ALLGEMEINE UND PFLANZENSOZIOLOGISCHE VEGETATIONSÖKOLOGIE (M.Biodiv.403)

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "ALLGEMEINE UND PFLANZENSOZIOLOGISCHE VEGETATIONSÖKOLOGIE (M.Biodiv.403)"

Transkript

1 Prof. Dr. Erwin Bergmeier Abteilung Vegetationsanalyse & Phytodiversität Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften Georg-August-Universität Göttingen ALLGEMEINE UND PFLANZENSOZIOLOGISCHE VEGETATIONSÖKOLOGIE (M.Biodiv.403) EINFÜHRUNG IN DIE VEGETATIONSÖKOLOGIE und SPEZIELLE VEGETATIONSÖKOLOGIE MITTELEUROPA (B.Biodiv.339) Folien zur Vorlesung können Sie unter Intern Benutzerkennwort und Passwort veganalyse herunterladen. WiSe 2015/16

2 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Therophytenreiche Pioniervegetation: Zwergbinsen- Gesellschaften Therophytenreiche Pioniervegetation: Ackerunkrautgesellschaften Küstenvegetation I: Dünen Küstenvegetation II: Salzwiesen Gesteinsschutt-, Felsspalten- und Mauerfugenvegetation Wasserpflanzengesellschaften I Wasserpflanzengesellschaften II; Röhrichte und Großseggenriede Quellfluren; Moore I Moore II; Trockene Zwergstrauch-Heiden und Borstgras-Rasen, Sandtrockenrasen Basenreiche Trockenrasen; Wirtschaftsgrünland I Wirtschaftsgrünland II, Gebüsche Laubwälder Nadelwälder

3 Gesteinsschuttvegetation Labiles Gleichgewicht zwischen Erosion und Vegetationsentwicklung aus Reisigl & Keller 1987 Frostbedingte Fließdynamik in alpinen, strukturierten Kalkschuttrasen

4 Gesteinsschuttvegetation Lebensraum Gesteinsschutt: Auswirkungen auf die Pflanzen Optionen für die Pflanzen Extreme mechanische Wurzelbeanspruchung Beschädigung und Überschüttung oberirdischer Pflanzenteile Regenerationsfähigkeit (Bildung von Ersatzwurzeln und -trieben) ausgeprägtes Wurzelsystem (Dimorphismus: Pfahlwurzel oder Rhizom und Feinwurzelsystem) Samen haben nur wenige Keimplätze Relative Trockenheit Reservestoffe Internodienstreckung (Keimlinge von 10 Tagen: 20 cm) hohe Samenproduktion

5 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Gesteinsschuttvegetation Sehr lockere Vegetation: deckt meist weniger als 5-10 % Lösungen ( Strategietypen ): Schuttwanderer Schuttüberkriecher Schuttstrecker Schuttdecker Schuttstauer Kriechtriebe durchspinnen den Schutt Triebe legen sich über den Schutt aufrechte kräftige Triebe wurzelnde Deckenpolster aus Kriechtrieben kräftige Triebbündel bilden Hindernisse

6 Schuttwanderer Gesteinsschuttvegetation Kriechtriebe, wachsen und bewurzeln sich im Schutt aus Reisigl & Keller 1987 Rumex scutatus

7 Gesteinsschuttvegetation Schuttwanderer Schuttüberkriecher Niederliegende beblätterte Triebe auf dem Schutt Linaria alpina

8 Gesteinsschuttvegetation Schuttwanderer Schuttüberkriecher Schuttstrecker Aufrechte, sich verlängernde robuste Triebe Cryptogramma crispa

9 Gesteinsschuttvegetation Schuttwanderer Schuttüberkriecher Schuttstrecker Schuttdecker Dichte Decken aus verzweigten wurzelnden Sprossen Dryas octopetala

10 Schuttwanderer Schuttüberkriecher Schuttstrecker Schuttdecker Schuttstauer Dichtes Feinwurzelwerk der Polster oder Triebbündel Gesteinsschuttvegetation Carex firma

