DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE

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1 DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE Ein Service von: ORF A-1040 Wien, Argentinierstraße 30a Tel.: (01) 50101/18381 Fax: (01) 50101/18806 Homepage: Österreichische Apothekerkammer A-1091 Wien, Spitalgasse 31 Tel.: (01) Fax: (01) Homepage: Österreichisches Bundesministerium für Gesundheit A-1030 Wien, Radetzkystr. 2 Tel.: (01) Fax: (01) Homepage: RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 1

2 RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT Die Sendung Die Sendereihe Der Radiodoktor ist seit 1990 das Flaggschiff der Gesundheitsberichterstattung von Ö1. Jeden Montag von bis Uhr werden interessante medizinische Themen in klarer informativer Form aufgearbeitet und Ö1- Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch Fragen an das hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen. Wir über uns Seit September 2004 moderieren Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz, Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Christoph Leprich die Sendung. Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Nora Kirchschlager, Uschi Mürling-Darrer, Mag. Mark Hammer, Dipl. Ing. Eva Obermüller, Dr. Doris Simhofer, Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny Tekal-Teutscher und Dr. Christoph Leprich. Das Service Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sendereihe flankierende, Hörerservice, das auf größtes Interesse gestoßen ist. Unter der Wiener Telefonnummer ist Der Radiodoktor mit Kurzinformationen zur aktuellen Sendung die ganze Woche per Tonband abrufbar. Die zu jeder Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen komplettiert das Service und stellt in der Fülle der behandelten Themen eigentlich bereits ein kleines Medizin-Lexikon für den Laien dar. Die Partner Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner: die Österreichische Apothekerkammer und das Österreichische Bundesministerium für Gesundheit. An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Partnern für die Zusammenarbeit bedanken! Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.b. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 2

3 WENN ÄNGSTE ZUM GEFÄNGNIS WERDEN Mit Dr. Christoph Leprich 1. August 2011, Uhr, Ö1 Redaktion und Infomappe: Mag. Mark Hammer und Dr. Christoph Leprich RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 3

4 INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS PHOBIEN WENN ÄNGSTE ZUM GEFÄNGNIS WERDEN 6 Das Wesen der Phobie 7 Hoher Leidensdruck 7 Einschränkung des Lebens 8 Ein Leben mit der Angst eine Betroffene und ihre Angehörigen erzählen 9 Die Welt der Phobien 11 Spezifische Phobien 11 Die Agoraphobie 12 Soziale Phobien 13 Häufigkeit von Phobien 13 Ursachen von Phobien 14 Von genetisch bedingt bis erlernt 14 Lerntheorie 15 Neurobiologische Verstärkungsmodelle 15 Psychoanalyse 15 Der lange Weg zur Therapie Scham und Diagnose 16 Umweg über Depression und Alkohol 17 Erleichternde Diagnose 17 Therapien gegen Phobien 17 Goethe am Kirchturm die Selbstheilung 17 RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 4

5 INHALTSVERZEICHNIS Tranquilizer und Antidepressiva Die medikamentöse Therapie 18 Mit der Therapeutin ins Kaufhaus Die Verhaltenstherapie 19 Verstehen und Fähigkeiten analysieren 19 Sich der Angst aussetzen 19 Sich selbst besser kennenlernen Die Psychoanalyse 20 Sich und anderen helfen Selbsthilfegruppen 21 ANLAUFSTELLEN 22 BUCHTIPPS UND LINKS 23 INTERVIEWPARTNER/INNEN 25 RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 5

6 PHOBIEN WENN ÄNGSTE ZUM GEFÄNGNIS WERDEN Diese Gefängnismauern aus Angst erbaut sind unsichtbar. Die Welt der Angst hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Menschen, die an Phobien leiden, meiden bestimmte Situationen oder fürchten sich vor an sich harmlosen Dingen bzw. Lebewesen. Angst kann Gesichter haben, sagt man. Die Wissenschaft unterscheidet drei verschiedene Angsterkrankungen. Erstens, die unterschiedlichen Formen von Phobien, zweitens die Panikstörung und drittens die generalisierte Angststörung. Diese Erkrankungsbilder können sich teilweise auch vermischen. So ist z.b. die Kombination von Agoraphobie und Panikattacken häufig. Phobien können den Betroffenen in vielen Bereichen das Leben zu Hölle machen. Situationen, die manchen von uns vielleicht gelegentlich unangenehm sind, werden für Menschen mit einer Phobie unerträglich. Die Panik davor äußert sich in extremen körperlichen Symptomen: Unruhe, Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot, Kopfweh und Bauchschmerzen zählen dazu. Die Betroffenen versuchen mit allen Mitteln, diese Angstreaktion kein weiteres Mal erleben zu müssen. So meiden Personen mit Agoraphobie öffentliche Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten. Im Zentrum der der Agoraphobie steht die Befürchtung, der jeweiligen Situation schutz- und hilflos ausgeliefert zu sein, also keine Fluchtmöglichkeit zu besitzen. Diese Angst kann so weit reichen, dass sich die Betroffenen eines Tages nicht mehr auf die Straße wagen. Isolation, der Verlust der Freunde und des Arbeitsplatzes sind die Folgen. Quelle (für alle Teile der Infomappe): Interviewpartner und -partnerinnen der Sendung RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 6

