Gewerkschaftliche Positionen zur Gestaltung betrieblicher Arbeitszeiten

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1 Gewerkschaftliche Positionen zur Gestaltung betrieblicher Arbeitszeiten Die Dauer und Gestaltung von Arbeitszeiten sehen die Unternehmer vor allem als Mittel zur Reduzierung der Arbeitskosten. In der Regel wollen sie unabhängig von tarifvertraglichen Bestimmungen die Arbeitszeiten der jeweiligen Auftragssituation anpassen. Sie drängen in vielen Fällen auch auf eine Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit. Es gibt zahlreiche Elemente zur Arbeitszeitgestaltung, die auch zur Bewältigung unterschiedlicher Auftragssituationen eingesetzt werden können. Zum Beispiel: Teilzeitarbeit, Schichtarbeit, Überstunden, Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, Arbeitszeitverteilungspläne, befristete Arbeitsverhältnisse, Altersteilzeit und Vorruhestandsregelungen. Im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen Arbeitszeiten geplant und vereinbart werden. Die verantwortlichen Führungskräfte in den Betrieben sind jedoch häufig nicht ausreichend qualifiziert, um die vorhandenen Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit sinnvoll zu nutzen. Forderungen nach einer Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit (z.b. Rückkehr zur 40-Stunden-Woche) sind beschäftigungsfeindlich und haben nichts mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit zu tun. Sie verfolgen eindeutig das Ziel, Neueinstellungen zu verhindern und die vorhandenen Kapazitäten intensiver mit dem gleichen oder einem geringeren Personalbestand zu nutzen. Eine Abkehr von der 35-Stunden-Woche sichert keine Arbeitsplätze, sondern verschärft die Wettbewerbssituation der Betriebe und erzeugt neuen Kostendruck. Es fehlen in der Regel die Aufträge, die längere Wochenarbeitszeiten bzw. eine Erweiterung der Kapazitäten erforderlich machen könnten. Die Produktivität ist wesentlich schneller gestiegen als die Produktion. Deshalb war und ist eine Verkürzung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit zur Erhaltung und

2 2 Schaffung von Arbeitsplätzen unbedingt notwendig. In den Betrieben, in denen regelmäßig länger als 35 Stunden in der Woche gearbeitet wird, muss deshalb (gegebenenfalls über einen Stufenplan) die Verkürzung der Arbeitszeit organisiert und vereinbart werden. Darüber hinaus ist eine weitere Verkürzung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit im Interesse aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere der Arbeitslosen, unverzichtbar. Die Betriebsräte werden sich den beharrlichen Forderungen der Unternehmer nach einer weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit grundsätzlich nicht entziehen können. Dabei kommt es allerdings entscheidend darauf an, mit welchen eigenen Vorstellungen sich die Interessenvertretung der Beschäftigten auf Verhandlungen einlässt. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft ist dabei unverzichtbar. 1. Arbeitszeitverteilungspläne In verschiedenen Tarifbereichen (Druckindustrie, Verlage, Papier- und Kunststoffverarbeitung) sind Arbeitszeitverteilungspläne mit einer unterschiedlichen Verteilung der tariflichen Wochenarbeitszeit über mehrere Wochen zulässig und durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Die tarifliche Wochenarbeitszeit muss in einem festgelegten Zeitraum im Durchschnitt erreicht werden. Das monatliche Einkommen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollte unabhängig von der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden auf der Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit in Höhe des vereinbarten Gehaltes gezahlt werden. Der Verteilungszeitraum kann sehr unterschiedlich sein. Entscheidend ist, dass für den gesamten Zeitraum die unterschiedlichen Tages- und Wochenarbeitszeiten fest vereinbart werden müssen. Die Geschäftsleitung muss also die unterschiedlichen Auftragssituationen im voraus einschätzen können. Eine kurzfristige Veränderung der vereinbarten Arbeitszeitpläne ist nur mit Zustimmung des Betriebsrates möglich. Immer häufiger versuchen Geschäftsleitungen, die Arbeitszeit für die folgende Woche für Abteilungen und einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kurzfristig wenige Tage zuvor "anzusagen". Ein solches Vorgehen ist rechtswidrig!

