Die strafrechtliche Garantenstellung des Compliance Officer

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1 Die strafrechtliche Garantenstellung des Compliance Officer von Rainer Brüssow und Dirk Petri Rechtsanwälte und Fachanwälte für Strafrecht Köln Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 17. Juli 2009 in seinem viel beachteten obiter dictum, das große Resonanz, aber auch Verunsicherung zur Folge hatte, erstmalig ausgeführt, dass der Compliance Officer im Unternehmen eine Garantenstellung innehat. Darüber hinaus kann den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts, der kein Compliance Officer ist, laut der Entscheidung des BGH ebenfalls eine Garantenpflicht treffen, betrügerische Abrechnungsvorgänge in seinem Zuständigkeitsbereich zu unterbinden. Rainer Brüssow Anlass für das obiter dictum war der Fall des Leiters der Innenrevision des Stabsbereichs Gremienbetreuung und gleichzeitig der Rechtsabteilung der Berliner Stadtreinigungsbetriebe als Anstalt des öffentlichen Rechts. In ihrem hoheitlichen Bereich war den Berliner Stadtreinigungsbetrieben die Straßenreinigung übertragen worden. Einer der Anstaltsvorstände sorgte dafür, dass Grundstücksanleger infolge eines fehlerhaft berechneten Tarifs überhöhte Entgelte in Höhe von etlichen Millionen Euro zu entrichten hatten. Weil der Angeklagte in seiner Eigenschaft als Leiter der Innenrevision trotz Kenntnis aller Umstände nichts getan hatte, um dies zu verhindern, wurde er vom Landgericht (LG) wegen Beihilfe durch Unterlassen verurteilt. Dirk Petri Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos. Nach Ansicht des BGH hatte das LG zu Recht aus der Stellung des Angeklagten als Leiter der Innenrevision eine Garantenstellung hergeleitet. Zwar ergebe sich aus einem Arbeitsverhältnis üblicherweise keine Pflicht, aus dem eigenen Unternehmen kommende Straftaten gegenüber Dritten zu verhindern. Etwas anderes gelte nur für sogenannte Compliance Officers, deren Aufgabe es sei, Rechtsverstöße, insbesondere auch Straftaten zu verhindern, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können. Derartige Beauftragte würde regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht im Sinne des 13 Abs. 1 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Dies sei die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden. Entscheidung mit enormer Tragweite Die Position des Angeklagten war mit der eines Compliance Officer indes nicht vergleichbar. Dass hier dennoch eine Garantenpflicht bestand, begründete der BGH damit, dass der Angeklagte für eine Anstalt des öffentlichen Rechts tätig war und die von ihm nicht unterbundenen Tätigkeiten sich gerade auf den hoheitlichen Bereich der Anstalt bezogen. Anders als bei einem auf Gewinnerzielung ausgerichteten privaten Unternehmen sei bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts der Gesetzesvollzug das Kernstück der Tätigkeit. Damit entfalle im hoheitlichen Bereich die Unterscheidung zwischen 114

2 Unternehmensinteressen und den Interessen außenstehender Dritter. Aus diesem Grund habe die Einstandspflicht des Angeklagten hier auch im Hinblick auf Straftaten gegen Dritte bestanden, sodass er verpflichtet gewesen sei, die Straßenanlieger vor betrügerisch überhöhten Gebühren zu schützen. Er habe hier folglich das betrügerische Handeln des Haupttäters durch eine Unterrichtung des Vorstandsvorsitzenden oder des Aufsichtsrats unterbinden können und müssen. Die Entscheidung ist von enormer praktischer Bedeutung, weil sie grundsätzliche Aussagen zu den Garantenpflichten im Unternehmen im Hinblick auf die Verhinderung von Straftaten gegen Dritte trifft. Bedeutsam ist vor allem, dass der BGH in Privatunternehmen eine solche Garantenstellung wohl nur für den Compliance Officer bejaht, während er den Kreis der Garantenpflichtigen in Anstalten des öffentlichen Rechts wesentlich weiter zieht. Mangels konkreter Ausführungen des Senats zu Inhalt und Grenzen dieser Garantenstellung hat das vorliegende Urteil des BGH zu einer massiven Verunsicherung in sämtlichen Compliance-Abteilungen und in der Beratungspraxis geführt. Allerdings steht übereilten Maßnahmen oder Einschränkungen des Aufgabengebiets des Compliance Officer entgegen, dass damit Haftungsrisiken auf die Geschäftsleitung wiederum gleichsam rückübertragen würden. Jede Einschränkung beziehungsweise angedachte Maßnahme muss daher gerade im Hinblick auf die Auswirkungen betreffend die Unternehmensleitung und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) wohl überlegt sein. Kompetenzen des Compliance Officer Die Auffassung des BGH, den Compliance Officer treffe die strafbedrohte Verpflichtung, alle aus dem Unternehmen heraus begangenen beziehungsweise mit der Unternehmenstätigkeit zusammenhängenden Straf taten zu verhindern, geht zu weit. So weist der BGH in seiner Entscheidung bereits selbst darauf hin, dass Straftaten durch Mitarbeiter zu Lasten Dritter nur bei einem Betriebsbezug und bei der Begründung erheblicher Nachteile für das Unternehmen durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust eine Garantenpflicht begründen. Hieraus ist die Folgerung zu ziehen, dass bei der Begehung geringfügiger Straftaten, also bei Bagatellunrecht, zu Lasten Dritter (etwa bei geringfügigen Vermögensdelikten) eine Garantenpflicht nicht begründet werden kann. Werden allerdings Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner geschädigt, dann dürfte die Garantenpflicht begründet sein. Allerdings dürfte auch bei erheblichen oder gar schwerwiegenden Straftaten eine Einschränkung dann erforderlich sein, wenn es sich um eine sogenannte Exzesstat, also um eine Tat bei Gelegenheit und nicht in Ausübung der beruflichen Tätigkeit, handelt. Nach Ansicht des BGH hatte das LG zu Recht aus der Stellung des Angeklagten als Leiter der Innenrevision eine Garantenstellung hergeleitet. Die Entscheidung stellt allein auf die freiwillige Übernahme des Schutzes von Rechtsgütern des Unternehmens durch den Compliance Officer ab. Hieraus 115