11 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Gesteinsschuttvegetation Gesteinsschuttvegetation ist reich an Endemiten geogr. Isolation und edaphische Spezialisierung Viele endemische Arten Endemische Syntaxa aus Valachovič et al. 1997

12 Klasse: Thlaspietea rotundifolii - Steinschuttgesellschaften Ordnung 1: Androsacetalia alpinae Cryptogramma crispa, Ranunculus glacialis u.a. Hochmontane bis nivale Silikatschuttgesellschaften In den Alpen: Androsacion alpinae Ordnung 3: Stipetalia calamagrostis Gymnocarpium robertianum, Stipa calamagrostis u.a. Submontan-montane Kalkschuttgesellschaften In den Alpen und den Mittelgebirgen: Stipion calamagrostis Ordnung 2: Thlaspietalia rotundifolii Achillea atrata, Valeriana montana u.a. Hochmontane bis alpine Kalkschuttgesellschaften In den N-Alpen: Thlaspion rotundifolii (Kalkgrobschutt), Drabion hoppeanae (Kalkschieferschutt) und Petasition paradoxi (Kalkfeinschutt und Mergel) Ordnung 4: Galeopsietalia Epilobium collinum, Galeopsis angustifolia, G. segetum u.a. Submontan-montane Silikatschuttgesellschaften In den Alpen und den Herzynischen Mittelgebirgen: Galeopsion segetum

13 Klasse: Thlaspietea rotundifolii - Steinschuttgesellschaften Ordnung 5: Epilobietalia fleischeri - Eurosibirische Flussschottergesellschaften Epilobium fleischeri, Epilobium dodonaei, Calamagrostis pseudophragmites u.a. In den Alpen und Voralpen 1 Verband: Salicion incanae Der Tagliamento am Ausgang der Südalpen bei Gemona

14 Unterschiede zwischen zwei nah verwandten Epilobium-Arten auf Kalksteingeröll (Salicion incanae) Epilobium fleischeri Epilobium dodonaei

15 Unterschiede zwischen zwei nah verwandten Epilobium-Arten auf Kalksteingeröll (Salicion incanae) Epilobium fleischeri Epilobium dodonaei submediterran verbreitet (-1400) m in Deutschland auf Schotterbänken des Oberrheins In den Alpen verbreitet (-2700) m In Deutschland als Alpenschwemmling an Iller und Lech, in den Alpen auf Gletschervorländern

16 Wuchsformen von Kalkschotterpflanzen Epilobium dodonaei separate Pflanzen basal verzweigt ( strauchig ) Erneuerungsknospen nur am Hypokotyl ohne vegetative Ausbreitung Epilobium fleischeri Pflanzen ( Rameten ) durch Horizontalwurzeln verbunden lateral expandierend ( Guerilla - Strategie Erneuerungsknospen auch an den Wurzeln, damit aus Stöcklin 1999 zu vegetativer Ausbreitung befähigt

17 Wuchsformen von Kalkschotterpflanzen Epilobium dodonaei ohne vegetative Ausbreitung höheres Samengewicht weniger Samen Epilobium fleischeri zu vegetativer Ausbreitung befähigt (klonal) geringeres Samengewicht zahlreichere Samen aus Stöcklin 1999

18 Wuchsformen von Kalkschotterpflanzen Epilobium dodonaei auf Flussschottern ohne vegetative Ausbreitung; höheres Samengewicht; weniger Samen Investiert in die Etablierung der Nachkommen Epilobium fleischeri auf Gletschervorfeldern zu vegetativer Ausbreitung befähigt (klonal); geringeres Samengewicht; zahlreichere Samen Investiert in die Ausbreitung

19 Felsspaltenvegetation Überhang Steilhang Felssims Balme Felsfuß aus Davis 1951, J.Ecol.

20 Felsspaltenvegetation ist reich an Endemiten... weil Felsstandorte konkurrenzarm sind und die Standortbedingungen auch bei veränderten Klimabedingungen ± konstant bleiben (einmal etablierte Pflanzen sind sicher vor Konkurrenz und Weidetieren) Turland 2008

