Unterwegs. Belastung. Die Zeitschrift der Samariteranstalten. Gastkommentar. Christophorus-Werkstätten. Korczak-Schule.

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1 Unterwegs eins / 2014 Die Zeitschrift der Samariteranstalten Gastkommentar Prof. Dr. Guntram Platter Belastungen der Mitarbeiter Christophorus-Werkstätten Gesundheitsmanagement Korczak-Schule Sensibilität für Rollstuhlfahrer Belastung

2 INHALT Einblicke TITELTHEMA 4 Gut aufgestellt bei Gegenwind Rita Jenewein 5 Mitarbeiterbefragung Mitarbeiterzufriedenheit 6 Gastkommentar Prof. Dr. Guntram Platter 4 8 Christophorus-Werkstätten 10 Katharina von Bora-Haus 12 Burgdorf-Schule 13 Aus den Bereichen So unt ist unser Glaube 14 Christophorus-Werkstätten 8 MITTENDRIN DIE BEWOHNERSEITEN 15 Ostern, Wünsche Aus den Bereichen: Posen / Bethanien 20 Aus den Bereichen: Klangmassagepraktikerin in den Samariteranstalten 22 Aus den Bereichen: AK Sexualität 25 Aus den Bereichen: Verwaltung 26 Gemeinnützige Aufwind GmbH 28 Korczak-Schule UNTERWEGS MIT Undine Täuscher und Swetlana Noack aus der Wichern-Wohnstätte in Forst UNTERWEGS 1/2014

3 DIE SEITE DREI Last, die auf die Schultern liegt Liebe Leserin, Lieber Leser, Der Gottesdienst ist zu ende. Beinahe. Jetzt noch der Segen. In der Samariterkirche verbinden wir die Segensworte mit Gesten, Zeichen, die die Worte verdeutlichen. Mittendrin dann diese Bitte: Nimm von uns die Last unserer Schultern! Natürlich, jeder von uns kennt solche Last, die auf die Schultern liegt: Unbeantwortete Fragen, unlösbar erscheinende Probleme; eine schwere Erkrankung. Oder: der ständig wiederkehrende Alltag und für Manchen auch das stets näher kommende Alter. In der neuen Ausgabe unserer Zeitung werden Sie viel über Belastungen lesen. Erfahrungen, die aus dem Arbeitsleben kommen und die für Mitarbeitende belastend sind. Natürlich kommen ebenso auch viele gute Erfahrungen zu Sprache. Denn das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar, nicht erfahrbar. Konkret? Gerne: Frau Täuscher weist im Mitarbeiterinterview darauf hin: 19 Jahre Schichtdienst sind eine wirkliche Belastung. Damit hat sie ohne jede Frage absolut Recht! Als vor einigen Monaten im Redaktionskreis die Frage auftauchte, ob wir uns trauen, dieses Thema anzugehen, war sehr schnell Einigkeit da: Das müssen wir machen. Und es gebietet die Ehrlichkeit gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dieses Thema aufzunehmen. Weil wir damit etwas von unserem Alltag in den Samariteranstalten erspüren können. Persönlich freue ich mich auch deshalb darüber, weil mir die immer lächelnden Gesichter in den Diakonieprospekten als Spiegel der Realität unglaubwürdig sind. Der Alltag ist anders! Nicht das da nicht auch gelacht würde; nicht, dass wir nicht auch bei vielen alltäglichen Fragen durchaus zufrieden sind; nicht, dass wir nicht auch immer wieder Grund haben, dankbar zu sein. Nur: Das ist nur eine Seite. Zu ehrlicher, transparenter Berichterstattung aus unserem Alltag gehört eben auch die andere, die belastende Seite. Die wollen wir mit dieser Ausgabe beleuchten. Dazu gehört auch dies: In diesen Tagen wurde die neue Mitarbeitervertretung gewählt. Um die Wahlen vorzubereiten und durchzuführen wird ein Wahlausschuss eingesetzt. Ehrenamtlich. Neben ihrer gewöhnlichen Alltagsarbeit haben Kai Beier, Birgit Drewning, Simone Steffen, Gudrun Gernand, Sabine Böhnert, Andrea Wolff und unterstützt von Petra Kruschinski in der Logistik Abteilung, viel Engagement und Zeit investiert, damit alle Mitarbeiter informiert wurden und zur Wahl gehen konnten. Die gute Wahlbeteiligung ist auch ein Spiegel der intensiven, ehrenamtlichen Arbeit des Wahlausschusses. Auch diesem ehrenamtlichen Engagement gilt unser aller Dank! Manchmal tragen wir eben Lasten auf unseren Schultern. Deshalb nehmen wir die biblische Bitte gerne auf: Nimm von uns die Last unserer Schultern! Die neue Ausgabe der Unterwegs ist nicht nur Spiegel der Belastungen, sie ist auch Spiegel davon, wie wir einander etwas abnehmen können! Das diese Ausgabe gerade zu Ostern erschient, ist kein Zufall wie Sie vermutlich zu recht erkannt haben! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen ein gesegnetes Ostersfest. Ihr Paul-Gerhardt Voget Theologischer Vorstand UNTERWEGS 1/2014 3

4 TITELTHEMA Gut aufgestellt bei Gegenwind Wege zur gesunden Leistungsfähigkeit Viele kennen es: Das Gefühl des Hamsterrads Das Leben wird von Vielen als ein Hamsterrad der inneren und auch äußeren Ansprüche wahrgenommen, in dem sie sich kontinuierlich verausgaben. Engpässe sind nicht länger Sprungbrett in eine neue positive Entwicklung. Im beruflichen und privaten Leben gilt es immer wieder, neue komplexe Herausforderungen zu meistern. Die neue Scharniergeneration hat noch die Kinder in Ausbildung zu Hause, kümmert sich aber auch schon um die alten Eltern kennt den persönlichen Druck, alles schaffen zu müssen. Nicht neu ist die interessierte Selbstgefährdung. Ein Verhalten, bei dem man die eigene Gesundheit riskiert, um die Arbeit nicht zu gefährden oder Kollegen/innen Zusatzarbeit zu ersparen. Man verzichtet beispielsweise auf Pause: Ich weiß zwar, was für mich gut wäre, aber ich mache, was für mich schlecht ist. Der Akku ist leer Der Akku füllt sich nicht von alleine wieder auf. Vielen fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten, manche können ihre Batterien auch in der Freizeit nicht mehr aufladen. Wie bei einer Autobatterie ist ihr innerer Energiepegelstand zu weit abgesunken, als dass sie sich selbst wieder aufladen könnten. Die Folge der Beanspruchung ist Stress, psychische Überaktivität genannt, man ist wie aufgezogen oder schon erschöpft, psychisch ermüdet. Arbeiten wie ein Stehaufmännchen: Immer wieder in seine Mitte zurückkommen Arbeitspsychologen beschreiben Verhaltens- und Einstellungsmuster, die in Stresszeiten zu einer gesunden Anpassung führen. Man braucht Widerstandskräfte und Puffer: Zeitdruck braucht Zeitpuffer. Soziale Abkapselung braucht tiefen Kontakt zu Anderen. Selbstbeschuldigung und stetiger Ärger brauchen Reaktionskontrolle. Dies sind Mechanismen, die Beanspruchung zu regulieren. Selbstwirksam sein, heißt Einfluss zu nehmen Die Erfahrung, selbstwirksam zu sein, nimmt der Stresssituation die Bedrohlichkeit. Was heißt das im Alltag? Realistische Ziele (keine Ideale) formulieren, mit den Kräften haushalten, Verhaltensspielräume während des Arbeitstages ausloten, um zwischendurch etwas für das eigene Wohlbefinden tun. Distanz gegenüber beruflichen Problemen wahren, abschalten können, ist heute eine Schlüsselqualifikation. Eine optimistische Lebenshaltung, geprägt durch Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in andere Menschen, führt zu besseren Bewältigungsstrategien. Soziale Unterstützung und Freundschaftspflege Menschen mit engen Freundschaften fühlen sich weniger gestresst, erholen sich schneller und leben länger als Menschen ohne Freunde. Freundschaften wirken sich positiv auf das Selbstwertgefühl und die allgemeine Befindlichkeit und Gesundheit aus. Wer sich unterstützt fühlt, hat ein besseres Immunsystem. Soziale Unterstützung, wie Rückendeckung durch eine gute Zusammenarbeit im Team, können die ungünstigen Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit puffern. D. h., die Stressauswirkungen sind deutlich geringer. Wer wertschätzende Beziehungen im Leben pflegt und hegt, den Kontakt nicht abreißen lässt, fühlt sich bei gleicher Belastung geringer beansprucht. Ärgern und den Frust rauslassen tut gut? Ärgern bringt Energie, hilft Grenzen aufzuzeigen, macht mutig und ist konstruktiv durch Entschlossenheit. Das Ärgergefühl ist ein Verbündeter und besitzt Informationsgehalt für das, was anzusprechen und zu tun ist. Eine realistische Problemanalyse, aktives Handeln und Lösungsversuche in kleinen Schritten entlasten. Aber dauerhafter Ärger führt zu schlechter Stimmung, dies wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden aus. Klagen tut kurzfristig gut, da man Mitgefühl bekommt und erlebt. Aber das Klagen schwächt die eigene Veränderungsmotivation und es ist emotional ansteckend. Sich kurzfristig entlasten tut gut, aber nicht zur Gewohnheit werden lassen. Wie holt man sich aus einer dauerhaft schlechten Stimmung im Team raus? Dazu gehören: Gefühle akzeptieren, aber nicht anheizen oder resignieren. Durch Entspannung (und Bewegung) für eine gute Grundstimmung sorgen. Regelmäßige Mitteilungsrunden im Team, gegenseitig resonant sein. Gesund und leistungsfähig sein und bis ins hohe Alter bleiben Direkte Gesundheitsförderung betreiben Teams, wenn sie folgende Grundsätze in ihrer Zusammenarbeit beherzigen: Wir reden regelmäßig über unsere Arbeit. Bei uns übernimmt jeder Verantwortung fürs Team. Wir gehen Probleme an. Wir trauen uns was zu. Etwas gemeinsam für die Gesundheit tun Jünger werden wir auch nicht, obwohl sich Menschen heute im Durchschnitt 13 Jahre jünger fühlen, als sie eigentlich sind. (Berliner Altersstudie). Wer heute 70 Jahre alt ist, ist geistig und körperlich so fit, wie vor 30 Jahren eine 60 Jährige. Varianz im Leben, in der Arbeit, während des Tages hält jung. Stressreduktion im mittleren Lebensalter hat größten Einfluss auf kognitive Leistung im Alter. Flexibel bleiben hält jung: Unterbrechen Sie Ihre Routinen, Sie werden dadurch belebende Veränderungen spüren. Abwechslung schafft neue Reize, die werden gebraucht, um die geistigen Funktionen zu erhalten. Ob bei der Arbeit, beim Sport oder am Computer: Wer sich auf neuem, ungewohntem Gebiet bewegt, hält seinen Geist länger jung. Das Lernen neuer komplexer Alltagstätigkeiten, anspruchsvolle Freizeit, z. B. Tanzen verbessert Kontrollfunktionen gegen Stress. Alles ohne Zeitdruck! Rita Jenewein 4 UNTERWEGS 1/2014

5 AUS DEN BEREICHEN Mitarbeiterbefragung Mitarbeiterzufriedenheit Es arbeiten glückliche Menschen in den Samariteranstalten Fürstenwalde, die mit ihrer Arbeitssituation sehr zufrieden sind Erste Ergebnisse der Befragung zur Mitarbeiterzufriedenheit am Anfang des Jahres Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeitern der Samariteranstalten Fürstenwalde für ihre Teilnahme bei der Befragung zu meiner Dissertation. Es kamen 364 ausgefüllte Bögen zurück. Die Promotionsordnung schreibt vor, dass Ergebnisse, die das Dissertationsthema direkt betreffen, erst nach Bewertung der Arbeit veröffentlicht werden dürfen. Deswegen informiere ich Sie in diesem Artikel über einige Daten zur allgemeinen Zufriedenheit, und über Ergebnisse, die sich speziell um das Thema der Belastung drehen. Ein ausführlicher Bericht erfolgt dann nach Bewertung der Arbeit in Hier zunächst ein Raster zur Einschätzung der Bewertungen. Dieses Raster richtet sich nach den Häufigkeiten der Bewertungen, deswegen ist es nicht linear. Mittelwert Bewertung 6,00 5,0 extrem hoch 4,99 4,5 sehr hoch 4,51 4,0 hoch 3,99 3,0 durchschnittlich 2,99 2,0 niedrig unter 2 sehr niedrig Allgemeine Zufriedenheit Die Lebenssituation der Mitarbeiter wurde im Durchschnitt als sehr hoch von Ihnen eingeschätzt, genauso die allgemeine Zufriedenheit mit der Tätigkeit. Die Zufriedenheit mit der Bezahlung lag mehr als einen halben Punkt unter der Zufriedenheit mit der Tätigkeit und kann so immer noch als hoch bezeichnet werden. Erfreulich war die sehr niedrige Bewertung bei der Frage nach der Angst mit der Arbeitssituation. Dagegen gab es eine hohe Zustimmung bei der Frage, täglich mit Freude zur Arbeit zu gehen. Die Arbeitsplatzsicherheit wurde sehr hoch eingeschätzt, ebenfalls die Zufriedenheit mit dem Team und den Arbeitszeiten. Belastung Bei der Frage nach der Überlastung ergab sich ein niedriger Mittelwert. Die Zufriedenheit mit der betrieblichen Gesundheitsfürsorge erhielt eine sehr hohe Zustimmung. Männer und Frauen zeigten eine gleiche Zufriedenheit. Die Zufriedenheitswerte sanken leicht mit dem Alter und mit der Betriebszugehörigkeit. Es konnte außerdem festgestellt werden, dass die allgemeine Zufriedenheit mit der Tätigkeit sank, je höher der Stand der Ausbildung angegeben wurde. Die Belastungssituation wurde mit steigendem Alter als schwieriger eingeschätzt. Auch hier waren keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen. Die Zufriedenheit mit der Organisation und dem Vorstand ist hoch. Susanne Kleinhenz ZUR PERSON Susanne Kleinhenz, Diplom Betriebspädagogin, Doktorandin, Trainerin, Autorin und Coach Sie ist Inhaberin der live-academy, einer freien Akademie für Führung, Kommunikation und Changemanagement. UNTERWEGS 1/2014 5

