Geschichtliches über Scuol. Geschichte des Bädertourismus

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1 Geschichtliches über Scuol Geschichte des Bädertourismus

2 1. Geschichtsübersicht Scuol a) Zum Ortsnamen Scuol Schon in ganz frühen Urkunden findet man den Namen Scuol in verschiedenen Schreibweisen, so z.b. Schulle, Scuoll, Schulis und Sculle. Dr. Andrea Schorta, der Verfasser des Rhätischen Namenbuches, ist der Auffassung, dass der Name Scuol vom lateinischen scopulu stammt. Dieser lateinische Ausdruck leitet sich seinerseits aus dem Griechischen ab und bedeutet in der deutschen Übersetzung Fels oder, wenn am Meer gelegen, Klippe und auch Bergwerk. Die Lage von Scuol Sot (Praem) und besonders der Kirche bestätigt diese Annahme, befindet sich diese doch auf einem klippenähnlichen Felsvorsprung. So kann man also sagen, dass der Kirchenhügel dem ganzen Dorf den Namen gegeben hat. b) Zur Geschichte von Scuol 1078 wurde Scuol "Schulle" erstmals urkundlich erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem Bau eines Benediktinerklosters und einer Kirche, welche Unserer lieben Frau geweiht war. Auf Gemeindegebiet bezeugen aber Funde aus der Bronzezeit (ca bis 800 v. Chr.) und der Eisenzeit, dass die Gegend um Scuol schon früher besiedelt war. Die Bevölkerung lebte damals hauptsächlich von der Landwirtschaft, wie sie es bis anfangs des 20. Jahrhunderts noch tat. Zwischen 500 v. Chr. und Christi Geburt lebten im Unterengadin die Räter. Sie waren die ersten urkundlich erwähnten Einwohner des Tals. Im Jahre 15 v. Chr. besetzten die Römer das ganze rätische Gebiet. Somit machten Sie Rätien zu einer römischen Provinz, die sich in zwei Verwaltungsgebiete einteilen liess: Einerseits die "Rätia prima" mit Chur als Verwaltungssitz und andererseits die "Rätia secunda", welche in Augsburg verwaltet wurde. Im Jahre 539 wurde Rätien durch die Franken erobert und unter den Viktoriden in einen Bischofsstaat umgewandelt. Das Tirol fällt an Bayern, das übrige Rätien wird Churwalden genannt. Dort wird fast überall "wälsch" (Romanisch) gesprochen. Karl der Grosse ( ) teilte sein Reich in Gaue ein. Von da an trennt sich die Geschichte des Unterengadins von derjenigen des Oberengadins. Das Unterengadin wird zur Grafschaft Vinschgau geschlagen. Fast alle einheimischen Bauern waren zu jener Zeit Leibeigene irgendeines Landsherren. Oftmals dienten sie an einem Ort auch verschiedenen Herren. Aus diesem Grunde gab es damals keine polititschen Gemeinden. Die Einwohner von Scuol gehörten vier verschiedenen Herrschaften an, Freie gab es nur wenige. Nebst den Untertanen des Bischofs von Chur gab es auch solche, die dem Kloster Marienberg im Vinschgau zugehörten, andere dem Kloster Müstair im Münstertal. Weitere, und das war wahrscheinlich die Mehrzahl, unterstanden dem Grossherzogen von Tirol. Nebst anderen Gütern besass jede dieser Herrschaften in Scuol einen grossen, meistens einen befestigten Hof mit einem dazugehörenden Turm. Reste davon sind noch heute nachweisbar. Die Einteilung in vier Quartale (Vi, Clozza, Praem, Bagnera), jedes mit einer Verwaltung und eigenen Alpen, bestand Jahrhunderte lang, auch noch nach der Bildung eines eigentlich autonomen Dorfes. Kriegswirren und fremde Truppen haben mehrmals das Unterengadin heimgesucht und sind plündernd und brandschatzend durch das Tal gezogen und haben unsägliches Leid und Armut verursacht. So im Jahr 1079, als der Herzog Welf von Bayern alle Dörfer des Unterengadins zerstörte, dann 1323 durch Donat von Vatz 2

