Die schwarz-gelben Finanzierungspläne für die Pflege: Bahn frei für die Privatisierung

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1 Elisabeth Scharfenberg Mitglied des Deutschen Bundestages Bundestagsfraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN Sprecherin für Pflegepolitik und Altenpolitik Die schwarz-gelben Finanzierungspläne für die Pflege: Bahn frei für die Privatisierung Kurzfassung CDU/CSU und FDP wollen laut Koalitionsvertrag den steigenden Pflegekosten dadurch begegnen, dass sie [ ] neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss, einführen. Die Maßgaben des Vertrages müssen zu denken geben: Kapitaldeckung + Individualisierung. Für uns heißt das: Abschied von der Solidarität und Bahn frei für die (zumindest teilweise) Privatisierung der Pflegeversicherung. Wir fürchten außerdem eine ungerechte Kopfpauschale. Wir bezweifeln, dass der schwarz-gelbe Weg (generationen)gerecht, nachhaltig und kostengünstig ist, geschweige denn für eine bessere Pflege sorgt. Hier in Kürze unsere Schlussfolgerungen und unsere grünen Reformvorschläge: (Generationen)Gerechter? Kapitaldeckung + Individualisierung heißt: Jeder für sich, statt jeder für jeden. Schon frühere Konzepte von Union und FDP weisen den Weg hin zur schleichenden Privatisierung der Pflegeabsicherung mit einer Einkommens-unabhängigen (Zusatz)Prämie. Dann zahlt die Friseurin das Gleiche wie Kanzlerin Merkel. Wer seine Prämie nicht zahlen kann, muss beim Finanzamt einen Steuerzuschuss beantragen. Das ist Bürokratie-Aufbau statt Abbau. Zugleich will Schwarz-Gelb Steuern senken. Das passt nicht zusammen. Nachhaltiger? Kapitaldeckung heißt, es werden individuelle Rücklagen gebildet und am Kapitalmarkt angelegt. Die Rücklagen müssen irgendwann zu Geld gemacht werden, um die steigenden Kosten zu finanzieren. Die Jungen, die Rücklagen aufbauen, werden aber immer weniger, die Älteren, die Rücklagen aufbrauchen, immer mehr und zwar weltweit. Ist das Angebot an Kapital höher als die Nachfrage, verliert es an Wert. Die Finanzkrise zeigt zudem, wie sicher eine Wette auf die Stabilität der Kapitalmärkte ist. Bessere Pflege? Leistungsverbesserungen kosten auch im kapitalgedeckten System Geld. Das zahlen aber nur die Versicherten und darum geht es Schwarz-Gelb eigentlich. Die Pflege wird zudem durch Kapitaldeckung nicht automatisch besser. Dazu brauchen wir eine umfassende Strukturreform. Dazu hört man von Schwarz-Gelb reichlich wenig. Besser für den Arbeitsmarkt? Einkommens-unabhängige Pauschalen schonen zwar die Lohnnebenkosten und die Arbeitgeber. Ob dies aber in der Summe zu mehr Arbeitsplätzen führt, ist sehr fraglich. Denn die umlagefinanzierten Beiträge fließen unmittelbar in den Pflegebereich zurück und sorgen für mehr Beschäftigung. Auch ist es Unsinn, dass die Kapitaldeckung die Pflegeversicherung unabhängig vom Arbeitsmarkt mache. Denn auch hier gilt: Je höher die Arbeitslosigkeit und je niedriger das Lohnniveau, desto weniger Menschen können ihre Prämie zahlen, desto geringer die Einnahmen der Versicherung bzw. desto höher die steuerlichen Aufwendungen für den Sozialausgleich. Platz der Republik Berlin (030) Fax (030) Elisabeth.scharfenberg@bundestag.de Wahlkreisbüro: Kreuzstraße Rehau Telefon (09283) Fax (09283) Elisabeth.scharfenberg@wk.bundestag.de

