Risikomanagement bei der Umsetzung von Tiefengeothermie-Projekten

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1 Risikomanagement bei der Umsetzung von Tiefengeothermie-Projekten 4. Tiefengeothermie-Forum Ingo Sass Sebastian Homuth Technische Universität Darmstadt Fachgebiet Angewandte Geothermie 15. September 2009

2 Risikomanagement Projekte zur Gewinnung und Nutzung tiefer geothermischer Energie erfordern ein sehr spezifisches interdisziplinäres KnowHow hinsichtlich der Erkundung, der Planung und Genehmigung sowie der Ausführung der Förderbohrungen und des übertägigen geothermischen Kraftwerks inkl. des nachfolgenden Betriebs. Die großen Bohrtiefen und physikalischen Verhältnisse stellen höchste Anforderungen an die einzusetzenden Technologien und Materialien sowie an die Qualifikation der Mitarbeiter. Auszug aus dem Entwurf des VBI-Leitfaden Tiefe Geothermie Stand: August 2009 Hohe Anforderungen an den Planer Große Haftungsrisiken! 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 2

3 Projektkonzeption Die Betriebsphase ist hier noch nicht vorgesehen 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt Herzog,

4 Wozu Risiko-Management? Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit X Schadensausmass Das Schadensausmass kann durch Forschung und Anpassung der Technologie reduziert werden.die Eintrittswahrscheinlichkeit wird durch die steigende Nutzung der Geothermie erhöht. Das Risikomanagement muss Projekt- und Betriebsphase einschließen. - Planung - Prognose - Kommunikation - Versicherung - Monitoring - Schadensregulierung 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 4

5 Geothermische vs. Öl/Gas Reservoire Spezifische Eigenschaften Geothermische Reservoire Öl/Gas Reservoire Temperatur mittlere bis sehr hohe Temperaturen ( C) geringere Temperaturen Druckverhältnisse z.t. sehr geringe Drücke, z.t sehr hohe Drücke dito Geologie gebunden an Temperaturanomalien, Tektonik, Wasserwegsamkeiten, Tiefenaquifersysteme Öl-/Gas-Fenster, sedimentologische und strukturgeologische Fallen (Cap Rock, etc.) Lokation des Reservoirs aktive Kontinentalränder, Vulkanismus, Sedimentbecken, Konvektionszonen Sedimentbecken, Kontinentalshelf, Produktionsraten sehr hoch sehr variabel Produktionsfluid evtl. sehr korrosiv oder hoch mineralisiert z. T. hoch viskos, umweltgefährdend Phasen Wasser (Wasserdampf, CO 2, H, H 2 S) Öl, Wasser, Gase Bohrfelder meist nur ein Produktionsfenster mit wenigen Produktions- und Injektionsbohrungen multiple Produktions- und Injektionsbohrungen zur Produktionssteigerung Reservoirstimulierung gesamtes offenes Bohrlochinterval wird stimuliert (Packereinsatz begrenzt) Isolation einzelner Zonen und seperate Stimulierung möglich Exploration besonders in Hochtemperaturfeldern geringere Sicherheiten in der geopyhsikalischen Untersuchungsmethodik höhere Aussagekraft der geophysikalischen Untersuchungsmethoden 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 5

6 Reservoir Charakterisierung Parameter Einheit (typisch) Hydrothermales System Petrothermales System Tiefe Erdwärmesonde Temperatur C oder K Hydraulische Eigenschaften Permeabilität/Leitfähigkeit m² und m/s /- Transmissivität m²/s /- Porosität (effektive) % + +/- +/- Hydraulische Testergebnisse Geothermische Gesteinseigenschaften diverse Wärmeleitfähigkeit W/(m K) +/ Dichte (diverse) kg/t +/ Wärmekapazität Ws / (kg K) +/ verändert nach Stober, Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 6

