Consense Internationale Fachmesse und Kongress für nachhaltiges Bauen, Investieren und Betreiben 1
Bauprodukte für eine gesunde Innenraumluft Instrumente und Kriterien Construction products for healthy indoor air instruments and criteria Dr. Gerd Zwiener Sachverständigen-Büro Dr. Zwiener 2
Bauprodukte und Raumluftqualität Status Quo Emissionen aus Bauprodukten beeinträchtigen die Qualität der Innenraumluft erheblich. Umweltbundesamt, 6.6.2011 Derzeit fehlen umfassende Informationen darüber, wie sich solche Stoffe auswirken, falls sie in geringen Konzentrationen, aber über längere Zeiträume hinweg vom Menschen aufgenommen werden. Umweltbundesamt, 10.8.2010 3
Flüchtige organische Stoffe die Schadstoffe von heute 4 Naphthalin Methylmethacrylat Styrol 4-PCH Acetaldehyd Hexanal Caprolactam Benzylalkohol DCE Chlorpropan Formaldehyd C9-C14-KW Terpene Benzaldehyd Glykolester NMP Phenol Benzothiazol Benzothiazol Kresole Ethylmethylketon Dichlorbenzol Butanonoxim Glykolether Cyclohexanon Cyclohexanon Butylacetat C1-C4-Alkylbenzole
Das (ernüchternde) Fazit der letzten 15 Jahre... Die Gesamtbelastung der Raumluft mit VOC ist nicht gesunken. Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein Repräsentative Untersuchung von 105 Schulen und Kindergärten, Ostendorp et al.: Umweltmed Forsch Prax 14 (3) 135-152 (2009) Die Aufgabe... In erster Linie muss bei der Baustoffauswahl darauf geachtet werden, dass nur noch emissionsarme Materialien angewandt werden. Umweltbundesamt, 04/2009 5
Strategien des Gesundheitsschutzes: Abwehr von Gefahr oder Vorsorgeprinzip? Gefahr Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Gesundheitsschaden führt. Vorsorgeprinzip Unterhalb des Gefahrenbereichs sind gesundheitliche Risiken nicht ausgeschlossen. Im Vorfeld der Gefahrenabwehr greift das Vorsorgeprinzip. 6
Vorsorgeprinzip Abwehr von Gefahr AgBB-Schema (hier: Entwurf Okt. 2000) Anforderungsniveaus Bauprodukte: empfehlenswert brauchbar (heute: geeignet ) Mit der Zweiteilung in empfehlenswerte und brauchbare Bauprodukte versucht der AgBB, neben Anforderungen zur Gefahrenabwehr auch dem Vorsorgegedanken im Sinne einer Minimierung der Belastungen Rechnung zu tragen. B. Link, LGA Baden-Württemberg, 2001 z.b. anspruchsvolle Label Im Baurecht relevant ist die konkrete Gefahrenabwehr - nicht der Vorsorgegedanke. N. Dommaschk, Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), 2004 7
AgBB-Schema und gesunde Innenraumluft Die Verwendung nach AgBB emissionskontrollierter Produkte trägt zur Verbesserung der Innenraumluft bei. Für das Erreichen gesunder Innenraumluft reicht die bloße Erfüllung der Mindestanforderungen des Baurechts (AgBB-Schema) nicht aus! AgBB-geprüfte Bauprodukte sind emissionskontrolliert, nicht jedoch zwingend auch emissionsarm. Im Einzelfall kann die bestimmungsgemäße Verwendung AgBB-geprüfter Bauprodukte zu erheblichen Raumluftbelastungen mit der Folge eines Nutzungsverzichts führen! Beispiel Styrol: (Quellen z.b.: Kautschukbeläge, Polyesterharze) NIK-Wert: 860 µg/m³ Abgeleitet aus Arbeitsplatz-Grenzwert Innenraum-Richtwert: RW I (Vorsorgewert): 30 µg/m³ RW II (Gefahrenwert): 300 µg/m³ Lösung: Implementierung von Innenraum-Richtwerten in die Bewertung von Bauprodukten (vgl. Frankreich) Prämisse: Szenario Prüfkammer entspricht dem realen Innenraum (Referenzraum). 8
