Anästhesiologische Visite

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1 Anästhesiologische Visite W. Wilhelm. Patientenevaluation 3 Konsil 3 Zeitpunkt der anästhesiologischen Visite 3. Risikoabschätzung 3 Risikofaktoren 3 Klassifikationen zur Risikoabschätzung 4.3 Anamnese und körperliche Untersuchung 5.3. Anamnese 5.3. Körperliche Untersuchung 5.4 Weiterführende Untersuchungen 7.4. Laborwerte 8.4. Elektrokardiogramm Thoraxröntgenbild Lungenfunktionsprüfung Echokardiographie Sonographie der Halsgefäße.4.7 Erweiterte kardiale Diagnostik.5 Postoperative Visite Literatur 3

2 3. Risikoabschätzung Mit zunehmendem medizinischem Fortschritt sind heutzutage immer größere und belastendere Eingriffe bei zugleich älteren und mehrfach vorerkrankten Patienten erfolgreich möglich. Die wesentlichen Gründe dafür liegen in der besseren Kenntnis pathophysiologischer Zusammenhänge, subtileren Operationstechniken und nicht zuletzt in der Weiterentwicklung der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Die präoperative Diagnostik und Vorbereitung des Patienten ist hierbei von erheblicher Bedeutung: Vorbestehende Störungen müssen erkannt werden, um das perioperative Risiko durch spezifische Vor- und Nachbehandlung bzw. durch eine angepasste Überwachung zu vermindern. Planung und Durchführung der Voruntersuchungen werden primär durch den Operateur veranlasst, ggf. in Absprache mit dem Hausarzt, und sollten möglichst prästationär erfolgen. Eine anästhesiologische Prämedikationsambulanz bietet den Vorteil, dass die Patienten auch anästhesiologisch mehrere Tage oder Wochen vor dem eigentlichen Operationstermin einbestellt und begutachtet werden können. Konsiliars ist es, den präoperativen Zustand des Patienten mit den Mitteln seines Fachgebiets zu untersuchen (z. B. Ergometrie, Echokardiographie, Koronarangiographie) und dann, sofern möglich und für den Eingriff erforderlich, durch entsprechende Therapieempfehlungen zu verbessern. Der Anästhesist nutzt die Informationen zur individuellen Risikoeinschätzung, zur Festlegung des Narkoseverfahrens, der perioperativen Überwachungsmethoden und gemeinsam mit dem Operateur als Richtschnur für eine möglicherweise erforderliche postoperative Intensivtherapie. Wann sollte ein Konsil angefordert werden? Im Rahmen der anästhesiologischen Voruntersuchungen sollte die Konsilanforderung den Ausnahme- und nicht den Regelfall darstellen und immer auf einer exakten Fragestellung basieren. Unter diesen Bedingungen ist erfahrungsgemäß das kardiologische Konsil am häufigsten erforderlich.. Patientenevaluation Aufgaben der Prämedikationsvisite Einschätzung des körperlichen und psychischen Zustands des Patienten Auswahl von Anästhesieverfahren und Überwachungsmaßnahmen Festlegung evtl. zusätzlich erforderlicher präoperativer Diagnostik Aufklärung des Patienten mit Einwilligungserklärung Verminderung von Angst und Aufregung Verordnung der Prämedikation Evtl. Risikominimierung durch zusätzliche Medikation, z. B. Verordnung von β-blockern bei koronarer Herzkrankheit (KHK) oder H -Blockern bzw. Protonenpumpenhemmern bei gastroösophagealem Reflux Evtl. Abstimmung mit dem Operateur über das geplante intra- und postoperative Vorgehen und gemeinsame Beurteilung des perioperativen Risikos Dokumentation der Befunde Der Anästhesist stützt seine Entscheidungen auf Anamnese, körperlichen Untersuchungsbefund sowie die bereits vorhandenen Untersuchungsergebnisse. Reichen diese Befunde nicht aus, muss der Anästhesist die noch erforderlichen Untersuchungen selbst durchführen oder veranlassen. Aufgrund der erheblichen Bedeutung für den täglichen Arbeitsablauf, aber auch wegen der teilweise unzureichenden Datenlage haben die Deutschen Gesellschaften für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), für Chirurgie sowie für Innere Medizin Ende 00 eine gemeinsame Empfehlung zur präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nichtkardiochirurgischen und nichtlungenresezierenden Eingriffen veröffentlicht [39]; diese wird im Folgenden immer als»dgai-empfehlung 00«bezeichnet. Ähnliche Empfehlungen gibt es für Österreich [5], für Europa [9] und für die USA [0]. Konsil Bestimmte, meist kardiovaskuläre Begleiterkrankungen erhöhen das perioperative Risiko erheblich. In diesem Fall ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Operateur, dem Anästhesisten und einem Konsiliararzt (z. B. Kardiologen) erforderlich. Aufgabe des Zeitpunkt der anästhesiologischen Visite Aus organisatorischen und medikolegalen Gründen sollte die anästhesiologische Visite in ausreichendem zeitlichem Abstand vor der Operation erfolgen, möglichst aber nicht mehr als 6 Wochen vorher [39]. Unter medikolegalen Gesichtspunkten gilt: Im Regelfall soll der Patient vor Wahleingriffen eine ausreichende Bedenkzeit erhalten, um nach der anästhesiologischen Aufklärung frei und ohne Zeitdruck entscheiden zu können. Hierfür ist nach allgemeinem Verständnis die Aufklärung am Vorabend der Operation ausreichend, bei ambulanten Eingriffen auch der Morgen des Operationstages, sofern kein erhöhtes Anästhesierisiko vorliegt [3, 38]. Der Patient sollte zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol oder sedierenden Medikamenten stehen.!! Cave Für alle Wahleingriffe gilt: Eine Patientenaufklärung erst auf dem Operationstisch ist nicht statthaft! Allerdings gibt es keine eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnisse, die belegen, dass dieses Vorgehen wirklich bei allen Patienten erforderlich ist und die Sicherheit der Narkose erhöht. Untersuchungen an ambulanten chirurgischen Patienten zeigen, dass auch am Operationstag eine anästhesiologische Visite mit ausreichender Sicherheit und Effizienz möglich ist. Insofern ist die Empfehlung einer anästhesiologischen Patientenevaluation am Vortag der Operation allein aus medizinischen Gründen derzeit nicht gerechtfertigt. In den USA sind verschiedene ambulante Operationszentren inzwischen dazu übergegangen, den Gesundheitszustand des Patienten im Vorfeld der Operation mit Hilfe eines Fragebogens via Internet abzufragen. So hat der Anästhesist die Möglichkeit, Patienten im Bedarfsfall früh genug einzubestellen und die erforderlichen Untersuchungen zu veranlassen; anderenfalls sieht er die Patienten erst am Morgen der Operation.. Risikoabschätzung Risikofaktoren Erkrankung, Operation und Anästhesie bergen gewisse Risiken: Der Patient kann eine vorübergehende oder dauerhafte Schädigung erleiden oder sogar versterben. Das perioperative Gesamtrisiko ist z. B. bei einem jungen, ansonsten gesunden Menschen, bei dem eine elektive Arthroskopie des Kniegelenks durchgeführt wird, anders einzuschät-

3 4 Kapitel Anästhesiologische Visite zen als bei einem 80-jährigen Patienten mit KHK und Herzinsuffizienz, der wegen eines Ileus dringlich laparotomiert werden muss. Für die Einschätzung des perioperativen Gesamtrisikos müssen 3 Haupteinflussfaktoren unterschieden werden: Patient mit seiner aktuellen Erkrankung und evtl. Begleiterkrankungen Operativer Eingriff Anästhesie Patient und Begleiterkrankungen Alter, Begleiterkrankungen und der operative Eingriff haben wesentlichen Einfluss auf das perioperative Gesamtrisiko [3, 4]. Typische kardiale Risikobefunde sind [, 8]: Koronare Herzkrankheit (KHK) Herzinsuffizienz Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pavk) Zerebrovaskuläre Insuffizienz Diabetes mellitus Niereninsuffizienz Operativer Eingriff Auch der operative Eingriff selbst bestimmt das perioperative Gesamtrisiko. Einer aktuellen niederländischen Untersuchung [4] zufolge beträgt die postoperative Letalität nach Mamma-OP 0,07 %, nach abdominalchirurgischen Eingriffen,73 % und nach gefäßchirurgischen Eingriffen 5,97 %. Das kardiale Risiko verschiedener Operationen ist in. Tab.. zusammengefasst. Anästhesierisiko und anästhesiebedingte Letalität Eigenständige Anästhesierisiken Hypoxämie durch Probleme bei Intubation und Beatmung Pulmonale Aspiration Herz-Kreislauf-Instabilität durch Anästhetika Allergische Reaktionen Nervenschäden nach Regionalanästhesie etc. Diese und andere Faktoren können zu einer vorübergehenden oder bleibenden Schädigung und auch zum Tod des Patienten führen. Das Anästhesierisiko wird jedoch in vielen Fällen durch aktuelle Erkrankung und Begleiterkrankungen des Patienten sowie durch die Operation mitbestimmt, sodass eine exakte Differenzierung der Schädigungsursache häufig schwierig ist. Klassifikation von Morbidität und Mortalität in Zusammenhang mit der Anästhesie Primär anästhesiebedingt Anästhesie als beitragender Faktor Unabhängig von der Anästhesie Heute wird die postoperative Letalität nach elektiven offenen und stationär durchgeführten Eingriffen für Patienten über 0 Jahre im Durchschnitt mit,85 % angegeben [4]. Das Anästhesierisiko selbst ist geringer und beträgt in den Industrienationen heute vermutlich zwischen :000 bis : [,, 3]. Diese Zahlen beschreiben allerdings lediglich ein statistisches Risiko, ohne dass damit eine medikolegale Zuordnung (schuldhaft/teilschuld/schicksalhaft) möglich wäre. Tab.. Kardiales Risiko für Myokardinfarkt oder Herztod innerhalb von 30 Tagen postoperativ. (Nach: [4, 3, 39]) Hohes kardiales Risiko (Letalität > 5 %) Mittleres kardiales Risiko (Letalität 5 %) Niedriges kardiales Risiko (Letalität < %) Aortenchirurgie Große periphere Gefäßoperationen Operationen im Kopf-Hals-Bereich Karotischirurgie Intrathorakale Eingriffe (auch thorakoskopisch) Intraabdominelle Eingriffe (auch laparoskopisch) Prostatachirurgie Große orthopädische Eingriffe (Hüfte, Wirbelsäule) Kleine periphere Gefäßoperationen und endovaskuläre Interventionen Augen-OP (inkl. Katarakt-OP) Zahn-OP Kleine HNO-Eingriffe Gynäkologische Eingriffe inkl. Mammachirurgie Oberflächliche Eingriffe Kleine urologische Eingriffe (z. B. transurethrale Operationen) Kleine orthopädische Eingriffe (z. B. Arthroskopie) > > Deshalb darf auch in der Darstellung gegenüber der Öffentlichkeit Folgendes nicht vergessen werden: Eine absolut risikofreie Anästhesie und Chirurgie wird es wohl nie geben! Klassifikationen zur Risikoabschätzung Im klinischen Alltag werden Klassifizierungsverfahren benutzt, mit deren Hilfe sich Ärzte fachübergreifend und rasch über den Gesamtzustand eines Patienten oder über bestimmte Teilaspekte orientieren können. Die Einstufung des individuellen Risikos erfolgt unter Berücksichtigung von Anamnese, körperlichem Untersuchungsbefund und, sofern erforderlich, den Ergebnissen weiterführender Untersuchungen. ASA-Risikogruppen Am häufigsten wird das Risiko nach dem sehr einfachen Schema der American Society of Anesthesiologists (ASA) angegeben. ASA-Risikogruppen ASA :»Normaler«, ansonsten gesunder Patient ASA : Leichte Allgemeinerkrankung, keine Leistungseinschränkung ASA 3: Schwere Allgemeinerkrankung mit Leistungseinschränkung ASA 4: Schwere Allgemeinerkrankung mit Leistungseinschränkung, prinzipiell lebensbedrohlich mit oder ohne Operation ASA 5: Patient liegt im Sterben, Tod mit oder ohne Operation innerhalb von 4 h zu erwarten Bei Notfalloperationen kann die Risikogruppe um den Buchstaben»N«(Notfall) oder»e«(emergency) erweitert werden. Folgende

