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1 Evidenzbasierung ermöglichen! Auf dem Weg zu einer realistischen, empirisch i fundierten und informierten Verbraucherpolitik Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler Lehrstuhl für BWL, insbesondere Finanzwirtschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg Direktor der Forschungsstelle Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning Lehrstuhl für Marketing, zeppelin universität Friedrichshafen Fachgespräch zum Gutachten zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland BMELV, Berlin, 18. April 2013

2 Überblick (1) Ausgangslage/Problemstellung ll (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? (3) Wie sollte eine evidenzbasierte Verbraucherpolitik organisiert werden? (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze (5) Handlungsempfehlungen für die Verbraucherpolitik und Ausblick Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

3 (1) Ausgangslage/Problemstellung Verbraucherinnen b h i und Verbraucher als Motor der Wirtschaft? 1 Umfangreiche Datenbestände der angebotsseitigen Wirtschaftspolitik! umfangreiche nachfagerseitige g Daten und Informationen vorhanden? Vzbv 2009: Um eine Politik für und mit Verbrauchern machen zu können, bedarf es eines Beobachtungssystems, das regelmäßig Daten und Wissen über die wesentlichen Verbrauchermärkte und ihr Funktionieren generiert.... Wir brauchen nicht nur Wirtschaftsweise, sondern auch Verbraucherweise. 2 Hagen 2011: Politikberatender Verbraucherforschung mangelt es an Empirie und an Repräsentativität in allen Themen ; Verbraucherpolitik bewegt sich empirisch im Blindflug. 3 Ist eine systematische, evidenzbasierte Verbraucherpolitik in Deutschland derzeit eit möglich? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

4 (1) Ausgangslage/Problemstellung Notwendig t wären systematische ti Informationen über das reale Verhalten von Verbrauchern in verschiedenen Kontexten insbesondere aber auf allen relevanten Märkten. Im Mittelpunkt stünden dabei Studien und Daten über das kurz-, mittel- und langfristige Informations- und Entscheidungsverhalten der Verbraucher, sowie darüber, wie verschiedene Informationsquellen und Zugangsmöglichkeiten der analogen und digitalen Welt genutzt und bewertet werden. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

5 (1) Ausgangslage/Problemstellung Zentrale t l Fragestellungen: (1) Wie müsste eine unabhängige Datenerhebung aussehen, die verbraucherpolitischen Erfordernissen gerecht wird und eine evidenz- basierte Verbraucherpolitik ermöglicht? Welchen Anforderungen sollte sie gerecht werden? (2) Welche ggf. neuen Institutionen sind erforderlich, um die genannten Anforderungen zu erfüllen? (3) Wie kann der aktuelle Stand der empirischen Verbraucherforschung als Basis einer evidenzbasierten Verbraucherpolitik beurteilt werden? (4) Welcher politische Handlungsbedarf besteht, um die erkennbare Lücke zwischen Informationsstand und -bedarf zu schließen? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

6 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Anforderungskriterien i inhaltlich-konzeptioneller h ti ll und institutioneller Art 4 (1) Die Datenerhebung sowie die entsprechenden Institutionen sollten durch eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit gg gekennzeichnet sein ( Sachverständigenrat ). (2) Datenerhebung, die Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erlaubt und demzufolge einen dynamischen Charakter hat ( Panel Panel ) ). (3) Flexibilität der Datenerhebung und -struktur: Frühzeitig neue Entwicklungen erkennen und einbeziehen können. Methodische Flexibilität: Nutzung und Weiterentwicklung verschiedener Erhebungsmethoden (z.b. Befragung, Beobachtung, Experiment). (4) Verbraucherbeteiligung (Verbände, NGOs, direkt). (5) Transparenz: Die zur Herleitung bestimmter Ergebnisse genutzten Methoden werden expliziert iert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