2 Der Grüne Weg? Eine sozial gerechte und kluge Mischung! 1. Die Pflege-Bürgerversicherung. Alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich nach ihrer jeweiligen Leistungskraft unter Einbeziehung aller Einkunftsarten an der Finanzierung der Pflege. Das ist sozial gerecht und schafft neue finanzielle Spielräume. Das beendet die einseitige Kopplung an die Erwerbsarbeit und leistet einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. 2. Das Progressivmodell. Mit Steuermitteln senken wir bei unteren Einkommen gezielt die Sozialversicherungs- und damit Lohnnebenkosten. Das entlastet Geringverdiener und Arbeitgeber. 3. Die solidarische Demografiereserve. Mit einem zusätzlichen, einkommensbezogenen Beitrag wird ein geschützter, kollektiver Kapitalstock gebildet. Mit der Reserve können die größten Belastungen abgefedert und übermäßige Beitragssteigerungen verhindert werden. Das ist Kapitaldeckung auf solidarische Art. Langfassung Mit der Alterung unserer Gesellschaft wird sich Zahl pflegebedürftiger Menschen von derzeit etwa 2,1 Millionen Pflegebedürftigen auf etwa 3,5 oder gar bis zu 4,5 Millionen im Jahre 2050 erhöhen. Es wird mehr Geld als heute kosten, diesen Menschen eine menschenwürdige Pflege zu gewährleisten. Deshalb wird seit Jahren in Politik und Fachwelt darüber gestritten, mit welchem Finanzierungssystem dem steigenden Pflegebedarf am besten zu begegnen ist. CDU/CSU und FDP meinen, in ihrem Koalitionsvertrag die Antwort gefunden zu haben. Sie kündigen an, dass [ ] neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss, erforderlich sei. Was genau sie damit meint, ist der Koalition offenbar selbst noch nicht ganz klar. In letzter Sekunde hat sie noch eine interministerielle Arbeitsgruppe für die Pflege im Koalitionsvertrag aufgenommen. Unzählige solcher AGen oder Kommissionen und Prüfaufträge finden sich in diesem Werk. Anhaltspunkte, in welche Richtung die Reise gehen wird, gibt der Text dennoch. Zu denken gibt vor allem die Mischung der geplanten Maßnahmen: Kapitaldeckung + Individualisierung. Für uns heißt das übersetzt: Abschied von der Solidarität und freie Bahn für die Privatisierung der Pflegeversicherung. Und wenn es ganz dicke kommt, dann sogar noch mit einer ungerechten Kopfpauschale. Äußerungen der FDP jedenfalls (z.b. Rheinische Post vom ) weisen sehr deutlich in Richtung einer Einkommens-unabhängigen Zusatzprämie. Damit gehen CDU/CSU und FDP ihren Weg einer klientelistisch, rein an Arbeitgeber- und Wirtschafts-Interessen orientierten Politik konsequent weiter. Union und FDP erklären nicht weiter, warum sie das für nötig halten. Meist bemühen Befürworter dieses Weges einen merkwürdigen Zirkelschluss: Das bestehende Umlageverfahren ist schlecht, deswegen ist unser Modell richtig. Tatsächlich sind aber auch kapitalgedeckte, individualisierte Systeme in der Praxis wie auch in der Wissenschaft bisher jeden klaren Beweis schuldig geblieben, dass sie wirklich (generationen)gerechter, nachhaltiger und auf Dauer kostengünstiger sind. Wir wollen uns deshalb etwas intensiver damit befassen, was CDU/CSU und FDP vorhaben und dabei auch mit ein paar Irrtümern aufräumen: Was plant Schwarz-Gelb? Was kann das schwarz-gelbe 2

3 Modell angeblich besser als die bestehende Pflegeversicherung? Und, wie sehen die grünen Lösungsvorschläge für eine nachhaltige und gerechte Finanzierung der Pflege aus? Noch eine Vorbemerkung: Die Diskussion über die bestmögliche Finanzierung ist zweifellos wichtig. Doch nicht zuletzt CDU/CSU und FDP vermitteln gerne den Eindruck, ein neues Finanzierungssystem reiche aus, um die Qualität der Pflege zu verbessern. Das ist Unsinn. Eine solide Finanzierung der Pflege sagt noch lange nichts darüber aus, ob die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wirklich eine hochwertige Pflege erhalten, sie auf Grundlage eines überarbeiteten Pflegebedürftigkeitsbegriffs gleichberechtigt behandelt werden, sie