4 5.3 Anamnese und körperliche Untersuchung Einteilung wird ebenfalls verwendet: ASA 6 = Notfallpatienten der Gruppe und, ASA 7 = Notfallpatienten der Gruppen 3 5. Das perioperative Gesamtrisiko steigt parallel zur ASA-Klassifizierung an. Zum Beispiel ist innerhalb der ersten 7 postoperativen Tage die Letalität bei Patienten der ASA-Gruppen 3 5 fast -mal höher als bei Patienten der ASA-Gruppen und [7]. Biboulet et al. [] kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Das Risiko, im Zusammenhang mit der Anästhesie einen Herzstillstand zu erleiden, betrug bei Patienten der ASA-Gruppe und rund :30.000, bei Patienten der ASA-Gruppe 3 und 4 hingegen ca. :.300. Kardiale Risikofaktoren und der Revised Cardiac Risk Index nach Lee Ausgehend von der Erfahrung, dass sowohl einige wesentliche Vorerkrankungen als auch die Art der Operation das perioperative Risiko maßgeblich bestimmen, haben Lee et al. [8] den Revised Cardiac Risk Index entwickelt, der eine grobe Abschätzung des Risikos für kardiale Zwischenfälle erlaubt. Insgesamt werden 6 Kriterien erfasst, wobei das mittlere Risiko mit der Anzahl der Faktoren von etwa 0,4 % (kein Risikofaktor) auf % (mit 3 und mehr Faktoren) ansteigt (Details 7 Kap. 6). Die DGAI-Empfehlung 00 hat auf der Basis dieses Revised Cardiac Risk Index nun 6 kardiale Risikofaktoren definiert, die für die präoperative Evaluation herangezogen werden (7 Übersicht; nach: [39]). Kardiale Risikofaktoren mit Einfluss auf die präoperative Evaluation Koronare Herzkrankheit (KHK) Herzinsuffizienz Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pavk) Zerebrovaskuläre Insuffizienz Diabetes mellitus Niereninsuffizienz (Kreatininwert > mg/dl) NYHA-Klassifikation der Herzinsuffizienz Herzerkrankungen mit den Zeichen einer Herzinsuffizienz werden üblicherweise nach den Empfehlungen der New York Heart Association (NYHA klassifiziert. Diese berücksichtigt insbesondere die Symptome Erschöpfung, Luftnot, Herzrhythmusstörungen oder Angina pectoris. NYHA-Klassifizierung NYHA : Herzerkrankung ohne Einschränkung der Belastbarkeit NYHA : Symptome bei normaler körperlicher Belastung NYHA 3: Symptome bei leichter körperlicher Belastung NYHA 4: Symptome schon in Ruhe oder bei geringster Belastung CCS-Klassifikation bei koronarer Herzkrankheit Der klinische Zustand von Patienten mit koronarer Herzerkrankung wird nach den Empfehlungen der Canadian Cardiovascular Society (CCS) eingeteilt. Entscheidendes Kriterium ist das Auftreten pektanginöser Beschwerden in Abhängigkeit von der körperlichen Belastung. CCS-Klassifizierung der KHK CCS : Angina-pektoris-Beschwerden bei starker körperlicher Belastung CCS : Angina-pektoris-Beschwerden bei normaler körperlicher Belastung (z. B. Gehen > 00 m oder Treppensteigen > Etage) CCS 3: Angina-pektoris-Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung (z. B. Gehen < 00 m oder Treppensteigen Etage) CCS 4: Angina-pektoris-Beschwerden bei jeder Belastung oder schon in Ruhe > > Vorsicht bei der NYHA- und CCS-Klassifikation, wenn der Patient aus anderen Gründen nicht gehfähig ist, z. B. wegen einer schweren Gon- oder Koxarthrose oder arteriellen Verschlusskrankheit. Dann ist die Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit schwierig. Im Einzelfall kann z. B. eine Dobutamin-Stress-Echokardiographie oder eine Adenosin-Myokardszintigraphie durchgeführt werden..3 Anamnese und körperliche Untersuchung Anamnese und körperliche Untersuchung stellen die entscheidende Grundlage für die präoperative Einschätzung des Patienten dar und werden sofern erforderlich durch technische Untersuchungen ergänzt..3. Anamnese Die Befragung des Patienten erfolgt am besten standardisiert, z. B. anhand eines kommerziell erhältlichen Fragebogens. Wesentliche Vorerkrankungen und verschiedene Risikofaktoren werden grob erfasst. Details für die individuelle Einschätzung des Patienten können anschließend gezielt abgefragt werden (. Tab..). > > Aufgrund der zunehmenden Häufigkeit allergischer Erkrankungen ist auch hierzu eine exakte Befragung des Patienten erforderlich (Kap. 65)..3. Körperliche Untersuchung Im Rahmen der Prämedikationsvisite wird bei allen Patienten eine begrenzte körperliche Untersuchung durchgeführt (. Tab..). Hierzu gehören: Untersuchung der oberen Atemwege: Mundöffnung, Inspektion des Oropharnyx, Zahnstatus, Unterkiefer- und Halsbeweglichkeit (s. unten), Inspektion von Haut und Thoraxgeometrie, Einschätzung der Atemmechanik, Auskultation von Herz und Lunge. Eine weitergehende, körperliche Untersuchung erfolgt individuell und narkosebezogen, z. B. abhängig von der Krankengeschichte des Patienten oder dem beabsichtigten Anästhesieverfahren.

5 6 Kapitel Anästhesiologische Visite Tab.. Anamneseschema für die anästhesiologische Visite Organsystem Erkrankungen bzw. Symptome und wichtige Zusatzinformationen Herz-Kreislauf-System Hypertonie: Blutdruckwerte Herzinsuffizienz: Ursache, Symptome: Luftnot, Ermüdung, Nykturie, Ödeme KHK: Angina pectoris, Herzinfarkt Herzrhythmusstörungen: Herzstolpern, unregelmäßiger Pulsschlag Medikation Atmung Raucheranamnese Husten, Auswurf, Luftnot Bronchitis, Pneumonie COPD, Lungenemphysem Asthma bronchiale: Auslöser Medikation, Steroide Leber Gelbsucht: Ursache, Infektiosität Leberzirrhose: Enzephalopathie, Varizen(blutungen), Gerinnungsstörungen, Ödeme, Medikation Niere/Harnwege Nierenerkrankungen Niereninsuffizienz: Ursache, Trinkmenge, Urinmenge, Medikation Dialyse: Verfahren, Zeitpunkt der letzten Dialyse Prostatahyperplasie Stoffwechsel Diabetes mellitus: Hypoglykämieneigung, Medikation Struma, Hypothyreose, Hyperthyreose: Medikation Erbliche oder andere Stoffwechselerkrankungen Nervensystem Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark Krampfanfälle: Häufigkeit, Medikation Lähmungen: Ursache, Immobilitätsgrad, Familienanamnese Weitere Fragen Schwierigkeiten bei früherer Operation oder Anästhesie, Probleme bei Familienmitgliedern Blutungsneigung: Nachblutungen bei früheren Operationen, beim Zahnarzt, bei Bagatellverletzungen,»spontane«Hämatome, frühere Bluttransfusionen, gerinnungshemmende Medikamente, Schmerzmittel Thrombose/Embolie: Familienanamnese Allergie: Auslöser, Symptomatik, Schweregrad Schwangerschaft Alkohol, Drogen Maligne Hyperthermie Muskelerkrankungen Ansteckende Erkrankungen Gastroösophagealer Reflux (Sodbrennen) Augenerkrankungen Zahnstatus: lockere Zähne, Prothese Bewegungseinschränkung von Armen oder Beinen Beruf Regionalanästhesie Ist ein Regionalanästhesieverfahren geplant, wird die spätere Einstichstelle inspiziert und die erforderliche lokale Beweglichkeit, z. B. der Wirbelsäule, festgestellt; bei Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen kann auch eine differenziertere neurologische Untersuchung erforderlich werden. Lagerungen Die Operationslagerung fällt primär in den Verantwortungsbereich des Operateurs. Dennoch sollte sich auch der Anästhesist vergewissern, dass bestimmte Lagerungspositionen für den Patienten überhaupt möglich sind. Daher ist es wichtig, evtl. Bewegungseinschränkungen oder Risikofaktoren wie z. B. Osteolysen oder Knochenmetastasen vorher zu kennen. Im Einzelfall kann es in Anwesenheit des Operateurs sinnvoll sein, beim wachen Patienten komplexe Lagerungsmanöver und -positionen auf dem Operationstisch vorher zu simulieren, um deren prinzipielle Durchführbarkeit sicherzustellen und Lagerungsschäden zu vermeiden. Zuständigkeit Körperliche Untersuchungen als Bestandteil der anästhesiologischen Visite werden vom Anästhesisten selbst durchgeführt und dokumentiert; im Einzelfall kann es jedoch sinnvoll sein, einen Konsilarzt zur Befundinterpretation oder meist aus medikolegalen Gründen zur Befunddokumentation hinzuzuziehen. Anästhesiologische Anamnese und Untersuchung erfolgen immer zielgerichtet und dürfen daher nicht als allgemeiner»gesundheits-check«chirurgischer Patienten angesehen werden. Sie können und sollen z. B. eine hausärztliche Vorsorgeuntersuchung nicht ersetzen. Einschätzung der Atemwegssituation Diese gehört zu den wichtigsten Aufgaben der anästhesiologischen Visite, unabhängig davon, ob eine Allgemein- oder Regionalanästhesie geplant ist. Einzelne Parameter sind kaum in der Lage, eine schwierige Intubation mit hoher Sicherheit vorherzusagen oder auszuschließen, sodass immer eine Gesamtbeurteilung der Atemwegssituation erfolgen muss.

