an der Bauhaus-Universität Weimar 1996 Meine Damen und Herren,

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1 Prof. Dr.-Ing. Hermann Fleßner Meine Damen und Herren, Redemanuskript zum Konrad-Zuse-Kolloquium an der Bauhaus-Universität Weimar 1996 Es gab mehrere Anlässe für das Zustandekommen eines Zusammenwirkens von Konrad Zuse und der ehemaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar (HAB) - der heutigen Bauhaus- Universität. Ein Anlass lag bei mir. Ich war ein junger, hoffnungsvoller Bauingenieur, 28 Jahre alt. Meine Verbindung zu dem, was man heute Computer nennt und was früher in klarer Unterscheidung Digitaler Rechenautomat oder Analogrechner hieß, begann Im Kreise der mir bekannten, auch noch nicht sehr alten Computerpioniere war ich ein noch recht junger Mann. Meine ersten Kontakte zu Rechengeräten kamen über einen Rechenschieber zustande, den ich 1945 als 14-jähriger für den Preis von zwei mit Johannisbeeren gefüllten Körben erstand und den ich heute noch benutze. In der Abiturklasse 1949 hatte ich dann Gelegenheit, eine Hollerith-Maschine in der Finanzbehörde Hamburgs kennen zu lernen. Ich weiß noch heute, wie mich dieses Gerät beeindruckte. Ich wurde Bauingenieur wie Konrad Zuse, natürlich mit dem Plan, Baubeflissener zu bleiben. Noch heute fühle ich mich in erster Linie als Ingenieur, wenn ich am Ende meiner Laufbahn auch in einem Fachbereich für Informatik gelandet bin. Man hat mir boshaft nachgesagt, ich hätte nach diesem fast schleichenden Wechsel nichts Eiligeres zu tun gehabt, als aus allen Informatikern Bauingenieure zu machen. Das war natürlich nie meine Absicht, es ist bei einigen meiner Studenten aber passiert. Sie haben mit dem Studium der Informatik begonnen und sind später als Ingenieurinformatiker" in Baufirmen, bei Airbus oder in einer Schiffswerft gelandet, worauf ich durchaus stolz bin. Wurde doch damit deutlich, dass mein besonderes Anliegen, die Anwendungen der Informatik in den Vordergrund zu stellen, auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Meine Ausbildung endete damit, dass ich 1957 eine Diplomarbeit mit einem Thema aus der Baustatik schrieb, in der meine mathematischen Interessen stark in den Vordergrund gerieten. Ich musste darin 8 Gleichungen mit 8 Unbekannten lösen, und das gleich zweimal, natürlich ohne Computer, aber schon mit Handrechenmaschinen. Das dauerte bei Benutzung eines ausgeklügelten Rechenplans jeweils zwei volle Tage. Für das erste System hatte ich eine handkurbelbetriebene Hamann", die mir ein Schreibmaschinengeschäft in Hannover auslieh. Für das zweite System durfte ich kostenlos bereits eine elektrisch betriebene ODHNER" in einem Geschäft in Hamburg am Rödingsmarkt benutzen. Man setzte mich zwei Tage lang in das Schaufenster, wo ich ein Schaurechnen veranstaltete und Kunden mir über die Schulter blickten ich wurde sogar beköstigt. Damit nahm meine Begeisterung für anspruchsvolles und wirklich anwendungsorientiertes Rechnen erst so richtig ihren Anfang. Nach anschließenden drei Jahren Statikertätigkeit in einem Bauunternehmen wurde mir nachgesagt, dass ich mehr Mathematik betrieb als ein normaler Statiker und Konstrukteur in einem Spannbetonund Brückenbaubüro. Das führte dazu, dass ich in besagtem Bauunternehmen beauftragt wurde, mich doch, bitte schön, um die Anschaffung eines der neumodischen Rechengeräte zu kümmern. Ich sollte mein besonderes Augenmerk auf die Firma ZUSE KG in Bad Hersfeld richten. Da hörte ich zum ersten Mal den Namen Zuse und wurde als Einkäufer aus der