6 GASTKOMMENTAR Belastungen der Mitarbeiter Es gibt zwei große Bereiche, die in Supervisionen und Beratungen immer wieder als Thema auffallen der Bereich der Arbeitsorganisation und der Bereich der persönlichen Disposition Es gibt wirklich schwere Arbeit in dieser Welt. Steine schleppen, Bergarbeit, LKW fahren, aber auch die Pflege und die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen sind schwere Arbeit. Und, wenn man von schwer spricht, dann meint man auch Last. Es geht dabei aber nicht nur darum, Arbeit danach zu beurteilen, wie sie körperlich belastet, sondern man kann sie auch danach beurteilen, wie sie emotional belastet. Das ist das in der Arbeit selbst liegende, das belastet. Das andere ist die Frage, was alles noch belasten könnte. In den Supervisionen erzählen die Menschen oft, dass sie die Arbeit, die sie machen, gerne machen, aber so alles andere drumherum sie doch belasten würde. Und dann ist eben die Frage, was denn wohl dieses alles andere sein könnte. Und da gibt es im Grunde zwei große Bereiche, die in Supervisionen und Beratungen immer wieder als Thema auffallen. Der eine Bereich ist der Bereich der Arbeitsorganisation, der andere Bereich ist der der persönlichen Disposition. Belastungen durch die Organisation Im Bereich der Organisationen haben wir es oft mit Problemen zu tun, die der Einzelne nicht steuern kann. Da gibt es Umstände, die sich ändern, da kommt ein neuer Chef, mit dem man nicht zurechtkommt, da kommen jüngere Mitarbeiter, die den Älteren erklären wollen, wie die Arbeit zu tun ist, oder umgekehrt, dann werden Gebäude umgebaut, da wird umgezogen und die Verhältnisse verändern sich, und man muss sich anpassen. Auch berichten die Menschen oft, dass sie früher viel besser hätten arbeiten können, und sich dagegen heute viel zu viel mit Verwaltung befassen müssten. Auch hört man immer wieder, dass die Computer nicht richtig funktionieren würden, dass es sowieso nicht sinnvoll sei, damit zu arbeiten, denn, wenn man am Computer säße, würde man sich schließlich nicht mit den Menschen beschäftigen. Eine große Spannung entsteht auch immer dann und dies vor allem auch in christlichen Häusern wenn in den Leitlinien steht, nach welchen möglicherweise christlichen Werten man sich auszurichten habe, dann aber, wenn es ein Problem gibt, diese Werte nicht wirklich im Handeln aus Sicht der Mitarbeiter insbesondere durch die Vorgesetzten lebendig werden. Wenn zum Beispiel von Nächstenliebe die Rede ist, wie muss man dann mit jemandem umgehen, der Gründe liefert, die eine weitere Beschäftigung eigentlich nicht zulassen. Auch herrscht oft keine Einigkeit darüber, was genau die Arbeit ist: Welche Voraussetzungen, welche Bedingungen, welche Ideen gibt es eigentlich, die die Arbeit mit Menschen möglich macht, rechtfertigt und professionell werden lässt. In einer Einrichtung kam bei Gesprächen heraus, dass die Mitarbeiter, wenn sie gefragt wurden, zwar schon Gedanken aus den Leitlinien zitieren konnten, aber in der eigentlichen Arbeit an den Menschen oft ganz andere Werte und Kriterien und Maßstäbe im Handeln an den Tag legten. Ein Beispiel: Eigentlich war es ein ganz banaler Anlass: Ein Mensch mit geistiger Behinderung kam mit einer Kollegin in einen mächtigen Streit, der wirklich und heftig eskaliert war, weil, so wie die Kollegin behauptete, er sich nicht jeden Morgen rasieren lassen wolle. Nach intensiven Gesprächen mit dem Team kam heraus, dass das Kriterium für die Idee, dass jemand sich jeden Morgen rasieren müsse, war, dass sie Angst davor hatten, dass die Menschen in der Werkstatt denken könnten, dass sie diesen Herrn nicht ordentlich pflegen würden. Die Kriterien des Handelns an diesem Menschen waren also das eigene Ansehen, Ordnung und Sauberkeit. Und nicht etwa die Idee, dass jeder Mensch ein guter Gedanke Gottes sei und die Arbeit eigentlich ist, die erforderliche Assistenz zu leisten". Denn oft herrscht Unklarheit darüber, was denn Assistenz bedeuten könnte und aus welchem Geist heraus diese Assistenz geleistet werden könnte: Und unterschiedliche Vorstellungen können ganz schön belasten. Das wird vor allem dann auch für ganze Teams belastend, wenn die Mitarbeiter/innen sich nicht wirklich in Bezug auf die Fördererpläne und Hilfebedarfe einig sind, was denn eigentlich die Arbeit sein soll. Wenn dann jeder so arbeitet wie er denkt, der Andere über dieselbe Arbeit aber ganz anders denkt, kommt es häufig zu sehr belastenden Konflikten. ( fachliche Maßstäbe ). In Tendenzbetrieben belastet es den ein oder anderen Mitarbeiter auch häufig, wenn er oder sie mit den Grundprinzipien der Einrichtung nicht viel anfangen kann. Das betrifft zum Beispiel Menschen, die in einem christlichen Hause tätig sind, selbst aber völlig ungläubig sind. ( christlicher Glaube ). Wenn dann noch die wirtschaftliche Verantwortung Mitarbeitende fördern soll, Strukturen und Abläufe effizient und effektiv zu organisieren, ist es oft sehr belastend 6 UNTERWEGS 1/2014

7 GASTKOMMENTAR und dies taucht häufig auf dass eine Organisation tatsächlich schlecht verwaltet ist. Das betrifft insbesondere die Dienstpläne, die Abläufe insgesamt, Unklarheiten in den Kompetenzen, unklare Anweisungen und Hinweise, insgesamt nicht gelingende Kommunikation. Insbesondere die Dienstpläne bieten viel Stoff für Belastungen: Vor allen Dingen dann, wenn der Krankenstand hoch ist, andere und das sind dann meistens immer dieselben Mitarbeiter für die erkrankten einspringen müssen, und dann irgendwann selbst auch arbeitsunfähig werden. Auch ist das Ausmaß der Möglichkeit Dienste zu tauschen eine Quelle der Belastungen. Je mehr die Möglichkeit besteht zu tauschen, und je näher man dies an den beginnenden Dienstplan zulässt, umso größer sind die Belastungen für die einzelnen Mitarbeiter, denn umso kurzfristiger müssen sie sich auf die geänderten Dienste einstellen. Und wenn dann derjenige, der den Dienstplan schreibt, nicht wirklich Personalhoheit hat, kann sich dieser Umstand zu einer echten Belastung für alle Mitarbeiter auswachsen. Ein weiteres Problem in der Organisation ist oft die Hierarchie oder eine vermeintliche Hierarchie. Dass es im Wesentlichen vier Hoheiten gibt (Strategie, Personal, Finanzen, fachliche Hoheit), ist nicht neu. Aber vielen Mitarbeitenden ist nicht wirklich klar, dass es diese Hoheiten gibt, und welche sie davon in welchem Ausmaß und ob überhaupt sie haben. Und die Erkenntnis, dass man möglicherweise nichts oder nur wenig zu sagen hat, kann für den ein oder anderen, der eine davon abweichende Vorstellung hat, durchaus belastend sein. Eine ganz unselige Geschichte ist auch die in den letzten Jahren durch den Gesetzgeber eingeführte Formulierung Fachkraft und Nicht-Fachkraft. Da gibt es dann Menschen, die aus ihrer beruflichen Herkunft sich eigentlich als Fachkraft gefühlt haben, heute aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie für diesen Titel doch die Qualifikationen nicht haben. Und damit kommen wir auch schon sogleich in den Bereich der persönlichkeitsbedingten Belastungen. Persönlichkeitsbedingte Belastungen Wenn wir von Persönlichkeit sprechen, können wir zur Kenntnis nehmen, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die ihre Geschichte haben, ihre Familie, ihre Werte und wie man es in der Psychologie nennt Delegationen, ihr je eigenes Gefühl zum Leben, zur Arbeit, und zu sich selbst (Selbstwertgefühl) haben. Es gibt auch Menschen, die sich den Beruf, den sie haben, ausgesucht haben es gibt aber auch viele Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in diesem Beruf, den sie haben, sozusagen gelandet sind. Sei es, weil sie aus gesundheitlichen Gründen einen ersten Beruf nicht ausüben konnten, sei es, weil ihre Arbeitsstelle insbesondere durch die Zeit der friedlichen Revolution weggefallen ist, sei es, weil es an diesem Ort keine andere Arbeit gibt. Solche Umstände können dann in den einzelnen zu nicht unerheblichen Belastungen führen, insbesondere dann, wenn derjenige die Geschichte und auch seine eigene als Kränkung empfindet und allein aus wirtschaftlicher Not diese Arbeit tut. Es gibt auch Menschen, die von ihrem Naturell her Menschen sind, die das Sagen haben, die Dinge steuern wollen, die wissen, wie es geht, die dann eine Position innehaben, in der sie letztendlich nichts zu sagen haben. Dann gibt es wieder Menschen, denen Führen und Leiten eigentlich nicht liegt, die aber eine Leitungsposition innehaben, und einfach nicht professionell leiten und führen. Wiederum gibt es Menschen, die sich vollkommen engagieren, andere wieder, denen oft die Raucherpausen wichtig sind. Man kann sich leicht vorstellen, dass die unterschiedliche Arbeitsmoral zu nicht unerheblichen Belastungen führen kann. Hinzu kommt dann das gegenseitige Ringen und Kämpfen um Macht und Anerkennung, die der Arbeitsplatz so aber gar nicht hergibt, insbesondere bei Menschen mit einem angeschlagenen Selbstwertgefühl was meist in ihrer Lebensgeschichte begründet ist, und was oft zu nicht unerheblichen emotionalen Eruptionen in Teams führen kann. Es kommt auch immer wieder vor, dass allzu viele private Angelegenheiten auf die Arbeit ausstrahlen. Der Einzelne lebt vielleicht gerade in Scheidung, der andere hat Probleme mit seinen Kindern, wieder jemand anders ist alleinerziehend, jemand hat einen Pflegefall bei sich zuhause, und dann entsteht immer wieder die Spannung zwischen der Frage, inwieweit das Arbeiten diesen privaten Umständen unterzuordnen ist oder umgekehrt. In ländlichen Gebieten und gerade dort sind ja häufig Einrichtungen der Wohlfahrtspflege kommt hinzu, dass sich die Menschen gut kennen, verwandt sind, verheiratet, verschwägert, wo man die Familien der Klienten kennt, wo möglicherweise ganze Familien in derselben Einrichtung tätig sind. Auch haben manche Menschen erhebliche psychische Probleme, die eine ganze Zeit in die Arbeit hinein wirken, bis sie dann schließlich, wenn es gar nicht mehr geht, das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen und sozusagen aus der Arbeit herausfallen. So vielfältig die Quellen für Belastungen bzw. das Gefühl belastet zu sein auch immer sein mögen: Was man vielleicht sagen kann, ist, dass nicht die Arbeit, die Arbeitgeber, die Umstände, generell belastend sind, sondern, dass man sich dort, wo Menschen äußern, dass sie sich stark belastet fühlen, jeden einzelnen Menschen, jedes Team, die Arbeitsumstände, die Bedingungen, Aufgaben und Kompetenzen ansprechen muss und klären muss, damit die eigentliche Arbeit, nämlich den Dienst am Menschen, gut getan wird. Der erste Akt der Supervision ist dann vor allem: Wertschätzung. Der zweite Akt: Klarheit schaffen. Der dritte Akt: Regelungen vereinbaren. Prof. Dr. Guntram Platter Praxis für Kommunikation Psychotherapie Seelsorge Wenn jeder so arbeitet wie er denkt, der Andere über dieselbe Arbeit aber ganz anders denkt, kommt es häufig zu sehr belastenden Konflikten. UNTERWEGS 1/2014 7

8 CHRISTOPHORUS-WERKSTÄTTEN Gesundheitsmanagement Die durchschnittlichen Belastungen der Mitarbeiter einer Werkstatt für behinderte Menschen wachsen, so auch in den Christophorus-Werkstätten Verändertes Klientel, das eigene Verständnis als Assistent und Dienstleister der behinderten Menschen, neue Prozess- und Dokumentationsanforderungen sowie ein zunehmend differenziertes, variables Arbeits- und Produktionsangebot sind Auslöser für diese Entwicklung. Gründe genug für die Werkstattleitung, über die Belastungsfaktoren und die Möglichkeiten der Reduzierung nachzudenken. Die Leitungsperspektive ist zwar eine wichtige Sicht auf die betrieblichen Prozesse, aber gerade bei diesem Thema bleibt der/die einzelne Mitarbeiter/in der/die Experte/in für den eigenen Arbeitsplatz und die häufig auch subjektiv erlebten Belastungen. Ausgehend von diesen Gedanken beschloss die Werkstattleitung im September 2009 auf ihrer Jahresklausur die Konstitution eines betrieblichen Gesundheitszirkels. Der Zirkel wurde mit Mitarbeiter/innen aus allen Abteilungen und Bereichen der Christophorus-Werkstätten sowie dem Sachbearbeiter für Arbeitssicherheit, einem Vertreter der Mitarbeitervertretung und einem ehemaligen Mitarbeiter besetzt. Für die Moderation konnte eine erfahrene Multiplikatorin der Berufsgenossenschaft gewonnen werden. Ursprünglich war auch meine Beteiligung als Werkstattleiter geplant. Nach der konstituierenden Sitzung des Gesundheitszirkels entsprach ich jedoch der Bitte der anderen Teilnehmer und verzichtete auf meine Teilnahme mit Blick auf die notwendige offene Diskussionskultur während der Sitzung. An dieser Stelle wurde bereits deutlich, dass zwischen Leitung und Mitarbeiterschaft kein Klima des Vertrauens bestand. Keine neue Erkenntnis, aber ein weiterer Baustein der diese Tatsache deutlich machte. Der Arbeitsauftrag für den Gesundheitszirkel war wie folgt definiert: Analysieren sie systemische, auf die Mitarbeiter/- innen wirkende, gesundheitliche Belastungsfaktoren und erarbeiten Sie Empfehlungen zur strukturierten Reduzierung. Im Ergebnis der Sitzungen wurde ich im Februar 2010 in den Zirkel eingeladen. Mir wurden die folgenden Empfehlungen an die Werkstattleitung übergeben: 1.Die Gestaltung der Arbeitsplätze und -räume sind in der Regel hinreichend und gut. Die betrieblichen Strukturen zur Anpassung der raumbezogenen Arbeitsbedingungen sind ausreichend für die Behebung von Regelabweichungen. Es besteht kein strukturierter Handlungsbedarf. Die Arbeitsbedingungen in den großen Arbeitsräumen des Förder- und Beschäftigungsbereiches sind verbesserungsbedürftig. 2. Die vertrauensvolle und angstfreie Gestaltung der Arbeitsbeziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter/ innen ist zu verbessern. Dazu werden - Qualifizierungsangebote an die Mitarbeiterschaft zu den Themen Kommunikation, eigene Interessen vertreten, Konfliktbewältigung sowie - zusätzliche Angebote der Führungskräfteentwicklung an die mittlere Führungsebene mit den Themen Feedback geben, Motivation und Weitergabe von Informationen empfohlen. 3. Bei weitreichenden Unternehmensentscheidungen wird eine Verbesserung der Transparenz empfohlen. Insbesondere das Thema Notwendigkeit und Wirkung von befristeten Arbeitsverträgen kann in der Mitarbeiterschaft nicht nachvollzogen werden, führt zu Unsicherheit und Belastungen der Gesundheit. 4.Auf Initiative eines Mitarbeiters greift der Gesundheitszirkel dessen Vorschlag zum Aufbau einer intranetbasierten Kommunikationsplattform auf und empfiehlt dessen Umsetzung. 5. Zur weiteren Klärung, insbesondere der Qualifizierungsbedarfe, empfiehlt der Gesundheitszirkel eine strukturierte Mitarbeiterbefragung. Aufbauend aus den Empfehlungen wurden dann Beschlüsse der Werkstattleitung gefasst: 1. Personalentwicklung und Weiterbildung Personalentwicklung sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter wird verbindlicher Bestandteil der Mitarbeitergespräche und durch die Führungskraft thematisiert. Darüber hinaus besteht der Zugriff jeden Mitarbeiters auf Weiterbildungsprogramme über das Formblatt Antrag auf Weiterbildung. 2. Führungskräfteentwicklung Führungskräften der dritten Leitungsebene wird zusätzliches Budget zur Entwicklung ihrer Führungskompetenzen zur Verfügung gestellt. Die Qualifizierungsmaßnahmen werden individuell verabredet. 3. Entscheidungstransparenz bzgl. befristeter Arbeitsverträge Zum Thema Strategie und befristete Arbeitsverträge findet eine außerordentliche Mitarbeiterversammlung statt. 4. Kommunikationsplattform Zur Entwicklung einer unternehmensweiten Kommunikationsplattform setzt die Werkstattleitung gezielte Impulse und Empfehlungen an die Entscheidungsträger in den Samariteranstalten. 5. Durchführung einer strukturierten Mitarbeiterbefragung Die Werkstattleitung sieht im Nachgang zu den Empfehlungen des Gesundheitszirkels keinen mittelfristigen Bedarf an der Durchführung einer Mitarbeiterbefragung. Insbesondere das Thema Qualifizierungsbedarf ist individuell in den Mitarbeitergesprächen aufzugreifen. 6. Modernisierung des Förder- und Beschäftigungsbereiches Die Modernisierung der Arbeitsbedingungen im Förder- und Beschäftigungsbereich wird fortgesetzt. 8 UNTERWEGS 1/2014

