Welt schon ewig (wie Gott) existiert, dann ist alles was existiert, ein Teil von Gott. Wenn alles, was existiert, ein Teil von Gott ist, dann ist Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden ein Teil von Gott. Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden ist nicht ein Teil von Gott (nicht ein Teil von etwas Vollkommenen). Deshalb: die Welt existiert nicht schon ewig (wie Gott). 5. Argument (Mercier: Aber eine Ursache muss doch sein. ): Die Welt hat eine Ursache. Wenn die Welt eine Ursache hat, ist diese Ursache entweder vollkommen oder diese Ursache ist unvollkommen. Wenn die Welt ist unvollkommen ist, kann sie keine vollkommene Ursache haben ( Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommenen Wirkung auf eine vollkommene Ursache schließen? Ablehnung von Voltaires These, dass ein solcher Schluss möglich sei). Die Welt ist unvollkommen. Gott ist die einzige vollkommene Ursache. Deshalb: Gott ist nicht die Ursache der Welt.
DER FELS DES ATHEISMUS S. 57, 25 S. 58, 22 6. Argument (Mercier: kann eine vollkommene Ursache eine vollkommene Wirkung haben? ) Wenn etwas vollkommen ist, dann ist es unabhängig von anderen Dingen. Wenn etwas eine Wirkung ist, dann ist es nicht unabhängig von anderen Dingen. Die Schöpfung ist eine Wirkung. Deshalb: die Schöpfung ist nicht unabhängig von anderen Dingen (das heißt hier: nicht unabhängig von Gott) Deshalb: die Schöpfung ist nicht vollkommen. 7. Argument ( Ist s nicht sehr menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu können? ) Wenn die Schöpfung (die Welt, die Menschen) vollkommen ist, dann ist Gott der Schöpfer. Entweder ist die Schöpfung ist nicht vollkommen (Gott lässt einige unter seinem Stande in Schweinställen oder auf Galeeren erziehen. ), oder sie ist vollkommen. Wenn die Schöpfung nicht vollkommen ist, dann ist Gott nicht der Schöpfer. Wenn die Schöpfung vollkommen ist (Spinozas Annahme, das Unvollkommene wegschaffen, das Böse leugnen ), dann ist Gott der Schöpfer. Wenn es Schmerzen oder Leid gibt, ist die Schöpfung nicht vollkommen ( Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten. ) Es gibt Schmerzen und Leid. Deshalb: die Schöpfung ist nicht vollkommen. Deshalb: Gott ist nicht der Schöpfer.
MORAL VS. NATUR S. 58, 24-59, 16 Payne: Ich weiß nicht, ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt Ich handle meiner Natur gemäß, was ihr angemessen [ist], ist für mich gut und ich tue es und was ihr zuwider [ist], ist für mich bös und ich tue es nicht! Moralischer Relativismus Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu müssen! Moralischer Relativismus als Grund für Toleranz (Gegensatz zu Robespierre) Hérault: Wenn Gott Alles ist, ist er auch sein Gegenteil. Deshalb ist die Frage nach Gott absurd das Resultat freilich würde gleich Null sein Du kannst ganz ruhig in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten! Wenn Gott nicht das Maß der Moral ist, sondern die Natur, dann ist der Hedonismus moralisch akzeptabel. Vergleich mit Marion, S. 25, 30: wer am Meisten genießt, betet am Meisten. Die ganze Diskussion über Gott, die Welt und die Moral suggeriert,! dass es keine göttliche Ordnung gibt, die dem eigenen Leben und Tod einen Sinn geben könnte,! dass Philosophie keinen Trost geben kann (wie Chaumette hoffte), sondern nur desillusionieren kann,! dass philosophische Abstraktionen für die Dimension des persönlichen Schmerzes nicht relevant sind. Konsequenzen für die Positionen von Robespierre und St. Just:! Robespierres Klassifizierung der Menschen in Heroische Seelen und Schurken (S. 52, 32 S. 53, 4) kann nicht als Teil einer göttlichen Ordnung begründet werden.! St. Justs Idee einer historischen Notwendigkeit kann nicht als Teil einer göttlichen Ordnung begründet werden. Konsequenzen für Danton:! Seine eigene Schuld (Septembermorde) und sein eigener Tod können nicht als Teil einer göttlichen Ordnung einen Sinn haben.! Hat St. Just recht?
SARKASMUS GEGEN DIE TODESANGST S. 59, 19 S. 60, 10 [Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingeführt.] Hérault: Ich kann nicht fragen, wie hast du geschlafen. Wie wirst du schlafen? Danton: Nun gut, man muss lachend zu Bett gehen.! Doppeldeutigkeit: schlafen = ewige Ruhe; Bett = Grab Mercier: Er ist der böse Genius der Revolution, er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er.! Seine Mutter = die Revolution [zum Vergleich: Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. S. 28, 22-23] Danton: Ein Schlagfluss ist der beste Tod, wolltest du zuvor krank sein? Es ist besser, sich in die Erde legen, als sich Leichdörner auf ihr zu laufen; ich habe sie lieber zum Kissen, als[o] zum Schemel.! Der schnelle Tod ist besser als der langsame; leben ist mühsam der Tod ist bequemer: Sarkasmus Camille: Du magst deine Zunge noch so weit zum Hals heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken. O Lucile! das ist ein großer Jammer.! Sarkasmus hilft nichts.! Nichts kann die Trennung von der Geliebten akzeptabel machen (individualistische Perspektive).
DANTONS UND CAMILLES HISTORISCHES VERSAGEN S. 60, 11-33 Danton (zu Payne): Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich auf s Schafott! Gelungene Amerikanische vs. fehlgeleitete Französische Revolution Mercier: Das Blut der zwei und zwanzig ersäuft dich.! 22 = Hinrichtung der Girondisten (gemässigte Faktion); Zweideutigkeit von ersäuft dich : Ursache von Dantons Tod, Strafe für Dantons Schuld. Ein Andrer (zu Camille): Nun Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.! Camille hat 1789/90 die Lynchjustiz (die Konterrevolutionäre an die Laternen hängen) verteidigt.! Zweideutigkeit von heller gemacht : das öffentliche Leben verbessert, die Aufklärung ( Lumières ) im Volk verbreitet. Ein Andrer: Lasst ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort Erbarmen gesprochen.! Camille hat gezeigt, dass ihm das Schicksal und die Gefühle der Individuen nicht egal ist Camille: Meine Herren, ich beklage sehr, dass unsere Anstrengungen so fruchtlos waren, ich gehe auf s Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger Unglücklichen nass geworden.! aber das hat nichts genützt, es ist sogar die Ursache seines Todes.! Machtlosigkeit des Individuums gegen den Lauf der Geschichte