7 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Anforderungskriterienf d k i inhaltlich-konzeptioneller h ti ll und institutioneller Art 4 (6) Realitätsbezug: Phänomene und Verhaltensweisen erfassen, die aus Sicht der verschiedenen verbraucherpolitischen Akteure eine besonders hohe Relevanz für die Gestaltung der Realität haben. (7) Effizienz der Strukturen, Methoden und Institutionen: Bereits vorhandene Ressourcen und Vorarbeiten in die Datenerhebung einbinden ( BigData ). Nur Daten erheben, die zur Beantwortung der jeweiligen Fragestellungen benötigt werden, aber auch nicht weniger. Regelmäßige Prüfung der entsprechenden Strukturen auf Obsoleszenz und ggf. Restrukturierung. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

8 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Anforderungskriterienf d k i inhaltlich-konzeptioneller h ti ll und institutioneller Art 4 (8) Effektivität und Aussagekraft: Datenerhebung ng sollte strukturiert riert und differenziert iert erfolgen und sich nicht auf bloße Meinungsumfragen beschränken. Erhebung realen Verhaltens: Informationsaufnahme, Informationswahrnehmung und -verarbeitung, Entscheidungsvorbereitung, Entscheidung (Kauf, Verkauf, Nichtstun) sowie Entscheidungsnachbereitung und Entscheidungsfolgen (Dissonanzen, Beschwerden, Wechsel etc.). Wesentliche Bereiche (nicht disjunkt): Finanzen, Energie, Ernährung und Digitale Welt sowie Altersvorsorge/ soziale Sicherung, Verbraucherbildung, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Wohnen und Mobilität. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

9 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Prozessurale l Struktur Durch wen und wie kann ein Überblick über die Strukturen der genannten Märkte und Konsumfelder gegeben g werden? Durch wen und wie können die in diesen Märkten und Konsumfeldern vorherrschenden Angebotsstrukturen und die relevanten verbraucherpolitischen Problemlagen skizziert werden? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

10 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Prozessurale l Struktur Informations- und Datenlage über und für Verbraucher Informationsangebote für Verbraucher Kommen Verbraucher problemlos an Informationen heran? Sind diese anbieterneutral? Können Verbraucher auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen Produkt- und Anbietervergleiche durchführen? Informationen und Daten für die Verbraucherpolitik Welche Entscheidungen stehen auf der politischen Agenda? Wie können Politiker auf die Daten zugreifen? Können die entsprechenden Informationen politikgerecht aufbereitet werden? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

11 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Prozessurale l Struktur Informations- und Datenlage über und für Verbraucher Informationen und Daten für die Verbraucherforschung Welche Daten lassen sich für Forschungszwecke nutzen? Welche Möglichkeiten haben die Forscher, auf die Daten zuzugreifen? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

12 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Forschungsleitende Fragen einer fortlaufenden f Untersuchung (1) Marktstrukturelle Lage? z.b. welche Anbieter?, Wettbewerb?, erb? Regulierung?, Marktzugang?, Produktdifferenzierung? sozio-ökonomische Differenzierung: z.b. Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Familie, Erwerbstätigkeit. Räumliche/(mikro)geographische Differenzierung: z.b. Land/Stadt. (2) Informationslage über Verbraucher in den jeweiligen Märkten und Konsumfeldern?, z.b. Welches Wissen haben die Verbraucher in verschiedenen Konsum- feldern? Welche Informationen stehen wie, in welcher Form und Qualität wie lange zur Verfügung? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

13 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Forschungsleitende Fragen einer fortlaufenden f Untersuchung (3) Informations- und Entscheidungsverhalten der Verbraucher und Anbieter in der Zeit? (4) Biases : z.b. information overload, choice overload, customer confusion, home bias, overconfidence. Entstehung und Ausmaß? Verstärkung oder Verminderung im Zeitablauf? Veränderung durch verbraucherpolitische Maßnahmen: Potenzial, Umsetzung? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