21 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Felsspaltenvegetation Welche Standortfaktoren bestimmen die Vegetation? Verwitterungsgrad, -form und -geschwindigkeit (Besiedelbarkeit) chemische Eigenschaften (Kalk, Silikat, Serpentin) Wasser- und Feinerdegehalt der Spaltenfüllungen

22 Kalkfelsspalten Silikatfelsspalten Spalten tiefreichend, wenig Feinerde, lehmig (Tonanteil) Spalten flacher, Substrat feinerdereicher, oft sandig

23 Klasse: Asplenietea trichomanis - Gesellschaften der Felsspalten und Mauerfugen Ordnung 1: Potentilletalia caulescentis Asplenium ruta-muraria u.a. Gesellschaften der Kalkfelsspalten und Mörtelfugen Ordnung 2: Androsacetalia vandelii Asplenium septentrionale u.a. Gesellschaften der Felsspalten in Silikat- und Serpentingebieten Verband 1: Potentillion caulescentis in trockenen Spalten Verband 3: Androsacion vandelii in Silikatfelsspalten Verband 2: Cystopteridion fragilis in feuchten Spalten Verband 4: Asplenion serpentini in Serpentinfelsspalten

24 Mauerfugenvegetation (= synanthrope Felshabitate ) Asplenium ruta-muraria Asplenium trichomanes, A. ceterach Foto: Bernd Haynold, Spessart Einige Asplenietea-Arten kommen auch an Mauern vor!

25 Mauerfugenvegetation Mauertypen... freistehende Mauer Hauswand Stützmauer Ufermauer... unterscheiden sich für Pflanzen in ihrer Wasserverfügbarkeit

26 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Mauerfugenvegetation Einfluss der Umgebung auf eine Mauer

27 Verwilderte Zierpflanzen in der Mauerfugenvegetation Erysimum cheiri - Goldlack Antirrhinum majus - Löwenmäulchen -

28 Allg. & Pflanzensoz. Vegetationsökologie WS 15/ Mauerfugenvegetation Welche Faktoren beeinflussen die Mauervegetation? Lage und Bauweise der Mauer Wasserkapazität Baustoff früher: schnell verwitternde Kalkmörtel; heute verwendete Mörtel verwittern langsamer; Arten der Silikatspaltenges. (Androsacetalia vandelii) nur in unvermörtelten Mauern oder in Lesesteinhaufen Alter Erstbesiedlung mit Asplenium ruta-muraria nach wenigen Jahren möglich, aber erst Jahrzehnte alte Mauern tragen gut entwickelte Asplenietea-Gesellschaften Mikroklima (expositionsabhängig) Einfluss der Umgebung ( Zufällige, Verwilderung von Zierpflanzen, zb Erysimum cheiri)

29 atlantisch subatlantisch Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gefälle in Zentraleuropa: Beispiele von Arealtypen mitteleuropäisch eurasischkontinental pontisch

30 Florenregionen zeigen Klimagradienten in Europa Nord-Süd- und West-Ost-Gradienten arktisch - mediterran Klimagradient Klimagradient ozeanisch - kontinental

31 arktisch - mediterran Klimagradient Klimagradient ozeanisch - kontinental

32 atlantisch 1 subatlantisch 2 Ozeanitätsgefälle in Zentraleuropa: Beispiele von Arealtypen und ihren Indikatorzahlen für Kontinentalität 4 mitteleuropäisch 5 eurasischkontinental 7 pontisch

33 Spektrum (Arealtypen) der Ozeanität/Kontinentalität der Gefäßpflanzen Deutschlands Indikatorzahlen für Kontinentalität 4 aus: Klotz et al. 2002