eine individuelle und unabhängige Beratung und Begleitung erhalten, der Verbraucherschutz in der Pflege ernst genommen wird, die Betroffenen in der von ihnen gewünschten Wohnform leben können, Pflegekräfte in ausreichender Anzahl nach modernen Standards ausgebildet werden oder genügend Transparenz über die Qualität und Kosten der Leistungen herrscht. Um diese Ziele zu erreichen, müssen entsprechende Voraussetzungen und Strukturen geschaffen werden. Neben einer Finanzierungsreform brauchen wir also vor allem dringend eine große Strukturreform, wie wir Grüne sie seit jeher fordern. Dazu sind die Aussagen von Union und FDP dürftig und rückwärts gewandt. So funktioniert die bestehende Pflegeversicherung Die Soziale Pflegeversicherung ist solidarisch nach dem Umlageverfahren organisiert. Nach dem Prinzip starke Schultern tragen mehr als schwache zahlen die Versicherten nach ihrer Leistungsstärke einen prozentualen Beitrag ihres Einkommens/ ihrer Rente in die Versicherung ein (derzeit 1,95% bzw. 2,2% für Kinderlose). Die Beiträge werden sofort für die laufenden Kosten umgelegt. Bei Arbeitnehmern zahlt der Arbeitgeber die Hälfte (Parität). Dies ist jedoch nur eine Scheinparität, wie die Arbeitgeber allzu gerne vergessen, denn zu ihren Gunsten wurde bei Einführung der Pflegeversicherung der Buß- und Bettag abgeschafft. Das Umlageverfahren, so argumentieren Kritiker meist, lebe von der Hand in den Mund. Es sei zu abhängig von den Erwerbseinkommen, verteuere die Arbeit und sorge nicht für die Zukunft vor. Darin steckt ein Körnchen Wahrheit. Tatsächlich wird die Pflegeversicherung mit dem derzeitigen Beitragssatz auf Dauer nicht hinkommen. Die einseitige Konzentration auf Erwerbseinkommen kritisieren wir ebenfalls. Und in der Tat wird bisher im Umlageverfahren zu wenig getan, um sich auf die steigenden Kosten in der Zukunft vorzubereiten. Das belastet die kommenden Generationen. Deshalb, so folgert Schwarz-Gelb, sei ein Wechsel zur individualisierten Kapitaldeckung unausweichlich. Sie suggerieren damit, ihr Modell habe keine Schwächen, sei besser, billiger, gerechter, nachhaltiger. Und sie vermitteln weiter, dass man das Umlageverfahren nicht weiterentwickeln könne, um seine Schwächen zu beseitigen. Beides ist nicht richtig. So sehen die schwarz-gelben Pläne aus: Gerechtigkeit Fehlanzeige Nach den Maßgaben des schwarz-gelben Koalitionsvertrages wird in der geplanten ergänzenden kapitalgedeckten Säule im Gegensatz zum Solidarprinzip nicht mehr jede/r für jede/n einstehen (Individualisierung). Die bestehende Pflegeversicherung wird zwar zunächst weiter existieren, der Beitragssatz jedoch wird eingefroren. Damit wird die bestehende Pflegeversicherung kontinuierlich an Bedeutung und an Wert verlieren. Alle zusätzlichen Versichertenbeiträge fließen nur noch in die ergänzende kapitalgedeckte Säule. Es werden für jede/n Versicherte/n eigene Konten und sog. Altersrückstellungen gebildet, die zinsbringend am Kapitalmarkt angelegt werden. Die entstehenden Guthaben werden später genutzt, um die Versicherungsbeiträge trotz steigender Leistungsaufwendungen stabil zu halten. Die Arbeitgeber beteiligen sich nicht mehr an den Kosten 3