9 CHRISTOPHORUS-WERKSTÄTTEN IMPRESSUM Unterwegs Die Zeitschrift der Samariteranstalten Und was ist daraus geworden? Allgemein hat der Gesundheitszirkel wesentliche Impulse für die strategische Weiterentwicklung der Christophorus- Werkstätten geliefert, auch wenn viele angesprochene Fragen auch dem Blick der Leitung damals nicht verborgen waren. Dass es keine Kultur des Vertrauens als Grundlage des gemeinsamen Arbeitens zwischen Mitarbeiterschaft und Führung gab, lag auf der Hand, ebenso wie die Tatsache, dass eine wirksame Führung in der ehemaligen Aufbauorganisation quasi unmöglich war. Das Thema Personalentwicklung in die Mitarbeitergespräche zu verweisen macht, wenn es erfolgreich sein soll, aber ein vertrauensvolles Miteinander notwendig. Führungskräfteentwicklung, verstanden als kontinuierlichen Prozess, setzte eine nachhaltige Bindung der Führungskräfte an das Unternehmen voraus. Problematisch, war doch abzusehen, das vier Drittel der mittleren Leitungsebene innerhalb von zwei Jahren das Unternehmen verlassen. Aber es reifte, und daran hat der Gesundheitszirkel einen wesentlichen Anteil, bei mir der Gedanke, die neu zu besetzenden Positionen der Leitung hauptsächlich mit Bewerbern aus der Mitarbeiterschaft zu besetzen und künftig auf gute, gewachsene Beziehungen zwischen ehemaligen Kollegen zu vertrauen. Seit über einem Jahr arbeiten wir in den Christophorus-Werkstätten nun mit einem zwar sehr jungen, aber dynamischen und innovationsfreudigen Leitungsteam. Über 80% der Leitungsmitglieder haben ihre Karriere in den Werkstätten als Mitarbeiter an der Basis begonnen und erst später Führungsverantwortung übernommen. Sie haben die fehlende Vertrauenskultur der Vergangenheit bewusst erlebt und wissen, dass diese für das Betriebsklima, die gesundheitliche Belastung und letztlich für den Erfolg des Einzelnen und des Unternehmens unabdingbar ist. Das individuelle Handwerkszeug der Führung haben sich die Kollegen/innen im Rahmen des Führungskräfteentwicklungsprogramms rückenwind und durch die bewusste Führungspraxis angeeignet. Auf die Entwicklung meines Teams im vergangenen Jahr bin ich sehr stolz. Die sonstigen Veränderungen hier nur am Rande. Der Förder- und Beschäftigungsbereich wurde komplett modernisiert. Raumteiler, Schallisolierungen, erweiterte Sanitäranlagen, moderne Hebegeräte In Summe wurden hier etwa investiert, um die Arbeitsbedingungen für Kunden und Mitarbeiter zu verbessern. Wir berichteten in der Unterwegs 1/2011 und der 2/2011 dazu. Eine außerordentliche Mitarbeiterversammlung zum Thema befristete Arbeitsplätze wurde im Mai 2010 durchgeführt. Heute gibt es zwar auch noch befristete Verträge, grundlegendes strategisches Element sind sie jedoch nicht mehr. Die Samariteranstalten haben ein neues Intranet. Impulsgeber dafür war auch der Gesundheitszirkel der Christophorus- Werkstätten. Zu einer Mitarbeiterbefragung in den Werkstätten ist es bisher nicht gekommen. Vielleicht kann die aktuelle Befragung der Samariteranstalten von Frau Kleinhenz (Unterwegs 4/2013) separat ausgewertet werden und neue Impulse für die Dienstgemeinschaft der Christophorus-Werkstätten ergeben. Den Begriff der Gemeinschaft verwende ich dabei ganz bewusst, entwickelt sich doch die Vertrauenskultur in den Werkstätten so, dass wir heute von einem wirklichen Miteinander von Mitarbeiterschaft und Leitung sprechen können. Ich hoffe, liebe Mitarbeiter, Sie teilen meine Einschätzung? Auch dank des Gesundheitszirkels sind wir heute ein Unternehmensteil der Samariteranstalten in dem gegenseitiges Vertrauen, der Stolz auf den gemeinsamen Erfolg und ein ausgeprägter Teamgeist Grundlage unserer Arbeit darstellt. Dass Belastungen auch in diesem Umfeld entstehen und nicht grundsätzlich vermieden werden können, ist allerdings auch ein Teil dieser Geschichte. Frank-Michael Würdisch Herausgeber: Samariteranstalten August-Bebel-Str Fürstenwalde Redaktionskreis: Paul-Gerhardt Voget, Jutta Grothe, Petra Kruschinski, Reinhard Weiß, Sven Sprunghofer, Anja Röhl, Matthias Luban, Heike Bley, Anke Lüth, Frank-Michael Würdisch Redaktionskreis mittendrin Bewohner der Samariteranstalten Layout: Petra Kruschinski Tel.: / p.kruschinski@samariteranstalten.de Druck: Druckerei Oehme Das Medien Zentrum Spendenkonten: Sparkasse Oder-Spree IBAN: DE BIC: WELADED1LOS KD-Bank eg Die Bank für Kirche und Diakonie IBAN: DE BIC: GENODED1DKD UNTERWEGS 1/2014 9

10 KATHARINA VON BORA-HAUS nur mit Teamarbeit können schwerere Arbeiten bewältigt werden Wenke Vierke Dienstplan Thema Belastungen Interview mit Wenke Vierke, Mitarbeiterin im Katharina von Bora-Haus Sie arbeiten seit 14 Jahren als Krankenschwester im Katharina von Bora-Haus. Können Sie sich noch an Ihre Gefühle, Erwartungen, Ihre Einstellung und Ihre Eindrücke aus der ersten Zeit erinnern? Ich habe meine Ausbildung in einem Krankenhaus gemacht und hatte damals ein ganz anderes Bild, der Unterschied war sehr groß. Ich habe erst hier gelernt, die Bewohner auch nach ihren Bedürfnissen zu versorgen; ich musste lernen, dass nicht die Medizin und die Fakten im Vordergrund stehen, das war neu für mich und ich hatte damit auch Schwierigkeiten, auch im Umgang mit den Bewohnern mit Demenz. Im Krankenhaus haben Demenzerkrankte Medikamente gegen Unruhe bekommen. Das ist hier anders und ich musste mich im Laufe der Zeit auf ein anderes Arbeiten einlassen: Die Bewohner zu beruhigen, zu begleiten, zu integrieren und ihnen Aufgaben geben. Ich habe jetzt noch manchmal Probleme, auch wenn ich denke, ich habe mich schon gut reingefunden. Ich habe jetzt nicht mehr so die Krankenschwesterrolle in mir. Ich bin froh, dass ich in der Altenpflege angekommen bin. Von vielen Experten wird die Arbeit in der Altenpflege als große Herausforderung und auch als Belastung gesehen, die zudem noch von der Gesellschaft als zu wenig wertgeschätzt wird. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Ja, es gibt viele Politiker, die sagen, wie sehr sie die Leistungen der Altenpflege anerkennen, aber davon merkt man im Alltag nichts. Man hört immer nur: Wir müssen sparen, die Finanzen müssen stimmen, dabei werden die Anforderungen an die Qualität durch Pflegekassen, MDK und andere Kontrollorgane immer höher. Wir werden immer mehr kontrolliert, gleichzeitig werden die Bedingungen für die Umsetzung immer enger. Wenn ich nur an die Inkontinenzversorgung denke, da gibt es von den Krankenkassen ein festes Budget, wonach jeder nur durchschnittlich drei Vorlagen am Tag und eine Nachtversorgung bekommt und wehe er braucht eine vierte Vorlage. Also die materielle Versorgung ist nicht ausreichend für die Bedürfnisse der Bewohner? Ja, ich habe den Eindruck, die Finanzierung einer Altenpflegeeinrichtung ist zu knapp, und das Heim kann ja nicht alle Defizite aus eigener Tasche bezahlen. Welche Belastungen erleben Sie noch in Ihrer täglichen Arbeit? Also für mich ist es ein Problem, dass ich ein Mensch bin, der alles möglichst gut und korrekt machen will, so wie ich das in meiner Ausbildung gelernt habe. In der knappen Zeit, die wir haben, ist das aber sehr schwer, z.b. das Dokumentieren, da entstehen schnell Lücken. Dann kommt die Heimaufsicht und die Lücken werden auf den Tisch gelegt und es wird gefragt: Wie kommt es dazu? Sie wollen alles möglichst perfekt machen doch dazu fehlt Ihnen die nötige Zeit? Ja, und die Bewohner sind auch noch da und deren Tagesablauf richtet sich nicht nach unserer Dokumentationszeit. Die Dokumentation nimmt viel Zeit in Anspruch, es müssen Protokolle geschrieben werden, z.b. zur Ernährung, zum Lagern, zur Flüssigkeitsaufnahme. Ich will nicht sagen, dass das alles überflüssig ist, ich sehe ein, dass es wichtig ist und der Qualitätssicherung dient aber es ist ziemlich schwer, das alles in den Alltag zu integrieren. Man will für seine Bezugspflegepersonen alles in Ordnung haben und muss sich auch um die Pflegeplanung der Bewohner erkrankter Kollegen kümmern. Was gibt es noch für Belastungen im Alltag? Groß ist natürlich die körperliche Belastung, vor allem durch die Transfers. Es gibt Hilfsmittel, doch nicht alle können wir anwenden, weil die Bewohner Ängste haben, z.b. wenn sie in einem Hebelifter sitzen. Schön ist, dass wir die schweren Bewohner zu zweit versorgen können, dass wir das so organisieren können. Neben den physischen Belastungen gibt es auch viele Faktoren, die psychisch belastend sind? Ja, wenn Bewohner depressiv sind, oder in besonderen Situationen z.b. beim Ein- 10 UNTERWEGS 1/2014

11 KATHARINA VON BORA-HAUS zug; viele sind auch traurig über eigene Verluste, können ihre zunehmende Hilfsbedürftigkeit noch nicht akzeptieren und ertragen das Gefühl der Abhängigkeit nicht, viele haben Ängste. Und wir werden mit diesen ganzen Gefühlen konfrontiert, von uns wird jeden Tag Verständnis, Beistand und Zuspruch, Vermittlung von Sicherheit erwartet, auch an Tagen, wo es einem selbst nicht so gut geht, wenn man Rückenschmerzen hat oder erkältet ist. Anstrengend sind auch die hohen Ansprüche von Angehörigen, die uns zwar zu Recht als Dienstleister sehen, aber oft nicht wissen, dass wir nur sehr begrenzte Zeit haben. Die Pflege nach Pflegestufen berücksichtigt eben nicht die psychischen Bedürfnisse z.b. nach Trost, und die können auch in der Pflegestufe 1 sehr hoch sein, viele brauchen einfach nur jemanden, der ihnen zuhört. Persönlich belastet mich stark, dass gerade die Erfüllung der Bedürfnisse von stark pflegebedürftigen Bewohnern, die nicht mehr in der Lage sind, Hilfe anzufordern und ihre Bedürfnisse mitzuteilen, zu kurz kommen kann. Sie sind auch Praxisanleiterin für unsere Azubis und Praktikanten, oft auch eine weitere Belastung, aber auch eine wichtige Aufgabe. Haben wir zukünftig Fachkräfte, die geeignet und belastbar sind? Teils teils, ich würde mir wünschen, dass sich die Azubis vorher besser über diesen Beruf informieren, mehr Fragen stellen. Es ist eben mehr als nur spazieren gehen. Nötig ist Empathie und Liebe zum Beruf, der mehr sein muss als ein Job. Viele sind auch sehr engagiert und wissen, worauf sie sich einlassen. Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit ausreichend unterstützt? Sehr hilfreich ist z.b. der Hospizdienst, der uns oft bei der Sterbebegleitung unterstützt. Bei unserer Leitung finden wir immer ein offenes Ohr, gerade bei Schwierigkeiten. Ich finde es toll, wie man hier gefördert wird und ich habe den Eindruck, dass ich in der Zeit gewachsen bin. Gut ist auch, wie das Team funktioniert und sich gegenseitig hilft. In den letzten Jahren wurde Supervision angeboten. Ist das für Sie eine hilfreiche, entlastende Möglichkeit, mit belastenden Situationen und Aufgaben umzugehen? Ich war einmal dabei und fand es gut. Natürlich muss die Chemie zwischen Supervisor und einem selbst stimmen. Und die Teilnehmer müssen offen sein und ohne Angst über ihre Probleme reden können. Bei uns ging es um Gewalt gegenüber uns Mitarbeitern. Das fand ich sehr wichtig. Es gab schon Situationen, wo ich von einer Bewohnerin fast k.o. geschlagen wurde, wir wurden beschimpft und angespuckt oder wir mussten uns vor den Stockschlägen eines Bewohners retten. Es gelingt mir auch nicht immer, Probleme der Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Zum Glück habe ich einen verständnisvollen Mann, meine Tochter sagt aber dann schon: Mama, hast du heute schlechte Laune? Gibt es auch noch etwas worüber Sie sich in Ihrem Beruf freuen können, etwas, was Sie zufrieden oder stolz macht? Ich denke, ich arbeite nach besten Wissen und Gewissen und die Bewohner werden wirklich gut betreut. Stolz macht mich, wenn es uns gelingt, Bewohner wieder zu aktivieren, ihre Selbstständigkeit zu verbessern oder sie von der PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie ermöglicht eine künstliche Ernährung, R.W.) wieder weg zu bringen. Ich freue mich, wenn ich Dankbarkeit erfahre, wenn ich mal von den Bewohnern in den Arm genommen werde und wenn es eine schon fast familiäre Beziehung gibt. Vielen Dank für das Gespräch und die besten Wünsche für die nächsten Jahre! Reinhard Weiß UNTERWEGS 1/

12 BURGDORF-SCHULE Das Empfinden hierüber ist von Mensch zu Mensch verschieden. Resilienz beschreibt, dass viele Missempfindungen, Stress, negative Erfahrungen oder Fehlentscheidungen so verarbeitetet werden können, dass keine seelischen oder körperlichen Einschränkungen drohen, im Gegenteil, Menschen können daran sogar wachsen oder positive Schlüsse daraus ziehen. Andere empfinden ihren beruflichen oder privaten Alltag als so anstrengend, dass sie ernsthaft erkranken oder ggf. auch professionelle Hilfen benötigen. Unsere Arbeit in der Schule, der Umgang mit zum Teil sehr schwierigen Schülern, das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Charaktere in den Teams, der Kontakt zu Eltern oder Betreuern in den Wohnstätten, viele Aufgaben oder Verpflichtungen zusätzlich bestimmen unser berufliches Leben. In dieser Ausgabe der Unterwegs geht es um Belastungen von Mitarbeitern. Einige Kolleginnen erhielten Fragebögen zu diesem sehr emotionalen, individuellen und natürlich subjektivem Thema. So verschieden alle Kolleginnen sie stammen aus verschiedenen Bereichen und sind auch unterschiedlich lange in der Schule tätig auch sind, sie alle baten darum, anonym bleiben zu dürfen. Einige mochten auch die Fragen nicht beantworten. Diese Wünsche werden selbstverständlich respektiert, aber sie stimmen auch nachdenklich und lassen einige Rückschlüsse auf das Arbeitsklima an unserer Schule zu. Belastung Last, Belästigung, jemanden belasten, Überlastung, lästig unsere Sprache kennt viele Ausdrücke, um Situationen zu beschreiben, die unsere Arbeit und damit unseren Alltag, das Leben, bestimmen. In der ersten Frage ging es darum, ob und wie sehr man sich im schulischen Alltag belastet fühlt und ob es konkrete Situationen gibt oder gab, die dazu geführt haben. Eine Kollegin verwies auf die Arbeit neben der Arbeit zum Beispiel die Anleitung von Praktikanten. Eine andere verwies darauf, wie schwierig unser Alltag ist, wenn es zu Unstimmigkeiten im Team kommt oder unvorhersehbare Aufgaben zu bewältigen sind. Auch die Gestaltung der Rahmenbedingungen wurde kritisch angemerkt. Eine Kollegin schreibt von seelischer Überlastung, von ständig wechselnden Teams und der Empfindung, nicht respektiert oder geschätzt zu werden. Eine Mitarbeiterin der Schule empfindet es als ausgesprochen belastend, nicht zu wissen, ob und wie es für sie weiter gehen wird. Die Ungewissheit über die berufliche Zukunft an der Schule wird von ihr als zermürbend empfunden. Ich bin mir sicher bei diesen Antworten nicken viele von uns, fühlen sich angesprochen und haben Verständnis. Keine der angesprochenen Kolleginnen hat die Frage nach besonderen Belastungen verneint. Die zweite Frage betraf den persönlichen Umgang mit diesen Belastungen. Welche Strategien gibt es, um damit fertig zu werden? Gespräche im Team, aber auch mit Freunden wurden genannt. Eine ausgleichende Freizeitgestaltung oder aber das Bestreben, sich freie Zeit zu schaffen bzw. zu nehmen. Eine andere Strategie ist die Flucht in die Familie. Besonders berührt hat mich die Antwort einer Kollegin, welche schrieb, dass sie Kraft aus ihrer positiven Lebenseinstellung gewinnt. Immer nach vorn schaut. Sich darum bemüht, die Ungewissheit vor den Schülern zu verbergen. Eine andere Kollegin beantwortete die Frage mit drei Fragezeichen kann bedeuten, dass sie sehr wahrscheinlich ihre beruflichen Belastungen mit nach Hause nimmt und aktuell keine Strategie findet, um sich ausreichend zu regenerieren oder auch zu entlasten. Die dritte Frage richtete sich an die Wünsche einer jeden an den Arbeitgeber. Was könnte dafür getan werden, Gefahren drohender Überlastung oder Stress abzuwenden? Eine Mitarbeiterin schrieb, sie wünsche sich kollegiale Fallberatungen. Einer fehlten Supervisionen. Nahezu alle antworteten auf die Frage: Sie wünschten sich vom Arbeitgeber und den unmittelbaren Kollegen ernst genommen, geachtet und respektiert zu werden. Besprochene Lösungswege sollten eingehalten und nicht einfach über Bord geworfen werden. Der Wunsch nach einer gerechten bzw. gleichberechtigten Behandlung von Mitarbeitern wurde genannt. Oder aber, dass unser Arbeitgeber Personalfragen rechtzeitig und mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen bespricht, damit diese Ungewissheit, diese Belastung weg fällt und der Fokus auf die Arbeit mit unseren Schülern gerichtet werden kann. Zudem steigt bei der Gewissheit, einen sicheren Arbeitsplatz und damit eine berufliche Zukunft zu haben, auch die Zufriedenheit eine wichtige Motivation im Alltag. Seien wir achtsam mit uns und fordern wir mehr Achtsamkeit für uns. 12 UNTERWEGS 1/2014