3 ist zu folgern, dass der BGH den Compliance Officer als Beschützergaranten für Vermögen und Ansehen des Unternehmens kraft freiwilliger Übernahme dieser Position ansieht. Dies gilt auch für den Fall, dass der Compliance Officer Überwachungsfunktionen übernimmt, da hierdurch allein der Schutz von Rechtsgütern des Unternehmens bezweckt ist. Der BGH leitet hingegen nicht eine umfassende Verpflichtung des Compliance Officer zur Abwehr von nach innen oder aber nach außen gerichteten unternehmensbezogenen Straftaten aus einer Delegation von Pflichten der Geschäftsleitung ( 14 Abs. 2 StGB), aus der Organisationsgewalt für einen bestimmten Herrschaftsbereich oder aus gefährlichem Vorverhalten (Ingerenz) ab. Den Compliance Officer kann eine Pflicht zur Erfolgsabwendung gemäß 13 Abs. 1 StGB aber nur dann treffen, wenn ihm dies möglich und zumutbar ist. Grundsätzlich verfügt der Compliance Officer nicht über eine originäre Anordnungs-, Verbots- und Weisungskompetenz. Soweit dem Compliance Officer tatsächlich kein Eingriffs- oder Weisungsrecht zusteht, dürfte sich eine Garantenstellung gemäß 13 Abs. 1 StGB verbunden mit der Pflicht zur Erfolgsabwendung allenfalls auf die dienstvertraglichen Befugnisse und Verpflichtungen beziehen insbesondere auf seine Pflicht, gegenüber der Geschäftsleitung Bericht zu erstatten. Kommt der Compliance Officer seinem Pflichtenkatalog nach, dann muss bei dessen Erfüllung 13 Abs. 1 StGB ausscheiden. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie der BGH sich hier zukünftig positionieren wird. Die Anwaltschaft ist gehalten, sich auf die durch den BGH geäußerte Rechtsauffassung zur Garantenstellung des Compliance Officer einzustellen. Bedeutung für die Beratungspraxis Es ist zu hinterfragen, wie sich die anwaltliche Beratung nach dieser Entscheidung zu positionieren hat. Die Anwaltschaft ist gehalten, sich auf die durch den BGH nur anlässlich eines obiter dictum geäußerte Rechtsauffassung zur Garantenstellung des Compliance Officer einzustellen. Hieraus folgt, dass zwar die Schwelle für ein vorsätzliches Unterlassungsdelikt erst durch den Compliance Officer im Einzelfall tatsächlich überschritten werden muss allerdings im Rahmen von 16 StGB die Tatsachenkenntnis, welche die Strafbarkeit erst begründet, schon ausreichend sein kann, da die konkrete Kenntnis der strafrechtlichen Sanktionsnorm selbst nicht erforderlich ist. Dieser Fallstrick ist insbesondere deswegen problematisch, weil nicht jeder Compliance Officer von Hause aus auch (Straf-)Jurist ist. Solch einem Compliance Officer fehlt damit häufig die Kenntnis, ein bestimmtes Verhalten als strafrechtlich von Bedeutung einzuschätzen. Dies gilt insbesondere für den gesamten Bereich des sogenannten Nebenstrafrechts. So sind im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht die einschlägigen Strafvorschriften nicht etwa in einem Gesetzeswerk zusammengefasst, sondern finden sich in mehr als 200 Bundesgesetzen verstreut sowohl im sogenannten Kernstrafrecht (StGB) als auch im sogenannten Nebenstrafrecht (AO, AktG, AWG, GmbHG, HGB, KrWaffKontrG, WpHG etc.) sowie in internationalen Vereinbarungen (EUBestG, IntBestG etc.). 116

