Was Diabetiker essen sollen

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1 FORTBILDUNG SEMINAR Mischkost, Mittelmeerdiät, vegetarische Gerichte Was Diabetiker essen sollen C. Leicht, H. Hauner Bei der Therapie des Typ-2-Diabetes spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Von der europäischen wie auch der deutschen Diabetes- Gesellschaft wird eine fettreduzierte, ausgewogene Mischkost empfohlen. Aber es gibt auch Alternativen. Somit entsteht mehr Spielraum, und es können auch die jeweiligen Vorlieben und Wünsche der Patienten berücksichtigt werden. Diabetologie für den Hausarzt Christine Leicht Diätassistentin Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschr. Med., herausgegeben von der Fachkommission Diabetes in Bayern Landesverband der Deutschen Dia betes-gesellschaft, Dr. med. Andreas Liebl (1. Vorsitzender), Bad Heilbrunn Redaktion: PD Dr. M. Hummel, Rosenheim (Koor dination); Prof. Dr. L. Schaaf, München (wissenschaftliche Leitung) Der Diabetes mellitus Typ 2 ist eine weit verbreitete chronische Erkrankung, die in hohem Maße ernährungsmitbedingt ist. Besonders bedeutsam sind dabei Übergewicht und Adipositas, die als entscheidende Schrittmacher für die Entwicklung dieser Krankheit sowie deren Verlauf anzusehen sind. Allerdings ist eine genetische Prädisposition notwendig, die v. a. die Funktion der insulinproduzierenden Betazellen betrifft. Sind diese nicht mehr in der Lage, die ernährungs- und adipositasbedingte Insulinresistenz durch eine gesteigerte Insulinsekretion zu kompensieren, kommt es zur Manifestation der Krankheit. Es gibt Hinweise, dass zum Diagnosezeitpunkt bereits die Hälfte der Betazellen nicht mehr funktionstüchtig bzw. verloren gegangen ist. Vor diesem Hintergrund kommt der Lebensstiländerung und insbesondere der Ernährungstherapie sowohl bei der Prävention als auch der Behandlung des Typ-2-Diabetes eine zentrale Bedeutung zu. Dies wird auch in den Therapieempfehlungen entsprechend berücksichtigt. Ernährungsumstellung und moderate Gewichtsabnahme sind die ersten sinnvollen Therapiemaßnahmen und Basis jeder späteren Pharmakotherapie [1]. Die Ernährungstherapie dient auch dazu, das gleichzeitig bestehende erhöhte kardiovaskuläre Risiko zu senken. Lecker und gesund: Saisonales Gemüse, frisch zubereitet. Wünsche der Patienten berücksichtigen Im Hinblick auf die Ernährungstherapie gab es in den letzten Jahren eine Fülle von Studien, in denen neue Möglichkeiten für eine diabetesgerechte Ernährung geprüft wurden. Der damit gewonnene breitere Korridor von Ernährungsempfehlungen erhöht den Freiheitsgrad, mit dem Ärzte und Patienten gemeinsam ein im Einzelfall wirksames und akzeptables Konzept finden können. Dies ist auch deshalb wichtig, weil sich die Ernährungstherapie an den Möglichkeiten und Wünschen der betroffenen Menschen orientieren sollte, um die Umsetzung im Alltag zu erleichtern. Neben den klassischen Empfehlungen für eine fettreduzierte, ausgewogene Mischkost gibt es heute weitere gleichwertige Optionen (Tab. 1) [2]. Joshua Resnick/ Fotolia Fettreduzierte, ausgewogene Mischkost Die aktuell gültigen Ernährungsempfehlungen bei Diabetes mellitus Typ 2 (Empfehlungen der Diabetes and Nutrition Study Group der Europäischen Diabetes-Gesellschaft, EASD, und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, DDG) sehen eine energieangepasste, kohlenhydratbetonte Ernährung mit einer Reduzierung und Modifizierung der Fettzufuhr vor [3] (Tab. 3). MMW Fortschritte der Medizin /