AgBB-Schema (D) / AFSSET-Schema (F) * Vorgehensweise bei der Aufstellung von NIK / LCI-Werten für die Bewertung von Bauprodukt-Emissionen Herleitung NIK/LCI-Wert Deutschland Herleitung NIK/LCI-Wert Frankreich Arbeitsplatz-Grenzwerte Innenraum-Richtwerte F, EU, WHO Arbeitsplatz-Grenzwerte Richtwerte für chronische Exposition Gesundheitsbehörden USA, Kanada (entspr. Innenraum-Richtwerte) Arbeitsplatz-Grenzwerte Arbeitsplatz-Grenzwerte ECA-Report No. 27, 2010 * Agence Française de Sécurité Sanitaire de l environnement et du Travail, jetzt: ANSES 9
Richtwerte für die Innenraumluft: RW I (Vorsorgewert) / RW II (Gefahrenwert) (Ad-hoc-AG IRK/AOLG) Vorsorgebereich Vorsorgebereich überschritten Gefahrenbereich RW I Vorsorge RW II Gefahr Keine gesundheitliche Beeinträchtigung auch bei lebenslanger Exposition Kein Handlungsbedarf Über das übliche Maß hinausgehende hygienisch unerwünschte Belastung Handlungsbedarf aus Vorsorgegründen Gesundheitsgefahr anzunehmen Unverzüglicher Handlungsbedarf aus Gründen der Gefahrenabwehr Bewertungshierarchie! 1. Toxikologisch abgeleitete Richtwerte RW 2. TVOC (Referenzwerte / statistische Werte) 10
Qualitäten der Innenraumluft / Anspruchsniveaus Beispiel Formaldehyd Formaldehyd- Konzentration Innenraumluft-Qualität Anspruchsniveau Herleitung < 10 µg/m³ Sehr gut Sehr hoch ALARA-Prinzip Frankreich (VGAI, Langzeit): 10 µg/m³ Kalifornien (CREL, Langzeit): 9 µg/m³ 10-30 µg/m³ Gut Hoch RW I (Vorschlag Sagunski 2006): 30 µg/m³ 30-60 µg/m³ Befriedigend Mäßig Frankreich (VGAI, Kurzzeit): 50 µg/m³ Kalifornien (REL, 8 Std.): 55 µg/m³ (62 µg/m³ 50 % Richtwert BGA/BfR) 60-80 µg/m³ Ausreichend Gering WHO (Concentr. of limited or no concern): 60 µg/m³ WHO (Kurzzeit): 80 µg/m³ 80-120 µg/m³ > 120 µg/m³ Unzureichend Ungenügend Sehr gering - BGA/BfR: 120 µg/m³ (Gefahrenwert) RW II (Vorschlag Sagunski 2006): 100 µg/m³ Gesundheitsgefahr (Überschreitung BGA/BfR-Richtwert) Die Konzentrationsangaben in der 1. Spalte sind mit Ausnahme des festgelegten BGA/BfR-Richtwertes nicht als starre Grenzen zu verstehen. ALARA = As low as reasonable achievable / So gering wie (vernünftigerweise) erreichbar VGAI = Valeur de qualité d air interieur (Innenraum-Richtwert); CREL = Chronic Reference Exposure Level WHO = World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation), BGA/BfR = ehem. Bundesgesundheitsamt / jetzt: Bundesinstitut für Risikobewertung 11
Qualitäten der Innenraumluft Anspruchsniveaus Sehr schadstoffarme Gebäude Schadstoffarme Gebäude Nicht schadstoffarme Gebäude (Vorschlag des Autors - ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Parameter Gebäude Sehr schadstoffarm Schadstoffarm Nicht schadstoffarm Erhebl. schadstoffbelastet (zum Vergleich) Stoffe mit RW C < RW I RW I < C < RW II C > RW II TVOC C < 300 µg/m³ 300 < C < 1.000 µg/m³ (Ziel: um 600 µg/m³) C > 1.000 µg/m³ C > 3.000 µg/m³ KMR-Stoffe n. n. (C < 1 µg/m³) C im Bereich NWG C >> NWG C sehr auffällig Formaldehyd C < 30 µg/m³ 30 < C < 60 µg/m³ 60 < C < 120 µg/m³ C > 120 µg/m³ sonstige Stoffe C: toxikol. unauffällig C: toxikol. auffällig C: toxikol. sehr auffällig Geruch unauffällig auffällig sehr auffällig C = Konzentration Vorschlag für Messzeitpunkt (Raumluftmessung) nach Neubau/Modernisierung: 28 Tage ALARA-Prinzip: as low as reasonable achievable (siehe z.b. Reinheitsanspruch für deutsches Trinkwasser) KMR-Stoffe: Stoffe, die als nachweislich (Kat. 1 u. 2) krebserzeugend, mutagen und/oder reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgefährdend) eingestuft sind. Die Konzentrationsangaben sind nicht als starre Grenzen zu verstehen (Ausnahme: Richtwerte RW und Formaldehyd). Für die Zuordnung zur Kategorie Sehr schadstoffarm bzw. Schadstoffarm müssen alle genannten Anforderungen erfüllt sein. 12