6 7.4 Weiterführende Untersuchungen.. Abb.. Klassifikation des Intubationswegs nach Mallampati. a Grad : Gaumenbögen und Uvula vollständig sichtbar. b Grad : Gaumenbögen und Uvula nur unvollständig erkennbar. c Grad 3: Gaumenbögen und Uvula nicht einsehbar. (Nach: [9]) Klinische Zeichen für eine erschwerte Intubation Die gebräuchlichste Einzeluntersuchung ist die Klassifikation der oropharyngealen Strukturen nach Mallampati (. Abb..; [9]). Der Patient sollte aufrecht sitzen, den Kopf in Neutralposition halten und bei maximaler Mundöffnung die Zunge weit herausstrecken. Es werden 3 Mallampati-Stadien unterschieden. Wichtige Befunde zur Identifikation möglicher Intubationsprobleme Mundöffnung: Beweglichkeit im Kiefergelenk, enorale Anatomie Zahnstatus: vorstehende (»Hasenzähne«) oder lockere obere Schneidezähne können die Intubation erschweren Kieferproportionen: ein kleiner Unterkiefer (»Retrogenie«) kann mit Intubationsschwierigkeiten einhergehen und zwar nicht nur bei den bekannten syndromalen Fehlbildungen des Gesichtsschädels (Pierre-Robin-, Franceschetti-, Goldenhar-, Hallermann-Streiff-Syndrom etc.) HWS-Länge und -Beweglichkeit: ein»kurzer Hals«kann zu Intubationsschwierigkeiten führen, ebenso eine Einschränkung der HWS-Beweglichkeit: Kann der Patient den Kopf in den Nacken neigen oder bewegt er stattdessen den Oberkörper (z. B. bei M. Bechterew)? Zusätzlich können bei adipösen Patienten die Intubationsbedingungen dann deutlich erschwert sein, wenn viel Nackenfett die Reklination des Kopfes beeinträchtigt.!! Cave Intubationsprobleme sind zu erwarten, wenn ein Befund besonders ausgeprägt ist, insbesondere aber bei der Kombination mehrerer Phänomene: So beträgt die Wahrscheinlichkeit einer schwierigen Intubation in der Geburtshilfe bei alleinigem Mallampati-III-Befund ca. 4 %, bei der Kombination von Mallampati-III-Befund, kurzem Hals und vorstehenden Schneidezähnen bis zu 50 % [3]! Schwierige Maskenbeatmung Bei ca. 5 % der Patienten [7] kann auch die Maskenbeatmung erschwert und in Einzelfällen selbst mit Hilfsmitteln unmöglich sein. Risikofaktoren (in der Reihenfolge ihrer Bedeutung) Bartträger Body-Mass-Index > 6 kg/m Keine Zähne Alter > Jahre Schnarcheranamnese Liegen mehrere dieser Risikofaktoren vor, ist eine schwierige Maskenbeatmung wahrscheinlicher. Darüber hinaus ist bei Patienten mit schwieriger Maskenbeatmung auch die Intubation häufiger erschwert. > > Für jeden Anästhesisten gilt: Vor Einleitung der Narkose Atemwege des Patienten immer selbst untersuchen; der erforderliche Zeitbedarf ist minimal (ca. 5 s)..4 Weiterführende Untersuchungen Nach Anamnese und körperlichem Untersuchungsbefund stellt sich für den Anästhesisten nun immer die Frage, ob weitergehende Untersuchungen erforderlich sind, z. B. Laborwerte, ein EKG oder eine Thoraxröntgenaufnahme. Die DGAI urteilt in ihrer Empfehlung 00 zur präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nichtkardiochirurgischen und nichtlungenresezierenden Eingriffen folgendermaßen [39]:» Grundlage jeder präoperativen technischen Untersuchung sind dabei eine sorgfältige Anamnese einschließlich einer Blutungsanamnese, eine gründliche körperliche Untersuchung sowie die Ermittlung der körperlichen Belastbarkeit des Patienten. ( ) Ergeben sich hierbei keine Anhaltspunkte für eine relevante, das perioperative Vorgehen potenziell beeinflussende Vorerkrankung, sind unabhängig von Art und Dauer des Eingriffs oder dem Alter des Patienten weiterführende Untersuchungen in der Regel nicht erforderlich. «Auch muss beachtet werden, dass z. B. eine Thoraxröntgenaufnahme eine Strahlenbelastung für den Patienten darstellt, für die es eine klare Indikation geben muss. Weiterhin muss bei allen sog.»routineuntersuchungen«noch Folgendes bedacht werden: Untersuchungen, die man allein aus»routine«durchführt, werden in einem gewissen Prozentsatz zu falsch-positiven Befunden führen. So kann es z. B. bei den Laborwerten allein durch die Definition sog.»normalbereiche«(mittelwert ± Standardabweichungen) zu pathologischen Befunden bei an sich gesunden Patienten kommen. Dies kann wiederum eine Reihe unnötiger und den Patienten potenziell gefährdender Untersuchungen nach sich ziehen. Daher müssen reine»routineuntersuchungen«auch unter diesem Aspekt

7 8 Kapitel Anästhesiologische Visite kritisch betrachtet werden und sind allein aus medikolegalen Überlegungen ebenfalls nicht indiziert. Im klinischen Alltag müssen aber auch andere Umstände beachtet werden, etwa eine Arbeitserleichterung durch festgelegte Ablaufschemata für die präoperative Routinevorbereitung. Im Folgenden wird daher die o. g. DGAI-Empfehlung 00 zur präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nichtkardiochirurgischen Eingriffen [39]dargestellt und auch erläutert, wie man diese am besten in der klinischen Praxis umsetzten kann..4. Laborwerte Während Laborwerte aus medizinischer Indikation zweifelsohne sinnvoll sind, ist der Nutzen eines ungerichteten Laborscreenings für die präoperative Einschätzung nicht erwiesen; auch gibt es kein wissenschaftlich bewiesenes Alter, ab dem eine Routinelaboranalyse erforderlich wäre. Die DGAI-Empfehlung 00 definiert daher einen Minimalstandard von Laborwerten, die bei Patienten mit (vermuteten) Erkrankungen bestimmt werden sollten (. Tab..3; [39]). Allerdings weist die DGAI ebenfalls darauf hin, dass in bestimmten Situationen auch weitere Laborwerte analysiert werden sollten, z. B. der Blutzuckerwert bei Patienten mit Diabetes mellitus und weiteren kardialen Risikofaktoren oder vor Hochrisikoeingriffen oder bei einem Body Mass Index > 30 kg/m, Infektionsparameter bei V. a. HIV, Hepatitis B oder C, die aktuelle Thrombozytenzahl, wenn vorher eine mehr als 5-tägige niedrig dosierte Heparinthromboembolieprophylaxe (sog.»low-dose-heparinisierung«) durchgeführt wurde, um eine heparininduzierte Thrombozytopenie auszuschließen [4], u. a. Gerinnungsstatus Entscheidend für die präoperative Erfassung von Gerinnungsstörungen sind eine exakte Anamnese und der klinische Befund. Daher ist eine Routinebestimmung des Gerinnungsstatus beim symptomfreien Patienten ohne spezifische Risikoanamnese nicht notwendig [6, 37]. Dies gilt auch dann, wenn z. B. in der Geburtshilfe rückenmarknahe Anästhesietechniken (Spinalanästhesie, Periduralanästhesie) geplant sind [5]. Für das Kindesalter, speziell für HNO-Operationen, hat der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI Empfehlungen zur Anamnese von Gerinnungsstörungen erarbeitet [35]; ebenso gibt es aktuelle Empfehlungen zur präoperativen Blutungsanamnese aus Österreich [8]. Exakte Befragung der Patienten zum Gerinnungsstatus Kommt es bei Ihnen gehäuft zu»blauen Flecken«, Zahnfleisch- oder Nasenbluten oder zu Gelenkblutungen? Dauert es, auch bei Schnittverletzungen, ungewöhnlich lange, bis die Blutung steht? Kam es bei vorangegangenen Operationen zu Nachblutungen bzw. war eine Bluttransfusion erforderlich? Gab es in Ihrer Familie (Blutsverwandtschaft) Fälle von Blutungsneigung? Haben Sie in der letzten Woche gerinnungshemmende Medikamente bzw. Schmerzmittel eingenommen? Tab..3 Minimalstandard für Laborparameter, die bei Patienten mit (vermuteten) Erkrankungen bestimmt werden sollten. (Nach: [39]) Verdacht auf Erkrankungen von Parameter Herz/Lunge Leber Niere Blut Hämoglobin Leukozyten + Thrombozyten + + Natrium/Kalium Kreatinin ASAT, Bilirubin, aptt, INR + ASAT Aspartataminotransferase, aptt aktivierte partielle Thromboplastinzeit, INR international normalized ratio Bei allen Patienten mit positiver Anamnese oder Symptomen ist eine Gerinnungsanalyse folgender Parameter präoperativ sinnvoll: Thrombozytenzahl, Thrombozytenfunktionstest, Quick-Wert (INR), PTT und Fibrinogen. Abhängig von den Analyseergebnissen und der geplanten Operation kann eine weitergehende hämostaseologische Abklärung erforderlich werden. > > Wurde präoperativ eine niedrig dosierte Heparinthromboembolieprophylaxe über mehr als 5 Tage durchgeführt, dann soll die aktuelle Thrombozytenzahl bestimmt werden, um eine heparininduzierte Thrombozytopenie auszuschließen [4]. Präoperativer Schwangerschaftstest Studienergebnisse bei Frauen im gebärfähigen Alter zeigen, dass mit einem präoperativen Schwangerschaftstest in 0, % der Fälle eine (unerwartete) Schwangerschaft festgestellt werden kann []. Die Konsequenzen waren dann in allen Fällen gleich: Bei Elektiveingriffen wurde die Operation verschoben, Notfalleingriffe wurden durchgeführt. Daraufhin haben sich verschiedene Arbeitsgruppen die Frage gestellt, ob ein präoperativer Schwangerschaftstest empfohlen werden soll, und wenn ja, unter welchen Bedingungen [4,, 6, 7]. Die Task Force on Preanesthesia Evaluation der Amerikanischen Anästhesiegesellschaft kommt derzeit zu folgender Einschätzung [6]:» Die Literatur lässt momentan keine sichere Auskunft zu, ob Anästhesie einen schädigenden Einfluss auf die Frühschwangerschaft besitzt oder nicht. Ein Schwangerschaftstest kann Frauen im gebärfähigen Alter angeboten werden, wenn ein positives Testresultat das weitere Vorgehen verändern würde. «Der Test selbst erfolgt durch Bestimmung von HCG (humanes Choriongonadotropin) im Serum oder im Urin. Hierbei ist zu bedenken, dass die HCG-Konzentration im Urin immer der Serumkonzentration»nachhängt«, also der Serumwert etwas sensitiver ist. Weiterhin sollte ein Schwangerschaftstest möglichst zeitnah zum Eingriff durchgeführt wurden, der Urintest am besten im konzentrierteren Morgenurin [4]. Die DGAI-Empfehlung 00 nimmt zur Frage des präoperativen Schwangerschaftstests nicht Stellung.

8 9.4 Weiterführende Untersuchungen -Kanal-EKG Anamnestisch auffällig oder kardial symptomatisch.. Abb.. DGAI-Empfehlung 00 zur präoperativen Durchführung eines -Kanal-EKG. (Aus: [39]) nein ja Kein EKG OP mit hohem kardialen Risiko Kardiale Symptome (z.b. Ischämie, Ödeme, Rhythmusstörung etc.) oder ICD-Träger -Kanal-EKG Auffällige Anamnese (> kardialer Risikofaktor) und OP mit mittlerem kardialen Risiko Bei klinischen Symptomen Schrittmacherträger Bei regelmäßigen Schrittmacherkontrollen Kein EKG Praktische Umsetzung In der klinischen Praxis haben wir uns am Klinikum Lünen auf folgendes Vorgehen geeinigt: Beim symptomfreien Patienten mit leerer Anamnese und unauffälligem Untersuchungsbefund ist vor Eingriffen mit niedrigem Risiko (. Tab..) keine Laboranalyse erforderlich. In allen anderen Fällen wird immer folgende Basislaboranalyse durchgeführt: Kleines Blutbild mit Hb, Leukozyten und Thrombozyten, Kalium, Kreatinin, Leberwerte: Bilirubin, SGPT (=ALAT), y-gt, Blutzucker, Gerinnungsstatus: Quickwert (INR), PTT. Weitere Laborwerte bedürfen einer speziellen Indikationsstellung, z. B. zur Klärung spezifisch chirurgischer Fragestellungen, Infektionsparameter bei HIV, Hepatitis B oder C etc. In den seltenen Fällen einer bisher ungeklärten positiven Blutungsanamnese erfolgt in Absprache mit dem Operateur immer eine hämostaseologische Abklärung. Frauen im gebärfähigen Alter sollten vor jeder Operation gefragt werden, ob eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist; in allen Zweifelsfällen sollte ein Schwangerschaftstest angeboten werden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass es recht einfach ist; darüber hinaus dient der präoperative Hämoglobinwert als Ausgangswert zur Orientierung bei perioperativen Blutverlusten sowie als Planungsgrundlage für die Bereitstellung von Konservenblut..4. Elektrokardiogramm Das -Kanal-Ruhe-EKG gehört zu den häufigsten präoperativen Routineuntersuchungen und wird in vielen Kliniken immer dann durchgeführt, wenn die Patienten ein bestimmtes Alter überschritten haben. Bekannt ist, dass mit zunehmendem Alter auch der Anteil abnormer EKG-Befunde zunimmt, ohne dass aber klar gezeigt werden konnte, dass deren Kenntnis zu einem besseren Outcome führt [9]. Die DGAI-Empfehlung 00 kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein präoperatives EKG bei anamnestisch unauffälligen und kardial asymptomatischen Patienten unabhängig vom Alter nicht erforderlich ist [39]. Hingegen ist ein -Kanal-EKG indiziert vor Operationen mit einem hohen kardialen Risiko, vor Operationen mit einem mittleren kardialen Risiko, sofern die Patienten mehr als einen kardialen Risikofaktor (KHK, Herzinsuffizienz, pavk, zerebrovaskuläre Insuffizienz, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz) aufweisen, bei Patienten mit kardialen Symptomen und bei Patienten mit implantiertem Kardioverter/Defibrillator (ICD). Hingegen ist bei Patienten mit einem Herzschrittmacher kein präoperatives EKG erforderlich, wenn sich der Patient in regelmäßiger Schrittmacherkontrolle befindet und kardial beschwerdefrei ist. Die DGAI-Empfehlungen 00 zum EKG sind. Abb.. zusammengefasst [39]. In der klinischen Praxis sind verlässliche Absprachen zur präoperativen EKG-Diagnostik aus organisatorischen Gründen essenziell. Hinzu kommt, dass eine präoperative EKG-Aufzeichnung anders als eine Thoraxröntgenaufnahme für den Patienten keine eigenständige Gefährdung darstellt; außerdem kann ein präoperatives EKG auch als Ausgangsbefund für die Beurteilung perioperativer Veränderungen dienen. In einer aktuellen Untersuchung wurde zudem ein Alter > 65 Jahre als Risikofaktor für einen wesentlichen pathologischen EKG-Befund mit potenziellem Einfluss auf das weitere Vorgehen identifiziert [8].

