Handout für Tag 1: Stefan C. Wolter Universität Bern, SKBF, CESifo&IZA

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1 Handout für Tag 1: Stefan C. Wolter Universität Bern, SKBF, CESifo&IZA

2 Ablauf der Vorlesung 1. Was ist Bildungsökonomie? 2. Humankapitaltheorie 3. Das Bildungsrenditenmodell: Cost-Benefit & Mincer Regressionen 4. Bildung oder Fähigkeit? 5. Lohnt sich jede Ausbildung? 6. Theorie, Theorie oder doch Realität?

3 Was ist Bildungsökonomie? «Bildungsökonomie ist die Anwendung ökonomischer Modelle, Methoden und Theorien auf Bildungsfragen»

4 Was ist Bildungsökonomie? Vorteil: Bildungsökonomen schöpfen aus dem ganzen Fundus ökonomischer Theorien, Methoden und Modelle, die von anderen Ökonomen entwickelt wurden Was Bildungsökonomie nicht ist! Bildungsökonomie ist nicht die Buchhaltung des Bildungswesens Bildungsökonomen wollen Bildung optimieren (effektiver und effizienter machen) Sparen

5 Beispiele bildungsökonomischer Fragestellungen Systeminterne Fragestellungen Systemexterne Fragestellungen Bildungswesen Aussenwelt Wirtschaft 11 Bildungswesen/ Input Output Schule Arbeitsmarkt 9 4

6 Bildungsökonomischer Systemkreislauf: oder warum ist Bildungsökonomie wichtig für Bildung? Passung, Verwertungsmöglichkeiten, etc. Produktivität Bildungsoutput Bildungsinvestitionen Bildungsoutcome (Wirkungen) Finanzierungsinstrumente, Zahlungsbereitschaft, etc.

7 Humankapitaltheorie (Becker, Mincer, Schultz 1959/1962) Bildung ist eine Investition in Kompetenzen, die die individuelle Produktivität steigern Der Lohn eines Arbeitnehmers einer Arbeitnehmerin entspricht seiner/ihrer Grenzproduktivität Bildung ist eine Investition, deren Ertrag also in höherem Lohn messbar sein muss

8 Humankapitaltheorie (Becker, Mincer, Schultz 1959/1962) Bildung ist eine Investition in Kompetenzen, die die individuelle Produktivität steigern Der Lohn eines Arbeitnehmers einer Arbeitnehmerin entspricht seiner/ihrer Grenzproduktivität Bildung ist eine Investition, deren Ertrag also in höherem Lohn messbar sein muss Mit Humankapital ist auch der Arbeitnehmer «Kapitalist»: Bsp.: intangible values: Analog Maschinen, die jeden Abend die Fabrik verlassen würden.

9 Humankapitaltheorie (Becker, Mincer, Schultz 1959/1962) Bildung ist eine Investition in Kompetenzen, die die individuelle Produktivität steigern Der Lohn eines Arbeitnehmers einer Arbeitnehmerin entspricht seiner/ihrer Grenzproduktivität Bildung ist eine Investition, deren Ertrag also in höherem Lohn messbar sein muss Hat Bildung nur einen monetären Nutzen? Nein: Aber der monetäre Nutzen interessiert die Ökonominnen und Ökonomen primär; aber nicht ausschliesslich

10 Bildung steigert die Produktivität, die Produktivität steigert den Lohn

11 Wie lange soll man sich bilden?

12 Bildung als Investition Die Eigenschaften einer Investition sind: Man investiert heute aber der Ertrag fällt erst später an (man muss warten) Was man heute investiert, kann man heute nicht konsumieren (man muss verzichten) Die individuellen Kosten der Bildung lassen sich auch in der individuellen Zeitpräferenz ausdrücken

