FINANZGERICHT HAMBURG

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1 FINANZGERICHT HAMBURG Az.: 5 K 120/11 Urteil des Senats vom Rechtskraft: rechtskräftig Normen: AO 129, AO 173 Abs. 1 Nr. 2 Leitsatz: 1. Die Vorlage einer Kinderfreibeträge ausweisenden Lohnsteuerbescheinigung mit der Steuererklärung rechtfertigt keine Berichtigung eines Bescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit, wenn in dem Mantelbogen keine Angaben zu Kindern gemacht wurden und Anlagen Kind nicht eingereicht wurden. 2. a) Aus den Steuerakten des laufenden Jahres oder des unmittelbaren Vorjahres erkennbare Tatsachen sind i. S. v. 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bekannt. b) Im Rahmen von 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat das Verhalten des Finanzamts bei der Würdigung des groben Verschuldens des Steuerpflichtigen jedenfalls dann außer Betracht zu bleiben, wenn ein Steuerpflichtiger eine Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten begehrt. Überschrift: Abgabenordnung: Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit bzw. neuer Tatsachen Tatbestand: Die Beteiligten streiten um die Änderbarkeit der Einkommensteuerveranlagung für 2007 zugunsten der Kläger. Die miteinander verheirateten Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist von Beruf... und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kläger haben 2 gemeinsame, im Jahr... bzw.... geborene Kinder. Der am über die Prozessbevollmächtigten eingereichten Steuererklärung für das Streitjahr 2007 waren anders als den Steuererklärungen für die Vorjahre "Anlagen Kind" nicht beigefügt. Entsprechend enthielt der Mantelbogen der Erklärung in der Zeile 38 keine Angaben zu Kindern und keinen Hinweis auf eine "Anlage Kind". Der Erklärung waren 2 Ausdrucke elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen zweier Arbeitgeber für 2007 beigefügt (vom für sowie vom für ). In der Bescheinigung vom waren Steuerklasse 3 und 2,0 Kinderfreibeträge notiert, in der Bescheinigung vom für den Zeitraum vom Steuerklasse 6, für den Zeitraum vom Steuerklasse 3 und 2,0 Kinderfreibeträge. In dem am ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2007 (Lohnsteuerakte - LStA - I Bl. 22) berücksichtigte der Beklagte die Kinder weder durch Ansatz eines Kinderfreibetrags noch durch Hinweis auf das Ergebnis einer Günstigerprüfung. Entsprechendes gilt für den am gem. 165 Abs. 2 S.1 Abgabenordnung (AO) in hier nicht streitiger Hinsicht durch Umsetzung des Beschlusses des BVerfG vom zur Entfernungspauschale zugunsten der Kläger ergangenen Änderungsbescheid für 2007 (LStA I Bl. 34).

2 Auch der Steuererklärung für das Jahr 2008 war ohne Hinweis auf Kinder in dem Mantelbogen eine Lohnsteuerbescheinigung mit Eintragung von 2,0 Kinderfreibeträgen beigefügt. Im Rahmen der Bearbeitung dieser Steuererklärung wies der Beklagte die Bevollmächtigten mit Schreiben vom und vom (LStA I Bl. 79 und 81) auf die fehlenden Anlagen Kind hin und bat um Erläuterung bzw. Nachreichung. Mit Schriftsatz vom übersandten die Bevollmächtigten der Kläger jeweils 2 "Anlagen Kind" für die Jahre und baten um Berücksichtigung in den entsprechenden Jahren (LStA 38). Mit Schreiben vom (LStA I Bl. 47) teilte der Beklagte mit, dass angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft der Veranlagung für 2007 eine nachträgliche Berücksichtigung der Kinderfreibeträge nicht möglich sei. Mit am eingegangenem Schreiben vom beantragten die Kläger eine Änderung des Bescheids gem. 129 AO (LStA I Bl. 51). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom ab. Den am eingegangenen Einspruch der Kläger vom wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Für eine Änderung gem. 129 AO fehle es an der notwendigen offenbaren Unrichtigkeit des Fehlers der unterbliebenen Berücksichtigung der Kinderfreibeträge. Hierauf haben die Kläger am Klage erhoben. Die Kläger tragen vor: Der Bescheid vom sei offenkundig unrichtig i. S. v. 129 AO. Der Beklagte habe eine offenkundige Unrichtigkeit der Steuererklärung der Kläger als eigene übernommen. Die Unrichtigkeit ergebe sich eindeutig aus den als Anlage eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen und den hier notierten Kinderfreibeträgen. Insbesondere ergebe sich hieraus auch, dass die Voraussetzungen für die Berücksichtigungsfähigkeit der Kinder vorlägen. Dies folge aus 39 Abs.3 