9 0 Kapitel Anästhesiologische Visite nein V.a. OP- / anästhesierelevanten Befund z.b. ausgeprägte Struma z.b. Thoraxdeformität etc. Thoraxröntgenaufnahme Praktische Umsetzung In der klinischen Praxis haben wir uns am Klinikum Lünen auf folgendes Vorgehen geeinigt. Ein präoperatives -Kanal-EKG ist erforderlich vor allen thoraxchirurgischen und gefäßchirurgischen Operationen (Ausnahme Varizenchirurgie), bei allen Patienten mit kardialen Beschwerden oder kardialen Risikofaktoren, bei allen Patienten mit ICD oder Herzschrittmacher, bei allen Männern und Frauen ab dem 65. Lebensjahr. Wiederholungs-EKG Ein Wiederholungs-EKG wird empfohlen, wenn sich der Gesundheitszustand des Patienten gegenüber dem Vorbefund geändert hat, z. B. bei neuen Beschwerden oder Beginn oder Umstellung einer antiarrhythmischen Therapie. Ansonsten sollte ein neues EKG angefertigt werden, wenn der Vorbefund älter als 6 Monate ist..4.3 Thoraxröntgenbild Thoraxröntgen / Lungenfunktion* nein * z. B. Pulsoxymetrie, Spirometrie, Blutgasanalyse Anamnestisch auffällig oder pulmonal symptomatisch Bekannte / stabile Erkrankung z.b. COPD, Asthma Keine weitere Diagnostik Die präoperative Durchführung einer Thoraxröntgenaufnahme allein aufgrund einer festen Altersgrenze ist heute nicht mehr gerechtfertigt: Aufgrund des Thoraxröntgenbefunds wird in der Regel weder die Entscheidung zur Operation noch die Wahl des Anästhesieverfahrens wesentlich beeinflusst; zudem müssen die Aspekte»Strahlenbelastung«und»Kosten«berücksichtigt werden. Die DGAI-Empfehlung 00 kommt daher zu folgendem Ergebnis [39]: Bei symptomfreien Patienten und unauffälligem Untersuchungsbefund ist eine Routineröntgenaufnahme des Thorax unabhängig vom Alter nicht erforderlich. Ein Thoraxröntgenbild ist indiziert, wenn z. B. der klinische Verdacht auf einen Pleuraerguss, eine Atelektase oder eine ja Neu aufgetretene / akut symptomatische Erkrankung z.b. Pneumonie z.b. Pleuraerguss z.b. Atelektase a.p.-thoraxröntgenaufnahme ggf. pulmonale Funktionsdiagnostik Pneumonie vorliegt und dies präoperativ abgeklärt und ggf. behandelt werden soll. In Sonderfällen kann eine Thoraxröntgenaufnahme auch aus anderen Gründen indiziert sein, z. B. zur Abschätzung einer Trachealverlagerung bei Struma. Die DGAI-Empfehlungen 00 zur Thoraxröntgenaufnahme sind in. Abb..3 zusammengefasst [39]. Muss aus den o. g. Gründen eine Thoraxröntgenaufnahme angefertigt werden, dann ist häufig eine Aufnahme im posterior-anterioren Strahlengang (»p.a.-aufnahme«) ausreichend; die seitliche Röntgenaufnahme wird nur dann durchgeführt, wenn dies zur Befundung erforderlich ist. Wird bei dem Patienten präoperativ eine Computer- oder Kernspintomographie durchgeführt, dann kann in den meisten Fällen ganz auf eine konventionelle Röntgenaufnahme verzichtet werden..4.4 Lungenfunktionsprüfung.. Abb..3 DGAI-Empfehlung 00 zur präoperativen Durchführung einer Thoraxröntgenaufnahme und einer Lungenfunktionsdiagnostik. (Aus: [39]) Bekannt ist, dass pathologische Lungenfunktionsparameter mit der Häufigkeit pulmonaler Komplikationen korrelieren, jedoch wird das Ausmaß dieser Komplikationen erheblich von weiteren Faktoren (z. B. Operationsgebiet und -radikalität, Allgemeinzustand des Patienten) beeinflusst, sodass der Vorhersagewert der alleinigen Lungenfunktionsprüfung gering ist [34]. Patienten mit erhöhtem pulmonalen Risiko können zudem allein aufgrund von Anamnese und körperlicher Untersuchung identifiziert werden [34]. Aus diesen Gründen ist ein globales präoperatives Screening aller Patienten nicht indiziert; vielmehr ist auch hier die klinische Einschätzung entscheidend. Die DGAI-Empfehlung 00 fasst unter dem Begriff»Lungenfunktionsprüfung«folgende Untersuchung zusammen: pulsoxymetrische Messung der arteriellen O -Sättigung, Spirometrie bzw. Spiroergometrie, Bodyplethysmographie sowie arterielle Blutgasanalyse.

10 .4 Weiterführende Untersuchungen Gemäß DGAI-Empfehlung 00 ist eine präoperative Untersuchung der Lungenfunktion bei nichtthoraxchirurgischen Patienten nur selten erforderlich, meist bei Patienten mit einer neu aufgetretenen pulmonalen Erkrankung [39]; die Empfehlungen sind in. Abb..3 zusammengefasst. Aktuelle Hinweise zur präoperativen Evaluation und Risikoeinschätzung vor thoraxchirurgischen Eingriffen findet man bei Mutlak et al. []. Praktische Umsetzung In der klinischen Praxis haben wir uns am Klinikum Lünen auf folgendes Vorgehen geeinigt. Eine präoperative Lungenfunktionsdiagnostik erfolgt vor allen lungenresezierenden Eingriffen die Lungenfunktionsdiagnostik wird vom Operateur für die OP-Planung herangezogen, bei Patienten mit einer neu aufgetretenen pulmonalen Erkrankung zur Einschätzung des Schweregrads oder zur Kontrolle der Wirksamkeit der Therapie, sehr selten bei ausgeprägter Thorax- oder Wirbelsäulendeformität oder bei verschiedenen Lungenerkrankungen (schwere Silikose, Mukoviszidose usw.) als Ergänzung zur klinischen Einschätzung. Die Auswahl des geeigneten Verfahrens (Pulsoxymetrie, Spirometrie oder arterielle Blutgasanalyse) erfolgt individuell..4.5 Echokardiographie Mithilfe der Echokardiographie können bei hoher Sensitivität und Spezifität Pumpfunktionsstörungen und Klappenvitien diagnostiziert werden. Allerdings bietet die präoperative Echokardiographie bei Patienten, bei denen die Diagnose einer Herzinsuffizienz oder Pumpfunktionsstörung bereits gesichert ist, keinen zusätzlichen Informationsgewinn zur Vorhersage perioperativer Komplikationen [5]. Gemäß DGAI-Empfehlung 00 ist eine präoperative Echokardiographie in folgenden Situationen gerechtfertigt [39]: bei Patienten mit neu aufgetretener Dyspnoe unklarer Ursache, bei Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz und Symptomverschlechterung innerhalb der letzten Monate (sofern dies nicht schon erfolgt ist), bei Patienten mit einem erstmals entdeckten oder bisher nicht abgeklärten Herzgeräusch, auch bei normaler Belastbarkeit im Alltag. Darauf kann bei Eingriffen mit einem niedrigen kardialen Risiko (. Tab..) vermutlich verzichtet werden. Dann sollte dem Patienten aber empfohlen werden, dies durch den Hausarzt abklären zu lassen. > > Hingegen sind eine bekannte stabile KHK oder eine bekannte stabile Herzinsuffizienz keine Indikationen für eine präoperative Echokardiographie. Soll nun präoperativ eine Echokardiographie durchgeführt werden, so erfolgt diese in der Regel als transthorakale Echokardiographie (TTE) und nur im Ausnahmefall als transösophageale Echokardiographie (TEE). Die TEE ist aufwändiger, invasiver und komplikationsträchtiger, v. a. bei Zuständen mit erhöhter Vulnerabilität des Ösophagus, z. B. bei Striktur, Tumor, Divertikel, Varizen etc. und bedarf daher einer klaren Indikationsstellung und der vorherigen Aufklärung des Patienten. Mögliche Indikationen zur präoperativen TEE können sein: Verdacht auf Endokarditis, Verdacht auf Vorhofthromben, erhebliche Adipositas, Lungenemphysem [36], Ausschluss eines persistierenden Foramen ovale vor neurochirurgischen Operationen, die in sitzender Position geplant sind []..4.6 Sonographie der Halsgefäße Gemäß DGAI-Empfehlung 00 ist eine präoperative Sonographie der Halsgefäße in folgenden Situationen gerechtfertigt [39]: bei Patienten vor einem großen arteriellen gefäßchirurgischen Eingriff, bei Patienten nach Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) in den letzten 3 Monaten, sofern diese Untersuchung nicht schon erfolgt ist oder seitdem neue Beschwerden aufgetreten sind. Unklar ist, ob eine präoperative Sonographie der Halsgefäße bei Patienten mit einem erstmals entdeckten oder bisher nicht abgeklärten Strömungsgeräusch über der A. carotis erfolgen sollte. Am Klinikum Lünen machen wir dies von den sonstigen kardialen Risikofaktoren des Patienten (7 Abschn. ) und dem kardialen Risiko der Operation (. Tab..) abhängig. Falls keine präoperative Abklärung erfolgt, sollte dem Patienten aber empfohlen werden, dies durch den Hausarzt untersuchen zu lassen..4.7 Erweiterte kardiale Diagnostik Präoperativ kann in seltenen Fällen und dabei ist die Indikation streng zu stellen eine differenzierte kardiologische Abklärung bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sinnvoll sein. Hierbei wird der Kardiologe den Patienten mit den Möglichkeiten seines Fachgebiets untersuchen und ggf. folgende Maßnahmen durchführen: TTE oder TEE (7 Abschn..4.5) zur Ischämiediagnostik ein Belastungs-EKG oder alternativ eine Dobutamin-Stress-Echokardiographie oder eine Adenosin-Myokardszintigraphie. Das genaue Vorgehen richtet sich nach der körperlichen Belastbarkeit des Patienten und nach Kenntnisstand und Methodenverfügbarkeit vor Ort. Eine Koronarangiographie bei auffälliger Ischämiediagnostik, ggf. mit Koronarintervention (»percutaneous coronary intervention«, PCI). Nun stellt sich die Frage, wann eine solche differenzierte kardiologische Diagnostik präoperativ wirklich sinnvoll ist schließlich ist sie aufwändig und mit teilweise erheblichen Kosten verbunden, kann zu einer Verschiebung des OP-Termins führen und ist letztlich auch mit eigenen Risiken verbunden. Die DGAI-Empfehlung 00 hält eine erweiterte kardiologische Diagnostik in verschiedenen Situationen für unterschiedlich sinnvoll bzw. gerechtfertigt [39]: Eine kardiologische Abklärung und Therapie soll durchgeführt werden bei Vorliegen einer akut symptomatischen Herzerkrankung (. Tab..4). Elektivoperationen werden solange verschoben, bei dringlichen oder Notfalleingriffen erfolgt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. Eine kardiologische Abklärung erscheint sinnvoll bei Patienten mit mindestens 3 kardialen Risikofaktoren und eingeschränkter Belastbarkeit vor einer Hochrisikooperation. Zur Definition der Belastbarkeit wird in der angloamerikanischen Literatur der Begriff»metabolic equivalent«(met) herangezogen: Der Ruheumsatz des Menschen entspricht MET, eine ausreichende körperliche Belastbarkeit liegt bei 4 MET vor. Dies entspricht einer Belastung von 00 W bei der Ergometrie bzw. im Alltag, dass der Patient Stockwerk gehen oder leichte Hausarbeit verrichten kann.