3 und später während des Schwabenkrieges Als im Jahr 1621 die Truppen Baldiruns aus dem Val S- charl kommend ins Unterengadin einbrachen, haben die Scuoler Frauen durch ihren mutigen Einsatz verhindert, dass die österreichischen Truppen den Inn überqueren konnten. Seither haben sie das Privileg in der Kirche auf der rechten Seite, welches üblicherweise die Männerseite ist, zu sitzen. Die letzte grosse Feuersbrunst fand vor mehr als hundert Jahren statt. Damals brannte das Quartal Clozza fast vollständig nieder. Die durch die Jahrhunderte fast immer gleichbleibenden bäuerlichen Lebensverhältnisse und Lebensgewohnheiten änderten sich plötzlich mit der am 8. November 1848 in Kraft getretenen Bundesverfassung. Wie ein Sturmwind erfasste ein Unternehmungsgeist das ganze Land. Es trat eine Zeit hoher Konjunktur ein und sogar die verschlafenen Bergdörfer Scuol und Tarasp, welches früher eine Fraktion von Scuol gewesen war, erwachten aus ihrem Dornröschenschlaf wurde eine fahrbare Strasse durch das ganze Engadin gebaut, damit war die völlige Isolation der Unterengadiner Dörfer gebannt. Die Mineralquellen von Scuol und Tarasp waren zwar schon im Mittelalter bekannt. Mit dem Bau der Talstrasse und der Fahrstrasse über den Flüelapass (1866) erlebte der Bädertourismus aber seine erste Hochblüte. Das Mineralwasser legte in der Folge den Grundstein für eine blühende Fremdenindustrie. Die Eröffnung der Fahrstrassen ermöglichte auch den Bau zahlreicher grosser Kurhotels und der Badehäuser in Scuol und Nairs. Durch die mit den zwei Weltkriegen einhergegangenen Wirtschaftskrisen und die Fortschritte der modernen Medizin verloren in der Folge die Bäderkuren an Bedeutung. Im Zuge der Hochkonjunktur nach dem zweiten Weltkrieg wurde 1950/51 die erste Wintersaison gestartet. Der Erfolg blieb nicht aus, und so wurde bereits 1956 die erste Bergbahn eröffnet und so der Grundstein für den heutigen Tourismus gelegt. Am 1. März 1993 öffnete das Bogn Engiadina Scuol seine Tore. Damit fand der Bädertourismus eine Neubelebung in zeitgemässer Form. Jung und alt können sich nunmehr im Heilund Erlebnisbad Scuol wieder dem Bade- und Wellnessvergnügen hingeben. Scuol hatte sich also in der Zeit der Industrialisierung von einem Bauerndorf zu einem der grössten Touristenorte der Schweiz entwickelt. Waren vor 60 Jahren rund 21% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, so sind es heute noch knapp 2%. Alle Bauernbetriebe wurden an den Dorfrand oder noch weiter weg gedrängt. Viele fruchtbare Wiesen und Äcker sind heute überbaut. Zwischen den Bächen Clozza und Chalzina waren früher Kornäcker und teilten das Dorf in Scuol sot und Scuol sura (Vi). Heute sind diese beiden Dorfteile zusammengewachsen. Sie bergen immer noch viele Sehenswürdigkeiten wie die altehrwürdigen Engadinerhäuser und die schönen Dorfplätze Bügl Grond und Plaz oder die Kirche und das Museum d'engiadina Bassa. Es wäre vermessen anzunehmen, dass die Bevölkerung allein von der Landwirtschaft leben konnte. Viele Engadiner, darunter zahlreiche Scuoler, waren gezwungen auszuwandern. So fanden sie in allen Ländern Europas und auch in Übersee Arbeit und Verdienst. Etliche kehrten als reiche Leute nach Hause zurück, aber ebensoviele darbten in der Fremde und starben arm und einsam. S-charl, das idyllische Dörfchen südlich von Scuol, und Pradella sind Fraktionen von Scuol. Dabei hat S- charl schon sehr früh eine bedeutende Rolle gespielt. Es wird erstmals 1095 erwähnt und später dann immer 3