4 Die Beratungspraxis sollte daher ein Augenmerk darauf haben, dass die durch den BGH begründete Garantenstellung des Compliance Officer anlässlich seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen eindeutig gefasst wird. Denn es sollte auch im Interesse des Unternehmens sein, die strafrechtlichen Risiken für alle Unternehmensangehörigen zu minimieren. Es sollten klare und eindeutige Regelungen über die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit getroffen werden, da sowohl der Geschäftsleitung als auch dem Compliance Officer erhebliche strafrechtliche Risiken bezüglich im Unternehmen begangener Straftaten drohen. Genaue Festlegung der Zuständigkeiten Compliance Officers werden verstärkt eingesetzt, um Rechtspflichten in Rechtsgebieten wie dem Kartellrecht, Steuerrecht, Versicherungsrecht, Wertpapierrecht etc. zu kontrollieren Rechtsgebieten also, die in der Vergangenheit für produzierende Unternehmen nur eine geringe Bedeutung hatten. So wird häufig die Bedeutung der Vorschrift des 153 AO in der Praxis unterschätzt. Denn jedes nachträgliche Erkennen einer Unrichtigkeit einer Steuererklärung löst eine Anzeige- und Berichtigungspflicht aus. Wesentlich intensiver hatte sich das produzierende Gewerbe in der Vergangenheit mit den typischen Fragen der Produkthaftung befasst. So liegen die Ursprünge der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung mit dem sogenannten Lederspray-Fall im Bereich der Produkthaftung. Im Hinblick auf die gänzlich unterschiedlichen Materien, die im Einzelfall nur von Spezialisten und in toto nicht nur durch einen Compliance-Beauftragten beurteilt und entschieden werden können, sollte auch hier strikt auf eine genaue Festlegung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten geachtet werden. Nach Auffassung der Verfasser ist eine allgemeine und umfassende Garantenpflicht des Compliance Officer für betriebsbezogene Straftaten abzulehnen. Es müssen aber auch die tatsächlichen Kompetenzen des Compliance Officer eindeutig festgelegt werden. Dabei sollte insbesondere konkret festgehalten werden, wie ein Compliance Officer auf einen durch ihn festgestellten Rechtsverstoß zu reagieren hat. Hierfür sollte eine abschließende Regelung dergestalt gefunden werden, dass klar definiert wird, welchen Organen beziehungsweise welcher Person Rechtsverstöße mitzuteilen sind, damit so die Reichweite der Berichtspflicht feststeht. Kommt es tatsächlich zu einem Rechtsverstoß oder gibt es entsprechende Anhaltspunkte, sodass interne Ermittlungen im Unternehmen einzuleiten sind, dann muss im Rahmen einer detaillierten Dokumentation festgehalten werden, welche Schritte eingeleitet wurden, um den Rechtsverstoß aufzudecken. Weiter ist zu dokumentieren, wie solche Rechtsverstöße zukünftig zu verhindern sind. Ein besonderes Augenmerk ist auch auf das Unterlassen oder Absehen von möglicherweise in Betracht kommenden Maßnahmen zu legen. Hier sollte in jedem Fall auch dokumentiert werden, warum bestimmte Schritte nicht eingeleitet wurden, damit so der Vorwurf einer möglichen pflichtwidrigen Unterlassung negiert werden kann. 117

5 Einzelfallbetrachtung erforderlich Nach der Auffassung der Verfasser ist eine allgemeine und umfassende Garantenpflicht des Compliance Officer für betriebsbezogene Straftaten abzulehnen. Es ist immer eine Betrachtung im Einzelfall unter Berücksichtigung der maßgeblichen Stellenbeschreibung erforderlich. Es ist anzunehmen, dass regelmäßig der Vorwurf, den Garantenpflichten nicht genügt zu haben, ins Leere gehen dürfte, da die Berichtspflichten gegenüber dem Vorgesetzten erfüllt worden sind. Es besteht nichtsdestotrotz die Gefahr, dass nach der Entscheidung des BGH die strafrechtliche Verantwortung des Compliance Officer häufiger als bisher in den Fokus geraten wird. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der BGH zwar eine Strafbarkeit des Compliance Officer wegen der Verletzung der Garantenstellung zur Vermeidung beziehungsweise Verhinderung von Straftaten postuliert, aber da in einem obiter dictum aufgestellt nicht weiter begründet hat. Die Beratung im Bereich Compliance ist längst zum anwaltlichen Beratungsgeschäft geworden. Auch sind es nicht mehr nur börsennotierte Unternehmen, sondern zunehmend ebenso mittelständische beziehungsweise Familienunternehmen, die vor allem auch in ihrem internationalen Geschäft eine nachhaltige juristische Beratung für eine funktionierende Compliance- Struktur benötigen. Die Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung und ihrer jeweils aktuellen Entwicklung ist dafür genauso unumgänglich wie die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Stimmen in der Literatur. Eine Compliance-Struktur im Unternehmen ist ein Organismus, der nicht sich selbst überlassen werden darf und daher immer einer verantwortungsvollen Betreuung bedarf. 119