Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. zum Konsultationspapier Verbraucherschutz bei Altersvorsorgeprodukten

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1 Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbandes zum Konsultationspapier Verbraucherschutz bei Altersvorsorgeprodukten der dritten Säule Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. vzbv Team Finanzen Markgrafenstr Berlin

2 Vorbemerkung Mit ihrer Konsultation beabsichtigt die Generaldirektion, die spezifischen Schwierigkeiten festzustellen, denen Verbraucherinnen und Verbraucher im Zusammenhang mit Vorsorgeprodukten der dritten Säule begegnen, und den Verbraucherschutz bei Vorsorgeprodukten der dritten Säule zu verbessern. Die Ergebnisse der Konsultation sollen in eine breit angelegte Initiative einfließen, die auf die Schaffung eines echten verbraucherfreundlichen Binnenmarkts für persönliche Altersvorsorgesysteme abzielt. Die Frage nach einer bedarfsgerechten kapitalgedeckten Altersvorsorge über Vorsorgeprodukte der dritten Säule und die Notwendigkeit für einen am Bedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichteten, funktionierenden Binnenmarkt ist von herausgehobener gesellschaftlicher Bedeutung. Es ist daher zu begrüßen, dass sich die EU-Kommission diesem Anliegen der EU-Bürger annimmt. Allerdings zeigen die Fragen, dass die EU-Kommission die Problemdimension des Anliegens nicht voll erfasst und ihre Lösungsansätze auf einem unvollständigen Verständnis des Marktes für Vorsorgeprodukte der dritten Säule beruhen. Anderes als die Fragen der EU- Kommission nahelegen, unterliegt der Markt für Vorsorgeprodukte der dritten Säule einem unüberwindbaren Informationsproblem, welches durch die gegebenen Anreizstrukturen verstärkt wird. Vorsorgeprodukte und Finanzberatung sind so genannte Vertrauensgüter. Vertrauensgütermärkte funktionieren nicht ohne einen strukturierenden Eingriff des Staates. In der Regel erfolgt dieser Eingriff mittels Transparenzmaßnahmen und staatlichem Monitoring. Handelt es sich jedoch bei den Vertrauensgütermärkten zugleich um Wohlfahrtsmärkte, deren Funktionieren sich erst und abschließend in der Zukunft (d.h. bei Renteneintritt) offenbaren, reichen diese Instrumente nicht mehr aus, um über den Marktmechanismus das für Verbraucherinnen und Verbraucher bedarfsgerechte Ergebnis zu erzielen. Zumal ein Fehlschlagen der Marktkoordination zum Verlust der Altersabsicherung führt und damit für Verbraucherinnen und Verbraucher Auswirkungen hat, die sie mangels Einkommen nicht mehr korrigieren können. Insbesondere die Erfahrungen in den Niederlanden und Skandinavien zeigen umfassend, dass Transparenzmaßnahmen die Märkte für Vorsorgeprodukte der dritten Säule nicht im Bedarfsinteresse der Verbraucherinnen und Verbraucher funktionieren lassen. Es ist daher erforderlich, dass sich die EU einem Instrument öffnet, das 1. die vermögensbildenden Vorteile kapitalgedeckter Vorsorge mittels einer hohen, breit diversifizierten Anlagesumme mit den Anforderungen an Effizienz und Bedarfsgerechtheit verbindet und 2. die Nachteile der bisherigen Systeme der atomisierte Anlageentscheidungen und der damit einhergehenden Übervorteilung der Verbraucher durch opportunistisches Verhalten der Produkthersteller und Finanzberater vermeidet. 3. Diese Möglichkeit bieten staatliche Produkte nach dem Vorbild der skandinavischen Pensions-/Staatsfonds. Der Verbraucherzentrale Bundesverband und die Verbraucherzentralen begrüßen diese Zielsetzung der Generaldirektion und nehmen zu den Fragen des Konsultationspapiers wie folgt Stellung:

3 Antworten 1. Eignet sich die nachstehende, im Fragebogen von 2012 verwendete Definition zur Identifizierung von Vorsorgeprodukten der dritten Säule? Als Vorsorgeprodukte der dritten Säule gelten jegliche private Vorsorgeprodukte, die Verbraucherinnen und Verbraucher individuell [also nicht im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsverhältnis] entweder freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung abschließen. Nein. Diese Definition schließt ein breites Spektrum vollkommen unterschiedlicher Finanzdienstleistungen von der Pflegeversicherung über die Krankenversicherung bis hin zur lebenslangen privaten Rentenversicherung und einem über einen befristeten Zeitraum abgeschlossenen privaten Fondsentnahmeplan ein. Zielführend ist daher eine Klarstellung, die zwischen dem Erwerb von kapitalbildenden Produkten und dem Erwerb von Versicherungsschutz unterscheidet. Eine Vermischung dieser verschiedenen Produktarten ist aufgrund der inhärenten unterschiedlichen Bedarfe nicht zielführend. 2. Wenn nicht, was wäre die angemessenste gemeinsame EU-Definition für Vorsorgeprodukte der dritten Säule? Angemessen ist die folgende Definition: Als Altersvorsorgeprodukte der dritten Säule gelten private Verträge, die Verbraucherinnen und Verbrauchern individuell [also nicht im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsverhältnis] entweder freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung ab einer bestimmten Altersgrenze einen kontinuierlichen Entsparvorgang in Kraft setzen. Auf dieser definitorischen Grundlage wird im Folgenden die Stellungnahme verfasst. 3. Was sind die Hauptrisiken für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn sie ein Vorsorgeprodukt der dritten Säule erwerben? Das Hauptsrisiko für Verbraucherinnen und Verbraucher beim Erwerb von Vorsorgeprodukten ist das opportunistische Verhalten der Produktanbieter und der Finanzberater. Dieses Risiko ist den Vorsorgeprodukten der dritten Säule unauflösbar inhärent. Verbraucher werden nicht zu Vorsorgeexperten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Verhaltensökonomie untermauern, dass die Beurteilungs- und Entscheidungskompetenz vieler Verbraucher unzureichend ist. Das Gros der Verbraucher wird auch, wenn er besser informiert werden würde, weiterhin auf individuelle Beratung zur Altersvorsorge angewiesen sein. Hier sind nach unserer Auffassung zwei Probleme festzustellen: Viele Verbraucher können kaum die Qualität der Finanzberatung beurteilen. Sie müssen auf die Kompetenz und Seriosität der Verkäufer von Finanzprodukten vertrauen können. Dieses Vertrauen wird aber mit Blick auf Vertriebstests sowie nach Aussagen von Vertriebsmitarbeitern enttäuscht. Vorsorgeprodukte werden verkauft. Der Vertrieb wird wie der Verkauf von Finanzdienstleistungen insgesamt über Provisionen gesteuert. Die Politik hat sich sogar dieses Mechanismus bedient, um den Absatz von Riester-Produkten anzukurbeln. Mit dem Alterseinkünftegesetz wurde die Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten von mindestens zehn Jahren auf mindestens fünf Jahre reduziert. Dies war ein Kniefall vor dem Vertrieb, weil der Vermittler nun gleich zu Beginn des Vertrages höhere Provisionen ausgezahlt bekommen konnte. Das Ergebnis ist ein Verkauf am Verbraucher vorbei. So werden hauptsächlich provisionsträchtige, nicht aber für den Verbraucher passende und auch nicht unbedingt günstige Produkte verkauft Gleichzeitig führt die Vertriebsmethode zu einer schlechten oder fehlenden

4 Betreuung während der Vertragslaufzeit. Wozu dies führen kann, zeigte sich beispielsweise 2011: Das Bundesministerium für Finanzen kündigte an, dass die Zentrale Zulagenstelle für die Jahre 2005 bis 2007 rund 500 Millionen Euro, die Sparer auf ihren Konten bereits als Zulage gutgeschrieben worden waren, zurückgefordert werden sollten. Als mögliche Ursachen für diese Rückforderungen wurden neben der förderschädlichen Vertragskündigung auch Änderungen bei der Förderberechtigung angeführt. Eine Reihe von Sparern hatte offensichtlich nicht den Eigenbeitrag eingezahlt, der erforderlich ist, um die volle Zulage zu erhalten. Bei einer guten Vertragsbetreuung durch die Anbieter hätten diese Rückforderungen zumindest minimiert werden können. Eine weitere Folge dieses Provisionssystems über eine Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten Vertragsjahre ist ein erheblicher finanzieller Schaden bei einer vorzeitigen Vertragskündigung, weil mit den Beiträgen der Verbraucher zu einem wesentlichen Teil zunächst die kalkulierten Kosten beglichen werden und kein auszahlbares Kapital gebildet wird. Nach einer Studie, für die konkrete Beratungsfälle der Verbraucherzentrale Hamburg im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer vorzeitigen Kündigung von Lebensversicherungen ausgewertet wurden, liegt der durchschnittliche Schaden für den Verbraucher bei einem vorzeitigen Vertragsabbruchs bei Euro. 4. Für wie problematisch halten Sie die Asymmetrie zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und Anbietern beim Informations- und Kenntnisstand bezüglich Vorsorgeprodukten der dritten Säule? Die Informationsasymmetrie ist von gravierender Bedeutung, da sie das Funktionieren des Marktes für Produkte der dritten Säule grundsätzlich verhindert und sich so direkt negativ auf die im Alter zur Verfügung stehenden Vorsorgeleistungen (Rente aus der dritten Säule) auswirkt. Das Funktionieren des Marktes misst sich nicht daran, dass Transaktionen stattfinden, Verbraucher also Produkte erhalten. Das Funktionieren muss sich ausschließlich daran messen lassen, dass die Transaktionen zum Erwerb bedarfsgerechter Produkte führen. Bei der Informationsasymmetrie handelt es sich um ein unüberwindbares Informationsproblem, welches durch die gegebenen Anreizstrukturen (Provisionen) verstärkt wird. Finanzberatung ist ein so genanntes Vertrauensgut (credence good)! Die Qualität eines Vertrauensgutes ist von den Verbraucherinnen und Verbrauchern weder vor noch nach einer Transaktion sicher feststellbar. Die Qualität von Produkten oder Beratungsleistungen zur privaten Altersvorsorge ist nicht einmal bei Renteneintritt ermittelbar, da ihnen die relevanten Informationen zu alternativen Anlageempfehlungen und deren Ergebnisse nicht vorliegen. Finanzberatung zu Vorsorgeprodukten der dritten Säule wird von Vermittlern durchgeführt, die ein unmittelbares Verkaufs- und Verdienstinteresse haben. Das Einkommen der Vermittler richtet sich nach den im Produkt einkalkulierten Provisionen. Es besteht daher ein klarer Anreiz zur Vermittlung provisonsträchtiger Produkte. Eine Beratung durch einen Vermittler wird daher nicht zu einem Ergebnis kommen, dem ausschließlich das Interesse des ratsuchenden Verbrauchers an bedarfsgerechten Produkten der dritten Säule zugrunde liegt. Einen Einblick in das diese Problematik widerspiegelnde Marktgeschehen geben die Marktuntersuchungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen. So offenbart etwa die Beratungspraxis der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, dass in 88 Prozent der Fälle Verbrauchern Produkte der dritten Säule verkauft werden, die nicht ihrem Bedarf entsprechen. 1 In 75 Prozent der Fälle sind die Verträge schlicht zu teuer, denn es 1 Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.v., Marktbeobachtungen zur Finanzberatung - Finanzberatung ist nicht bedarfsgerecht,

5 gibt stets Alternativen mit vergleichbarem Chance- und Risikoprofil zu für den Verbraucher deutlich günstigeren Konditionen. Untersuchungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen im Rahmen ihrer Initiative Finanzmarktwächter zeigen Desweiteren, dass Unternehmen die Auskunftsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Provisionsoffenlegung missachten 2 Unternehmen gesetzlichen Aufklärungspflichten zur Provisionsoffenlegung umgehen: aus Kommissionsgeschäften werden Festpreisgeschäfte 3 Dokumentationspflichten der Beratung entgegen der Intention des Gesetzgebers zur Haftungsfreizeichnung umgewidmet werden. Die beobachtete Praxis stellt damit das erklärte Ziel der gesetzlichen Regelung auf den Kopf. 4 gesetzlich vorgeschriebene Produktinformationsblätter die Vorsorgeprodukte der dritten Säule nicht transparenter und verständlicher machen aufgrund absichtsvoll eingesetzter uneinheitlicher