4 wieder in Zusammenhang mit den Bergwerken. Diese wurden über Jahrhunderte ausgebeutet. Im Val S- charl befinden sich auch alle Scuoler Alpweiden und der Nationalpark. 2. Scuoler Chronik 1078 Erste Erwähnung von Scuol "Schulle" 1095 Bau des Benediktinerklosters durch Eberhard von Tarasp 1095 S-charl "Scharles" wird erstmals erwähnt 1098 Einweihung des Benediktinerklosters 1125 Das Kloster wird durch Blitzschlag eingeäschert 1131 Wiederaufbau des Klosters durch Ulrich VI von Tarasp 1146 Die Mönche werden nach Marienberg im Vintschgau verlegt. Das Kloster wird aufgehoben. Die Verwaltung der zahlreichen Güter des Klosters bleibt in Scuol Zweite Erwähnung von S-charl 1178 Die Kirche St. Georg erscheint als Taufkirche 1258 Brand der Georgskirche 1297 Die Alpen im Val S-charl werden in einem Urbar der Klöster Marienberg und Müstair erwähnt 1317 Erste dokumentierte Verleihung der Bergwerke von S-charl 1367 Gründung des Gotteshausbundes 1499 Schwabenkrieg, das Unterengadin wird eingeäschert Bau der reformierten Kirche durch Bernhard von Puschlav 1531 Reformation in Scuol Der romanische Kirchturm wird auf den alten Grundmauern von 1178 aufgebaut und erhöht 1573 Durich Chiampell erwähnt in seiner Chronik die Mineralquellen von Scuol 1621 Baldirun zieht für das Haus Österrreich brandschatzend und plündernd durch das Unterengadin 1622/1623 Unermessliche Not durch Hunger und Krankheit als Folge des Krieges Erneute Überfälle und Brandschatzungen durch Baldirun 1629 Die Pest wütet im Engadin 1659 In Scuol werden eine Druckerei und eine Papiermühle betrieben 1679 Erste romanische Bibelübersetzung "La Bibla da Scuol", gedruckt in Scuol Erste Zeitung in Graubünden, "La gazetta ordinaria da Scuol" 1743 Zweite Ausgabe der romanischen Bibel 1798/1799 Einmarsch französischer und österreichischer Truppen 1816/1817 Grosse Hungersnot 1843 Bau eines Schulhauses, heute Gemeindehaus. Neubau der gedeckten Innbrücke 1850 Erste Analysen der Mineralquellen 1860 Eröffnung der Talstrasse durch das Unterengadin 1864 Eröffnung Kurhaus Tarasp Nairs Bau verschiedener Hotels in Scuol und Vulpera 1877 Grossbrand des Dorfteils Clozza, 23 Häuser werden zerstört 1878/1879 Bau der alten Bäder in Scuol Fassung der Quellen in Val Lischana und Bau der Wasserversorgung mit Brunnen und Hydranten 4

5 1896 Bau der katholischen Kirche 1903 Das Elektrizitätswerk in Clemgia nimmt den Betrieb auf 1905 Einweihung der Gurlaina-Brücke, Bau der Kanalisation 1908 Bau des Bezirksspitals Unterengadin in Scuol 1911 Erste Verträge für ein Naturreservat in Val Minger-Val Foraz, dem späteren Nationalpark 1913 Einweihung des neuen Schulhauses, Eröffnung der Bahnstrecke Bever-Scuol 1927 Zulassung des Autos in Graubünden 1930 Neues vierstimmiges Geläute für die refomierte Kirche 1946/1947 Güterzusammenlegung 1950/1951 Erste Wintersaison mit Skischule, Eisplatz, Trinkkuren 1956 Eröffnung der Seilbahn Scuol Motta Naluns, Eröffnung des Museum d'engiadina Bassa, Einweihung des Altersheims Chasa Puntota Bau der verschiedenen Liftanlagen im Skigebiet Bau der Engadiner Kraftwerke 1964 Erweiterung der