4 und können sich somit ihrer Verantwortung weiter entziehen, die sie angesichts der erwähnten Scheinparität ohnehin nie wahrgenommen haben. Damit wird die Pflegeabsicherung nach und nach von einem Solidar- zu einem Privatversicherungssystem. Droht die (kleine) Kopfpauschale? Wir fürchten zudem, dass auch das Prinzip der einkommensbezogenen Beiträge ausgehebelt wird und es auf eine kleine Kopfpauschale hinausläuft und zwar komplett in einem privaten System! Zwar findet sich im schwarz-gelben Koalitionsvertrag kein eindeutiger Hinweis darauf, doch der Verdacht liegt nahe. In der Rheinischen Post vom etwa sprach sich Heinz Lanfermann, Pflegeexperte der FDP, dafür aus, die kapitalgedeckte Säule der Pflegeversicherung über eine kleine Prämie pro Versichertem aufzubauen." Auch Konzepte aus den letzten Jahren sowohl der CDU/CSU und FDP als auch von ihnen nahestehenden Experten und Verbänden, z.b. des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), sprechen eine deutliche Sprache. Sie gehen sämtlich von einer teilweisen oder gar vollständigen Privatisierung des Pflegerisikos und von pauschalen, Einkommensunabhängigen Versicherungsprämien (Kopfpauschale) aus. Manche empfehlen gar eine komplette Umstellung auf ein individualisiertes, kapitalgedecktes System. Die FDP hat dies in den letzten Jahren immer verfolgt. Uns ist nicht bekannt, dass sie von diesen Plänen abgerückt wäre. Eben weil dann das Gemeinschaftsprinzip nicht mehr gilt, muss jede/r Versicherte das gleiche zahlen. Es werden pauschale Prämien erhoben: Die Friseurin zahlt das gleiche wie die Altenpflegerin, wie der Politiker, wie Josef Ackermann. Man kann das gerecht finden. So hört man gelegentlich von Befürwortern, man unterscheide in der Kfz-Versicherung doch auch nicht nach dem Einkommen. Wir hingegen sehen gewisse Unterschiede zwischen der Absicherung für den Pflegefall, den sich die Betroffenen nicht aussuchen können, und der Versicherung eines freiwillig angeschafften Autos. Wir halten Kopfpauschalen für sozial ungerecht und inakzeptabel. Sie benachteiligen Einkommensschwache und entlassen die Starken aus ihrer solidarischen Verantwortung. Wenn selbst die Financial Times (Ausgabe v ) nun wirklich nicht als linkes Hausblatt bekannt vor den Ungerechtigkeiten einer Einkommensunabhängigen Pauschale warnt, so sollte dies Schwarz-Gelb zu denken geben. Wie soll der soziale Ausgleich aussehen? Im Koalitionsvertrag findet sich keine Aussage, was Union und FDP für die Versicherten tun wollen, die ihre Beiträge nicht bezahlen können. Kanzlerin Merkel selbst aber hat in Aussicht gestellt, dass nicht die, die ganz wenig haben, übermäßig belastet werden (ZDF, ). Frühere Konzepte der FDP empfehlen Steuerzuschüsse für Einkommensschwache. Diese müssten sie also künftig beim Finanzamt beantragen. Ein sozialer Ausgleich über Steuern wäre besser als nichts. Doch verwundert es, solche Vorschläge gerade von denen zu hören, die die Fahne des Bürokratieabbaus und eines schlanken Staates vor sich hertragen. Es klingt wenig unbürokratisch, wenn künftig massenhaft Anträge bei den Finanzämtern eingehen und dort bearbeitet werden müssen. Das Umlageverfahren hat diese Form des Sozialausgleichs nicht nötig, weil er über die einkommensbezogenen Beiträge bereits inbegriffen ist. Außerdem ist Schwarz-Gelb angetreten, um Steuern zu senken. Dennoch sollen zusätzliche Steuermittel in den sozialen Ausgleich fließen? Das passt hinten und vorne nicht zusammen. Der seit Wochen schwelende Streit in der Koalition um die Steuer- und Haushaltspolitik zeigt, dass das der Bundesregierung auch selbst sonnenklar ist. Noch etwas zur Bürokratie: Laut Koalitionsvertrag soll die Kapitaldeckung ergänzend neben dem bestehenden Umlageverfahren aufgebaut werden. Zumindest die FDP hat in der Vergangenheit nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die solidarische Pflegeversicherung Schritt für Schritt abschaffen will. Es wird also zumindest zeitweise zwei Systeme nebeneinander geben, zwischen denen es Schnittstellenprobleme geben wird. Auch das klingt nicht gerade nach weniger Bürokratie. Zudem sei darauf hingewiesen, dass die Verwaltungskosten in der Privaten Krankenversicherung etwa doppelt so hoch sind wie in der Gesetzlichen Krankenversicherung. 4