2 FORTBILDUNG. SEMINAR Tab. 1 Möglichkeiten für eine diabetesgerechte Ernährung Fettreduzierte, ausgewogene Mischkost Mäßig kohlenhydratbegrenzte Mischkost Mittelmeerkost Vegetarische Ernährung Tab. 3 Ernährungsempfehlungen der EADS und DDG Ernährungsempfehlungen Energie Bedarfsgerechte Zufuhr Bei Übergewicht Energiezufuhr reduzieren und Energieverbrauch steigern Fett Gesamtfettzufuhr < 35 Energie% (bei Übergewicht < 30%) Gesättigte Fettsäuren (FS) und Transfettsäuren < 7 10 Energie% Einfach ungesättigte FS Energie% Mehrfach ungesättigte FS < 10 Energie% (Omega-3-FS: ca. 0,5% Energie%) Cholesterin < 300 mg (< 200 mg bei hohem LDL-Spiegel) Protein Ohne Nierenschädigung: Energie% Fettarme tierische und pflanzliche Eiweißträger bevorzugen Bei Nephropathie: 0,8 g/kg Körpergewicht/Tag Kohlenhydrate (KH) Gesamtzufuhr Energie% Bevorzugung komplexer und ballaststoffreicher Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index Hohe Ballaststoffzufuhr (30 40 g/tag) Haushaltszucker < 5 10 Energie% KH-Berechnung nur für insulinpflichtige Patienten Alkohol Falls erwünscht, ist ein moderater Alkoholkonsum in Kombination mit KH-haltigen Mahlzeiten möglich. Vitamine und Mineralstoffe Bedarfsgerechte Zufuhr laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) Keine Empfehlung für Supplemente und Nahrungsergänzungsmittel Salzzufuhr auf 5 6 g/tag begrenzen Tab. 2 Auswirkungen einer kohlenhydratarmen Ernährung Senkung der Triglyzeridspiegel Senkung des Blutzuckers Senkung der Insulinspiegel Erhöhung des Serumcholesterins und des LDL-Cholesterins Verringerung der Ballaststoffzufuhr Praktische Umsetzung Gewichtssenkung: 5 10% Einsparung von ca Kcal/Tag Fettarmes Fleisch, Geflügel, Fleischwaren sowie Milchprodukte verwenden Sparsam: Rapsöl, Olivenöl, evtl. Leinöl, Fette allgemein, Nüsse, Avocado, fetter Fisch Mageres Fleisch, Geflügel, Fisch und Fleischwaren Fettarme Milchprodukte Soja/Tofu, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst, Kartoffeln, Vollkorngetreideprodukte (Naturreis, Dinkelnudeln etc.) Zucker in verpackter Form möglich Frauen: < 10 g/tag Männer: < 20 g/tag (10 g = 1/8 l Wein oder 1/4 l Bier) Reichlich Gemüse, Salat, Hülsenfrüchte, Obst, Vollkorn- und Milchprodukte Dagegen: Fast Food, Fertiggerichte, Käse begrenzen und Wurstwaren reduzieren ruf Photography/ Fotolia Hemera/ Getty Images/ Thinkstock Alternativen für eine diabetesgerechte Ernährung Kohlenhydratarme Kostformen Kohlenhydrate (KH) haben den stärksten Einfluss auf den Blutzuckerspiegelanstieg nach dem Essen, wobei nicht nur die Menge, sondern auch die Art der KH eine Rolle spielen. Für den postprandialen Blutzuckerverlauf ist darüber hinaus die Kombination mit Fett, Eiweiß und Ballaststoffen von Bedeutung. Bei üblichen gemischten Mahlzeiten kann damit die Blutzuckerwirksamkeit von normalerweise schnell resorbierbaren Ein- und Zweifachzuckern erheblich verlangsamt werden ( glykämischer Index ). Eine Verringerung der KH-Menge insgesamt ( glykämische Last ) kann den Blutzuckerverlauf günstig beeinflussen, und es ist auch ein Abfall der Serumtriglyzeride zu beobachten. Werden KH eingespart, bedeutet dies aber auf der anderen Seiten, dass oft mehr Eiweiß und Fett konsumiert werden. Gerade ein Anstieg der Fettmenge kann die Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel erhöhen und damit theoretisch das kardiovaskuläre Risiko steigern. Bislang fehlen Langzeitstudien, die KH-arme mit fettarmer Ernährung hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos vergleichen. Ein anderes