S.1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach die Gemeinde auf der Lohnsteuerkarte, aus der der Arbeitgeber die Daten für die elektronische Lohnsteuerbescheinigung übernehme, die Zahl der Kinderfreibeträge in den Steuerklassen I - IV für jedes unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kind i. S. d. 32 Abs.1 Nr. 1 und Abs.3 EStG einzutragen habe. Zu Erklärungen des Amtes darüber, welche Vorjahresangaben im Amt bei der Erfassung der Erklärung elektronisch sichtbar gemacht würden, aus denen der Bearbeiter Schlüsse hätten ziehen können, könnten die Kläger sich nur mit Nichtwissen äußern. Sofern 129 AO nicht greife, sei als Änderungsnorm auch 173 Abs.1 Nr. 2 AO einschlägig. Wenn - wie der Beklagte meine - die Berücksichtigungsfähigkeit der Kinder der Dienststelle bei der Feststellung der zu entrichtenden Steuern nicht bekannt gewesen sei, sei diese Tatsache spätestens durch den Berichtigungsantrag der Kläger vom bekannt geworden. Im Rahmen des 173 Abs.1 Nr. 2 AO könne eine Tatsache noch nicht als bekannt gelten, die der Beamte lediglich habe kennen müssen. Auch treffe die Kläger kein grobes Verschulden an dem erst nachträglichen Bekanntwerden. Die steuerliche Beraterin der Kläger habe erstmals für das Jahr 2007 eine Erklärung für die Kläger gefertigt. Zu diesem Zeitpunkt seien die berücksichtigungsfähigen Kinder in das EDV-System der Beraterin noch nicht eingepflegt und der Beraterin auch nicht bekannt gewesen. Die Beraterin hätte diese Tatsache allein der Lohnsteuerbescheinigung entnehmen können. Ihr sei mithin derselbe Fehler unterlaufen wie dem Beklagten.

3 Die Kläger beantragen, die Ablehnungsbescheide vom und sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid für 2007 über Einkommensteuer vom dahingehend zu ändern, dass für zwei Kinder Kinderfreibeträge in Höhe von jeweils sowie Freibeträge für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf in Höhe von jeweils berücksichtigt und die Einkommensteuer unter Hinzurechnung des Kindergeldes für zwei Kinder in Höhe von jeweils neu festgesetzt wird. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt vor: Eine offenbare Unrichtigkeit i. S. v. 129 AO liege nicht vor. Aus der Eintragung der Kinderfreibeträge in den Lohnsteuerbescheinigungen könne nicht zweifelsfrei auf die Berücksichtigungsfähigkeit zweier Kinder geschlossen werden, da die Eintragung nichts über die Anzahl (2 volle oder 4 halbe Kinderfreibeträge?) und die übrigen Tatbestandsmerkmale des 32 Abs.4 EStG aussage. Insbesondere sei bei der erfolgten Veranlagung im aktenlosen Verfahren das Fehlen der "Anlagen Kind" nicht offensichtlich. Zwar seien u. a. für das Jahr 2006 die Daten der grundsätzlich berücksichtigungsfähigen 2 Kinder erfasst und verarbeitet worden. Jedoch seien diese Daten bei der Folgeveranlagung des Jahres 2007 nicht automatisch erkennbar gewesen. Dies habe eine Rückfrage bei der für die automatische Datenverarbeitung zuständigen Hauptsachgebietsleiterin ergeben. Entweder hätten die Vorjahreseingaben aufgerufen oder aber die Vorjahresakten herangezogen werden müssen. Nach Auskunft des zwischenzeitlich für die Veranlagung der Kläger zuständigen Finanzamts Hamburg-1 sei bei der Veranlagung der Einkommensteuer 2007 allerdings im Zuge der Verarbeitung der Eingaben ein nicht in den Lohn- bzw. Einkommensteuerakten abgelegter Prüfhinweis erstellt und auf dem Bildschirm sichtbar gemacht worden. Dieser habe die Eigenheimzulage betroffen und dahingehend gelautet, dass die Zulage ggf. neu festzusetzen sei, weil sich die Zahl der Kinder verringert habe. Die Notwendigkeit weitergehender Aufklärung, ggf. auch durch Hinzuziehung der Akten der Vorjahre, schließe 129 AO aus. Auch 173 AO begründe im Streitfall keinen Änderungsanspruch. Möglicherweise scheide 173 als Änderungsnorm schon deshalb aus, weil eine Änderung nach dieser Vorschrift nicht Gegenstand des außergerichtlichen Vorverfahrens gewesen sei. Jedenfalls fehle es an nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen. Bei der Feststellung der zu entrichtenden Steuer unter Berücksichtigung von 2 Kindern handele es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine Schlussfolgerung aus einem entsprechenden Lebenssachverhalt. Dem Senat haben Band I der Lohnsteuerakten, ein Hefter mit Einkommensteuerunterlagen und Band I der Rechtsbehelfsakten vorgelegen. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom wird verwiesen.