7 DAS WESEN DER PHOBIE Typisch für Phobien ist eine schier unerträgliche Angst. Sie unterscheidet sich deutlich von jener Angst, die jeder von uns in bestimmten Alltags- oder Ausnahmesituationen gelegentlich erlebt. Dabei spielen Hineinsteigerungsphänomene eine Rolle. Es ist sprichwörtlich eine Angst vor der Angst, die die Betroffenen plagt. Entscheidend für das Krankheitsbild ist ein pathologisches Hineinsteigern in Angstphänomene, nicht die Angst selbst. Denn Angst ist etwas Normales, dass Menschen sogar brauchen, um Gefahren zu erkennen. Genauso, wie wir Schmerzen brauchen, die uns ebenfalls vor gefährlichen Situationen und Krankheiten warnen. Phobien gehören zu den Angsterkrankungen. Je nach Ursache der Angstquelle unterscheidet man bei Angsterkrankungen zwei Gruppen: Gerichtete und ungerichtete Ängste. Zu den ungerichteten Ängsten gehören die Panikstörung und die generalisierte Angststörung. Diese Ängste können ohne einen bestimmen äußeren Auslöser auftreten. Den Betroffenen ist bei diesen Krankheiten oft nicht bewusst, was die Angst verursacht. Bei den Phobien hingegen handelt es sich um sogenannte gerichtete Ängste. Auslöser der Phobien sind bestimmte Situationen oder Objekte, eine äußere Quelle der Angst zum Beispiel eine Flugreise, ein Vortrag oder Spinnen. Von Phobien Betroffene wissen natürlich, was die Angst verursacht. HOHER LEIDENSDRUCK Doch wann wird Angst zur Phobie? Ein kalter Schauder, der beim Anblick einer Spinne über den Rücken läuft, ist nicht noch keine Spinnenphobie. Ein starkes Schwindelgefühl, wenn man von einem Turm hinuntersieht, ist nicht immer die Folge von Höhenangst und wer vor einem Vortrag reichlich Nervosität verspürt, ist nicht gleich ein Fall für eine Psychotherapie. Entscheidend ist, in welcher Situation die Angst auftritt. Angesichts einer realen Bedrohung ist Angst natürlich und kann uns das Leben retten. Tritt sie jedoch permanent auf oder ist sie in unbegründet, handelt es sich um eine Angststörung. Prim. Dr. Rainer Gross, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Psychiatrischen Abteilung am Landesklinikum Hollabrunn beschreibt das Phänomen so: Menschen mit einer Phobie sind dauernd im Alarmmodus, wie eine Alarmanlage, die RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 7

8 immer eingeschaltet ist, auch dann, wenn die Gefahr schon seit Jahren vorbei ist oder so gut wie nie auftritt oder nicht lebensbedrohlich ist. Wenn man zum Beispiel im Dschungel einen Tiger sieht und Angst hat, ist das sehr gesund, so Prim. Gross. Das wird einem erlauben sich vielleicht zu retten. Wenn man aber fünf Jahre später mitten in Wien immer noch genau so viel Angst vorm Tiger hat, ist es krankheitswertig. Das Stresssystem der Betroffenen ist gestört, sie können nicht mehr runterregulieren, sind immer angespannt, und ängstlich. Dies kostet viel Energie und kann zu Depressionen führen. Ähnlich verhält es sich mit anderen Ängsten. Wer ein wenig Angst hat, wenn er oder sie einen Hund sieht, hat noch keine Hundephobie. Wer sich aber nicht mehr auf die Straße traut, weil ihm oder ihr ein Hund begegnen könnte, leidet an einer Phobie. EINSCHRÄNKUNG DES LEBENS Die Lebensumstände der Betroffenen sind mit entscheidend dafür, ob es sich um eine Phobie behandelt werden sollte. Wer Flugangst hat, kann damit meist gut leben, auch wenn ihm andere Kontinente möglicherweise verwehrt bleiben. Wer aber für die Arbeit oft fliegen muss, kann wegen der Flugangst seinem Beruf eventuell nicht mehr nachgehen. Eine Spinnenphobie wird einer Stadtbewohnerin möglicherweise weniger Sorgen bereiten, als dem Bewohner eines efeuumrankten Häuschens am Waldrand. Die angstauslösende Situation kann mitunter sehr spezifisch sein. Dr. Georg Schönbeck, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin erzählt dazu die Geschichte eines seiner Patienten: Der Betroffene berichtete, er habe wahnsinnige Angst vor ägyptische Pyramiden und Panzern. Warum dies für den Patienten entscheidend war, kam im Gespräch mit dem Arzt erst heraus, als der Patient seine Beruf nannte: Er war Nahostkorrespondent für eine Zeitung. Die Einschränkung des Alltags durch Phobien kann aber nahezu jeden Lebensbereich betreffen und den Betroffenen die Zukunft verbauen. Wer aus Prüfungsangst sein Studium nicht abschließt, muss vielleicht auf eine Karriere verzichten, zu der er oder sie sonst fähig wäre. Wer Sozialkontakte vermeidet zum Beispiel unglaubliche Angst davor verspürt, in einem Restaurant mit anderen zu essen verliert mitunter alle Freunde. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 8