11 Kapitel Anästhesiologische Visite Tab..4 Akute symptomatische Herzerkrankungen: Indikationen für eine präoperative kardiologische Abklärung und Therapie (Nach: [39]). Instabile Koronarsyndrome Dekompensierte Herzinsuffizienz Signifikante Arrhythmien Relevante Herzklappenerkrankung Eine kardiologische Abklärung kann erwogen werden bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren und eingeschränkter Belastbarkeit (< 4 MET) vor einer Operation mit mittlerem oder hohem kardialen Risiko. Eine kardiologische Abklärung kann erwogen werden bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren und ausreichender Belastbarkeit ( 4 MET) vor einer arteriellen Gefäßoperation. Wird bei der kardiologischen Diagnostik nun eine KHK festgestellt, so ist außerdem unklar, ob eine präoperative Koronarintervention als PCI oder als Bypass-Operation wirklich das perioperative Outcome verbessert oder ob nicht eine engmaschige hämodynamische Überwachung und ggf. β-blockertherapie genauso effektiv ist [0, 30]..5 Postoperative Visite Instabile oder schwere Angina (CCS III oder IV) Kürzlich abgelaufener Myokardinfarkt (> 7 Tage und < 30 Tage) Erstmanifestation der Herzinsuffizienz Bei Symptomverschlechterung Bei NYHA IV Höhergradiger AV-Block: AV-Block II (Typ Mobitz), AV-Block III Symptomatische Herzrhythmusstörungen a Supraventrikuläre Arrhythmie (inkl. Vorhofflimmern) mit schneller Überleitung > 00/min a Symptomatische Tachykardie a Neue ventrikuläre Tachykardie Schwere Aortenklappenstenose (Gradient > 40 mmhg oder KÖF < cm oder symptomatisch) Schwere Mitralklappenstenose (fortschreitende Belastungsdyspnoe oder Belastungssynkope oder Zeichen der Herzinsuffizienz) AV Atrioventrikulär, CCS Canadian Cardiovascular Society, KÖF Klappenöffnungsfläche, NYHA New York Heart Association Elektivoperationen werden bis zur diagnostischen Abklärung verschoben, bei dringlichen oder Notfalleingriffen erfolgt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. a Nach Ansicht des Autors ist eine kardiologische Abklärung dieser Herzrhythmusstörungen nur dann erforderlich, wenn diese Herzrhythmusstörungen aus Sicht des Anästhesisten perioperativ nicht ausreichend behandelbar erscheinen. Die anästhesiologische Betreuung endet bei den meisten Patienten mit der Verlegung aus dem Aufwachraum auf die Allgemeinstation. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Regel eine zusätzliche postoperative anästhesiologische Visite sinnvoll ist, v. a. unter den Aspekten der Qualitätssicherung. Hierbei besteht die Möglichkeit, die Ergebnisse des eigenen Handelns zu überprüfen, aber auch, dem Patienten, dem Operateur oder dem Krankenpflegepersonal der Station im konkreten Fall beratend zu Verfügung zu stehen. Aufgaben der postoperativen anästhesiologischen Visite Eigene Qualitätskontrolle, z. B. Inzidenz von Halsschmerzen nach Atemwegsmanagement, Wirkdauer und Nebenwirkungen von Regionalanästhesieverfahren, Volumenstatus u. a. Beratung des Patienten, z. B. Information bei schwieriger Intubation oder intraoperativen Komplikationen, die entweder im Zusammenhang mit der Anästhesieführung auftraten oder durch den Anästhesisten beobachtet wurden (z. B. höhergradige Herzrhythmusstörungen). Beratung des Operateurs oder des Krankenpflegepersonals der Station, z. B. bei der postoperativen Akutschmerztherapie oder bei Übelkeit und Erbrechen der Patienten u. a. Aus dieser Übersicht wird klar, dass die postoperative anästhesiologische Visite im Nebeneffekt auch zur Wahrnehmung des Anästhesisten als wichtiges Mitglied des Behandlungsteams führt: Viele Patienten hatten vor der Anästhesie mehr Angst als vor der Operation, und nun kann der Patient noch einmal mit demjenigen Arzt sprechen, der ihn sicher durch die Anästhesie und während der Operation begleitet hat. Bei allen positiven Aspekten einer postoperativen anästhesiologischen Visite darf allerdings nicht verkannt werden, dass diese aufgrund der heutigen Arbeitsverdichtung nur in eingeschränktem Umfang durchgeführt wird. Im hiesigen Klinikum findet sie bei etwa 0 % der Patienten statt, v. a. nach Regionalanästhesieverfahren. Weitere Patienten werden aber immerhin durch den Akutschmerzdienst gesehen. In ihrer Übersicht zur anästhesiologischen Personalbedarfsplanung gehen Iber et al. [6] von einem mittleren Zeitbedarf von 5 min für eine Visite aus. Selbst bei günstigsten Umständen ein Anästhesist betreut in seinem OP 5 Patienten derselben Station, der Weg ist kurz, alle Patienten werden sofort angetroffen, und die Akten liegen zur Dokumentation bereit muss mit einem Gesamtzeitbedarf von min gerechnet werden. Fasst man diese Zeiten zusammen, so wird schnell klar, dass eine postoperative Visite aller Patienten zwar wünschenswert, aber in der Praxis nahezu unmöglich ist. Daher kann das in der Übersicht dargestellte Vorgehen empfohlen werden. Empfehlung: Postoperativ visitiert werden immer alle Kinder alle geburtshilflichen Patientinnen alle Patienten nach Regionalanästhesieverfahren alle Patienten, bei denen intraoperativ Schwierigkeiten/ Komplikationen auftraten alle Patienten, die sich im Vorfeld der Anästhesie mit bestimmten Sorgen und Fragestellungen an den prämedizierenden Anästhesisten gewandt hatten Weiterhin müssen alle Stationen und operativ tätigen Kollegen informiert werden, dass im Falle von Beschwerden, die verdachtsweise der anästhesiologischen Betreuung zugeordnet werden, sofort eine Informationsweitergabe erfolgt. Darüber hinaus kann mit Hilfe von Fragebögen versucht werden, eine allgemeine Qualitätsanalyse zu erreichen. Hier bietet sich z. B. der»evaluierte Fragebogen Anästhesie«(EFA) [33] an, mit dem die Patienten die Qualität der anästhesiologischen Versorgung

12 Literatur 3 beurteilen können. Zusammengefasst stellt die postoperative Visite eine wichtige Maßnahme der anästhesiologischen Qualitätssicherung dar. Ihre Durchführung bei möglichst vielen Patienten ist wünschenswert. Im Spannungsfeld zunehmender Arbeitsverdichtung und knapper finanzieller Ressourcen muss jede anästhesiologische Einrichtung für sich entscheiden, wann und bei welchen Patienten eine solche postoperative Visite erfolgen soll, um möglichst gezielt Informationen über das eigene Handeln zu erhalten und ein effizientes Zwischenfall- und Beschwerdemanagement zu gewährleisten. Literatur Arbous MS, Meursing AEE, van Kleef JW et al. (005) Impact of anesthesia management characteristics on severe morbidity and mortality. Anesthesiology 0: Biboulet P, Aubas P, Dubourdieu J et al. (00) Fatal and non fatal cardiac arrests related to anesthesia. Can J Anesth 48: Biermann E (997) Einwilligung und Aufklärung in der Anästhesie Rechtsgrundlagen und forensische Konsequenzen. 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13 4 Kardiovaskuläres System S. Czerner, B. Zwißler. Klinische Beurteilung des Patienten 5. Anatomie und Physiologie 5 Herz 5 Systemische Zirkulation 0 3 Regulation des Kreislaufs 4 Pulmonale Zirkulation 5 Fetale Zirkulation 3.3 Der Patient mit Erkrankungen von Herz und Kreislauf 3.3. Koronare Herzkrankheit 4.3. Erkrankungen der Herzklappen Angeborene Herzfehler Herzinsuffizienz Herzrhythmusstörungen Periphere arterielle Verschlusskrankheit Aortenaneurysma 34.4 Spezifische kardiale Diagnostik Anamnese und körperliche Untersuchung Technische Basisdiagnostik Methoden der erweiterten kardiovaskulären Diagnostik Indikation zur erweiterten kardialen Diagnostik Kardiologisches Konsil 39 Literatur 39