4 Entscheidungsgründe: I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte hat die beantragte Änderung zu Recht abgelehnt. Eine Änderung des Bescheides kommt weder auf der Grundlage des 129 AO noch gem. 173 Abs.1 Nr. 2 AO in Betracht. 1. Der beantragten Änderung steht ungeachtet der Bestandskraft des die beanstandete Unrichtigkeit ebenfalls schon aufweisenden Bescheids vom allerdings nicht schon 351 Abs.1 AO entgegen. 351 AO stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Einspruch dar (Bartone in: Beermann/Gosch 351 AO Lfg. Feb Tz. 16). Dabei kann unentschieden bleiben, ob 351 AO im Streitfall schon deshalb nicht greift, weil es sich hier nicht um die Anfechtung einer Änderung durch Einspruch, sondern um einen Einspruch gegen die Ablehnung einer beantragten Änderung handelt. In jedem Fall fände die Ausnahmeregelung in 351 Abs.1 ("es sei denn") Anwendung. Die Bindungswirkung gem. 351 Abs.1 AO schließt danach gerade keine Korrekturnorm aus, die (auch) außerhalb des Einspruchsverfahrens Anwendung findet. Dabei gilt mit der h. M. als "Änderung" i. S. d. 351 Abs.1 AO nicht nur die Änderung gem. 172 ff. AO, sondern auch eine Änderung gem. 129 AO (vgl. Seer in: Tipke/Kruse 351 AO Lfg. Okt Tz. 8). Dies betrifft nicht nur den ersten Satzteil ("Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern"), sondern auch die Ausnahmeregelung ("es sei denn" - vgl. Seer a. a. O. Tz. 21 i. V. m. Tz. 20; Bartone a. a. O. Rn. 14). Die beantragte Änderung des den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom ändernden Bescheids vom ist folglich grundsätzlich sowohl unter den Voraussetzungen des 173 AO als auch unter den Voraussetzungen des 129 AO möglich. 2. Gem. 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten i. S. des 129 AO sind mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- und Übertragungsfehler. Die Unrichtigkeit ist offenbar, wenn der Fehler auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom II R 236/84, BStBl II 1988, 164) ergibt sich aus dem Wortlaut des 129 AO für die dort genannten Schreib- und Rechenfehler, dass diese stets offenbare Unrichtigkeiten darstellen, wohingegen andere Unrichtigkeiten nur unter 129 AO fallen, wenn sie in ähnlicher Weise offenbar sind. Folglich ist jedenfalls für andere Unrichtigkeiten das Merkmal der Offenbarheit eigenständig zu prüfen (s. in diesem Sinne auch Wernsmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler 129 AO Lfg. Nov Rn. 71 und 21; and. Seer in: Tipke/Kruse 129 AO Lfg. Feb Tz. 9: es gebe auch nicht offenbare Schreib- oder Rechenfehler). Weiter ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs maßgeblich, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als

5 offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Unerheblich ist dagegen, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte (BFH Urteil vom VI R 85/10, BStBl II 2013, 5, Tz.19 juris; BFH Urteil vom VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694 Tz. 13; BFH Urteil vom VIII R 15/10, Tz. 16 juris; letzteres mit ausdrücklichem Hinweis auf die krit. Ausführungen bzw. abw. Ansicht bei Seer in: Tipke/Kruse 129 AO Lfg. Feb Tz. 4 ff., der auf die Erkennbarkeit für den betroffenen Steuerpflichtigen aus den diesem bekannten oder zugänglichen Unterlagen abstellt). Von 129 AO nicht erfasst sind hingegen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen. Die Nichtbeachtung feststehender Tatsachen kann nur dann zu einer Berichtigung gem. 129 AO führen, wenn sie ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit hat und offen zutage liegt (BFH Urteil vom VI R 140/81, BStBl II 1985, 569 Tz.12 juris; BFH Urteil vom X R 47/08, BStBl II 2009, 946 Tz. 17 juris mit Hinweis auf die Beispielfälle bei Wernsmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler 129 AO Rn. 55; missverständlich insoweit die pauschale Ausgrenzung in den Entscheidungen des VI. Senats des BFH vom Tz 16 und vom Tz. 10). Besteht auch nur die Möglichkeit, dass der Fehler auf Mängel bei der Ermittlung oder Würdigung des Sachverhalts zurückgeht, kommt eine Berichtigung nach 129 AO nicht in Betracht. Diese Möglichkeit darf allerdings nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr muss sie sich durch vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (vgl. insgesamt zu den Voraussetzungen des 129 AO BFH Urteile