9 EIN LEBEN MIT DER ANGST EINE BETROFFENE UND IHRE ANGEHÖRIGEN ERZÄHLEN Wilma Köttl war Diplomkrankenschwester. Im Alter von 30 Jahren zeigten sich bei ihr erste Anzeichen einer Agoraphobie. So wie viele Betroffene hat sie diese Symptome zunächst ignoriert und versucht, den Alltag aufrecht zu erhalten. Die Agoraphobie äußerte sich bei Wilma Köttl in der Angst, in Verkehrsmitteln ohnmächtig zu werden. Über mehrere Jahre hinweg wurden die Symptome immer schlimmer und ein normales Leben nicht mehr möglich. Mittlerweile ist Wilma Köttl 55 Jahre alt. Sie verlor ihre Arbeit und alle Freunde, hat sich in der Wohnung eingeschlossen und traute sich nicht mehr auf die Straße. Mehrere Therapieversuche blieben erfolglos. Erst Suizidgedanken führten sie nach Jahren zu einem Therapeuten. In der Sendung erzählen Sie und ihr Mann Robert sowie die Tochter Sandra die Geschichte der Erkrankung. Wilma Köttl, Betroffene: Agoraphobie hat sich bei mir so geäußert, dass ich seit circa 20 Jahren nicht mehr Bus fahr', U-Bahn, Straßenbahn. Mein Zuhause war mein Gefängnis. Zuhause war das zum Teil so schlimm, dass ich nicht einmal alleine zuhause hab bleiben können. Ich hab mich isoliert, weil ich gedacht habe, es versteht mich eh keiner." Ich hab' immer dieses Ohnmachtsgefühl gehabt und ich hab immer diese Angst gehabt, ich brech' dort zusammen und was denken sich die Leute. Die größte Angst war vor Verkehrsmitteln und dass ich auf die Straße gehen muss. Meine Tochter war dazumals klein, im Kindergarten. Ich hab sie abgeholt, ich konnte mit ihr nirgends mehr hingehen. Zum Schluss hab ich sie auch nicht mehr abgeholt, weil ich Angst gehabt hab, wenn ich irgendwo hin geh', dass ich neben dem Kleinkind in Ohnmacht falle. Es hat damit begonnen, dass ich nach den Nachdiensten nicht schlafen konnte. Am Anfang habe ich gedacht, es ist nur die Schlaflosigkeit. Ich habe verschiedene homöopathische Mittel zum Schlafen eingenommen, aber das hat alles nichts geholfen. Meine Hausärztin hat gesagt, ich soll in den Wald gehen und einen Baum umarmen. Es hat dann mit Herzrasen begonnen, mit hohem Blutdruck, mit Angst, einfach Angst. Ich hab immer weiter gearbeitet, aber bin oft zum Teil zwei Stationen früher aus der Straßenbahn ausgestiegen und in die Arbeitsstelle gelaufen, weil ich mich geniert habe, falls ich zusammenbreche. Man hat immer das Gefühl gehabt, dass man in Ohnmacht fällt. Und dieses Herzrasen... So bin ich in die Arbeit gelaufen. In der Garderobe hat sich das dann schon wieder ein bisschen gegeben. Und im Spital selber hat mir ja nichts passieren können. Ich hab solang weitergearbeitet, bis ich gemerkt habe, ich hab Konzentrationsstörungen, bis zum totalen Zusammenbruch. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 9

10 Sie sind mein erster Gast seit zehn Jahren. Mein Therapeut hat mich einmal ins Kaffeehaus begleitet. Am Anfang hab ich mir gedacht, hoffentlich überlegt er sich's noch. Das war unbeschreiblich. Voller Angst, aber doch nicht Angst. Das war schön. Ich bin zum ersten Mal alleine in eine Badener Bahn gestiegen und gefahren. Das war für mich eine Weltreise. Es ist einfach mehr Lebensfreude. Diese Antriebslosigkeit, die ich gehabt habe, ist nicht mehr da. Das Leben ist wieder schön. Sandra Köttl, 28, Tochter: Ich hab meine Mutter immer sehr angespannt, sehr nervös erlebt. Sie hat einerseits natürlich versucht, mit mir was zu unternehmen, gemeinsam nach dem Kindergarten in den Park zu gehen oder sonstige Aktivitäten, die man halt mit dem Kind macht. Und man hat aber immer im Hintergrund gehabt, irgendwas stimmt nicht. Als Kind hat man das nicht zuordnen können und hat halt immer die Ursache gesucht und teilweise dann auch gedacht, zuhause ist sie nicht so, zuhause ist sie entspannt, nur wenn sie mit mir unterwegs ist, ist sie ängstlich und nervös. Dann, vielleicht bin ich der Auslöser. Man erschrickt als Kind. Man weicht der Mutter einfach aus, versucht sich dann im Grunde zu verstecken und abzuwarten, bis wieder Normalität eintritt. Man lernt mit der Krankheit der Mutter zu leben. Also man arrangiert sich, man weiß, in der Situation wird sie so und so reagieren und versucht entweder, die Situation zu verhindern oder auszuweichen. Hilfestellungen kann man fast keine geben. Man versucht halt, für denjenigen da zu sein mit dem Wissen, das man hat, aber das reicht eben beim besten Willen nicht. Ich hab sehr selten Schulkollegen mitgebracht nach Hause. Gesagt hab ich auch nichts. Man schweigt's tot. Das ist eigentlich das typische Verhalten. Sandra Köttl zum Therapieerfolg ihrer Mutter: Sie ist offener, sie ist lebensfroher, es ist eine Wandlung von 180 Grad. Ich kann mit ihr auf Urlaub fahren, ohne, dass jemand mitkommt, wir können gemeinsam Wanderungen machen. Das war einfach nicht vorstellbar vor zehn Jahren." Wilma Köttl, Betroffene: Es ist einfach mehr Lebensfreude. Diese Antriebslosigkeit, die ich gehabt habe, ist nicht mehr da. Das Leben ist wieder schön. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 10