5 Die schwarz-gelben Pläne: Nachhaltig? Generationengerecht? Arbeitsmarktfreundlich? Die Kapitaldeckung bietet durchaus Vorzüge: Man wartet nicht erst auf die in der Zukunft zu erwartenden Belastungen, sondern tut mit den Altersrückstellungen bereits in der Gegenwart etwas gegen sie. In der Tat sieht das derzeitige Umlageverfahren dies nicht vor. Deshalb lehnen wir Grüne Kapitaldeckung auch nicht grundsätzlich ab. Wir sind nur der Ansicht, dass es auch solidarische Lösungsmöglichkeiten gibt (s.u. Der Grüne Weg ). Dennoch sind auch kapitalgedeckte Systeme, wie gerne behauptet wird, vor dem demografischen Wandel nicht gefeit. Wenn die Pflegeleistungen fällig werden, dann müssen die dafür angesparten Rücklagen entspart" und zu Geld gemacht werden. Zugleich wird es immer weniger Junge geben, die Rücklagen aufbauen. Es wird zu einem Missverhältnis von Kapital-Angebot und Nachfrage kommen. Ist das Angebot auf dem Kapitalmarkt höher als die Nachfrage, sinkt aber der Wert der Rücklagen. Dieses Problem lässt sich auch nicht durch Anlagen im Ausland umgehen, denn die gesellschaftliche Alterung ist ein weltweites Phänomen. Außerdem zeigt die weltweite Finanzkrise, wie sicher eine Wette auf die Stabilität der Kapitalmärkte ist. Ex-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, immerhin zuständiger Minister bei Einführung der Pflegeversicherung und CDU-Mitglied, hat daher festgestellt: Wenn man die soziale Sicherung nach dem Kapitaldesaster der letzten Monate auf Kapitaldeckung umstellen will, dann muss man in den letzten zwei Jahren schon auf einem Eisberg gelebt haben. (Mitteldeutsche Zeitung v ). Kapitaldeckung sei maximal als Ergänzung denkbar, könne nicht die Grundlage der sozialen Sicherheit bieten und schaffe keinen sozialen Ausgleich, so Blüm weiter. Sind die schwarz-gelben Pläne generationengerechter? Befürworter kapitalgedeckter Systeme behaupten gerne, diese seien generationengerechter, da jede Generation nur für die von ihr verursachten Pflegekosten aufkomme. Dies ist eine seltsame Auffassung von Generationengerechtigkeit, denn sie blendet die Solidarbeziehungen über Generationengrenzen hinweg einfach aus. Vor allem aber werden dabei die Leistungen ignoriert, die jede Generation für ihre Kinder leistet (Ausbildungskosten, Investitionen in Infrastruktur etc.). Wir sind der Ansicht, Solidarität besteht nicht nur zwischen Jungen und Jungen sowie zwischen Alten und Alten, sondern zwischen allen sozialen und Altersschichten. In punkto Generationengerechtigkeit darf auch eines nicht vergessen werden: Soll die Pflegeversicherung komplett in ein kapitalgedecktes, individualisiertes System überführt werden und dieses Ziel unterstellen wir dann entstehen in der Übergangsphase enorme Doppelbelastungen für die Versicherten der jüngeren und mittleren Generation. Denn sie müssen einerseits die Rücklagen für das eigene Alter anlegen und müssen andererseits die Pflege der älteren Generation weiterfinanzieren. Denn die Älteren können keine Rücklagen mehr bilden, müssen aber weiterhin Anspruch auf pflegerische Versorgung haben. Machen die schwarz-gelben Pläne die Pflege wirklich unabhängig vom Arbeitsmarkt? Es schont die Lohnnebenkosten, wenn die Arbeitgeber sich künftig nicht mehr paritätisch an den Kosten der Pflegeversicherung beteiligen müssen. Kostensteigerungen werden die Arbeitnehmer künftig also allein zu zahlen haben. Die Arbeitgeber hingegen