Geriatrische Fallbeispiele und Fallstricke

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1 Geriatrische Fallbeispiele und Fallstricke Katrin Singler Internistin u. Endokrinologin Geriaterin Corinna Drebenstedt Allgemeinärztin, Schmerztherapeutin Geriaterin Klinikum Nürnberg Medizinische Klinik 2 - Geriatrie

2 Fall 1 Die Mischung macht s

3 Fall 1 Sie werden zu einer 82jährigen Patientin zu einem dringenden Hausbesuch gebeten. Der Ehemann der Patientin meldet sich, weil diese nicht mehr richtig aufwacht. Sie war vor 2 Tagen bei Ihnen in der Praxis mit einem Infekt der oberen Luftwege, der seit 10 Tagen andauert. Nachdem die Dame es mit symptomatischer Therapie versucht hatte, fanden Sie eine Leukozytose und verordneten das Antibiotikum Clarithromycin 500mg.

4 Fall 1 Dauerdiagnosen Art. Hypertonie Diabetes mellitus II Chronisches Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen des Skelettsystems Dauermedikation Ramipril 2,5mg Amlodipin 5mg ½-0-0 Metformin 500mg ASS Fentanyl TTS 50µg/h alle 3 Tage

5 Fall 1 Untersuchungsbefund: Somnolente Patientin weckbar auf Schmerzreize, Herz und Lunge auskultatorisch unauffällig, Atemfrequenz 11/min keine Zyanose Pupillen sehr eng Blutdruck 110/70 mmhg, Blutzucker 120mg/dl Klinikum Nürnberg

6 Fall 1 Was könnte passiert sein???

7 Fall 1 Interaktionen am Cytochromsystem P 450 Katalysator der Oxidation vor allem in der Leber, Darmwand Individuell unterschiedliche Ausstattung Abbau vieler Medikamente Unterscheidung Substrate, Inhibitoren und Induktoren des Enzyms Klinikum Nürnberg

8 Fall 1 Beispiele am Cytochrom P450 3A4 Clarithromycin Erythromycin Diazepam Terfenadin Itra- und Ketoconazol Amlodipin Verapamil Fentanyl Atorvastatin Starke Inhibitoren

9 Grapefuitsaft -> starker Inhibitor am CYP 450 3A4 Johanniskraut -> starker Induktor am CYP 450 3A4

10 Fall 1 Beispiel Cytochrom P450 2D6 Genetisch individuelle Ausstattung Drei Phänotypen Langsame und intermediäre Metabolisierer (7-17% der mitteleurop. Bevölkerung) Normale (extensive) (80% der mitteleurop. Bevölkerung) Ultraschnelle Metabolisierer (2-3% der mitteleurop. Bevölkerung) -> in Nordafrika 20-30%

11 Fall 1 Beispiel Cytochrom P450 2D6 Amitriptylin Tramadol (Pro-drug-Aktivierung) Fluoxetin Citalopram Duloxetin Metoclopramid Metoprolol Starke Inhibitoren Klinikum Nürnberg

12 Fall 1 Beispiel Tramadol Pro-Drug Wird aktiviert über CYP 2D6 Bei langsamen Metabolisierern -> kein Wirkspiegel Bei ultraschnellen Metabolisierern -> Überdosierung und starke Nebenwirkungen Klinikum Nürnberg

13 Fall 1 pharmacoclin.hugge.ch/_library/pdf/cytp450.pdf

14 Fall 2 Altes neu entdeckt

15 Fall 2 Sie machen Hausbesuch in einem Altenheim Ein Bewohner hat eine Demenz und aktuell eine Virusinfektion der oberen Luftwege. Er isst deswegen weniger und vor allem das Trinken verweigert er. Ansonsten war er bisher noch relativ mobil, nur in den letzten Tagen wirkt er müder. Nach der körperlichen Untersuchung vermuten Sie eine Exsikkose.

16 Fall 2 Wie erkennt man die Exsikkose beim älteren Menschen? Wie würden Sie vorgehen? Welche Möglichkeiten sehen Sie unter dem Aspekt, eine Krankenhauseinweisung zu vermeiden? Klinikum Nürnberg

17 Fall 2 Woran erkennen Sie eine Exsikkose beim älteren Menschen? Frage nach Durstgefühl? Stehende Hautfalten? Kollabierte Halsvenen? Trockene Mundschleimhaut? Klinikum Nürnberg

18 Fall 2 Durstempfinden im Alter oft deutlich herabgesetzt Elastizität der Haut im Alter deutlich vermindert Mundschleim: Multiple Medikamente haben eine ausgeprägte Mundtrockenheit als Nebenwirkung CAVE: Mundatmung!