13 Behavioral Economics

14 Walter Mischel s Marshmallows Test (Stanford University, 1960)

15 Keine Strategie nützt, wir haben alle eine mehr oder weniger hohe Zeitpräferenz

16 Hyperbolic time preferences: Oder warum ist es so schwer früh morgens in die Vorlesung zu gehen?

17 Wenn sich Bildung lohnt, warum bilden sich nicht alle Menschen?

18 Anwendungsbeispiel: Erhöhung der Studiengebühren

19 Nicht nur Kosten, auch die Erträge sind individuell

20 Das Cost-Benefit Modell

21 Das Cost-Benefit Modell

22 Das Cost-Benefit Modell

23 Bildungsrenditen reagieren auf Arbeitsmarkt, Steuerpolitik, Bildungspolitik Erhöhung der Studiengebühren (erhöht A) Verlängerung der Studiendauer (erhöht A und B und reduziert C): 1 Jahr längere Bildung für den gleichen Abschluss reduziert die Rendite um ca. 2% Punkte Erhöhung der Steuerprogression (reduziert C) Erhöhung des Minimallohns (erhöht B und reduziert C) Bildungsbeteiligung reagiert aber erst, wenn C-(A+B) < 0

24 Mincer Renditen ln(w) = αx + β 1 S + β 2 (exp) + β 3 (exp) 2 + β 4 (ten) + β 5 (ten) 2 + ε ln(w) = logarithmierter Lohn S = Schuljahre (5-8%) exp = Arbeitsmarkterfahrung (experience) (1-3%; ) ten = Betriebszugehörigkeit (tenure) (0.3-2%; ) X = Vektor übriger Kontrollvariablen

25 CHF Einführung in die Bildungsökonomie, 2015 Konsequenzen der quadrierten Terme von Erfahrung und Betriebszugehörigkeit Frühpensionierungen % Grundausbildung (1 Arbeitgeber) Berufslehre (1 Arbeitgeber) Berufslehre (Arbeitgeberwechsel mit 50) Berufslehre (jedes Jahr Arbeitgeberwechsel) Alter

26 Bildungserträge in der Schweiz

27 Viele empirische Fragen und Probleme Lohndaten (Stundenlöhne, ex-steuern, etc.) Arbeitsmarktpartizipation (Männer Frauen) Bildungsvariablen (Jahre Abschlüsse) Übrige Kontrollvariablen Interaktionen (Bildung und Erfahrung) Medianlohn vs. Lohnverteilung

28 Werden tatsächlich Kompetenzen oder Schuljahre durch den Arbeitsmarkt abgegolten? Hanushek et al ersetzen S (H in ihrer Notation) durch eine direkte Messung von Kompetenzen (C), welche aus den PIAAC Messungen stammt. * G = Geschlecht Probleme: C H aber man weiss nicht wieso: Messfehler, weil H mehr als nur die in PIAAC gemessenen Kompetenzen sind (numerace, literacy & problem solving) oder umgekehrt (bspw. durch Weiterbildung) Keine rates of return (wie bei Mincer), da die Kosten der Humankapitalerwerbs nicht inbegriffen sind. Kausale Interpretation von C nicht möglich

29 Wie steht es um die Anreize sich zu bilden? (Bildungskosten, Erwerbschancen, etc.) Quelle: Hanushek et al. 2014)

30 Werden tatsächlich Kompetenzen oder Schuljahre durch den Arbeitsmarkt abgegolten? Ergebnisse: 1 Standard Abweichung bei C verändert den Lohn im Durchschnitt um 18% (prime age workers 35-54). Grosse Unterschiede zwischen den Ländern: hohe Werte für die USA, Irland, Deutschland), tiefe Werte für Schweden, Norwegen und die Tschechische Republik. Ähnlich wie Regressionen auf H. Returns für numerace und literacy höher als für «problem solving» (wie gut ist letzteres messbar). Erträge für Männer und Frauen im Durchschnitt gleich hoch. Negativ auf die Bildungserträge drücken: Gewerkschaftsabdeckungsgrad, Arbeitsmarktregulierungen, grosser staatlicher Sektor.