14 5. Anatomie und Physiologie Nach Angaben des statistischen Bundesamts sind die Häufigkeiten der Todesursachen in Deutschland seit Jahren stabil. Mit Abstand führen Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Sterbestatistik als Haupttodesursache an. Dies impliziert für den Anästhesisten die enorme Bedeutung um das Wissen der Grundlagen und Prinzipien des kardiovaskulären Systems. Im folgenden Kapitel werden die Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystem dargestellt und die Pathophysiologie der häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgezeigt. Im Anschluss erfolgt eine kurze Übersicht über die speziellen Möglichkeiten der kardiovaskulären Diagnostik.. Klinische Beurteilung des Patienten Kardiovaskuläre Vorerkrankungen sind der wichtigste Prädiktor perioperativer Morbidität und Letalität. Trotz der Vielzahl kardiovaskulärer Erkrankungen und deren Manifestationsformen gibt es nur wenige echte Leitsymptome für potenziell lebensbedrohliche kardiovaskuläre Erkrankungen (. Tab..). Liegt keines der genannten Leitsymptome vor, so ist eine relevante kardiovaskuläre Erkrankung nicht wahrscheinlich. Im positiven Fall dagegen muss ggf. eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden (7 Abschn..4.4). Nur die genaue Kenntnis der kardiovaskulären Anatomie, Physiologie (7 Abschn..) und Pathophysiologie (7 Abschn..3) sowie von Indikation, Aussagekraft und Limitationen diagnostischer Tests (7 Abschn..4) ermöglicht eine valide Abschätzung und Minimierung des perioperativen Risikos. Ziel der Prämedikationsvisite ist es daher, durch eine zielgerichtete Anamnese und körperliche Untersuchung relevante Erkrankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen oder aber bei Verdacht eine weiterführende Diagnostik zu initiieren.. Anatomie und Physiologie Herz Kontraktiler Apparat Die Anforderungen an das Arbeitsmyokard sind einerseits eine erschöpfungsfreie Dauerleistung und anderseits die Fähigkeit zu raschen und kräftigen Kontraktionen. Die Herzmuskulatur besitzt daher funktionell Eigenschaften der glatten und quergestreiften Muskulatur. Myofibrillen Die einzelne Faser besteht aus einem Geflecht von zellähnlichen Elementen, die über Nexus funktionell gekoppelt sind und ein Synzytium bilden. Die Myofibrillen mit den Sarkomeren sind quer angeordnet; der Herzmuskel ist somit wie der Skelettmuskel quergestreift. Anders als in der quergestreiften Muskulatur mit randständigen Kernen liegt der Zellkern von Myofibrillen jedoch in der Zellmitte. Elektromechanische Kopplung. Das sarkoplasmatische Retikulum der Myokardzelle ist kleiner und schmäler als das der Skelettmuskelfaser und enthält weniger Ca + -Ionen. Folge hiervon ist eine Vergrößerung der Diffusionsstrecke, ein langsamer Ca + -Einstrom und eine Verlängerung des Aktionspotenzials auf ms (Skelettmuskulatur: ms). Das für die Kontraktion benötigte Ca + stammt nicht nur aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, sondern, wie bei glatter Muskulatur auch, aus dem Interstitium. Tab.. Leitsymptome kardiovaskulärer Erkrankungen Leitsymptom Angina pectoris Dyspnoe in Ruhe oder bei Belastung Herzrhythmusstörungen Stauungszeichen Bluthochdruck Strömungsgeräusche Claudicatio intermittens Klinische Evaluation Schmerzcharakteristika Auslösende Faktoren Grad der Belastbarkeit Ausstrahlung und Lokalisation Dauer Risikofaktoren positive Familienanamnese Zustand nach Myokardinfarkt Fettstoffwechselstörung Nikotinabusus arterielle Hypertonie Diabetes mellitus Hyperurikämie Grad der Belastbarkeit Synkopen, Pulsdefizit, Arrhythmie Beinödeme, Aszites, Jugularvenenstauung Cave: Kann situativ sein Lokalisation: Aa. carotides, Herz Pulsstatus, Gehstrecke, Ruheschmerz > > Nach Erregung der Zelle ist der Ca + -Einstrom aus dem sarkoplasmatischen Retikulum verantwortlich für die Kontraktion. Substanzen wie Adrenalin fördern den Ca + -Transport und steigern so die Kontraktionskraft des Herzens. > > Der Ca + -Einstrom aus dem Extrazellulärraum dagegen scheint für die Länge des Aktionspotenzials und für die Regeneration der intrazellulären Ca + -Speicher eine Rolle zu spielen. Die erhöhte intrazelluläre Ca + -Konzentration führt zur Interaktion der Querbrücken von Myosin- und Actinfilamenten unter Verbrauch von ATP. Es kommt zur Kontraktion der Herzmuskelzelle. Das Aktionspotenzial überdauert dabei die Kontraktion deutlich. Eine neue Erregung kann erst nach Abklingen der refraktären Phase stattfinden. Ein Tetanus der Herzmuskelzelle wird so verhindert. Kontraktionsdynamik Ruhedehnungskurve Nach Starling lässt sich die Kontraktionsdynamik des Herzens durch Quantifizierung des Ventrikeldrucks bei unterschiedlicher Vorfüllung bestimmen (. Abb..). Die Ruhedehnungskurve zeigt, dass mit zunehmender Füllung die Dehnbarkeit des Herzens abnimmt. Der Kontraktionsablauf des linken Ventrikels lässt sich in 4 Phasen einteilen: a. Beginn der Systole mit isovolumetrischer Kontraktion. Der Ventrikeldruck steigt an, bis er den auf der Aortenklappe lastenden Druck übersteigt. b. Die Aortenklappe öffnet sich, Beginn der Austreibungsphase und der auxotonischen Kontraktion. c. Der Auswurf ist beendet, Beginn der isovolumetrischen Entspannung. d. Öffnung der Mitralklappe, Beginn der Füllung des Ventrikels.

15 6 Kapitel Kardiovaskuläres System Abb.. Druck-Volumen-Diagramm einer Herzaktion. Von jedem Punkt der Ruhedehnungskurve (A) kann das Herz einen entsprechenden Punkt auf der Kurve der isovolumetrischen (B ) bzw. der isotonischen Maxima (A ) erreichen. Auf der Verbindungslinie von A und B liegt der Endpunkt der systolischen Austreibungsphase. Frank-Starling-Mechanismus Jeder Anstieg des venösen Rückstroms vergrößert das enddiastolische Volumen und verschiebt das Arbeitsdiagramm nach rechts (. Abb..). Bei identischem isotonischem und isovolumetrischem Druckmaximum steigt das Schlagvolumen an. So kann das Herz»autoregulatorisch«durch eine größere enddiastolische Füllung ein größeres Schlagvolumen erreichen. Dies ist das Prinzip des Frank- Starling-Mechanismus. Bei Anstieg des diastolischen Aortendrucks öffnet sich die Aortenklappe erst bei einem höheren Ventrikeldruck. Das Schlagvolumen nimmt ab. Wegen des nun größeren Restvolumens verschiebt sich das Arbeitsdiagramm (von nach 3) nach rechts in Richtung größerer Volumina. Das Schlagvolumen steigt wieder an (. Abb..3). > > Im Gegensatz zur Volumenbelastung (Kraft für Volumen) wird bei der Druckbelastung die vermehrte Faserdehnung für die Kraftentfaltung genutzt. Einfluss des vegetativen Nervensystems In vivo wird die Kontraktion zusätzlich durch den Parasympathikus (Rr. cardiaci des N. vagus) und den Sympathikus (Nn. accelerantes und humorale Katecholamine) beeinflusst. Unter Vaguseinfluss sinken die Dauer des Aktionspotenzials, der Ca + -Transport in die Zelle, die Kontraktilität und die Steilheit der langsamen diastolischen Depolarisation ab. Eine neue Erregung durch Überschreitung des Schwellenpotenzials wird so verzögert. Dagegen verändert der Sympathikus zwar nicht die Länge des Aktionspotenzials, steigert jedoch die intrazelluläre Ca + -Verfügbarkeit, erhöht die Steilheit der langsamen diastolischen Depolarisation und verkürzt so die Zeit bis zum Erreichen des Schwellenpotenzials. Abb.. Druck-Volumen-Diagramm bei Volumenbelastung. Abb..3 Druck-Volumen-Diagramm bei Druckbelastung. (Arbeitsdiagramm bei Anstieg der Druckbelastung: hellgraue Schraffur). Einfluss der Herzfrequenz Tachykardie ist ein wichtiger und physiologischer Mechanismus zur Steigerung des Hereitvolumens. Gleichzeitig nimmt jedoch der Anteil der Diastole am Kontraktionszyklus ab. Die Zeit zur Füllung des Herzens wird verkürzt. Beim Gesunden werden Frequenzsteigerungen bis ca. 50/min ohne kritische Reduktion der enddiastolischen Ventrikelfüllung toleriert. Weiterhin nimmt der myokardiale O -Verbrauch mit ansteigender Herzfrequenz zu. Einfluss positiv inotroper Effekte Im Arbeitsdiagramm nach Starling ist ein positiv inotroper Effekt durch Erhöhung der Linie der isovolumetrischen Maxima mit einer steileren Linie der Unterstützungsmaxima (U-Kurve) gekennzeichnet. Auf diese Weise kann der Ventrikel entweder einen größeren Druck überwinden oder bei gleichem Füllungsvolumen ein höheres Volumen auswerfen. Quantifizierung der Kontraktilität Eine exakte Quantifizierung von Kontraktilität ist in vivo nicht und ex vivo nur in aufwändigen Präparationen möglich. In vivo erlauben die isovolumetrische Druckanstiegsgeschwindigkeit, dp/dt max, sowie die z. B. echokardiographisch gemessene Auswurffraktion des linken Ventrikels (EF) Rückschlüsse auf die Kontraktilität des Myokards. So steigt mit Zunahme der Kontraktilität die Auswurffraktion an. Jedoch sind sowohl dp/dt max als auch EF abhängig von Vorlast und Nachlast. Ein lastunabhängiges Verfahren zur Bestimmung von Kontraktilität ist die Messung der endsystolischen Druck-Volumen-Beziehung (ESPVR; [46]). Bei konstanter Nachlast ist diese von der Vorlast unabhängig. Mit steigender Nachlast nimmt das endsystolische Volumen zu, die ESPVR ist jedoch linear (. Abb..4). Die Steigung dieser Geraden, die maximale Ventrikelelastance (E max ) ist lastun-

16 7. Anatomie und Physiologie Abb..4 Kontraktilitätsmessung mit Hilfe endsystolischer Druck-Volumen-Beziehungen (ESPVR). a Die ESPVR ist unabhängig von Änderungen der Vorlast. b Die Steigung der ESPVR (E max ) ist unabhängig von Änderungen der Nachlast. c Die Zunahme von E max signalisiert eine Kontraktilitätssteigerung. Die Abnahme von E max signalisiert eine Kontraktilitätsminderung. (Nach: [46]) abhängig. Sie dient zur Bestimmung der Kontraktilität in vivo. Eine Zunahme der Kontraktilität optimiert bei gleicher Nachlast die Entleerung des Ventrikels und führt damit zu einer Zunahme von E max. Da die Quantifizierung jedoch die simultane Bestimmung von endsystolischem Volumen und Druck unter variablen Lastbedingungen erfordert, wird E max klinisch nicht routinemäßig eingesetzt. Elektrophysiologie Erregungsbildung Das Herz ist zur spontanen Erregungsbildung fähig. Das Reizleitungssystem besteht aus spezialisierten Myokardzellen, deren Fähigkeiten denen von Nervenzellen ähneln: sie besitzen ein Ruhepotenzial und bei Anregung folgt ein Aktionspotenzial.. Abb..5 zeigt den Ablauf eines Aktionspotenzials im Herzen. > > Die langsame diastolische Depolarisation ist typisch für das Erregungsleitungssystem des Herzens und ist ein lokaler Erregungsvorgang, welcher nicht weitergeleitet wird. Durch eine Inaktivierung des schnellen Na + -Kanals nach der schnellen Depolarisation kommt es zu einer langen Refraktärperiode, in der Reize nicht oder nur unterschwellig weitergeleitet werden. Die Refraktärperiode unterteilt sich in die absolute und relative Refraktärperiode. Während der absoluten Refraktärzeit wird eine neue Erregung nicht von einem Aktionspotenzial beantwortet. In der relativen Refraktärzeit kann zwar ein neues Aktionspotenzial ausgelöst werden; Dauer und Potenzialhöhe sind jedoch geringer. Ein schneller Wiedereintritt der Erregung (Re-Entry) wird so verhindert. Abb..5 Ablauf des Aktionspotenzials im Herzen. Das Ruhepotenzial liegt bei 90 mv. Am Anfang der Erregung steht eine kureitig erhöhte Leitfähigkeit für Natrium mit einem schnellen Na+-Einstrom in die Zelle (schnelle Depolarisation). Zusätzlich wird durch eine verzögert einsetzende und länger anhaltende Erhöhung der Leitfähigkeit für Kalzium ein langsamer Ca + -Einstrom in die Zelle (langsame Depolarisation) hervorgerufen. Dies bewirkt ein lang andauerndes, für das Herz charakteristisches Plateau. Am Ende der Plateauphase nimmt die Leitfähigkeit der Zellmembran für Kalzium wieder ab und die Leitfähigkeit für Kalium rasch zu. Es kommt zu einer Verringerung des Ca + -Einstroms und einer Erhöhung des K + -Ausstroms (Repolarisation) bis zum Erreichen des Ruhepotenzials. In den Zellen des kardialen Reizleitungssystems des Herzens führt nach Abschluss der Repolarisation eine langsame Depolarisation bei Erreichen des Schwellenpotenzials zu einer neuen Erregung. (Nach: [39]).. Abb..6 Reizleitungssystem des Herzens. : V. cava. superior, : Sinusknoten, 3: AV-Knoten, 4: His-Bündel, 5: Tawara-Schenkel rechts, 6: V. cava inferior, 7: Pulmonalvenen, 8: Tawaraschenkel links, 9: Purkinje-Fasern Erregungsleitung Die Erregungsleitung beginnt im Sinusknoten und breitet sich von dort zunächst myogen auf die Arbeitsmuskulatur beider Vorhöfe aus. Damit die Herzkammern geordnet und zeitgleich erregt werden, besteht die Verbindung zwischen Vorhöfen und Kammern aus Bindegewebe, welches die myogene Weiterleitung der Erregung verhindert. Nur ein kleines Stück am Boden des rechten Vorhofes ist zur Weiterleitung befähigt. Hier liegt der AV-Knoten (Atrioventrikularknoten). Er organisiert die Überleitung der Erregung aus den Vorhöfen in die Kammern und kann bei Ausfall des Sinusknotens als Schrittmacher (Eigenfrequenz <40/min) fungieren (. Abb..6). Vom AV-Knoten aus verläuft die Erregung über das His-Bündel zu den Tawara-Schenkeln. Die Tawara-Schenkel liegen im inter-