13 BURGDORF-SCHULE SO BUNT IST UNSER GLAUBE So individuell unsere Strategien im Alltag sind es fällt auf, dass nicht die eigentliche Arbeit mit den Schülern, sondern das Umfeld als belastend empfunden wurde. Hat der Arbeitsumfang tatsächlich zugenommen? Sind im Laufe der Zeit mehr Aufgaben und Anforderungen entstanden? Oder ist es nicht eher so, dass oftmals über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg entschieden wird, statt mit ihnen zu reden, um den schulischen Alltag gemeinsam zu bewältigen? Der Hinweis der Kolleginnen, vielfach nicht ernst genommen zu werden, lässt diese Erkenntnis durchaus zu. Gibt es bei uns genügend Hilfsangebote? Und wenn ja, bleibt genug Zeit, Motivation oder Zuversicht, diese anzunehmen? Sind wir im Alltag eher Einzelkämpfer oder sitzen wir alle in einem Boot? Vielen von uns ist das Wort Entschleunigung ein Begriff. Schaffen wir es, uns auf unsere Kräfte zu besinnen, unsere Ressourcen sorgsam einzusetzen auf uns und unseren Nebenmann zu achten? Diesen wertzuschätzen, auch wenn aus der Zusammenarbeit keine Freundschaft wächst? Ich lade Sie herzlich ein, diskutieren Sie mit uns! Vielleicht erreichen die Redaktion weitere Ideen, wie unser Alltag von Belastungen befreit und sogar ein wenig entschleunigt werden kann? Zum Schluss einige Auszüge aus der Berliner Zeitung vom 1./2. März In einem Artikel geht es um Stress. Er müsse nicht sein, behaupten Achtsamkeitstrainer wie z.b. der US-Forscher Jon Kabat-Zinn. Achtsamkeit definierte er als eine Form der Aufmerksamkeit, die sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht und nicht wertend ist. Im Interview von Alice Ahlers beantwortet Prof. Ute Hülsheger auf die Frage, warum es so wichtig ist, Achtsamkeit zu trainieren: Unachtsamkeit ist etwas, das wir täglich erleben, weil wir so viele Dinge im Kopf haben. Man steht morgens unter der Dusche und denkt schon an die Pausenbrote für die Kinder... oder an die Anrufe, die man im Büro erledigen muss... Auf die Frage, ob man Achtsamkeit auch bei der Arbeit trainieren kann, antwortete sie: Ja. Je mehr man in entspannten Situationen übt, desto leichter fällt es einem, in Stresssituationen gelassener zu bleiben. Auch wenn man unter Zeitdruck steht, sollte man sich eine kurze Auszeit gönnen und eine Atemübung machen. Das zahlt sich aus, weil man sich danach wieder besser konzentrieren kann... Anke Lüth Sonntagmorgen. Gottesdienst in der Samariterkirche. Am Ausgang gibt es ein Körbchen. Darin wird Geld gesammelt. Heute für die Kindernothilfe. Eine Bewohnerin schüttet, ein wenig mühselig, ihre Geldbörse aus. Am Ende werden 7, 38 gezählt. Lohnt sich das? Für eine kleine Fantasiereise nehme ich Sie gerne mit nach Bolivien. Denken Sie an Kinder in bunten Ponchos mit schmucken Hüten auf dem Kopf. Wunderbar lächelnde Augen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: In Bolivien, einem der ärmsten Länder Lateinamerikas gibt es sehr viel Gewalt. Besonders gegen Frauen und Mädchen, besonders auch in Form von sexueller Gewalt. Und da sollen wir helfen? Mit 7,38? Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Einen Vorschlag, den ich schon oft erwähnt habe. Jetzt konkret: Ich möchte Sie bitten, die Cent-Beträge Ihres monatlichen Gehaltes für das Schutzhaus Infante in Cochabamba, Bolivien zu spenden. Wenn Sie also auf Ihrem Gehaltszettel hinter dem Komma 38 Cent stehen haben, bitte ich Sie um die 38 Cent. Wenn es 17 Cent sind, dann 17 Cent, sind es 99, nun dann bitte ich Sie um die 99 Cent. Das Kindernothilfe Projekt in Cochabamba, ein Schutzhaus für sexuell missbrauchte Mädchen im Alter von Jahren, bietet Hilfe auf drei Säulen: medizinische und psychologische Betreuung, Begleitung in eine bessere Zukunft und nicht zuletzt Prävention und Aufklärung. Mit der nächsten Gehaltsabrechnung erhalten Sie einen Brief. Ich beschreibe Ihnen ausführlicher das Projekt und wie Sie mit Ihren Centbeträgen diese Arbeit unterstützen können. Heute möchte ich Ihnen schon sehr für Ihre Unterstützung danken! Und noch dies: Nicht nur 7,38 lohnen sich; auch 0,38 und weniger lohnen sich! Paul-Gerhardt Voget UNTERWEGS 1/

14 CHRISTOPHORUS-WERKSTÄTTEN Cleverer Problemlöser aus den Christophorus-Werkstätten Der inklusive Tisch Kennen Sie eine der Situationen? 1. Sie sind Rollstuhlfahrer und haben Probleme, mit den Knien / Oberschenkeln einen Tisch zu unterfahren, um sich an diesem Tisch wohl zu fühlen? 2. Sie sind kein Rollstuhlfahrer, sitzen an einem erhöhten Tisch und fühlen sich wie um 20 cm geschrumpft? 3. Es klappt in ihrem Umfeld nicht, dass Menschen mit und ohne Rollstuhl ganz unkompliziert gemeinsam an einem Tisch Platz nehmen können? Wenn Sie eine der 3 Fragen mit Ja beantworten, dürfte der folgende Artikel für Sie hochinteressant sein! Als vor etwa 2 Jahren bei uns in den Christophorus-Werkstätten die Aufgabe bestand, Tische an die besonderen Bedürfnisse im Hause anzupassen (Stichwort universelle Eignung für die verschiedensten Menschen mit und ohne Mobilitätseinschränkung und unterschiedliche Einsatzgebiete), gingen wir den Gedanken konsequent weiter. Wir wollten echte und gelebte Inklusion. Wir wollten, dass sich sowohl Rollstuhlfahrer als auch nicht mobilitätseingeschränkte Menschen an ein und demselben Tisch begegnen und wohlfühlen können. Und das zur gleichen Zeit, mit geringem technischen Aufwand und ohne spektakuläre Sonderlösungen. So wurde im Technischen Dienst der Christophorus-Werkstätten der hier vorgestellte Tisch entwickelt, produziert und aufwändigen, harten Prüfverfahren unterzogen. Mittlerweile bewähren sich in unseren Werkstätten etwa 20 der vorgestellten Tische in verschiedenen Arbeitsbereichen und ganz besonders im Speiseraum. Aus diesen positiven Erfahrungen heraus entstand die Idee, eine Serienproduktion des Inklusiven Tisches in einem Arbeitsbereich der Werkstätten zu implementieren und damit auch vielen Anderen unsere Problemlösung zur Verfügung zu stellen. Meine Bitte: Sehen Sie sich einmal mehr in Ihrem Umfeld um. Haben Sie schon Ihre optimale Tisch-Lösung gefunden? Achim Kiesewetter Leiter Technischer Dienst Anknüpfend an diese Idee, vielen Kunden unsere Problemlösung nahe zu bringen, gingen wir verschiedene Schritte zur Umsetzung und Markteinführung. Eine Serienfertigung wurde mit einem Partner der Büro- und Objekteinrichtung geplant. Verschiedene Fragen wurden gestellt, z.b. wie unterschiedlich muss ein Tisch aussehen, damit er in die individuelle Umgebung des Kunden passt? Welche Kunden wollen wir erreichen und wen müssen wir dafür ansprechen? Wie funktionierte in den Christophorus-Werkstätten der überzeugende Einzug des inklusiven Tisches? Im Laufe der letzten 2 Jahre haben wir dazu umfangreiche Erfahrungen gesammelt, die die meisten dieser Fragen beantwortet haben. Die Möglichkeit bei der Hauptkomponente mit einem Möbelunternehmen zusammen zu arbeiten, gibt uns die vielfältige Farbauswahl um individuell auf den Kundenwunsch eingehen zu können. Prägnante Aussagen und Beschreibungen geben in einem Flyer Auskunft zum inklusiven Tisch. Mustertische machen das Erleben des inklusiven Gedankens beim Kunden vor Ort möglich. Für die Markteinführung wurden neue, zusätzliche Möglichkeiten der Kommunikation ausgeschöpft. So entstand zum Beispiel ein Produktvideo, welches auf der Internetseite der Christophorus-Werkstätten angesehen werden kann. Im Rahmen der Werkstättenmesse in Nürnberg wurde bereits im letzten Jahr auf dem Stand der Werkstatt vor Ort für den inklusiven Tisch geworben. Ebenfalls im Rahmen der Messe wird die Fortschrittlichkeit und Innovation von Werkstätten präsentiert und im Exzellent - Preis jedes Jahr besonders hervorgehoben und prämiert. In diesem Jahr haben wir unseren inklusiven Tisch als Wettbewerbsbeitrag eingereicht. Dreizehn Produkte konkurrierten um den Exzellent -Preis. Unser Tisch war neben dem Miethuhn, der LED-Uhr, dem Creativo Wein und dem Kaffeeklatsch mal anders eines von fünf Produkten, die für die Preisverleihung nominiert waren. Die siebenköpfige Jury tat sich, nach eigener Aussage, schwer, eines der Produkte als Gewinner auszuwählen. Auch wenn Kaffeeklatsch mal anders der diesjährige Preisträger wurde, haben wir die Möglichkeiten des Wettbewerbes als Werbeplattform im Rahmen der Messe nutzen können. Die Aufmerksamkeit der interessierten Messebesucher wurde auf unser Produkt gelenkt. Viele Interessierte waren anschießend an unserem Stand und gaben uns ein positives Feedback. Damit wurde ein weiterer Grundstein für die noch ausstehende Umsetzung der Serienfertigung gelegt. An dieser Stelle möchte ich den Aufruf und die Bitte von Herrn Kiesewetter, unterstreichen in Ihrem Umfeld genauer hinzuschauen, ob Sie die optimale Tisch- Lösung gefunden haben! Sven Hettwer Abteilungsleiter Eigenproduktion 14 UNTERWEGS 1/2014 ein Tisch, der sich an die Bedürfnisse der verschiedensten Menschen anpasst

15 mittendrin die Bewohner-Seiten Ostern 2014 Ostern Osterhase gemalt von Christin Ruhland mit Unterstützung Osterwünsche von Alexander

16 mittendrin Renate Petzold Christina Gläser Steven Conrad Thomas Kitzrow Waltraud Diehr Steven Conrad Günter Kaufmann

17 Wünsche 2014 mittendrin Und ich bin immer noch hier (Song von City) Obwohl, bis nach Bad Saarow bin ich am 10. Januar 2014 schon mal gekommen; da spielte City im Theater am See, darum habe ich wahrscheinlich noch dieses Lied im Ohr. Aber ansonsten geht es mir wie im oben genannten Text; auch ich bin immer noch hier, allerdings in Rauen. Vielleicht könnt Ihr Euch ja noch an meinen Artikel vom letzten Jahr erinnern; darin beschrieb ich mein Vorhaben, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Bestärkt wurde ich durch den Bericht einer mehrfach behinderten jungen Frau aus Leipzig, die das tatsächlich geschafft hatte. Mit meinen Wunsch und diesen Bericht wendete ich mich an Frau Bley, die mir ihr Interesse und ihre Hilfe zusicherte. Leider bin ich bis heute keinen Schritt weiter. Im Gegenteil, ich mache mir Gedanken, wie lange bleibt mir noch, diesen Schritt in Richtung selbstbestimmtes Leben zu gehen. In diesem Jahr werde ich schon 58 Jahre alt. Und mal ehrlich, als Altersrentner ist der Zug doch für mich abgefahren!!! Martina Lupitz Anneliese Patyna und Anja Dippe Florian Gartler

18 mittendrin Bild Schokoladenhaus von Dieter Becker Osterwunsch von Henry Hopf Bild Kirche, in die wir zu Ostern gehen von Holger Köbsch Bild von K. D. Schwalbe

19 AUS DEN BEREICHEN Wir haben jetzt ein Tantja Was ist ein Tantja?, werden sich jetzt viele fragen. Wer aber unsere Bewohner der Samariteranstalten kennt, weiß, dass es manchmal eigene Begriffe für bestimmte Dinge gibt. So auch in diesem Fall. Im vergangenen Jahr haben wir für unsere Bewohner von Posen/Bethanien, Dank Spendengelder, ein Tandem bekommen. Natürlich kein gewöhnliches Tandem sondern mit entsprechenden Stützrädern im hinteren Bereich. Zu unserem Neujahrsempfang im Januar, zu dem wir auch Angehörige und Betreuer geladen hatten, wurde das neue Gefährt offiziell von unserer Wohnbereichsleiterin Frau Kutzker vorgestellt. Sie bat uns, es recht fleißig zu nutzen. Dies ließen wir uns, die Bewohner und Mitarbeiter von Bethanien 2, natürlich nicht zweimal sagen. Und so ging es an einem Wochenende dann los. Erst mal war es gar nicht so leicht, das große Gefährt aus dem Keller zu bekommen. Aber da wir in Posen ja einen großen Fahrstuhl haben, war dies dann doch zu meistern. Unsere erste Testfahrt endete in der Buchsbaumhecke. Liebe Gala-Gruppe, wir haben wirklich nichts kaputt gemacht. Die Hecke ist doch recht robust. Um dann das richtige Feeling, besonders für die Kurven zu erlangen, fuhren die Mitarbeiter erst mal eine Runde allein. Nachdem wir halbwegs sicher waren, ging es los mit der ersten Runde inklusive Bewohner an Bord. Dies war natürlich für alle ein Heidenspaß, obwohl es schon komisch war, da man ja selbst fahren/treten kann. Am Blick unserer Bewohner konnten wir die Frage Wieso tritt der Mitarbeiter in die Pedale? sichtlich erkennen. Davon verunsichert, wurde das selbstständige Treten erst einmal unterbrochen. Hier stimmt doch was nicht. Nach der 2. Runde im Bethanienhof wurde dann doch mit getreten und siehe da: Wir waren sogar sichtlich zügig unterwegs. Aber nicht schnell genug, um vor unserer fotografierfreudigen Kollegin Frau Dippe davonzukommen. Wir können so ein Tantja wirklich empfehlen. Vor allem im Frühjahr/Sommer werden wir sicherlich des Öfteren zu sehen sein. Hoffentlich dann auch auf dem Tantja und nicht zu oft in der Hecke. In diesem Sinne fröhliches Fahrrad fahren. Anja Scheinert (MA Bethanien 2) UNTERWEGS 1/