vom VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694, vom VI R 85/10, BStBl II 2013, 5, und vom VIII R 15/10, juris). Voraussetzung für die Annahme eines - eine Änderung gem. 129 AO ausschließenden - Rechtsfehlers ist, dass der zuständige Amtsträger die entsprechende Angabe in der Steuererklärung bzw. den vollen Sachverhalt, deren/dessen Erfassung in der Steuerfestsetzung fehlerhaft ist, überhaupt zur Kenntnis genommen hat (von Wedelstädt in: Beermann/Gosch 129 AO Lfg. Aug Rn. 17); im Gegensatz dazu liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn er den richtigen oder vollen Sachverhalt aus Unachtsamkeit oder Flüchtigkeit nicht in seine Willensbildung aufgenommen hat. Eine offenbare Unrichtigkeit "beim Erlass des Verwaltungsakts" kann auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d. h. für das Finanzamt erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (BFH Urteil vom X R 47/08, BStBl II 2009, 946 Tz. 15 juris; BFH Urteil vom X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801; BFH Urteil vom X R 61/81, BFH/NV 1988, 342). Jedoch fehlt es an einer offenbaren Unrichtigkeit, wenn die Finanzbehörde die Unrichtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen nicht ohne weitere Prüfung erkennen konnte und damit die Übernahme dieser Unrichtigkeit nicht ein offenbares Versehen darstellt (BFH Urteil vom a. a. O. Tz. 19 juris; Brockmeyer/Ratschow in: Klein AO 11. Aufl. 129 Rn. 3 und von Wedelstädt a. a. O. Rn. 44). Zudem ist nicht von einer offenbaren Unrichtigkeit auszugehen, wenn sie für den zuständigen Sachbearbeiter nur erkennbar gewesen wäre, wenn er die Steuererklärung der Vorjahre hinzugezogen hätte. In diesen Fällen handelt es sich um eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch - ggf. pflichtwidrig - unterlassene Sachverhaltsermittlung, die kein mechanisches

6 Versehen ist und in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit ausschließt (BFH Urteil vom IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033; BFH Urteil vom X R 47/08, BStBl II 2009, 946; beide Fälle betreffend sog. Übernahmefälle; auf diese wollen Brockmeyer/Rantschow in: Klein AO 11. Auf. 129 Rn. 3, 13 das Verbot der Heranziehung von Vorjahresakten ausdrücklich beschränken; allein für diese Fallgestaltung erwähnen auch Seer in: Tipke/Kruse 129 AO Tz. 14, von Wedelstädt in: Beermann/Gosch 129 AO Rn. 43 und Wernsmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler 129 AO Rn. 75 diese Rechtsprechung). Hiervon zu unterscheiden ist die unterlassene Auswertung einer für das Streitjahr eingegangenen Kontrollmitteilung, das Übersehen eines Grundlagenbescheides oder anderer für das Streitjahr übersandter Unterlagen, soweit aus ihnen die steuerlich erhebliche Tatsache ohne weiteres erkennbar ist (BFH Urteil vom a. a. O. Tz. 21). Einer Änderung gem. 129 AO steht nicht entgegen, dass der zu ändernde Bescheid die Unrichtigkeit aus einem vorangegangenen, geänderten Bescheid übernommen hat (BFH Urteil vom VI R 140/81, BStBl II 1985, 569 Tz.14 juris gegen BFH Urteil vom II 123/63 U, BStBl III 1966, letzeres zu 222 Abs.2 Nr.1, 92 Abs.3 AO a. F.; von Wedelstädt a. a. O. Rn. 21 und 41); dies gilt allerdings nur dann, wenn die Änderung nicht zu einer Willensbildung in Bezug auf den von der offenbaren Unrichtigkeit betroffenen Tatsachen- oder Rechtsbereich geführt hat (BFH Beschluss vom VI B 303/00, BFH/NV 2003, 5; von Wedelstädt a. a. O. Rn. 41). Bei der Würdigung, ob ein mechanisches Versehen oder eine bewusste Entscheidung aufgrund Tatsachen- oder Rechtsirrtums des Amtes vorliegt, sind alle objektiv vorhandenen und erkennbaren Umstände, insbesondere unter Einbeziehung des gesamten Inhalts der Steuerakten, nach der Rechtsprechung des BFH aber auch Umstände außerhalb der eigentlichen Steuerakten zu berücksichtigen; hierzu gehören auch elektronisch gespeicherte Daten, sofern sie ohne weiteres sichtbar gemacht werden können (BFH Urteil vom a. a. O. Tz. 16, 22; Tz. 23 abgrenzend zu dem Urteil des BFH vom VI R 45/10: dieses hatte die Entscheidung der dortigen Vorinstanz - FG Sachsen-Anhalt vom K 98/08, EFG 2010, aufgrund revisionsrechtlicher Bindung an den festgestellten Sachverhalt und dessen tatsächliche Würdigung bestätigt, obgleich das FG von der Rechtsprechung des BFH abweichende Rechtssätze formuliert hatte - s. FG Urteil Tz. 