Die ethnische Säuberung in Palästina ( ) Der Ursprung des Flüchtlingsproblems von Federico Lastaria

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1 Soldat der Palmach, den Elite-Einheiten der zionistischen Armee, die für Vergeltungsmaßnahmen und Terrorismus zuständig sind. Nachdem die Bevölkerung vertrieben wurde, wird das Dorf Qaqun durchkämmt. 8 Die ethnische Säuberung in Palästina ( ) Der Ursprung des Flüchtlingsproblems von Federico Lastaria 1. Die Nakba. Eine Zusammenschau der wesentlichen Punkte [...] Jüdische Dörfer wurden anstelle von arabischen gebaut. Heute kennt ihr nicht einmal mehr die Namen dieser antiken Siedlungen, und es ist nicht eure Schuld, denn es gibt die Geografiebücher nicht mehr, die davon berichten. Im Gegenteil, nicht nur die Bücher existieren nicht mehr, selbst die Ortschaften existieren nicht mehr. An der Stelle von Mahalul entstand Nahalal, Gevat an der Stelle von Jibta, Sarid an der Stelle von Haneifs und Kfar Jehoschua an der Stelle von Tel Schaman. Es gibt keinen einzigen Ort in diesem Land, der zuvor nicht von arabischer Bevölkerung bewohnt war. Mosche Dajan, Haaretz, 4. April 1969 Nakba: Katastrophe, Unglück. Mit diesem arabischen Begriff bezeichnen die Palästinenser die Ereignisse des Jahres 1948, die zur Vertreibung von über der Hälfte der Palästinenser aus ihrem Land führte, zum Verlust ihrer Häuser und Güter, zu ihrer Verwandlung in Flüchtlinge, denen das Recht auf Rückkehr verweigert wird, und zur Schaffung des Jüdischen Staates auf palästinensischem Boden. Der Begriff Nakba, der sich nur auf das katastrophale Ereignis selbst bezieht, stellt jedoch für einen historischen und politischen Diskurs nicht ganz zufrieden, da er die Charakteristiken und Ursachen dieses Ereignisses nicht hinreichend erklärt. Man muss vielmehr unterstreichen, dass diese Vertreibung, die von den zionistischen Streitkräften systematisch mit Gewalt und Terror betrieben wurde, weder unkontrolliert aus der Kriegssituation hervorging, noch ein Wunder gewesen ist 1. Im Gegenteil, die Idee, Palästina jüdisch zu machen und das Land mit der Umsiedlung der arabischen Bevölkerung zu befreien, war auf stetige und obsessive Weise Gegenstand der politischen Agenda der zionistischen Bewegung 2. Deshalb ist ein geeigneterer Begriff anzuwenden 3 : Die ethnische Säuberung Palästinas 4. Es handelt sich um einen Begriff, der präzise ethische, politische und rechtliche Konnotationen in sich trägt. Seine Bedeutung wurde in den vergangenen Jahren anlässlich der Balkankriege der 90er Jahre geklärt: Jede Aktion, die von einer ethnischen Gruppe ausgeführt wird und mit der beabsichtigt wird, eine andere ethnische Gruppe mit dem Ziel zu vertreiben, eine ethnisch gemischte Region in eine ethnisch reine Region zu verwandeln, ist eine ethnische Säuberung. Eine Aktion kann unabhängig von den zur Anwendung gebrachten Mitteln zur ethnischen Säuberung werden. Jedes Mittel, von der Überzeugung bis zur Bedrohung, von der Vertreibung bis zum Massenmord, kann die Anwendung des Begriffs für derartige Politik rechtfertigen. [...] Manche Arten von Politik werden von der internationalen Gemeinschaft als ethnische Säuberung angesehen, auch wenn für ihre Ausführung kein Plan gefunden oder ausgefertigt wurde. In der Folge sind die Opfer ethnischer 110

2 Säuberungen in gleicher Weise Personen, die aus Angst geflüchtet sind, wie Personen, die im Verlauf von Operationen mit Gewalt vertrieben wurden. Die oben zitierten Definitionen finden sich auf den Webseiten des amerikanischen State Department und der Vereinten Nationen. Es handelt sich um die Hauptdefinitionen, an die sich der Internationale Gerichtshof hielt, als er den Verantwortlichen für die Planung und Ausführung von Operationen ethnischer Säuberungen den Prozess machen musste, da sie sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatten 5. Lenken wir die Aufmerksamkeit auf eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte, die wir anschließend analysieren werden: 1. Im Jahr 1948 wurden die Palästinenser Opfer einer systematischen Politik der Massenvertreibung, die von den jüdischen Streitkräften mit Gewalt, Terror und Dutzenden von Massakern an Zivilisten betrieben wurde. In der Tat spielten insbesondere solche Massaker eine wichtige Rolle bei der Vertreibungsstrategie. 2. Die Vorstellung einer ethnischen Säuberung war bei der Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung in der vorherrschenden Ideologie der zionistischen Siedlungsbewegung in den Jahrzehnten vor 1948 bis zu ihrem Beginn vorhanden offiziös zwar, aber in großem Umfang dokumentiert. 3. Die ethnische Säuberung ermöglichte das zionistische politische Projekt der Schaffung eines vom ethnischen Blickwinkel aus betrachtet möglichst homogenen jüdischen Staates. Kurz gesagt, das Ziel der Zionisten bestand aus möglichst viel Land mit möglichst wenigen Arabern. Ohne die Entwurzelung von Palästinensern hätte der jüdische Staat nicht ins Leben gerufen werden können. 4. Mit einer Politik der vollendeten Tatsachen fährt Israel auch nach 1948 mit der ethnischen Säuberung der Palästinenser fort. Hunderte von geräumten arabischen Dörfern werden dem Erdboden gleichgemacht und der Grund und Boden von den Israelis beschlagnahmt. Tausende von palästinensischen Zivilisten werden als so genannte Infiltranten umgebracht, während sie versuchen, in ihre Häuser oder zu ihren Familien zurückzukehren. Mit dem Gesetz zum Besitz Abwesender (Absentees Property Law) (1950) wird der Staat Israel in der Tat das Eigentum der vertriebenen Palästinenser konfiszieren. Von 1948 bis heute hat sich der Staat Israel beharrlich geweigert, der Resolution 6 der Vereinten Nationen Folge zu leisten, die die Beachtung des Rechts auf Rückkehr der Flüchtlinge auferlegt. Die Judaisierung und die ethnische Diskriminierung sind von der Nakba bis auf den heutigen Tag eine Konstante israelischer Politik geblieben. Im Jahr 1967 werden weitere Hunderttausende Palästinenser aus Gaza und von der Westküste zwangsumgesiedelt. Die ethnische Säuberung wird bis heute fortgeführt, denn mit der wirtschaftlichen Abschnürung und der Besetzung hat man in den letzten Jahren Zehntausende Palästinenser dazu gebracht auszuwandern. Mit der wenig intensiven, aber konstanten Säuberung des Gebiets u. A. um Jerusalem verweigerte man den Palästinensern, frei ins eigene Land einzureisen. 2. Die Vorstellung der Umsiedlung der Bevölkerung in der zionistischen Ideologie Der Streit über das Vorhandensein eines genauen, vorher festgelegten Plans der zionistischen Führung zur Vertreibung der Palästinenser und zur tatsächlichen Rolle eines solchen eventuellen Plans bei der ethnischen Säuberung 1948 verleitet dazu, die Aufmerksamkeit von historisch bedeutsameren Gesichtspunkten abzulenken. Um eine ethnische Säuberung durchzuführen, ist das Vorhandensein eines konkreten, detaillierten, schriftlichen Plans von dessen Existenz einige Historiker im fraglichen Fall mit fundierten Argumenten ausgehen keine Notwendigkeit und auch nicht ausschlaggebend 7. Notwendig ist hingegen die Bildung einer stark von Ideologie geprägten Gemeinschaft von Personen, die zusammen von dem Streben nach einem gemeinsamen Ziel getrieben werden in der zionistischen Ideologie ist das die Schaffung eines ethnisch möglichst homogenen jüdischen Staates mit möglichst viel Land und möglichst wenig Nichtjuden. Im entscheidenden Augenblick weiß also jeder genau, was zu tun ist. Man legt die Leitlinien der eigenen Anführer richtig aus, auch wenn diese nicht in Form von schriftlichen Befehlen vorliegen. Und man weiß, dass man sich zur Gewalt hinreißen lassen, terroristische Akte und Massaker verüben kann und sich in jedem Fall der eigenen Immunität sicher sein kann. Genau das geschah 1948 in Palästina. Für die Vertreibung der Palästinenser hatte Großbritannien allerdings eine große Verantwortung. In der Tat fand ein großer Teil der ethnischen Säuberung zwischen Dezember 1947 und Mai 1948 statt, als Palästina noch unter britischer Mandatsherrschaft stand 8. Die englischen Streitkräfte, die für die Ordnung und Einhaltung der Gesetze in Palästina verantwortlich waren, beschränkten sich darauf, die Gegenden zu kontrollieren, in denen Engländer lebten oder wo es britisches Eigentum zu schützen gab, und kamen weniger den Verpflichtungen ihres internationalen Mandats nach. 2.1 Zu den Wurzeln der ethnischen Säuberung Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts formuliert Israel Zangwill die berühmte, knappe Definition: Der Zionismus ist ein Volk ohne Land, das in ein Land ohne Volk zurückkehrt. Wie Elias Sanbar richtig beobachtet 9, verändert die übliche, ungenaue Zitierung des Satzes mit Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land den Zweck der Rede, weil sie die Vorstellung der Rückkehr auslässt. Gerade dies legitimiert aber für die zionistische Ideologie die Aneignung des Landes der Palästinenser: Wenn das jüdische Volk in dieses Land zurückkehrt, in sein Land, so ändert die Tatsache, ob dieses Land leer oder bewohnt ist, absolut nichts an der Legitimität des Eigentumsrechts. [...] Es geht also nicht um die Feststellung, dass Palästina unbewohnt ist, sondern um die Feststellung, dass seine Besetzer keinerlei Anspruch darauf haben. Die Einwanderer sind folglich im Besitz eines Eigentumsrechts, das ihnen von einem göttlichen Immobilienmakler verliehen wurde. Unglücklich über eine Heimkehr nach zweitausendjähriger Abwesenheit, wollen sie als Eigentümer zurückkehren. Ihre Aufgabe wird sein, das Eigentum von seinen illegitimen palästinensischen Besetzern zu befreien 10. Der zionistische Mythos eines unbewohnten Landes ist also weniger eine schlichtweg falsche Behauptung politischer Geografie, sondern vielmehr eine tief verwurzelte kolonialistische und rassistische Idee. Für die zionistischen Siedler oder wenigstens für die meisten von ihnen sind die Palästinenser Randerscheinungen, denen gegenüber man mit Gleichgültigkeit oder Überlegenheit begegnet, bis hin zur expliziten Verweigerung ihrer Rechte. Zangwill selbst schreibt: Wir können den Arabern nicht gestatten, einen Teil des so wertvollen historischen Wiederaufbaus zu lähmen [...]. Folglich müssen wir sie im Guten davon überzeugen, sich in Marsch zu setzen. Schließlich haben sie ganz Arabien zur Verfügung [...]. Die Zelte abbrechen und schweigend von dannen ziehen ist ihre sprichwörtliche Haltung: Gehen wir so vor, dass das auch jetzt so abläuft 11. Eine zentrale Vorstellung der zionistischen Ideologie ist die Erlösung des Landes Palästina, das ein unveräußerlicher Besitz des jüdischen Volkes ist. Das erlöste Land ist das Land, das von nichtjüdischem Besitz in jüdischen Besitz übergeht: in private Hände, an den Jüdischen Nationalfonds oder an den Staat Israel. Wenn man jetzt als Ziel die Erlösung des Landes und die Schaffung eines per definitionem ethnisch charakteri- 111