Schadstoffarme Gebäude mittels schadstoffarmer Bauprodukte hier: DIN EN 15251 Anforderungen an die Bauprodukte (Anhang C, informativ) Das Gebäude ist schadstoffarm, wenn die Mehrheit der verwendeten Baustoffe schadstoffarm ist. Schadstoffarme Baustoffe sind üblicherweise natürliche Materialien wie Stein oder Glas, die als emissionssicher gelten, sowie Materialien, die folgende Anforderungen erfüllen: Das Gebäude ist sehr schadstoffarm, wenn alle verwendeten Baustoffe sehr schadstoffarm sind Sehr schadstoffarme Baustoffe sind üblicherweise natürliche Materialien wie Stein, Glas oder Metall, die als emissionssicher gelten, sowie Materialien, die folgende Anforderungen erfüllen: Parameter TVOC Formaldehyd Ammoniak K-Stoffe (IARC) Geruch Emissionsrate * (Produkt) < 0,2 mg/m²h < 0,05 mg/m²h < 0,003 mg/m²h < 0,005 mg/m²h Geruchlos Unzufriedenheit < 15 % Bauprodukt-Anforderungen für schadstoffarme Gebäude q = 1,25 (Boden) < 160 µg/m³ < 40 µg/m³ < 2 µg/m³ < 4 µg/m³ Immission ** - q = 1,0 (Wände) < 200 µg/m³ < 50 µg/m³ < 3 µg/m³ < 5 µg/m³ Bauprodukt-Anforderungen für sehr schadstoffarme Gebäude Emissionsrate * (Produkt) < 0,1 mg/m²h < 0,02 mg/m²h < 0,001 mg/m²h < 0,002 mg/m²h Geruchlos Unzufriedenheit < 10 % < 16 µg/m³ < 1 µg/m³ < 2 µg/m³ Immission ** q = 1,25 (Boden) < 80 µg/m³ * Emissionsraten [mg/m²h] für Bauprodukte gemäß DIN EN 15251. ** Immissionen [µg/m³] berechnet aus den Emissionsraten unter Annahme eines Luftwechsels von 0,5 h -1 und einer Beladung von 1,25 m²/m³ (Referenzraum Boden ) bzw. einer Beladung von 1,0 m²/m³ (Referenzraum Wände ). - q = 1,0 (Wände) < 100 µg/m³ < 20 µg/m³ < 1 µg/m³ < 2 µg/m³ 13
Vorsorgeprinzip: Bauprodukt-Label Beispiel Blauer Engel Erfolgreichstes Label Sehr viele Bauprodukte ausgezeichnet Überwiegend geeignete Anforderungen für den Gesundheitsschutz Teilweise aber auch Schwächen, Beispiele: RAL-UZ 76 Emissionsarme Holzwerkstoffplatten: Begrenzung von VOC-Emissionen nur für Spanplatten, aber nicht für OSB-, MDF- u. a. Holzwerkstoffplatten RAL-UZ 120 Elastische Bodenbeläge: keine wirksame Begrenzung von Styrol-Emissionen Fazit: Anspruchsvoll, aber für gesundes Bauen nicht uneingeschränkt geeignet. Die einzelnen Vergabegrundlagen beinhalten unterschiedliche Schutzniveaus. 14
Staatliches Emissions-Label Frankreich (Bauprodukte und Materialien der Raumausstattung) VOC-Verordnung 2011 (Décret n 2011-321 du 23 mars 2011) Bewertung und Grenzwerte (Auszug, insges. TVOC + 10 Einzelstoffe) Bewertung Emission TVOC Formaldehyd [µg/m³] A+ Sehr gering < 1.000 < 10 A Gering < 1.500 < 60 B Hoch < 2.000 < 120 C Sehr hoch > 2.000 > 120 Nicht anspruchsvoll Sehr anspruchsvoll Vorsorgeprinzip! 15
Fazit Die effiziente Schadstoffreduktion mit dem Ziel gesunder Innenraumluft erfordert bei der Auswahl der Bauprodukte die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips. (Anm.: Das Vorsorgeprinzip ist im Baurecht nicht verankert.) Die Konzepte zur Bewertung der Emissionen von Bauprodukten (AgBB) und der Bewertung der Immissionen in der Innenraumluft (Richtwerte RW) müssen aufeinander abgestimmt werden. (Anm.: Implementierung von Richtwerten RW in das AgBB-Schema) Für Formaldehyd fehlt ein Vorsorgewert (analog RW I). (Bei dem BfR-Richtwert für Formaldehyd handelt es sich um einen Gefahrenwert.) Eine Kennzeichnung von Bauprodukten wäre geeignet, auch Nicht-Fachleute auf einen Blick über das Emissionsverhalten zu informieren und zudem die Anforderungsniveaus Abwehr von Gefahr und Vorsorgeprinzip zu verdeutlichen. (Die EU-Energiekennzeichnung ist seit 1998 sehr erfolgreich.) 16