Abiturrede der Schulleiterin 2011

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1 Hansa-Gymnasium Bergedorf, 18.Juni 2011 Abiturrede der Schulleiterin 2011 Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sehr geehrte Eltern, Gäste, Kolleginnen und Kollegen! Gleich habt Ihr es geschafft - wir haben es gemeinsam geschafft. Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, werdet das Abiturzeugnis erhalten und damit zu Ehemaligen des Hansa-Gymnasiums werden. Zu Eurem erfolgreichen Schulabschluss beglückwünsche ich Euch im Namen der gesamten Schule. Erleichtert aufatmen können auch die Eltern: (Mindestens) zwölf Jahre Begleitung, Aufmunterung und Beistand und sicher manchmal auch Auseinandersetzung, Drängen und Verhandlungen haben ein glückliches Ende gefunden. Auch Ihnen möchte ich gratulieren: zu Ihren Kindern und zu Ihrer eigenen Leistung. Geschafft haben es - oder sind es auch - die Lehrkräfte, und hier besonders diejenigen, die Euch in den letzten Jahren zum Abitur geführt und als Tutoren betreut haben. Das sind einmal die Profillehrer/innen, aber auch die Lehrkräfte in den Kernfächern, die sich alle zusammen mit den Schülern und Schülerinnen in ein neues System hineinfinden mussten. Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich zum Erfolg und zum guten Ergebnis Ihrer Arbeit beglückwünschen. Mein Dank gilt auch dem Oberstufenteam Herrn Reinke und Herrn Pepmeyer. Bedanken möchte ich mich schließlich auch bei denen, die die heutige Feier vorbereitet haben und gestalten werden: Den Schülerinnen aus Jahrgang 11 mit Herrn Dwenger, dem Oberstufenchor mit Herrn Solinsky und natürlich wie immer Herrn Reppenhagen und ganz besonders Frau Dahl. Ja, und da stehe ich nun Herr Reppenhagen hat geflaggt, Frau Dahl Blumen besorgt, die Zeugnisse haben Herr Reinke und Herr Pepmeyer vorbereitet, die Tutoren stehen bereit. Wir haben uns alle fein gemacht ihr schaut mich erwartungsvoll an, und ich soll etwas Passendes zum Abitur sagen. Für Schulleitung und Lehrkräfte seid Ihr ein Abiturjahrgang von vielen soll ich es wagen zu sagen, das Übliche, business as usual, wir kennen s schon: die neueste Reform (diesmal die Profile), die jährlich wiederkehrenden Auseinandersetzungen über Abgabetermine und Fehlzeiten und Punkterechnerei, das große Gähnen beim

2 Thema Raucherecke, Prüfungsaufregungen und zum Schluss noch zum wiederholten Mal Wasserpistolen und Alkohol und der Drang, ganz schnell in Urlaub zu fahren....groan... ABER: Abitur macht man nur einmal. Es gibt nur noch sehr wenige andere Ereignisse im Leben, die so einzigartig sind. Taufen werden durch verschiedene Rituale aufgefrischt, es gibt mehrere Schulanfänge an verschiedenen Schulen, selbst Verlieben und Heiraten sind nicht mehr unbedingt singuläre Geschehnisse. Für Euch, liebe Abiturienten, ist dies tatsächlich ein ganz besonderer, einzigartiger Tag. Nur dieses eine Mal habt Ihr die Abiturprüfung bestanden, könnt Ihr so stolz auf Eure langjährige Leistung sein, so rundherum frei mit einer nahezu unbegrenzten Zukunft vor Euch, aber vielleicht auch so unsicher, besorgt, eventuell gar ängstlich, was denn nun auf Euch zukommt. Es macht also Sinn, angesichts all der offenen Möglichkeiten vor Euch, Überlegungen anzustellen, ob es etwas gibt, das als Wegzehrung für die lange Reise dienen kann, auf die Ihr Euch jetzt begebt. Eine lange Reise mit oft noch vagen Zielen, mit unbekannten Verkehrsmitteln, mit noch zu findenden Weggefährten. Wie soll man ihr denn nun gegenübertreten, der großen Freiheit, all den vielen offenen Möglichkeiten, den Entscheidungen, deren jede, sobald sie getroffen ist, eine andere verschließt? Üblicherweise zitiert der Schulleiter an dieser Stelle, weise und / oder berühmte Menschen, die Kluges vorgedacht haben. Was soll es denn sein? Etwas möglichst Originelles, mit dem man die eigene Belesenheit beweisen kann? Etwas, das wahr, aber langweilig ist? Bei meiner eigenen, zugegebenermaßen lange zurückliegenden Abiturfeier, haben wir uns einfach jeglichen Reden verweigert. Schade, finde ich heute. In dem recht unterhaltsamen Roman One Day von David Nicholls stellt sich genau diese Frage nach dem Rat für die unbekannte Zukunft zu Beginn des Erwachsenenlebens. Die Antwort lautet für eine der Hauptpersonen folgendermaßen: - Live each day as if it s your last, that was the conventional advice, but really, who had the energy for that? What if it rained or you felt a bit glandy? It just

