Workshop Nachhaltigkeitscheck für eine demographiefeste Infrastruktur

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1 Workshop Nachhaltigkeitscheck für eine demographiefeste Infrastruktur Komplexität und Reduktion Zur Operationalisierung von Nachhaltigkeitschecks von Ort, Datum Dietmar Edler Autor Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Berlin, 10. Juni 2008

2 Gliederung Konzepte der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeitsverständnis und Indikatorenauswahl Indikatoren zur Messung und Beurteilung von Nachhaltigkeit Funktion von Indikatoren Alternative Indikatorenkonzepte Erfahrungen mit der Integration ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeitsindikatoren Hinweise für Nachhaltigkeitschecks

3 Leitbild Nachhaltigkeit Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Bericht, Our Common Future 1987) Definierende Elemente Wirtschaften innerhalb der Restriktionen durch die Natur Berücksichtigung der Interessen zukünftiger Generationen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern innerhalb der gegenwärtigen Generation Drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ökologisch ökonomisch sozial

4 Konkurrierende Konzepte der Nachhaltigkeit schwache Nachhaltigkeit vollständige Substituierbarkeit unterschiedlicher Kapitalarten: natürliche Ressourcen - physisches Kapital - Humankapital - Wissenskapital vernünftige Nachhaltigkeit ( partielle Substituierbarkeit) kritische Nachhaltigkeit (Erhalt essentieller Kapitalbestandteile) starke Nachhaltigkeit (keine Substitutionsmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Kapitalarten)

5 Konkurrierende Konzepte der Nachhaltigkeit physisches Nachhaltigkeitsverständnis ecological footprint, Umweltraum orientiert an Stromgrößen, z.b. Materialflussrechnung systemtheoretisch fundiertes NHverständnis gleichzeitiger Erhalt der Funktionsdynamiken von (Sub-) Systemen

6 Das Verständnis von Nachhaltigkeit beeinflusst Auswahl und Integration der Indikatoren Ein verbreiteter common sense : Gleichrangigkeit der 3 Dimensionen der Nachhaltigkeit systemtheoretisch fundiertes NHverständnis Konzept der kritischen bzw. vernünftigen Nachhaltigkeit (partielle Kapitalsubstitution unter Einhaltung kritischer Bestandsgrößen) offen für ein physisches NHverständnis für das ökologische System offen für ein Verständnis von Nachhaltigkeit als permanentem Lernprozess: regulative Idee Kritik: Gefahr von Nachhaltigkeitsrhetorik

7 Nachhaltigkeitsforschung bedingt Interdisziplinarität: Meeting Point Konzept Vorgehensweise Arbeitsteilung der Wissenschaften ist mächtiges Instrument des Erkenntnisgewinns; kein Verzicht auf disziplinäre Kompetenz Gefahr der disziplinären Sichtweise: Teil der Wirklichkeit für das Ganze anzusehen, wird dem Kerngedanken der Nachhaltigkeit nicht gerecht Anwendung der etablierten und geeigneten Methoden der jeweilig zuständigen wissenschaftlichen Fachdisziplin in jeder der einzelnen Dimensionen der Nachhaltigkeit Erörterung der erzielten Ergebnisse in einem diskursiven Prozess am gemeinsamen Meeting Point der Disziplinen Integration der Ergebnisse durch Dialog und Kritik in einem an Konsens orientierten Verfahren

8 Funktion von NH - Indikatoren Kommunikationsfunktion Wünschenswerte Eigenschaften politische Relevanz, d.h. leicht interpretierbar Veränderung im Zeitablauf Reaktion auf Veränderung der driving forces Relation zu Schwellen- oder Referenzwerten belastbare analytische Begründung statistische Erhebbarkeit zu akzeptierten Kosten.

9 NH - Indikatoren Systematik der Indikatorenkonzepte Wohlfahrtsorientierte Indikatoren Indikatoren im Rahmen von Satellitensystemen System-analytische bzw. modellbasierte Indikatoren (Indikatoren in freier Form ohne übergreifende Systematik)

10 Wohlfahrtsorientierte Indikatoren Charakteristika alle verfügbaren Informationen werden durch Bewertung/Gewichtung in einem Indikator zusammengeführt; oft Geld oder Nutzen gute Kommunizierbarkeit zwei prinzipielle Typen Input basiert, Bestimmungsgründe von Wohlfahrt, Aggregation über Preissystem (bevorzugte ökonomische Sicht) Output basiert, Wohlfahrt der Subjekte, Aggregation über soziale Gewichte (bevorzugte moralphilosophische Sicht) Kritikpunkte Weitgehend ungelöste empirische Bewertungsprobleme Fundierung in neoklassischem Paradigma für Nachhaltigkeit ungeeignet (z.b. exogene Präferenzen, fehlende Wechselwirkung zwischen Umweltzustand und Nutzen- und Kostenfunktionen,.)