Wasserversorgung, Fassung der Quelle in Jonvrai 1965 Eröffnung der Umfahrungsstrasse 1970 Fertigstellung der Sportanlage Trü 1971 Bau der zweiten Seilbahn Scuol Motta Naluns Fertigstellung Turnhalle, Hallenbad und Schulhaus Quadras 1980 Inbetriebnahme der ARA (Abwasserreinigungsanlage) 1985 Eröffnung Tennisanlage Gurlaina 1989 Baubeginn des Bogn Engiadina 1993 Eröffnung des Bogn Engiadina Scuol (BES) 1994 Inbetriebnahme der Stufe Scuol-Martina des EKW's 1995 Fusion des Bogn Engiadina mit der Sportanlage Trü und dem Hallenbad Quadras 1996 Eröffnung der Eishalle Gurlaina 1999 Eröffnung Vereina Eisenbahntunnel zwischen Lavin-Sagliains und Klosters-Selfranga 2002 Umwandlung des Bogn Engiadina Scuol in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen Bogn Engiadina Scuol (BES) SA 3. Geschichte und Bedeutung des Unterengadiner Bädertourismus' Den Grundstein der Unterengadiner Bäderkultur bilden seit altersher die Mineralquellen in der Umgebung von Scuol wurden die Mineralquellen von Scuol und Tarasp erstmals erwähnt. Ihre erstaunliche Heilwirkung war aber schon früher bekannt. Under dem imbissessen sagt mein vatter zuo meiner frauwen: "Madlen, ich wollte, dass du mit mir zugest und ein badenfahrt hieltest... " Der dies erzählt, heisst Felix Platter. Er hat im Jahre 1563 eben den Doktorhut der Medizin errungen. Sein Vater sieht die vorgeschlagene Reise wohl als kleine Aufmunterung nach den überstandenen Examensstrapazen, unter denen das junge Ehepaar zu leiden hatte. Dass er ausgerechnet eine Badekur spendieren will, ist in dieser Epoche beileibe nichts Aussergewöhnliches. Die jährliche Badenfahrt gehörte in der Eidgenossenschaft seit dem 15. Jahrhundert zum Freizeitrepertoire des bürgerlichen Standes. Wer immer sich die oft aufwändige An- und Rückreise sowie die Kosten für drei Wochen 5

6 Beherbergung leisten konnte, zog im Frühjahr oder im Herbst in eines der unzähligen "Bedli" des Alpengebietes - und dies oft mitsamt dem Hausgesinde, ja sogar einem Teil des eigenen Hausrats. Gesundheitliche Motive spielten längst nicht für alle Gäste eine Rolle. Das gemeinschaftliche Baden in grossen, gemauerten Bassins oder in Badehallen mit ganzen Reihen von Zubern oder Wannen war ebenso sehr eine gesellschaftliche Angelegenheit. Vergnügungssüchtige Bürgersfrauen zeigten sich beim abendlichen Tanz in den aufwändigen Garderoben, die sie im Heimatstädtchen wegen der strengen ratsherrlichen Vorschriften nicht zu tragen wagten. Mütter hielten nach einer guten Partie für ihre Töchter Ausschau, Junggesellen oder alleinreisende Ehemänner hofften auf amouröse Abenteuer, die sich in der lebensfrohen Atmosphäre des Kurbades viel leichter anzetteln liessen als anderswo. In den Bädern hielt man sich täglich bis zu zehn Stunden im Heisswasserbassin auf und vertrieb sich die Zeit mit allerhand Lustbarkeiten. Holzschnitte und Gemälde der Renaissance zeigen schwimmende Tablette, beladen mit funkelnden Zinnkrügen und mächtigen Schinken; manche Badegäste spielen Karten, andere singen oder lauschen den munteren Weisen, die ein paar Musikanten am Bassinrand zum Besten geben. Im Jahr 1573 beschrieb dann der Bündner Chronist Durich Chiampell auch ein Haus in Scuol, in welchem Wannen für Mineralwasserbäder aufgestellt waren. Effizient genutzt wurden die Quellen aber erst nach dem Bau der Fahrstrassen durch das Unterengadin und über den