Drei Vorbemerkungen: 1. Der Bundestag hat 2005 das WHG novelliert und dem Bürger ins Auftragsheft diktiert: Du selber bist als erster für deinen

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2 Drei Vorbemerkungen: 1. Der Bundestag hat 2005 das WHG novelliert und dem Bürger ins Auftragsheft diktiert: Du selber bist als erster für deinen Schutz verantwortlich! - Das hat sich nur noch nicht allgemein herumgesprochen und ist auch nicht fair: Wo bleibt die Rolle des Staates? 2. Die bisherige Methode, zu den schon existierenden (zu Teil sehr guten) Broschüren noch eine neue vermeintlich bessere - hinzuzufügen, hat nicht den erhofften Sensibilisierungseffekt gehabt. Nicht in den Wohnzimmern und nicht in den Amtsstuben! 3. Alle reden gern von Naturkatastrophen. Das ist schon mal kontraproduktiv: Es gibt nämlich nur Naturereignisse. In den meisten Fällen hängt es von der Art der Nutzung ab, ob daraus eine Katastrophe wird mit oder ohne Klimawandel. Aber das wird gerne ausgeblendet. Hätten die Kölner also nicht vor etwa hundert Jahren in der Rheinaue Häuser gebaut, gäbe es dieses Bild hier gar nicht >>> (nächste Folie) 2

3 Ein paar förderliche Hintergrundinformationen: Warum gibt es überhaupt eine Hochwasser- Bürgerinitiative in Köln-Rodenkirchen? Weihnachten 1993: Ein kleines Quartier; 300 m weg vom Rhein, kein Rheinblick, nie etwas von Gefährdung gehört, im Grunde sowas gar nicht für möglich gehalten, alte (und auch noch Warnungen murmelnde) Zeitzeugen von 1926 für senil erklärt Und dann das: Klassischer Fall von Murphy s Law. Alles ging schief: Eine unvorbereitete Bevölkerung von der Stadt vergessen und im Stich gelassen Und wieder mal eine schmerzhafte Bestätigung des Sprichworts: Nur durch Schaden wird man klug? Nachdem die braune Schmutz- und Heizölbrühe verschwunden war, - sucht Bürger die Schuldigen (natürlich andere, die den Schaden bezahlen sollen), - will vor Gericht ziehen, - sieht nicht seinen eigenen Verantwortung usw. Wir hatten Glück, fanden Unterstützer in Politik und Verwaltung, vor allem einen bürgeroffenen Hochwasserschutzbeauftragten. Und so wurde aus Gegnerschaft schnell Partnerschaft keine unproblematische, aber immerhin! 3

4 Die Kölner Initiative interpretiert Nachbarschaftshilfe sehr weit; Und ist inzwischen vernetzt und geschätzt und unbeliebt zugleich - auch in der Domstadt akzeptiert, aber trotzdem um so gelittener, je weiter weg vom Kölner Dom sie agiert. Das hat etwas mit dem Umstand zu tun, daß kompetente Bürger*innen halt frei sind und manchmal den üblichen Verdächtigen die Suppe versalzen. Wenn es gerade partout nicht in das geschmierte Getriebe passt. Zwischen den Stühlen eben. 4

5 Ein erster Schritt ist, wenn Bürger*innen anfangen, ihr Schicksal gemeinsam ändern zu wollen. Hier veranstalten Bürger mit Verbündeten ein Experiment, Happening, Gaudi und gleichzeitig den ernstgemeinten Appell an die Verwaltung, der schon jährlichen Überflutung einen genial einfachen (und preiswerten) Riegel vorzuschieben (Notwand Aqua-Barrier aus Schweden). Die BI-Hochwasser beweist, daß eine Kooperation mit Freiwilliger Feuerwehr, THW, dem Importeur, dem Energieversorger, einem Hersteller von Hochleistungspumpen funktioniert. Und: alles dicht (- auf dem Photo nicht: hier wird schon wieder abgebaut)! Die Heilsversprechen eines für alles sorgenden Staates sind das falsche Signal: Risikovorsorge (von der Verhaltensvorsorge ein wichtiges Element ist) ist wichtiger als technische Schutzmaßnahmen allein. Außerdem ist Risikovorsorge eine Gemeinschaftsaufgabe. Was heißt das? Kommunen, Behörden, Verbände tragen mindestens zur Hälfte die Verantwortung, damit Verhaltensvorsorge gelingt. Das ist eine kühne These, getragen aus der Erfahrung von 20 Jahren Bürgerengagement. Die Bürgerinitiative hat früh damit begonnen, die Heimatgemeinde zu risikobewußtem Handeln aufzufordern. 5