Bauwirtschaft gleichzeitig einer der ersten Kunden des Herrn Dr. Zuse. Herr Zuse hatte, so meine ich, gerade in dem Jahr an der TU Berlin seinen ersten Ehrendoktortitel bekommen, woran, so vermute ich, Herr Prof. HAACK und der heute auch anwesende Herr Prof. GünTsch nicht ganz unschuldig gewesen sind. Diese meine Aufgabe als Beschaffer, wie es im Behördenjargon heißt, war der eigentliche Beginn meiner langen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit Konrad Zuse. Sie wurde gefördert durch die Zuse-Benutzer-Gemeinschaft. Keine Geringeren als Prof. Bauer, damals noch Universität Mainz, heute TU München, war der erste Vorsitzende. Nach ca. vier Jahren gab er diese Aufgabe weiter an Herrn Prof. Zurmühl, der leider sehr bald darauf starb. Dessen Nachfolger wurde ich, inzwischen zum Professor avanciert. Vier Jahre lang hatte ich nun an der TH Hannover im Institut für Massivbau gearbeitet und dort unter anderem die Aufgabe, eine Zuse Z22R zu betreuen, also die Maschine, von der heute noch viele Pioniere schwärmen auch ich, wenngleich meine Mitarbeiter und ich leider öfters durch das Schlappwerden" der Röhren im Stich gelassen wurden. Immerhin war sie so gut, dass sie in der Zeit, in der die IBM 650 des Universitäts-Rechenzentrums gegen eine Controll-Data 1604 ausgetauscht wurde, den Rechenzentrumsbetrieb der TH Hannover im Tag- und Nachtbetrieb übernehmen konnte. Ich muss die Zeit noch einmal zurückdrehen. In den 60-er Jahren erfuhr ich über die Literatur, was sich in der Zwischenzeit in der DDR abspielte. Es gab für mich dorthin keine ver- 1

2 wandtschaftlichen Bande und bis dahin auch noch keine freundschaftlichen Beziehungen. Ich hatte noch keinen Anlass gesehen, nach Weimar zu fahren. Auch in Dresden war ich noch nicht gewesen. Mein beruflicher Hauptkonkurrent war zu der Zeit in der DDR aber ganz eindeutig der heute schon mehrfach erwähnte Johannes Jänike. Mit ihm führte ich einen wissenschaftlichen Zweikampf. Es war nicht nur ein Zweikampf verschiedener, grundlegender Überlegungen, nach denen wir unsere gleichartigen Aufgaben angingen, z. B. die Berechnung von Verbundquerschnitten im Spannbeton und Stahlbetonbau. Es war auch ein Wettkampf mit Geräten. Sicher trete ich den Kollegen aus den neuen Bundesländern nicht zu nahe wenn ich sage, dass ich schon so etwas wie ein Motorrad fuhr, während Herr Jänike und seine Mitstreiter sich noch mit Fahrrädern bewegten. Dann fand 1966 ein internationales Symposium in Newcastle upon Tyne in England statt. Inzwischen war ich promoviert, hatte auch einen Vortrag angemeldet, fuhr hin und traf fast alle in meinem Fachgebiet tätigen Kollegen aus dem In- und Ausland. Zwei mir noch unbekannte Herren aus der DDR waren ebenfalls angereist, nämlich Prof. Horst Matzke aus Weimar und ein jüngerer Prof. Eras von der Bauakademie Berlin, eindeutig als Aufpasser für ersteren. Herr Prof. Matzke hielt einen Vortrag und lud die westliche Fachwelt mit bewegenden Worten zum Internationalen Kongress über Anwendungen der Mathematik in den Ingenieurwissenschaften (IKM) nach Weimar ein. Konrad Zuse, inzwischen Honorarprofessor der Universität Göttingen und mein damaliger Institutschef Prof. Zerna hielten in Newcastle e- benfalls Vorträge. Zuse und Zerna sind die Persönlichkeiten, die nicht nur meinen beruflichen und teilweise auch privaten Lebensweg entscheidend geprägt haben, sondern mich in Newcastle auch eindringlich aufforderten, unbedingt zum nächsten IKM nach Weimar zu fahren. Heute gibt es Anlass, in unserem Gedenken dieses besonders