Flüelapass, durch welche das Unterengadin erst so richtig Anschluss an die Aussenwelt fand. In der Folge wurden Aktiengesellschaften gegründet, welche sich die Ausnutzung der Heilquellen zum Ziele setzten. Die Mineralquellen spielten fortan eine bedeutende wirtschaftliche Rolle. Allein auf dem Gebiet von Scuol wurden vierzehn Quellen erwähnt. Etliche davon sind in der Zwischenzeit versiegt. An fünf Dorfbrunnen kann man jedoch noch heute das Scuoler Mineralwasser gratis direkt ab der Röhre trinken. Nicht von ungefähr hiess es früher: "Im Dorfe Scuol sauft jede Kuh Sauerwasser spat und fruh." In der Zeit von wurden auch die meisten Hotels in Scuol und Umgebung gebaut. Kuranlagen, Trinkhallen und Trinkpavillons, Badehäuser und neue Mineralwasserfassungen schossen dazumals wie Pilze aus dem Boden. Teilweise noch bestehende Bauten, wie z.b. die rund 150-jährige Trinkhalle Tarasp oder das Hotel Scuol Palace vermittlen noch heute einen Eindruck der damaligen Bäderkultur. In diese Zeit fielen auch die Eröffnung der Rhätischen Bahn (1913) und die Zulassung des Automobils im Kanton Graubünden (1927). Die mehrtägige Anreise per Pferdekutsche über den Flüelapass wurde damit auf Stunden verkürzt. Neben anderen Badehäusern wurde im Jahre 1878 das Badehaus Scuol mit zwanzig Badekabinen errichtet. Dabei handelte es sich um Kabinen, in welchen jeweils eine Holzbadewanne stand. Für die Bäder wurden die Mineralwasserquellen Sotsass und Vi direkt mit dem Badehaus verbunden. Durch die Schüttung von 65 Litern pro Minute und den zwei Reservoirs von je 100'000 Litern war die Wasserreserve für rund 200 Bäder pro Tag gesichert. Im Jahr 1902 erhöhte man die Anzahl der Badekabine auf vierzig und 1948 kam ein Anbau mit weiteren zwanzig Kabinen dazu. Mit der Einführung der Wintersaison in den Fünfziger-Jahren wurde 1956 auch das Badehaus für den Winterbetrieb eingerichtet. Ab diesem Zeitpunkt wurden folgende Anwendungen angeboten: Fango, Bäder, Massagen, Trinkkuren. 6

7 Berühmte Ärzte machten den Kurort durch ihre wissenschaftlichen Publikationen auch im Ausland bekannt. Die Erwähnung der Mineralquellen von Scuol-Tarasp-Vulpera fehlte in keinem Lehrbuch der Medizin. Die erste Analyse der Mineralquellen fand um 1850 statt und daraufhin folgten zahlreiche weitere. Dadurch wurde herausgefunden, dass der gute Kurerfolg, welcher viele Gäste begeisterte und sie veranlasste, jedes Jahr die Kur zu wiederholen, verschiedenen Komponenten zuzuschreiben war. Einerseits besass die Region ein subalpines Klima und eine reizvolle Landschaft, welche viele Patienten schätzten. Andererseits konnte erhärtet werden, dass die Kohlensäurebäder das Herz kräftigen und für eine bessere Zirkulation sorgen. Den Glaubersalz-Wässern für die Trinkkuren konnte eine gallentreibende Wirkung, eine Verbesserung der Leberfunktionen und eine abführende Wirkung nachgewiesen werden. Diese vielseitigen Wirkungen und die zahlreichen Vorteile dieser Alpenregion veranlassten Ärzte aus ganz Europa Scuol als Kurort zu empfehlen. Scuol-Tarasp-Vulpera wurde bald zum grössten und bekanntesten Badekurort der Schweiz. Man nannte Scuol deshalb vor rund hundert Jahren "Die Badekönigin der Alpen". Für viele Einheimische hatte diese Entwicklung einen Berufswechsel zur Folge. Nur wenige blieben im Bereich der Landwirtschaft tätig. Eine Vielzahl suchte sich eine Beschäftigung im Zusammenhang