dürfen sich aus ihrer solidarischen Verantwortung verabschieden. Dass dies in der Gesamtsumme zu mehr Beschäftigung führt, darf man bezweifeln. Denn die Beiträge zur Pflegeversicherung fließen unmittelbar in den Pflegebereich zurück und sorgen dort für zusätzliche Arbeitsplätze. In den letzten 15 Jahren hat dies zu einem enormen Zugewinn an Arbeitsplätzen in diesem Bereich geführt. Außerdem hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt entgegen aller Behauptungen sehr wohl Einfluss auf die Kapitaldeckung: Je höher die Arbeitslosigkeit und je niedriger das Lohnniveau, desto weniger Menschen können ihre Kopfpauschalen bezahlen, desto geringer sind die Einnahmen der Versicherung, desto höher werden die Prämien bzw. desto höher werden die öffentlichen Ausgaben für den steuerlichen Sozialausgleich, wenn es diesen denn überhaupt geben soll. Höhere Steuern werden die Arbeitgeber im Übrigen auch nicht erfreuen. 5

6 Bessere Pflege durch die schwarz-gelben Pläne? Unsinn. Kritiker des Umlageverfahrens regen sich gerne über dessen angeblich so hohe Kosten auf. Über die Kosten eines kapitalgedeckten Systems reden sie weniger gern. Lieber tun sie einfach so, als sei dies irgendwie billiger und außerdem könne man lustig Leistungen verbessern. So steht im Koalitionsvertrag: Die Veränderung in der Finanzierung eröffnet Chancen, die Leistungen der Pflegeversicherung langfristig zu dynamisieren und die Pflegebedürftigkeit [ ] neu zu definieren. Das ist blanker Unsinn! Selbstverständlich bietet auch das Umlageverfahren eben diese Chancen. Wenn Leistungen verbessert werden sollen, bspw. über die regelmäßige Anpassung der Leistungen an die Preisentwicklung ( Dynamisierung ), dann kostet das hüben wie drüben mehr Geld. Es sind also entweder höhere Beiträge im Umlageverfahren oder höhere Beiträge im kapitalgedeckten System notwendig. Auch dies hat die Kanzlerin selbst eingeräumt: Aber wenn wir zum Beispiel eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung machen wollen (...), dann kann ich nicht ausschließen, dass das auch mehr Kosten verursacht. (ZDF, ). Wer dem Umlageverfahren steigende Kosten zum Vorwurf macht, soll bitte erklären, warum steigende Kopfpauschalen weniger schlimm sein sollen. Tatsächlich ist es Schwarz-Gelb herzlich egal, ob die Kosten steigen. Ihnen geht es nur darum, ihre Klientel vor steigenden Kosten zu bewahren und sie allein den Versicherten aufzubürden. Wer profitiert? Die schwarz-gelben Pläne machen die Pflege noch nicht besser oder menschenwürdiger. Sie machen die Pflege auch nicht wie von Zauberhand billiger. Leistungsverbesserungen und die Absicherung gegen die Kosten des demografischen Wandels werden auch hier Geld kosten, das die Versicherten zahlen müssen. Dafür sind die zu befürchtenden Kopfpauschalen ungerecht und benachteiligen die Schwachen unserer Gesellschaft. Die einzigen, die was von den schwarz-gelben Kapitaldeckungs- Plänen haben, sind die Arbeitgeber, die sich nicht mehr an den Versicherungskosten beteiligen müssen, die private Versicherungsindustrie, die sich schon auf ein sattes Zusatzgeschäft freuen, und die Einkommensstarken, die sich der Solidarität mit den Schwachen entziehen. Man wird doch den Verdacht nicht los, dass eben dies die eigentlichen und einzigen Motive der schwarz-gelben Pläne ist. Der Grüne Weg: Die Bürgerversicherung und solidarische Demografiereserve Die Kritiker des Umlageverfahrens haben Recht, dass dieses System Schwächen aufweist. Wir Grüne haben das nie in Zweifel gezogen. Im Gegenteil: Seit Jahren setzen wir uns für eine grundlegende Reform ein. Wir waren die ersten, die