hervorzuheben: Konrad Zuse und ich erhielten in Newcastle durch Horst Matzke den Anstoß für unsere besondere Bindung zu Weimar, zur damaligen HAB und zur heutigen Bauhaus-Universität. Nun komme ich zu Prof. Hupfer und Prof. Hempel. Herr Hupfer hat schon über sich gesprochen, Herr Hempel hat über sich noch gar nichts gesagt. Herr Hupfer im Hauptfach Ingenieur und Herr Hempel Mathematiker, beide ambitioniert und begabt. Bis zur Wende gezwungenermaßen stets verdeckt und in zweiter Reihe kämpfend. Meistens daran gehindert, Kontakt mit Kollegen aus dem Westen aufzunehmen, was den Austausch von Ideen erschwerte und was vor allen Dingen Horst Matzke außerordentlich bedrückte. Als die Wende vollzogen war, hat Herr Matzke besonders auf die frühere Benachteiligung beider Herren hingewiesen und emphatisch angemahnt, besonders diesen beiden Herren, die früher stets zurückstehen mussten, endlich ihre Chance zu geben auch dieses soll heute nicht unerwähnt bleiben. Kollegen und Mitstreiter aus dem Westen und ich haben diese Mahnung verstanden. Noch ein paar Worte zu Herrn Jänike. Ungefähr zwei Jahrzehnte lang führten wir einen leidlich funktionierenden Schriftverkehr und Veröffentlichungsaustausch. Da ergab es sich, dass ihm drei Jahre vor der Wende offiziell verboten wurde, mit mir weiterhin Kontakt zu halten. An einem nassnebligen Abend im März 1985 kam es in Weimar an einer Bushaltestelle zu einem dramatischen Abschied. Herr Jänike sagte: "Wir dürfen uns von jetzt an nicht mehr sehen und auch nicht mehr schreiben, ich bitte, dass Sie das respektieren." Wir nahmen Abschied und er nahm Platz im Bus nach Jena, auf dem ersten Platz vorn rechts. Die Situation werde ich nie vergessen. Mir war zum Heulen, ich war wütend und entschlossen, mir das von den Bonzen in der DDR nicht bieten zu lassen. Natürlich habe ich die Worte Herrn Jänikes respektiert, aber es gab dann doch noch vor der Wende Kontakte zwischen uns beiden, sogar von der DDR offiziell unterstützte. Aber das ist eine lange Geschichte, die jetzt unwichtig ist. Doch ist heute die Gelegenheit passend, an Situationen wie diese auch noch einmal zu erinnern. Fast alles hat sich zwischenzeitlich geändert und wir haben eine Menge nachgeholt. Ganz leidenschaftslos sagte ich mit meiner Familie und meinen Freunden bald nach der Wende: Wir werden für die Jenaer und Weimarer etwas mehr tun als üblich". Auch meine Mitarbeiter im Institut haben mitgezogen, und daraus ist die von Ihnen, lieber Herr Hempel, vorhin erwähnte Freundschaft entstanden. Es ist eigentlich ganz simpel, man muss es nur umsetzen. Nun aber zurück zum eigentlichen Anlass meines Vortrages, der ja der Abschlussvortrag dieser Veranstaltung sein soll, unter anderem zur Würdigung des Lebenswerkes von Konrad Zuse. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass es nicht mehr viele Veranstaltungen dieser Art geben wird, bei der die noch lebenden Pioniere auch dabei sein wollen oder können. Noch drei Wochen vor dem Tode Konrad Zuses habe ich letzterem mehrere Texttafeln vorgelegt, die ich als Vorsitzender des Planungsausschusses für die Konrad-Zuse-Abteilung des Stadt- und Kreisgeschichtlichen Museums der Stadt Hünfeld" verfasst hatte. Ich bat ihn um inhaltliche Prüfungen und Ergänzungen, die er auch vornahm. Und so kann ich Ihnen jetzt eine kurzgefasste Dar- 2