Nomenklatur und Bewertungskriterien 5 5. Haben die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf von Vorsorgeprodukten der dritten Säule besondere Bedürfnisse, die besser berücksichtigt werden müssen, zum Beispiel mit Hilfe freiwilliger EU-Kodizes oder Zertifizierungssysteme zu Verbraucherinformation (Transparenz) und Schutzstandards? Ja, die besonderen Bedürfnisse der Verbraucher sind vollständig zu berücksichtigen, was heute nicht geschieht. Dem Kauf von Vorsorgeprodukten der dritten Säule liegt das fundamentale Bedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher zugrunde, im Alter bzw. bei Renteneintritt finanziell dergestalt abgesichert zu sein, dass sie mindestens gegen Altersarmut geschützt sind oder - besser - ihren Lebensstandard halten können. Um dieses Bedürfnis befriedigen zu können, besteht auf Seiten der Verbraucher der Bedarf an Produkten, welche ihnen gewährleisten, dass sie zum Zeitpunkt des Renteneintritts aus dem ihnen finanziell möglichen Kapitaleinsatz maximale Vorsorgeleistungen erhalten. Der Erwerb von Vorsorgeprodukte der dritten Säulen spiegelt auf Seiten der Verbraucher unter gar keinen Umständen das Bedürfnis nach Unterhaltung und Anspannung (Spekulation) wider, welches sich am Markt etwa durch den Abschluss von Kapitalmarktwetten ausdrücken würde. 2 Initiative Finanzmarktwächter, Offenlegung von Provisionen und Rückvergütungen im Wertpapiervertrieb - Gesetzlicher Anspruch und praktische Wirklichkeit, Initiative Finanzmarktwächter, Keine Transparenz in der Finanzberatung - Statt Fortschritt droht Rückschritt, Initiative Finanzmarktwächter, Aufzeichnungspflichten in der Anlageberatung - Stärken Beratungsprotokolle die Rechte der Verbraucher?, Verbraucherzentrale Bundesverband e.v., Untersuchung von Produktinformationsblättern - Analyse und Ergebnis,

6 Wenn ja, wie könnte die Verbraucherinformation (Transparenz) verbessert werden? Bitte behandeln Sie die vorvertragliche und die vertragliche Information. Transparenzmaßnahmen lösen das Problem der Informationsasymmetrie bei Vorsorgeprodukten der dritten Säule nicht und dies völlig unabhängig von der Unterscheidung zwischen vorvertraglich und vertraglichen Informationen. Transparenz über Produkteigenschaften ersetzt eine bedarfsgerechte Beratung ebenso wenig wie ein Medikamentenbeipackzettel die medizinische Diagnose eines Arztes ersetzt. Bei der Etablierung von Transparenzmaßnahmen geht der Gesetzgeber davon aus, dass bestehende Mängel in der Transparenz wesentlicher Produkteigenschaften durch zusätzliche Produktinformationen beseitigt werden könnten. Er geht zugleich davon aus, dass Verbraucher in der Lage sind, die zusätzlichen Informationen hinsichtlich der Vollständigkeit, Verlässlichkeit und Verständlichkeit sowie Eignung und Handlungsrelevanz zu bewerten. Bei Vertrauensgütern ist den Verbrauchern diese Möglichkeit aber per se verwehrt. Um diese Bewertung vornehmen zu können, müssten Verbraucher sowohl uneingeschränkten Einblick in den Prozess der Produktgestaltung und die Produktzusammensetzung besitzen, als auch über Wissen und Kenntnisse verfügen, die sie in die Lage versetzen, die Beratungsaussagen der Finanzberater hinsichtlich deren Verlässlichkeit, Vollständigkeit und Handlungsrelevanz bewerten zu können. Dies setzt also voraus, dass Verbraucher besser informiert sind als die Vermittler der Altersvorsorgeprodukte. Mit dem erforderlichen uneingeschränkten Einblick in den Prozess der Produktgestaltung und die Produktzusammensetzung bestände potentiell die Chance, dass Verbraucher sich das für die Bewertung der Informationen und Beratungsaussagen erforderliche Wissen über die Funktionsweise der ihnen angebotenen Vorsorgeprodukte der dritten Säule aneignen könnten. Diese Wissensaneignung ist aber nicht nur mit prohibitiv hohen Aneignungskosten verbunden, sondern stößt fundamental auf den Widerstand der Produktanbieter, ihre so genannten Geschäftsgeheimnisse preisgeben zu müssen. Beides verhindert die