7 Reservoir Charakterisierung Parameter Einheit (typisch) Hydrothermal es System Petrothermales System Tiefe Erdwärmesonde Temperatur C oder K Fluid Eigenschaften Dichte, Viskosität, Kompr. diverse Eh, ph, κ, TDS diverse Gasparameter im Fluid Pa, [a], diverse Kationen und Anionen [C] n+/n Nicht-ionisierte Substanzen [C] Problematische Substanzen [C] Geologie (Sammelbegriffe) Stratigraphie deskriptiv, m ++ +/- ++ Petrologie, Petrographie diverse, deskr Geometrie 3D visual Spannungen, Seismizität, diverse verändert nach Stober, Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 7

8 Forschungsziel Radioaktivität, z. B. Radon Emanation ist die Radonfreisetzung aus dem kristallinen Untergrund in den Porenraum, in Mikrorisse und Kluftsysteme des flacheren Untergrundes hinein. Das radioaktive Edelgas Radon kann aus Gesteinen austreten oder in das umgebende Grundwasser eindringen und aufgrund der guten Wasserlöslichkeit erhebliche Strecken zurücklegen. 226 Ra -----> 222 Rn + 4 He + γ-strahlung Eine wichtige Rolle für die Emanation spielt die Korngrößenverteilung. Einerseits vergrößert sich während der Gesteinsverwitterung durch mechanischen Aufschluss, Korrosion von Mineralkörnern sowie Neubildung feinkörniger Minerale die innere Oberfläche, die für Diffusions- und Rückstoßprozesse bei der Radonfreisetzung zur Verfügung steht, andererseits reichern sich während Verwitterungs- und Sedimentationsprozessen primär uranhaltige Schwerminerale wie Zirkon, Apatit und Monazit, in denen der isomorphe Einbau radioaktiver Elemente besonders hoch ist, in den kleineren Kornfraktionen an. Quelle: Kemski & Partner, Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 8

9 Geologische Risiken und Anforderungen Abhängig von der Lokation des Bohrvorhabens müssen unterschiedlichste geologische Faktoren berücksichtigt werden: Vulkanische Aktivität Erdbebengefährdung (auch Mikroseismizität im Stimulierungsfall und im Betriebszustand) Geeignete Konzepte für sehr unterschiedliche Aquifersysteme Porengrundwasserleiter Kluftgrundwasserleiter Karstgrundwasserleiter Doppelt-poröses System Störungssystem Nachhaltige Matrixpermeabilität Störungszonen mit entsprechenden Wasserwegsamkeiten Nachhaltiges Wasserdargebot im Tiefenaquifersystem Geothermische Gradienten Antreffen unerwarteter Formationen, Gebirgsdrücke, Fluide 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 9

10 Fündigkeitsrisiko Das Fündigkeitsrisiko bei geothermischen Bohrungen ist das Risiko, ein geothermisches Reservoir mit einer (oder mehreren) Bohrungen in nicht ausreichender Quantität und/oder Qualität zu erschließen. Die Quantität wird definiert über die thermische Leistung, die mit Hilfe einer Bohrung (oder mehrerer Bohrungen) erreicht werden kann. P F c P Leistung [W] ρ F Dichte des Fluids [kg m³] c F isobare spezifische Wärmekapazität [J kg -1 K -1 ] Q Volumenstrom, Förderrate [m³ s -1 ] T i, T 0 Input- bzw. Output-Temperatur [K] oder [ C] F Q Unter Qualität wird im Wesentlichen die Zusammensetzung des Fluids oder der Gase verstanden. Hohe Salinität oder Gasführung können bei Überschreiten von Grenzwerten eine geothermische Nutzung erschweren oder ausschließen. Ab welchem Wert die Quantität und Qualität als nicht ausreichend (ökonomisch nicht akzeptabel) angesehen wird, ist durch den Projektentwickler/Investor festgelegt. T i T 0 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 10