3 3 Auch in den Betrieben, in denen keine Tarifbindung besteht, muss nach 87 BetrVG der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit mit dem Betriebsrat vereinbart werden. Für den Fall einer unvermeidbaren Abweichung von der vereinbarten Arbeitszeit bleibt die Möglichkeit der Überstunden. Auch diese Überstunden müssen nach dem BetrVG ( 87) ebenfalls mit dem Betriebsrat vereinbart werden. 2. Variable Arbeitszeiten durch Überstunden Flexible Arbeitszeitmodelle sind Rationalisierungsinstrumente. Sie enthalten wie alle anderen Rationalisierungen, die für das Unternehmen erfolgreich eingesetzt werden, stets ein Element des Arbeitsplatzabbaus. Trotzdem können auch positive Beschäftigungseffekte erreicht werden, wenn zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung ein Kompromiss über die Verteilung der Rationalisierungsgewinne gefunden wird. Zu einem solchen Kompromiss gehören Beschäftigungsgarantien und Neueinstellungen. Positive Beschäftigungseffekte flexibler Arbeitszeitmodelle bestehen darin, dass die effektive durchschnittliche Arbeitszeit durch den Abbau von Überstunden reduziert und dies in der Personalbemessung berücksichtigt wird. Es muss verhindert werden, dass mit der Arbeitszeitflexibilisierung ein Arbeitsplatzabbau verbunden wird. Bei der Einführung von Arbeitszeitkonten geht es den Unternehmern in aller Regel darum, Überstundenzuschläge einzusparen und Mehrarbeit durch Freizeit auszugleichen. In einer wachsenden Anzahl von Betrieben gibt es dazu noch nicht einmal eine Betriebsvereinbarung. Überstunden können zwar der Form nach durch Arbeitszeitkonten überflüssig gemacht werden, doch in der Praxis wird möglicherweise die effektive Arbeitszeit keineswegs verkürzt. Was früher Überstunden hieß, wird nun lediglich in Zeitguthaben umbenannt. Zur Sicherung von Beschäftigung ist deshalb wichtig, den Zusammenhang von Arbeitszeit und Personalbemessung deutlich zu machen. Im Rahmen der unverzichtbaren Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit sollte diese Verbindung hergestellt werden.

4 4 1. Beispiel: "Diese Betriebsvereinbarung hat zum Ziel, zu effizienteren Arbeitseinsätzen zu gelangen und insbesondere die bisher geleisteten Überstunden zu reduzieren. Sollte dies nicht möglich sein, muss die Personalstärke überprüft werden. Es ist nicht Ziel dieser Betriebsvereinbarung, Personal zu reduzieren." 2. Beispiel: "Rechtzeitig vor Beginn eines neuen Kalenderjahres sind die Personal- bzw. Stellenpläne unter Berücksichtigung einer ausreichenden Personalreserve zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung zu beraten und zu vereinbaren. Die Personal- bzw. Stellenpläne sind regelmäßig zu überprüfen, insbesondere bei Änderungen von Fertigungstechniken, Arbeitsabläufen und -organisation. Die Geschäftsleitung hat den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über alle Änderungen zu unterrichten und in Beratungen über mögliche Konsequenzen einzutreten. Die Vereinbarungen können mit Monatsfrist zum Monatsende gekündigt werden. Im Falle der Nichteinigung entscheidet die Einigungsstelle entsprechend 76 BetrVG." 3. Beispiel: "Entwickeln sich die Zeitkontensalden des gesamten Betriebes bzw. einzelner Abteilungen in überhöhtem Maße (größer als... Stunden) und ist ein Abbau dieser im Ausgleichszeitraum nicht erkennbar, dann ist die Geschäftsleitung verpflichtet, mit dem Betriebsrat über Neueinstellungen in Verhandlung einzutreten. In einer Betriebsvereinbarung über variable Arbeitszeiten durch Überstunden sollten vor allem folgende Bedingungen vereinbart werden: Zeitguthaben, die durch Überstunden entstehen, werden auf einem persönlichen Arbeitszeitkonto für jeden Beschäftigten erfasst. Es werden ausschließlich Zeitgutschriften erfasst. Dieses Arbeitszeitkonto wird in der Personalabteilung verwaltet. Jeder Beschäftigte erhält monatlich einen Auszug. Der Betriebsrat erhält eine monatliche Abrechnung für jeden einzelnen Beschäftigten.