Problem der KH-armen Kost ist die geringe Ballaststoffaufnahme, da diese überwiegend in KH-reichen Lebensmitteln zu finden sind. Günstige und ungünstige Effekte der KH-armen Ernährung fasst Tab. 2 zusammen. Bei einer Absenkung der KH-Zufuhr auf etwa 40 Energie% sollte besonders auf die richtige Fett- und Eiweißauswahl geachtet werden. Es sind dann einfach ungesättigte Fettsäuren (Rapsöl und Olivenöl) und pflanzliche Proteine (Hülsenfrüchte, Soja, Pilze, Nüsse) vorzuziehen. Wegen des o. g. Rückgangs der Ballaststoffaufnahme sollte außerdem auf den Verzehr ballaststoffreicher Vollkornprodukte geachtet werden. Eine generelle Empfehlung zu einer kohlenhydratarmen Ernährung ist daher für Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht grundsätzlich sinnvoll und wissenschaftlich nicht überzeugend begründbar. Auch wenn die ideale Kost bei Diabetes Typ 2 schwer zu definieren ist, 64 MMW Fortschritte der Medizin / 157

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4 FORTBILDUNG. SEMINAR Tab. 4 Umsetzung der Mittelmeerdiät in der mitteleuropäischen Küche Empfehlungen der Mittelmeerdiät 1. Reichlicher Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln (Gemüse, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Obst, Brot, Getreideprodukte, Nüsse, Samen) können KH aus Gemüse, Hülsenfrüchten, frischem Obst, Vollkorngetreideprodukten und fettarmer Milch als wichtige Bestandteile einer gesunden Ernährung gelten. Mittelmeerkost Die traditionelle Mittelmeerkost stellt wegen ihrer günstigen kardiovaskulären Effekte eine weitere gute Option für eine FAZIT FÜR DIE PRAXIS 1. Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es verschiedene Möglichkeiten für eine diabetesgerechte und gesundheitsfördernde Ernährung. 2. Die beste wissenschaftliche Evidenz existiert derzeit für eine fettmodifizierte, ballaststoffreiche Kost. Aber auch die traditionelle mediterrane Ernährung und eine mäßig kohlenhydratbegrenzte Kost stellen gute Alternativen dar. 3. Bei kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln ist darauf zu achten, dass solche mit einem niedrigen glykämischen Index und einem hohen Ballaststoffgehalt bevorzugt werden. Mitteleuropäische Alternativen Regionales, saisonales Gemüse, Salat, frisches Obst und Nüsse 2. Olivenöl als Hauptfettquelle Rapsöl, Leinöl, Walnussöl; dagegen Butter, Sahne, Schmalz, Kokosfett eher meiden 3. Täglicher Verzehr von Milchprodukten (Joghurt, Käse) 4. Mäßiger Verzehr von Fisch, Geflügel und Eiern, geringer Verzehr von rotem Fleisch 5. Falls erwünscht, Konsum von 1 Glas Wein, bevorzugt zu den Mahlzeiten 6. Auswahl regionaler, saisonaler Lebensmittel, die frisch zubereitet werden und einen geringen Verarbeitungsgrad aufweisen Täglich fettarme Milch und Milchprodukte < 1,5% Fettgehalt, kleine Mengen Käse < 45% F. i. Tr. (Fett in der Trockenmasse) Je 1 2 kleine Portionen Fisch und mageres Geflügel/Woche, max. 3 5 Eier/Woche, max. 1 x rotes Fleisch/Woche, selten verarbeitete Fleischprodukte (Wurst, Schinken etc.) Wein aus regionalem Anbau, begrenzt auf 1/8 1/4/Tag; reichlich Wasser, mäßiger Kaffee- und Teegenuss Fast Food, Fertiggerichte, Süßigkeiten und Knabberartikel möglichst meiden; stattdessen: frisches Obst und Gemüse der Jahreszeit entsprechend, Nüsse, selbst zubereitete Speisen diabetesgerechte Ernährung dar. Inzwischen gibt es eine Reihe von Studien, die bei Vorliegen eines Typ-2-Diabetes eine Besserung der Blutzuckerwerte durch eine Mittelmeerkost zeigen. Diese eignet sich nachweislich auch zur Prävention