3 sierten jüdischen Staates zusammenfasst, stellt die Gegenwart einer beträchtlichen arabischen, nichtjüdischen Bevölkerung ein offensichtliches Hindernis dar 12. Die Zionisten stehen also vor etwas, was sie das arabische Problem nennen: die Tatsache, dass Palästina schon bewohnt ist. Die einzige Lösung besteht also aus der Umsiedlung der Araber in die Nachbarländer, und zwar mit allen Mitteln, mit oder ohne Gewalt. Die logische Schlussfolgerung einer solchen Ideologie [die Erlösung des Landes] ist die als Umsiedlung bezeichnete Vertreibung 13 aller Nichtjuden aus dem Gebiet des Landes, das erlöst werden muss 14. Auch wer darauf beharrt, dass die Vertreibung der Palästinenser keinem vorgefertigten Plan folgte, erkennt trotzdem an, dass die Umsiedlung unvermeidbar und dem Zionismus angeboren war, weil die Bewegung versuchte, ein einst arabisches Land in einen jüdischen Staat umzuwandeln, und dieser hätte nicht ohne eine Massenumsiedlung der arabischen Bevölkerung entstehen können 15. Die Vorstellung der Bevölkerungsumsiedlung ist ein stets gegenwärtiger Be-griff in der zionistischen Ideologie, zumindest in der der einflussreichsten Anführer. Der Gründervater des Zionismus selbst, Theodor Herzl, schreibt 1895 in sein Tagebuch: Wir müssen im Guten enteignen [...]. Wir werden versuchen, die Bevölkerung, die kein Geld hat, über die Grenzen zu bringen und ihnen in den Durchgangsländern eine Anstellung anzubieten. Gleichzeitig müssen wir jede Beschäftigungsmöglichkeit in unserem Gebiet verhindern [...]. Die Enteignungen und die Umsiedlung der weniger Wohlhabenden müssen mit Diskretion und Umsicht durchgeführt werden 16. Aus Opportunitätsgründen führen die zionistischen Anführer das Konzept der Bevölkerungsumsiedlung, obwohl es als Lösung für das arabische Problem seit Anbeginn im zionistischen Projekt gegenwärtig war, vorzugsweise in Tagebüchern, Privatkorrespondenzen oder internen Dokumenten der Bewegung an und sprechen darüber so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit, zumindest bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Ganz besonders gilt dies für Ben Gurion: Er zog es vor, dass seine Generäle so verstanden, was sie zu tun hatten. Er zog es vor zu vermeiden, als großer Vertreiber in die Geschichte einzugehen 17. Zu Beginn der 30er Jahre gewinnt die Umsiedlungsthese jedoch immer mehr an Zustimmung und wird mit den Vorschlägen der Peel-Kommission vom Juli 1937 international legitimiert. In der internen Debatte der zionistischen Bewegung dieser Zeit lautete die diskutierte Frage nicht, ob die Umsiedlung der arabischen Bevölkerung eine ethisch vertretbare Lösung sei oder nicht, sondern schlicht, ob sie durchführbar sei oder nicht, und wenn ja, auf welche Art und Weise. Ben Gurion drückte sich im Oktober 1941 so aus: Zuerst müssen wir untersuchen, ob die Umsiedlung durchführbar ist, und dann, ob sie notwendig ist. Eine Generalräumung ist ohne Zwang nicht vorstellbar, und zwar brutalen Zwang Im Dezember 1947 wird Ben Gurions Entschiedenheit, die Palästinenser mit Gewalt zu vertreiben, nicht länger versteckt gehalten: [Die Haganah soll] ein aggressives Verteidigungssystem annehmen, während des Überfalls müssen wir mit einem entscheidenden Schlag antworten: die Zerstörung des Ortes oder die Vertreibung der Anwohner zusammen mit der Eroberung des Ortes 19. Im Februar 1948, drei Monate vor dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs, ist Ben Gurion noch direkter: Der Krieg wird uns das Land einbringen. Die Begriffe unser und nicht unser sind Begriffe, die nur in Friedenszeiten gelten, im Krieg verlieren sie ihre Bedeutung 20. Diebstähle im Krieg sind keine Diebstähle mehr... Die ethnische Säuberung und die Enteignung Palästinas stehen jetzt ausdrücklich auf der Agenda. 2.2 Der Plan Dalet Im Februar und März 1948 arbeitet das zionistische Oberkommando den Plan Dalet (Buchstabe D auf Hebräisch) aus, der die vorhergehenden Pläne A (Februar 1945), B (Mai 1947) und C (November 1947) ersetzt. Gegen April/Mai 1948 erhält der Plan Dalet umfassende Gültigkeit. Das Ziel des Plans Dalet war die Einnahme aller zivilen und militärischen Einrichtungen, die die Briten zum Ende ihrer Mandatszeit aufgeben würden, und vor allem die Vertreibung der größtmöglichen Zahl an Palästinensern aus dem zukünftigen jüdischen Staat. Unter dem Absatz mit dem Titel Konsolidierung der Verteidigungssysteme und der Befestigungsanlagen sah der Plan Dalet z.b. vor: Operationen gegen die im Inneren oder in der Nähe unseres Verteidigungssystems gelegenen Zentren feindlicher Bevölkerung mit dem Ziel zu verhindern, dass diese als Basis aktiver bewaffneter Streitkräfte genutzt werden. Diese Operationen können in die folgenden Kategorien aufgeteilt werden: Zerstörung von Dörfern (in Brand setzen, Sprengung mit Dynamit und Verminung der Ruinen), besonders im Fall dauerhaft schwierig zu kontrollierender Bevölkerungszentren, oder das Zusammentreiben der Bevölkerung und Kontrollen anhand folgender Leitlinien: Umzingelung des Dorfes und Fahndung im Inneren. Im Widerstandsfall ist die bewaffnete Streitkraft zu vernichten und die Bevölkerung über die Staatsgrenze zu vertreiben. Jenseits historiografischer Interpretationen 21 des Plans Dalet besteht ein interessantes Augenmerk in der Tatsache, dass zwischen April und Mai 1948 auf dem Gebiet 13 Operationen des Überfalls auf Dörfer und ethnische Säuberungen stattfanden, und zwar genau nach dem im Plan aufgeführten Muster Kein einziges Dorf darf bleiben, kein einziger Stamm... So viele Araber wie möglich vertreiben... Aus dem Tagebuch 23 von Josef Weitz: Unter uns muss klar sein, dass in dem Land kein Platz für zwei Völker ist. [...] Wenn die Araber umgesiedelt sein werden, wird das Land groß und geräumig für uns sein, mit den Arabern dort wird das Land klein und eng sein [...]. Die einzige Lösung ist das Land Israel, oder wenigstens das westliche Land Israel, ohne Araber. Für einen diesbezüglichen Kompromiss ist kein Platz [...]. Weiterhin muss Land erworben werden [...] aber all das wird nicht zu einem Staat führen. Es gibt keinen anderen Weg, als die Araber von hier in die benachbarten Länder umzusiedeln, und zwar alle, mit Ausnahme vielleicht [der Araber aus] Bethlehem, Nazareth und der Jerusalemer Altstadt. Kein einziges Dorf darf bleiben, kein einziger Stamm. Die Umsiedlung muss in Richtung Irak, Syrien und auch nach Transjordanien erfolgen. Zu diesem Zweck wird Geld aufzufinden sein, auch viel Geld. Und nur dann wird das Land in der Lage sein, Millionen unserer Brüder aufzunehmen, und die Judenfrage wird nicht mehr existieren. Es gibt keine andere Lösung. Diese Tagebuchseite wurde am 20. Dezember 1940 verfasst, sieben Jahre vor der ethnischen Säuberung von Seit 1937 beschäftigt sich Josef Weitz mit dem offiziösen Umsiedlungsprojekt, das von der Peel-Kommission vorgeschlagen worden ist. Im Jahr 1947 übernimmt er das wichtige Amt des Direktors der Abteilung für Boden und Wiederaufforstung des Jüdischen Nationalfonds, 1948 und 1949 ist er Chef des Umsiedlungskomitees, inoffiziell bis August 1948, danach offiziell. Josef Weitz ist also der wahre Dirigent der Zerstörung arabischer Städte und Dörfer, oder ihres Wiederaufbaus mit Blick auf die Ansiedlung jüdischer Einwanderer 24. Im April 1948 spricht er sich für die Schaffung eines Organismus aus, der... den Krieg des Jischuw 25 mit dem Ziel der Vertreibung möglichst vieler Araber aus unseren Gebieten leiten soll 26. Und im April 1948 schreibt er: Ich habe eine Liste mit arabischen Dörfern erstellt, von denen ich denke, dass sie zum Zweck der Homogeni- 112

4 sierung der jüdischen Gebiete gesäubert werden müssen. Ebenso habe ich eine Liste mit Orten vorbereitet, die [...] von Juden besiedelt werden müssen. Eine klare Beschreibung der zu befolgenden Strategie legt Weitz Ben Gurion am 5. Juni 1948 vor. An jenem Datum schätzt Weitz, dass bereits etwa 200 palästinensische Dörfer gesäubert und Palästinenser vertrieben worden sind. Es stellt sich ihm also die Frage, wie mit der Operation der ethnischen Säuberung fort zu fahren und wie sie zu konsolidieren ist. Das Dokument, das Weitz Ben Gurion überreicht, trägt den signifikanten Titel Rückwirkende Umsiedlung, ein Projekt zur Lösung der Araberfrage. Dort sind fünf Maßnahmen zu lesen, um die laufenden Transformationen zu konsolidieren und auszuweiten: 1) Zerstörung von Dörfern, wenn möglich während militärischer Operationen 2) Verhinderung jeglicher Bestellung des Bodens, Mähen eingeschlossen, Erne, Olivenernte usw., auch außerhalb der Feuerpausen 3) Wiederbevölkerung einer Reihe von Dörfern und Städten mit Juden, um ein Leerstehen zu vermeiden 4) Verabschiedung eines Gesetzes [um die Rückkehr zu verhindern] 5) Propaganda gegen die Rückkehr Die aufgelisteten Punkte in der Rückwirkenden Umsiedlung von Weitz sind eine gute Zusammenfassung dessen, was in Wirklichkeit geschehen ist. 3. Die ethnische Säuberung Palästinas im Jahr Wie ging die Vertreibung der Palästinenser vor sich? Zwischen der Annahme des Teilungsplans für Palästina (Resolution 181 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom ) und dem letzten israelisch-arabischen Waffenstillstandsabkommen (mit Syrien vom 20. Juli 1949), mit dem der erste israelisch-arabische Krieg endete (der am 15. Mai 1948 begonnen hatte), wurden etwa Palästinenser mehr als die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung jener Zeit aus verschiedenen Gründen und mit verschiedenen Mitteln dazu verleitet oder gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Ihnen allen hat Israel das Rückkehrrecht und das Recht auf Schadenersatz verweigert und verweigert es immer noch. Eine freiwillige Flucht oder eine gewaltsame Vertreibung? Zum Teil verließen sie ihre Häuser spontan. Zwischen September 1947 und März 1948 gingen etwa Palästinenser, meist Wohlhabende und Angehörige von Führungsschichten, freiwillig, entweder wegen der zionistischen Überfälle oder aus Angst vor einem Krieg an breiter Front 27. Sie ließen alle ihre Güter in der Überzeugung ihrer baldigen Rückkehr zurück, sobald die Lage sich beruhigt hätte. Dieser Exodus führte wahrscheinlich zu einem Unsicherheitsempfinden und zu Angst innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. In den übrigen Fällen wurden fast alle Palästinenser gezwungen, ihre Häuser unter direktem Einwirken der zionistischen Streitkräfte zu verlassen. Andere wurden aus Angst vor den militärischen Angriffen dazu verleitet wegzugehen vor allem als man von den Massakern Kenntnis erhielt, aus Angst, sich mitten im Kreuzfeuer wieder zu finden oder vor Entsetzen, das der von den Zionisten geführte psychologische Krieg mit sich brachte. Betrachten wir einige Zahlen. Die von den zionistischen Streitkräften gesäuberten Ortschaften waren mehr als Der Prozentsatz der infolge einer von den Zionisten dirigierten Militäraktion geräumten bewohnten Ortschaften wird auf 85% bis 89% geschätzt 29. Der Prozentsatz der ohne unmittelbaren Zusammenstoß mit den jüdischen Streitkräften (aber infolge der Angst, in Gewalttaten und Massaker verwickelt zu werden) verlassenen Dörfer betrug ungefähr 10% 30. Für einige Dutzend weiterer Dörfer schließlich sind die Gründe der Abwanderung nicht bekannt. Doch in jedem Fall haben alle Personen, die mehr oder weniger spontan ihre Häuser verlassen aus Angst, um einem Krieg zu entkommen oder aus komplizierteren Gründen dennoch das Recht, am Ende des Krieges dorthin zurückzukehren und ihre Häuser nicht konfisziert, besetzt oder während der eigenen Abwesenheit zerstört vorzufinden. Es handelt sich um ein internationales Rechtsprinzip, das z.b. während des Krieges in Ex-Jugoslawien verteidigt wurde Die Ursachen der Abwanderung laut dem israelischen Militärgeheimdienst Ende Juni 1948 verfasste der Nachrichtendienst der israelischen bewaffneten Streitkräfte (Zahal) einen interessanten Bericht über die Ursachen der Abwanderung der Palästinenser im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 1947 und dem 1. Juni Der israelische Historiker Benny Morris 31 hat den Bericht kommentiert und zusammengefasst, woraus wir die Auflistung der Fakten, die die Abwanderung beschleunigten, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit geordnet wiedergeben: 1) Von den israelischen Streitkräften geleitete feindliche Operationen [Haganah/Zahal] gegen arabische Siedlungen 2) Die Auswirkungen unserer [Haganah/Zahal] feindlichen Operationen auf die nahe gelegenen arabischen Siedlungen (insbesondere der Fall großer benachbarter urbaner Zentren) 3) Operationen [jüdischer] Splittergruppen [Irgun Tzwai Le umi und Lochamei Cherut Jisrael] 4) Befehle und Anordnungen [irregulärer] arabischer Einrichtungen und Gruppen 5) Jüdische Operationen zur Falschinformation [psychologischer Krieg] mit dem Ziel, arabische Einwohner zu verängstigen und zur Flucht zur treiben 6) Endgültige Befehle zur Vertreibung [seitens der jüdischen Streitkräfte] 7) Angst vor jüdischen Maßnahmen [Repressalien] [infolge von] ernsthaften Angriffen der Araber auf die Juden 8) Das Auftreten von Banden [irreguläre arabische Streitkräfte] und Kämpfer von außerhalb in der Nähe von Dörfern 9) Die Angst vor einer arabischen Invasion und vor ihren Folgen [vor allem in Grenznähe] 10) Verschiedene örtliche Faktoren und allgemeine Zukunftsängste. Der Bericht bietet anschließend eine detaillierte Analyse der einzelnen Punkte und hebt dabei hervor, dass ohne Zweifel die feindlichen Operationen [Haganah/Zahal] die Hauptursache der Bevölkerungs bewegungen waren. Mit zuverlässigem Urteil in seinen Schlussfolgerungen stellt der Geheimdienstbericht in der Tat ein außergewöhnliches Eingeständnis der Verantwortung für die Flucht eines Volkes dar Die ethnische Säuberung Palästinas vor und nach dem Beginn des israelisch-arabischen Kriegs Zwischen Dezember 1947 und dem 14. Mai 1948 (Tag der Ausrufung des Staates Israel und zugleich Beginn des israelisch-arabischen Krieges) wurden etwa Palästinenser vertrieben und etwa 200 arabische Orte von zionistischen Streitkräften geräumt 33. Diese Zahlen sind von fundamentaler Bedeutung, da sie den Gemeinplatz der zionistischen Propaganda dementieren, der zu Folge die Vertreibung (oder die freiwillige Flucht) der Palästinenser im Rahmen militärischer Verteidigungs- oder Präventivhandlungen anzusiedeln sei, die von den zionistischen Streitkräften während des Kriegs ums Überleben Israels 113