17 8 Kapitel Kardiovaskuläres System Abb..7 Normales EKG. ventrikulären Septum und spalten sich in einen rechten und einen linken Schenkel auf. Der linke Schenkel teilt sich noch in einen anterioren und einen posterioren Faszikel. Am Ende des Reizleitungssystems leiten die Purkinjefasern die Erregung auf das Arbeitsmyokard der Ventrikel weiter. Elektrokardiogramm Durch Depolarisation und Repolarisation der Herzmuskelzellen entsteht ein elektrisches Feld, welches sich zwischen Punkten an der Körperoberfläche als Potenzialdifferenz ableiten lässt. Das Elektrokardiogramm (EKG) beschreibt den zeitlichen Verlauf dieser Potenzialdifferenzen. Jede erregte Herzmuskelfaser wirkt dabei als elektrischer Dipolvektor. Alle Einzelvektoren summieren sich zu einem Integralvektor und bestimmen so das elektrische Feld des Herzens. Das EKG stellt den Anteil des Integralvektors dar, welcher in Richtung der Ableitung verläuft. Senkrecht zur Ableitung verlaufende Anteile werden nicht dargestellt. Die einzelnen Erregungsstadien im EKG sind: P-Welle: Erregungsausbreitung der Vorhöfe, PQ-Strecke: Komplett erregte Vorhöfe, QRS-Komplex: Erregungsausbreitung der Kammern, ST-Strecke: Komplett erregte Kammern, T-Welle: Ventrikuläre Erregungsrückbildung, U-Welle: Inkonstant, Erregungsrückbildung der Purkinjefasern.. Abb..7 zeigt ein normales EKG. > > Das EKG erlaubt eine Aussage über die elektrische Erregung des Myokards, nicht jedoch dessen mechanische Antwort. Es gibt verschiedene Ableitungsformen. Bei der unipolaren Ableitung wird ein definierter Ort der Körperoberfläche gegen einen Bezugspunkt abgeleitet. Bei der bipolaren Ableitung werden definierte Orte auf der Körperoberfläche gegeneinander abgeleitet. EKG-Ableitungen Extremitätenableitungen unipolar: Ableitungen nach Goldberger (avr, avl und avf) bipolar: Ableitungen nach Einthoven (I, II und III) Brustwandableitungen unipolar: Brustwanddreieck nach Nehb (D, A und I) bipolar: Ableitungen nach Wilson (V V 6 ) Heryklus Das linke und das rechte Herz arbeiten annähernd synchron. Bei der Kontraktion der Kammermuskulatur (Systole) wird der intraventrikuläre Druck erhöht. Die Segelklappen schließen sich. Die Segel sind durch die Chordae tendineae und die Papillarmuskel gegen ein Rückschlagen in die Vorhöfe gesichert. Steigt der Druck in den Ventrikeln über den diastolischen Druck in der Aorta bzw. A. pulmonalis, öffnen sich die Taschenklappen und Blut strömt aus. Gleichzeitig wird die Ventilebene zur Herzspitze gezogen und die erschlafften Vorhöfe können Blut aus den Vv. cavae bzw. den Vv. pulmonales ansaugen. In der Diastole öffnen sich die Segelklappen, die Ventilebene bewegt sich herzbasiswärts und Blut aus den Vorhöfen kann in die Ventrikel einströmen. Am Ende der Diastole kontrahieren die Vorhöfe und tragen damit etwa 0 % zur Ventrikelfüllung bei. Druckverhältnisse im Herzen Physiologischerweise bestehen im Herzen folgende Druckverhältnisse:. Tab. Tab.. Druckverhältnisse im Herzen Vorhöfe Rechter Ventrikel 0 0 mmhg systolisch 5 30 mmhg diastolisch 0 0 mmhg A. pulmonalis systolisch 5 30 mmhg Linker Ventrikel Aorta diastolisch 3 mmhg systolisch mmhg diastolisch 3 mmhg systolisch mmhg diastolisch mmhg Herzminutenvolumen > > Das Herzminutenvolumen (Q) ist das Volumen, welches innerhalb einer Minute durch das Herz gepumpt wird. Es beträgt beim normalgewichtigen Erwachsenen ca. 5 l/min. Messung Zur Quantifizierung unter klinischen Bedingungen existieren mehrere Techniken. Fick-Prinzip. Nach dem Fick-Prinzip lässt sich die pulmonale Durchblutung (Q L) aus der O -Aufnahme des Organismus (V O ) und der arteriovenösen O -Gehaltsdifferenz (avˉ Ḋ O ) berechnen:

18 9. Anatomie und Physiologie ii VO Q avdo bzw Q VO = L. L = avdo bzw Q VO. L = O O art Da die Durchblutung von Lungen- und Körperkreislauf praktisch identisch ist, entspricht Q L dem Herzminutenvolumen. Bestimmung von Ventrikelvolumina. Alternativ können das endsystolische (LVESV) und das enddiastolische Volumen (LVE- DV) des linken Ventrikels näherungsweise bestimmt (z. B. mittels Ventrikulographie oder Echokardiographie) und das Herzminutenvolumen aus dem Schlagvolumen (LVEDV LVESV) und der Herzfrequenz errechnet werden, als Q = Schlagvolumen Herzfrequenz. Indikatorverdünnung. Nach Injektion eines geeigneten Indikators (z. B. Kälte, Farbstoff) und Aufzeichnung der Verdünnungskurve im Blut (z. B. mittels Thermosensor oder Photoelektrode) kann das Hereitvolumen aus dem Integral der Verdünnungskurve bestimmt werden. Das am weitesten verbreitete Verfahren zur Bestimmung des Herzminutenvolumens ist die Thermodilution. Hierbei wird die Bluttemperatur über einen Thermosensor bestimmt und das Herzminutenvolumen über die Änderung der Bluttemperatur nach Injektion eines Kältebolus errechnet.!! Cave Da bei diesem Verfahren nur das Minutenvolumen des rechten Herzens bestimmt wird, kommt es bei Vorliegen eines Shunts zur Berechnung falsch niedriger bzw. hoher Herzminutenvolumina. Weitere Einflussgrößen für die Messung des Herzminutenvolumens sind die Körpertemperatur, das Injektatvolumen, die Injektionsgeschwindigkeit und der Zeitpunkt der Messung bezogen auf den Heryklus. Determinanten Das Herzminutenvolumen wird beeinflusst durch die 4 Parameter: Vorlast, Kontraktilität, Herzfrequenz, Nachlast. Die Vorlast ist definiert als die enddiastolische Faservordehnung des Ventrikelmyokards. Eine Zunahme der Vorlast erhöht nach dem Frank-Starling-Mechanismus das Schlagvolumen. Die Kontraktilität ist die intrinsische Fähigkeit des Myokards, Kraft zu entwickeln. Sie wird wesentlich durch die Menge an intrazellulär freigesetztem Ca + determiniert. Mit Zunahme der Kontraktilität steigt das Schlagvolumen. Die Nachlast ist die Kraft, die der Ventrikel während der Ejektionsphase überwinden muss. Bei intakter Aortenklappe wird sie wesentlich durch den systemischen Gefäßwiderstand (SVR) und die Dehnbarkeit der Aorta beeinflusst. Ein Anstieg der Nachlast reduziert das Schlagvolumen. Rezeptoren und Herzreflexe In den Vorhöfen existieren Arten von Dehnungsrezeptoren mit unterschiedlicher Funktion: A-Rezeptoren werden durch die Kontraktion der Vorhofmuskulatur erregt, B-Rezeptoren während der Ventrikelsystole. ven Die Afferenzen werden mit den sensiblen Fasern des N. vagus zu den medullären Kreislaufzentren geführt. Die Stimulation der A-Rezeptoren aktiviert den Sympathikus (Bainbridge-Reflex). Die Stimulation von B-Rezeptoren führt, ähnlich wie bei dem Barorezeptorreflex, zu einer Hemmung des Sympathikus und einer Erregung von parasympathischen Anteilen der medullären Kreislaufzentren. Während jedoch der Barorezeptorreflex v. a. auf die Gefäße der Muskulatur wirkt, wird über B-Rezeptoren besonders die Vasomotorik der Nierengefäße beeinflusst. Barorezeptorreflex Der Barorezeptorreflex (Syn.: Karotissinusreflex) wird durch Veränderungen des Blutdrucks getriggert. Die Druckrezeptoren liegen am Karotissinus und am Aortenbogen. Sie werden durch Dehnung stimuliert, senden über afferente Bahnen des N. glossopharyngeus und des N. vagus Impulse in die Kerngebiete des Kreislaufzentrums (Nucleus tractus solitarius) und hemmen so den Sympathikotonus. In der Folge fallen Herzfrequenz, Myokardkontraktilität und peripherer Widerstand ab. Diese Effekte werden durch eine gleichzeitige Steigerung des Parasymphatikotonus weiter verstärkt. Ein Abfall des Blutdrucks induziert die umgekehrten Effekte. Der Barozeptorreflex ist somit ein wichtiger Mechanismus zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks bei Patienten im Volumenmangelschock.!! Cave Bei einem Blutdruck <50 mmhg verlieren die Rezeptoren ihre Wirksamkeit. Chemorezeptorreflex Die Chemorezeptoren im Glomus caroticum bzw. aorticum werden durch Azidose oder Hypoxie stimuliert. Die Rezeptoren stehen über Afferenzen des N. glossopharyngeus und N. vagus mit den chemosensitiven Arealen der Medulla oblongata in Verbindung und können so das Atemzentrum, aber auch den Parasymphatikus erregen. Folge hiervon ist ein Anstieg der Ventilation und ein Abfall von Herzfrequenz und Myokardkontraktilität. Bainbridge-Reflex. Ein Anstieg des rechtsatrialen oder zentralvenösen Drucks erregt Dehnungsrezeptoren in der V. cava und im rechten Vorhof. Diese aktivieren sympathische Fasern, während gleichzeitig reflektorisch vagale Afferenzen des Parasympathikus inhibiert werden. Insgesamt resultiert hieraus ein Anstieg der Herzfrequenz. Bei Tachykardie ist der Anstieg nur gering ausgeprägt. Bezold-Jarisch-Reflex. Der Bezold-Jarisch-Reflex wird durch Dehnungsrezeptoren in beiden Ventrikeln ausgelöst. Bei Dehnung der Ventrikel führen Afferenzen über den N. vagus zu einer Erregung des Parasympathikus mit der Folge von Bradykardie, Hypotonie und koronarer Vasodilatation. Dieser Reflex kann auch medikamentös durch Nitrate, Serotonin und Nikotin ausgelöst werden. Valsalva-Manöver. Als Valsalva-Manöver wird das forcierte Ausatmen gegen eine geschlossene Glottis bezeichnet. Folge ist ein Anstieg des intrathorakalen und zentralvenösen Drucks. Dagegen nehmen der venöse Rückstrom zum Herzen und damit das Herzminutenvolumen und der systemische Blutdruck ab. Beim Öffnen der Glottis nimmt der venöse Rückstrom stark zu. Das Herz ist nun in der Lage, ein größeres Herzminutenvolumen zu fördern und einen höheren systemischen Blutdruck zu erzeugen.