mit dem neu aufblühenden Fremdenverkehr. Die sehr Reichen konnten sich eigene Hotels und Kuranlagen leisten und wurden Direktoren ihrer eigenen Unternehmen. Doch sie waren die Ausnahmen. Etliche Unternehmer kamen auch von auswärts. Die Einheimischen wurden dann als Hotelangestellte eingesetzt. Weil vielen Familien das Geld fehlte, mussten oft auch schon junge Mädchen und Knaben arbeiten gehen. Diese Hotelangestellten lebten mehrheitlich unter miserablen Umständen. In der Hochsaison, wenn alle irgendwie vermietbaren Räume an Fremde vergeben waren, fehlten für das Personal schlichtweg die Übernachtungsmöglichkeiten. Sie wurden in feuchten und kalten Kellerräumen oder in Gängen untergebracht. Während des Winters blieben diese Räume ungeheizt. Dementsprechend schlecht war auch die Kost, die den Angestellten abgegeben wurde. Viele hungerten und wurden krank. Doch das kümmerte die Hoteliers wenig, wenn nur die Arbeit erledigt wurde und das Geschäft florierte. Und das tat es in der Tat, denn Scuol-Tarasp- Vulpera und sein heilendes Mineralwasser war beinahe überall in Europa bekannt. Viele Touristen reisten von weither an und kamen auch alljährlich wieder. Für die Gemeinde Scuol bedeutete das Fassen der Quellen aber auch, dass bald darauf eine Wasserversorgung mit Brunnen und Hydranten errichtet werden konnte. Im Jahr 1903 nahm das Elekrizitätswerk Clemgia seinen Betrieb auf, was wiederum einen grossen Fortschritt für das Dorf bedeutete. Bis 1913 die Bahnstrecke Bever Scuol eröffnet wurde, konnte Scuol und seine Umgebung nur über die Talstrasse von Österreich her erreicht werden. Das Auto wurde in Graubünden erst im Jahr 1927 zugelassen. Dieser ersten Blütezeit des Bädertourismus' folgten die beiden Weltkriege. Deren Folgen und die daraus resultierenden Wirtschaftskrisen bedeuteten für den Kurort Scuol einen enormen Einbruch. Ausserdem hatten die Fortschritte der Medizin zur Konsequenz, dass man sich lieber eines der modernen Medikamente verschreiben liess, als für eine kosten- und zeitintensive Kur nach Scuol zu reisen. Drei weitere, geplante Grosshotels wurden nicht mehr gebaut. Es trat eine Stagnation in der Entwicklung des ehemals berühmten Kurorts ein. In den Fünfziger-Jahren begann jedoch ein erneuter Aufschwung. Es wurden zahlreiche neue Häuser und Hotels gebaut. Auch Ferienwohnungen wurden erstellt. In dieser Zeit entstand dann die Idee, den Touristen 7

8 auch im Winter ein weiteres verlockendes Angebot zu präsentieren, nämlich den Wintersport. So wurde 1950/51 zur ersten Wintersaison gestartet. In den Folgejahren wurde zuerst die Gondelbahn Scuol Motta Naluns und dann nacheinander zusätzliche Ski- und Sessellifte in Betrieb genommen. Die hoch über dem Dorf gelegenen Skigebiete lockten nun viele Wintersportfans nach Scuol. Im Sommer konnte man den Gästen das Alpenflora-Paradies zeigen, das jedes Jahr auf den Wiesen oberhalb des Dorfes erblüht. Ausserdem entstanden ein Freibad und ein Hallenbad sowie verschiedene Sportplätze. Der Bau der Engadiner Kraftwerke ( ) versprach wieder wirtschaftlichen Wohlstand. So wandelte sich Scuol vom Badekurort zu einem Feriensportort mit Kurmöglichkeiten. Doch kurz darauf verlor die Scuoler Badekultur gänzlich den Anschluss an die damaligen Marktbedürfnisse. Das alte Badehaus bedurfte dringend einer Erneuerung, wollte sich Scuol als Kurort wieder einen Namen