31 Ability Einführung in die Bildungsökonomie, 2015 Weiteres Beispiel: Noten anstelle von Kompetenzen Noten Arbeitsmarkt 6 9,6 % 14 % 4 t -1 t t +4

32 Bildung oder Fähigkeit? Die Rendite der Philologin ist nicht repräsentativ für die Schreinerin

33 Wenn die Bildungsrenditen nur ein Ergebnis der Selbstselektion der Talente wäre? Wenn von Geburt an produktivere Menschen (Ability) sich auch länger bilden, dann bekommen sie nicht wegen einer längeren Ausbildung einen höheren Lohn, sondern weil sie sowieso produktiver sind. Konsequenz: Würden sich weniger gebildete Menschen länger bilden, würden deren Löhne deswegen nicht steigen Das Bildungswesen hätte nicht die Funktion Menschen produktiver zu machen sondern die produktiveren zu selektionieren (Signaling Funktion). Wie berechnet man die wahre Bildungsrendite?

34 Sind Zwillingsstudien die Lösung?

35 Ergebnisse aus Zwillingsstudien

36 Alternative Methode: Instrumentalvariablengleichung Eine Instrumentalvariable ist eine Variable von der man annimmt, dass sie mit der interessierenden Variablen hoch korreliert ist (ACHTUNG vor «bad instruments»), aber nicht mit der abhängigen Variable. Da die Instrumentalvariable über die unabhängige Variable statistisch immer mit der abhängigen Variable korreliert ist, kann man obige Annahme nicht testen sie bleibt immer eine Glaubensfrage. Glaubwürdige Instrumentalvariablen entstammen häufig «natürlichen» Experimenten, durch welche die unabhängige Variable schockartig verändert wird. Beispiel: Verlängerung der obligatorischen Schulzeit. Korreliert mit der Schuldauer aber sollte keinen eigenen Einfluss auf abhängige Variablen, wie Lohn, Gesundheit, etc. haben.

37 Lohnt sich jede Ausbildung? 1) Lohnvarianz besteht auch zwischen Personen mit gleicher Ausbildung 2) Nicht jede Ausbildung führt auch zu einem bildungsstufen-adäquaten Job (Stoff des Tages 2)

38 Lohn Einführung in die Bildungsökonomie, 2015 Bildungsrenditen und Lohnrisiko Steigung = Rendite I II III Bildungsstufen

39 Lohn Einführung in die Bildungsökonomie, 2015 Bildungsrenditen und Lohnrisiko 9. Decil Median 1. Decil I II III Bildungsstufen

40 Lohn Einführung in die Bildungsökonomie, 2015 Bildungsrenditen und Lohnrisiko 9. Decil Median 1. Decil I II III Bildungsstufen

41 Bildungsrenditen reagieren konjunktursensibel und höhere Bildung ist risikobehaftet Quelle: Bildungsbericht 2014

42 Höhere Bildung ist risikobehafteter: Absolut und relativ

43 Bildungsrisiko und Lohnhöhe Ergebnisse aus Mincerregressionen: Je höher die unerklärte Varianz (= Risiko) der Lohngleichung, desto höher die Durchschnittslöhne (bspw. Lohnregressionen pro Branche, etc.). Ergebnisse aus Lohnerwartungsdaten (Schweri et al., EER, 2011): Je höher die individuell erwartete Lohnvarianz, desto höher die individuelle Medianlohnerwartung. Je höher die erwartete Schiefe der individuell erwarteten Lohnverteilung (skewness), desto tiefer der individuell erwartete Medianlohn. Konsequenzen für occupational choice. Für Bildungsentscheidungen falls höhere Bildung mit Risiko (erwartete und nicht erklärbare Lohnvarianz) einhergeht.

44 Liegt der Wert der Bildung tatsächlich in der Steigerung der Produktivität (Humankapital)? Spence (1973): Job Market Signaling Quarterly Journal of Economics) Bildung erhöht nicht die Produktivität aber Bildung selektioniert die Produktiveren. Deshalb können sich die Arbeitgeber auf den Bildungsabschluss als Signal für Produktivität verlassen. Damit Bildung aber als Signal taugt, müssen entweder das Bildungswesen die Selektion richtig machen und/oder die (kognitiven) Bildungskosten führen zu einer richtigen Selbstselektion in die längeren Bildungswege.