Wissensaneignung, eröffnet aber Raum für opportunistisches Verhalten der Produktanbieter und der Finanzberater. Wenn ja, wie könnten die Schutzstandards verbessert werden? Bitte behandeln Sie Marketing, Verkaufspraxis, Anreize, Beratung und andere Aspekte. Markttransaktionen mit Vorsorgeprodukten der dritten Säule machen zur Sicherstellung der Marktfunktion prinzipiell ein regulatorisches Eingreifen des Staates in Marketing, Verkauf, Beratung und Produktgestaltung erforderlich. Denn Vorsorgeprodukten der dritten Säule sind Vertrauensgüter, deren Qualität per se von den Verbrauchern auch mit zusätzlichen Verbraucherinformationen nicht bewertet werden können (siehe vorstehende Ausführungen). Sollen diese Eingriffe derart wirksam sein, dass sie die Bedarfsgerechtheit der verkauften Vorsorgeprodukte stets gewährleisten, wären sie mit prohibitiv hohen Kosten verbunden, welche den erforderlichen Umfang des Instrumenteneinsatzes unfinanzierbar machen. 6. Wäre ein Selbstregulierungskodex das geeignetste Instrument, um die Qualität von Vorsorgeprodukten der dritten Säule zu verbessern? Nein. Selbstregulierungskodices sind die schwächste Form von Marktregeln und dienen insbesondere der Verhinderung gesetzlicher Regelungen. Sie basieren auf fakultativen Regeln, deren Umsetzung im Ermessen der Unternehmen liegt. Aus Selbstregulierungskodices las-

7 sen sich zudem keine verbindlichen Ansprüche der Verbraucher ableiten, die dazu dienen würden, dass Unternehmen generell und in jedem Einzelfall individuell bedarfsgerechte Finanzprodukte an Verbraucher verkaufen. 7. Für welche Zielsetzungen wäre diese Vorgangsweise der beste Weg? (Z. B. Stärkung des Vertrauens der Verbraucherinnen und Verbraucher, Abgabe einer Qualitätsgarantie oder andere?) Keine. Selbstregulierungskodices sind ausschließlich absatzwirtschaftliche Instrumente der Anbieter. Die in der Frage aufgeführten Zielsetzungen bringen dies auf den Punkt. Selbst diese beispielhaft genannten Zielsetzungen sind keine Anliegen der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern dienen lediglich den Vertriebsinteressen der Unternehmen, ohne verbindliche Ansprüche gewähren zu wollen. Für Verbraucher hat es keinen Wert, wenn ihr Vertrauen gestärkt würde, solange sie weiterhin ihre Marktziele nicht erreichen können. Und eine Qualitätsgarantie ist für Verbraucher nur dann von Nutzen, wenn daraus einklagbare Rechte erwachsen. 8. Welche offenen vorsorgespezifischen Verbraucherschutzfragen könnte ein Selbstregulierungsansatz beantworten helfen? Keine. Allenfalls könnten Selbstregulierungskodices deutlich machen, dass und inwiefern Unternehmen und ihre Vertreter kein Interesse an der Sicherstellung der Altervorsorge besitzen. 9. Wie und von wem sollte das Monitoring der wirksamen Anwendung des Kodex durchgeführt werden? Sollte trotz der grundsätzlich gegebenen Wirkungslosigkeit von Selbstregulierungskodices diese doch von der EU als Lösung angesehen werden, wäre ein obligatorisches Monitoring durch staatliche Institutionen zu etablieren. Dieses Monitoring hätte umfassend sicherzustellen, dass die Selbstregulierungskodices uneingeschränkt in jedem Einzelfall eingehalten werden. Denn nur diese uneingeschränkte Einhaltung würde dem individuellen besonderen Bedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Erwerb von Vorsorgeprodukten der dritten Säule entsprechen. Allerdings widerspricht die Umsetzung eines solchen Monitoring der absatzwirtschaftlichen Logik der Selbstregulierungskodices. Selbstkodices sollen ja gerade verbindliche Lösungen verhindern. 10. Wäre ein EU-Zertifizierungssystem der beste Weg, um den Verbraucherschutz bei Vorsorgeprodukten der dritten Säule zu verbessern? Nein, ein EU-Zertifizierungssystem wäre allenfalls eine zweitbeste Lösung. Ein EU- Zertifizierungssystem müsste aufgrund der individuell herausgehobenen Bedeutung der individuellen Altersvorsorge für jeden Einzelfall gewährleisten, dass sich der Erwerb eines Produkts ausschließlich am Bedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher ausrichtet. Zielführender und damit originäre Aufgabe der Europäischen Kommission wäre die Schaffung binnenmarktlicher Grundlagen für die Einrichtung von staatlichen Basisprodukten solcher Basisprodukte zu schaffen. Solche Basisprodukte können sehr wirkungsvoll zur Lebensstandardsicherung im Alter über kapitalgedeckten Altersvorsorge beitragen, wenn sie nachfolgende Anforderungen erfüllen (Rahmen staatlicher Basisprodukte)