20 AUS DEN BEREICHEN Klang schmeckt wie Vanillegummi Zeit schenken Mein Engagement in den Samariteranstalten in Fürstenwalde begann vor nun mehr als einem Jahr. Schon seit meinem 13. Lebensjahr engagiere ich mich ehrenamtlich in unterschiedlichen Lebensbereichen, z.b. in Kinder- und Jugendbereichen in der ev. Kirche und in Fördervereinen von Schulen und Kindergärten. Im letzten Jahr habe ich mich dazu entschieden, zwei Tage im Monat den Samariteranstalten ehrenamtlich zur Verfügung zu stehen. Einen Teil dieser Zeit schenke ich Bewohnern im Altenpflege-Wohnheim Katharina von Bora und den anderen Teil verbringe ich sehr gerne in der Tagesgestaltung im Haus Arche. Wirkung von Klang In 2010 habe ich meine Ausbildung zur Klangmassagepraktikerin Peter Hess abgeschlossen. Seitdem arbeite ich mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Entspannung und Stressbewältigung sowie persönlicher Entwicklung in Gruppen als auch in individuellen Coachings. Mit der sanften Wirkung von Klang die Methode die von Peter Hess 1984 entwickelt wurde kann eine Entspannung und Regeneration auf allen Ebenen geschehen, körperliche Verspannungen können sich lösen und die harmonischen Klänge beruhigen den Geist und die Seele. Die Klangschalen werden dabei auf dem bekleideten Körper oder im nahen Umfeld des Körpers positioniert. Pflegealltag erleichtern und neue Räume eröffnen Von den Schwingungen der Klänge profitieren auch Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen und ebenso Menschen mit Demenz. Der wertschätzende Grundsatz der Akzeptanz bei meiner Klangarbeit und die Einfachheit der Klänge ermöglichen einen direkten Zugang zu den Menschen, wobei Hören und Spüren Priorität haben. Hier baut der Klang sozusagen eine Brücke, jenseits von Worten und damit einen direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Es entsteht dabei ein Raum von Sicherheit und Geborgenheit. Die Menschen werden in der Regel ruhiger und körperliche Verspannungen können sich lösen. Der Klang wirkt sich positiv auf die Bewohner und damit auch auf das Pflegepersonal aus. Ich erlebe dabei, dass über den Klang neue Räume geöffnet werden und wirkliche und wahrhaftige Erfahrungen möglich werden. Die Menschen in der Tagesgestaltung, die eine Tätigkeit in den Werkstätten nicht ausführen können, haben die Möglichkeit, dies auch in der Gruppe zu erleben. Oft genügt eine kurze Klangsequenz mit Einzelnen im Gruppenraum, um einen Wohlfühlraum für diese Personen zu schaffen und dabei profitiert die ganze Gruppe vom Klima im Raum. Die Lebensqualität wird gesteigert und der direkte Kontakt über Hören und Spüren wird aktiviert. Auch die Pflegekräfte im Altenpflege-Wohnheim berichten z.b., dass die Bewohner nach Klangmassagen oft leichter zu versorgen sind und sich besser bewegen lassen. Meine persönlichen Erfahrungen Als ich das erste Mal mit Andreas er sitzt im Rollstuhl, ist blind und liebt Metall gearbeitet habe, hat er die Klangschalen berührt. Er fühlte und schmeckte die Klänge und sagte mir, dass für ihn der Klang wie Vanillegummi schmeckt. Das hat mich sehr berührt, so habe ich selbst Klang noch nie wahrgenommen. Auch Corinna, die meist sehr verkrampft mit angezogenen Beinen sitzt oder liegt, hat sich im Laufe der Zeit während der Klangmassagen deutlich entspannt. Wenn ich heute komme und sie einlade zu den Klängen, dann gibt sie mir bereitwillig die Hände und geht mit mir zum Wasserbett. Zwischenzeitlich entspannt sich ihr Körper, schon bevor die Schalen erklingen und sie lacht und stellt sich die Schalen teilweise selbst auf den Körper. Die Mitarbeiterinnen in der Tagesgestaltung freuen sich mit mir, dass Corinna wieder lachen kann Bei mehreren Bewohnern im Altenpflege-Wohnheim lösen sich im Kontakt mit den Klängen Ängste und Verspannungen. Dies zeigt sich für mich dadurch, dass sie ihre Hände wieder öffnen und ihre Gesichter sich sichtbar entspannen. Im Wohnbereich II habe ich mehrmals mit einer Gruppe von Bewohnern mit Klangschalen gearbeitet. Die Aufmerksamkeit der Menschen folgt den Klängen und einige unruhige Geister bleiben auf ihrem Platz und genießen sichtbar mit geschlossenen Augen den Klang, sie unterbrechen ihre Selbstgespräche oder ihr Tönen, fassen die Schalen teilweise an und genießen die sanften Vibrationen. Ein versonnenes Lächeln oder ein gut sind schöne Zeichen für ein offenbares Wohlbefinden. 20 UNTERWEGS 1/2014

21 AUS DEN BEREICHEN PERSONALIA Sowohl in der Tagesgestaltung als auch im Altenpflege-Wohnheim bin ich sehr herzlich von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgenommen worden. Hier möchte ich auch Frau Matthes und Herrn Weiß besonders danken für den Vertrauensvorschuss, die Ideen und die Wertschätzung meines Engagements. Ich spüre das Interesse vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Samariteranstalten. Letzthin stellte mir eine Mitarbeiterin die Frage: Was machen die Klangschalen denn? Und ich gab ihr eine Klangschale in die Hand, schlug sie an, wir haben uns angeschaut und ich wusste: Sie spürt die Weichheit und die Verbindung, die Klänge schaffen können. Meine Freude ist, dass mein Geschenk so viel Freude und Nutzen auslöst. Meine Vision ist, dass viele Mitarbeiter Klangschalen in ihre Arbeit integrieren können und Klangarbeit genauso dazugehört wie am Morgen die Zähne zu putzen, damit die Menschen in den Samariteranstalten durch die Klangräume im wirklichen Kontakt sind und die Lebens- und Arbeitsfreude unterstützt wird. Die Vision lebt heute schon: Seit Anfang dieses Jahres begleitet mich eine liebe Klangkollegin, Helga Staufenbiel, bei meiner Reise nach Fürstenwalde. Somit klingen wir nun schon zu zweit. Und ich sehe schon jetzt die ersten Ideen wachsen, in welchen weiteren Bereichen in den Samariteranstalten Klangschalen auch durch die Mitarbeiter selbst eingesetzt werden können. Britta Armbröster WIR BEGRÜSSEN im Katharina von Bora-Haus Monique Wege in den Christophorus-Werkstätten Andreas Ohnesorge, Angelika Gebhardt, Fritz Tietz, in der Burgdorf-Schule Iris Blankenburg im Wilhelminenhof Christian Uhlig, Sebastian Hennig im Lutherhaus Ane Rieke, Vivienne Jaffke in der Küche David Braun, Manja Drachenberg im Haus Lydia Karsten Gippner im Christoffelhaus Henry Wilke im Haus Posen Ronny Valentin WIR VERABSCHIEDEN in der Burgdorf-Schule Simone Naumann in den Christophorus-Werkstätten Dirk Gellendin, Stephanie Flick, Marlies Hausschild im Haus Lydia Marco Koick im Haus Posen Katharina Kyris, Silke Koschollek im Haus Bethanien Katja Hoffmann im Katharina von Bora-Haus Christiane Grihn VON UNS GEGANGEN SIND im Katharina von Bora-Haus Frieda Lübke (90) am 30. November 2013 Ursula Walter am 21. Dezember 2013 Helmut Kruse (93) am 30. Dezember 2013 Maria Hinz (88) am 1. Januar 2014 Dr. Werner Kleemann (95) am 15. Januar 2014 Irmgard Bezill (88) am 21. Januar 2014 Brigitte Rasch (70) am 22. Februar 2014 Ingeborg Schmidt (93) am 3. März 2014 Dr. Eduard Weigl (94) am 11. März 2014 Lotte Mehlan (100) am UNTERWEGS 1/

22 AUS DEN BEREICHEN Kribbeln im Bauch und die Lust auf Zärtlichkeit Fahrt zum Erotikworkshop vom 25. Oktober bis zum 27. Oktober 2013 Wir sind nach dem Frühstück vom Lindenhof losgefahren und haben uns in Richtung Niedersachsen auf den Weg gemacht. Als wir ankamen, wurden wir freundlich begrüßt und bezogen jeder ein gemütlichen Einzelzimmer. Anschließend trafen wir uns alle im Frühstücksraum bei Kaffee und frisch gebackenen Kuchen und lernten uns kennen. Es ist Freitagabend im Trebeler Gästehaus und an einem langen Tisch sitzen die verschiedensten Menschen aus den unterschiedlichsten Einrichtungen mit ihren Begleitern/Betreuern. Kerzen brennen, Weingläser stehen auf dem Tisch, Servietten hübsch angerichtet, Kastanien liegen neben bunten Blättern auf der Tischplatte. Die Getränke stehen bereit, Einige löffeln Kürbissuppe, Andere stehen Schlange am reichlichen Büfett. Vorher müssen wir beten, sagte Herr J. und faltet die Hände. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen. Ich bin Lothar Sandfort und ich bin behindert, sagt ein Mann, der in einem Rollstuhl sitzt. Das sehen wir doch, wenn du da in deinem Rollstuhl hockst, sagt Herr J.! Herr Sandfort ist Psychologe und leitet das Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter. Heute beginnt ein Erotik- Workshop. Menschen, die sich nach Sex sehnen, treffen auf Sexualbegleiter, die ihnen Sex gegen Bezahlung anbieten. Wenn Sie ein Date haben wollen, müssen Sie zu dem Sexualbegleitern/innen gehen und ihm oder ihr sagen, was Sie haben wollen, sagt Sandfort, Sie können Sex haben, müssen sie aber nicht. Frau P. reißt den Kopf nach oben und lacht auf. Ick freu mir schon, sagt sie und ihre feuerrot gefärbten Locken wakkeln hin und her. Der Preis für die sexuelle Dienstleistung beträgt 90,-. Das Taschengeld haben die Teilnehmer ausgezahlt bekommen, sodass sie Dienste selbstständig bezahlen konnten. Das ist wichtig, weil sie die sexuelle Assistenz in Anspruch nehmen und dies kostet ihr erspartes Geld. Ich bekomme hinterher ganz normal eine Quittung für meine Abrechnung bei den Betreuer/-innen. Frau P. stellt sich vor. Ich bin in Berlin- Kreuzberg geboren Da schmeißen sie am 1. Mai Flaschen, sagt sie. Seit Jahrzehnten wohnt sie jetzt in den Samariteranstalten und fühlt sich sehr wohl. Früher hat sie in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet und Schrauben für Möbel sortiert. Sie ist seit acht Jahren Rentnerin und kann kaum noch laufen. Langsam setzt sie einen Fuß vor den anderen, krümmt den Rücken, tastet sich an Tischen, Stühlen und Wänden entlang. Frau P. lebt gerne und redet viel. Ihre kratzige Stimme ist laut. Elf Ringe trägt sie an den Händen und um den Hals baumelt eine Kette, an der ein großer Bernstein hängt. Wenn sie ihn ganz nah an ihr Auge hält, kann sie manchmal ein Glitzern sehen. Frau P. lässt sich ein zweites Glas Rotwein einschenken. Ich trinke gerne. Frau P. wünscht sich einen Mann, der sie streichelt und massiert. Ich will Einen, der stark ist, der sagt dann wahrscheinlich zu mir: Zieh dich aus, kleine Maus, sagt sie. Die Sexualbegleiter/innen stellten sich in der Runde vor und sagten: Wenn Sie möchten, dann können Sie uns Daten. Einige von ihnen kommen aus der Schweiz. Der eine Sexualbegleiter sagte, dass er seit einiger Zeit Menschen mit Beeinträchtigungen erotische Dienstleistungen anbietet, von oben bis unten massiert, streichelt, sexuelle Fantasien erfüllt. Sex ist nicht immer drin, denn dafür muss ich selbst erregt sein, sagt er. Er spricht langsam und mit schweizerischem Akzent, zieht die Wörter lang, seine Stimme ist tief und sanft. Er konnte sich früher nicht vorstellen, Sex mit Fremden zu haben. Aber dann entdeckte er Tantra, lernte neue Seiten der Sexualität kennen. Die Dienstleistung, die er anbietet und für die er 90,- Euro in der Stunde bekommt, sei Prostitution, ja, aber keine mechanische Verrichtung von Bewegungen, sondern eine tiefe Begegnung zweier Menschen. Es fällt mir leicht, Menschen Zuwendung zu geben, sagt er und streicht sich durch den weißen Schnauzbart. Frau P. horcht dem Mann zu und sagte Ick hab Lust und ick hab Mut! Sie setzte sich neben ihn. Weißt du, wie alt ich bin?, fragt sie ihn, 73, manche sagen, dass ich jünger aussehe. Ja, das finde ich auch, sagt er Hatten Sie schon mal einen Mann? Nein, nein, nie. Er nimmt ihre Kette zwischen die Finger. Ein Bernstein? Ja, den habe ich mir in Zinnowitz gekauft. Der ist sehr schön. Frau P. lacht, nimmt die Hand des Mannes und hält sie fest. Wie heißt du? Jean Jens? Nein, Jean, das ist ein französischer Name. Oh, französisch. Sie lacht auf. Ich will den Mann fragen, ob er mich anfassen will. Ich bin der Mann. Aaaaah, sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch. Wir beide machen das, sagt Jean. Von mir aus kannst du alles machen, sagt sie, beugt sich zu ihm vor und kichert. Aber das besprechen wir dann unter drei Augen, sagt Frau P. Sie hat nur ein Auge, das andere ist aus Glas. Sie zieht ihre Mundharmonika aus der Tasche und spielt Weißt du, wie viel Sternlein stehen. Das ist aber schön, sagt Jean. Am Sonnabendmorgen treffen sich alle Teilnehmer des Erotikworkshops mit Lothar Sandfort. Sie sitzen im Kreis. Alles, was wir hier reden, ist intim, sagt Sandfort, denn wir reden jetzt über Sex. Das ist doch normal, sagt Frau P. Aber was wir hier machen, das ist nicht normal. Im Hotel massieren sie doch auch. Aber im Hotel geht es um die Muskulatur, hier geht es um das Gefühl im Kopf wenn es im Bauch und in der Scheide kribbelt, dann ist das Erotik, sagt Sandfort. Wenn Sie ein Date mit Jean haben wollen, dann müssen Sie das sagen, Sie müssen sich vorher ein paar Gedanken machen und sagen, was Sie wollen und was Sie nicht wollen, sagt er. Ich will, dass er es mir macht, das habe ich ihm schon gesagt, sagt Frau P. Das ist gut, aber es hört sich so an, als würden Sie zum Schuster gehen, um eine neue Sohle an den Schuh machen zu lassen. Sie müssen schauen, dass es Ihnen dabei gut geht und Sie müssen auch schauen, dass es Jean gut geht. Sie sprechen über Kondome und darüber, dass beim Sex Kinder entstehen können, über Aids und andere Krankheiten. Mit Sex ist das so, dass beide Partner etwas geben 22 UNTERWEGS 1/2014