5 gegen die bewaffneten arabischen Streitkräfte ausgeführt worden seien. Als die bewaffneten arabischen Streitkräfte (Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon) wirklich nach Palästina stießen (am 15. Mai 1948), war über die Hälfte der Palästinenser bereits vertrieben worden. Diese erste Phase des Krieges müsste korrekterweise als zionistischpalästinensischer Krieg bezeichnet werden (der erste Krieg 1948). Dem hätte vom 15. Mai 1948 an der israelisch-arabische Krieg zu folgen (zweiter Krieg 1948). Man beachte, dass die ethnische Säuberung während des zionistisch-palästinensischen Krieges zur Zeit des britischen Mandats stattfand, in einer Zeit, zu der der Verantwortliche für Ordnung und Sicherheit England war. Zusammenfassend: Die Palästinenser wurden aus ihrer Heimat verjagt, weil sie den ersten Palästinakrieg verloren und weil die regulären arabischen Armeen, die am 15. Mai 1948 in den Krieg traten, ihrerseits den zweiten verloren, den um die Wiedereroberung des palästinensischen Gebietes 34. Diese erste Phase der ethnischen Säuberung folgte den Anweisungen des Plans Dalet. In dieser Zeit, noch während des britischen Mandats, wurde das Massaker von Deir Yassin verübt (siehe S.). Die ethnische Säuberung wird nach dem Beginn des israelisch-arabischen Krieges in der Küstenregion, in Galiläa und in der Negev fortgeführt. Die Abwanderung der Palästinenser wurde von den israelischen Militäroperationen verursacht (die beschwörende Namen wie Operation Säuberung oder Operation Reisigbesen trugen...), und oft gingen den Angriffsphasen Massaker voran. Auf den 14. Juli 1948 geht z.b. der Angriff auf Lydda und Ramla zurück, bei dem Palästinenser von den israelischen Truppen Jitzchak Rabins 35 vertrieben wurden, der wiederum die Befehle Ben Gurions befolgte Die Rolle des Massakers bei der Vertreibung der Palästinenser Die von den jüdischen Streitkräften verübten Massaker waren zahlreich und systematisch 37. Wir verfügen über die Dokumentation von 34 Massakern 38, wovon die Hälfte vor Beginn des israelisch-arabischen Krieges verübt wurde. In der zweiten Phase des Krieges von 1948 leisteten die Palästinenser größeren Widerstand gegen die Zwangsevakuierungen ihrer Dörfer. Diese Tatsache erklärt die ab Juni 1948 verübten Massaker wie die von Lydda, Khirbet Nasir al-din (Bezirk Tiberias), Ayn Az-Zaytun, Safsaf, Saliha (Bezirk Safed) und andere. Die Anzahl und die Beschaffenheit der Massaker scheinen die These zu bestätigen, dass sie nicht zufällig stattfanden, sondern einem präzisen Schema folgten 39. Die Massaker und das Entsetzen, das sie hervorriefen, waren Teil eines strategischen Plans zur ethnischen Säuberung. In der Tat hatten die Massaker eine doppelte Funktion: die Säuberung der Städte und Dörfer und zugleich das Hervorrufen von Entsetzen zum Zweck der Vereinfachung der nachfolgenden Vertreibung aus anderen städtischen Zentren. Die Soldaten mussten aus guten Gründen der Überzeugung sein, dass das Projekt der Vertreibung der Palästinenser das von allen zionistischen Streitkräften gutgeheißen wurde ihnen auch im Fall von Massakern Straffreiheit gewährte. Ben Gurion deckte stets die Schuldigen, und es ist eine Tatsache, dass kein israelischer Offizier oder Soldat jemals ernsthaft zu diesen Verbrechen befragt wurde Die Judaisierung Palästinas und die Verhinderung der Rückkehr Wir müssen alles dafür tun, dass die Palästinenser nie mehr zurückkehren... Die Alten werden sterben und die Jungen werden vergessen. David Ben Gurion, 16. Juni Wir haben gesehen, dass die zwischen 1948 und 1949 vertriebenen Palästinenser etwa zählten. Unter ihnen waren auch Bewohner von Gebieten, die der Teilungsplan der UNO vom November 1947 nicht dem jüdischen Staat zugedacht hatte. Um die ethnische Säuberung Palästinas zu konsolidieren, setzten die israelischen Anführer eine Politik in die Tat um, deren Ziel war, jede Form der Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern. Die Städte, Ländereien und Dörfer, die den Palästinensern abgenommen worden waren, mussten an Juden übergehen, die sie in der Zwischenzeit in Besitz genommen hatten, oder sie dienten dazu, um die Juden unterzubringen, die aus dem Ausland ankamen. Von den 400 im Jahr 1948 entvölkerten Dörfern wurde mehr als die Hälfte dem Erdboden gleichgemacht, um jedweden Eigentumsanspruch seitens der Flüchtlinge abzuweisen und um ihre Rückkehr zu verhindern. Die anderen städtischen Zentren wurden teilweise zerstört oder von Juden besetzt. Zwischen 1949 und 1952 wurden weitere 40 bewohnte palästinensische Orte geräumt 40 und ihre Bewohner an einen anderen Ort verbracht oder in Israel als innere Flüchtlinge zertreut. Von 1948 an versucht Israel den Diebstahl der Güter der Palästinenser zu rechtfertigen und ihre Rückkehr mit entsprechenden Gesetzen zu verhindern. Mit dem Gesetz zum Besitz Abwesender (Absentees Property Law) (1950) konfiszierte der Staat Israel die Güter der vertriebenen Palästinenser, der Abwesenden. Solche Güter gingen an einen Wächter über den Besitz Abwesender (Custodian of Absentee Property) über und schließlich an die Israel Development Authority. Heute werden alle diese Ländereien von der Israel Land Administration (ILA) verwaltet. Der Begriff Abwesende bezieht sich auf palästinensische Bürger Israels, die zwar keine Abwesenden sind, aber dennoch als anwesende Abwesende definiert werden Die Rechte der Flüchtlinge und die ablehnende Haltung Israels Das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf eine Rückkehr in ihre Häuser wird am 11. Dezember 1948 von der UNO-Resolution 194 festgelegt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen [...] beschließt, dass es den Flüchtlingen, die es wünschen, erlaubt sein muss, so schnell wie möglich in ihre Häuser zurückzukehren und in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben, und dass Schadenersatz als Kompensation für die Güter an diejenigen zu zahlen ist, die nicht in ihre Häuser zurückkehren wollen, und zwar für alle verlorenen oder beschädigten Güter, kraft der Prinzipien internationalen Rechts, oder dieser Verlust oder diese Beschädigung muss angemessen von den Regierungen oder verantwortlichen Behörden wieder gutgemacht werden. Am 11. Mai 1949 gestattet die Generalversammlung der Vereinten Nationen dem Staat Israel mit der UNO-Resolution 273, den Vereinten Nationen unter der Bedingung, dass Israel die UNO-Resolutionen zum Teilungsplan Palästinas (Resolution 181 vom 29. November 1947) und zum Rückkehrrecht der Flüchtlinge (Resolution 194 vom 11. Dezember 1948) umsetzt, beizutreten. In der Resolution 273 heißt es unter Art. 62: [...] Ferner unter zur Kenntnisnahme der Erklärung, mit der der Staat Israel ohne Vorbehalte die Verpflichtungen annimmt, die auf die Charta der Vereinten Nationen zurückgehen, und sich zu ihrer Einhaltung ab dem Tag seiner Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen verpflichtet. Mit Verweis auf seine Resolutionen vom 29. November 1947 und die Erklärungen, die von den Vertretern der israelischen Regierung vor der Kommission für besondere politische Fragen bezüglich der Umsetzung der oben genannten Resolution abgelegt wurden, beschließt [...] die 114

6 Generalversammlung die Aufnahme Israels in die Organisation der Vereinten Nationen. Diese Verpflichtungen, die Israel ohne Vorbehalte annimmt, um Mitglied der Vereinten Nationen zu werden, sind von dem Land nie eingehalten worden Falsche Mythen und Lügen Das Land ohne Volk 1882 lebten in Palästina Palästinenser (die Steuern bezahlten, Familienmitglieder eingeschlossen, ohne die halbnomadischen Hirtengemeinschaften) und Juden (3-3,5%?) 42. David gegen Goliath: Die tödliche Bedrohung, die über Israel lag... Während der Zeit des israelisch-arabischen Krieges waren die israelischen Streitkräfte zahlreicher und besser ausgerüstet 43. Außerdem verfügte die Regierung über die wichtigste arabische Streitkraft, nämlich Transjordanien (später Jordanien), das sich vor dem Krieg 44 heimlich mit den Zionisten geeinigt hatte, um sich Palästina aufzuteilen 45. Die Juden haben das Land Palästina erworben 1946 hatten die Juden etwa 5,6% des palästinensischen Bodens erworben, größtenteils als Schenkung seitens der britischen Regierung, die ihn dem öffentlichen Grund und Boden entzogen hatte 46. Die Abwanderung der Palästinenser ist den arabischen Aufrufen zur Flucht zuzuschreiben Es gibt kein Dokument, das den Mythos eines arabischen Aufrufs zur Flucht beweist. Man weiß bereits seit langem, dass die berühmten Ermahnungen zur Flucht, die verbreitet worden sein sollen, reine Erfindungen sind 47. Die Vertreibung der Palästinenser war eine Verteidigungshandlung im Krieg um das Überleben Israels gegen die arabischen Armeen Die ethnische Säuberung in Palästina begann vor dem Beginn des israelisch-arabischen Krieges. Als die arabischen Streitkräfte nach Palästina einmarschierten und der israelisch-arabische Krieg begann (am 15. Mai 1948), sind bereits etwa Palästinenser von den Zionisten vertrieben worden. Der Friedenswille Israels am Ende des Krieges von 1948 Auf der Konferenz von Lausanne im Mai 1949 akzeptierte Israel die Aufnahme von Verhandlungen über das Flüchtlingsproblem, die Aufteilung des Gebietes und die Zukunft Jerusalems. Doch der am 11. Mai verkündete Friedenswille Israels dauerte weniger als einen Tag (siehe S./siehe weiter oben (?)). Israel zog seine Zusage nach wenigen Stunden zurück, nachdem es dem Land (am 11. Mai) gelungen war, in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden. Seither hat Israel sich geweigert, die Flüchtlingsresolutionen zu beachten. ANMERKUNGEN 1 Die Abwanderung der Palästinenser 1948 wird später von Chaim Weizmann, dem ersten Präsidenten des jüdischen Staats, als eine wundersame Vereinfachung der Aufgaben Israels definiert (James G. Mac Donald, My Mission in Israel, New York, 1951, S. 176). 2 Es darf nicht vergessen werden, dass es auch eine kleine Gruppe von Juden gab, die für einen binationalen Staat war. 3 Ilan Pappe, Storia della Palestina moderna, Einaudi, 2004, S. 158, Seite 166. Siehe englische Ausgabe: A History of Modern Palestine. One Land, Two Peoples, 2003]. 4 Ausdrücke wie Säuberung, säubern usw. sind im Sprachgebrauch der Zeit oft anzutreffen. Die Givati-Brigade treibt im August 1948 die Operation Säuberung voran (Mivtza Nikayon); und die Aufgabe, die arabischen Dörfer zwischen Tiberias und Ostgaliläa zu räumen, wird der Operation Kehrbesen anvertraut (Mivtza Mataneh; vgl. auch den Teil Nord des Films Route 181 von M. Khleifi und E. Sivan). Vgl. auch des Interview mit dem israelischen Historiker B. Morris: [...] It was necessary to clean the villages from which our convoys and our settlements were fired on The term to cleanse is terrible. I know it does not sound nice, but that s the term they used at the time. I adopted it from all the 1948 documents in which I am immersed. (Haaretz, ). 5 Ilan Pappe, Calling a spade a spade: the 1948 Ethnic Cleansing of Palestine, UN-Resolution 194 vom 11. Dezember Vgl. Absatz Ilan Pappe, The 48 Nakba and the Zionist Quest for its Completion, Vortrag gehalten an der School for Oriental and African Studies, London, 16. September Zwischen dem und dem , noch vor dem Ausbruch des israelisch-arabischen Kriegs, griffen die jüdischen Streitkräfte 213 palästinensische Dörfer an und trieben so Menschen in die Flucht. Quelle: Salman Abu Sitta, Palestinian Right to Return, Sacred, Legal and Possible, The Palestinian Return Center, London, 1999, S Elias Sanbar, Il palestinese, Figure di un identità: le origini e il divenire, Jaca Book, Mailand, 2005, S Ebenda, S Zitiert in Benny Morris, Esilio, Rizzoli, 2005, S Im Jahr 1948 gab es in Palästina etwa Juden und etwa Araber; in dem Teil Palästinas, den der Teilungsplan dem Staat Israel zudachte (Resolution 181 vom 29. November 1947), gab es Juden und Araber. 13 Englisch: transfer. 14 Israel Shahak, Jewish History, Jewish Religion, Pluto Press, London, Sterling (Virginia), 2002, S Benny Morris, Esilio, S The complete Diaries of Theodor Herzl, I, 88, zitiert nach Benny Morris, Esilio, op. cit., S Benny Morris, The Birth of the Palestine Refugee Problem , Cambridge, University Press, 1987, S Ben Gurion, Lines for Zionist Policy, 15. Oktober Zitiert nach Nur Masalha, The Historical Roots of the Palestinian Refugee Question, in: Naseer Aruri (Hg.), Palestinian Refugees. The right of return, Pluto Press, London, Sterling (Virginia), 2001, S Simha Flapan, The Birth of Israel: Myths and Reality, London, Croom Helm, 1987, S. 90. Zitiert nach Nur Masalha, The Historical Roots, S David Ben Gurion, Yoman Hamilhamah [Kriegstagebuch], Band 1, 6. Februar 1948, S Zitiert nach Nur Masalha, The Historical Roots, S Für einige Historiker (z.b. Walid Khalidi, Plan Dalet: Masterplan for the Conquest of Palestine, Journal of Palestine Studies, 18/69 (Herbst 1988), S. 4-20) ist der Plan Dalet ein authentischer Gesamtplan zur Vertreibung der Palästinenser. Für andere (z.b. Benny Morris, The Birth of the Palestine Refugee Problem , Cambridge, University Press, 1987) handelt es sich um einen militärischen und nicht um einen politischen Plan. Allerdings schreibt B. Morris (op. cit., S. 64) auch: Dennoch gibt es angesichts einiger Gebiete und Ortschaften mit strategischer Schlüsselposition von Anfang April an klare Anzeichen einer Vertreibungspolitik, und zwar sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene. In einem Beitrag in einer nachfolgenden Studie (E. Rogan u. A. Shlaim, La guerra per la Palestina, Il Ponte, Bologna, 2004) kommt Morris auf das Thema der Befehle zur Vertreibung zurück und ändert seine Sichtweise zum Teil: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Kristallisation des Zuspruchs seitens der zionistischen Anführer bezüglich der Umsiedlung dazu beigetragen hat, die palästinensische Abwanderung 1948 zu beschleunigen. Auf gleiche Weise wurde ein größerer Teil der Abwanderung von expliziten Vertreibungsbefehlen an die israelischen Streitkräfte und entsprechenden Aktionen hervorgerufen, und zwar deutlich früher als in The Birth of... angegeben. 22 Forschungsgruppe zum Zeitgenössischen Mittleren Osten Mailand, Nakba, L espulsionde dei palestinesi dalla loro terra, Ripostes, Salerno, Roma, Es ist zu beobachten, dass solche Operationen alle vor dem Ausbruch des arabisch-israelischen Kriegs ( ) stattfanden, und acht davon außerhalb des von der UNO dem künftigen jüdischen Staat zugedachten Gebiets. 115

