6. Liedpredigt im Lutherjahr 2012 Reformation und Musik 21. Oktober, 18.00 Uhr: Der Mond ist aufgegangen...eg 482 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Die Gnade unseres Bruders Jesus. Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des hlg. Geistes sei mit uns allen. Amen. Ein klarer Abendhimmel, liebe Gemeinde, die Sterne funkeln und glitzern...die Mondsichel leuchtet...stille macht sich breit um mich herum und in mir! Fast kitschig, romantisch schön und auf alle Fälle eine Atmosphäre, in die wir nur allzu gern mal eintauchen. Bezaubernd. Wunderbar. Eine Stimmung, die eingefangen wird in dem Abendlied: der Mond ist aufgegangen und weiter: die goldnen Sternlein prangen, am Himmel hell und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar. Als Volkslied im Jahre 1779 geschrieben, ist dieses Lied mit der Zeit auch zum Kirchenlied geworden. Es knüpft an, an das 130 Jahre zuvor entstandene Abendlied Paul Gerhards: nun ruhen alle Wälder. Auch Matthias Claudius lässt die Natur auf sich wirken...ihre Kontraste: dunkler Wald und helle Sterne...Nebelschwaden und
klares Licht. Er malt mit Wort und Melodie eine Abendstimmung, wie sie typischer nicht sein könnte. Wenn tatsächlich so ein Abend sich uns ereignet, fällt vielen Menschen sofort dieses Lied und diese Melodie ein. Dabei mögen die Worte etwas kindlich-naiv-süßlich wirken: die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar so stellen sich Kinder das Weltall vor: kleine, goldene Lichter am Himmel. Können wir das unbefangen mitsingen? Mit unserem Wissen von Galaxien und großen Sonnen, unvorstellbar weit von uns entfernt...seit Millionen von Jahren verglüht und immer noch strahlt uns ihr Licht durch die unfassbare Weite des Universums? Wie bringen wir das zusammen: naturwissenschaftliches Wissen einerseits und unsere romantischen Empfindungen andrerseits? Auch der Astrophysiker Arnold Benz gibt zu: die Sternenwelt als Wissenschaftler durch Fernrohre zu betrachten, zu erforschen, Zahlen und Formeln zu beschreiben, das ist das Eine......doch den Abend/Nachthimmel auf sich wirken zu lassen als Mensch und dabei staunen zu können, ja staunen zu müssen, das ist das Andere. Auch ein Astrophysiker kann das Wunderbare jenseits aller Wissenschaftlichkeit wahrnehmen. Wie ist die Welt so stille und in der Dämmrung Hülle so traulich und so hold als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt.
Ja, bei Nacht sind alle Katzen grau: die Welt fühlt sich anders an. Sei es friedlich anheimelnd, sei es unheimlich, schattenhaft. Matthias Claudius, bei aller Poesie, beschreibt keine heile Welt: der Jammer des Tages wird benannt! Doch alles, was uns bedrängt, sorgt, quält, bedrückt, traurig macht, können und dürfen wir bei Nacht im Schlaf vergessen! Wie heilsam das ist!!! Wie befreiend Schlaf ist! Das merken wir vorrangig dann, wenn wir nicht (ein)schlafen können! Wenn die Tagesprobleme uns gefangen halten und erquicklichen Schlaf verhindern! Burn Out, Depressionen, sich im Kreis zu drehen und nicht abschalten zu können: Zeichen unserer hektischen Zeit; Symptome unserer kranken und krankmachenden Arbeitswelt! Der Blick zum Nachthimmel kann Abstand schaffen: Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen Und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn. Unser Blick auf dieses Leben ist einseitig, begrenzt, das macht Matthias Claudius uns klar. Unsere Sinne verraten uns nicht alles, was im Leben von Wichtigkeit ist. Hinter den Dingen liegt eine Komplexität, die wir in ihrer Tiefe kaum erfassen. Beim Mond mag s noch angehen, dieses Wissen, dass auch hinter der halben Sichel ein ganzer runder Mond verborgen ist.