11 Indikatoren im Rahmen von Satellitensystemen Charakteristika Verknüpfbarkeit mit bestehenden und etablierten Indikatoren- bzw. Rechensystemen (der amtlichen Statistik) Indikatoren werden auf Basis gemeinsamer Klassifikationen und Buchungskonzepte in Erweiterung bzw. Ergänzung existierender Rechnungssysteme zusammengeführt; Darstellung einer Vielfalt von Indikatoren ohne Notwendigkeit von Bewertung und Aggregation Kommunizierbarkeit?

12 Indikatoren im Rahmen von Satellitensystemen weite Verbreitung Zahlreiche Internationale Organisationen und nationale Statistische Ämter folgen diesem Konzept Statistisches Bundesamt: Gesamtrechnungssystem für eine integrierte Nachhaltigkeitsberichterstattung (German Environmental-Economic Accounting GEEA) Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) mit Satellitensystemen Umwelt-ökonomische Gesamtrechnung (UGR) Sozio-ökonomische Gesamtrechnungen (SGR) in Europa: National Accounting Matrix including Environmental Accounts (NAMEA)

13 System-analytische bzw. modellbasierte Indikatoren Charakteristika Oberbegriff für Vielfalt primär modellgestützter analytischer Methoden zur Messung von Nachhaltigkeit Anwendung zur Untersuchung unterschiedlicher Szenarien/Optionen/Varianten nachhaltiger Entwicklung Fließende Abgrenzung zwischen Modellierung und Messung: Bedarf an Indikatoren für Modellierung und Nutzung von Modellergebnissen als Beurteilungskriterien Beispiel integrated assessment: multi-disziplinäre Analyse von komplexen, politik-relevanten Umweltproblemen oft (noch) einfache ökonomisch-physische Interaktionen mit eingeschränkten Rückkopplungsmechanismen Anwendung weitgehend auf Folgen des Klimawandels beschränkt, aber dort weit verbreitet (Standard)

14 System-analytische bzw. modellbasierte Indikatoren Vielfalt von Modelltypen (beispielhafte Auswahl aus ökonomischer Perspektive) Gesamtwirtschaftliche und disaggregierte Modelle Makro-ökonometrische Modelle und allgemeine berechenbare Gleichgewichtsmodelle (CGE) Sektorale (Partial-) Modelle Systemtheoretische Modelle - Systems Dynamics Modelle - Multi-Agenten-Modelle Kosten-Nutzen Nutzen-Analyse (CBA) Multi-Kriterien Kriterien-Analyse (MCA)

15 Erfahrungen mit der Integration der drei Dimensionen Anforderungen an Indikatoren zur Nachhaltigkeit und deren Integration werden stark vom gewählten NHverständnis geprägt. Es kann keine generell gültigen Anforderungen an Nachhaltigkeitsindikatoren geben. Das weit verbreitete dreidimensionale NHverständnis (Gleichrangigkeit der Dimensionen) stellt besonders hohe Anforderungen an die Integration.

16 Erfahrungen mit der Integration Die Organisation des interdisziplinären Forschungsprozesses hat Einfluss auf die Auswahl und Integration der Indikatoren. Das Meeting Point Konzept und ein am Konsens orientierter Diskurs erleichtern die Integration. Ein Kennzeichen von Nachhaltigkeitsstrategien sind Konflikte zwischen den Zielen und Kriterien in den drei Systembereichen. Das Konsensprinzip erschließt die bestehenden Synergiepotentiale (win-win) reduziert trade-offs zwischen den drei Systembereichen überwindet Blockaden von (disziplinären) Akteuren verhindert die irreversible Verletzung von bestimmten NHkriterien (Veto)

17 Drei Dimensionen Ökologische Dimension Ökonomische Dimenion Core elements Soziale Dimension

18 Erste Schlussfolgerungen für Nachhaltigkeitschecks Weitgehender Konsens: wohlfahrtsorientierte Indikatoren für empirische Untersuchungen ungeeignet; (offen, ob dies generell für stark aggregierte Indikatoren gilt); Indikatoren in freier Form ohne übergreifende Systematik werden mittlerweile eher kritisch gesehen; Große Offenheit bei der Gestaltung von Indikatorensystemen; Indikatoren im Rahmen von Satellitensystemen und modellbasierte Indikatoren besitzen einige Vorzüge Dominierende Messeineinheit in den drei Dimensionen ökologischer Systembereich: physische Größe wie Fläche, Masse, Gewicht ökonomischer Systembereich: Wertgröße sozialer Systembereich: (bisher) keine dominierende Messeinheit

19 Forschungsbedarf und offene Fragen Besonderer Forschungsbedarf besteht für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit Gründe: historisch: später als die anderen Dimensionen in den Blickpunkt gerückt soziale Indikatoren sind stärker kontextabhängig; es fällt schwer etwa die Belastungsfähigkeit ( carrying capacity ) oder Minimalstandards ( safe minimum standards ) zu definieren Frage: Ist aus konzeptioneller Sicht eine weitgehende Vereinheitlichung der Indikatorenkonzepte in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: notwendig? wünschenswert? machbar?