14 (2) Welche Daten- und Informationsgrundlage braucht eine wirksame, evidenzbasierte Verbraucherpolitik? Forschungsleitende h l d Fragen einer fortlaufenden f Untersuchung Einsatz eines Mix aus wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen sowie auch (neuro)psychologischen und ggf. juristischen Methoden. Primäranalyse: z.b. Expertenworkshops, Verbraucherworkshops, Panelbefragungen/Fokusgruppen, wiederholte Querschnittsbefragun- gen, (feld)experimentelle Analysen. Sekundäranalyse: z.b. Literaturauswertung, amtliche und halbamtliche Statistik sowie weitere Informationsquellen und Statistiken. Versuch, Rohdatensätze verschiedener Analysen in einer gemeinsamen Datenbank zu aggregieren ( BigData ). Dies kann aber sinnvoll nur unter der notwendigen Bedingung gelingen, wenn die jeweilige story der einzelnen Datenerhebung umfassend spezifiziert wird, da bereits die Anlage der Untersuchung selbst die Ergebnisse beeinflusst. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

15 (3) Wie sollte eine evidenzbasierte Verbraucherpolitik organisiert werden? Wie sollte die mit der Erfüllung der Aufgaben (verbraucherpolitisch h wünschenswerte Daten- und Informationsbasis) beauftragte Organisationsstruktur aussehen? Fokus auf Panelorganisation, da nach aktuellem Wissensstand die eingangs erwähnten inhaltlich-konzeptionellen Anforderungen weitestgehend erfüllt werden dürften (Beispiele SOEP, NEPS). Wesentliche Merkmale: Die für den Aufbau und die Pflege des Panels zuständigen Institutionen und Mitarbeiter sollten unabhängig agieren können; eine ausreichende methodische und inhaltliche Kompetenz aufweisen; dauerhaft finanziert i sein; von unabhängiger, dritter Seite evaluiert werden; wissenschaftlich anschlussfähig ssfähig sein. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

16 (3) Wie sollte eine evidenzbasierte Verbraucherpolitik organisiert werden? Institutionelle Verankerung: Sachverständigenrat für Verbraucherfragen vergleichbar mit den Wirtschaftsweisen, der von politischen Parteien genauso gefordert wird wie zuvor schon von NGOs wie dem vzbv oder aus der Wissenschaft. 56 5,6 Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

17 (3) Wie sollte eine evidenzbasierte Verbraucherpolitik organisiert werden? Evaluationskommission Fachbeirat (Verbände, NGOs) Projekt- bezogene Beratung Ern nennt Bundesregierung Fina anziert Ber richtet Sachverständigenrat für Verbraucherfragen Schlägt Mitglieder vor Ernennt Evaluiert Management eigener eigener Daten Management fremder fremder Daten (Befragung, Beobachtung, (Befragung, Beobachtung, Experiment, Sekundärquellen) Experiment, Sekundärquellen) Hauptgutachten & Sondergutachten: Analysen, Entwicklungstendenzen und Handlungsempfehlungen; auch allgemein-verständlich, kurz und prägnant, kurz- und mittelfristig. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

18 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Kann man vor dem Hintergrund des erwähnten Effizienzgebotsi erste vorhandene Ansätze nutzen und ausbauen? Am ehesten 2012 veröffentlichtes Gutachten zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher (im Auftrag des BMELV)? Ausschreibungstext: Im Ergebnis sollte... ein wissenschaftlich fundiertes Kompendium zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher im Hinblick auf die Struktur und Transparenz der... Produkt- und Dienstleistungsmärkte aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher vorgelegt werden, das auch eventuelle Informationsasymmetrien oder marktstrukturelle Defizite aufzeigt. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

19 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Inhaltlich-theoretische h h th ti h Konzeption des Prognos-Gutachtens Die Basis ist teils informationsökonomisch und teils neoklassisch geprägt, weist aber gleichzeitig g einige rudimentäre verhaltensökonomische Aspekte auf, so dass das theoretische Fundament der Arbeit eher unklar bleibt. Als Leitbild wird einerseits ein mündiger, d.h. allwissender, omni-kompeten- ter Verbrauchertyp angestrebt (neoklassisch, S. 420), andererseits zugleich auf Informationsasymmetrien hingewiesen (informationsökonomisch, S. 412/3), die man angeblich durch Verbraucherpolitik vermeiden könne (neoklassisch, z.b. S. 163). Es wird sogar behauptet, man wisse objektiv, welches Produktwissen notwendig sei (S. 413). Gleichzeitig werden vertrauende Konsumentscheidun- gen als allein emotional begründet dargestellt, was hierzu nun gar nicht zu passen scheint (S. 414). Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