19 0 Kapitel Kardiovaskuläres System.. Abb..8 Schematische Darstellung der Koronarversorgung. : V. cava superior, : Aorta ascendens, 3: Bulbus aortae, 4: rechtes Herzohr, 5: A. coronaria dextra, 6: R. marginalis dextra, 7: R. interventricularis posterior, 8: V. cava inferior, 9: A. pulmonalis sinister, 0: V. pulmonalis sinister, : Truncus pulmonalis, : linkes Herzohr, 3: A. coronaria sinister, 4: V. cordis magna, 5: V. obliqua atrii sinister, 6: R. circumflexus, 7: Sinus coronarius, 8: R. interventricularis anterior, 9: V. cordis media, 0: Apex cordis Cushing-Reflex. Bei erhöhtem intrakraniellen Druck kurz vor Herniation oder bei zerebraler Ischämie vermittelt der Cushing-Reflex eine Stimulation des Sympathikus. Herzfrequenz, systemischer Blutdruck und Myokardkontraktilität nehmen zu und verbessern so die zerebrale Perfusion. Okulokardialer Reflex. Der okulokardiale Reflex wird durch Druck auf das Auge ausgelöst. Die Afferenzen der Mechanorezeptoren werden über den N. ciliaris und N. trigeminus zum Ganglion gasseri weitergeleitet und erhöhen so den Parasympathikotonus mit der Folge einer u. U. ausgeprägten Bradykardie. Gefäßversorgung und Myokarddurchblutung Das Herz wird über die linke und rechte Koronararterie perfundiert. > > Koronargefäße sind funktionelle Endarterien (. Abb..8). Kardiale Perfusion Die linke Koronararterie (LCA) entspringt hinter der linken Tasche der Aortenklappe aus der Aorta. Sie teilt sich lateral hinter der Pulmonalarterie in ihre beiden Hauptäste, den Ramus circumflexus (RCX) und den Ramus interventricularis anterior (RIVA, LAD). Die RCX führt zwischen linkem Vorhof und Kammer auf die Rückseite des Herzens bis zum Sulcus interventricularis posterior. Sie versorgt den linken Vorhof und die posterolateralen Anteile des linken Ventrikels. In 0 % aller Fälle wird der Sinusknoten von der RCX versorgt. 6 Die RIVA zieht nach vorne in den Sulcus interventricularis anterior bis zur Herzspitze. Sie versorgt die anterioren Anteile des linken Ventrikels und /3 des Septums. Die rechte Koronararterie (RCA) entspringt hinter der rechten Tasche der Aortenklappe, verläuft hinter der Pulmonalarterie nach vorn in den Sulcus coronarius zwischen rechten Vorhof und Ventrikel und führt dann nach hinten in den Sulcus interventricularis posterior. Sie versorgt den rechten Vorhof und Ventrikel, das hintere /3 des Herzseptums und bei 50 % der Menschen auch den AV-Knoten. Die Herzvenen verlaufen parallel zu den Koronararterien und drainieren ihr Blut über den Sinus coronarius in den rechten Vorhof. Ein kleiner Teil des venösen Bluts fließt über die Thebesius-Gefäße direkt in die Herzhohlräume. > > In Ruhe beträgt der Anteil der Koronardurchblutung am Herzminutenvolumen etwa 5 %. Bei starker körperlicher Anstrengung kann dieser Anteil auf 0 % steigen. Die Koronardurchblutung schwankt phasisch. Dafür sind Druckänderungen in der Aorta und die Variation der myokardialen Wandspannung verantwortlich. Die linke Koronararterie wird hauptsächlich in der Diastole durchblutet, da während der Systole durch die hohe Wandspannung ein Fluss verhindert wird. Im Ausbreitungsgebiet der RCA ist dagegen der intramurale Druck niedrig und die Perfusion innerhalb einer Herzaktion folgt dem wechselnden Aortendruck. Die absolute Durchblutung des Herzens ist unter physiologischen Bedingungen unabhängig vom koronaren Perfusionsdruck, sondern wird vom myokardialen O -Verbrauch (d. h. Herzfrequenz, Kontraktilität und Wandspannung) determiniert. > > Die O -Extraktion im Koronarkreislauf liegt bereits in Ruhe bei 70 % und kann auch bei erhöhtem O -Verbrauch nicht weiter gesteigert werden. Das O -Angebot muss daher durch eine erhöhte Perfusion gedeckt werden. Dies erfolgt durch Dilatation der Koronargefäße. Falls die zentralvenöse Sättigung (S v O ) als Marker für die gemischtvenöse Sättigung (Sg v O oder S v - O ) benutzt wird, kann bei atrialer Fehllage eines zentralvenösen Katheters eine falsch niedrige S v O gemessen werden, da das koronarvenöse Blut über den Sinus coronarius in den rechten Vorhof abgeleitet wird und somit koronarvenöses anstatt zentralvenöses Blut aspiriert werden kann. Die Differenz zwischen der maximal verfügbaren und der tatsächlich benötigten O -Menge wird als Koronarreserve bezeichnet. Sie beträgt beim Herzgesunden das 5- bis 6-fache der bei Perfusion in Ruhe zur Verfügung stehenden O -Menge. Systemische Zirkulation Gefäße Gefäße weisen eine 3-Schichtung ihrer Wand auf: Intima: Endothel mit Basalmembran, subendotheliales Bindegewebe und Membana elastica interna, Media: Glatte Muskelzellen, Adventitia: Kollagene und elastische Faserbündel, Arterien. Arterien müssen dem vom Herzen erzeugten hohen Druck standhalten und bestehen daher hauptsächlich aus Media.

20 . Anatomie und Physiologie Tab..3 Durchblutung und O -Aufnahme verschiedener Organe in Ruhe. (Nach: [6]). Gefäßgebiet Durchblutung O -Aufnahme Gewicht ml/min [%] gesamt ml/min [%] gesamt g [%] gesamt Splanchnikus ,0 Nieren ,4 Gehirn ,0 Herz ,4 Skelettmuskel ,0 Haut ,0 Andere Organe , Gesamt ,0 Der hohe Anteil an glatter Muskulatur trägt auch dazu bei, den nach Ejektion noch pulsatilen in einen kontinuierlichen Blutstrom umzuwandeln (»Windkesselfunktion«). > > Arteriolen sind die Hauptwiderstandsgefäße der Zirkulation. Ihr Durchmesser beträgt 0,0 0,06 mm. Das geringe Lumen verlangsamt die Blutströmung und verlängert die Zeit für den Stoffaustausch im Kapillarsystem. Die glatte Muskulatur trägt durch aktive Vasodilatation und Vasokonstriktion (»Vasomotion«) zur Optimierung der regionalen Durchblutung bei. Kapillaren. Kapillaren sind das Endstromgebiet der Arteriolen. Ihre Hauptaufgabe ist der Austausch von Sauerstoff und Stoffwechselprodukten mit dem umgebenen Parenchym. Kapillaren bestehen hauptsächlich aus dem Kapillarendothel, der Basalmembran und den außen anliegenden Perizyten. Venen. Etwa 85 % des Blutvolumens befindet sich im venösen System. Venen sind nur niedrigen Drücken ausgesetzt. Die Muskulatur hat sich daher weitgehend zugunsten der elastischen Adventitia zurückgebildet. Regulation der regionalen Durchblutung > > Die Anpassung der regionalen Durchblutung an den Bedarf des Gewebes erfolgt hauptsächlich über Änderungen des Gefäßwiderstands.. Tab..3 zeigt die Durchblutung und die O -Aufnahme verschiedener Organe in Ruhe. In Geweben mit stark wechselndem O -Bedarf (Skelettmuskel, Intestinum, Leber und Haut) treten die größten Durchblutungsänderungen auf. Dagegen ist in Organen mit stetig hoher Leistungsfähigkeit (Herz, Gehirn und Niere) die Durchblutung hoch und in Grenzen vom arteriellen Blutdruck unabhängig (Autoregulation). Eine Änderung der Gefäßdurchmesser wird durch lokale, nervale und humorale Faktoren vermittelt. Lokale Regulationsmechanismen Zu den lokalen Regulationsmechanismen gehören Hypoxie, Hyperkapnie, Azidose sowie die Akkumulation von Stoffwechselprodukten (Pyruvat, Laktat, ATP, Adenosin). Zudem reagieren Widerstandsgefäße auf eine Änderung des Perfusionsdrucks mit einer Dilatation bzw. Konstriktion und tragen so ebenfalls zur Optimierung der Organperfusion bei (»Bayliss-Effekt«). Nervale Regulationsmechanismen Das autonome Nervensystem spielt bei der Regulation des Vasotonus eine entscheidende Rolle. Alle Gefäße mit Ausnahme der Kapillaren werden mit einer Ruhe-Impuls-Frequenz über sympathische Fasern innerviert. Transmitter an den postganglionären Fasern ist Noradrenalin. Jede Zunahme der sympathischen Aktivität erhöht die lokale Konzentration von Noradrenalin und steigert den Gefäßtonus durch Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur (sympathische adrenerge vasokonstriktorische Fasern). Humorale Regulationsmechanismen Die vom Nebennierenmark produzierten Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation der Organperfusion. Ihre Wirkung wird über α- und β-rezeptoren vermittelt, die ubiquitär in den Gefäßen vorkommen. Noradrenalin erregt hauptsächlich den α-rezeptor und bewirkt eine Vasokonstriktion. Dagegen erregt Adrenalin sowohl den a- als auch die β / β - Rezeptoren. Bei renaler Hypoperfusion wird vermehrt Renin aus dem juxtaglomerulären Apparat der Niere freigesetzt. Renin wandelt das in der Leber gebildete Angiotensinogen in Angiotensin I um. Das im Plasma und in der Lunge vorhandene»angiotensin converting enzyme«konvertiert Angiotensin I zu Angiotensin II. Angiotensin II ist ein starker, direkter Vasokonstriktor und der wichtigste Stimulator für die Freisetzung von Aldosteron aus der Nebennierenrinde. Das Enzym Kallikrein liegt in Gewebe und Plasma in inaktiver Form vor. Nach dessen Aktivierung entsteht über eine Kaskade Kallidin und Bradykinin. Beide Substanzen dilatieren Arteriolen und erhöhen die Kapillarpermeabilität. Prostaglandine sind Stoffe mit hormonartigem Charakter und entstehen durch Oxidation von C 0 -Fettsäuren. Sie werden in verschiedene Gruppen eingeteilt und können sehr unterschiedliche Reaktionen an den Gefäßen auslösen (. Tab..4). Serotonin kommt in höherer Konzentration im Splanchnikusgebiet und in Thrombozyten vor. Serotonin wirkt vasokonstriktorisch und erhöht die Gefäßpermeabilität.