19 Fall 2 Beurteilung der Halsvenen im Liegen und Halbsitz

20 Fall 2 Wie würden Sie vorgehen? Welche Möglichkeiten sehen Sie unter dem Aspekt, eine Krankenhauseinweisung zu vermeiden? Klinikum Nürnberg

21 Fall 2 Alternative Infusionswege SC- Infusionen (Hypodermoclysis) Infusionsorte: Bauch Oberschenkel Oberarme Scapula Vorderer Thorax (nicht Brust) Quelle: medical-dictionary.thefreedictionary.com Klinikum Nürnberg

22 Fall 2 SC-Infusionen bis zu ml (2000ml) pro Tag und Infusionsort am besten isotone Lösungen (G5%, Ringer-Lösung oder NaCl 0,9%) Kaliumsubstitution bis 34mmol/l bis 250ml/h Flüssigkeit mit Butterfly, kleiner Infusionsnadel oder spezieller SC-Nadel

23 Fall 2 Medikamentengabe über SC- Infusionen/Injektionen Opioide Metamizol Benzodiazepine Neuroleptika (z.b. MCP, Haloperidol) Kortikoide Parasympatholytika (z.b. Butylscopolamin) auch als Mischung möglich Dosis zu IV ~ 1:1, zu PO je nach Bioverfügbarkeit

24 Fall 2 Hyaloronsäure in die Infusion? Nur Studien mit geringer Fallzahl Kein Vorteil bis 250ml/h -> also nicht nötig! eher bei Kindern verwendet (pragmatische) Zusammenfassung zum Thema: Leischker, A. Subkutane Flüssigkeitsgabe für geriatrische Patienten Z. f. Gerontologie und Geriatrie 7, 2012

25 Fall 3 Der Schein trügt

26 Fall 3 Herr M, ein 79 jähriger Patient wird von seinem Sohn aufgrund einer seit 3 Monaten bestehenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes (Kraftlosigkeit, Inappetenz) in die Ambulanz gebracht. Es ist ca Uhr. Keine Schmerzen, keine Dyspnoe, keine B- Symptomatik.

27 Fall 3 Eigenanamnese: COPD (GOLD III) AA bei Vorhofflimmern Diabetes mellitus Typ 2 chronische Herzinsuffizienz art. Hypertonie Demenz Klinikum Nürnberg

28 Fall 3 Dauermedikation Ramipril 2,5mg Bisoprolol 5mg Glimepirid 2mg Sitagliptin 100mg ASS Pantoprazol 40mg Torasemid 10 mg Langzeitsauerstoff 2l (während der Nacht) seit ca. 3 Monaten

29 Fall 3 Was würde Sie noch interessieren???

30 Fall 3 Untersuchungsbefund: Patient wach, vierfach orientiert, leicht verlangsamt. RR 120/85mmHg, Puls 100/min, SpO2 95% RL Herz auskultatorisch unauffällig, Pulmo verlängertes Atemgeräusch, Atemfrequenz 16/min Abdomen und orientierender neurologischer Untersuchungsbefund unauffällig., keine Ödeme. Blutzucker 157mg/dl. Klinikum Nürnberg

31 Fall 3 Fremdanamnese durch den Sohn: Besonders am Morgen sei die Demenz sehr ausgeprägt. Abklärung: Bildgebung (CCT), MMSE 20/30 Punkten. Herr M. teilweise sehr verwirrt, kenne sich in der Wohnung nicht mehr aus, sodass der Sohn bereits über einen Langzeitpflegeplatz nachdenke. Dtl. Besserung im Tagesverlauf, abends sei Herr M. fast normal, keine Progredienz der Symptomatik.

32 Fall 3 Wäre ein geriatrisches Assessment sinnvoll???

33 Fall 3 MMSE 26/30 Punkten Uhrentest: Uhr!! Klinikum Nürnberg

34 Fall 3 Ist das eine Demenz???

35 Fall 3 EKG: LT, bekannter RSB, AA bei Vorhofflimmern, unspezifische Erregungsrückbildungsstörungen. Labor: Normochrom, normozytäre Anämie Hb 11,6 g/dl, HbA1C 6,8%, keine Auffälligkeiten. art. BGA (RL): ph 7,35, po 2 89mmHg, pco 2 68 mmhg. Herr M. wird zur weiteren Abklärung stationär aufgenommen.

36 Fall 3 Am nächsten Morgen 7.00 Uhr ist Herr M. nicht wieder zu erkennen. Zur Person unscharf, zum Ort und situativ nicht orientiert, stark verlangsamt, sehr müde. Körperliche Untersuchung idem zu Vorbefund. CCT: keine Blutung, kein Ödem, Kein Hinweis auf ischämisches Geschehen. art. BGA: ph 7.172, po 2 58,7 mmhg, pco mmhg, SBE 12,9 mmol/l, HCO 3 32,1 mmol/l.