20 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Inhaltlich-theoretische h h th ti h Konzeption des Prognos-Gutachtens Aber: Bei Vertrauensgütern versagt Selbstauskunft, da Qualitätsbeurteilung für die Verbraucher nicht möglich. Fazit: Keine hinreichende wissenschaftliche Fundierung. Zudem: Die Umsetzung der Anforderung der Ausschreibung nach der Berücksichtigung verhaltensökonomischer Typisierungen fehlt nahezu vollständig, obwohl inzwischen auch in der deutschsprachigen Literatur zur Verbraucherforschung und -politik gut dokumentierte Ergebnisse vorliegen. Stattdessen wird nahezu ausnahmslos von nicht näher definierten und spezifizierten mündigen Verbraucherentscheidungen gesprochen. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

21 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Methodische h Konzeption des Prognos-Gutachtens Die Forschungsanlage bleibt weitgehend auf der kognitiven, expliziten Ebene. Experimentelle Ansätze (Verhaltensökonomik!) fehlen. Das Anforderungsmerkmal der methodischen Flexibilität wird mithin durch das Gutachten nicht erfüllt. Auch ist im Hinblick auf das Merkmal der Transparenz nicht deutlich, wie die zur Definition des Konstrukts Lage der Verbraucher genutzten Faktoren gewichtet wurden und wie hoch die mit diesen Faktoren erreichbare Varianzaufklärung ist. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

22 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Methodische h Konzeption des Prognos-Gutachtens Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, dass das Gutachten dem wissenschaftlichen Anspruch auf Validierung und Reliabilität nicht gerecht wird und insofern nur bedingt wissenschaftlich anschlussfähig ist. Eine Replikation der Studie ist in der vorliegenden Form nicht möglich. Darüber hinaus kennzeichnet sich die Forschungsanlage tatsächlich durch eine rein statische Erhebung ( Zeitpunktmessung ), obwohl im Text des Gutachtens immer wieder der Eindruck erweckt wird, es gäbe eine Zeitraumbetrachtung (z.b.... ist die Lage insgesamt besser als zuvor..., S. 2 Kurzfassung). Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

23 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Methodische h Konzeption des Prognos-Gutachtens Damit sind zwei Schwächen verbunden: Zum einen können neuere Ansätze der Konsumentenverhaltensforschung, die primär auf Prozessmodelle ab- stellen (z.b. Weber/Johnson, 2009) nicht berücksichtigt werden. Zum anderen leiden sämtliche Analysen, die einen Begründungszusammenhang darstellen wollen, unter einem Endogentitätsproblem. Dieses zweite Problem verschärft sich durch die fehlende theoretische Fundierung. Hier wurde somit eine Chance vertan, Ansatzpunkte zur Verbesserung der Lage der Verbraucher zu identifizieren. Die Verfasser erwähnen dieses Manko im Übrigen selbst (z.b. auf der S. 420). Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

24 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Methodische h Konzeption des Prognos-Gutachtens Darüber hinaus führt die differenzierte Analyse auf der Ebene der auf S. 21 geschilderten Teilmärkte in manchen Fällen zu relativ kleinen Fallzahlen (z.b. S. 137). Diese sind nicht nur im Hinblick auf die im Text erwähnten, aber nicht transparent explizierten Signifikanztests kritisch. Auch, ob z.b. aus der Aussage von etwa 100 Befragten z.b. auf die Qualität von Fondsprodukten oder funktionellen Lebensmitteln in Deutschland insgesamt geschlossen werden kann, darf erheblich bezweifelt werden. Zudem wäre im Rahmen einer evidenzbasierten Verbraucherpolitik zu wünschen, dass die erhobenen Rohdaten sowie der verwendete Originalfragebogen veröffentlicht werden, um weiterführende Analysen zu ermöglichen. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