45 Theorie, Theorie oder doch Realität? Bilden sich Menschen tatsächlich wegen dem monetären Ertrag? (Humankapitaltheorie sagt, dass sich Bildung lohnt und ein «homo oeconomics» müsste ceteris paribus immer nutzenmaximierend handeln)

46 Nicht einfach zu überprüfen Veränderungen in den Renditen und Veränderung des Verhaltens lässt sich teilweise feststellen Aber meistens verändern sich ja die Renditen nur sehr schwach und sollten somit auch theoretisch nur bei wenigen Personen zu Verhaltensveränderungen führen «ceteris paribus» Regel gilt: die Ökonomie behauptet nicht, dass sich das Bildungsverhalten nur in Abhängigkeit der Bildungsrendite verändert Die «ceteris paribus» Regel gilt empirisch aber selten, da es jeweils zu vielen gleichzeitigen Veränderungen kommt

47 Indirekte Beweise Collegequoten = - FC DC + R + W + PED i FC: Opportunitätskosten; Durchschnittsverdienst eines vierzehn bis neunzehnjährigen der nicht ans College ging. DC: Direkte Bildungskosten eines Collegebesuchs. R: Bildungsrendite, gemessen als Lohnunterschied eines Collegeabsolventen zu einem Nicht-Collegeabsolventen (Alter 25-43). Tanner zieht dem Collegelohn zwanzig Prozent ab um damit für Ability Unterschiede zu kontrollieren. W: Vermögen der Eltern. Gemessen an der Wohnsituation der Eltern. PED: Die Schulabschlüsse der Eltern. i: Marktzinssatz. M. Tannen (1978, ILRR)

48 Bildungsrenditen in israelischen Kibbuzim (Abramitzky & Lavy, 2013) Geschichte: Von 1909 bis Ende der 80er Jahre: Bewohner/innen von israelischen Kibbuzim entrichteten eine Steuer von 100% auf ihrem Einkommen und erhielten dafür ein Einkommen vom Kibbuz, welches für alle gleich hoch war. Weil in der Folge der ökonomischen Krise immer mehr Leute die Kibbuzim verliessen, reformierten sich die Kibbuzim nach und nach und führten Einkommenssteuern von 20-50% ein.

49 Bildungsrenditen in israelischen Kibbuzim (Abramitzky & Lavy, 2013) Bildungsrenditen im ursprünglichen Fall: Alle Personen verdienen unabhängig von ihrem ausgeübten Beruf und ihrer Ausbildung gleich viel, d.h. die Bildungsrendite ist: 0% Wenn alle Menschen nur auf die monetäre Bildungsrendite reagieren würden, dann wäre die durchschnittliche Bildungsdauer = die obligatorische Schulzeit gewesen. Die durchschnittliche Bildungsdauer lag aber darüber: Dies bedeutet nicht, dass die Humankapitaltheorie falsch ist, es bedeutet nur, dass es noch Nutzen neben Geld gibt.

50 Bildungsrenditen in israelischen Kibbuzim (Abramitzky & Lavy, 2013) Bildungsrenditen im neuen Fall: Alle Personen verdienen entsprechend ihrer Ausbildung und ihrem Beruf, die Bildungsrendite, die sich einstellte entsprach ca. 8% pro Bildungsjahr. Wie reagierten Gymnasiast/innen, die zwei Jahre vor der Maturität waren als das Regime wechselte im Vergleich zu Kommilitonen, deren Kibbuz erst später zum neuen System wechselte Dif-in-Dif Analyse zur Bestimmung der kausalen Wirkung der Erhöhung der Bildungsrendite von 0 auf 8%.

51 Bildungsrenditen in israelischen Kibbuzim (Abramitzky & Lavy, 2013) Auswirkungen: Maturand/innen, die von der Reform betroffen waren, hatten bessere Maturitätsnoten, geringere Drop-out Raten, höhere Abschlussquoten im Tertiärsystem und zwar mit hohen Effektstärken. Die Effekte sind jedoch stärker und statistisch signifikant für Männer und Maturand/innen aus sozial tiefen Schichten. Wo die intrinsische Motivation zur Bildung nicht vorhanden ist, wirkt die extrinsische Motivation stärker!