3 stellung des technisch-wissenschaftlichen (nicht des künstlerischen) Lebenswerkes von Konrad Zuse vorlegen, für das er höchstpersönlich sein Testat erteilt hat. Ich führe Ihnen diese Zusammenfassung jetzt anhand einiger Folien vor, die ich in mehrere Abschnitte gliedere: 1 ) Vom Formblatt zur Programmsteuerung Als Student des Bauingenieurwesens unternahm Zuse im Jahre 1934 im Alter von 24 Jahren erste Versuche zur Erleichterung technischer Berechnungen. Er entwickelte ein Formular für die Berechnung statisch unbestimmter Stabwerke mit häufig wiederkehrenden Formeln. Damit konnte schon die zeitliche Abfolge ganzer statischer Berechnungen geplant und komplexe Berechnungen selbst konnten angefertigt werden. In vergleichbarer Weise wird heute in Rechenprogrammen des Bauwesens verfahren. Schaltalgebra Auf der Grundlage des Dyadischen Zahlensystems (duales bzw. binäres Zahlensystem) nach GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ ( ) und des Auslagenkalküls, der u.a. auf GEORGE BOOLE ( ) und das Rechnen mit Wahrheitswerten zurückgeht, baute Zuse ab 1936 den Prototyp eines mechanischen Rechenautomaten für die Speicherung von Zahlen und für Rechenschaltungen von Algorithmen unter Einbeziehung der Bedingungs-Kombinatorik bei ausschließlicher Verwendung des Binär-Prinzips. Von CHARLES BABBAGE ( ) wusste Zuse zu der Zeit noch nichts. Auch von BOOLE erfuhr Zuse erst, nachdem seine Konstruktionen und Schaltungen in den ersten Geräten schon funktionierten. Die konsequente Anwendung des Binär-Systems erlaubte ihm neue mechanische Wege und die im Prinzip einfache Übertragung der ersten rein mechanisch arbeitenden Addier-, Rechen- und Speicherwerke der ZUSE Z 1 auf Geräte: in Relais-Technik (Z2, Z3, Z4, Z 11), in Röhren-Technik (Z 22, Z22R) und in Transistor- bzw. Halbleiter-Technik (Z 23, Z 25, Z 31, Z 43) Heute arbeiten alle Computer auf der Grundlage des Binär-Systems. Halblogarithmische Zahlendarstellung Zuse schuf gleich zu Beginn seiner Arbeiten die halblogarithmischen Zahlen. Sie erlauben das Rechnen mit rationalen Zahlen, also mit Stellen rechts hinter dem Komma. Mathematiker kannten diese Schreibweise schon lange. Zuse führte sie aber als erster schon 1936 im Alter von 25 Jahren bei seiner Z 1 ein; die Umsetzung in einen Schalt- Algorithmus ist recht kompliziert. Allgemeingültig sagen wir dazu heute Gleitkomma-Darstellung (floating point). Die Formel lautet Y 2 a = b. Darin ist a als Exponent von 2 der ganzzahlige Teil des Logarithmus' von Y, bezogen auf die Basis 2. Der Exponent a bestimmt die Größenordnung der Zahl Y, Faktor b heißt Mantisse und gibt den Zahlenwert und die Genauigkeit von Y an. 1 Die Schautafeln mit der folgenden Darstellung können im Konrad-Zuse-Museum der Stadt Hünfeld / Hessen betrachtet werden. 3

4 "Ergibt" - Zuweisung Zuse weist als erster darauf hin, dass es in Rechenprogrammen grundsätzlich keine Gleichungen gibt, sondern nur Zuweisungen. Von ihm stammt das Ergibt Zeichen: a b + c Man Spricht: a ergibt sich aus b + c. Daraus entstand die Zuweisung a : = b + c in den Programmiersprachen Sprungbefehl Zuse speicherte schon 1937 Rechenprogramme und Daten gemeinsam in einem Speicherwerk. Dabei erfand er den Sprungbefehl, heute unter anderen bekannt als 'GO TO' Befehl. Konrad Zuse schlug am 19. Juni 1937 in seinen Tagebuchnotizen seine Grundideen zum Rechen-und Speicherplan vor und benutzte sie in seinen Geräten. JOHN V. NEUMANN veröffentlichte diese Idee nach 1945; deshalb wird sie nach diesem benannt. (Der Krieg verhinderte den Kenntnisaustausch). Prozeß-Steuerung Für die Vermessung gekrümmter Oberflächen (Flügeln von Flugzeugen) mechanisierte Zuse das Ablesen von Messuhren und entwickelte 1941 die heute so genannten Analog-Digital-Wandler. Zuse