11 Robert Köttl, 57, Gatte: Am Anfang war das schon schwierig. Ich habe meine Frau immer mit dem Auto abgeholt und überall hingeführt. Im Beruf ist dann halt immer die Schwierigkeit, dass man in Gedanken doch immer wieder beim Partner ist, und dass man versucht seine Arbeit so einzuteilen, dass man nur kurze Zeiten irgendwo gebunden und doch irgendwie erreichbar ist. Man fährt halt herum und erledigt später die Arbeit. Als Partner versucht man da die Hilfestellung und das kann mitunter halt grad der falsche Weg sein, dass man versucht, professionelle Hilfe zu umgehen. Und das ist vielleicht grad das Schlechte, was man da am Anfang macht. Mein Tipp für andere Betroffene ist, dass man möglichst rasch auf professionelle Hilfe zurückgreift und nicht mit Selbsthilfe herumtut. Man bildet sich ein, es wird gut, aber es wird nicht gut. In weiterer Folge, wenn man sieht, es ist schon Licht am Ende des Tunnels, dann kann man sehr wohl sagen: 'ja also in der Familie hat man eben so etwas'. Und dann kommt man drauf, dass auch die anderen sagen, 'ja, ich hab genau das selbe'. Dann wundert man sich eigentlich. Ich hab einen Arbeitskollegen, dessen Gattin hat im Prinzip dasselbe gehabt. Sehr viele, die unter Phobien leiden, brüten im eigenen Haus die Sachen aus. Manche haben halt den Mut zu Therapeuten zu gehen und das zu behandeln. Manche verschweigen das oder unterdrücken das und versuchen halt damit zu leben, was nicht immer glückt. DIE WELT DER PHOBIEN Man unterscheidet drei Arten von Phobien: spezifische Phobien, Soziale Phobien und die Agoraphobie. SPEZIFISCHE PHOBIEN Die teilweise exotisch anmutenden spezifischen Phobien mit ihren klingenden lateinischen und griechischen Namen haben das Bild von phobischen Störungen in der Öffentlichkeit geprägt. Diese Phobien sind zwar selten, können aber dennoch den Betroffenen den Alltag zur Hölle machen. Im Folgenden ein kleiner Auszug: Aichmophobie Angst vor spitzen Gegenständen, Messern, Scheren Akrophobie Angst vor Höhe Betrachophobie Angst vor Fröschen RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 11

12 Epistaxiophobie Angst vor Nasenbluten Iatrophobie Angst vor Ärzten Gymnophobie Angst vor Nacktheit Melissophobie Angst vor Bienen bzw. Insekten Nekrophobie Angst vor toten Körpern Phobophobie Angst vor der Angst Talassophobie Angst vor Gewässern, Seen und dem Meer Thermophobie Angst vor Hitze Trichophobie Angst vor Haaren Zoophobie Angst vor Tieren Manche dieser Phobien sind typisch für Kinder: zum Beispiel die Angst vor einem Gewitter oder vor Hunden. Bei Kindern sind solche Ängste kein Grund zur Sorge und Eltern müssen deswegen nicht gleich mit ihren Schützlingen zum Therapeuten gehen. In den meisten Fällen vergehen diese kindlichen Ängste wieder. Es gibt einige Hundert beschriebene spezifische Phobien. Diese sind jeweils selten und treten im Vergleich zu Sozialen Phobien und der Agoraphobie in den Hintergrund. DIE AGORAPHOBIE Die Agora war im Griechenland der Antike der zentrale Platz einer Stadt. Hier wurden Feste gefeiert, hier wurde der Markt abgehalten. Agoraphobie, also genau die Angst vor Menschenansammlungen, ist eine der häufigsten Phobien. Die zentrale Befürchtung von Menschen mit Agoraphobie, ist es bei Auftreten der Angstsymptome aus der jeweiligen Situation, nicht flüchten zu können zum Beispiel, wenn sie sich in eine Menschenmenge mischen oder wenn sie ganz einfach in der Schlange stehen. Dr. Ulrike Demal, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Allgemeinen Krankenhauses Wien erzählt die Geschichte einer Betroffenen: Die Patientin war in einem Kaufhaus einkaufen und plötzlich hat sie verschiedene körperliche Symptome bekommen: Herzrasen, Zittern Schwitzen. Die Betroffene meinte zunächst, es sei mit dem Kreislauf etwas nicht in Ordnung und ging deswegen zum Arzt. Dies ist für den Beginn einer Agoraphobie typisch. Plötzlich kommt es in einer Alltagssituation wie beim Einkaufen erstmals zu einer Panikattacke und ab dem Zeitpunkt, wird genau diese Situation gemieden. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 12

13 Angesichts einer solchen Lage geraten die Betroffenen in einen Teufelskreis. Aus Angst vor den körperlichen Symptomen beginnen sie jene Orte, an denen die Beschwerden auftreten zu vermeiden. Dies kann sich soweit steigern, dass die Betroffenen die Wohnung oder das Haus nicht mehr verlassen können. SOZIALE PHOBIEN Personen mit Sozialer Phobie, quält eine andere Angst. Die Betroffenen fürchten sich davor, in bestimmten sozialen Situationen von anderen Menschen negativ beurteilt zu werden oder sich peinlich zu verhalten. Symptome dieser Phobie treten häufig bei Jugendlichen auf und können mit zunehmender Lebenserfahrung wieder schwächer werden. Bleibt die Angst jedoch bestehen, beginnen die Betroffenen mitunter Sozialkontakte zu vermeiden. Bei der Sozialen Phobie unterscheiden die Fachleute zwei Unterarten: Die erste bezieht sich auf sogenannte Performance- oder Vorführsituationen. Sie treten immer dann auf, wenn Menschen vor jemand anderem etwas leisten müssen. Dazu gehört zum Beispiel, einen Vortrag halten oder vor anderen Menschen zu essen, zu trinken oder zu telefonieren. In solchen Situationen befürchten Menschen mit einer Sozialphobie, dass sie zum Beispiel zu zittern oder dass sie zu schwitzen beginnen, dass dies den anderen auffällt, dass die Umgebung das negativ beurteilt oder bewertet und dass die Betroffenen daher insgesamt als peinlich auffallen oder sich blamieren. Diese Art der Phobie betrifft oft simple Handlungen des Alltags. So können Betroffene mitunter eine Unterschrift vor einer Beamtin oder einem Beamten nicht leisten oder können nicht arbeiten, wenn sie beobachtet werden. Die zweite Untergruppe der Sozialen Phobie tritt in jenen Situationen auf, in denen mit anderen Menschen kommuniziert werden muss, also zum Beispiel ein Gespräch auf einer Party zu führen, wenn man jemandem auf der Straße begegnet oder wenn man ein Telefongespräch führen muss. Dies sind typische sogenannte engere soziale Situationen, wo die Betroffenen fürchten, kein Wort herauszubringen, sich zu blamieren, sich nicht adäquat zu verhalten und dadurch von anderen negativ beurteilt oder bewertet zu werden. HÄUFIGKEIT VON PHOBIEN Die Wahrscheinlichkeit, an einer dieser Formen zu erkranken, ist recht hoch. Etwa 10 Prozent aller Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens so eine Störung. Phobien RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 13