7 23 Weitz Diary, S I, Central Zionist Archives, Jerusalem. Zitiert nach Le Dossier Palestine, Editions La Découverte, Paris 1991, S Dominique Vidal, Le péché originel d Israel, Les Editions de l Atelier, Paris, 2002, S Name der jüdischen Gemeinschaft, die vor der Schaffung des Staates Israel in Palästina lebte. 26 Zitiert nach Benny Morris, 1948 and After, Israel and the Palestinians, Clarendon Press, Oxford, Siehe auch Dominique Vidal, Le péché, S Ilan Pappe, Storia della Palestina moderna, Einaudi, 2005, S Wir geben als Beispiel einige Schätzungen bezüglich der Anzahl der von Israel eingenommenen Dörfer wieder. Nach Morris sind es 369 (The Birth of the Palestine Refugee Problem , Cambridge, University Press, 1987), nach Walid Khalidi 418 (All that remains. The Palestinian villages occupied and depopulated by Israel in 1948, Institute for Palestinian Studies, Washington, D.C., 1992); 531 in der von Abu Sitta erstellten Liste (Palestinian Right to Return, Sacred, Legal, and Possible, The Palestinian Return Center, London, 1999). Die Unterschiede bei diesen Zahlen gehen zum Teil auf die unterschiedlichen Kriterien zurück, die von den Wissenschaftlern zur Definition eines Dorfes angewendet wurden. Insbesondere Abu Sitta schließt in seine Auflistung auch die Stammesgebiete aus dem Bezirk von Be er Sheva ein (die von anderen Historikern ausgenommen wurden). Die Flüchtlinge aus dem Bezirk von Be er Sheva (Negev) zählten etwa Morris (bereits zitiert) schätzt 85%, Abu Sitta (bereits zitiert, S. 30) schätzt 89%. 30 Nach Morris waren es insgesamt vier (Madhar, Hadatha, Ulam, Sirin. B. Morris, op. cit., S. XV). Nach Abu Sitta waren es fünf (S. Abu Sitta, op. cit., S. 33). Anderen Historikern zufolge gab es keine solchen Vorkommnisse. 31 B. Morris, 1984, Israele e Palestina tra guerra e pace, Rizzoli, Milano, 2004, S. 78. Vgl. auch Ilan Pappe (Hg.), The Israel/Palestine Question, Routledge, London, New York, 1999, S Guido Valabrega, Palestina e Israele: un confronto lungo un secolo tra miti e storia, Teti Editore, Mailand, 1999, S Nach Abu Sitta (Palestinian Right to Return, Sacred, Legal, and Possible, The Palestinian Return Center, London, 1999, S. 24) gab es in dem genannten Zeitraum Flüchtlinge und 213 entvölkerte Ortschaften, was 43% der insgesamt 531 zwischen geräumten Ortschaften entspricht. Die Zahl der Flüchtlinge entspricht der des Geheimdienstberichts der Haganah (Die Abwanderung der Araber aus Palästina im Zeitraum zwischen dem und dem ), der mit einer Fehlerabweichung von 10-15% von Flüchtlingen spricht. Vgl. B. Morris, 1984, Israele e Palestina tra guerra e pace, Rizzoli, Mailand, 2004, S Elias Sanbar, Il palestinese, Figure di un identità: le origini e il divenire, Jaca Book, Mailand, 2005, S Späterer Premierminister Israels und Friedensnobelpreisträger. 36 Jitzchak Rabin berichtet in seinen Memoiren Pinqas Sherut (auf Hebräisch: Dienstnotizen) von einer Begegnung mit Ben Gurion, der ihm mit einer ausdrücklichen Handbewegung zu verstehen gibt, dass die Einwohner Lyddas und Ramlas vertrieben werden. Der Absatz wurde von der israelischen Regierung zensiert. Später hat Peretz Kidron, der Übersetzer der Pinqas Sherut ins Englische, die Zeilen der New York Times zukommen lassen, die sie am 23. Oktober 1979 abdruckte. Benny Morris, 1984, Israele e Palestina tra guerra e pace, Rizzoli, Mailand, 2004, S Nur Masalha, The Historical Roots of the Palestinian Refugee Question, in: Naseer Aruri (Hg.), Palestinian Refugees. The right of return, Pluto Press, London, Sterling (Virginia), 2001, S Abu Sitta, Palestinian Right to Return, Sacred, Legal, and Possible, The Palestinian Return Center, London, 1999, S B. Morris, Haaretz, 9. Januar Ilan Pappe, Storia della Palestina moderna, Einaudi, 2004, S Salman Abu Sitta, Mettere in pratica il diritto al rimpatrio, in: La nuova Intifada, a cura di Roane Carey, Marco Tropea Editore, Mailand, 2002, S F. Massoulié, Il conflitto del Medio oriente, Giunti, Dominique Vidal, Joseph Algazy, Le péché originel d Israel, Les Editions de l Atelier, Paris, 2002, S Am Avi Shlaim, Collusion across the Jordan. King Abdullah, the Zionist Movement, and the Partition of Palestine, Clarendon Press, Oxford, Vgl. auch Dominique Vidal, Joseph Algazy, Le péché originel d Israel, Les Editions de l Atelier, Paris, 2002, S. 64. Es handelt sich um das geheime Abkommen zwischen Golda Meir und König Abdullah von Transjordanien vom 11. November 1947, zwölf Tage vor dem von den ereinten Nationen verabschiedeten Teilungsplan zu Palästina. Tatsächlich wird am Ende des Krieges gerade dieser geheime israelisch-jordanische Plan eingehalten, und nicht der offizielle Plan der UNO: Jordanien besetzt die Westküste, Israel dehnt sich um mehr als ein Drittel über das von der UNO bestimmte Gebiet aus. 46 A survey of Palestine: Prepared in December 1945 and January 1946 for the Information of the Anglo-American Committee of Inquiry, Palestine, Government Printer, 1946, S. 238 und Erskine Childers, irischer UNO-Funktionär, veröffentlicht 1971 The Wordless Wish: from Citizens to Refugees, und bestreitet die israelischen Behauptungen über die Aufrufe zur Flucht. Insbesondere die Radioübertragungen der Zeit, die alle vom Monitoring Service der BBC aufgezeichnet worden sind, enthalten keinerlei arabische Aufrufe zur Flucht. Zum berühmten Aufruf zur Flucht von Haifa vgl. Forschungsgruppe zum Zeitgenössischen Mittleren Osten Mailand, Nakba, L espulsionde dei palestinesi dalla loro terra, Ripostes, Salerno, Rom,

8 199 Ramla und Lydda Aus diesen beiden wichtigen palästinensischen Städten wurde im Juli 1948 die Bevölkerung vertrieben (neben den Flüchtlingen, die aus den umliegenden Siedlungen flohen). An der Verantwortung für die Vertreibung besteht kein Zweifel, denn es ist zwischenzeitlich durch vielen Quellen gut belegt, wie die Befehlshaber (darunter J. Rabin) Ben Gurion, den damaligen israelischen Regierungschef, ausdrücklich danach fragten, was man mit der arabischen Bevölkerung der Städte anstellen solle. Rabin schreibt in seinen Memoiren: Ben Gurion machte eine Handbewegung und sagte garesh otam jagt sie weg. Die Situation der arabischen Bevölkerung der Städte sah so aus: Januar 1947 (englischen Angaben zufolge) November 1948 nach der Entvölkerung (israelischen Angaben zufolge) Ramla Lydda Man konnte nie mit Sicherheit feststellen, wie vhiele Personen während der Operationen zur Entvölkerung der Städte ums Leben kamen. Der palästinensische Historiker Aref al-aref schätzt ihre Zahl auf mindestens 400. Die Entvölkerung der Städte Rahmla und Lydda ist eine der grausamsten Episoden der Nakba. Wir geben hier die Augenzeugenberichte von zwei hohen palästinensischen Führungsphersönlichkeiten wieder, der eine stammt aus Ramla und der andere aus Lydda. Khalil Ibrahim al-wazir wurde 1935 in Ramla geboren. Er erlebte den Leidensweg seines Volkes als dreizehnjähriger Junge. Er trat später dem Widerstand bei, war unter dem Namen Abu Dschihad bekannt und eine herausragende Persönlichkeit der al-fatah. Er wurde am 16. April 1988 in Tunis von einem israelischen Kommandanten getötet. George Habbash, ein Exponent der christlichen Gemeinde Palästinas, war der Gründer der Volksfront zur Befreiung Palästinas. Er wurde 1925 in Lydda geboren und starb am 26. Januar 2008 in Amman. Khalil Ibrahim al-wazir: Ich erinnere mich, als ob gestern der Tag gewesen wäre, an dem die zionistischen Streitkräfte Jaffa angriffen, sagte mir Abu Jihad. Die Araber der Stadt hatten uns einige Autos und Lastwagen nach Ramla geschickt. Helft Jaffa, schrieen sie, helft Jaffa!. Ich erinnere mich an die Frauen und Männer des Dorfes, die in diese Autos, auf diese Lastwagen stiegen. Ein Mann hatte eine uralte Pistole in der Hand, einige Dolche und Knüppel. Zu dieser Zeit half man sich gegenseitig. Wir wussten, dass die Juden, sobald sie Jaffa hätten, auch nach Ramla und Lydda gekommen wären. Und genau so war es auch. In einer Nacht umstellten sie beide Städte, und das war einfach für sie, denn die Jordanier zogen sich kampflos zurück. Wir waren umzingelt und auf uns gestellt. Unsere Leute konnten nicht kämpfen, sie hatten keine Waffen. Der Bürgermeister begab sich in Begleitung einer Delegation des Rathauses zum jüdischen Kommandanten und sagte: In Ordnung, ihr könnt in die Stadt, aber ohne Gefangene zu nehmen oder den Einwohnern weh zu tun, und ihr müsst ihnen erlauben, in ihren Häusern zu bleiben und ein normales Leben zu führen. Aber die Juden weigerten sich, sie wollten, dass wir unsere Häuser und unsere Stadt aufgaben. Als wir beschlossen, nicht wegzugehen, nahmen die Juden Ramla und Die Einwohner Ramlas werden aufgereiht und aus der Stadt geführt. 117

9 Lydda unter Artilleriefeuer. Ich kann nicht vergessen, was geschehen ist. Das Dach unseres Hauses wurde getroffen und wir flüchteten in den Keller. Dann schlug eine weitere Granate in die Straße ein und die Druckwelle zerstörte unsere Haustür. Die Granaten regneten auf ganz Ramla herab. Der Bürgermeister sagte den Leuten, dass sie in den Moscheen und Kirchen Schutz suchen sollten. Wir wohnten in einem christlichen Viertel der Stadt und flüchteten in die katholische Kirche. Unterwegs wurden einige unserer Nachbarn von den einschlagenden Granaten getötet. Bevor die Juden die Stadt betraten, blieben wir zwei Tage lang in der Kirche. Männer, Frauen und Kinder schliefen Seite an Seite, es war sehr eng, sodass wir gezwungen waren, die Beine auf die Körper der anderen zu legen. Als die Juden kamen, stieg ich auf die Empore. Durch die Fensterläden sah ich jüdische Soldaten auf einige Frauen und Kinder schießen, die sich noch auf der Straße befanden. Ich kann diese Szene nicht vergessen. Dann sah ich einige, die unsere Häuser betraten und dabei die Türen eintraten und schossen. Aus einigen Häusern stießen sie die Leute auf die Straße und töteten sie. Die Menschen in der Kirche weinten und sagten: Deir Yassin, Deir Yassin. Wir waren uns sicher, dass sie uns massakrieren würden. Der Priester bereitete eine weiße Fahne vor, und als die Soldaten in die Straße eindrangen, in der die Kirche stand, ging er ihnen entgegen. Dann kam er mit ihnen in die Kirche zurück. Die Soldaten sagten: Hände hoch, und alle gehorchten. Dann begannen die Soldaten mit der Selektion. Sie wollten alle Männer zwischen 14 und 45 Jahren. Sie brachten sie fort und steckten sie ins Gefängnis oder in Konzentrationslager. Sie ließen nur die Kinder, Frauen und die alten Menschen zurück. Am folgenden Tag gestatteten sie uns, in unsere Häuser zurückzukehren, und ich kann nicht vergessen, was dann geschah. Während der Nacht betraten die Soldaten unser Haus mindestens zehnmal und brachten alles durcheinander. Sie sagten, dass sie Waffen suchen würden, aber in Wirklichkeit wollten sie uns Angst einjagen. Es war ihre Taktik, um uns zum Verlassen unserer Häuser, unseres Landes zu zwingen. Zu dieser Zeit war meine Oma sehr alt und krank, und jedes Mal, wenn die Juden ins Haus kamen, zogen sie ihr die Decken vom Bett. Als sie verstanden, dass wir nicht gehen würden, wurden sie von einer immer größeren Wut gepackt. Zwei Tage später verkündeten die Juden mit Lautsprechern den Befehl, unsere Häuser zu verlassen und uns an bestimmten Stellen auf der Straße einzufinden. Sie sagten, dass sie nun einige Autobusse organisiert hätten, die uns nach Ramallah bringen würden. Wir blieben drei Tage lang auf der Straße. Nachts schossen sie über unseren Köpfen. Am zweiten Tag befahlen sie den Alten, zu Fuß in Richtung Ramallah aufzubrechen, da die Autobusse noch nicht da waren. Ich blieb mit drei meiner Brüder einer lag noch in den Windeln, meinen drei Schwestern, meiner Mutter, meiner Oma und meiner Tante. Am dritten Tag kamen die Autobusse. Wir hatten einige Koffer dabei. Einer enthielt Brot und Käse und auch einen neuen Schlafanzug, auf den ich sehr stolz war. Als die Juden uns sagten, dass wir die Koffer nicht mitnehmen konnten, versuchte ich das Brot, den Käse und meinen Schlafanzug zu retten. Mit der unschuldigen Stimme eines Kindes sagte ich auf Hebräisch zu einem der Fahrer: Herr Fahrer, ich würde gern etwas zum Essen nehmen und zeigte auf einen unserer Koffer. Er gab zurück: In Ordnung, in Ordnung. Aber als ich die Hand auf den Koffer Besonders tragisch ist der Marsch zehntausender Menschen aus den beiden Städten, von dem nur dieses eine verblasste Bild existiert. 118