6 Bürgerprojekte als Trendsetter? 1995 gab es noch keine leicht verständliche Gefahrenkarte mit den zu erwartenden Wasserständen bei sehr starken Hochwässern. Die Grundkarten besaßen Fehlertoleranzen von plus/minus 30 cm. Die damals besten Werte hatten die Deckel der Abwasserkanäle. Die zugehörigen Karten wollte die Stadt aber nicht herausrücken: Terrorismusgefahr! Erst als wir vorschlugen, diejenigen Deckel, unter denen sich Schieber befanden, im (damals schon) digitalen Ausdruck schlicht zu entfernen, durften wir die Karten ausgehändigt bekommen. So bekam der Stadtteil Rodenkirchen im August 1995 die ersten Hochwassergefahrenkarten mit Überflutungshöhen in die Hand Immerhin redeten die Fachleute längst auch vom Klimawandel und seinen Folgen. Nicht so die Politik 6

7 Bürger*innen leben Gemeinwohl 2004: Herausgabe eines Ratgebers Hochwasser mit allgemeinen Tips und lokalen Informationen bis zu Handwerkern und Beratern. 7

8 Das Vertrauen in die unbegrenzte Machbarkeit müßte eigentlich schon länger erschüttert sein. Das auch von den Medien geschürte Mißverständnis: ein hundertjährliches Hochwasser käme nur alle hundert Jahre einmal, erlitt schon Schaden, als am Rhein zwei HQ100 im Abstand von 13 Monaten aufeinander folgten. An der Oder, Donau und Elbe wenig später das gleiche Bild: 1996, 1997, und jetzt 2013 sogar mit Pegeln, wie sie noch nie gemessen wurden. (Ob das nur eine Dekade mit Pech war oder schon Folgen des Klimawandels, ist letztendlich wurscht) Die Holländer begannen schon 1996 mit der Rückverlegung von Flußdeichen, dann entwickelten sie das Programm Raum für den Fluß schließlich verordnete die EU ihren Mitgliedern einen NEW DEAL im Hochwasserschutz: Weg vom Hochrüsten und Einmauern, hin zum Risikodenken (das Risiko bedenken!). Der Klimawandel spielt dabei eine deutliche Rolle. Gut: Die EU hat Bürgerbeteiligung (im Teil RM-Pläne) verbindlich vorgeschrieben. Das hat aufgeschreckt Schlecht: Die Umsetzung in nationales Recht hat die bisherige Verwirrung mittels unterschiedlicher Begrifflichkeiten in Wasserwirtschaft (WHG) und Raumordnung schlicht fortgeführt, was sich im aktuellen Entwurf der Landesplanung NRW trefflich abbildet. Ein Schelm, der Böses dabei denkt Das Photo zeigt noch etwas anderes: Das Experiment (Folie 5) hat zwei Jahre später dazu geführt, daß ein Wohnviertel trocken blieb obwohl ja nicht sein kann, was nicht sein darf 8

9 Beispiele für Rollenteilung: Die Verantwortung der Behörden: Eines für unzählige Beispiele und nicht nur in Köln: Das aktuelle Bauvorhaben (Luftbild rechts in der Offenlage) nennt sich Innenentwicklung, und ist angesichts des ungebremsten Flächenfraßes ja auch nicht schlecht. Nimmt man aber die Hochwassergefahrenkarte hinzu, so wird das schöne Neubaugebiet bis zu 3 m unter Wasser stehen. Sicher, nur bei einem seltenen Ereignis; aber das ist längs der Elbe fast schon Alltag. Es ist auch klar, es sind nur ein Dutzend Häuser geplant; aber ein Dutzend von vielen Dutzenden vergrößert flußgebietsweit die Gefahr (Risikopotential) und schmälert im Ernstfall die Hilfe für alle! Die These könnte auch kürzer lauten: Vordergründig rentabler Leichtsinn ist abstumpfend! Widerspruch einlegende einzelne Menschen oder Organisationen werden dann von am schnellen Bauen interessierter oder profitierender Seite schnell als widerborstige Querulanten abgestempelt. Außerdem müssen in den Plänen die Risiken bezeichnet werden und wenn nötig Festsetzungen zu treffen. In fast allen vergleichbaren Fällen Fehlanzeige. 9