für die Pflege- wie auch Krankenversicherung den Umbau zu einer solidarischen Bürgerversicherung gefordert haben. Schon in der letzten Wahlperiode haben wir für den Aufbau einer solidarischen Demografiereserve in der Pflegeversicherung plädiert, um den steigenden Kosten in der Zukunft schon heute zu begegnen. Wir haben des Weiteren das Grüne Progressivmodell entwickelt. Damit wollen wir durch den Einsatz von Steuermitteln bei unteren Einkommen die Sozialversicherungskosten und damit die Lohnnebenkosten gezielt senken, ohne die Versicherten dabei stärker zu belasten. Die Grüne Pflege-Bürgerversicherung Das Solidarsystem mit seinen einkommensbezogenen Beiträgen genießt hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Nebeneinander von Sozialer und Privater Kranken- und Pflegeversicherung hingegen ist weltweit ein Kuriosum, für das es keine fachliche Begründung gibt. Erst recht nicht in der Pflegeversicherung, in der gesetzliches und privates System sogar die gleichen Leistungen gewähren. Die einzige Folge ist, dass sich die Stärksten unserer Gesellschaft damit der Solidarität entziehen und sich einen schlanken Fuß auf Kosten der Schwachen machen. Deshalb sagen wir: Eine für alle mit der solidarischen Pflege-Bürgerversicherung. Schluss mit der Trennung zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen 6

7 gemäß ihrer Leistungsfähigkeit in die Versicherung einzahlen. Nicht nur Erwerbseinkommen, sondern alle Einkunftsarten sollen zur Beitragsbemessung herangezogen werden. Das ist ein Beitrag für mehr Nachhaltigkeit. Denn die finanzielle Bedeutung der Erwerbseinkommen nimmt kontinuierlich ab, die anderer Einkünfte wie Kapitalvermögen hingegen zu. Notwendige Leistungsverbesserungen, wie die regelmäßige Dynamisierung der Pflegeleistungen oder ein notwendiger Ausbau unabhängiger Beratungs- und Begleitungsstrukturen, werden Geld kosten. Dafür schafft die Pflege-Bürgerversicherung neue finanzielle Spielräume. Sollten aber die Mittel zur Finanzierung notwendiger qualitativer Reformen damit nicht ausreichen, ist für uns die Erhöhung des Beitragssatzes in der Pflege-Bürgerversicherung kein Tabu. Das ist für von geringerem Übel als dauerhaft steigende und sozial ungerechte Kopfpauschalen in einem unsolidarischen, privaten Versicherungssystem. Die solidarische Demografiereserve Es stimmt: Wenn wir heute nichts unternehmen, dann zahlen die kommenden Generationen allein die Zeche für den demografischen Wandel. Das wäre verantwortungslos gegenüber den heute Jungen bzw. noch Ungeborenen. Deshalb müssen wir bereits heute Geld in die Hand nehmen, um in der Zukunft die Kosten im Griff behalten zu können. Das ist aber kein hinreichender Grund, um die unsolidarischen Pläne der neuen Bundesregierung zu verfolgen. Es sind gerechte Lösungen innerhalb des Solidarsystems möglich. Wir schlagen mit der solidarischen Demografie-Reserve ein sozial gerechtes Modell der Kapitaldeckung vor. Danach wird im bestehenden System ein zusätzlicher, einkommensbezogener Beitrag erhoben. Dieser fließt jedoch nicht in Pflegeleistungen, sondern zweckgebunden in ein geschütztes und vor politischem Zugriff gesichertes Sondervermögen, auf eine Art kollektives Sparbuch. Dazu leisten alle nach ihrer Leistungskraft ihren solidarischen Beitrag. Zu prüfen ist dabei, inwieweit auch die erheblichen Altersrückstellungen der Privaten Pflegeversicherung in den Aufbau dieser Reserve einfließen können. Erst in den Spitzen der demografischen Entwicklung dürfen die Mittel der Reserve dann genutzt werden, um die größten Belastungen abzufedern und übermäßige Beitragssteigerungen zu verhindern. 7