23 AUS DEN BEREICHEN und etwas bekommen, sagt Sandfort, wir wollen hier kein Bordell sein, sondern wir wollen, dass die, die zu uns kommen, etwas für das richtige Leben lernen. Wenn Ihr eine Freundin/einen Freund habt, dann müssen Sie ja auch fragen, was sie/er mag und was nicht. Am Abend haben Frau P. und Jean ihr Date im Zimmer. Frau P. erzählte, dass sie sich massiert haben und völlig nackt waren und sie will ein zweites Date. Ich will Sexeln, sagt sie und lacht los. Am Sonntag gibt es das zweite Date. Ich hatte einen Mann, sagt Frau P. Da musste ich 73 Jahre alt werden, um das zu erleben. Und jetzt bin ich keine Jungfrau mehr. Am Ende der 3 Tage haben wir uns alle freundlich verabschiedet, Adressen ausgetauscht und festgestellt, dass die Tage von Wärme und viel Menschlichkeit getragen waren. Ich war froh, dass Frau P., Herr J. und Herr K. die Erlebnisse und Erfahrungen machen konnten. Gern möchten sie im nächsten Jahr wieder hinfahren und von einigen Bewohnern der Samariteranstalten wurde ich schon angesprochen, die ebenfalls fahren möchten. Mario Gehringer Dieser Artiel entstand auf Wunsch von Frau P. Meine Erfahrungen als Mitglied des Arbeitskreises Sexualität und Behinderungen in den Samariteranstalten Mein Name ist Mario Gehringer. Ich habe vorgeschlagen nach, Trebel zu fahren und begleitete diesen Erotikworkshop. Ich arbeite im Arbeitskreis Sexualität und Behinderung in den Samariteranstalten mit und gehe offen mit dem Thema Sexualität um. Wir treffen uns monatlich in den verschiedensten Wohnbereichen der Samariteranstalten unter der Leitung von Martina Lipp. Der Arbeitskreis hat schon einiges voran gebracht, wie z.b. die Kontaktbörse zum Finden von Freundschaften oder Partner. Vom Arbeitskreis führen wir 2x im Jahr unsere Liebe!?- Leben!? Veranstaltungen im Festsaal der Samariteranstalten durch. Themen der Bewohner sind z.b.: Was mag ich und was nicht? (Gerüche, Geschmäcker, Berührungen), Was ist typisch Mann oder typisch Frau?, Wie sehen die Geschlechtsorgane von innen und außen bei Frauen oder Männern aus?, Wie entstehen Kinder?, Wie schreibe ich eine Kontaktanzeige?, Wie plane ich ein Treffen?, usw.! Im Lindenhof lade ich zu Männerrunden und Offenen Abenden ein. In den Männerrunden werden unter den Teilnehmern Themen beredet, wie: Die Hygiene beim Mann, Entwicklung vom Jungen zum Mann, wie soll meine Traumfrau oder Traummann aussehen, Selbstbefriedigung, Besuch eines Erotikladens und vieles mehr. Wünsche und Fragen werden aufgenommen und zum nächsten Treffen vorbereitet. Ich bestelle auf Wunsch Sexualbegleiterinnen in meinen Wohnbereich. Die Offenen Abende finden im Festsaal des Lindenhofes alle 2 Monate statt. Diese ist eine Veranstaltung, die für Alle zugänglich ist. Den Offenen Abend mache ich gemeinsam mit Birte Duss aus dem Wilhelminenhof, die mit Bewohner/-innen dazu kommt. Gemeinsam werden z.b. Themen, wie Nähe und Distanz oder welche Situationen habe ich als Mensch mit einer Behinderung erlebt und wie gehe ich damit um, besprochen. Ein positives Ergebnis unserer Arbeit ist, dass Sex und Sexualität mit all seinen Facetten im Leben und Bewusstsein der Bewohner/innen und Mitarbeiter/innen angekommen ist. Die Veranstaltungen haben immer größeren Zulauf. Das Buch Sexualpädagogische Materialien für die Arbeit mit geistig behinderten Menschen (Juventa Verlag Weinheim und München) von der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.v. ist ein sehr gutes Arbeitsmittel, dass ich regelmäßig für die Männerrunden und Offene Abende zum Thema Sexualität im Lindenhof nutze. Ich kann es wärmstens weiter empfehlen. In diesem Buch sind Arbeitsmaterialien zum Kopieren zu sexualpädagogischen Themen und Inhalten: 1. Förderung der Sinnes- und Körperwahrnehmung (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Tasten), 2.Wahrnehmung und Äußerung von Gefühlen und Bedürfnissen 3. Entwicklung einer sicheren Geschlechtsidentität (Lebensgeschichte mit den Themenaspekten der eigenen Familie mit Eltern/ Geschwistern/ Verwandten und wichtigen Bezugspersonen, der sozialen und geographischen Herkunft, wichtige Lebensabschnitte, Ich als Mann oder Ich als Frau ) 4.Körper- und Sexualaufklärung (Frauen, Männer, Geschlechtsorgane, Menstruation, Samenerguss) 5. Beziehungen (Partnerschaft, Verliebtheit, Liebeskummer) 6.Aufklärung über Verhütungsmittel (mögliche übertragbare Geschlechtskrankheiten, Besuch beim Frauenarzt) 7. Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen 8. Bewusstsein der sexuellen Orientierung 9. Prävention (ungewollte Schwangerschaft, sexuell übertragbare Krankheiten und sexueller Missbrauch) 10.Normen und Werte Im hinteren Teil des Buches sind einige Seiten mit Übungen und Spiele, die vorgestellt werden wie Partnerübungen, Körperübungen, Gruppenübungen, und -spiele, Entspannungsübungen. Diese Übungen und Spiele dienen der Selbsterfahrung der Teilnehmer/innen, dem Ausprobieren von Verhaltensmöglichkeiten und zum Teil auch der Einübung von neuen Verhaltensweisen! Im Sozialbüro der Samariteranstalten liegt ein Exemplar zum Anschauen und Ausleihen bereit. Die Arbeitsblätter zu den einzelnen sexualpädagogischen Themen können Sie heraus kopieren. Ihre Klienten können gemeinsam mit Ihnen diese als Anschauungsmaterial zur besseren und leichteren Vermittlung von Wissen nutzen, aber auch zum Ausmalen, Bekleben oder Ausschneiden nutzen. Ich nutze die Arbeitsblätter regelmäßig zu den verschiedensten Inhalten in meiner Arbeit. Sie finden sicher viele neue Anregungen/Ansätze und Ideen in diesem Buch die Sie in Ihren Wohnbereichen mit Ihren Klienten einsetzen und nutzen können. Bei Fragen zu Themen oder sonstigen Wünschen steht Ihnen der Arbeitskreis Sexualität immer offen gegenüber. Zu finden ist der Arbeitskreis mit seinen Ansprechpartnern im Intranet der Samariteranstalten. UNTERWEGS 1/

24 AUS DEN BEREICHEN Sexualität der Bewohner/Belastungen der Mitarbeiter worum sollen wir uns noch kümmern und nein das nicht auch noch. Ich helfe ja gern, aber das geht mich nichts an So oder so ähnlich denkt der/ die eine oder andere Mitarbeiter/in, wenn Sexualität zum Thema wird. Sicher ist das kein Einzelfall in unserem Arbeitsalltag und doch begegnen uns immer wieder neue Themen, auf die wir nicht eingestellt sind. Was macht das mit uns? Unsicherheit, Interesse auf Neues, Nachdenken über die eigene Arbeit oder klinkt es so privat das es nichts mit der Arbeit zu tun hat? Wenn Sie sich dazu positionieren, dann verdrängen Sie es nicht, sondern begegnen ihm. Und das ist ein Anfang In einem professionell arbeitendem Team kann man über seine Emotionen sprechen. So kommt eine fruchtbare Ehrlichkeit und Offenheit ins Gespräch. Es geht darum, Voraussetzungen für gegenseitiges Verständnis zu schaffen, denn sie bildet die Grundlage für Kommunikation und damit für eine bessere Betreuung. In einem verständnisvollen Raum ist die Möglichkeit der Selbstreflexion eher gegeben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, seine Grenzen klar formulieren zu wollen und begründen zu können. Grenzen dienen dazu, den Anderen Klarheit zu verschaffen und sich selbst zu schützen. Es kann sinnvoll sein, seine Grenzen zu erweitern aber auch sie einzuhalten. Wir alle sind durch unsere Sozialisationsund Entwicklungsgeschichte geprägt. Unsere eigene Geschichte hat unsere Haltung stark beeinflusst. Wir vermitteln sie unserem Gegenüber bewusst oder unbewusst durch Worte, unser Tun und Handeln. Sie sind Bestandteil unseres sozialen Handels. Sexualität, die Position hierzu, wie der Umgang damit, wird im Alltag durch unsere Einstellungen geprägt. Sie bilden das Fundament unserer eigenen Person und sind Bestandteil unserer fachlichen Professionalität. Ich möchte versuchen Ihnen einen Blick auf dieses Thema zu geben, wie ich jeden Tag Menschen begegnen, die auf Ihre Begleitung, Unterstützung und Hilfe angewiesen sind, den Sie so vielleicht noch nicht hatten. Sexualität ist nicht angeboren sondern wird lebenslang entwickelt und gestaltet. Sexualität ist ein Grundbedürfnis des Menschen von Geburt an, das sich zu diesem Zeitpunkt durch Wärme, Nähe, Zärtlichkeit und Geborgenheit der Eltern, Geschwister oder auch Großeltern erfüllt oder nicht. Mit dem Erfüllen dieses Bedürfnisses, werden Erfahrungen geknüpft, aus denen sich Einstellungen und soziales Handeln entwickelt. So ist die Förderung der Sinnes- und Körperwahrnehmung und die Äußerung der Empfindungen (Gefühlen und Bedürfnissen) die Grundlage für das eigene Erleben. Diese Äußerung ist nicht auf die Sprache festgelegt, sondern wird in vielen Varianten deutlich (Lächeln, Laute von sich geben aber auch durch Weinen oder Schreien). In den Fortbildungen zu diesem Thema versuche ich, diese Inhalte als Grundlage zu vermitteln und weitere Themen aus dem Alltag zu besprechen. Fragen zur Sexualität begegnen uns in den verschiedensten Formen. Es geht nicht darum, alles was passiert dem Thema Sexualität zuzuordnen, sondern darum, wie wir die Klienten entsprechend ihrer Bedürfnisse und Möglichkeiten begleiten, Sorgen und Probleme hinterfragen und Lösungen anbieten können, weil ein Bezug zur Sexualität besteht und wir aus den Erfahrungen Anderer schöpfen können und erklärende Methoden anbieten. Sexualität gehört zum Leben, in welcher Form auch immer. Helfen Sie mit, diesen Lebensbereich lebbar zu machen. Fragen wie: - Entwicklung einer sicheren Geschlechtsidentität: Typisch Frau/ Typisch Mann; Was bin ich? - Körper- und Sexualaufklärung: Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre, Besuch beim Frauenarzt, Mammographie, Intimpflege - Beziehungen: Freundschaft, Partnerschaft, Liebe, Eifersucht, Liebeskummer - Aufklärung über Verhütungsmittel - Prävention: sexuell übertragbare Krankheiten, sexueller Missbrauch Wie Herr Gehringer auf Seite 23 schon sagte, die Samariteranstalten haben einen Arbeitskreis (AK) Sexualität und Behinderung. Aus jedem Erwachsenenwohnbereich und aus der Werkstatt arbeitet ein/e Kollege/in mit. Wir treffen uns alle 2 Monate und tauschen uns über unsere Arbeit mit den Klienten z.b. in den Männer- und Frauenrunden, zu offenen Abenden, den genutzten Methoden und aktuellen Erkenntnissen aus. Gemeinsam bereiten wir 2x im Jahr einen Informationsnachmittag, mit Musik, Tanz, Wahrnehmungsspielen und Informationen zum Thema Liebe!? Leben!? im Festsaal für die Klienten vor. Die genutzten Methoden zu den verschiedenen Themen werden dokumentiert und sollen Ihnen nach und nach im Intranet zu Verfügung stehen. So ist ein Wahrnehmungskatalog entstanden, den Sie mit Ihren Klienten in Wort und mit Piktogramm als Arbeitsmaterial nutzen und als arbeitstauglich oder schwierig bewerten können und Vorschläge zu Veränderungen rückmelden sollten. Es gibt eine Kontaktbörse, die ebenso entstanden ist und die Sie auf der Intranetseite der Erwachsenenwohnbereiche finden, um sie Ihren Klienten anzubieten. Martina Lipp 24 UNTERWEGS 1/2014

25 AUS DEN BEREICHEN Belastung von Mitarbeitern In der Redaktionssitzung der Unterwegs erfuhr ich von dem Thema für diese Ausgabe. Belastung von Mitarbeitern darum soll es gehen. Gibt es Merkmale, an denen man die Belastung erkennen kann? Wie kann man eigentlich die Belastung der Mitarbeiter messen? Ja, da kommt mir die Idee, eine Krankheitsstatistik unserer Stiftung auszuwerten. Man könnte doch vergleichen, ob unsere Mitarbeiter häufiger krank sind als Kollegen in anderen Einrichtungen. Welcher Bereich schneidet wohl am schlechtesten ab? Ein hoher Krankenstand wäre bestimmt auch ein Indiz für überlastete Mitarbeiter im Beruf. Und in den Medien hört man ja immer wieder, dass die Belastungen und der Krankenstand in Pflegeberufen sehr hoch sind. Was sind da mögliche Ursachen? Eigent- lich eine gute Idee mit Statistiken die Belastungen der Mitarbeiter der Samariteranstalten auszuwerten, die Zahlen liegen mir ja vor und ich brauche sie nur zusammenrechnen. Ist man unzufrieden am Arbeitsplatz, wird man gemobbt, wird es für denjenigen eine Belastung zur Arbeit zu gehen. Stetig steigen die Anforderungen in der täglichen Arbeit. Man hat das Gefühl immer mehr Aufgaben erledigen zu müssen. Wird die Belastung auf der Arbeit zu groß, ist ein Krankenschein vielleicht manchmal der einzige Ausweg dem Druck zu entkommen. Dann bin ich ja auf dem richtigen Weg mit meinen Überlegungen. Fehlzeiten im Beruf als Maßstab für die Belastung am Arbeitsplatz! Die tägliche Post mit der Menge an Krankenscheinen ist ja der Beweis. Also nur eins und eins zusammenzählen und es ist klar, wir sind alle stark belastet, wenn nicht auch überlastet. Ja, die Statistiken sagen es ja, wir sind überlastet, wir sind so oft krank. Gut, dann stimmt das, also fühlen wir uns so und lassen uns vielleicht mitreißen, springen mit auf, auf den Zug. So, dann ist der Artikel fertig!? Aber halt! Da ist doch noch die andere Seite meiner Überlegung. Statistiken hin oder her, mit ihnen lässt sich ja vieles auswerten und begründen. Jedoch was verbirgt sich hinter den Zahlen? Es kann doch nur ein Durchschnitt über alle dargestellt werden. Oft eine Menge an Daten, die einen erst einmal staunen lassen. Lebenssituationen, Schicksale oder auch individuelle Probleme, die jeden einzelnen belasten, die jeder allein zu tragen hat, werden gar nicht berücksichtigt. So wird alles in einen Topf geworfen und verschwindet in der Masse. Danach wäre also jeder belastet? Reihen wir uns vielleicht dann erst recht in die Menge der überlasteten Mitarbeiter ein? Ist ein hoher Krankenstand ein Indiz für überlastete Mitarbeiter im Beruf? Es gibt kein Zweifel daran, dass die Arbeit in der Pflege und Betreuung die Mitarbeiter oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt. In allen Berufen sind die Anforderungen gestiegen. Aber vielleicht verbaut uns gerade der Gedanke, wie belastend doch alles ist, den Blick auf das Wesentliche. Warum übt man eigentlich seine Tätigkeit aus und stellt sich täglich dieser Belastung? Im Grunde, weil man die Arbeit gern macht. So verbaut vielleicht gerade der Gedanke an die Arbeitsbelastung den Blick auf die schönen Dinge des Lebens. Machen zum Beispiel ein Dankeschön, ein Lächeln oder ein netter Schwatz mit Kollegen den Arbeitstag nicht ein bisschen schöner als ständig daran zu denken, wie belastet wir doch als Mitarbeiter sind? Matthias Luban UNTERWEGS 1/