37 Fall 3 Uhrentest:

38 Fall 3 Ist das eine Demenz???

39 Psychomotorische Subtypen des Delirs - Hypoaktives Delir Hyperaktives Delir % 1-15% % Mischform (55%) Klinikum Nürnberg Peterson JF, Pun BT, Dittus RS. et al. J Am Geriatr Soc 2006; 54:

40 Confusion Assessment Method (CAM) 1 Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf Fremdanamnese! Geisteszustand akut verändert? Fluktuation im Tagesverlauf? 2 Aufmerksamkeitsstörung 3 Problem Gesprochenem zu folgen? leicht ablenkbar? Desorganisiertes Denken Gedanken unverständlich, unlogisch? Hin- und Herspringen zwischen Themen? 4 Vigilanzstörung abweichend von normal hyperaktiv? stuporös? komatös? und 3 oder 4 = Delir Klinikum Nürnberg uye et al. Ann Intern Med 1990; 113:

41 DD.. Was ist nun was? Delir Demenz Depression psychiatrische Anamnese meistens unauffällig oft unauffällig auffällig, oft rezidivierend Beginn Stunden / Tage Jahre Wochen / Monate Verlauf fluktuierend kontinuierlich meistens kontinuierlich Bewusstsein getrübt klar klar Aufmerksamkeit reduziert normal bis reduziert reduziert Orientierung gestört gestört meist erhalten Halluzination häufig optisch selten selten Wahn häufig gelegentlich gelegentlich Psychomotorik verändert meist normal oft reduziert körperliche Symptome meistens vorhanden selten selten EEG verändert verändert normal

42 Fall 3 Nach Verlegung auf Intensivstation NIV- Beatmung. Verlegung auf Normstation mit nächtlicher CPAP Maske Nach geriatrischer Rehabilitation, Rückkehr in häusliche Umgebung. Neuropsychologische Testung in 6 Monaten angedacht.

43 Fall 4 Ist mein Patient geriatrisch?

44 Fall 4 Frau K., eine 78-jährige Patientin. Vorerkrankungen: Arterielle Hypertonie, chronische Herzinsuffizienz, Presbyakusis, Osteoporose mit Z.n. Sinterungsfraktur LWS Medikamente: ACE-Hemmer, Betablocker, ASS 100mg, Vitamin D, Bisphosphonat.

45 Fall 4 Ist die Patientin geriatrisch?

46 Fall 4 Geriatrische Patienten sind definiert durch: geriatrische Multimorbidität und höheres Lebensalter(überwiegend 70 Jahre oder älter) Die geriatrische Multimorbidität ist hierbei vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen; oder durch Alter 80 Jahre Aufgrund der alterstypisch erhöhten Vulnerbilität, z.b. Wegen des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen, Der Gefahr der Chronifizierung sowie Des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus

47 LACHS-Index Screening nach typischen geriatrischen Problemfeldern- LACHS-Index (1990): 1. Sehen 2. Hören (Flüsterverständnis) 3. Armbeweglichkeit (Nacken- und Spitzgriff) 4. Beine (Aufstehen und Gehen) 5. Urinkontinenz 6. Stuhlkontinenz 7. Gewicht/Ernährungsstatus 8. Kognition (1. Teil)

48 LACHS-Index 9. Aktivitäten im Alltag (Treppe, Einkaufen, Anziehen) 10. Stimmung 11. Kognition (2. Teil) 11. Soziale Unterstützung 12. Krankenhausaufenthalte in den letzten 3 Monaten 13. Stürze in den letzten 3 Monaten 14. Schmerzen

49 Fall 4 Ist Frau K. geriatrisch?

50 Fall 5

51 Fall 2 Frau A. lebt mit Ihrem Ehemann in einem 1- Familienhaus. Sie führt den Haushalt alleine und benötigt keine hauswirtschaftlichen Hilfen. Den Garten versorgt sie weitgehend alleine, wobei ihr die drei Söhne bei schwerer Gartenarbeit helfen.

52 Fall 5 Bekannte Vorerkrankungen Essentielle arterielle Hypertonie Stammvarikosis rechts Coxarthrose rechts Z.n. Hysterektomie bei Uterus myomatosus 1975 Klinikum Nürnberg

53 Fall 5 Medikamentenanamnese Enalapril 10 mg 1 x d Simvastatin 40 mg 1 x d Ibuprofen 400 mg bei Bedarf Im körperlichen Untersuchungsbefund bis auf die Stammvarikosis unauffällig. Klinikum Nürnberg

54 Fall 5 Frau A. kommt zum jährlichen Check-up in Ihre Praxis. Welche weiteren Untersuchungen im Hinblick auf das geriatrische Assessment ihrer körperlichen Aktivität würden Sie bei ihr durchführen?

55 Fall 5 Gehtempo Aufstehen aus dem Stuhl Timed-up-and-go

56 Fall 5 Empfehlungen zur Prävention d. American College of Sports Medicine: Zum Erhalt und der Förderung der Gesundheit: Bewegung 5 mal pro Woche bei «mittlerer» Intensität ( außer Atem ) ODER 3 mal pro Woche 20 Minuten intensive Bewegung ( ins Schwitzen kommen ) Zum Erhalt und der Förderung der funktionellen Selbständigkeit: zusätzliches Kraft- und Balancetraining 2 mal pro Woche mit je 8 10 Übungen

57 Fall 5 Gehtempo Moderates Risiko 0,6-0,8 m/s Hohes Risiko <0,6 m/s

58 Fall 5 Aufstehen aus dem Stuhl (5x) Bei einer Zeit von 11-15s besteht ein moderates Risiko. Benötigt der Patient allerdings mehr als 15s besteht ein hohes Risiko und es sollten in jedem Fall Präventionsmaßnahmen ergriffen werden.

59 Fall 5 Timed Up & Go