10 Beispiele für Rollenteilung: Noch ein Beispiel von Kommunenseite: Überall in der Republik wird zur Zeit die HWRM- Richtlinie umgesetzt. Dafür müssen Überschwemmungsgebiete festgesetzt werden. Manchmal ganz neu, manchmal nur überarbeitet. Dort, wo neue von Bebauung freizuhaltende Zonen jetzt bekannt werden, regt sich Widerstand, obwohl es eine Öffentlichkeitsbeteiligung gab. Keiner, den es wirklich betraf, hat es gelesen. Auch nicht diese Kommunen. Plötzlich verspüren Gemeindevertreter am eigenen Leib, wie man sich als Uninformierter so merkwürdig hilflos und überfahren fühlt. Statt bisher nur Wutbürger jetzt auch Wutgemeinden mit Wutbürgermeistern??? Am Ende wird sogar eine Art behördlicher Widerstand gegen Brüssel daraus. Und das, obwohl die Kommunen seitens der Bezirksregierung auf den amtsüblichen Wegen eingebunden waren. Dahinter steht das Mißverständnis: Vom Bürger lernen heißt siegen lernen? Das klappt nicht unbedingt Und so wird offenbar, daß Kommunikationsversagen und mangelnde Sensibilisierung nicht allein aus einem Verdrängungsphänomen der Bürger rührt Sagt doch der Volksmund: Wie der Herr, so s Gscherr! 10

11 Beispiele für Rollenteilung: Zur Rolle der Bürger*innen: In einem Aktionsbereich der Verhaltensvorsorge haben wir in Köln schon etwas gelernt. Ich vermute, die üblichen Klagen sind bekannt: Amtliche Bürgerinformation: Trotz aufwendiger Vorbereitungen enttäuschend schwache Resonanz bei den Betroffenen. Dagegen: Gemeinsam organisierte Veranstaltungen der Verwaltungen / Ämter mit Bürgerinitiativen haben einen überaus großen Zulauf. Ob es an der Aussicht auf Dispute mit unterschiedlichen Positionen liegt, ob die Mitbürger*innen gar lauten Streit erwarten, oder ob sie einfach beim Miteinander- Argumentieren auf gleicher Augenhöhe auf mehr Ehrlichkeit und Verläßlichkeit hoffen und offensichtlich auch nicht enttäuscht werden? Diese Veranstaltung in Rodenkirchen jedenfalls führte zu einem bisher unbekannten Gedränge im Saal: 300 etwa kamen rein, über Hundert mußten wieder gehen Arbeitsteilung? Machbar. Die Stadt kümmert sich um Technik und Pressemeldungen, die BI macht die Plakate und hängt sie auf und macht Werbung über die sozialen Netze Und die Beiträge werden entweder im Wechsel oder im Team-Teaching gehalten. Geht doch! 11

12 Beispiele für Rollenteilung: Wenn es nicht gelingt, potentielle Rückhalteräume vor der eigenen Haustüre der Politik schmackhaft zu machen, hilft manchmal eine Finte. Man instrumentalisiert ein Grün-Projekt, um das Anpassungspotential über den beauftragten Landschaftsplanungs-Professor quasi von hinten durch die Brust ins Herz zu implementieren. Obendrein eine geschenkte Win-Win- Konstellation. Das Grünflächenamt is not amused, der Rat winkt die Vorlage durch. Bingo! Das Thema Hochwasservorsorge ist jetzt ein offizieller Bestandteil der Grüncharta der Stadt. Na also geht doch. Klimaanpassung segelt unter jeder Flagge 12

13 Eine Organisation wie die BI - Hochwasser, die als Grassroot-Bewegung einiges bewegt hat, hat natürlich kein allgemeines Rezept, wie der Dialog im Einzelnen geführt werden soll. Aber eines ist sicher: es muß ein Dialog auf gleicher Augenhöhe sein, keine Befehlsausgabe! Manchmal bewirkt wie hier im Bildvergleich zu sehen - eine mit den Betroffenen zusammen ausgehandelte Hochwasserschutz-Ausführung auch eine deutliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Freiraum. Und der Effekt eines Das-haben-wir-zusammen-geschafft - Gefühls ist befriedend und kostbar. Aber das große Aber (da muß doch ein Haken sein!): Vertrauen ist personengebunden; deshalb sollten nein müssen! erprobte Formen der Bürger-Bürokraten -Zusammenarbeit dauerhaft festgeklopft werden (per Ratsbeschluß, Satzungen, Strukturen, also auch über Personaldecke, Fortbildung wie auch immer). Immer noch ist die Bereitschaft zur Verstetigung unterentwickelt. Dabei ist das der notwendige Weg zu einer beteiligenden Planungskultur, die Risiken kommuniziert und die Bürger*innen in den Prozeß einbindet. 13