25 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Fazit zum Prognos-Gutachten: Insgesamt leistet t das vorliegende Gutachten (noch) einen handwerklich soliden Beitrag zur Weiterentwicklung und empirischen Fundierung verbraucherpolitischer Aspekte. Es leidet aber unter einer diffusen theoretischen Basis, die mangels umfassender Literaturanalyse und -auswertung nicht immer auf dem neuesten Stand ist. Inhaltlich und deskriptiv deckt es einige wichtige Aspekte ab, müsste aber in einer etwaigen Fortführung in zentralen Punkten weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sind methodische Schwächen erkennbar, die insbesondere dann problematisch werden, wenn die deskriptive Ebene verlassen wird. Insofern leistet das Gutachten in praktisch-normativer Hinsicht möglicher- weise erste Hinweise auf Handlungsbedarfe. Als Basis für das im Hinblick auf eine evidenzbasierte Verbraucherperspektive wünschenswerte Verbraucherpanel taugt es jedoch kaum. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

26 (5) Handlungsempfehlungen für die Verbraucherpolitik und Ausblick Der aktuelle Stand der Verbraucherforschung h in Deutschland weist erhebliche Defizite auf. Diese zu beheben sollte ein wichtiges verbraucherpolitisches Ziel sein. Auf dem Weg zu einer evidenzbasierten Verbraucherpolitik könnte der erste Schritt der diskutierten Organisationsstruktur (z.b. Sachverständigenrat) darin bestehen, die in diesen verschiedenen Institutionen verfügbaren Daten und Methoden im Rahmen einer Ist-Analyse durch entsprechend qualifizierte und organisierte Personen zu sichten. Darauf aufbauend sollten in Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern die Ziele definiert werden, die mit einer evidenzbasierten Verbraucherforschung und -politik erreicht werden sollen. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

27 (5) Handlungsempfehlungen für die Verbraucherpolitik und Ausblick Daran anschließend wäre eine Strategiet zu formulieren und mit entsprechenden Ressourcen zu unterlegen, mit der die entsprechenden Ziele erreicht werden könnten. Diese Strategie sollte im Kern ein Bündel von Maßnahmen beinhalten, welche im Fortgang zu realisieren wären. Abschließend sollte der erreichte Zustand evaluiert werden und als Basis für eine etwaige Weiterentwicklung erfasst werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei aus politischer Perspektive eine entsprechende Finanzierung der mit diesen Aufgaben betrauten Personen und Institutionen. Angesichts der hohen politischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Aufgabe erscheint diese Forderung unabdingbar. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

28 Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

29 Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler Verweise 1 Vgl. z.b. BMELV, 2007, Verbraucherpolitik als Motor der Wirtschaft, Angewandte Wissenschaft Heft 518, Verlag Weinmann, Filderstadt. Oehler, A., 2005, Verbraucherinformation als Motor für einen Qualitätswettbewerb; in: vzbv (Hg.), Wirtschaftsfaktor Verbraucherinformation, BW-Verlag, Berlin, CDU 2012, Verbraucherpolitische Positionen Dezember 2012, Berlin, Verbraucher als Motor des Systems, 18. Bundesregierung 2002, Perspektiven für Deutschland. Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Berlin, Kap. E.III, Verbraucher als Motor für Strukturwandel, Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), 2009, Die Verbraucherpolitik stärken, , Berlin. 3 Hagen, K., 2011a, Stellungnahme zu Fragen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Rahmen einer Öffentlichen Anhörung am im Deutschen Bundestag zum Thema Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen g auf Verbraucher prüfen (BT-Drs. 17/2343), 12 sowie Hagen, K., 2011b, Verbraucherpolitik bewegt sich empirisch im Blindflug Pressemitteilung vom sowie die Kurzfassung der Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am im Deutschen Bundestag: achrichten/nachrichten.html?id=diw_01.c de. 4 Vgl. Hagen, K./Micklitz, H.-W./Oehler, A./Reisch, L.A./Strünck, C., 2013, Check Verbraucherpolitik und Verbraucherbeteiligung Empfehlungen für eine evidenzbasierte Verbraucherpolitik; in: Journal für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (forthcoming). Vgl. auch Reisch, L.A., 2011, Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen. Stellungnahme zu Fragen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Rahmen einer Öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag (Drucksache 17/2343), 19. Januar 2011, Berlin. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