8 (1) Kostengünstigkeit Ein Basisprodukt ist eine kostengünstige Möglichkeit zum Aufbau der Altersvorsorge, da er seine Größenvorteile zur Kostenreduktion voll ausnutzt. Auch fallen für den Verbraucher keine Abschluss- und Vertriebsfolgeprovisionen an. Zudem sind seine Management- und Verwaltungskosten auf das unbedingt erforderliche begrenzt. Die jährlichen Kosten des staatlichen Pensionsfonds Schwedens betrugen 2012 beispielsweise nur 0,15 Prozent des verwalteten Vermögens. Zur Kostengünstigkeit trägt darüber hinaus eine öffentliche Ausschreibung der Umsetzung der Anlagestrategie bei. Diese stellt zugleich sicher, dass die Umsetzung durch professionelle Institutionen erfolgt, die mittels ihrer Kapitalmarktkompetenz und auf Grundlage festgelegter klarer, verständlicher und nachvollziehbarer Regeln die Anlagegelder anlegen. (2) Transparenz Das Basisprodukt erfüllt die Anforderung der Transparenz durch umfassende Veröffentlichungspflichten. So werden seine Anlagegrundsätze und Jahresberichte in verständlicher Weise veröffentlicht. Mit seinen Anlagegrundsätzen wird sichergestellt, dass das Anlagevermögen nach nachprüfbaren Regeln eingesetzt wird. Sie basieren auf wissenschaftlichen Kriterien und können ethische, soziale und ökologische Anlageregeln einschließen. Auch die Anlageentscheidungen der Institution sowie deren Begründungen werden ebenso veröffentlicht wie die Portfoliozusammensetzung. Vor allem aber erhalten die Vorsorgesparer jährlich einen verständlichen Überblick über den Stand ihrer kapitalgedeckten Altersvorsorge bzw. ihres individuellen Anlagevermögens. (3) Einfachheit Die Zugangs- und Auszahlungsregeln des Basisprodukts stellen dessen Einfachheit sicher. So steht das Basisprodukt allen natürlichen Personen (Kontoinhabern) für Einzahlungen aus laufendem Einkommen oder gebildeten Vermögen offen. Einzahlungen auf das Konto können in beliebiger Höhe erfolgen, die Entscheidung liegt beim Kontoinhaber. Das Basisprodukt steht daher in Konkurrenz zu anderen verfügbaren Anlageformen. Der Erfolg einer freiwilligen Regelung setzt voraus, dass Finanzberatung so reguliert ist, dass Fehlberatungen ausgeschlossen sind, Verbraucherinnen und Verbrauchern also der Zugang zu diesem Vorsorgeinstrument nicht aufgrund von Eigeninteressen der Finanzvermittler verwehrt bleibt. Entscheidend für die Bedarfsgerechtheit des Basisprodukts ist, dass es den unterschiedlichen Risikoeinstellungen der Vorsorgesparer Rechnung trägt, indem zumindest drei Alternativen mit unterschiedlichen Chancen- und Risikoprofilen zur Verfügung stehen. Die sicherste Alternative stellt einen Fonds dar, dessen Anlageschwerpunkt auf sicheren Schuldverschreibungen liegt. Die riskantere, aber auch chancenreichere Alternative stellt einen Fonds dar, dessen Anlageschwerpunkt auf Aktien liegt. Die dritte Alternative schließlich ergibt sich aus einer individuellen Mischung aus diesen beiden. Weil die Anlagegrundsätze des Basisprodukts auf wissenschaftlich gut begründeten Kriterien beruhen und ihre Umsetzung durch geeignete private Institutionen erfolgt, mangelt es dem Basisprodukt auch nicht an der für die Kapitalanlage notwendigen Expertise. Die Risiken der jeweiligen Anlageklasse (Renten, Aktien, aber auch Immobilien und Rohstoffe) lassen sich durch Diversifikation begrenzen und steuern. Dabei berücksichtigen die Anlagegrundsätze die Erkenntnisse aus der empirischen Finanzmarktforschung. Das Basisprodukt zeichnet sich zudem durch einfache Auszahlungsregeln aus, die dem Verbraucher eine