14 sind die häufigsten Angsterkrankungen und die Angsterkrankungen zusammengenommen sind wiederum gemeinsam mit Depressionen die häufigsten psychischen Erkrankungen. Alle drei Phobieformen soziale Phobie, Agoraphobie und spezifische Phobien treten bei Frauen doppelt so häufig auf wie bei Männern. Eine eindeutige Erklärung für dieses Phänomen gibt es nicht. Möglicherweise gestehen Frauen sich Ängste eher ein als Männer und suchen daher auch häufiger eine Behandlungseinrichtung auf. Eine andere Erklärung für den statistischen Unterschied könnte der Substanzmissbrauch liefern. Denn Männer neigen eher zu Alkoholsucht. Dies könnte die Statistik insofern verwässern, indem Männer mit Angsterkrankungen in der Rubrik Alkoholmissbrauch und nicht in der Spalte Phobie aufscheinen. Statistische Unterschiede in der Häufigkeit von Phobien gibt es aber nicht nur zwischen Männern und Frauen. Die Sichtweise, was als Phobie gilt und was nicht, welches Verhalten als normal beurteilt oder als therapiewürdig eingestuft wird, ändert sich auch von Land zu Land mit der Kultur. Zum Beispiel in den USA ist die Angst groß, von jemand anderem bewertet zu werden, in Japan hingegen die Angst, jemand anderen zu brüskieren. URSACHEN VON PHOBIEN Im Wesentlichen geht man heute von einem sogenannten Vulnerabilitäts-Stress-Modell bzw. von einem bio-sozialen Krankheitsmodell aus: Laut diesen spielen sowohl die persönliche Anlage wie auch die Umwelt eine Rolle. Von genetisch bedingt bis erlernt Phobien treten manchmal familiär gehäuft auf. Dies deutet auf eine vererbbare Ursache hin. Eine andere Theorie geht von einem möglicher Weise ebenfalls vererbbaren Ungleichgewicht der Botenstoffe des Gehirns aus. Auch das Verhalten phobischer Eltern könnte die Kinder in diese Richtung prägen. Zu viel Fürsorge oder auch mangelnde Bindungssicherheit in den ersten Lebensjahren fördern ebenfalls eine ängstliche Grundhaltung. Im Vorfeld einer Agoraphobie finden sich häufig einschneidende Ereignisse wie Tod oder schwere Erkrankung von Verwandten oder Freunden, Unfälle, eigene bedrohliche Krankheit, Ehekrise, Fehlgeburt, Gefährdung des Arbeitsplatzes, öffentliche Kränkungen usw. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 14

15 Auch Trennungsängste und Traumatisierungen aus der frühen Kindheit sind häufig bei Personen mit Phobien anzutreffen. Spezifische Ängste können durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst werden, sagt Dr. Georg Schönbeck: Wer etwa erfährt, dass eine verwandte oder nahe bekannte Person an einer Fischgräte erstickt ist, kann eine Fischphobie entwickeln. Je nach psychiatrischer oder psychotherapeutischer Schule gibt es unterschiedliche Erklärungsversuche und daraus resultierende Behandlungsansätze. Diese im Detail zu erklären, würde den Rahmen dieser Infomappe sprengen. Stellvertretend daher ein kurzer Blick auf drei der bekannten Erklärungsmodelle. Lerntheorie Die lerntheoretische Erklärung für Phobien geht davon aus, dass ein Mensch in einer ehemals neutralen Situation plötzlich Angst bekommt. Stichwort, Turbulenzen beim Landeanflug. Ab nun ist diese Situation angstbesetzt und wird gemieden. Die Angst wird also nicht aufgelöst und kann in der Folge phobische Ausmaße annehmen. Ein Teufelskreis der Angst entsteht. Neurobiologische Verstärkungsmodelle Sie besagen, dass Menschen mit einer Phobie ein labileres autonomes Nervensystem besitzen, das rasch zu Stress- und auch zu Angstreaktionen neigt. Ähnlich, wie es optimistische und pessimistische Menschen gibt, gäbe es also ängstliche und weniger ängstliche. Psychoanalyse Der psychoanalytische Ansatz geht davon aus, dass sich eine Phobie durch einen psychischen Abwehrakt entwickelt, bei dem angsterregende ev. auch sexuell besetzte Bewusstseinsinhalte abgewehrt, verdrängt werden. Stattdessen wird nun eine meist harmlose Situation oder ein Tier mit Angst besetzt. Der vermeintliche Vorteil: Vor diesem äußeren Angsterregen können die Betroffenen fliehen oder eben die Begegnung vermeiden. So wie bei allen Angststörungen können auch bei Phobien häufig Panikattacken auftreten. Viele Betroffene suchen erst wegen dieser Angstexplosionen Hilfe und im Laufe der Behandlung wird dann die Phobie entdeckt. Auch bei Wilma Köttl, die damals noch als Krankenschwester gearbeitet hat, begann die Agoraphobie schleichend. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 15