10 legte, hörte ich jemanden auf Hebräisch schreien. In diesem Moment riss mich meine Mutter an die Brust sie hatte einen jüdischen Soldaten gesehen, der auf mich zielte. Ich hörte einige Schüsse... Wenn meine Mutter nicht gesehen hätte, was gleich passieren würde, wäre ich wahrscheinlich erschossen worden. Die Kugeln verfehlten mich aus reinem Zufall und trafen das Bein einer unserer Nachbarn. Er gehört zur Familie al-marsala und lebt heute in Amman. Wenn Sie ihn besuchen, dann sagt er Ihnen, dass die Kugeln, die er immer noch im Bein hat, das Opfer sind, das er für das Leben des Khalil Wazir dargebracht hat! Endlich sollten die Frauen und Kinder Ramlas in die Busse einsteigen und wurden nach Ramallah gebracht. Aber ihr Unglück war noch nicht zu Ende, das Schlimmste sollte noch kommen. Als wir etwa zehn Meilen vor Ramallah waren, hielten die Busse an und die Juden sagten uns, dass wir aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen sollten. Sie zeigten mit den Fingern und sagten: Ramallah ist da unten, ihr müsst diese Hügel und Täler überqueren. So machten wir uns auf den Weg. Viele der Frauen waren alt und krank, sie mussten alle paar Minuten anhalten, um Atem zu holen und sich auszuruhen. Andere, die gehen konnten, waren bald erschöpft, weil sie ihre Kinder tragen mussten. In der zweiten Nacht beschossen die Juden uns mit Kanonen und Mörsern. Am Anfang versteckten wir uns hinter einigen Felsblöcken, aber dann, als die Bombardierung weiterging, fingen alle aus Panik an zu schreien... Und wir liefen, liefen und rannten weiter in Richtung Ramallah. Ich kann nicht vergessen, was geschehen ist. Einige Mütter ließen ihre Kinder zurück sie waren zu erschöpft, um sie weiter zu tragen. Selbst meine Tante empfahl meiner Mutter, die drei Kinder auf dem Arm trug, eines zurückzulassen. Sie sagte: Du kannst nicht laufen, wenn du drei Kinder trägst. Sie werden dich umbringen. Du musst welche zurücklassen, wir schicken Hilfe, wenn wir in Ramallah sind. Meine Mutter lehnte ab und sagte: Khalil, du bist erst elf und nicht sehr kräftig... meinst du, du kannst eine deiner kleinen Schwestern tragen und trotzdem laufen? Ja gab ich zurück, und tat es. Einige Kinder blieben zurück, weil es niemanden gab, der sie tragen konnte. Einige wurden verlassen, weil ihre Mütter umgebracht wurden. Auch heute kann ich das noch nicht vergessen. In der Gegend gab es keine arabischen Soldaten... weder reguläre, noch Freiwillige, keinen einzigen arabischen Soldaten. Die Juden wussten, wer wir waren und wo wir waren. Das war ein vorsätzlicher und geplanter Angriff, der nur ein Ziel hatte: Sie wollten, dass wir in Ramallah in Angst und Panik und verzweifelt ankamen. Sie hofften, dass unsere Lage und das, was wir erzählten, die anderen erschrecken und sie zur Flucht aus ihren Häusern treiben würde. All das war Teil einer intelligenten und effizienten Strategie der Zionisten, um uns dazu zu zwingen, von Panik ergriffen unser Land zu verlassen. Von Ramallah aus und in höchster Panik, die anschließend herrschte, konnten Khalil und etwa 50 Frauen einen Platz in einem Lastwagen finden, der nach Hebron fuhr, und von dort in den Gazastreifen gelangen. Nach dem Teilungsplan der Vereinten Nationen hätte Gaza Teil des arabischen palästinensischen Staates werden sollen. Während der Kämpfe hatten die Ägypter nicht nachgegeben, und so wurde der Gazastreifen Teil Ägyptens, als 1949 das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde. In gleicher Weise wurden die anderen Teile Palästinas, die den Arabern zugedacht und nicht von den Israelis erobert worden waren, zu einem Teil Jordaniens. George Habbash: Lydda fiel am 14. Juli 1948 nach drei Wochen Belagerung. Es war der schwärzeste Tag meines Lebens. Einige Stunden nachdem ich meine Schwester begraben hatte, kamen tatsächlich bewaffnete Zionisten und verlangten angriffslustig, dass wir unser Haus schnellstmöglich verlassen sollten. Wer seid ihr eigentlich? haben wir gefragt. Sie haben uns nicht geantwortet, sind aber beharrlich geblieben, bis wir alles zurückgelassen haben. Als wir aufbrachen, haben wir unsere Nachbarn gesehen, die ebenfalls unter der Bewachung von Soldaten, die in regelmäßigen Abständen an der Straße Posten bezogen hatten, aufbrachen. Ich wollte zu der medizinischen Fürsorgestelle (wo ich arbeitete) zurückkehren und nach den Kindern meiner Schwester sehen. Wir kannten den Grund unseres Massenaufbruchs nicht. Wir dachten, dass sie uns auf einem Feld versammeln wollten, um uns Anweisungen zu geben, weil sie die Häuser in unserer Abwesenheit durchsuchen wollten, und dass wir anschließend zurückkehren könnten. Ich habe nicht gedacht, dass sie uns entwurzeln wollten, und dass wir nie mehr in unsere Häuser zurückkehren würden. Tatsächlich war alles bis ins kleinste Detail vorbereitet worden, um uns schnell aus der Stadt zu vertreiben. Geht zu König Abdallah, der ist jetzt für euch verantwortlich! schrieen einige israelische Soldaten, durchsuchten ein paar Palästinenser und verlangten vor allem von uns, dass wir uns nicht widersetzten. Amine Hanhan, der Sohn unserer Nachbarn, hatte Dinar dabei. Die Soldaten versuchten, sie ihm abzunehmen. Er hat sich gewehrt. Sie haben ihn vor unseren Augen getötet. Wir durchlebten den Albtraum eines Volkes, das zum Exodus verurteilt worden war. Nach einer Stunde Marsch waren wir bereits aus der Stadt draußen. Alle hundert Meter sagte uns ein Soldat, wohin wir gehen sollten. An einem Checkpoint stahlen einige Soldaten den Schmuck der wegziehenden Frauen. Während des Gewaltmarsches sind einige an Hunger und Durst gestorben. Wir mussten die Toten auf der Straße liegen lassen. Entkräftet stürzten wir uns auf das schmutzige Wasser eines verseuchten Brunnens. Wir liefen bis zum Einbruch der Nacht und schliefen unter einem notdürftig errichteten Zelt im Dorf Naalin. Am Tag darauf ging es weiter bis Bir Zeit, dann kamen wir in Ramallah an, wo meine Familie für zwei Jahre geblieben ist. Meine Eltern haben alles zurückgelassen, ihre Güter, ihre Möbel. Sie retteten nur die Haustürschlüssel und die Urkunden, die bewiesen, dass das umliegende Gelände uns gehörte. Vielleicht würden diese Urkunden eines Tages von Nutzen sein? In der Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können, haben einige Palästinenser Schmuck und Geld vergraben. In der Tat waren wir nach wie vor der Überzeugung, dass wir zurückkehren würden. Niemand konnte sich vorstellen, dass wir am Anfang eines Leidenswegs stünden, der auch heute, nach 59 Jahren, noch immer nicht zu Ende ist! Seit Ramallah ging ich jeden Tag in ein Café, um Neuigkeiten zu unserer Rückkehr zu erfahren. Eine Nachricht erschütterte mich damals: Ben Gurion, der israelische Premierminister, hatte erklärt, er hoffe, dass die Zahl jüdischer Einwohner des jüdischen Staates bis 1952 auf vier Millionen ansteigen würde, während sie damals gerade betrug. Das erschien mir verwunderlich. Doch diese Erklärung zeigte die zukunftsweisenden Ambitionen und Planungen der zionistischen Anführer. QUELLEN: Der Text von Khalil Wazir ist dem Werk von Alan Hart, Arafat, terrorista o pacifista?, Milano, 1984, S , entnommen. Der Text von George Habbash stammt aus: G. Habbash, Les révolutionnaires ne meurent jamais. Conversations avec George Malbrunnot, Paris, 2008, S

11 120 Eine Gruppe Deportierter aus der Stadt Ramla.

12 1948. Auf der Strecke zu den Flüchtlingslagern im Libanon wird eine Gruppe von Kindern in einem an der libanesischen Grenze gelegenen Kloster beherbergt. 121

13 10 Erinnerungen an eine verlorene Kindheit Anlässlich des 50. Jahrestages der Nakba veröffentlichten die zwei Schwestern Rawan und Dima al-damin eine Sammlung von zwanzig Augenzeugenberichten. Es sind Zeugnisse von Personen, die die Jahre der Vertreibung als Kinder und Jugendliche erlebt haben. Dabei entstanden äußerst interessante Texte, die es erlauben, Einblick in das Leben von Zehntausenden zu nehmen, die von dieser Tragödie gezeichnet wurden. QUELLE: R. Und D al-damin, Exodus in the Memory of Childhood living Palestinian Witnesses, 1997 (auf Arabisch). Auda Rantisi 1948 war Auda Rantisi zwölf Jahre alt. Interview in Ramallah am 22. März Rantisi ist christlicher Priester. Ich bin stolz darauf, in Lydda geboren worden zu sein. Meine Familie besteht aus meinem Vater, meiner Mutter, drei Jungen und zwei Mädchen. Ich bin der Zweitgeborene. Ich bin im November 1936 geboren und war zwölf Jahre alt, als wir aus Lydda weggingen, meine größere Schwester vierzehn, die kleinste drei. Meine Familie war für ihre Seifenherstellung berühmt. Als ich fünf Jahre alt war, ging ich allein nach Jaffa, wo mein Vater eine Seifensiederei besaß. Die Stadt kenne ich gut, weil ich während der Schulsommerferien immer dort gearbeitet habe war ich mit der Grundschule fertig. Was für schöne Erinnerungen ich noch an diese Schule und ihren Rektor habe, an dessen Namen ich mich sogar noch erinnere: Abu Assaud. Er war ein Patriot, der von den Engländern von Jerusalem nach Lydda deportiert wurde. Oft griffen die Juden die Schule an. Wir hatten große Angst. Unsere Eltern verboten uns wegen der Schüsse, auf die Straße zu gehen. Allmählich wurde die Schule endgültig zu einem militärischen Stützpunkt. Seit das britische Mandat über Palästina endete, haben die Juden ihre Angriffe mit Luftangriffen tagsüber und Kanonenbeschuss in der Nacht verstärkt. Das Haus meiner Tante lag wegen eines Bombenangriffs in Trümmern. Die palästinensischen Kämpfer antworteten auf das Feuer mit den Kanonen, die die britische Armee zurückgelassen hatte. Sie waren unbrauchbar, sonst hätten sie sie kaum zurückgelassen. Niemand war in der Lage, sie sachgerecht zu bedienen. Das Ziel sah man nur ungenau und wurde von einem jungen Mann mit Augengläsern anvisiert, der aufrecht neben der Kanone stand. Ich habe ihn oft schreien hören: weiter nach rechts, ein bisschen rauf, runter und so weiter. Im Juli war die Umzingelung Lyddas lückenlos. Die Straßen nach Jaffa waren unterbrochen. Die Leute hatten Angst. Ich erinnere mich, dass der 4. Juli ein Sonntag war. Wir hatten uns alle im Haus eingeschlossen. Von draußen hörten wir nur die Schritte. Ab und zu sahen wir aus dem Fenster. So ging es bis zum 12. Juli, eine ganze Woche lang. An Essen fehlte es nicht, und auch nicht an Solidarität mit den anderen, denen es ebenso erging. In Lydda wurde kein Unterschied zwischen Muslimen und Christen gemacht, wir fühlten uns alle verbunden, um diese schwierige Zeit der Angst zu überstehen. Wir glaubten nicht, dass die Juden uns verjagen wollten, denn sonst hätten sie das gleich am ersten Tag gemacht (so dachten wir!). Am Morgen des 12. Juli schlug jemand an die Tür. Es waren drei israelische Soldaten. Meine Mutter, die gut Englisch und Deutsch konnte, öffnete die Tür. Der Befehl lautete: Geht raus und lasst alles offen. Meine Mutter wusste, dass diese Taktik, die Leute aus dem Haus zu schikken, zur Zeit des britischen Mandats von 1936 seit Jahren dazu diente, das Haus zu durchsuchen. Sie trieben die Leute auch für einen ganzen Tag auf die Felder, und dann, wenn sie nichts fanden, schickten sie sie zurück. Wir dachten, das sei auch jetzt so. Wir gingen alle hinaus zur katholischen Kirche Mar Jiris aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., die direkt gegenüber der Moschee lag. Doch bevor wir ankamen, stießen wir auf eine Straßenblockade mit vielen israelischen Soldaten und einer großen Gruppe Palästinenser, die einen anderen Weg einschlugen. Alle liefen, etwa Personen. Man erzählte von einem Massaker mit sieben Toten, das in der Dahmash-Moschee stattgefunden habe. Als wir in den Außenbezirken der Stadt angekommen waren, wies uns die israelische Armee die Straße in Richtung der Hügel. In diesem Augenblick dachten viele an ein erneutes Massaker. Die Angst und die Aufregung waren mit Händen zu greifen, auch weil der Zug gewaltsam in Richtung des Bergpfads gedrängt wurde, und nicht auf die asphaltierte Straße, die keine zwei Schritte von uns entfernt war. Wir gelangten zu einem großen Bauernhof mit großen Toren, an denen drei Soldaten standen und schossen, um uns zum Eintreten zu zwingen. Wir dachten, dass drinnen die Gefahr vorüber sei. Unter den Leuten herrschte Angst und Verwirrung. Vor mir befanden sich ein Karren, der von einem Pferd gezogen wurde, und eine Frau mit ihrem Kind auf dem Arm. In der Panik, im Geschiebe und Gedränge fiel das Kind herunter. Die Mutter schaffte es nicht rechtzeitig, das Kind vor den Rädern des Karrens zu retten. Ich trage immer noch das Entsetzen dieser Tragödie in mir: das Kind und die Verzweiflung der Mutter. Diese Episode hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. In der Zwischenzeit breiteten die Juden Decken auf dem Boden aus und befahlen uns, all unser Geld, Essen und Gold dort abzulegen. Ich kannte einen, der wenige Wochen zuvor geheiratet hatte. Er hatte ein Bündel mit Schmuck, den er gerade erst als Geschenk erhalten hatte. Mein Opa versuchte, die Milch und den Zucker seiner Enkel zu verstecken, aber vergeblich. Bei Einbruch der Nacht folgten wir einem Pfad, der uns zu einem Feld führte, auf dem Zucchini und Auberginen angebaut wurden. Ich erinnere mich, dass auch ich Holz gesammelt hatte, damit wir ein Feuer machen und das Gemüse garen konnten. Aber nach etwa einer Stunde zwang uns das Dröhnen der Flugzeuge, das Feuer mit dem wenigen Wasser zu löschen, das wir noch hatten. Männer und Reiter liefen auf uns zu und schossen blindwütig. Das Chaos ergriff alle, alle rannten in alle Richtungen. So habe ich meine Familie aus den Augen verloren. Diese Trennung hat mein Leben gezeichnet und ich habe verstanden, was es bedeutet, Flüchtling zu sein. Ich begann sofort mit der Suche, aber anstelle von Antworten erhielt ich nur ähnliche Fragen wie meine eigenen es waren. Von dem vielen Laufen war ich ganz erschöpft. Endlich traf ich meinen Onkel mit meiner Schwester. Er sagte mir gleich, dass mein Vater und die anderen zurückgeblieben seien. In Wahrheit wusste er von den anderen nichts, er wollte mich nur beruhigen. Während unseres Weges über die Feldwege und Anhöhen fanden wir einen Brunnen, hatten aber nichts, um das Wasser heraufzuziehen. Der große Durst zwang uns, einen schmalen Cousin von mir an aneinander gebundenen Kleidern hinab zu lassen. Er tunkte eine Jacke ein und zog sie nach oben. Wir wrangen sie aus und löschten unseren Durst. Mein Onkel wies uns einen Platz an, an dem wir schlafen sollten. Aber in der Tiefe der Nacht beschloss ich aus großer Sorge um den Rest meiner Familie, davon zu laufen und sie zu suchen. Ich bin lange gelaufen. Ich war verschreckt und sehr aufgeregt, aber ich wollte weitergehen. In der Ferne glaubte ich Menschen zu sehen, die noch unterwegs waren. Kurz danach hörte ich plötzlich die Stimme meines Vaters. Ich habe Papa geschrieen und bin in seine Arme gerannt. Mit den Augen suchte ich nach der Mutter und den anderen. Zusammen stießen wir zu meinem Onkel. In der Zwischenzeit ging die Sonne auf. Wir liefen bis Bili in. Wir waren ungefähr 50 Personen. Dort haben wir einen Lastwagen gefunden, der uns alle nach Ramallah mitnahm, einer auf den anderen gestapelt. Einige von dort verwiesen uns an die Mädchenschule Farandaz. Wir gingen hinein und stellten fest, dass sie voll mit Leuten wie uns war. Sogar der Raum unter 122