Doch Matthias Claudius benutzt dieses Bild, um etwas Grundsätzliches über den Menschen klarzumachen: wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel. Wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel. Der Mensch auf der Suche... ein Leben lang: nach Wissen und Durchdringen der Welt! Erfindungen und technischer Fortschritt...treibende Kräfte des globalisierten Wirtschaftens. Das letzte Genom möchte er entschlüsseln und mit Gentechnik und Atomkraft in die Naturgewalten eingreifen... und erlebt, dass die Natur mit Klimawandel und zunehmenden Katastrophen sich wehrt und nicht durch Menschen beherrschbar ist. Wir folgen unserer Eitelkeit, wo Demut und Gottvertrauen die besseren Ratgeber wären. So manches menschliche Denken erweist sich als Luftgespinst der Moderne: immer jünger und jugendlicher sollen und wollen wir bleiben in einer Gesellschaft, die immer älter wird und keine Kinder mehr bekommt. Hauptsache gesund ist das geflügelte Wort heute und mit unseren faltenlosen, gelifteten Gesichtern merken wir schon gar nicht mehr, wie krank bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen heutzutage sind. Der Blick in den Spiegel zeigt nicht nur Faltenlosigkeit; er zeigt auch den Menschen, der sich selbst
erlösen möchte von Vergänglichkeit...alt werden...schwächer werden...angewiesen-sein auf eine Macht, die größer ist, als wir alle...wer ist schon gerne angewiesen auf Hilfe...auf Unterstützung? (auf Gott gar?!) Selbstständig und selbstbestimmt sein bis zum letzten Atemzug, das ist das Credo unserer Zeit. Matthias Claudius sagt es unverblümt mit einem Wort, das heutzutage nicht mehr viel gebraucht wird: wir sind eitel arme Sünder. Augenzwinkernd geben wir zu, mal wieder bei Torte, Schokolade, Alkohol oder fettem Essen gesündigt zu haben...oder als Verkehrssünder erwischt worden zu sein mit 50 Sachen in der 30ger Zone...aber ernsthaft vom Menschen als Sünder zu sprechen, das ist doch Moral von gestern!! Doch Sünder-sein ist eben genau keine moralische Kategorie, sondern eine existentielle: Wir sind von Gott getrennt, mit uns selbst und mit anderen nicht im reinen. Das ist unser (Da-)Sein. Anders ist dieses Leben nicht zu haben: Eingebunden in eine Vergänglichkeit, mit der wir uns schwer tun. Die unser Leben kostbar macht, aber uns eben auch zu Suchenden, mit der Gefahr, dass wir in der falschen Richtung suchen...oder immer um uns selbst kreisen und auch so letztendlich unser Ziel verfehlen: Gott, lass dein Heil uns schauen, auf nichts Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun; lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein. Diese Wortwahl ist natürlich veraltet: wer von uns wollte schon einfältig sein bzw. werden?! Aber was Matthias Claudius meint, ist eine Grundhaltung des vertrauenden Empfangens, die aus dem Staunen vom Anfang folgt. Wer staunen kann über die Wunder der Schöpfung, über Nachthimmel und Mondenschein, der ist auf dem besten Wege im Gottvertrauen Halt zu finden! Der muss sich nicht an Vergänglichem festhalten, sondern kann sein Herz öffnen für den Glauben! Darum bittet und betet Matthias Claudius, wissend, dass man sich diese Grundhaltung nur schenken lassen kann. Das macht frei vom Klammern an Geld und Besitz und Stolz und Eitelkeit. Das macht frei für Gott...und seine Ewigkeit: Wollst endlich sonder Grämen aus dieser Welt uns nehmen durch einen sanften Tod; Und wenn du uns genommen lass uns in Himmel kommen du unser Herr und Gott. Das fällt uns nicht leicht, so den Tod zu besingen, aber bei jedem Abendlied ist der Gedanke an unseren Lebensabend immer schon mit drin! Die Sprache verrät es! Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes, sagt ein französisches Sprichwort und das Gefühl kennen wir wohl auch: dass man abends sein Leben beim Einschlafen ein Stück weit aus der Hand legt, es Anderen überlässt, Gott überlässt, und nur
hoffen kann, dass Gott einen am nächsten Morgen wieder aufwachen lässt. Darum kann ich nur bitten. In diesem Leben und auch danach: führe uns heraus Gott, zu dir durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten......aber bis es soweit ist, haben wir die Aufgabe hier im Kreise unserer Mitmenschen ein mitfühlendes, soziales Leben zu leben: So legt euch denn ihr Schwestern/Brüder In Gottes Namen nieder; Kalt ist der Abendhauch. Verschon uns Gott, mit Strafen Und lass uns ruhig schlafen. Und unseren kranken Nachbarn auch. Matthias Claudius buchstabiert mit seinem Lied das Vater Unser nach......oder auch Luthers Abendsegen......oder auch das Doppelgebot der Liebe: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Sich am Ende eines Tages der Macht Gottes zu vergegenwärtigen reicht nicht, um mit sich und dem Gewesenen ins Reine zu kommen: der Gedanke, das Mitgefühl für den Nächsten, die Fürbitte gehören wesentlich dazu. Nichts anderes bedeutet fromm sein : sich in Beziehung zu setzen zu Gott, daraus Kraft zu tanken, für sich selbst und für die Hinwendung zum Nächsten, zum Mitmenschen, zu dem jeweiligen Gegenüber, das mein Beten und Tun grad braucht. Deshalb ist aus dem Volkslied ein Kirchenlied geworden, weil es nachbuchstabiert, was die Bibel so ausdrückt:
Gott kann machen, dass dir seine Gnade reichlich zuteil wird, dass du jederzeit und an allen Dingen für dich selbst genug hast und noch dazu reich bist zu jedem guten Werk Amen.