16 DER LANGE WEG ZUR THERAPIE SCHAM UND DIAGNOSE Vor allem eine soziale Phobie und eine Agoraphobie wollen sich viele Menschen nicht eingestehen und auch nicht mit anderen darüber sprechen. Die Tatsache, dass Menschen ihre Phobien der Umwelt meist nicht mitteilen, liegt laut Prim. Gross auch am Umgang der Gesellschaft und der Patienten mit dem Gefühl der Angst: Depressiv darf man heut schon fast sein, speziell, wenn ich Burnout dazu sag', fein, bin ich schon fast im akzeptierten Eck. Aber Angst haben, zu sagen, ich bin wirklich krank vor Angst, ich kann das und das nicht mehr machen, weil ich davor so große Angst hab, das ist sehr beschämend. Diese Scham ist einer der Gründe, warum wir Patienten mit Phobien so selten sehen, obwohl diese Krankheiten recht häufig sind. Generell wenden sich von Angststörungen Betroffene spät an spezialisierte Psychotherapeutinnen und -therapeuten, sagt auch Anita Holzinger, Professorin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien und Leiterin der Ambulanz für Sozialpsychiatrie am AKH Wien. Selbst wenn Betroffene eine Therapie beginnen, öffnen sie sich nur zögerlich, sagt Prim. Rainer Gross: Diese Menschen kommen und erzählen ihnen, sie haben diese hohe Herzfrequenz, sie schwitzen plötzlich, sie kriegen dieses ganz enge Globusgefühl im Hals und erst, wenn man mit ihnen länger spricht und sie fragt und sie ein bisschen entängstigt sind und Vertrauen gefasst haben, erzählen sie Ihnen, dass sie eigentlich wahnsinnige Angst haben. Um bei einer Diagnose sicher zu gehen, befragen die Therapeutinnen und Therapeuten auch Verwandte der Betroffenen. Diese können dem Therapeuten mitunter die Leiden offener schildern, als die Betroffenen selbst. Manche Menschen mit einer Angsterkrankung nehmen vor allem die körperlichen Beschwerden wahr und pilgern von Arzt zu Arzt und Labor zu Labor. Wenn diese Personen dann letztlich doch eine Psychotherapie erwägen, erscheinen Sie zur ersten Stunde mit einer dicken Befundmappe. Vor der Behandlung einer Phobie müssen natürlich ohnehin alle in Frage kommenden körperlichen Ursachen ausgeschlossen werden. Denn tatsächlich können manche Phobien dadurch zustande kommen. Dr. Georg Schönbeck betreute eine Patientin, die eine Rattenphobie hatte. Die Betroffene litt auch an einer niedrigen Herzfrequenz. Als diese durch einen Herzschrittmacher korrigiert wurde, verschwand auch die Phobie. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 16

17 UMWEG ÜBER DEPRESSION UND ALKOHOL Viele Betroffene leiden zehn oder 20 Jahre, ehe sie sich trauen, eine Therapeutin oder einen Therapeuten aufzusuchen. Bei Sozialphobien zum Beispiel ist es störungsimmanent, dass diese Patienten nicht zum Arzt gehen, weil sie sich vor Sozialkontakten fürchten und auch der Weg zur Behandlung für sie Überwindung bedeutet. Da sich Menschen mit Sozialer oder Agoraphobie isolieren, leiden sie zudem oft unter Depressionen und Suizidgedanken. Andere vor allem Männer versuchen die Angst mit Alkohol zu bekämpfen. Auch Tablettenmissbrauch kommt häufig vor. Viele Phobiker kommen erst über den Umweg dieser Folgekrankheiten in ein therapeutisches Zentrum. Gehen sie mit ihren Beschwerden zunächst zu Allgemeinmedizinern, wird oft nur die vordergründige Krankheit behandelt, aber nicht das phobische Leiden dahinter. ERLEICHTERNDE DIAGNOSE Obwohl Phobien zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen, ernten viele Betroffene von ihrem Umfeld Unverständnis. Angehörige hingegen zeigen sich meist einfühlsamer, was die Situation eines betroffenen Familienmitglieds betrifft. Dennoch wissen selbst sie mitunter nicht, wie sie mit der Phobie naher Verwandter umgehen sollen. Die Diagnose Phobie ist für viele Betroffene eine Erleichterung. Damit erhalten sie endlich eine Erklärung für ihre Unruhe und ihre unklaren körperlichen Beschwerden - außerdem ist somit klar, dass sie mit ihrer Krankheit nicht alleine sind. THERAPIEN GEGEN PHOBIEN Goethe am Kirchturm die Selbstheilung Phobien können unterschiedlich schwer ausgeprägt sein. Wer stark zu schwitzen beginnt, weil er mit anderen Menschen reden muss, kann dennoch seinen Alltag bewältigen, Freunde treffen und arbeiten. Manche leichte Formen von Phobien können in der Tat von den Betroffenen selbst kuriert werden. Einer, dem dies gelungen ist, ist Johann Wolfgang von Goethe. Er litt gleich an einer Reihe von Phobien: Höhenangst, Angst vor Nacht und Dunkelheit, Angst vor verletzten Körpern und vor lauten Geräuschen. Einige davon hat er durch mutige Unternehmungen RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 17