14 Beteiligungskultur die auf den ersten Blick mit Fragen der Sensibilisierung, der Risikowahrnehmung, einem risikoangepaßten Verhalten sowohl bei Vorsorgeentscheidungen als auch im Krisenfall gar nichts zu tun zu haben scheint hat viele Facetten: [Diese Liste ist schon ein paar Jahre alt und für den heutigen Anlass leicht angepaßt worden.] > Oft funktionieren einfache diplomatische Tricks: So kann der Verzicht auf das Vorschlagsurheberrecht schon zu unerwarteter Umsetzung einer guten Idee führen Mehrheitlich sind aber die Bürger*innen immer noch in erster Linie Störer im Getriebe und so zwischen den Stühlen. Es wäre unredlich, wenn ich verschweigen würde: In den letzten Jahren haben sich auch zarte Anzeichen von Wandel gezeigt. So wurde die BI-Hochwasser 2013 zu einer Ringvorlesung des Sicherheitsforums an der FU Berlin eingeladen und erst kürzlich im März 2014 zu einem Workshop der BezReg Köln (Hochwasser-Risikomanagement-Einheit Untere Sieg ) mit Kommunalvertretern. Thema: Bürger als Partner. Aber nicht vergessen: Am Anfang stand immer das Hase-und-Igel-Prinzip: Ja, hm, Sie hier? Eigentlich war diese Veranstaltung ja nicht für Sie gedacht. Aber nun sind Sie schon mal hier Es fehlt nur noch die Verstetigung. (Wie schon gesagt) Wie schön wäre das, wenn die Amtsleitung sagen würde: Risikokultur? Klimaanpassung? Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Das machen wir doch immer. Und ich sehe auch keinen Grund, das zu ändern Man wird doch mal träumen dürfen! 14

15 Damit wäre eine Art Bogen geschlagen zu der am Anfang beschriebene Sensibilisierung wider Willen: Nach der Flut ist vor der Flut. Das Risiko bleibt! Bürger*innen buchstäblich zwischen Hochwasser und Bürokratie sitzend haben viele Möglichkeiten. Es heißt sie nur nutzen. Und: Diese Herausforderung gilt erst recht in Zeiten des Klimawandels und dessen Folgen Thomas Kahlix, Bürgerinitiative Hochwasser Altgemeinde Rodenkirchen e.v. (gemeinnützig) März

16 Zusatzinformation: Vorhandene Potentiale nutzen! Bauamtlich vorgeschriebener Grundwasserpegel in der Nähe dauerhaft auf der Website unterbringen. Kostet nichts, bringt aber Sensibilisierung für dynamische Systeme Grundhochwasser als Risiko ist den meisten Betroffenen solange unbekannt, bis das Wasser im Keller schwappt 16

17 Zusatzinformation: Das Deichparadoxon Die Planer an der oberen Elbe haben es auf den Punkt gebracht: Mit Sicherheit wächst der Schaden! (in der ersten Auflage noch mit?). Eine der wenigen selbstkritischen und vorbehaltlos zu empfehlenden Broschüren übrigens. Sie legt gnadenlos den Finger in die offene Wunde und hat 2012 den Großschaden von 2013 präzise beschrieben, der an Elbe und Donau zur Realität wurde, bei uns im Rheineinzugsgebiet nicht NOCH NICHT! Einzig Phase 5 ist heftig geschönt: Da stehen heute nicht zwei Häuser, sondern zweihundert oder noch mehr. Diesem Wettrüsten Einhalt zu gebieten, bedarf der gemeinsamen Anstrengungen von Bürger*innen und Kommunen und dem Bund. Ein bislang frommer Wunsch! Da stehen auch wir von der BI manchmal ziemlich alleine da, wenn die uninformierten Mitbürger vom Staat Schutz verlangen und diesen als Sicherheit falsch verstehen. Und sie werden in Ihrer Illusion auch noch amtlich gefördert: 17

18 Zusatzinformation: Gewagte These: Die Politik und die Wissenschaft müssen die Bürger*innen mitnehmen. Und die müssen die Kommunen mitnehmen Wenn beide das gleiche Lernziel haben, könnten sie doch auch zusammen lernen. Viele hängen wie beim Schulwandertag weit zurück, manche sind aber ganz gut dabei. Bisweilen sind die Bürger*innen schon ein Stück voraus 18