30 Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler Verweise 5 Vgl. z.b. vzbv 2009 ( Wir brauchen nicht nur Wirtschaftsweise, sondern auch Verbraucherweise. ); Reisch, L.A., 2011, Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen. Stellungnahme zu Fragen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Rahmen einer Öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag (Drucksache 17/2343), 19. Januar 2011, Berlin, 12 ( Denkbar wäre ein entsprechend ausgestatteter Sachverständigenrat zur Begutachtung der Lage der Verbraucher in Anlehnung an die Arbeit des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. ); Bundesfachausschuss Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU Deutschland, 2012, Verbraucher unterstützen - Vertrauen in die Märkte stärken, Positionspapier, Dezember 2012, 4 ( Wir regen an, einen Sachverständigenrat - vergleichbar mit den Wirtschaftsweisen - aufzubauen, der einmal jährlich einen Lagebericht der Verbraucher erstellt, veröffentlicht und zusammen mit entsprechenden Empfehlungen der Politik übergibt. ): Bündnis 90/Die Grünen, 2013, Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik, Antrag, , Deutscher Bundestag, Drucksache, 17/12694, 5 (... die Verbraucherforschung auszubauen, insbesondere hinsichtlich aktueller Verbraucherprobleme am Markt und Verbraucherbedürfnissen sowie zur Verbesserung von Effizienz und Qualität verbraucherpolitischer Maßnahmen, und hierfür einen Sachverständigenrat für Verbraucherfragen aufzubauen, der die Lage der VerbraucherInnen begutachtet und Politikempfehlungen ausspricht... ); SPD, 2013, Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern, Antrag, , Deutscher Bundestag, Drucksache, 17/12689, 3 (... die Voraussetzungen für eine evidenz- und forschungsbasierte Verbraucherpolitik zu schaffen und hierfür Vorschläge für einen Ausbau der Verbraucherforschung vorzulegen. Dazu gehört sowohl die Einrichtung eines Sachverständigenrates für Verbraucherfragen als auch die kontinuierliche repräsentative Beobachtung von Märkten mit Hilfe eines Verbraucherpanels... ). 6 Abbildung (unten, letzter Kasten) ergänzt nach Anregungen aus der Diskussion im Fachgespräch des BMELV am ; die Autoren danken u.a. Stefan Schulz, Bundeskanzleramt, und Gert Billen, vzbv, für ihre wertvollen Anregungen. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

31 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Auffallend ist zunächst, dass mit den untersuchten Teilbereichen Girokonto, Fonds und Kapitallebensversicherung der Eindruck entsteht, die Analyse bewegte sich eher in den 1990er-Jahren vor der sog. Industrialisierung der Retail-Finanzdienstleistungen. Hinzu kommt, dass diese genauso wenig spezifiziert untersucht werden wie die verschiedenen Retail-Kunden und deren Verhaltensmuster. Dabei wird nicht nur übersehen, dass Fondsprodukte noch immer einen verschwindend geringen Marktanteil haben. Noch gravierender ist der Mangel, sich nicht mit Immobilienvermögen und Immobilienfinanzierungen i sowie mit weiteren Kreditfinanzierungen i im Retail- Geschäft auseinander zu setzen. Ein Gutteil der vorgelegten Analyse geht so praktisch an der Realität der Verbraucherinnen und Verbraucher vorbei. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