machen. Holzbadewannen sind zwar ganz nett aber den Bedürfnissen eines modernen Kurbetriebes vermögen sie indessen nicht zu genügen! Deshalb setzte der Gemeinderat Scuol im Jahr 1985 eine Kommission namens "Center da cura" sowie verschiedene Arbeitsgruppen ein. Mit dem Planungsbüro Burckhardt + Partner AG Basel konnte ein starker Partner sowohl für die Projektierungs- wie auch die Bauphase gefunden werden. Nachdem 1988 auch die Bevölkerung den Kredit für die Realisierung des neuen Badezentrums gutgeheissen hatte, wurde das Bogn Engiadina Scuol (BES) in einer Bauzeit von gut drei Jahren erbaut. Am 1. März 1993 wurde es feierlich eröffnet. Das Bad war eines der modernsten der Alpen und konnte als erstes in der Schweiz ein Römisch-Irisches Bad anbieten. Das BES konnte alljährlich neue Rekordergebnisse (Frequenzen und Umsätze) vermelden. In der Projektierungsphase hatte man mit durchschnittlich rund 300 Gästen pro Tag gerechnet. Im ersten Jahr nach der Eröffnung des Vereinatunnels (2000) konnte im BES ein Frequenzenanstieg um 25% verzeichnet werden und im Jahr 2001 besuchten durchschnittlich 720 Gäste pro Tag das BES. Kurz nach der Baderöffnung stieg auch die Zahl der Logiernächte leicht an, ab 1994 nahm sie jedoch wieder ab. Aller Voraussicht nach wäre jedoch diese Abnahme ohne BES um einiges deutlicher ausgefallen. Das neue Bade- und Wellnesszentrum mit Therapieangebot, welches ein ganzjähriges, allwettertaugliches Zusatzangebot darstellt, wurde also zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für das Unterengadin und verhalf Scuol zu einem modernen den heutigen Marktbedürfnissen angepassten Bädertourismus, welcher die bestehenden touristischen Angebote bestens ergänzt und aufwertet. Das BES ist mit rund hundert Arbeitsplätzen auch einer der grössten Arbeitgeber der Region. Die Investition von über 50 Mio. Franken in das BES war sicherlich ein mutiger Entscheid für eine 2000-Seelen-Gemeinde, der sich aber aus volkswirtschaftlicher Sicht auf jeden Fall gelohnt hat. Im Jahr 2002 wurde das Römisch-Irische Bad erweitert und kann seither mit 160 Plätzen pro Tag an Stelle der achtzig bisherigen aufwarten. Dieses 3-Mio.-Projekt beinhaltete auch eine Erneuerung und Erweiterung des Empfangsbereichs sowie der Ruhe- und Massageräume und wurde nach einer achtmonatigen Bauzeit am 21. Dezember 2002 eröffnet. Im Zusammenhang mit dieser Erweiterung des Römisch-Irischen Bades und der Sanierung der Gemeindefinanzen wurde das BES im selben Jahr rückwirkend auf den 1. Januar 2002 von einem selbständigen Gemeindebetrieb in eine Aktiengesellschaft überführt, so dass die Schuldenlast der Gemeinde Scuol weiter verringert werden konnte und sich mittelfristig auch andere Gemeinden an der AG beteiligen könnten. Vorerst blieben jedoch 100% der Aktien im Besitz der Gemeinde. Zu einem 8

9 späteren Zeitpunkt könnte aber auch ein Teil der Aktien an Privatpersonen verkauft werden, wobei immer mindestens zwei Drittel im Besitz der Gemeinde Scuol verbleiben müssen. Bereits im Laufe der ersten zehn Betriebsjahre wurden immer wieder neue Angebote lanciert, aber jeweils im Rahmen der schon bestehenden Infrastruktur: Das Therapieangebot wurde durch Akupunkturmassagen und Thalassoanwendungen ergänzt. Die Sauna wurde durch Massagemöglichkeiten erweitert. Die Öffnungszeiten wurden verlängert und neue Artikel für den Badeshop kreiert. 9