18 selbst beseitigt. In seinem Werk Dichtung und Wahrheit beschreibt er, wie ihm dies mit der Höhenangst auf der Spitze des Strassburger Münsters gelungen ist. Er ist so oft auf den Turm gestiegen und auf einer schmalen Plattform gestanden, bis seine Angst überwunden war. Später ist Goethe laut eigenen Worten auf freiliegenden Balken und auf Gesimsen mit Zimmerleuten um die Wette gelaufen. Zwei weitere Phobien soll Goethe durch Selbsttherapie in den Griff bekommen haben: Jene vor lauten Geräuschen behandelte er, indem er neben Trommlern beim Zapfenstreich herging. Um die Angst vor verletzten Körpern zu überwinden, besuchte er Sezier- und Anatomiekurse. Wer sich immer wieder der eigenen Angst aussetzt, erfährt einen Lernprozess und stellt mitunter fest: Da passiert ja gar nichts. Die kann zum Beispiel bei Angst vor Vorträgen oder bei der Angst vor einem Gespräch mit dem Chef oder der Chefin helfen. Dr. Georg Schönbeck hatte einen Patienten mit sozialer Phobie, der bewusst Vertreter geworden ist, um sich mit seiner Angst zu konfrontieren. Da aber nicht alle Symptome verschwunden sind, kam er in die Praxis. Denn solche Formen der Selbsthilfe funktionieren nur bei leichten Phobien. TRANQUILIZER UND ANTIDEPRESSIVA DIE MEDIKAMENTÖSE THERAPIE Viele Patienten, vor allem jene, bei denen die häufig mit Phobien verbundenen Panikattacken auftreten, verlangen vom Therapeuten ein Medikament zur schnellen Abhilfe. Es gibt einfach Patienten, die sagen, ich will das Symptom so schnell wie möglich weg haben, mir ist jetzt alles egal, ich will Medikamente nehmen, so Prof in. Anita Holzinger vom AKH Wien. In den meisten Fällen erhalten die Patientinnen und Patienten zunächst angstlösende Substanzen aus der Gruppe der Tranquilizer. Für die Dauertherapie werden meist Substanzen aus der Gruppe der Antidepressiva verwendet. Allerdings dauert es circa zwei Wochen bis die angstlösende Wirkung einsetzt. Patienten, die auch Panikattacken haben, fehlt dafür mitunter die Geduld. Zudem wirkt nicht jedes Antidepressivum bei jedem Menschen gleich. Bis das richtige gefunden ist und mehrere ausprobiert worden sind, vergeht zusätzliche Zeit. Tranquilizer helfen gegen Panikattacken zwar verlässlich und rasch, sollten aber zeitlich begrenzt eingenommen werden, da sie ein gewisses Abhängigkeitspotential aufweisen. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 18

19 Angstlösende Medikamente lindern aber nicht nur die Symptome. Sie ermöglichen dadurch den Patientinnen und Patienten auch, sich besser auf eine Psychotherapie einzustellen. MIT DER THERAPEUTIN INS KAUFHAUS DIE VERHALTENSTHERAPIE Um die Angst der Phobiepatientinnen und -patienten zu behandeln, stehen verschiedene Formen der Psychotherapie zur Verfügung. Die bei phobischen Störungen am häufigsten angewandte ist die Verhaltenstherapie. Sie gewöhnt Patientinnen und Patienten nach und nach wieder an jene Situationen, die sie mitunter jahrelang unter allen Umständen vermieden haben. Diese Konfrontationstherapie funktioniert im Prinzip ähnlich wie Goethes Selbstversuch auf dem Strassburger Münster. Schritt für die Schritt werden die Betroffenen in zunehmender Intensität jener Situation ausgesetzt, die sie fürchten. Da Patientinnen und Patienten mit einer starken Phobie dies nicht alleine können, werden sie von ihrem Therapeuten oder ihrer Therapeutin dabei angeleitet. Verstehen und Fähigkeiten analysieren Der erste Schritt der Verhaltenstherapie besteht jedoch aus Information und Psychoedukation, sagt Dr. Ulrike Demal, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Allgemeinen Krankenhauses Wien. Den Patienten wird die physische und lebensnotwendige Funktion der Angst erklärt. Sie sollen lernen, das normale Gefühl der Angst von jenem der bei den Phobien krankhaft übersteigerten Angst zu unterscheiden und den Unterschied zu verstehen. Bei einer Sozialen Phobie wird zudem untersucht, ob tatsächlich eine Phobie vorliegt und im Vordergrund steht, oder ob es den Betroffenen nicht einfach nur an bestimmten Fähigkeiten fehlt. Manche Menschen haben in ihrem Leben vielleicht einfach nicht gelernt, ein Gespräch zu führen, und haben daher panische Angst davor. In diesem Fall muss vielleicht nur diese soziale Kompetenz erlernt und trainiert werden. Sich der Angst aussetzen Ist dies geklärt, geht es in der Therapie einen Schritt weiter. Die Patientinnen und Patienten müssen sich unter Anleitung des Therapeuten oder der Therapeutin ihrer Angst stellen. Die Therapie beginnt mitunter damit, dass sich die Betroffenen die entsprechende Situation nur vorstellen und bereits dadurch lernen, mit der Angst RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 19

20 umzugehen. Wenn die Betroffenen dazu bereit sind, suchen sie jedoch auch mit dem Therapeuten oder der Therapeutin eine angstbesetzte Situation auf und gehen zum Beispiel ins Kaufhaus. Dort wird bei der Patientin bzw. dem Patienten eine Angstreaktion entstehen. Es wird genau das eintreten, was die Betroffenen versuchen zu vermeiden. Sie werden jedoch dann vom Therapeuten bzw. der Therapeutin angehalten, in dieser Situation zu verweilen. Nach einer gewissen Zeit wird die Angst nachlassen und die Betroffenen lernen so mit dem Gefühl der Angst umzugehen. Diese Situationen sollen dann in der Folge mit dem Therapeuten gemeinsam oder auch alleine immer wieder aufgesucht werden. Ob und nach welcher Zeitspanne eine Verhaltenstherapie Erfolge ermöglicht, hängt von mehreren Faktoren ab: zum Beispiel von der Schwere der Symptome und davon, wie weit oder wie schnell Betroffene bereit sind, sich mit den Angst auslösenden Situationen zu konfrontieren. Und auch, wenn nicht alle Beschwerden gleich verschwinden, erhöht sich die Lebensqualität der Betroffenen durch die Therapie deutlich. SICH SELBST BESSER KENNENLERNEN DIE PSYCHOANALYSE Die psychodynamische Therapie, also analytisch orientierte Psychotherapien, empfiehlt Prim. Rainer Gross dann, wenn der hinlängliche Verdacht besteht, dass die Phobie ein integrierender Teil einer Persönlichkeitsstruktur ist und nicht eine isolierte Phobie. Da die Psychoanalyse bei den Ursachen der Phobie davon ausgeht, dass es sich um eine verdrängte Angst, einen verdrängten Wunsch oder andere Ursachen in der frühen Kindheit handelt, werden diese Ursachen in der Therapie offengelegt. In den letzten Jahrzehnten gab es ansatzweise einen Methodenstreit zwischen der Verhaltenstherapie und den analytischen Verfahren. So nimmt die Psychoanalyse für sich in Anspruch, den der Phobie zu Grunde liegenden Konflikt zuerst aufdecken und dann auflösen zu können. Während eine Phobie in vielen Fällen durch eine Verhaltenstherapie relativ rasch gelindert werden kann, dauern psychoanalytische Verfahren deutlich länger, nämlich mehrere Jahre. Mitunter könnte man auch durch eine Verhaltenstherapie zunächst rasch die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen und später mit einer Psychoanalyse den RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 20