5 5 Das Zeitguthaben eines Beschäftigten darf... Stunden nicht überschreiten. Überstunden, die durch Arbeit an Feiertagen entstanden sind, werden nicht mitgezählt. Jeder Beschäftigte hat das Recht, bei entsprechendem Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto, Freizeit nach seinen Bedürfnissen unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange nehmen zu können. Die Freistellung kann stunden- oder tageweise erfolgen. Ist im Einzelfall zwischen den Interessen eines Beschäftigten und der Abteilungsleitung keine Einigung zu erzielen, so kann der Beschäftigte sich an den Betriebsrat wenden mit dem Ziel, dass dieser mit der Geschäftsleitung eine Konfliktlösung erreicht. Im Todesfall wird den Erben der Wert des Zeitguthabens einschließlich der tariflichen Zuschläge ausgezahlt. Bei der Auszahlung von Zeitguthaben gelten die aktuellen tariflichen Lohn- und Gehaltsbestimmungen. Mit der Einrichtung von Arbeitszeitkonten kreditieren die Beschäftigten dem Unternehmen die Bezahlung der abgeleisteten Arbeit durch Geld oder Freizeit für eine unbestimmte bzw. vereinbarte Zeit. Das sollte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht umsonst sein. Jeder Kredit erfordert in der vielgepriesenen Marktwirtschaft auch Zinsen. Darüber sollte der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung verhandeln. Zumindest sollte auf die tariflichen Überstundenzuschläge nicht verzichtet werden. Besonders wichtig ist eine Sicherung der Arbeitszeitguthaben der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen eine Insolvenz des Betriebes. Mit dem Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen, dem so genannten Flexi-Gesetz vom , wurden Regelungen zur Insolvenzsicherung von Arbeitszeitguthaben eingeführt. Im 7a Sozialgesetzbuch IV werden die Vertragsparteien (Arbeitgeber und Arbeitnehmer/Betriebsrat) beauftragt, im Rahmen ihrer Vereinbarungen Vorkehrungen zu treffen, die der Absicherung der

6 6 Arbeitszeitguthaben dienen. Werden solche Vorkehrungen nicht getroffen, sieht das Gesetz gegenwärtig keine Konsequenzen vor. In 7a SGB IV heißt es: Die Vertragsparteien treffen...vorkehrungen, die der Erfüllung der Wertguthaben einschließlich des auf sie entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers dienen, soweit 1. ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht besteht und 2. das Wertguthaben des Beschäftigten einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag einen Betrag in Höhe des Dreifachen der monatlichen Bezugsgröße und der vereinbarte Zeitraum, in dem das Wertguthaben auszugleichen ist, 27 Kalendermonate nach der ersten Gutschrift übersteigt. Modelle zur Insolvenzsicherung von Arbeitszeitguthaben enthält eine Broschüre des Ministeriums für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Düsseldorf. Info-Hotline: oder 3. Gleitzeit Durch Betriebsvereinbarung kann für den ganzen Betrieb, Betriebsteile, Abteilungen oder Arbeitsgruppen Gleitzeit vereinbart werden. Gleitzeit soll den Beschäftigten die Möglichkeit eröffnen, im Rahmen der Betriebsvereinbarung Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit sowie den Freizeitausgleich selbstbestimmend zu gestalten. Das Arbeitszeitkonto für die Gleitzeit darf nicht identisch mit dem Arbeitszeitkonto für Überstunden sein. Die Betriebsvereinbarung über Gleitzeit muss folgende Eckpunkte einhalten: Im Rahmen von Gleitzeit darf keine geleistete Arbeitszeit verfallen. Die betriebliche tägliche Normalarbeitszeit beträgt in der Regel sieben Stunden. Hiervon kann auf Basis von Arbeitszeitverteilungsplänen abgewichen werden; in

7 7 jedem Fall ist aber die jeweils tägliche Normalarbeitszeit festzulegen. Die täglichen Gleitzeitspannen und die tägliche Kernarbeitszeit sind festzulegen. Ebenso muss die Betriebsvereinbarung Pausenregelungen beinhalten. Die tägliche Arbeitszeit darf höchstens zehn Stunden betragen. Es ist ein Gleitzeitkonto einzurichten, auf dem ausschließlich Zeitguthaben und Zeitschulden, die aufgrund dieser Gleitzeitregelung entstehen, geführt werden. Zeitguthaben und Zeitschulden (Gleitzeitsaldo) dürfen zu keinem Zeitpunkt mehr als... Stunden betragen. Als Überstunde gilt jede über die tägliche Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit, die angeordnet oder nachträglich anerkannt wurde. Das betriebsverfassungsrechtliche Verfahren zur Genehmigung von Überstunden bleibt hiervon unberührt. Um die Zeitsouveränität der Beschäftigten zu gewährleisten ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine angemessene Aufgabenzuweisung und Terminplanung durchzuführen.