11 Bohrtechnische Risiken Risiken die den Bohrprozess bzw. die Bohranlage direkt betreffen sind vom Bohrunternehmer selbst zu tragen. Hierfür existieren entsprechende Versicherungen. Technische Risiken sind: Materialversagen des Bohrkopfes/Bohrstrangs Versagen der Bohrlochstabilität Verrohrungs-/Zementationsversagen Störung der Wasserversorgung, Zuleitungen, Pumpen, etc. Störungen der Instrumentation der Bohrplattform Versagen der Logging-Werkzeuge Versagen bei Kerngewinnung (Coring-operation) Vermeidung bzw. Minimierung dieser Risiken durch: intensive Materialprüfung Gründliche Wartung der Bohrplattform Geomechanische Modellierung der geeigneten Spülungs-/Bohrlochdrücke gemäß dem erwarteten Spannungsfeld erfahrene und für geothermische Bohrungen geschulte Bohrcrew und Logging-Personal 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 11

12 Induzierte seismische Aktivität (Stimulierungsmaßnahmen) Bewegung von größeren Mengen von Fluiden im Untergrund ist mit dem Auslösen von sog. Man made Earthquakes verbunden Veränderung des hydraulischen (oder fluidstatischen) Druckregimes ist Teil der effektiven Gebirgsspannung Führt zur Reduzierung oder Erhöhung der totalen Gebirgsspannung. Je nach Gestein, tektonischer Vorprägung und räumlicher Anordnung kann die Sprödbruchfestigkeit von geschlossenen Trennflächenpaaren oder massiver Gesteine überschritten werden. Es kommt zum Bruch bzw. zur Bewegung entlang eines Trennflächenpaares freigesetzte Energie Erdbeben 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 12

13 Induzierte seismische Aktivität (Stimulierungsmaßnahmen) Geschlossenes Trennflächenpaar (z. B. Kluft): Schwachstelle Beginn Hydraulische Injektion: Klüfte werden geöffnet Hochdruckphase: Scherspannung erzwingt Versatz Ende der hydraulischen Stimulierung: die Kluft bleibt teiloffen 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 13

14 Induzierte seismische Aktivität (Stimulierungsmaßnahmen) Durch Stimulationsarbeiten und Betriebsregimes in einem geothermischen Reservoir werden diese Erschütterungen zwangsläufig ausgelöst. In aller Regel können diese Beben keine schadens-verursachende Intensität im Sinne der Mercalli-Erdbeben-Intensitätsskala erreichen. Handlungsempfehlung: a) zum Thema in Öffentlichkeitsarbeit machen, b) ständige messtechnische Überwachung, c) Beweissicherung der potenziell betroffenen Infrastruktur d) seismologische Gutachten, da wo sinnvoll eine Prognose erfolgen kann Quelle: Geothermal Explorers Ltd 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 14

15 Soultz, Basel und Landau Landau, M 2,7, Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 15

16 Erdbeben bei Landau: ein Betriebsbeben! Betriebsbedingte Erschütterungen sind eine direkte, unvermeidbare und einzukalkulierende Technikfolge! 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 16

17 Betriebsrisiko (Nachhaltigkeit) - Änderung der Betriebsbedingungen Veränderung der Quantität (Temperatur, Förderrate) Veränderung Qualität (chem. Zusammensetzung) Änderung der Energiebereitstellung Energie die aus einer Bohrung entnommen werden kann: E P t E Energie [J] P Leistung [W] t Zeitdauer der Förderung [s] 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 17