26 GEMEINNÜTZIGE AUFWIND GMBH Früher habe ich oft geheult! Pia möchte aus ihrem Leben berichten und damit mehr als nur ihre Biografie erzählen Eine der ersten Entscheidungen, die Pia getroffen hat, war die, dass sie sich mit ihrem Vornamen und ihrem Gesicht zu ihrer Biografie bekennt. Zu lange hat sie sich versteckt, zu lange geschwiegen. Was sie ertragen musste, möchte sie erzählen, weil es sie befreit, endlich reden zu können. Nicht, weil sie sich für ihr Schicksal rechtfertigen muss, sondern weil ihre Vergangenheit Teil ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft ist. Weil ihr neues Leben ihr altes einschließt. Weil sie endlich in einem Umfeld lebt, das ihr Raum und Freiheit gibt, ihr schweres Schicksal aufzuarbeiten. Und sie verbindet einen Wunsch damit: Vielleicht können ja andere daraus lernen, sich zu wehren! Auch wenn es schwer ist! Ich konnte es viel zu lange nicht! Was sie in den vielen Stunden seit unserer ersten Begegnung im Herbst 2012 aus ihrem Leben berichtet, ist mitunter schwer zu ertragen. Die Bilder im Kopf tun weh, manches mag man sich besser nicht genauer vorstellen. Es ist abgemachte Sache, dass Pia nur das erzählt, was sie möchte. Glauben Sie mir, alles wollen Sie gar nicht wissen! sagt sie. Wie viele Schicksalsschläge musste diese kleine Frau erleiden? Woher nahm sie die Kraft, das alles zu ertragen? Und woher den Mut und die Hoffnung weiter zu machen? Und vor allem: Wie konnte sie das überleben? Pia zuckt mit den Schultern, dann lächelt sie. Noch ne Tasse Tee? Nicht, dass Sie mir austrocknen! Ihr Humor und ihr herzliches Lachen stecken an und vielleicht ist es das, woraus sie ihre Zuversicht zieht. Pia ist 1969 geboren, lebte im Oderbruch und seit September 2012 nach einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt in einer Frankfurter aufwind-wg. Alles, was sie mitbrachte, trug sie in einer Reisetasche und einigen Plastebeuteln bei sich. Von dem, was sie besaß, blieb ihr nichts. Und als sie darüber nachdenkt, meint sie, dass es gut so ist. Sich an Dinge klammern, Verlorenem nachtrauern, nein, das will Pia nicht. Auch das gehört zu ihrer Vergangenheitsbewältigung. Das Leben auf dem Gehöft mit den Großeltern, den Eltern und 6 Geschwistern war hart. Der Alltag auf dem Lande hieß Haushalt, Tierhaltung und Feldarbeit. Und Schläge vom oft betrunkenen Vater, teils so brutal, dass Pia schlimme Verletzungen davontrug, unter denen sie heute noch leidet. Der Alkohol war täglicher Begleiter und verstärkte die Aggressivität des Vaters gegen seine Familie. Etwas Liebe erfuhr sie nur von der Großmutter mütterlicherseits, die in Strausberg lebte und die Pia nur unregelmäßig und meist in großen Zeitabständen besuchen konnte. Sie war der einzige Mensch, der ihr etwas Halt gab, der sie einfach mal in den Arm nahm. Ihre Nähe war schön, es tat mir gut, mit Oma zu kuscheln, erinnert sich Pia. Aber sie konnte Pia nicht beschützen in Momenten, wo sie so dringend Schutz gebraucht hätte. Mit 9 Jahren, im Sommer 1978, wurde Pia mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Schule von einem Auto angefahren. Der Fahrer war wohl der Sohn des örtlichen Parteifunktionärs. Da wurde doch alles gedeckelt, vermutet Pia. Es kam jedenfalls nie zur Aufklärung. Pia erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen und bleibende körperliche und seelische Schäden, musste neu lernen zu sprechen, zu gehen, zu lesen, zu schreiben. Sie war in dieser Zeit ein besonders schutzbedürftiges Mädchen, brauchte Hilfe in fast allen Lebenslagen, die sie aber zu selten bekam. Und dann geschah etwas, was Pia grausam nennt und genau das ist es: Keiner schritt ein, keiner half, keiner war da, als der Vater und ein Bruder Pias Hilflosigkeit ausnutzten und sich im Rausch mehrfach an ihr vergingen. Innerhalb eines Jahres wurde sie zweimal schwanger. Da war sie 10. Der Großvater sorgte dafür, dass nichts nach außen drang. Und er handelte auf seine Weise. Ich mach` dir das weg! sagte er nur. Pia erinnert sich an irgendwelche Kräutermischungen, an Seifenlauge und an die unsäglichen Schmerzen, als der Großvater einen Klistierstab benutzte. Keiner wurde zur Verantwortung gezogen. Wenn du was sagst, stecken sie uns ins Heim und den Vater ins Gefängnis. Du bist dann Schuld, 26 UNTERWEGS 1/2014 Pia fühlt sich in ihrem WG-Zimmer wohl

27 GEMEINNÜTZIGE AUFWIND GMBH wenn die Familie kaputt geht! Diese Warnung hörte sie immer wieder vom Bruder, der sie mißbrauchte. Die Angst war allgegenwärtig, Pia wußte nicht wohin mit ihrem Schmerz, ihrer Wut, ihrer Traurigkeit, ihrer Einsamkeit. Ich bin einfach in den Keller gegangen und habe geheult. Ich habe oft geheult. Und weil ich nicht nach oben wollte, habe ich die Kellerwände geschrubbt, nur, um irgendwas zu machen. In dieser Zeit ertränkte sie zum ersten Mal ihre Not mit Alkohol gelindert hat es ihren Kummer nicht, auch wenn sie ihn kurzzeitig vergessen konnte, wie sie sich erinnert. Und sie schwieg. Jahrzehntelang! Und erst viel später erfuhr sie, dass auch ihre Schwester vom Vater mißbraucht wurde. An einem Herbsttag 1986 wurde Pia von einem ihrer Brüder beauftragt, nach dem bereits erwähnten Bruder zu schauen, weil er nicht pünktlich zum vereinbarten Nachtangeln erschien. Pia fand ihn erhängt auf dem Dachboden einer Scheune auf dem Gehöft der Schwiegereltern in der Nachbarsgemeinde. Denkt Pia daran zurück, dann weiß sie, dass sie traurig und bestürzt war, aber auf eine Art auch erleichtert, weil ich ihn gehaßt habe. Es fällt ihr sichtlich schwer, diese Gefühle zu beschreiben, einzuordnen in dem, was sie erleiden musste. Sie möchte nicht weiter darüber reden. Die Schulzeit hat Pia irgendwie rumgekriegt, krankheitsbedingt setzte sie ein Jahr aus und wiederholte später ein Schuljahr. Nach dem Abschluss der 8. Klasse verließ sie mit 16 Jahren zum ersten Mal das Dorf und begann in Schwedt eine Lehre zur Montagearbeiterin. Heute sagt sie, dass sie irgendwann einen Verdrängungsmechanismus aktiviert hat, auch wenn all die schlimmen Erlebnisse sie nie losließen. Wenn es weh tut, heule ruhig, sagte der Großvater manchmal zu ihr, Tränen trocknen und man kann sie wegwischen... Mehr Zuspruch hat sie nie erfahren zog Pia ins Haus Sonnenfels in der Gemeinde Suelzhain in Thüringen, einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung. Im VEB Industriemontagen Nordhausen qualifizierte sie sich zum Elektrofacharbeiter und arbeitete bis kurz vor der Wende in diesem Betrieb. Eine Mitarbeiterin im damaligen Rat der Stadt Seelow entschied, dass Pia wieder im Elternhaus leben soll. Gefragt, ob sie das möchte, wurde sie nicht. Und Pia hatte wieder nicht die Kraft und den Mut, sich jemandem anzuvertrauen. Bis 1993 arbeitete Pia in einem kleinen Betrieb, in dem sie gemeinsam mit anderen behinderten Menschen Lautsprecherboxen montierte. Am 1. November desselben Jahres begann Pia ihre Arbeit in der format -Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Diedersdorf, später in Seelow. Ich bin allem Stunk aus dem Weg gegangen, antwortet Pia auf die Frage, wie sie in diesen Jahren das Leben im Elternhaus ertragen konnte. Ihre Schwester wohnte in der Nähe, dorthin konnte ich flüchten, wenn es hart kam wie sie sagt. Dort fand sie für kurze Momente so etwas wie Geborgenheit und Ruhe. Kurz vor Weihnachten 2007 starb der Vater. Pia konnte nicht trauern. Nach dem Tod der Mutter im Mai 2011 wohnte Pia gemeinsam mit einem der Brüder weiter im Elternhaus. Dann fand Pia endlich den Mut, ihr Herz auszuschütten und vertraute sich ihrer Hausärztin an. In einer Bekannten aus der Nachbarschaft glaubte Pia, eine weitere Vertrauensperson gefunden zu haben. Auch ihr erzählte Pia alles. Diese Frau beherbergte Pia fast ein Jahr lang, weil das Leben mit dem ständig alkoholisierten und aggressiven Bruder, der sie schlug, trat und menschenunwürdig behandelte, nicht mehr zu ertragen war. Pia machte dann eine weitere, sehr bittere Erfahrung. Schnell merkte sie, dass diese Frau eine Dorftratsche ist, wie Pia sie bezeichnet. Sie breitete Pias Geschichte überall aus und Pia musste erleben, dass die Leute ihr nicht glaubten. So etwas käme im Dorf nicht vor, die Eltern waren immer anständige Leute, der Vater ein angesehener Mann. Pia würde das Andenken beschmutzen. Die Frau stellte Pia als unglaubwürdig hin, als psychisch krank, als undankbar und ungehorsam. Sie veranlasste im Juni 2012 Pias Einweisung in die geschlossene psychiatrische Station des Klinikums Markendorf. Da Pia weder zu der Frau noch zu ihrem Bruder zurück wollte, überwies der Arzt sie nach 3 Tagen auf die Altenpflege-Station, damit Pia wenigstens ein Dach über den Kopf hatte und versorgt war. Der Soziale Dienst des Klinikums regte über die Betreuungsbehörde eine gesetzliche Betreuung an und Pia kam im September 2012 zu aufwind. INFORMATION Die aufwind ggmbh eine Initiative der Samariteranstalten Fürstenwalde/ Spree und der Wichern-Diakonie Frankfurt (Oder). 30 Mitarbeiter begleiten aktuell 134 Klienten an den 3 Standorten Frankfurt (Oder), Fürstenwalde/Spree und Cottbus. Die Assistenzleistungen richten sich an erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und/oder seelischer Beeinträchtigung. Sie sind zeitlich und inhaltlich am individuellen Unterstützungsbedarf orientiert, werden regelmäßig überprüft, besprochen und den Bedürfnissen angepasst. Fachliche Leitung: Frau Diane Krüger Luisenstraße Frankfurt (Oder) Telefon: Fax: Mobil: d.krueger@aufwind-assistenz.de Pia hat in der Frankfurter WG, sagt sie, mit 43 ein neues Leben angefangen und den ganzen Mist aus dem Oderbruch endlich abgehakt. Sie mag ihre Arbeit in den Gronenfelder Werkstätten, ihr Zimmer, das sie sich nach und nach wohnlich und nach ihren Vorstellungen und Wünschen einrichtet und sie genießt es, ihre Freiheit und ihre Privatsphäre zu haben. So selbstverständlich und doch so neu und ungewohnt. Das machen, was ich will, wozu ich gerade Lust habe, selbst entscheiden, bedeutet ihr viel. Pia sagt, es ist ihr wichtig und sie ist dankbar dafür, Menschen an ihrer Seite zu wissen, die sie nehmen, wie sie ist, die zuhören, sie unterstützen, sie beraten und ermutigen. Damit meint sie ihren gesetzlichen Betreuer, die Gruppenleiter in der Werkstatt und die aufwind-mitarbeiter. Und wissen Sie was, Pia? Auch uns ist es wichtig und auch wir sind dankbar dafür, Sie auf Ihrem Weg in Ihr neues Leben ein Stück begleiten zu dürfen. Andreas Dittkrist UNTERWEGS 1/

28 KORCZAK-SCHULE Schüler der Klasse BFS 11 beim Rollstuhltag in Fürstenwalde Sensibilität für Rollstuhlfahrer Ein Bericht zum Projekt Rollstuhltag am in Berlin Am 8. Januar haben wir im Klassenverband eine Exkursion durchgeführt. Wir wollten uns einen Tag lang in die Perspektive eines Rollstuhlfahrers versetzen. Wir haben uns zu Pärchen zusammengefunden und jedes bekam einen Rollstuhl. Die beiden Gruppenmitglieder wechselten sich in ihren Rollen regelmäßig ab, so dass jeder die jeweiligen alltäglichen Situationen aus Sicht eines Rollstuhlfahrers in der Berliner Innenstadt erleben konnte. In diesen Situationen sollten wir vor allem darauf achten, wie Passanten reagieren. Wir empfanden diesen Tag als sehr wichtig, um eine gewisse Sensibilität für Rollstuhlfahrer zu entwickeln. Gerade durch die Rollenverteilung, als Rollstuhlfahrer und als der, der den Rollstuhl schiebt, würde diese Sensibilität besonders in uns hervorrufen. Schlaglöcher, Bordsteinkanten und Pfützen alles Umstände, die für den, der im Rollstuhl sitzt, zur Hölle werden können, wenn der, der schiebt, nicht gut genug sensibilisiert ist und z.b. das Schlagloch nicht als schlimm empfindet. Wenn wir später in den jeweiligen Einrichtungen arbeiten, und Rollstuhlfahrer betreuen, ist es sehr wichtig auf die kleinsten Dinge zu achten. Einige Rollstuhlfahrer haben zusätzlich noch eine Störung der Sprache, oder andere Besonderheiten. Diese Personen können sich nicht äußern, was wir als Betreuer verkehrt machen, umso wichtiger, dass wir das dann erspüren und im Gesicht erkennen lernen. Und los ging es. Unsere Exkursion startete beim U-Bahnhof Friedrich-Wilhelm- Platz. Da wir nach Kreuzberg in die Gneisenaustraße wollten, mussten wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Am U-Bahnhof Friedrich-Wilhelm- Platz gab es leider keinen Aufzug. Deswegen mussten wir zum nächstliegenden U-Bahnhof, um los zu kommen. Wir fragten einen Passanten, wo der nächste U-Bahnhof mit einem Aufzug wäre. Der aufgeschlossene junge Mann erklärte mir den Weg zum U-Bahnhof Walter-Schreiber-Platz. Wir kamen am U-Bahnhof an und suchten dort den Aufzug. Als wir ihn fanden, stellten wir fest, dass der Aufzug nicht in Betrieb war. Der nächste Passant, den wir nach einer Alternative fragten, schickte uns zum Bundesplatz. Am Bundesplatz versuchten wir uns mit einem Smartphone zu orientieren. Wir geben in der VBB-App den Weg von dort zur Gneisenauerstraße ein. Die App schickte uns zum Insbruckerplatz und von dort aus zum Bayrischen Platz. Diese App hat uns leider nicht verraten, dass es dort keinen Aufzug gibt. Wir versuchten also über eine SOS-Säule Hilfe zu bekommen. Auf dieser Säule, gab es einen extra Knopf für Menschen mit Behinderung. Wir stellten unsere Frage und der freundliche Mensch sagte uns, dass wir zurück zum Insbruckerplatz und von dort aus nach Tempelhof fahren sollten. Von dort könnten wir zum Mehringdamm fahren und aussteigen. Dieser Weg nahm zwei Stunden in Anspruch. Am Mehringdamm angekommen, machten wir uns auf den Weg zum Buchladen. Da wir eine Station früher aussteigen mussten, hatten wir noch einen kleinen Fußweg vor uns. Hierbei ist uns aufgefallen, dass die Straßen größtenteils sehr rollstuhlfreundlich gehalten sind. An jedem Straßenübergang gab es abgerundete Bürgersteige, die wir gut passieren konnten. Wir wollten noch schnell zur Commerzbank. Der Eingang stellte sich dabei allerdings als Hindernis da. Man musste zwei Stufen passieren, um in die Bank zu gelangen. Ein junger Mann (ca. 25 Jahre alt) hielt uns die Tür auf, weil mein Begleiter sichtlich Probleme hatte, mich im Rollstuhl die Treppen hochzuziehen und die Tür aufzuhalten. Ohne Hilfe wäre ich dort als Rollstuhlfahrer nie hinein gekommen. Danach gingen wir in den Buchladen. Der Buchladen befindet sich im Keller. Man muss drei Stufen überwinden, um in den Buchladen zu gelangen. Nachdem wir gefragt haben, ob es eine Möglich- 28 UNTERWEGS 1/2014