21 Ursachen weiter auf den Grund gehen. Dazu Prim. Gross: Der große Psychoanalytiker Otto Kernberg sagt bei verschiedenen Symptomen, die relativ isoliert auftreten und einen großen Leidensdruck verursachen sehr wohl in manchen Fällen: Ich würde Ihnen raten, machen Sie eine Verhaltenstherapie. Wenn dann das Symptom weg ist und es geht Ihnen gut und Sie haben kein Interesse mehr, fein, wenn Sie was über sich erfahren wollen, kommen sie gern nachher zu mir'." SICH UND ANDEREN HELFEN SELBSTHILFEGRUPPEN Erste Unterstützung oder auch weiterführende Beratung neben einer Therapie bieten Selbsthilfegruppen. Bei Angsterkrankungen ist das Gespräch mit anderen Betroffenen besonders wichtig und es können auch neue soziale Kontakte geknüpft werden. Die Betroffenen merken dort, dass sie mit ihrer Phobie und Angst nicht allein sind und lernen von den Erfahrungen der anderen. Meist werden Selbsthilfegruppen von Menschen moderiert, die selbst betroffen sind oder waren. RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 21

22 ANLAUFSTELLEN ANLAUFSTELLEN Auflistung österreichischer Selbsthilfegruppen zu den Themen Angst und Depression Club D & A Selbsthilfe bei Depression und Angststörungen (Wien, Salzburg, Südtirol) Liste mit Notrufnummern des Clubs D & A Österreichische Gesellschaft für Verhaltenstherapie Wiener Psychoanalytische Vereinigung A-1010 Wien, Salzgries 16 Tel.: +43/1/ ambulatorium@wpv.at Bundesverband für Psychotherapie Österreichischer Verein für Individualpsychologie Österreichische Gesellschaft für analytische Psychologie, C.G. Jung-Gesellschaft Wilhelm Reich Institut Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter Deutsches Angst-Forum RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 22

23 BUCHTIPPS BUCHTIPPS UND LINKS Wittchen et. al. Was Sie schon immer über Angst wissen wollten! Karger Verlag 1995 ISBN-13: Hans Morschitzky Angststörungen. Dioagnose, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe Springer Verlag 2009 ISBN-13: Marius Nickel Ängste, Zwänge und Belastungsstörungen Springer Verlag 2008 ISBN-13: Alfons Hamm Spezifische Phobien. Fortschritte der Psychotherapie Hogrefe Verlag 2006 ISBN-13: Bürgerlicher Schwindel und seine medizinische Fassung: Goethe und das Strassburger Münster Von Dr. med. Caroline Jagella, Medizinhistorisches Institut, der Universität Zürich. Schweizer Medizinische Wochenschrift, 2000;130: Angststörungen Medikamentöse Therapie Fachartikel in Clinicum Neuropsy - Das Medium für Psychiatrie und Neurologie, September Phobien Artikel von Dr. Hans Morschitzky (Linzer Klinischer und Gesundheitspsychologe) RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 23

24 BUCHTIPPS Patientenratgeber des Arbeitskreises Verhaltenstherapie Symptomatik, Ursachen, Therapiemöglichkeiten in Kurzform dargestellt von Univ.-Prof. Dr. Martin Aigner (Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutische Medizin) Panikstörung und andere Angststörungen Umfassende Zusammenstellung von Karl C. Mayer, deutscher Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 24

25 INTERVIEWPARTNER/INNEN INTERVIEWPARTNER/INNEN In der Sendung Radiodoktor Medizin und Gesundheit vom 1. August 2011 kamen zu Wort: Mag. a Dr. in Ulrike Demal Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel A-1090 Wien Tel.: +43/1/40400/ ulrike.demal@meduniwien.ac.at Homepage: Prim. Dr. Rainer Gross Sozialpsychiatrische Abteilung Landesklinikum Weinviertel Hollabrunn Robert-Löffler-Straße 20 A-2020 Hollabrunn Tel.: +43/2952/2275/631 psychiatrie@hollabrunn.lknoe.at Homepage: Univ.-Prof. in Dr. in Anita Holzinger Ambulanz für Sozialpsychiatrie an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel A-1090 Wien Tel.: +43/1/40400/ anita.holzinger@meduniwien.ac.at Homepage: Dr. Georg Schönbeck Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Zimmermanngasse 1A/8 A-1090 Wien Tel.: +43/1/ georg.schoenbeck@aon.at RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 25

26 INTERVIEWPARTNER/INNEN Wilma Köttl, Betroffene Sandra Köttl, Robert Köttl, Angehörige RADIODOKTOR MEDIZIN UND GESUNDHEIT 26