14 der Treppe war bewohnt. Die Klassenzimmer waren besetzt. Jede Familie hatte eine Ecke. Wir setzten uns genau in die Mitte. Diese Unterkunft hatten wir für anderthalb Monate. Wir Kinder spielten mit den anderen, die Eltern gingen auf die Suche nach Nahrungsmitteln. Es gab Zusammenarbeit, eine Familie besorgte Mehl, die andere Holz, die dritte buk das Brot. Im September beschloss die Gemeinde, die Schule zu öffnen. Sie stellten uns Zelte in der Nähe des Duniah-Kinos zur Verfügung. Doch bald entstand hinter dem Kino ein großes Flüchtlingslager. Der Winter war hart, so hart, dass ich erstmals Schnee zu Gesicht bekam. Am Anfang spielte ich damit und vergnügte mich, aber dann schmolz der Schnee und drang in das Zelt ein. Daher entschied mein Vater, für einen Monat ein Zimmer zu mieten. Anschließend kehrten wir ins Zelt zurück. Die Gemeinde hatte einen Platz außerhalb der Stadt gefunden, wo alle Zelte untergebracht werden konnten, in erster Linie aus hygienischen Gründen. Ich erinnere mich daran, dass die Kopfläuse wirklich sehr lästig waren. Oft fragte ich mich, warum uns das alles passiert ist, was geschehen ist, warum wir aus unseren Häusern herausgeholt werden mussten, wo unser Land, unsere Würde ist? Mit einem Schlag sind wir zu Nichts geworden. In dieser Zeit war ich sogar gezwungen, unserer Familie bei der Arbeit zu helfen. Ich erinnere mich, dass ich für wenige Münzen die Kekse verkaufte, die man mir schenkte. Dann wurde ich zum Wanderverkäufer von Flüssiggas für Gaskocher. Natürlich war die Ware schwer durch die Straßen zu schleppen, aber angesichts der verzweifelten Umstände lohnte es sich. Ich habe auch Zigaretten verkauft und in einem Café gearbeitet. Ich tröstete mich damit, dass auch die anderen Jungen in der gleichen Lage waren. In den Familien war jeder Einzelne, auch der Kleinste, eine Verdienstquelle. Niemand sah diese Tätigkeiten als Ausbeutung an. Ich vermisste allerdings die Zeit zum Lernen, aber es war einfach nicht möglich. Endlich fand ich eine Arbeit in einer Schreinerei, bei Aziz Badr, wo ich das Handwerk lernte. Wir blieben für weitere dreieinhalb Jahre im Flüchtlingslager, bis wir eine Wohnung in Ramallah mieteten. Meine Mutter hatte von einer Schule gehört, die eigens für die Flüchtlinge eingerichtet wurde, und erzählte mir sogleich davon. Das war Ich meldete mich für die fünfte Klasse an (ich war sechzehn). Ich war zufrieden, denn ich schloss viele Freundschaften, an die ich noch mit Freude denke erhielt ich ein Stipendium für England. Ich brach ohne Geld in der Tasche auf (...). Viele von uns glaubten, dass die Vereinten Nationen noch soviel Macht hätten, um wenigstens das Recht auf Rückkehr zu erwirken, aber sie haben uns nur auf den Arm genommen. Die Flüchtlingslager sind immer noch da und wachsen immer mehr an. Es ist ersichtlich, dass es der Zionismus ist, der die Entscheidungen trifft. Jedenfalls weiß ich sicher, dass die Vereinigten Staaten der Kopf sind und der Zionismus der Hals, der den Kopf bewegt. Nach 1967 habe ich eine Reise organisiert, um mit meiner Familie Lydda zu besuchen. Als wir ankamen, wussten wir nicht, wo wir waren, aber wir haben schnell unser Haus gefunden. Wir haben es schweigend betrachtet, als ob wir ins Gebet versunken wären. Es war wirklich schön und groß, sodass es sogar zweigeteilt wurde. Zwei jüdische Familien aus Marokko wohnten darin, die uns erlaubten, hereinzukommen. Ein Junge sagte zu meinem Bruder: Ich bin hier geboren. Mein Bruder gab zurück: Ich auch. Mein Vater war sehr verstört. Und er war es noch mehr, als er später, 1991, erfuhr, dass das Haus einem Wohngebäude weichen musste. Die Ungerechtigkeit ist vollzogen. Sogar die Seifensiederei wurde zerstört. Heute lebe ich mit der Herausforderung dieser Zerstörungen, Ungerechtigkeiten und internationalen Komplotte, aber ich verliere die Hoffnung nicht, denn es gibt ein Sprichwort, das lautet: Gebt mir Menschen, die an ihre Nation glauben, und ich gebe euch eine Nation. Ruta Hanieh Interview in Ramallah am 27. September Ich wurde in der Nähe von Ramallah geboren, im Dorf Abu Shushe, Grabstätte des gleichnamigen (muslimischen) Heiligen. Meine Mutter betete zu ihm, weil sie glaubte, der Heilige habe die Macht, Krankheiten zu besiegen. Unsere Familie bestand aus acht Personen: vier Brüder und meine Schwester und ich. Außerdem lebte noch eine blinde Tante bei uns. Seit ich sieben Jahre alt war, nähte und stickte ich. Es war meine Pflicht, wie für alle Mädchen meines Alters, die so die Aussteuer für ihre kommende Hochzeit anfertigten. Die Stickereien wurden dann allen gezeigt, um die Fähigkeiten der Mädchen unter Beweis zu stellen: eine Art Wettbewerb. Wir waren Bauern. Die Männer arbeiteten das ganze Jahr auf den Feldern zum Sähen und Ernten, davon lebten wir. Ich erinnere mich, dass uns die Juden viermal angriffen. Bei uns gab es keine Kanonen, aber wir taten so, als ob wir welche hätten, sodass uns eines Tages sogar der Rabbiner des benachbarten Dorfs bat, zu dem wir hervorragende Beziehungen hatten, mit der Kanone nicht die Wohnhäuser, sondern den Brunnen zu verteidigen, der außerhalb des Wohnortes lag und auch anderen Wasser spendete. Er sagte, dass Begins Gruppe Hagana das Wasser vergiften könnte und fügte dem seine Verurteilung der Angriffe auf die palästinensischen Dörfer hinzu. Mein größerer Bruder Ahmed war verheiratet und hatte drei Kinder, ich hingegen war zwölf Jahre alt, meine jüngere Schwester zehn. Im April fand in der Nähe des Bab el-wad-viertels eine erbitterte Schlacht gegen eine Gruppe von Juden statt, die viel besser bewaffnet war als wir. Leider fiel mein älterer Bruder in dieser Schlacht als Märtyrer. Am 14. Mai 1948, ich erinnere mich an das Datum, weil es der Gedenktag an meinen Bruder ist, griffen die Juden erneut massenhaft mit Panzerwagen an. Sie schossen wie die Verrückten. Wir waren im Haus eingeschlossen und wussten nichts über meinen Vater und meinen 15-jährigen Bruder Idris. Die Älteren schlugen vor, Häuser und Dorf zu verlassen, weil sich die Auseinandersetzungen hinzogen. So waren wir gezwungen alles zurückzulassen, sogar die Tante. Wir dachten, es wäre sicherer und weniger beschwerlich für sie, zu Hause zu bleiben, anstatt sie eiligen und plötzlichen Ortswechseln auszusetzen. Wir liefen auf den Hügel zu, der sich gegenüber dem Ort befand. Plötzlich hielt meine Mutter an und stieß einen verzweifelten Schrei aus: Mein großer Bruder lag auf dem Boden, etwas weiter der Körper eines weiteren Palästinensers. Es war eine entsetzliche Szene. Ich umarmte meine Mutter, beide waren wir am Boden zerstört und in Tränen aufgelöst. Wir versuchten, meinen Bruder hochzuheben, aber wir schafften es nicht. Ich verließ meine Mutter und ging Hilfe suchen. Auch andere Familien fanden die leblosen Körper ihrer Lieben. So wurde der Marsch zum Unterschlupf unterbrochen, um die Märtyrer zu begraben. Ich kannte drei von ihnen: Die Brüder Mubin und Rateb und Ibrahim Abu Saud, alle aus unserem Dorf. In diesem Moment waren wir alle müde und von Schmerz erfüllt, aber vor allem hatten wir Angst vor weiteren Angriffen. Wir wussten, dass die Provokation der Juden noch nicht zu Ende war, denn ab und zu hörten wir Schüsse und Schreie. Wir fanden in einer Grotte Unterschlupf. Am dritten Tag hörten wir über Megaphone, dass wir in unsere Häuser zurückkehren könnten. Voller Argwohn und Sorge, aber vor allem aus Not kehrten wir ins Dorf zurück. Wir machten uns Gedanken um unsere Tante. Gott sei Dank fanden wir sie unversehrt vor, in Tränen aufgelöst zwar, aber heil und gesund. Nach der Besetzung richteten die israelischen Soldaten ihr Quartier in einem recht hohen Gebäude ein, das als Dar el Khaja bekannt war. Nach etwa sieben Tagen mussten wir aus unseren Häusern und uns bei Dar el Khaja versammeln. Danach leiteten sie uns unter Stoßen und Drohen in Richtung Straße, die nach Imwas führte. Einige von uns begehrten auf, aber da war nichts zu machen: Die Schüsse wurden zum Echo der Kinderschreie. Wir liefen ungefähr einen halben Tag lang, bis wir auf andere Leute aus anderen Dörfern stießen. Sie hatten das gleiche Schicksal wie wir erlitten. Die beiden Gruppen vereinigten sich und wir liefen, bis wir zu den Hütten von Bir Naim gelangten, wo wir endlich unseren Vater trafen. 123