21; s. a. BFH Urteil vom IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004 Tz. 24: Akteninhalt und "Umstände bei der Entscheidungsfindung", z. B. interne Arbeits- und Dienstanweisungen). Zur "Absicherung" der Feststellungen zum Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit hält der BFH eine Beweisaufnahme für möglich (BFH Urteil vom I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139; BFH Urteil vom IV R 76/88, BFH/NV 1991, 457; vgl. a. BFH Beschluss vom VII B 305/05, BFH/NV 2006, 1793 Tz. 12; FG Baden-Württemberg Urteil vom K 113/96, EFG 1998, 522; s. a. von Wedelstädt in: Beermann/Gosch 129 AO Lfg. Aug Rn und 18 mit Hinweis auf die ggf. von dem Gericht festzustellenden Tatsachen; ablehnend demgegenüber Seer in: Tipke/Kruse 129 AO Lfg. Feb Tz. 16; differenzierend Wernsmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO 129 Lfg. Nov 2012 Rn. 71: Das Erfordernis einer Beweiserhebung schließe 129 AO nicht aus. Eine Beweiserhebung sei zulässig, wenn ermittelt werden soll, ob es sich bei der Unrichtigkeit um einen Rechts- oder Tatsachenirrtum handelt. Anders herum: Zur Beantwortung der Frage, ob eine Unrichtigkeit gem. 129 AO offenbar ist, sei eine

7 Beweisaufnahme zulässig, nicht aber für die Frage, ob eine Unrichtigkeit i. S. v. 129 AO vorliegt). Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer objektiven Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft; ein Anscheinsbeweis genügt (BFH Urteil vom IV R 84/06, BFH/NV 2009, 1394 Tz.21 juris). Auf der Grundlage der vorstehenden Rechtsgrundsätze kommt eine Änderung gem. 129 AO nicht in Betracht, da es an einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne der genannten Vorschrift fehlt. Der hier in Rede stehende Fehler ist nicht originär in der Sphäre des Amtes entstanden; vielmehr handelt es sich um einen Fall der Übernahme eines Fehlers in der Steuererklärung des Steuerpflichtigen durch das Amt. Die Erklärung, der hierauf beruhende Bescheid vom ebenso wie der (ersichtlich ohne Willensbildung hinsichtlich der Berücksichtigung der Kinder, sondern aufgrund Änderung in anderer Hinsicht ergangene) Bescheid vom sind objektiv unrichtig, und zwar dergestalt, dass sie die vorhandenen und berücksichtigungsfähigen Kinder nicht erwähnen bzw. erfassen. Die Erklärung enthält entgegen den tatsächlichen Verhältnissen keine in dem Erklärungsvordruck erfragten Angaben zu den tatsächlich berücksichtigungsfähigen - und gem. 32 Abs.6 EStG nicht antragsabhängig, sondern von Amts wegen zu berücksichtigenden - Kindern in Form der Anlagen Kind. Sie ist insoweit unvollständig. Die mit der Erklärung eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen sind nicht Bestandteil der Erklärung. Steuererklärungen gem. 150 AO sind nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben. Demzufolge sind Angaben betreffend zu berücksichtigende Kinder in der Anlage Kind in Verbindung mit einem Hinweis in der entsprechenden Spalte in Zeile 38 des Mantelbogens zu erklären, so dass im Streitfall mangels Vorlage der Anlage Kind und mangels Vermerks in Zeile 38 des Mantelbogens keine (form-)wirksame Erklärung zu den Kindern vorlag. Ungeachtet der fehlenden formwirksamen Angabe zu den Kindern kann die Steuererklärung auch in Verbindung mit den eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen nicht im Sinne einer Erklärung zu berücksichtigender Kinder ausgelegt werden. Zwar können als Anlage zu Steuererklärungen auch Unterlagen eingereicht werden, die dann ggf. zum Inhalt der abgegebenen Erklärung werden. Hiervon kann indes nicht ausgegangen, wenn wie im Streitfall die Erklärung unter Mitwirkung eines Steuerberaters erstellt und ohne weitere Erläuterung weder in dem Mantelbogen ein Hinweis auf die Anlage Kind gegeben noch diese selbst eingereicht wurde. Die genannte Unrichtigkeit hatte der Beklagte sowohl in dem Ausgangsbescheid vom als auch in dem folgenden Bescheid vom übernommen. Indes war die Unrichtigkeit der Steuererklärung nicht offenbar und beruhte folglich die Übernahme deren Unrichtigkeit in den Steuerbescheiden nicht auf einem offenbaren Versehen des Beklagten, da der Beklagte die Unrichtigkeit der Erklärung nicht ohne weitere Prüfung erkennen konnte. Die Unrichtigkeit der Erklärung der Kläger war weder aus der Sicht des Beklagten noch eines unbeteiligten Dritten offensichtlich.