baute davon ausgehend die erste Prozess-Steuerung per Computer; sie lief Anfang Plankalkül Ausgehend von seiner Schaltungslogik entwickelte Zuse ab 1935 eine "Allgemeine Theorie des Rechnens". Sie war die Basis seines "Plankalküls", aufgesetzt Der Plankalkül ist inzwischen international anerkannt als universell einsetzbare algorithmische Sprache. Er gilt als Vorgänger heutiger»formaler Sprachen«und»Höherer Programmiersprachen«. Graphomat Die ZUSE KG baute ab 1958 weltweit die ersten programmgesteuerten Zeichengeräte, die "Graphomaten Z 64". Sie arbeiten noch heute mit größter Präzision (16/100 mm Inkrement). Konrad Zuse entwickelte dafür ein geniales mechanisches Planetengetriebe. Zuses ersten Patent-Anmeldungen (von insgesamt mehr als 50): Verfahren zur selbständigen Durchführung von Rechnungen Mechanisches Schaltglied Rechenmaschine im Dualsystem mit selbständiger Verschlüsselung in der Maschine Mechanisches Verteilerschaltglied und aus mechanischen Schaltgliedern aufgebautes Speicherwerk Verfahren zur Abtastung von Oberflächen und Einrichtung zur Durchführung des Verfahrens Verfahren zur Multiplikation von Zahlen Vorrichtung zum Ableiten von Resultatangaben mittels Grundperationen des Aussagenkalküls Zuse ist bekanntlich selbst Unternehmer gewesen. Seine eigentliche Begabung lag wohl nicht auf diesem Feld. Allerdings waren die Angehörigen in seinen verschiedenen Firmenkonstruktionen immer von sei- 4

5 nen Führungseigenschaften beeindruckt. Er konnte anleiten, erklären und seine Mitarbeiter begeistern. Es gibt keinen Anlass zu sagen, er sei ein gescheiterter Unternehmer gewesen, wenn Zuse es auch häufig öffentlich selbst von sich gesagt hat. Er war eben mit den meisten seiner Produkte seiner Zeit voraus. Und das ist immer eine schwierige Basis für ein Geschäft. Man denke an andere, begabte und zunächst sehr erfolgreiche Unternehmer wie z.b. Heinz Nixdorf, die noch zu ihren Lebzeiten plötzlich mit horrenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, ähnlich wie Zuse. Um zu zeigen, dass Konrad Zuse als Unternehmer auch sehr erfolgreiche Zeiten erlebt hatte, soll jetzt auch darüber eine Aufstellung folgen. Teilen wir diese Zeiten in drei Abschnitte ein: Die Anfänge ( ) 1936 Dipl.-Ing. Konrad Zuse startet mit 25 Jahren als selbständiger Unternehmer in der elterlichen Wohnung. Daneben übt er seine Tätigkeit als Statiker bei den Henschel Flugzeug-Werken aus. 1938/39 Die ersten Rechenanlagen entstehen in inzwischen angemieteten Räumen in Berlin: 1938 die ZUSE Z 1, 1939 die Z 2 und Beginn der Arbeit an der Z 3. Die Arbeiten leiden ab jetzt unter den Kriegsbedingungen, werden durch sie aber teilweise auch gefördert Fertigstellung der ZUSE Z 3, der ersten funktionsfähigen programmgesteuerten Rechenanlage der Welt Bau eines Spezialrechners mit der Typenbezeichnung S 1. Gleichzeitig beginnt Zuse mit dem Bau der Anlage Z 4, ähnlich konstruiert wie die Z 3, jedoch wesentlich leistungsfähiger Spezialrechner S 2 fertig gestellt, der erste Prozessrechner für die Steuerung von Messwertabfragen. Die Firma ZUSE-Apparatebau hat inzwischen 20 Mitarbeiter Die fast fertige Anlage Z 4 wird aus Berlin nach Göttingen transportiert und dort in vollem Betrieb vorgeführt. Mit 10 Mitarbeitern wird die Z 4 Anfang 1945 im Allgäu in Sicherheit gebracht. Der Neubeginn ( ) 1946 Gründung des ZUSE-Ingenieurbüros Hopferau bei Füssen im Allgäu Gründung der ZUSE KG in Neukirchen (Kreis Hünfeld). Herstellung und Vertrieb von Erzeugnissen der Feinmechanik und Elektronik. 8 Mitarbeiter Die Z 4 wird nach Zürich ausgeliefert. Verschiedene Neukonstruktionen. Eine größere Anlage, die Z 5 für die Firma Leitz, Wetzlar, wird begonnen Kleinere Geräte sind geplant (Z 6), Rechenlocher (Z 7 bis Z 9) werden gebaut und ausgeliefert die ZUSE KG hat 68 Mitarbeiter Die ZUSE Z 5 wird an Leitz ausgeliefert, die Relaisanlage Z 11 wird entwickelt und die Röhrenanlage Z 22 begonnen. 5