des Typ-2-Diabetes [4]. Die mediterrane Ernährung ist charakterisiert durch reichlichen Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln (Gemüse, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Obst, Brot, Getreideprodukte, Nüsse, Samen), Olivenöl als Hauptfettquelle, täglicher Verzehr von Milchprodukten, allerdings in eher kleinen Mengen (Joghurt, Käse), mäßiger Verzehr von Fisch, Geflügel und Eiern, geringer Verzehr von rotem Fleisch, Konsum von 1 Glas Wein pro Tag, bevorzugt zu den Mahlzeiten und Auswahl regionaler, saisonaler Lebensmittel, die frisch zubereitet werden und einen geringen Verarbeitungsgrad aufweisen. Da die typischen Elemente der Mittelmeerkost in Mitteleuropa nicht überall erhältlich bzw. auch teuer sind, ist eine Umsetzung mit regionalen Lebensmitteln möglich (Beispiele in Tab. 4). Vegetarische Ernährung Obwohl es hierzu kaum Studien gibt, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass auch eine vegetarische Kost eine sinnvolle, gesundheitsförderliche Ernährung bei Typ-2-Diabetes darstellt. Vegetarische Gerichte können aber in der angebotenen Form sehr fett- und damit kalorienreich sein, z. B. Nudelgerichte mit reichlich Fettsoßen, sodass auf eine nicht zu fettreiche, kaloriengerechte Zubereitung zu achten ist. Eine sinnvolle vegetarische Ernährung sättigt aufgrund des hohen Anteils pflanzlicher Lebensmittel gut und erleichtert bei Adipositas auch eine Gewichtsabnahme. Daneben enthält sie reichlich Ballaststoffe und alle benötigten Mikronährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe in günstigem Verhältnis. Lediglich die Vitamin-B 12 -Versorgung kann langfristig kritisch sein und bedarf dann einer Supplementierung [5]. Dagegen ist bei einer veganen Ernährung die Vitamin-B 12 -Versorgung nicht gewährleistet und bedarf immer einer Supplementierung. Weitere kritische Nährstoffe bei einer veganen Ernährungsweise können Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren sein. Der Bedarf dieser Nährstoffe kann nur durch eine vielseitige und bewusste Lebensmittelauswahl gedeckt werden [6]. Supplemente sollten hier nur ergänzend zum Einsatz kommen. Empfehlenswert ist eine vorherige kompe tente Beratung durch eine Ernährungsfachkraft. ȖȖ Literatur: springermedizin.de/mmw ȖȖ Title and Keywords: Dietary recommendations for patients with type 2 diabetes Type 2 diabetes / diet / mediterranean diet / vegetarian diet ȖȖ Für die Verfasser: Prof. Dr. med. Hans Hauner Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München, Georg- Brauchle-Ring 62, D München, hans.hauner@tum.de 66 MMW Fortschritte der Medizin / 157

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6 Literatur 1. Inzucchi SE, Bergenstal RM, Buse JB et al.: Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes: a patient-centred approach. Position statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2012;55: Hauner H: Ernährungstherapie des Typ-2-Diabetes. Der Diabetologe 2013;9: Toeller M für den Ausschuß Ernährung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft: Evidenzbasierte Empfehlungen zur Ernährungstherapie und Prävention des Diabetes mellitus. Diab Stoffw 2005;14: Salas-Salvado J, Bullo M, Estruch R et al.: Prevention of diabetes with Mediterranean diets. A subgroup analysis of a randomized trial. Ann Intern Med 2014;160: Hauner H: Vegetarische und vegane Kost. Für wen sinnvoll, für wen gefährlich? MMW Fortschr Med 2015;157: Eberhard M, Hauner H: Ernährungstipps für Veganer. MMW Fortschr Med 2015;157:44-47