29 KORCZAK-SCHULE keit gibt, mit dem Rollstuhl in den Buchladen zu gelangen, bat der Besitzer uns um das Haus herum. Dort gibt es eine Rampe, die in den Buchladen führt. Im Buchladen konnte ich mich gut bewegen. Nach dem Buchladen-Besuch, sind wir in einem Nahkauf Supermarkt einkaufen gegangen. Der Ladeneingang war barrierefrei. Die Gänge innen allerdings waren so eng, dass ich mich im Rollstuhl kaum bewegen konnte. Ebenfalls waren die Regale sehr hoch. An den obersten Sachen, bin ich nicht ran gekommen. Bezahlen konnte ich ebenfalls nicht, weil der Kassendurchgang zu eng für meinen Rollstuhl war. Danach haben wir uns wieder auf den Weg zum Ausgangspunkt gemacht. Allerdings haben wir den Rollstuhl dann getragen, weil nicht mehr genug Zeit war, um die Prozedur der Fahrt noch einmal zu durchleben. Zuerst ist zu sagen, dass die Gegebenheiten in den U-Bahn Stationen sehr schlecht sind. Jedenfalls in denen, die wir gesehen haben. Für eine Person, die nicht im Rollstuhl sitzt, wären es 8 Stationen mit einmal umsteigen gewesen. Das hätte max. eine halbe Stunde gedauert. Da wir mit dem Rollstuhl nicht bei jedem Bahnhof aussteigen konnten, weil es keinen Aufzug gab oder dieser kaputt war, haben wir 2 Stunden gebraucht. Die Kanten zwischen den U-Bahnen und dem Steig waren meist nicht sehr groß. Jedoch der Höhenunterschied ist recht beachtlich. Die U-Bahnfahrer hatten in keinem Fall ihre Hilfe angeboten, um die Rampe für Rollstuhlfahrer auszuklappen, die sich am vorderen Eingang befinden. Des Weiteren ist das Internet, was die Funktionalität der Fahrstühle in Bahnhöfen anbetrifft, nicht aktualisiert. Die Fahrstühle sind dennoch groß genug für mindestens zwei Rollstuhlfahrer. Die Gehwege sind sehr behindertengerecht. An nahezu jedem Übergang sind die Gehwege abgerundet. Dazu ist aber zu sagen, dass wir uns nur im westlichen Teil Berlins bewegt haben. Andere, die im östlichen Teil unterwegs waren, berichteten, dass dort die Straßen eher behindertenunfreundlich sind. Das erklären wir uns so, dass es in Westdeutschland schon ab den 70er Jahren Initiativen gab, die für behindertengerechte Straßen gekämpft haben. Das Beispiel mit der Bank, war eines von vielen Negativ-Beispielen. Wir haben sehr viele Eingänge von öffentlichen Gebäuden (Banken, Kaufhaus, MC Donalds, etc) gesehen, die keine geeigneten Rampen hatten, die nur über eine Treppe zu erreichen waren. Wir hatten öfter Situationen, in denen wir Leute nach dem Weg gefragt haben. So haben wir z.b. eine Frau angesprochen, die aus einem kirchlichen Seniorenheim kam. Sie war ca. 50 Jahre alt. Mein Begleiter schob mich auf sie zu. Ich sagte Entschuldigung!, sie drehte sich um. Sie hatte einen freundlichen Blick und schaute mir zuerst in die Augen. Im nächsten Augenblick schaute sie mein Begleiter an. Ich stellte meine Frage, wo der nächste Bahnhof mit einem Aufzug wäre. Sie erklärte mir recht aufgeschlossen, wo er sich befindet und wie wir dort hinkommen. Beim Erklären, schaute sie im Wechsel mich und mein Begleiter an. Wobei sie zum Schluss nur noch Augenkontakt mit mein Begleiter hielt. Eine sehr komische, unangenehme Situation. Ich fühlte mich, als wäre ich nicht mehr Gesprächspartner. Obwohl ich das Gespräch eröffnete. Doch wurde mein Begleiter als Gesprächspartner mit ins Gespräch gezogen. Als wäre ich nicht in der Lage, ihrer Wegbeschreibung zu folgen. Ich bedankte mich herzlich und wir fuhren/gingen weiter. Eine weitere Passantin, sie war ebenfalls ca. 50 Jahre alt, reagierte nicht einmal auf meine Frage, wo es hier zum nächsten Bahnhof geht. Sie schaute mich nur mit großen Augen an und ging an mir vorbei. Als wäre ich ein außerirdisches Wesen. Beim Straßenüberqueren, hielten sehr viele Autofahrer an, um uns rüber zu lassen. Dies wäre wahrscheinlich einer Person ohne Rollstuhl in derselben Situation nicht passiert. Bei den meisten Fahrern war ein breites Lächeln im Gesicht zu vernehmen und ein freundliches, mit der Hand wankendes Zeichen für: Bitteschön, geht rüber! Ich halte an. Ich empfand dies als sehr nett und vielleicht auch als notwendig. Das Überqueren der Straße im Rollstuhl beansprucht mehr Zeit. Da ist es hilfreich, wenn die Autofahrer dem Rollstuhlfahrer eine gesicherte Überfahrt gewährleisten, indem sie den Verkehrsfluss unterbrechen. Die Situation mit den wenigen Augenkontakt ist mir in den verschiedenen Situationen aufgefallen. Jedoch gab es einen Mann (ca. 40 Jahre alt), der das ganze Gespräch lang mich angeschaut hat und auf meine Frage antwortete, wo der Aufzug zur S-Bahn ist. Nach seiner Beschreibung haben wir dann den Aufzug gesucht. Der Mann hat uns die ganze Zeit beobachtet und uns nochmal geholfen, als wir in die falsche Richtung gelaufen sind. Als wir die SOS-Säule betätigten, muss es so ausgesehen haben, als hätten wir überhaupt keinen Plan. Ein Bahnarbeiter bemerkte dies und kam zu uns. Er meinte Hier Jungs, nehmt euch mal das Ding mit! und drückte uns das Berliner Liniennetz in die Hand und fragte, wo wir hin wollen. Wir schilderten unsere Lage und er zeigte, wo es Bahnhöfe mit Aufzügen gibt und welche U-Bahnen wir am Besten nehmen sollten. Dieser junge Herr hielt die ganze Zeit mit mir Augenkontakt. Es gab viele unterschiedliche Reaktionen der Passanten. Einige waren aufgeschlossen und haben uns sofort geholfen. Das waren überwiegend jüngere Leute. Andere haben mich nicht einmal beachtet und wenn, dann nur mit ängstlichen Artikulationsversuchen. Diese Exkursion empfinde ich als sehr wichtig. Auch für kommende Klassen. Die Erfahrungen, die man sammeln kann, beeinflusst den Umgang mit Rollstuhlfahrern extrem. Man wird sensibilisiert und bekommt ein besseres Feingefühl. Wir hatten anfangs jedoch einige Probleme die Exkursion durchzuführen. Da uns dieses Vorspielen einer Behinderung etwas zu schaffen gemacht hat. Johannes Anton Beim U-Bahnfahren lächelten mich sehr viele Menschen mit einem Mitleidslächeln an. Dies brachte irgendwie eine bedrückende Stimmung in mir. UNTERWEGS 1/

30 UNTERWEGS MIT... Paul-Gerhardt Voget im Gebräch mit Undine Täuscher (mi.) und Swetlana Noack (re.)... Undine Täuscher und Swetlana Noack Fachkräfte mit besonderer Verantwortung in der Wichern-Wohnstätte in Forst Frau Täuscher, Frau Noack, Sie sind als Fachkräfte mit besonderer Verantwortung diejenigen, die in der Wichern- Wohnstätte in Forst die Fäden in der Hand halten. Sind Sie gut ausgelastet und vielleicht auch belastet? N: Wir betreuen 16 Kinder und Jugendliche in unseren zwei Wohngruppen, eine junge Frau und 15 Männer im Alter von 9 19 Jahren. Allerdings werden uns jetzt im Sommer drei Bewohner verlassen, auch die junge Frau. Und das ist schon ein bisschen schmerzlich. Schließlich haben wir die Kinder ja bis zu fünf Jahren begleitet und betreut. Wir sind mit ihnen durch Höhen und Tiefen gegangen, haben ihre Entwicklung mitgemacht. Fast wie mit eigenen Kindern. Ja, wir haben fünf Jahre ihres Lebens geteilt. Und dann kommen drei neue Bewohner? T: Der Wechsel ist nicht nur im Sommer. Der letzte neue Bewohner ist im November letzten Jahres gekommen. Wir haben ja als Team doch schon viel Erfahrung, aber es ist immer wieder eine Herausforderung. Schließlich hat jedes Kind seine ganz persönlichen, individuellen Besonderheiten. Unsere Aufgabe ist es, diesen Besonderheiten Raum und Grenzen zu geben. Und natürlich intensiven Kontakt zu den Familien zu halten, Vertrauen aufzubauen. Weil Sie so gefragt haben, Herr Voget: Das ist anstrengend und auch jedes mal wieder belastend. Aber zugleich auch sehr befriedigend. Natürlich: Je mehr Bewohner gehen, desto größer ist die Herausforderung. Weil Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen so gar nicht wissen, was oder besser wer da auf Sie zu kommt? T: So ist es ja nicht. Wir haben vorher Kontakt mit den Eltern, suchen die neuen Bewohner in der Häuslichkeit oder der Voreinrichtung auf. Trotzdem ist es natürlich neu. Nicht nur für uns, auch für die Kinder und Jugendlichen. Dabei fällt immer wieder auf: Manches, was früher auffällig war, ist hier ganz gewöhnlich, kommt gar nicht vor. Andere Verhaltensweisen treten plötzlich auf. Was uns nicht wirklich überrascht. Denn nicht nur der Bewohner ist neu. Wir, das ganze Haus, ist natürlich neu für ihn. Bei uns ist alles ganz anders als bisher. Das führt sozusagen zu einer Wechselwirkung zwischen denen die da sind und denen die neu kommen. Das können wir vorher nicht absehen, wie das Laufen wird. Und jedes mal neue Aufgaben für Sie? T: Na ja, bei der Organisation natürlich. Wir haben aber das Glück, dass die Schule abgesichert ist. Unsere Wichern- Schule ist ganz in der Nähe. Mit Herrn Heinemann sprechen wir regelmäßig und auch mit Frau Richter und Frau Schröter sind wir in gutem Kontakt. N: Aber oft gibt es Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie; fachärztliche Versorgung, die wir organisieren müssen, sofern das nicht die Eltern machen. Nicht zu vergessen, die ganze Dokumentation. 30 UNTERWEGS 1/2014

31 UNTERWEGS MIT... T: Und gelegentlich sind dann schon mal Fahrten zu Fachärzten nach Cottbus und Berlin notwendig. Das muss im Dienstplan berücksichtigt werden. Womit wir noch einmal anders zu Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen kommen. Wie lange sind Sie jetzt mit dabei? T: Schon ziemlich lange. Als ich 1995 angefangen habe ich kam damals aus der Kita-Arbeit waren wir ja noch oben in der Wichern-Schule im Dachgeschoß: Dreibettzimmer, im Sommer konnten wir bei Hitze die Zimmer nicht abdunkeln, wir mussten die Kinder immer über die Schwellen heben, es war alles sehr beengt. Aber wir hatten eine gute familiäre Atmosphäre. Eine Erleichterung kam dann, als wir eine Außenwohngruppe bekamen. Und jetzt sind wir wieder als zwei Gruppen in einem Haus zusammen. Und wir haben uns die familiäre Atmosphäre bewahrt, die auch oft Ausschlag ist, dass Familien ihre Kinder bei uns unterbringen möchten. Ein klein wenig kann uns auch der Dienstplan ich schreibe ihn unterstützen. Ich achte schon darauf, dass wir bei den Kollegen meist haben wir drei Mitarbeiter im Dienst eine gute Mischung haben, Frauen und Männer, erfahrene und neuere Mitarbeiter. Da kann man schon etwas machen. N: So lange bin ich noch nicht dabei. Jetzt gut fünf Jahre. Vorher habe ich im ambulanten Bereich mit erwachsenen Menschen mit Behinderung gearbeitet. Damals wollte und musste ich mich nach acht Jahren Erfahrung neu orientieren, habe 80 Bewerbungen geschrieben und bin dann zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden von Frau Rabe. Diesen Schritt zur Veränderung bereue ich nicht. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist anders als mit Erwachsenen. Erwachsene, gerade wenn sie älter werden, wollen sich nicht mehr groß verändern. Bei Kindern und Jugendlichen geht immer noch was! Also ist diese Arbeit eher eine Erfolgsgeschichte? N: Das meine ich nicht. Bei erwachsenen Menschen mit Behinderung geht es oft eher darum, etwas zu erhalten. Bei Kindern und Jugendlichen geht es eher darum, etwas zu entwickeln, auf den Weg zu bringen oder einen Weg mit zu gestalten. T: Kinder haben oft viel mehr Energie, da geht es lauter zu, da geht es immer wieder um die Stellung in der Gruppe. Und in der Pubertät steigert sich alles noch. Für uns ist wichtig, mit Fingerspitzengefühl zu arbeiten, den Kindern Freiraum zu geben, sie zu unterstützen, eigenbestimmt zu leben. Da finde ich, dass wir schon Erfolge haben, etwa wenn schwierige Bewohner Vertrauen aufbauen, wenn wir guten Kontakt zu den Eltern haben. Und wir sind schon auch ein wenig stolz, wenn wir Besuch bekommen von ehemaligen Bewohnern. Neulich war H.M. bei uns; sie wollte uns alle mal wieder sehen. Das war schon sehr schön. In diesem Heft geht es um Belastungen. Teilen Sie mit uns noch einige Ihrer Belastungen? N: Die größte Belastung ist wohl, alles zu schaffen, alles perfekt machen zu wollen, zu hohe Ansprüche zu haben und die nicht durchhalten zu können. T: Ich möchte einige Sachen unterscheiden: Wir wollen in diesem Jahr auf elektronische Dokumentation umstellen, das elektronische Gruppenbuch einführen. Manche Kollegen freuen sich darauf, andere haben Respekt davor. Oder persönlich: Fast 19 Jahre Schichtdienst sind schon eine Belastung, ständig wechselnde Dienste. Das geht auch am Körper nicht spurlos vorüber. N: Oder: Sich immer wieder auf neue Bewohner einzustellen, ist auch nicht einfach. Und manchmal kommen wir einfach im alltäglichen Umgang mit den Bewohnern an unsere Grenzen. Aber dafür haben wir Supervision bei Herrn Professor Platter. Wir können unsere gelegentliche Hilflosigkeit ansprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Dadurch unterstützen wir uns natürlich auch im Team. T: Das trägt erheblich dazu bei, die Spannungen die wir natürlich erleben und die uns belasten, abzubauen. Wir können entspannter arbeiten. Und noch einmal zum Thema Pubertät: Wenn wir Verständnis für die Bedürfnisse der Jugendlichen haben und in unserer Arbeit einsetzen, Freiräume zulassen, wird auch unsere Arbeit entspannter. Ich verstehe: Es gibt durchaus unterschiedliche Belastungen. Doch Sie finden Möglichkeiten, die auch abzubauen? T: Etwa auch durch Feste, jetzt steht die Frühlingsdisco vor der Tür. N: Privat ist natürlich der Urlaub, die Freizeit ganz wichtig. Und in der Wohnstätte eine gute Organisation. Frau Täuscher und ich sind ja Fachkräfte mit besonderer Verantwortung. Das war eine gute Entscheidung von Frau Rabe, dass wir uns diese Aufgabe teilen. Da sind schnelle Absprachen möglich und wir können uns gegenseitig unterstützen. T: Durch die Aufgabenteilung können wir beide auch mehr Gruppenarbeit leisten. So ist es möglich, schnelle Entscheidungen zu treffen, die Kollegen zu unterstützen und zu motivieren. Es steht immer ein Ansprechpartner bereit. Das hört sich nach einer gesunden Balance zwischen Belastungen, Entlastungen und guten Perspektiven an. Ich freue mich auf den nächsten Besuch in Forst und danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch! Paul-Gerhardt Voget die Wichern-Wohnstätte in Forst Bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen geht es eher darum, etwas zu entwickeln, auf den Weg zu bringen oder einen Weg mit zu gestalten. UNTERWEGS 1/

32 Die Redaktion wünscht allen Bewohnern, Mitarbeitern, Freunden und Partnern ein schönes Osterfest.