8 Insbesondere war sie nicht allein aufgrund der eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen eindeutig erkennbar. Zwar sind in die Lohnsteuerbescheinigungen gem. 41b Abs.1 Nr. 1 EStG die auf der Lohnsteuerkarte verzeichneten Besteuerungsmerkmale und damit gem. 39 Abs.3 EStG die Kinderfreibeträge zu übernehmen. Allerdings haben die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte den Charakter gesonderter Feststellungen gem. 179 Abs.1 AO nur für den Lohnsteuerabzug, nicht aber für die Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers (vgl. Seifert in: Korn EStG 39 Lfg. Juli 2006 Rn. 25). Mögen unzutreffende Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte gem. 39 Abs.4 EStG jedenfalls im laufenden Kalenderjahr auch umgehend zu korrigieren sein, so ist das Finanzamt mangels Grundlagencharakters der Eintragung für das Veranlagungsverfahren an die Eintragung nicht gebunden und ggf. einer Überprüfung nicht enthoben. Anlass hierfür bestand im Streitfall gerade wegen des Auseinanderfallens der formalen Erklärung (ohne Hinweise auf Kinder) und der Lohnsteuerbescheinigung (mit Angaben zu den Kinderfreibeträgen). Denn es war denkbar, dass die Kläger bewusst z. B. wegen erkannter Unrichtigkeit der Eintragung auf den Lohnsteuerbescheinigungen keine berücksichtigungsfähigen Kinder erklärt haben. Diese Möglichkeit ist nicht nur theoretisch. So kommt z. B. in Betracht, dass die Kinder die maßgebliche Altersgrenze zwischenzeitlich überschritten hatten und die zusätzlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Kindern nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht vorlagen oder aber die hierfür maßgebliche Einkunftsgrenze gem. 32 Abs.6 S.2 überschritten war und dies in der Lohnsteuerbescheinigung nicht berücksichtigt worden war. Die Fehlerhaftigkeit der Erklärung wäre allein durch weitere Aufklärung, insbesondere bei Heranziehung der Vorjahresakten bzw. der Eingaben der Vorjahre erkennbar oder offenkundig geworden. Der Beklagte hat zu dem bei der Veranlagung des Streitjahres nach seinen Angaben angewendeten "aktenlosen Verfahren" glaubhaft erklärt, dass die Eingaben der Vorjahre nicht automatisch bei der Eingabe zur Erfassung des jeweiligen Veranlagungsjahres erkennbar gewesen seien, allerdings ein die Eigenheimzulage betreffender Prüfhinweis der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Art erstellt sowie auf dem Bildschirm sichtbar geworden sei. Auch angesichts dieses Prüfhinweises stellte sich die Situation nicht anders als aufgrund der vorliegenden Lohnsteuerbescheinigungen dar. Denn infolge des Prüfhinweises ist allein Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern deutlich geworden, der weitergehende Ermittlungsarbeit des Beklagten erforderte, nicht aber schon für sich die Unrichtigkeit der Erklärung oder des Bescheids erkennen ließ. Kann aber der zuständige Sachbearbeiter die Unrichtigkeit der Erklärung nicht ohne weitere Prüfung erkennen, liegt eine offenbare Unrichtigkeit bei der Übernahme von Angaben des Steuerpflichtigen nicht vor (vgl. BFH Urteil vom X R 47/08, BStBl II 2009, 946 Tz. 19 juris). Das Unterlassen notwendiger Sachverhaltsaufklärung und eine hierauf beruhende Unrichtigkeit des Bescheids schließt, wie dargelegt, eine offenbare Unrichtigkeit aus. Der Bedeutung unterlassener Aufklärung aufgrund der Lohnsteuerbescheinigung steht nicht entgegen, dass der Beklagte die mit der Erklärung eingereichte Bescheinigung möglicherweise schlicht übersehen hat. Hierauf weist die Reaktion des Beklagten im

9 Rahmen der Veranlagung des Jahres 2008 hin. Diese spricht dafür, dass er auch im Jahre 2007 nachgefragt hätte, wenn er die Bescheinigung des Jahres 2007 bei den Veranlagungsarbeiten für 2007 gesehen hätte. Zwar ist das Übersehen typisch für eine offenbare Unrichtigkeit. Dies kann indes nur gelten, wenn der übersehene Umstand ein solcher war, aus dem sich eine feststehende Tatsache eindeutig ohne weitere Ermittlungsmaßnahmen ergibt. Dies ist bei den Angaben auf der Lohnsteuerbescheinigung aber aus den vorerwähnten Gründen nicht der Fall. 3. Auch 173 Abs.1 Nr. 2 AO eröffnet im Streitfall keine Änderungsmöglichkeit. Gem. 173 Abs.1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Einer Änderung des Bescheides gem. 173 AO steht nicht entgegen, dass die Kläger ihr Begehren außergerichtlich nicht auf diese Norm gestützt haben. Für das erforderliche Vorverfahren gem. 44 Abs.1 Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt es, dass eine Änderung im Sinne der Erfassung der Kinderfreibeträge begehrt wurde. Die rechtliche Begründung hierfür kann im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ausgewechselt oder ergänzt werden. Auch geht es im Streitfall entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht um eine im Rahmen des 173 AO irrelevante geänderte rechtliche Schlussfolgerung, sondern um die Erfassung realer Lebensumstände und damit von Tatsachen, nämlich der Kinder und der für ihre Berücksichtigungsfähigkeit gem. 32 Abs.6 EStG maßgeblichen tatsächlichen Merkmale. Eine Tatsache ist dann nachträglich bekannt geworden, wenn sie dem zuständigen Bediensteten des Finanzamts bei Abschluss der Willensbildung in Bezug auf den zu ändernden Steuerbescheid nicht bekannt war. Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es nicht auf die Kenntnis der "Finanzbehörde" als solche, sondern auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle bzw. der zuständigen Personen (regelmäßig Sachbearbeiter, Sachgebietsleiter und Vorsteher) an (BFH Urteil vom VI R 85/10, BStBl II 2013, 5 Tz.23ff; BFH Urteil vom XI R 48/06, BFH/NV 2008, 367; a. A. Loose in: Tipke/Kruse, AO 173 AO Tz. 31). Anders als bei einer Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen nach 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann eine Tatsache, die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, im Rahmen des 173 Abs.1 Nr. 2 AO nach der Rechtsprechung des BFH nicht als bekannt angesehen werden, die der zuständige Bedienstete lediglich hätte kennen können oder kennen müssen. Die Behörde könne sich nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen (durch Nichtberücksichtigung für den Steuerpflichtigen günstiger Tatsachen) auf ein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen. Maßgeblich sei daher allein die positive Kenntnis (BFH Urteil vom II R 10/08, BFH/NV 2009, 548 Tz. 13, 15; BFH Urteil vom IX R 77/95, BStBl II 1997, 422). Nach der Rechtsprechung des BFH sind alle diejenigen Tatsachen bekannt, die sich aus den von der zuständigen Stelle geführten Akten oder elektronischen

10 Informationssystemen ergeben, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt (BFH Urteil vom VI R 85/10, BStBl II 2013, 5 Tz. 25; BFH Urteil vom VI R 61/09, BStBl II 2011, 479). Dies soll - für 173 Abs.1 Nr. 1 ebenso wie für Nr. 2 - nicht nur für die Akten der Streitjahre oder der Veranlagungsstelle gelten, sondern auch für die Akten der Vorjahre oder die der Rechtsbehelfsstelle vorliegenden Akten (BFH Urteil vom VIII R 3/01, BFH/NV 2002, 473 Tz. 32 ff. juris). Dabei soll - jedenfalls für die Akten der dem Streitjahr vorangegangenen 2 Jahre - unbeachtlich sein, dass diese im Keller abgelegt waren (BFH Beschluss vom IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900). Allerdings soll das Amt den Inhalt archivierter Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen müssen, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen besondere Veranlassung bestand, d. h. die unterlassene Hinzuziehung zur Verletzung einer Ermittlungspflicht führte (BFH Urteil vom X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225 zu Akten weit zurückliegender Jahre ; zu Kellerakten der 2 Vorjahre BFH Beschluss vom IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900 m. w. N.). Die letztgenannten Entscheidungen und die dort zitierten weiteren Entscheidungen sind zu 173 Abs.1 Nr. 1 AO bzw. zu dem entsprechenden 222 Abs.1 Nr. 1 AO a. F. ergangen. Mit Urteil vom VIII R 3/01 weist der BFH für 173 Abs.1 Nr. 1 und 2 AO und gegen abweichende Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur zu 173 Abs.1 Nr. 2 AO für Tatsachen aus Akten des Streitjahres oder des unmittelbaren Vorjahres darauf hin, dass diese ohne Rücksicht auf die bewusste Kenntnisnahme oder noch im Gedächtnis befindliche Kenntnis "bekannt geworden" seien (Tz. 32, 34 juris; Differenzierung nach dem Alter der Akten auch Beermann AO 173, 60 f., 84). Dem schließt sich der Senat an. Zu beachten ist, dass keine Zwangsläufigkeit in dem Sinne besteht, dass im Falle des Verneinens eines offensichtlichen Fehlers im Sinne des 129 AO stets eine neue Tatsache i. S. v. 173 AO vorliegt (vgl. a. Beermann 129, 44 und Tipke/Kruse 129, 15 nur im Sinne einer Möglichkeit). Jedenfalls wenn sich die Berücksichtigungsfähigkeit der Kinder schon aus den Vorjahresakten des letzten und vorletzten Jahres ergibt, liegt auf der Grundlage der vorstehenden Rechtsausführungen keine erst nachträglich nach Abschluss der Veranlagung des Streitjahres bekannt gewordene neue Tatsache vor und scheidet eine Änderung zugunsten der Kläger gem. 173 Abs.1 Nr. 2 AO aus. Selbst wenn man im Streitfall von einer erst nachträglich bekannt gewordenen Tatsache ausgehen wollte, schiede eine Änderung gem. 173 Abs.1 Nr. 2 AO wegen groben Verschuldens der Kläger an dem nachträglichen Bekanntwerden aus. Bei der nach 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erforderlichen Prüfung des groben Verschuldens der Steuerpflichtigen ist auf die nach ihren persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt abzustellen. Diese Sorgfalt muss in einem ungewöhnlichen, nicht entschuldbaren Maß verletzt sein (BFH Urteil vom II R 10/08, BFH/NV 2009, 548 Tz. 17). Grobes Verschulden i. S. des 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt dann nicht vor, wenn die Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht. Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular

11 ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind. Auch muss der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen (BFH Urteil vom X R 53/09, BFH/NV 2012, 545; BFH Urteil vom II R 10/08, BFH/NV 2009, 548; BFH Urteil vom VI R 10/83, n. v. zum Fall eines Steuerpflichtigen, der in der Steuererklärung den Arbeitslohn aus einem ersten Dienstverhältnis nicht erklärt, aber eine Lohnsteuerkarte mit der Steuerklasse VI beigefügt hat). Da die Erklärungspflichten zusammenveranlagter Ehepartner sich auf die von dem jeweils anderen verwirklichten Besteuerungsmerkmale beziehen, muss sich jeder Ehegatte das grobe Verschulden des jeweils anderen zurechnen lassen (BFH Urteil vom I R 62/95, BStBl II 1997, 115). Dies gilt erst recht, soweit sich die Erklärung wie z. B. beim Sonderausgabenabzug oder den Kinderfreibeträgen auf beide Ehepartner gleichermaßen betreffende Umstände bezieht (hierfür auch zust. v. Groll in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO 173 Lfg. Sept Rn. 270). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z. B. BFH-Urteil vom VI R 58/07, BStBl II 2010, 531; BFH Urteil vom III R 44/04, BStBl II 2006, 412; vgl. von Wedelstädt in: Beermann/Gosch AO Lfg. Sept Rn. 94 ff.; krit. Loose in: Tipke/Kruse 173 Lfg. Jan Tz. 82 ff.). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung ( 150 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt. Schon die Kläger selbst hätten bei ihrer Unterschrift unter die nach Vorbereitung durch ihre Berater ausgefüllte Steuererklärung erkennen müssen, dass Angaben zu den Kindern in dem Mantelbogen erforderlich waren. Dass der Bildungsstand der Kläger diese Erkenntnis nicht ermöglichte, ist jedenfalls für den Kläger zu 2 angesichts des nach Aktenlage erkennbaren Ausbildungsberufs als Dreher nicht ersichtlich. Die Klägerin zu 1) muss sich ein grobes Verschulden Ihres Ehemannes zurechnen lassen. Auch wenn die Kläger aufgrund der Vorbereitung durch die Berater und der diesen vorliegenden Lohnsteuerbescheinigungen davon ausgegangen sein sollten, es käme auf die Beantwortung dieser Frage nicht an, so wäre ihnen das grobe Verschulden der Berater zurechenbar. Diese hätten die ihnen von den Klägern vorgelegten Unterlagen sorgfältig lesen bzw. die Kläger ausdrücklich nach etwaigen Kindern fragen müssen. Das Unterlassen entspricht einer groben Verletzung der Beratungspflicht. Allerdings besteht hinsichtlich des Maßes des Verschuldens der Kläger selbst und deren Berater ein Wechselspiel insofern, als die Kläger sich wegen der Vorlage der Lohnsteuerbescheinigung auf die richtige Reaktion der Berater hinsichtlich der Übertragung in den Erklärungsvordruck verlassen haben und die Berater ggf. darauf vertraut haben, dass die Kläger die fehlende Berücksichtigung von vorhandenen Kindern von sich aus bemerken würden. Das den Beratern vorzuwerfende Überlesen der Angabe der Freibeträge in den Lohnsteuerbescheinigungen ist ggf. noch nicht als grobe Fahrlässigkeit einzustufen. Auch wenn sie sich darauf verlassen müssen, dass die Mandanten ihnen den für das Streitjahr maßgeblichen Steuersachverhalt

12 mitteilen, ist es jedoch ihre Aufgabe als fachliche Berater, ggf. durch Abarbeitung der Fragen und Hinweise in den Erklärungsvordrucken relevante Tatsachen zu erfragen, selbst wenn sich für die Berater aus den Unterlagen keine augenscheinlichen Hinweise ergeben. Dass auch das Finanzamt im Rahmen der Veranlagungsarbeiten 2007 die Hinweise auf Kinder in der Lohnsteuerbescheinigung übersehen hat bzw. ihnen ebenso wie den sich aus dem Prüfhinweis ergebenden Anhaltspunkten nicht nachgegangen ist, entlastet die Kläger nicht. Zum einen wäre bei Abwägung der beiderseitigen Sorgfaltspflichtverletzungen angesichts der primären Verantwortung der Steuerpflichtigen für die Mitteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und der vollständigen persönlichen Angaben die Verantwortung dem Steuerpflichtigen aufzuerlegen. Zum anderen hat das Verhalten des Finanzamts nach ständiger Rechtsprechung bei der Würdigung des groben Verschuldens des Steuerpflichtigen jedenfalls dann außer Betracht zu bleiben, wenn ein Steuerpflichtiger eine Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten begehrt (vgl. BFH Urteil vom III R 24/87, BStBl II 1992, 65; BFH Urteil vom III R 78/91, BFH/NV 1993, 641). II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf 135 Abs.1, 115 Abs.2 FGO.