9 bedarfsgerechte Verwendung seiner angesparten Mittel ermöglichen. Dabei sind grundsätzlich folgende Varianten als bedarfsgerechte Auszahlungsoptionen von Bedeutung: Variante (a) Auszahlung in einem Betrag Variante (b) Auszahlung in monatlichen Raten über einen befristeten Zeitraum Variante (c) Auszahlung in Form einer lebenslangen Rente Variante (d) Mischformen zwischen Varianten (a) bis (c) Im Fall von Variante (a) wird der Marktwert des angesparten Kapitals dem Basisprodukt entnommen und in voller Höhe ausgezahlt. Variante (a) ist an keine Verwendungsbedingung geknüpft und lässt alle denkbaren Entscheidungsalternativen des Vorsorgesparers für die weitere Kapitalverwendung offen, von der Schuldentilgung über den Eigenheimerwerb bis zur eigenverantwortlichen Auswahl von Finanzprodukten. Im Fall von Variante (b) erfolgt eine ratierliche Auszahlung durch das Basisprodukt in Höhe des Kapitalstands dividiert durch die Anzahl verbleibender Auszahlungsperioden. Im Fall von Variante (c) wählt der Vorsorgesparer das Angebot einer lebenslangen Leibrente, welches ihm vom Träger des Basisprodukts vorgelegt wird. Angebote einer Leibrente werden jährlich für einzelne Jahrgangskohorten per Ausschreibung eingeholt. Das eingezahlte Kapital ist auch in der Ansparphase jederzeit verfügbar. Bei Verfügung vor Eintritt in die Rentenbezugsphase ist eine eventuell gewährte Förderung zurückzuzahlen. Variante (d) ermöglicht es dem Verbraucher, eine Mischform aus den drei Varianten zu wählen. Ein Basisprodukt ist bereits aufgrund seiner wesentlichen Merkmale für alle Vorsorgesparer attraktiv, einer Förderung sollte es daher nicht bedürfen. Wenn es erklärter Wille der Gesetzgebers ist, eine Förderung für den Aufbau der zusätzlichen Altersvorsorge bereitzustellen, kann dennoch eine Förderung etabliert werden. Diese muss aber einfach gestaltet sein. Denn eine Förderung der Sparleistungen in Form von Zulagen oder Steuervorteilen erhöht die Komplexität eines Basisprodukts in nicht notwendiger Weise. (4) Gesetzliche Grundlage Insgesamt ist das Basisprodukt auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Diese stellt insbesondere die Unabhängigkeit der Institution sicher, die das Basisprodukt führt. Mit der gesetzlichen Grundlage wird die Institution zugleich in ein System der Kontrolle eingebunden. In dieses System sind Parlament und Finanzministerien einbezogen. Innerhalb des Systems stellen Governance-Regeln sicher, dass die Anlagegrundsätze eingehalten werden und Missbrauch und Fehlverhalten der Fondsmanager bzw. politische Opportunitäten bei der Verwendung der Finanzmittel ausgeschlossen sind. Diese Regeln stützen sich auf gegebene Erkenntnisse über die Governance von staatlichen Pensionsfonds in anderen Ländern. Ein spezifisches Anreizsystem für Management und Kontrollgremium stellt schließlich sicher, dass diese ausschließlich im Sinne der Kontoinhaber handeln und nicht den Anlagezielen der Anleger entgegenlaufenden Interessen folgen. Die Transparenzgebote und Rechenschaftspflichten ermöglichen zusätzlich die Kontrolle von Management und Kontrollgremium durch die Öffentlichkeit.

10 Keine. 11. Für welche Zielsetzungen wäre diese Vorgangsweise der beste Weg? (Z. B. Stärkung des Verbrauchervertrauens, Abgabe einer Qualitätsgarantie oder andere?) Allenfalls würde ein EU-Zertifizierungssystem den Verbraucherrinnen und Verbrauchern ein Funktionieren des Marktes für Vorsorgeprodukte der dritten Säule suggerieren ohne dessen Funktionieren zu gewährleisten. Keine. 12. Welche offenen vorsorgespezifischen Verbraucherschutzfragen könnte ein EU- Zertifizierungssystem beantworten helfen? Allenfalls könnte die Etablierung eines EU-Zertifizierungssystem im Zeitablauf dessen verbraucherschutzrelevanten Schwächen offenbaren. Die Gesellschaft würde daher mit der Etablierung lediglich Zeit und die Verbraucherinnen und Verbraucher Geld, welches sie dringend für die Absicherung benötigen, verlieren.