18 Betriebsrisiko (Nachhaltigkeit) - Großräumige Fluidzirkulation Großräumige Fluidzirkulation von einigen Kilometern radialer Reichweite können benachbarte Nutzungen des Untergrundes in vielfältiger Hinsicht beeinflussen. Die Gebirgspermeabilität ist daher neben den Permeabilitäten einzelner Formationen und Trennflächensysteme von fundamentaler Bedeutung. Untersuchung und strukturelle/numerische Modellierung dieser Zustände ab einer frühen Projektphase Die Verlagerung von gelösten (tw. suspendierten) Stoffen durch Fluidzirkulation kann Veränderungen der Reservoireigenschaften herbeiführen (Fouling, Scaling, Clogging etc.) Thermalwässer und Solen können in erheblichem Umfang unerwünschte, weil technisch zu behandelnde oder umweltschädliche Substanzen aus dem Gebirge lösen und transportieren. Das geothermische Arbeitsmedium Wasser wird im Reservoir im Kreislauf geführt. Es darf zu keinerlei Verbindungen zu eventuellen trinkwassergeeigneten Grundwasservorkommen im Hangenden kommen. 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 18

19 Betriebsrisiko: Subsidenz Die hydrostatische Entlastung des Gebirge durch Entnahme von Thermalwasser ohne Reinjektion kann zu großen Subsidenzbeträgen führen. Eine einmal eingetretenen Setzung (geotechnisch meist von untergeordneter Bedeutung) durch Wegfall von Auftrieb in der Formation ist nicht reversibel. Das bedeutet, dass bereits die Betriebstests einer Doublettenanlage möglichst Reinjektionsbedingungen durchzuführen sind. Die Setzungen beeinflussen die Reservoirpermeabilität ungünstig. Die chemischen Ungleichgewichte der hydrothermalen Erschließung sollten so gering wie möglich gehalten werden, da nur so zusätzliches Lösungspotenzial vermieden werden kann. Dazu muss Klarheit oder Plausibilität über die Fluidwege im Untergrund herrschen. Diese Aufgabe kann mit hydraulisch-thermischer Stofftransportmodellierung gelöst werden. 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 19

20 Wairakei-Neuseeland: sichtbare Subsidenz Staubecken in unmittelbarer Nähe zum maximalen Senkungsbereich. Senkungsstruktur entlang eines Drainagekanals DiPippo, Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 20

21 Subsidenz ohne Reinjektion, Wairakei, NZ Subsidenzraten in [mm/a] von 1986 bis 1994 (Allts et al, 1997) Gesamtsubsidenz in [m] (DiPippo, 2007) 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 21

22 Einfluß der Alteration Hydrothermale Mineralreaktionen beeinflussen die Gebirgspermeabilität, die mechanischen Gebirgseigenschaften und die Nachhaltigkeit der Reservoirbewirtschaftung. Alteration wird differenziert in natürliche (Paläo)Alteration und in künstliche Alteration. Geothermiekraftwerke liegen nahe an den Ballungsräumen, daher ist eine Risikobetrachtung notwendig. 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 22

23 Warum Rezirkulieren? Gedankenspiel Im Oberrheingraben sind tiefe Mineralwässer typischerweise mit 100 g/l mineralisiert. Eine typische Dublettenanlage (Q = 60 l/s) fördert daher 6 kg/s gelöste Feststoffe. Bei 8500 h Grundlastbetrieb entspricht das t/a. Bei 2,7 t/m³ Gebirgsdichte entspräche das einem Hohlraum von m³ Daher müssen Geothermiekraftwerke als Kreislaufsysteme betrieben werden. Die Alteration und deren Auswirkungen müssen standortbezogen erkundet, prognostiziert und bewertet werden. 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 23

24 Mechanik und Permeabilität gesteuert durch hydrothermale Alteration Mielke, 2009, Diplomarbeit an der TUD 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 24

25 Hydrothermaler Quarz, Illit, Calcit, Wairakit The fine-grained groundmass is replaced by illite (Il), calcite (Cc) and hydrothermal quartz and feldspar (Hy. Qz + Fsp).A void is filled with wairakite (Wk), calcite and an opaque mineral (Op). Sample W6. 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 25

26 Sekundäre Porenfüllung durch Epidot Acicular epidote (Ep) filling a vug in sample S1. Plane polarised light 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 26

27 VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT 4. Tiefengeothermie-Forum 15. September 2009 Darmstadt 27