15 Die Menschen dieses Ortes waren sehr gastfreundlich und solidarisch und sagten uns, sie seien es aus Pflichtgefühl und nicht aus Höflichkeit. Zwischenzeitlich stiegen drei Juden aus einem kleinen Lastwagen und luden zwei alte Menschen mit Behinderung aus, die sie in Abu Shushe gefunden hatten. Wir fühlten uns sehr unwohl. Dieses Dorf war zu klein, und viele Familien schliefen draußen auf dem Feld. So vergingen anderthalb Monate zwischen schlimmen Träumen, Albträumen und Hoffnung. Es waren in zweifacher Hinsicht furchtbare Tage, weil unter uns Alte und Kinder waren, die gepflegt werden mussten. Oft waren wir ohne Wasser, und viele brachen unter der Verzweiflung zusammen, weil sie nicht in ihre Häuser zurückkonnten. Diese Situation beherrschte uns alle. Eines Tages kehrte mein Vater zurück und verkündete, dass er in Ramallah eine Mietwohnung gefunden habe. Nun, wir sind immer noch in Ramallah, aber wir verlieren die Hoffnung nicht und sind noch stärker geworden, um die täglichen Herausforderungen zu meistern. Alle wissen vom Massaker in Deir Yassin, niemand von dem in Abu Shushe. Wir litten unter der Besetzung, den Belagerungen, den Massakern und den nicht enden wollenden Ortswechseln mit Kindern und Alten. Der bitterste Tag war 1967, als die Israelis hier in Ramallah mit der Entschuldigung einer Volkszählung ins Haus kamen. Ich habe die Vorstellung nicht ertragen, jemanden bei mir zuhause zu haben, der meinen Bruder umgebracht hat. Ich war gezwungen, sie hereinzulassen. Als sie wieder gingen, kam mir Abu Shushe in Erinnerung, seine Felder, der Hügel, der Brunnen. Niemand vergisst seinen eigenen Geburtsort. Daher entschloss ich mich, mit meinen Neffen und meinem jüngeren Bruder zum ersten Mal dorthin zu gehen. Alles hatte sich verändert: das ursprüngliche Haus war zerstört und in anderem Stil wiederaufgebaut worden. Auf dem Hügel ragten anstatt der Bäume neue Straßen und Häuser in die Höhe. Dieses Panorama erschütterte mich wirklich, als ob ich mir selbst den Geruch und das Geräusch des Windes verwehren würde, um jede Erinnerung auszulöschen. Der Friedhof war entweiht und das Gelände für archäologische Ausgrabungen freigegeben worden. Da die Juden nichts gefunden hatten, ließen sie alles ungepflegt wie zum Zeichen seiner Entwürdigung. So konnten meine Neffen, die ihren Vater kaum kannten (der größere war erst vier Jahre alt), nicht erfahren, wo sein Grab gewesen war, um daran zu beten. Yahya Abdel Salam Habash Yahya Abdel Salam Habash war 1948 neun Jahre alt. Interview in Ramallah am 10. März Beit Djan, dessen Namen auf den kanaanäischen Heiligen Djan zurückgeht, liegt 10 km von Ramla entfernt. Ich erinnere mich, dass das Haus klein war, aber es hatte einen platzähnlichen Hof mit einem großen Heidelbeerbaum in der Mitte, dessen lange Äste auf die Straße ragten. Mein Opa sagte, dass die Passanten das Recht hätten, die Früchte zu essen, weil die Äste auf die Straße hingen mussten wir ein größeres Haus kaufen. Das missfiel mir, weil ich sehr an dem alten Haus hing, auch wenn wir dort zu elft lebten: ich, meine Eltern, vier Brüder und vier Schwestern. Ich war der sechste; der älteste Bruder war 19 Jahre alt (...). Die Kämpfe begannen nach der Entscheidung der UNO, Palästina aufzuteilen. Dafür spricht, dass wir einmal auf der Rückfahrt von Haifa nach Beit Djan Schüsse hörten, als wir uns einer Siedlung näherten. Jemand hatte uns angehalten, und wir stiegen aus dem Auto aus. Ich hatte mich hinter meinem Vater versteckt, und in diesem Augenblick gab einer der Siedler einen Schuss ab, der mich leicht am Bein verletzte. Vor lauter Angst bemerkte ich die Verletzung kaum. Nach langem Warten ließen sie uns weiterfahren. Erst dann wurde mir bewusst, dass ich meine Wunde versorgen lassen musste. Diese Episode zeichnete mein Leben, da ich begriffen habe, dass der moralische Schaden den physischen überwiegt. Später erinnerte ich mich daran, wie das Massaker von Deir Yassin die Bevölkerung hauptsächlich aus Angst in die Flucht getrieben hat. Meine Familie zog in Richtung Sufriah, ein Dorf zwei Kilometer von Lydda entfernt. Der Dorfplatz war schon voller Flüchtlingszelte. Beschwernis und Angst zwangen die Leute, Dinge zu erfinden. So arbeiteten zum Beispiel einige hart daran, einen Kleinlaster in einen Panzerwagen umzubauen, um gegen die echten Panzer bestehen zu können. Andere beschränkten sich darauf, Alteisen für den Panzerbau zu sammeln. Es gab Stolz, aber die Angst beherrschte Frauen, Kinder und Alte. Im Sommer war die Getreideernte äußerst wichtig für das Überleben aller. Solidarität und Anteilnahme fehlten nicht. Einige buken Brot, andere standen Wache. Jede Familie hatte ihre Aufgabe. Ich habe einen Sohn, der in Erinnerung an einen Freund dieses Namens den Namen Nizar trägt. Mein Freund und ich kletterten oft auf den Hügel, auf dem Weizen angebaut wurde. Weiter hinten gab es einen weiteren, eher felsigen Hügel voller Steine. Er taugte nicht zur Bodenbestellung, aber dafür wuchsen zwischen den Steinen da und dort wunderschöne Blumen, die Nizar und ich pflücken gingen. Die Blumen waren von verschiedener Form und Farbe, und sie gefielen uns. Eines Tages gingen wir Blumen pflücken. Wir pflückten viele davon und banden sie zu Sträußen. Auf dem Rückweg hoben wir den Blick gen Himmel und sahen ein Flugzeug fliegen. Als es uns erreichte, wurde Nizar von einer Maschinengewehrsalve getroffen. Alle im Dorf hatten die Schüsse gehört und liefen uns entgegen. Darunter war sogar seine Mutter, die sich nicht vorstellen konnte, dass ihr einziger Sohn gestorben war. In Erinnerung an diesen kaltblütig ermordeten Freund, der Blumensträuße in den Händen hielt, gab ich meinem ältesten Sohn den Namen Nizar. In Lydda wurden die Kämpfe Tag für Tag erbitterter. Viele beschlossen, nach Ramla zu fliehen. Mein Vater akzeptierte nur mit Mühe, sich noch weiter von Beit Djan zu entfernen. Aber er musste nachgeben, als er erfuhr, dass die Munition langsam ausging und die Kämpfe immer mehr Opfer niederstreckten. Wir fanden zusammen mit anderen Familien in einer Kirche Unterschlupf, in der die Priester fünf Fedayin (freiwillige Kämpfer) versteckt hielten. Ich erinnere mich, dass diese fünf eine einzigartige Überzeugung hatten: Sie wollten weiter gegen den Feind kämpfen. Sie warteten auf irgendetwas, vielleicht Verstärkung oder Waffen. Bis eines Nachts etwa dreißig Soldaten die Kirche umstellten. Einige von ihnen betraten die Kirche. Während die Fedayin versuchten, über die Mauer hinter dem Gebäude zu klettern, durchbrach ein Kugelhagel die tiefe Stille der Kirche. Alle waren still und dachten an die palästinensischen Kämpfer. Leider waren die Schüsse der Maschinengewehre sauberer und schneller als die sporadischen Gewehrschüsse. Am Ende brachten die Israelis die Körper der fünf Fedayin einen nach dem anderen herein und legten sie in einer Reihe auf den Boden. Ein israelischer Soldat war verletzt worden, aber als der Krankenwagen kam, stieg auch ein Offizier aus, und plötzlich sah ich mit Erstaunen, wie dieser Mann den palästinensischen Kämpfern salutierte. Diese Szene lehrte mich, dass dem Kämpfer die Ehre der Waffen gebührt, auch wenn es sich um deinen Feind handelt. In diesem Moment fühlte ich Stolz. Ich sah Männer sterben, weil sie an die Sache glaubten, für die sie kämpften. Später betraten die Soldaten die Kirche und trennten die Männer, Frauen und Kinder. Alle wurden durchsucht, doch die Jüngeren, mein Bruder eingeschlossen, wurden gefangen genommen. Allen anderen wurde der Befehl erteilt, in die Moschee zu gehen. Die Angelegenheit rief Verwunderung hervor, und wir fragten uns, warum wohl in die Moschee? Einige stellten die Hypothese auf, dass sie dort morden wollten und nicht in der Kirche. Wie dem auch sei, die Angst und Sorge um die Gefangenen beherrschte alles. Nach einigen Tagen kamen jordanische Soldaten und luden uns auf Behelfslastwagen, um uns nach Ramallah zu bringen, wo wir bei unserer Ankunft von der Ermordung des Grafen Bernadotte erfuhren. Nun, jetzt bin ich hier und erzähle von der Vertreibung und der Angst, aber auch von dem Stolz, echte Kämpfer und echte Solidarität erlebt zu haben. Das hilft uns zu überleben und auf die Rückkehr zu hoffen. 124

16 Die Eroberung von Lydda und Ramla. Die geheimen Verhandlungen zwischen Israel und Transjordanien führen dazu, dass sich die Arabische Legion aus dem Gebiet zwischen Lydda und Ramla zurückzieht, das dem Teilungsplan zufolge Teil des arabischen palästinensischen Staates sein sollte. Die Bedeutung dieser militärischen Entscheidung, die die Israelis dazu bringt, die beiden Städte zu erobern, liegt in der Tatsache, dass mit dem israelischen Sieg eine der größten Massenvertreibungen palästinensischer Zivilisten stattfand, die sich zugleich unter äußerst tragischen Umständen vollzog. Unter militärischen Gesichtspunkten erfolgte die Eroberung der beiden Städte im Rahmen einer Offensive der israelischen Truppen zwischen dem 8. und 9. Juli, mit der dem Waffenstillstand, der ihnen eine beträchtliche Aufrüstung erlaubt hatte, ein Ende gesetzt wurde. An dem Unternehmen beteiligen sich viele Offiziere: der Befehlshaber der Palmach Jigal Allon, der die ganze Aktion leitet, der Befehlshaber des 89. motorisierten Regiments Mosche Dajan, der Befehlshaber des 3. Regiments der Jiftach- Brigade Mosche Kalman und der Vize Allons, Jitzchak Rabin. Die Operation mit dem Namen Dani beginnt in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli mit heftigen Bombenangriffen aus der Luft und mit Artillerie. Dieses Mal gelingt es, schon vor der Ausrufung des Waffenstillstands in der Zivilbevölkerung eine Panik auszulösen. Die Bemühung, den Zusammenbruch der Verteidigung vermittels Demoralisierung und Verängstigung der Zivilisten herbeizuführen, erreicht schnell ihr Ziel: Wie die Nachrichten aus dem Hauptquartier der Operation Dani bereits am Morgen des 10. Juli zeigen, besteht eine direkte Verbindung zwischen den Bombardierungen und der vorgesehenen und dann tatsächlich erfolgten Flucht der Bevölkerung. Am 11. Juli teilt ein Offizier des Geheimdienstes der Jiftach-Brigade mit: Die Bombardierungen aus der Luft und der Artilleriebeschuss haben Flucht und Panik unter den Zivilisten ausgelöst und die Bereitschaft, sich zu ergeben. Neben den Bombardements, die von dem Abwurf von Flugschriften begleitet wurden, erfolgt an dem selben 11. Juli ein rascher und erfolgreicher Einfall mit motorisierten Fahrzeugen des Dajan-Regiments bis ins Zentrum von Lydda und entlang der Straße von Lydda nach Ramla. Dajan selbst wird schreiben: Die ganze Operation dauerte nur 47 Minuten [ ]. Der Geist war erhaben, das Herz voller Stolz. Lud ist am Arsch. Nach dem 89. Regiment Dajans beginnen am Abend desselben 11. Juli die Einheiten des 3. Regiments, in Lydda einzurücken. Sie erreichen jedoch keine Kapitulation, da es noch einige Widerstandsnester gibt. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juli hissen die Einwohner Ramlas und Lyddas die weißen Fahnen und kapitulieren. Die Kapitulationsbedingungen versäumen es nicht zu unterstreichen, dass alle Einwohner, die nicht im wehrfähigen Alter sind [...], die Stadt verlassen können, wenn sie wollen. Kurz danach, morgens um 6.30 Uhr am 12. Juli, rückt nach einem abschließenden Mörserbeschuss das 42. Regiment der Kiryati-Brigade in Lydda ein, besetzt die Stadt Stück für Stück und verhängt eine Ausgangssperre. Die israelischen Soldaten, die mit auf ihren Jeeps befestigten Lautsprechern die Ausgangssperre verkünden, befehlen allen Männern, sich in den Moscheen der Stadt zu versammeln. Diese Praxis wurde oft von den britischen Soldaten während der Repressionen des Aufstands von 1936 bis 1939 angewandt Die Zionisten nahmen diese Praxis als Technik zur Vertreibung wieder auf. Viele Männer begeben sich in die Moscheen. Gegen Uhr des 12. Julis bewegen sich die Kontingente des 3. Regiments in verstreuter Ordnung in die Stadt und beginnen eine Araberjagd von Haus zu Haus, die in ein Massaker mündet, das bis Uhr andauert. Die offiziellen israelischen Berichte werden anschließend von etwa 250 getöteten Zivilisten und zahlreichen Verletzten sprechen. In einer der Moscheen der Stadt, in der die israelischen Soldaten die zusammengetrommelten Männer versammelt haben, wird eines der grausamsten Massaker verübt, das die Gründung des Staates Israel überschattet und das als Dahmash-Moschee- Massaker in die Geschichte einging. Die Anzahl der Opfer ist ungewiss. Die Leichen werden am Ort des Massakers liegen gelassen. Erst zehn Tage später befehlen die israelischen Soldaten einigen zu diesem Zweck ausgewählten Palästinensern, die Toten zu bestatten. Die gefangenen Palästinenser werden berichten, sie hätten 426 Leichen bestattet. Andere Quellen werden von Palästinensern sprechen, die am 12. Juli 1948 in Lydda getötet wurden. Noch bevor das Gemetzel zu Ende ist, übermittelt das Hauptquartier der Operation Dani folgenden Befehl an die Jiftach-Brigade: Die Einwohner Lyddas sind ohne Rücksicht auf das Alter zu vertreiben. Sie haben sich nach Beit Nabala zu begeben. Jiftach wird sich um die Einzelheiten kümmern und das Dani-Hauptquartier sowie das Hauptquartier der 8. Division unterrichten. Der Befehl ist sofort auszuführen. Während die Vertreibung aus Ramla weitergeht, die am Morgen des 12. Juli begonnen hatte, beginnt am Nachmittag die Vertreibung aus Lydda. Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern begeben sich auf den später so genannten Todesmarsch. Die beiden Städte beherbergten neben ihren Einwohnern die Flüchtlinge aus dem Umland und Teile der Einwohner Jaffas, die von Januar 1948 an in die Gegend kamen. Schulen, Moscheen und Kirchen waren voll von ihnen. Der Todesmarsch von bis Personen dauert drei Tage lang, eingeklemmt zwischen zwei Flügeln israelischer Soldaten, die darauf bedacht sind, die Vertriebenen um jeden beliebigen Wertgegenstand zu erleichtern, vom Füllfederhalter bis zum Feuerzeug. Besonders die Frauen werden in Augenschein genommen. Viele geben ihre Armreife und Ohrringe von sich aus her, nachdem sie die Ohren und die Arme von Schwestern und Gefährtinnen gesehen haben, die wegen eines Ohrrings oder Armreifs ausgerissen oder zerschnitten waren. In der Julisonne bei 50 Grad im Schatten verdursten zuerst die Kinder. Alle trinken den eigenen Urin. 125

17 Vor dem Erreichen der transjordanischen Grenze bei Ramallah sterben Hunderte, wenn nicht Tausende auf den Hügeln entlang der Pfade, die die Flüchtlinge in ein Exil führen, aus dem sie nie wieder zurückkehren. Die Überlebenden aus Ramla und Lydda werden in einem Viertel von Lydda eingeschlossen, das mit einer Mauer umgeben wird. Erst nach 18 Jahren, im Jahr 1966, werden sie von dort weggehen können. Lydda trägt heute den neuen Namen Lod und hat als neue Einwohner Polen, Rumänen und auch Äthiopier und Iraker. Auch der Flughafen von Lydda, der während des Ersten Weltkriegs von den Osmanen gebaut wurde, hat einen neuen Namen: Ben Gurion International Airport. Ben Gurion schreibt am 15. Juli 1948 in sein Tagebuch: Von neuem stellt sich in den eroberten Städten die bittere Frage nach Vorfällen von Plünderung und Gewalt. Zwi Ayalon hat gestern mit Jitzchak Rabin gesprochen. Dieser hat seit vorgestern dem Palmach-Regiment von Kalman (3. Regiment) den Befehl erteilt, die Stadt zu verlassen. Es ist nicht klar, ob sie abgezogen sind, aber die Soldaten aller Regimenter plündern und stehlen. Ein Ausbilder des 5. Regiments hat von seinen Männern (soeben ausgebildeten Männern!) verlangt, zum Plündern nach Ramle zu gehen. Die Eroberung der an-naqb-wüste. Am selben 8. Juli 1948, an dem die israelischen Streitkräfte den entscheidenden Angriff für die Eroberung Lyddas und Ramlas beginnen, machen sie sich auf den Weg zur Eroberung der an-naqb-wüste und entfesseln eine Offensive zur Eroberung der Gebiete entlang der Straße von Jaffa nach Jerusalem. In zehn Tagen militärischer Operationen, die mit der Ausrufung einer neuen Waffenruhe durch den Sicherheitsrat der UNO am 18. Juli 1948 enden, er- 126