32 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Des Weiteren fällt auf, dass an vielen Stellen von hoher oder zunehmender Komplexität gesprochen wird, dieser Terminus aber nie auch nur annähernd oder nachvollziehbar definiert oder erklärt wird. Es verbleibt der Eindruck, dass bereits vom Framing her bestimmte Ergebnisse der Studie erzeugt werden, weil z.b. gar nicht gezielt und nach Verhaltensmustern differenziert auf Passung und Geeignetheit und eine hierzu mögliche Regulierung eingegangen wird. Die mangelnde wissenschaftliche und methodische Fundierung des Gutachtens zeigt sich dann auch in Aussagen, die sehr befremdlich wirken. So wird zunächst festgehalten, es gäbe... immer noch eine Informationsasym- metrie zu ungunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher... (S. 163), obwohl gerade der hier angewandte informationsökonomische Ansatz zeigt, dass diese built in, also nicht wegdefinierbar oder wegregulierbar g ist. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

33 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Anschließend wird tautologisch abgeleitet,... in den Teilmärkten Fonds und kapitalbildende Lebensversicherungen kommt hinzu, dass die Entscheidungen zukunftsbezogen sind und daher als unsicher gelten... (S. 163). Welche Entscheidung mit Bezug auf Finanzprodukte ist denn nicht zukunftsbezogen und sind nicht alle Entscheidungen mit Unsicherheit behaftet? Das Gutachten konstatiert, es gäbe... vielfältige Belege für ein mündiges mündiges Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland... Diese sind überwiegend in der Lage ihren Konsum selbstbestimmt zu gestalten. (S. 2 Kurzfassung). Wie kann ein solches Ergebnis abgeleitet werden angesichts von Schäden von mehr als 50 Milliarden Euro jährlich im Bereich Finanzen und Versiche- rungen? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

34 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Wie kann es angesichts solch eklatanter Fehlentwicklungen im Gutachten zu der verharmlosenden Einschätzung kommen, dies würde... auch lediglich einen (überschaubaren) monetären Verlust bedeuten (Konsumbereich Finanzen und Versicherungen)... (S. 418), wenn z.b. die Existenz der Altersvorsorge/die finanzielle Existenz auf dem Spiel steht oder ca. drei Viertel aller langlaufenden Kapitallebensversicherungen vorzeitig beendet werden? Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

35 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Schließlich fällt eine recht unkritische Nutzung empirischer Studien zur (Financial) Literacy auf, die z.b. darin mündet, zu behaupten, es gäbe auf der Nachfragerseite ein strukturelles Wissens- und Kompetenzdefizit... (S. 413), ohne zu differenzieren nach Verhaltensmustern, Wissen, Verfügbarkeit über Wissen im Anwendungsfall oder zu erörtern, dass niemand in allen relevanten Konsum- und Lebensbereichen allwissend, omni-kompetent und immer up to date sein kann. Diese Ergebnisse des Gutachtens überraschen umso mehr, als unabhängig und nicht interessengeleitet erhobene Daten existieren (z.b. WDR-Studien). Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,

36 (4) Kritische Bestandsaufnahme aktueller Ansätze Am Beispiel i Finanzen und Versicherungen lassen sich einige i Defizite it des Prognos-Gutachtens exemplarisch vertiefen. Das Manko einiger anderer, im Gutachten unreflektiert zitierter Studien besteht zum einen darin, dass sie neben der Interessengeleitetheit der Fragestellung insb. nur Jugendliche und junge Erwachsene befragen, ohne Vergleich zur Bevölkerung (z.b. Schoenheit) und/oder die Fragestellungen so angelegt sind, falsche oder unklare Antworten zu erzeugen (etwa Lusardi, Bucher-Koenen zur Geldanlage). Das Gutachten behauptet dann schließlich jenseits eines kritischen wissenschaftlichen Realismus, man könne objektiv einen solchen Mangel bei Verbraucherinnen und Verbrauchern konstatieren (S. 413), obwohl es doch offensichtlich keine Objektivität geben kann. Evidenzbasierung ermöglichen! Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler, Univ.-Prof. Dr. Peter Kenning,