6 1958 Die Serienfertigung beginnt; die Räume in Neukirchen reichen nicht, deshalb Umzug nach Bad Hersfeld. Lieferung von 14 ZUSE Z 22 an in- und ausländische Abnehmer, außerdem 5 Anlagen ZUSE Z 11 verkauft. Umsatz 3,44 Mill. DM, gegenüber dem Vorjahr verdoppelt; 180 Mitarbeiter Entwurf der transistorisierten Z 23, Entwicklung des Graphomaten Z 64, Ausbau der Z 22 zur ZUSE Z 22 R. Die ZUSE Z 4 geht als Schenkung an das Deutsche Museum in München, sie hat fast ein Jahrzehnt in Zürich und in Paris pausenlos gearbeitet und ist regelrecht "abgenutzt" Die ZUSE Z 31 als neue transistorisierte Anlage für kommerzielle Zwecke entwickelt. Das elektronische Planimeter Z 80 wird ein Verkaufserfolg, es wurde speziell für geodätische Zwecke gebaut. Der Gesamtumsatz erreicht 7,43 Mill. DM. Die Firma wächst ( ) 1961 Alle Geräte vom Typ Z 23, Z 25, Z 31, Z 64 Graphomat und Z 80 werden in Serie produziert. Die gemieteten Räume in einer ehem. Textilfabrik in Bad Hersfeld reichen nicht mehr. Ein Grundstück von qm wird in Bad Hersfeld erworben. Der Fabrikneubau beginnt. Kunden kooperieren eng mit der ZUSE KG; Gründung der "Zuse-Benutzergemeinschaft". Internationale Anerkennung 1962 Die Rechenanlagen der ZUSE KG haben jetzt nicht nur in Universitäten und Behörden, sondern auch in der freien Wirtschaft großen Erfolg und behaupten sich international. Besonders bei Einsätzen in Technik und Produktion können sie sich gegen Weltfirmen behaupten. Es gibt Vertretungen im Ausland. Probleme trotz großer Erfolge 1963 Die Auftragsbücher sind übervoll, aber der Kapitalbedarf für notwendige Vorfinanzierungen und Investitionen ist gewaltig. Banken scheuen das Risiko bei der Kreditgewährung - das hat sich bekanntlich bis heute besonders in Deutschland nicht geändert. Die Miniaturisierung in der Halbleiter-Technik beginnt, auch dieses erfordert immense Investitionen. Die Programme (Software) werden immer aufwendiger und damals schon oft teurer als die zugehörige Hardware-Produktion Zuse sucht deshalb finanzielle Partner. Die Zukunft der Computer ist in der Geschäftswelt aber noch umstritten. Die Zuse KG. hat über 1100 Mitarbeiter SIEMENS übernimmt die ZUSE KG, Prof. Konrad Zuse scheidet aus, er ist (wieder) frei für die Wissenschaft. Zuses Lebenswerk wurde anfangs zögerlich oder skeptisch, dann aber bis heute weltweit anerkannt. 2 mal wurde er Professor ehrenhalber, Honorarprofessor der Universität Göttingen und 6

7 Ehrenprofessor der Universität Szczecin (Stettin). 8 mal wurde ihm die Ehrendoktorwürde im In- und Ausland verliehen. 19 inländische und 8 ausländische Auszeichnungen höchsten Ranges hat er erhalten. Er ist Ehrenmitglied von 11 Akademien, wissenschaftlicher Institutionen und wichtiger Vereinigungen. Er erhielt die Ehrenbürgerrechte zweier Städte und es sind bis heute insgesamt 16 Schulen, Straßen, Gebäude und Einrichtungen nach ihm benannt. Als Herr Zuse achtzig Jahre alt wurde, nahm er mich beiseite und sagte: Ich habe für mich beschlossen, mit Erreichen des 80. Lebensjahres keine Ehrungen mehr anzunehmen. Es ist einfach nicht anständig, eine Ehrungs-Inflation mitzumachen und für eine Sache mehrfach