18 obert das israelische Heer das strategisch wichtige Gebiet um Lydda und Ramla mit seinem Flughafen, mit seinem Schienenverkehrsknotenpunkt und vor allem mit seinen Straßen in Richtung Süden und in Richtung Jerusalem. Das ganze Gebiet im Westen Jerusalems ist rasch erobert. Weite Gebiete der an-naqb-wüste gelangen unter israelische Kontrolle, die ägyptische Armee wird in einen Küstenstreifen zwischen Gaza und Rafah sowie in eine Ausbuchtung an der ägyptischen Grenze eingeklemmt. In den eroberten Gebieten geht die Vertreibung der Einwohner systematisch und nach Fahrplan vonstatten. Die Vorgehensweise ist fast immer die gleiche. Das Einrücken der israelischen Armee in einen Wohnort, ob groß oder klein, folgt einem Beschuss aus der Luft und mit Artillerie. Die Einwohner werden zusammengetrieben, häufig auf dem Dorfplatz oder am Ortseingang, und in die vorbestimmte Richtung gedrängt. Vergewaltigungen, Plünderungen, Gemetzel und Gewalttaten aller Art begleiten den Abzug der palästinensischen Bevölkerung. Die Vertreibung geschieht, sobald die Eroberung des jeweiligen Gebiets abgeschlossen ist. Während des Waffenstillstands werden die Palästinenser, die sich in abgelegenen Häusern, auf dem Land, in den Wäldern oder Höhlen verstecken, zusammengesucht. Fast immer handelt es sich um alte Frauen und Kinder. Sie werden zu Sammelstellen und von dort über die Grenzen gebracht. Der Zeitraum des zweiten Waffenstillstands ist von örtlichen Zusammenstößen gekennzeichnet. Der schwerwiegendste Zusammenstoß ereignet sich am 27. und 28. Juli bei einem israelischen Angriff auf die ägyptischen Streitkräfte, die in der al-awja-senke zwischen Bir Sabeh (im Folgenden Be er Sheva) und der ägyptischen Grenze belagert werden. Die israelische Offensive schreitet mit dem Eindringen in die Wüstenregion an-naqb (fortan Negev) fort. Am 15.Oktober bombardiert die israelische Luftwaffe die Stellungen des ägyptischen Heeres in der al-faluja-senke. Am 16. und 17. Oktober erfolgt die Bombardierung des Flughafens von al-arisch auf dem ägyptischen Teil des Sinai und der palästinensischen Städte Rafah, Khan Yunis, al-majdal und Gaza. Der Angriff geht an den folgenden Tagen weiter. Ein weiterer israelischer Luftangriff trifft am 22. November erneut Gaza, Khan Yunis und Rafah, während israelische Panzereinheiten die Besetzung der Wüste Negev vervollständigen. Am 29. Dezember 1948 ruft der Sicherheitsrat der UNO erneut einen Waffenstillstand aus, der nach einigen sporadischen Zusammenstößen in den ersten Tagen des Jahres 1949 in Kraft tritt. al-dawayima. Auch im Süden des Landes, wo die dritte Kampfphase stattfindet, wird der Vorstoß der israelischen Truppen von Massakern an der Zivilbevölkerung begleitet. Ein besonders grausames Abschlachten wurde am 28. Oktober 1948 vom 89. Regiment im Verlauf des gescheiterten Vorstoßes auf Hebron in al-dawayima begangen. Al-Dawayima ist ein Agrarzentrum westlich von Hebron, das im Jahr 1945 insgesamt Einwohner zählte. Unter dem Kommando von Chaim Shabtai rückt um 10 Uhr morgens ein Dutzend gepanzerter israelischer Fahrzeuge, gefolgt von Infanterie, von drei Seiten in al-dawayima ein. Das Dorf, in dem es keine arabischen Streitkräfte gibt, leistet keinerlei Widerstand. Die Soldaten betreten das Dorf und schießen auf die Einwohner, die sie sehen. Die Straßen leeren sich sofort, doch 75 ältere Menschen, die sich in einer Moschee aufhalten, werden getötet. Die 35 Familien, die in eine Höhle geflohen waren, werden mit Maschinengewehren getötet. Die Häuser werden mitsamt den Einwohnern mit Dynamit in die Luft gesprengt, Türen und Fenster werden mit Benzin übergossen, um eine Flucht zu verhindern. Nur wenige entkommen dem Massaker. Die Opfer sind mehrere Hunderte. Die Soldaten vergnügen sich dabei, den Kindern hinterher zu rennen und sie mit Stockschlägen umzubringen. Die israelische Zeitung Davar druckt am 6. September den Augenzeugenbericht eines Soldaten ab, der an der Eroberung des Dorfes teilgenommen hatte: Es wurden zwischen achtzig und hundert Araber getötet, Frauen und Kinder eingeschlossen. Den Kindern wurde der Schädel mit Schlagstöcken zertrümmert. Es gab keine Häuser ohne Leichen. Die Frauen und Männer des Dorfes wurden ohne Essen und Wasser in den Häusern eingeschlossen. Dann kamen die Saboteure, um die Häuser zu sprengen. Ein Kommandeur befahl einem Soldaten, zwei Frauen in ein Haus zu bringen, das er gerade sprengen wollte. Ein Soldat gab an, dass er eine arabische Frau vergewaltigt habe, bevor er sie umbrachte. Eine andere arabische Frau (die ein Neugeborenes hatte) musste einige Tage lang den Ort sauber machen, dann brachten sie sie und das Kind um. Al-Dawayima gibt es nicht mehr. Auf dem Gelände al-dawayimas entstand 1955 die jüdische Siedlung Amatzia. Hula. Die Praxis der Umsiedlung der Einwohner erstreckt sich auf jedes beliebige eroberte Gebiet. Ein Beispiel dafür ist das libanesische Dorf Hula. Am 31. Oktober kommen Abteilungen israelischer Kommandos in arabischen Kleidern in das Dorf. Die Einwohner glauben, es handle sich um arabische Freiwillige, die von der Front zurückkehrten, oder um arabische Flüchtlinge, und nehmen sie auf. Die Soldaten versammeln die Männer im wehrfähigen Alter und halten sie in einem Tal außerhalb des Dorfes gefangen. Nach zwei Tagen befiehlt der Kommandant des israelischen Kontingents, die Gefangenen zu töten. Einhundert Männer werden umgebracht. Bevor sie das Dorf verlassen, sprengen die Soldaten einige Häuser und befehlen der Bevölkerung, sich auf den Weg nach Norden zu machen. Die Einwohner werden nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Libanon und Israel von 1949 zurückkehren, doch sie werden das ganze Dorf zerstört und die Häuser niedergebrannt vorfinden. Der Sadismus, der das Handeln der israelischen Soldaten kennzeichnet, steht in perfektem Einklang mit dem Zynismus der Politiker: Am 16. November 1948 unterrichtet der israelische Delegierte den Sicherheitsrat der UNO davon, dass einige von Israel besetzte libanesische Dörfer mit schiitischer Bevölkerung israelischen Militärschutz gefordert hätten. Die israelischen Schachzüge zur Zersetzung Libanons haben bereits begonnen. 127

19 Schüler des Flüchtlingslagers von Jaramama in Syrien in den 70er Jahren. Die Ermordung des UNO-Vermittlers. Die dritte Kampfphase, die am 17. Juli 1948 mit der Belagerung Lyddas und Ramlas begann, zieht sich bis Januar 1949 hin. Israel weist alle Verhandlungsvorschläge mit den arabischen Regierungen über die Annexion der Gebiete, die dem arabischen palästinensischen Staat zugedachten waren, zurück. Während die israelische Armee weiter nach Süden vorstößt, erklärt Ben Gurion bei der Militärparade anlässlich des Tags des Staates am 20. Juli 1948 in Tel Aviv, dass seine Regierung verlange, dass die festzulegenden Grenzen nicht nur die Grenzen des Kompromisses vom 29. November (Teilungsplan), sondern auch das, was danach geschehen ist, berücksichtigen müssen. Die Regierung in Tel Aviv, deren Truppen bereits die vom Teilungsplan noch vor der Ausrufung des Staates festgelegten Grenzen überschritten hatten, stimmt bezüglich der Gebiete keinem Kompromiss zu. Genau in diesem Klima geschieht am 17. September 1948 in Jerusalem die Ermordung des schwedischen UNO-Vermittlers Folke Bernadotte durch israelische Soldaten, die bereits der Stern-Gruppe Jitzchak Schamirs angehörten. Baruch Nadel aus der Gruppe der Mörder erklärt das Mordmotiv: Wir Nationalisten setzen voraus, dass für unseren Staat wenigstens Quadratkilometer nötig sind, damit der echte Staat Israel alle seine Kinder aus der Diaspora aufnehmen kann, das heißt die Juden, die noch immer in der Welt verstreut leben und verfolgt werden. Bernadotte wollte uns jedoch auf einen Mini- Staat reduzieren. Der Mörder zog sich an einen Ort zurück, wo ihn nie jemand suchen würde. Jetzt kann ich es enthüllen: Er ging ins Haus des Jerusalemer Polizeichefs. Nathan Friedman-Yellin, der Mörder des UNO-Vermittlers, kandidiert für die Wahlen des ersten israelischen Parlaments (Knesset) und wird gewählt. Die Ermordung Folke Bernadottes sollte verhindern, dass die von ihm ausgearbeiteten Lösungsvorschläge Gegenstand einer internationalen Verhandlung über die Grenzen des jüdischen Staates und über die Flüchtlingsfrage würden. Drei Tage nach der Ermordung Bernadottes versucht das wieder entstandene Arabische Hochkomitee Palästinas, das seinen Sitz in Kairo hat und wohin der Mufti Amin al-husseini geflüchtet war, sich in die laufenden Verhandlungen einzumischen und ruft am 20. September 1948 die Gründung einer palästinensischen Regierung unter dem Vorsitz Awni Abd al-hadis, dem Führer der aufgelösten Unabhängigkeitspartei, aus. Die palästinensische Regierung wird künftig nach Gaza verbannt sein und wird in die in New York angestellten Überlegungen zur Bestimmung der Zukunft Palästinas nicht einbezogen. 128

20 19 11 Eine beispielhafte Geschichte Im Jahr 1948 entsandten die Vereinten Nationen, die den schweren Fehler begangen hatten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu missachten, in dem Versuch, eine Lösung im Palästinakrieg zu finden, eine bedeutende Persönlichkeit: den schwedischen Grafen aus königlichem Haus Folke Bernadotte. Jener war sich im Klaren, dass die Grenzen infrage gestellt werden mussten, die die Vereinten Nationen (bei denen die zionistische Bewegung eine beachtliche Fähigkeit der Einflussnahme gezeigt hatte) festgelegt hatten. Sein Plan zog diese Grenzen neu und entzog dabei dem neuen Staat Israel Teile der Gebiete, die ihm zugewiesen wurden bzw. die er mit Waffengewalt erobert hatte. Das war sein Todesurteil. Die Gruppe LECHI, die in zweifelhaftem Verhältnis zu den Anführern des Zionismus stand (ein Spiel auf beiden Seiten? Unterschiedliche Taktiken für das gleiche Ziel?), entschied, ihn zu beseitigen. Das tödliche Attentat geschah am 17. September 1948 in Jerusalem. Mit Bernadotte starb auch sein französischer Adjutant Oberst Serot. Die israelische Regierung mit Ben Gurion an der Spitze zeigte Missbilligung und versprach, nach den Mördern zu fahnden. Zwei Personen wurden festgenommen, Nathan Yellin Mor und Matitiahu Shmulewitz. Im Februar 1949 fand der Prozess statt. Ersterer wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, Letzterer zu fünf Jahren. Es gab jedoch beinahe unmittelbar danach eine Amnestie, und Yellin Mor wurde im folgenden Jahr ins Parlament gewählt! Tatsächlich hatten die beiden Verurteilten nicht auf die Vertreter der Vereinten Nationen geschossen. Der wahre Verantwortliche, das erfuhr man später, hieß Yehoshua Cohen. Auch wenn der Name des Mörders nicht zum Allgemeingut wurde, so war er auf höchster Ebene bekannt, und es kann sicher nicht überraschen, dass der Mörder von Folke Bernadotte Freund und Leibwache von... David Ben Gurion wurde! Yehoshua Cohen, Leibwächter von Ben Gurion und Mörder Folke Bernadottes (kleines Bild). Der Waffenstillstand. Die Einstellung des Feuers zwischen dem israelischen Heer und der ägyptischen Armee fällt auf den 7. Januar 1949, tritt aber nicht sofort in Kraft. Die Festlegung der Waffenstillstandsbedingungen geschieht auf der griechischen Insel Rhodos unter der Aufsicht der UNO in Form von bilateralen Verhandlungen zwischen einer israelischen Delegation und einer Delegation aus Ägypten, dem Libanon, Syriens und Transjordaniens. Die palästinensische Regierung wird schlicht und einfach ignoriert. Der Waffenstillstand zwischen Israel und Ägypten wird am 24. Januar 1949 unterzeichnet. Der Waffenstillstand stimmt der Besetzung der Wüste Negev durch Israel zu. Dafür bleibt ein vierzig Kilometer langer und sieben bis vierzehn Kilometer breiter Landstrich entlang der Küste an der Grenze zu Ägypten in ägyptischer Hand. Er wird als Gazastreifen bekannt werden. Zur Zeit des Waffenstillstands halten sich dort Flüchtlinge auf, die aus den angrenzenden, von Israel eroberten Gebieten vertrieben wurden. Im Lauf des Jahres 1949 werden weitere hinzukommen. Am 10. März 1949 bricht ein israelisches Militärkontingent den Waffenstillstand, rückt in die Wüste Negev vor und erreicht den Hafen Umm Rashrash (der im Folgenden in Eilat umgetauft wird) im Golf von Akaba. Während der dritten Kampfphase haben die israelischen Truppen einige Stützpunkte im südlichen Libanon besetzt. Die libanesische Regierung verlangt den Rückzug der israelischen Truppen hinter die vom Mandatsregime nach dem Ersten Weltkrieg festgelegte Grenze. Israel will die eroberten Stützpunkte jenseits dieser Grenze behalten. Es wird ein Kompromiss geschlossen. Israel behält vier der eroberten libanesischen Dörfer. Der Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon wird am 23. März 1949 unterzeichnet. Der Waffenstillstand zwischen Israel und Transjordanien wird erst am 3. April unterzeichnet. Israel bleibt hartnäckig und erhält ein Gebiet zwischen Haifa und Jenin unter der Versicherung zugesprochen, die Einwohner nicht zu vertreiben. Dieses Gebiet wird als Dreieck bekannt werden. Die Stadt Jerusalem wird geteilt: Die während des Krieges eroberten westlichen Viertel 129