3 wasn t practical. Better by far to simply try and be good and courageous and bold and to make a difference. Not change the world exactly, but the bit around you. Go out there with your passion and your electric typewriter and work hard at something. (David Nicholls, One Day 2009) - Lebe jeden Tag, als wenn es dein letzter wäre das war der konventionelle Rat. Aber, wirklich, wer hatte soviel Energie? Was, wenn es mal regnete oder man sich nicht so besonders fühlte? Es war einfach nicht praktisch. Viel besser einfach nur zu versuchen, gut und tapfer und mutig zu sein und einen Unterschied zu machen. Nicht gerade die Welt zu verändern, aber das Stückchen um dich herum. Rauszugehen mit deiner Leidenschaft und deiner Schreibmaschine und sich richtig anzustrengen für... ETWAS. Was dieses Etwas sein soll? Ihr werdet Eure eigenen Antworten darauf finden müssen. Jede Nachrichtensendung, jede Tageszeitung, jedes Gespräch enthält Vorschläge. Ihr werdet Entscheidungen treffen müssen und jede getroffene Entscheidung wird Euren weiteren Weg klarer definieren. Und ja, jede und jeder von Euch wird einen Unterschied machen, einfach durch Eure Existenz, mit den Fähigkeiten und Qualifikationen, die Ihr mitbringt, die Eure Eltern Euch mitgegeben haben, die Ihr durch Schule, Lehrer, Freunde und andere Erfahrungen schon angesammelt habt. Ihr werdet immer wieder neu festlegen müssen, wo und wie Ihr arbeiten, leben, lieben wollt und mit Eurem Dasein wird die Welt sich verändern. Welche Ausrüstung wir Euch dafür mitgegeben haben? Natürlich die fachlichen Unterrichtsinhalte, solide naturwissenschaftliche Grundlagen, ohne die heute niemand mehr an einer gesellschaftlichen Diskussion teilnehmen kann, Sprachkenntnisse, Literaturkenntnisse, Fachbegriffe ja, aber wozu Stochastik, Interpretationstechniken, Fotosynthese, Kantscher Imperativ, wenn ich s doch nicht studieren will? Dann doch eher Fachübergreifendes, die Kooperationen, der Blick auf Anwendung, die Kontakte in die Außenwelt, Unsere neuen Profile mit ihren Kombinationen, Betriebe, Hochschulen, von Bergbauakademie Freiberg über Museumspädagogik bis zu den Chorbegegnungen. Sicherlich haben hier viele prägende Begegnungen stattgefunden, viele bleibende Eindrücke konnten gesammelt werden. Der Bereich

4 der Kooperationen ist sicher etwas, worauf wir auch in Zukunft auf keinen Fall verzichten und den wir weiter entwickeln wollen. Aber, so wichtig das ist, das kann ja auch noch nicht alles gewesen sein, was wir Euch zu bieten hatten. Vielleicht doch eher sicheres, gewandtes Auftreten, kommunikative Kompetenz, im Moment gerade ganz groß geschrieben? Ihr habt alle Präsentationsprüfungen abgelegt, Ihr habt gezeigt, dass Ihr s könnt, Powerpoint und Flipcharts und gute Körperhaltung alles da. Aber Präsentieren auf Kosten der Inhalte? Mehr Scheinen als Sein? So ist es ja auch nicht gedacht. Oder: Gute Umgangsformen? Freundlich gegrüßt und Danke und Bitte gesagt und Sehr geehrte Frau Remme, hiermit bestätigen wir den Termin des Abistreichs am10.6. von bis Uhr. Wasserpistolen brauchen nicht gestellt zu werden, da wir sie selbst mitbringen.? Natürlich schadet es nicht, nett mit den Mitmenschen umzugehen, und es hilft in vielen Fällen erstaunlich gut weiter. Aber etwas mehr soll es ja doch sein, was Ihr vom Hansa-Gymnasium mitnehmt. Allem, das ich jetzt aufgezählt habe, liegt eines zu Grunde: Wir haben versucht, Euch zum Nachdenken, zum Zu-Ende-Denken, zu bedachtem Handeln zu bringen. Natürlich braucht man fachliche Kenntnisse und eine Reihe von Fertigkeiten, aber damit man einen Unterschied machen, damit man Einfluss ausüben kann, muss man zunächst einmal mit sich selbst im Reinen sein, seine eigenen Gedanken und Gefühle erkennen und möglichst in Einklang bringen. Die glücklichsten Augenblicke für mich als Schulleiterin waren die, in denen ich Schülerinnen und Schüler in solchen Momenten des Einklangs mit sich selbst gesehen habe. Das war bei einigen Präsentationsprüfungen der Fall, oft bei musikalischen Auftritten, sicher in sportlichen Momenten, auch beim Aha-Erlebnis im Unterricht, bei dem plötzlich alles zusammen passt. Solche Momente nennt man auch Flow -Erlebnisse. Es liegt in ihrer Natur, dass sie vereinzelt auftreten, dass sie mit individueller und gemeinschaftlicher Anstrengung erreicht werden und dass sie glücklich machen. Es war schön für mich, junge Menschen in solchen glücklichen Momenten der unverkrampften Ernsthaftigkeit zu erleben. Ich hoffe sehr, dass Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, die Fähigkeit zu dieser Art von Konzentration, zum Einklang mit sich und der Welt, mitnehmen könnt in Eure noch ungewisse Zukunft und dass Ihr sie Euch Euer ganzes Leben lang erhaltet.

5 Eure zukünftigen Tage mögen unter dem Motto von Philipp Larkin stehen: What are days for? Days are where we live. They come, they wake us Time and time over. They are to be happy in: Where can we live but days? ( ) Philipp Larkin, Days Ich wünsche euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, für euren zukünftigen Weg viele glückliche Tage, Gesundheit und alles erdenklich Gute. Hildegund Remme