geehrt zu werden", es standen nämlich wieder einige Ehrungen in Aussicht, u.a. aus Japan. Ich sagte ihm darauf: Bitte überlege Dir das noch einmal genau. Einerseits wirst Du Leuten, die das Beste für Dich wollen, mit einer Ablehnung vor den Kopf stoßen. Andererseits ist es wichtig, dass auf diese Weise international deutlich wird, welche Rolle die Computerentwicklung in Deutschland auch mit deutschen Pionieren gespielt hat, und das auch in Japan bekannt wird, dass der Computer in Deutschland und in Europa generell wichtige Vorgänger gehabt hat." Langsam sickert es aber generell durch, dass Konrad Zuse den ersten Computer gebaut hat, über den auch heute diskutiert wurde. In den USA wird dieses übrigens inzwischen leidenschaftslos und voller Anerkennung akzeptiert; die Botschaft' ist früher einfach nicht verbreitet worden. Gut, in diesem Sinne bin ich bereit, sagte Herr Zuse, einfach um der geschichtlichen Aufarbeitung Willen. Über Konrad Zuse gibt es einige Legenden. Er habe z.b. gesagt, er hätte eine Abneigung gegen statische Berechnungen. Mir persönlich sagte er: Dass ist dummes Zeug." Sie, meine Damen und Herren, wissen vermutlich, soweit Sie ihn persönlich kannten, dass er es liebte, ab und zu provokante Äußerungen zu machen, dabei kam hin und wieder so etwas zustande. Die nächste Legende ist, er hätte nur aus Faulheit den Computer entwickelt. Daraus machen Journalisten natürlich schnell einen schönen Aufreißer für ihre Zeitung. Aber so ist es nicht gewesen. Er hat nur etwas dagegen gehabt, dass ein gut ausgebildeter Mensch mit einer Kurbelrechenmaschine zwei Tage lang im Schaufenster eines Rechenmaschinenhändlers sitzt und stur Zahlen verarbeitet. Eine weitere Legende, er sei ein gescheiterter Unternehmer gewesen, stimmt nach Überzeugung vieler Menschen, die ihn gut kannten, ebenfalls nicht, ich sprach eben schon darüber. Was nicht ausschließt, dass er unternehmerische Fehler gemacht hat. Immerhin habe ich selbst als letzter Vorsitzender der Konrad-Zuse-Benutzergemeinschaft, gewissermaßen auf dem silbernen Tablett, Aufträge aus einem zufriedenen Zuse-Kundenkreis in Höhe von 25 Millionen DM der Fa. SIEMENS zutragen können. Das war 1970, da war die DM noch etwas anderes als heute. Dass SIEMENS das Angebot damals nicht umsetzen wollte oder konnte, ist ein anderes, leider trauriges und für die damalige Zeit typisches Kapitel, das ich jetzt nicht vertiefen möchte und das man Herrn Zuse nicht anlasten darf. Die meisten Aufträge wären übrigens von den Kassenärztlichen Vereinigungen gekommen, die ihre alten und bewährten ZUSE Z 31 durch modernere Computer ersetzen und diese in allen Dienststellen der damaligen Bundesrepublik einführen wollten. Als SIEMENS nach einigem Zögern schließlich zu verhandeln bereit war, hatte man die Aufträge schon anderweitig vergeben. Hierüber war SIEMENS, so vereinfache ich es jetzt einmal, dann sehr enttäuscht. Nicht Legende, sondern erlebtes Leben ist es, dass Konrad Zuse immer ein geduldiger und aufmerksamer Zuhörer war, als relativ junger Unternehmer vor 35 Jahren genauso wie in seinen letzten Lebenstagen. So habe ich ihn erlebt. Und ich kenne keinen seiner langjährigen Freunde, die mir hierin widersprechen. Aber er war ein kritischer Zuhörer. Man musste sich seine Worte schon gut zurechtlegen bevor man sprach. Er hörte wirklich jedem aufmerksam zu, ob jung oder alt. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Worte nicht ganz angekommen bzw. richtig aufgenommen waren. Einmal rief er mich zwei Wochen nach einem Gespräch in Hamburg an und kam auf eine von mir beiläufig gemachte Äußerung zurück, er habe etwas nicht ganz verstanden. Der Grund war natürlich, ich hatte mich nicht klar genug ausgedrückt. Aus seiner Unternehmerzeit wird die von Zuse festgelegte Regel für das Kommunizieren mit seinen Mitarbeitern überliefert: er sage alles nur einmal. Das hat er auch getan. Er war sehr präzise in der Darstellung dessen, was er dachte und plante. Das hat ihn ausgezeichnet, diese seine Selbstdisziplin hat mich immer sehr beeindruckt. Bekannt und berühmt war sein Faible für junge Leute und sein lockerer Umgang mit ihnen. Jederzeit war er bereit, sich Ihren Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Einmal hat er an der Universität Hamburg eine ganze Vorlesungsstunde von mir bestritten. Ich durfte zuhören und mich zurücklehnen, er hat gewissermaßen für mich gearbeitet. Er war wirklich ein Allround-Talent. Ich fasse mit einigen Stichworten zusammen: Technik, Mathematik, 7

8 Architektur, Philosophie, sogar Schauspielerei, bildende Kunst und, wie Sie ja alle wissen, nicht zuletzt Malerei. Es besaß nicht nur Allerweltswissen, sondern konnte, über die Gebiete hinaus, in denen er selbst herausragende Leistungen vorzuweisen hatte, Entscheidendes aussagen. Ich habe mir noch heute Morgen überlegt, was interessierte den Mann eigentlich nicht? Lange habe ich nachgedacht. Schließlich ist mir aufgegangen vielleicht kann Sohn Horst mich bestätigen oder korrigieren dass ich in seinem Hause nie Musik gehört habe. Kurz, er hatte offensichtlich keine besondere Antenne zur Musik (Sohn Dr. Horst Zuse nickt zustimmend mit dem Kopf). In diesem Augenblick fällt mir wieder ein: Vor Jahren besuchte er mich für drei Tage in Hamburg, im Rahmen der Vorbereitung einer Fernsehsendung, die beim NDR im 3. Programm über ihn hergestellt wurde. Einer der Abende war nicht ausgefüllt und ich machte den Versuch, ihn in ein Kammerkonzert mitzuschleppen. Seine Reaktion war kurz und knapp: Oh nein, da gehe ich lieber ins Hotel, oder vielleicht ist noch ein Museum offen!" Das musste man also hinnehmen, Musik war nicht sein Gebiet. Konrad Zuse hat noch in seinen letzten Lebensmonaten deutlich gemacht, wie wichtig es für ihn gewesen ist, dass seine Freunde, von seiner Schulzeit bis heute, stets zu ihm gehalten haben. Dass unter seinen Freunden bis zu seinem Lebensende auch noch diejenigen gewesen sind, die in seinem Unternehmen vor dreißig Jahren nicht in leitenden Funktionen tätig waren. Wenn ein ehemaliger Wartungstechniker der Zuse KG ihn auf der Straße traf, dann war das so, als ob ein Rittergutsbesitzer seinen langjährig bewährten Kutscher begrüßt, zu dem meistens ein enges Vertrauensverhältnis bestand. Das waren Zuses eigenen Worte. Besonders zufrieden und glücklich war Herr Zuse, dass sein ältester Sohn auch ein bestens ausgewiesener Informatiker geworden ist. Zum Schluss möchte ich Sohn Horst direkt ansprechen, er ist ja unter uns und sitzt in der ersten Reihe. Ich weiß nicht, ob ich Horst einmal gesagt habe, dass es seinem Vater nicht immer so ganz gepasst hat, dass in Fachkreisen in den USA der Vater weniger bekannt war als der Sohn. Qualitätssicherung von Software ist das Feld, auf dem Sohn Dr. Horst Zuse ein international führender Wissenschaftler ist, zu Vorträgen und Gastprofessuren mehrfach eingeladen in die USA, Neuseeland Australien und Japan. Na ja, davon verstehe ich nicht allzu viel, besser gesagt, gar nichts", sagte er mir zähneknirschend, aber stolz. Ich danke Ihnen für Ihr geduldiges Zuhören. Weimar, 30. Mai