34 Mittlere Kontinentalitätszahl der MTB Deutschlands aus: Korsch 1999, Schriftenr. Vegetationskunde 30

35 Arealtypenspektren einiger Pflanzengesellschaften (in %) arktisch boreal eurasisch atlantisch A B C D E F A Submediterran geprägte Trespenwiesen des Oberrheintals (zb Kaiserstuhl) B Subkontinentale Adonisröschen- Fiederzwenkenwiesen (zb Garchinger Heide) subatlantisch mitteleuropäisch subkontinental eurasischkontinental pontisch praealpid C Mehlprimel-Kopfbinsen- Ried des Alpenvorlandes D Hochmoore Süddeutschlands E Calluna-Heiden Schleswig-Holsteins F Waldmeister-Buchenwald Nordwestdeutschlands alpin submediterran verändert nach Pfadenhauer 1993

36 Florenreiche der Erde aus: Dahlgren 1991

37 Florenreiche der Erde Holarktis - Florenaustausch von Teilgebieten noch in jüngerer Zeit - Kennzeichn. Taxa: Primulaceae, Apiaceae, Betulaceae, Aceraceae, Campanulaceae, Brassicaceae, Rosaceae - Kennzeichn. Vegetationstypen: aus: Nadelwälder, Dahlgren 1991 winterkahle Laubwälder, Tundra, Hochgebirge

38 Palaeotr. Pandanaceae + Dipterocarpaceae + Cactaceae + Bromeliaceae + Arecaceae (= Palmae) + + Piperaceae + + Zingiberaceae + + Myrtaceae + + Rhizophoraceae + + Neotr. Florenreiche der Erde Palaeotropis und Neotropis - keine Landverbindung seit 90 Mio. Jahren; die meisten Familien gemeinsam, doch viele Gattungen nur in P. oder N. - Kennzeichn. Vegetationstypen: verschied. Typen immergrüner Regenwälder, aus: Dahlgren tropische 1991 Savannen, Wüsten, Monsunwälder, Mangrovenwälder

39 Penaea mucronata Capensis Florenreiche der Erde - ca Phanerogamen (70 % endemisch) auf ca km², 5x so hohe Artendichte wie in D, 10x so hoch wie in Skandinavien - Kennzeichn. Taxa: Erica (520 A.), Pelargonium, Mesembryanthemum; Bruniaceae, Penaeaceae; Proteaceae - Kennzeichn. Vegetationstypen: Hartlaubvegetation, Halbwüstenvegetation aus: Dahlgren 1991 Brunia albiflora

40 Australis Florenreiche der Erde - hoher Endemitenanteil (> 80 %) - Kennzeichn. Taxa: Eucalyptus (> 500 A.), Casuarinaceae, Xanthorrhoeaceae (Grasbäume, holzige Monocotyle) - Kennzeichn. Vegetationstypen: Hartlaubvegetation und alles zwischen Wüste und Regenwald aus: Dahlgren 1991 Casuarina equisetifolia

41 Florenreiche Holantarktis der Erde - südliches Südamerika, antarktische Inseln - Kennzeichn. Taxa: Misodendraceae, manche Restionaceae (die Familie greift auf Südafrika, Australien und Andengebiet über) - Kennzeichn. Vegetationstypen: Tundrenvegetation mit endem. Gattungen, Wälder mit Nothofagus aus: Dahlgren 1991

42 Palaeotropisch Holarktisch Neotropisch Afrikanisch Indopazifisch Kapländisch Australisch Holantarktisch

43 Pantropisch Holarktisch Neotropisch Afrikanisch Indopazifisch Kapländisch Australisch Holantarktisch

44 Südlich- Extratropisch Holarktisch Neotropisch Afrikanisch Indopazifisch Kapländisch Australisch Holantarktisch zb Restionaceae

45 Bipolar- Extratropisch Holarktisch Neotropisch Afrikanisch Indopazifisch Kapländisch Australisch Holantarktisch zb Juncaceae, Fagaceae

46 Bipolar Carex canescens Martín-Bravo & Escodero 2009 Approximate distribution of bipolar Carex species: A) C. canescens; B) C. maritima; C) C. arctogena; D) C. macloviana; E) C. magellanica; F) C. microglochin.

47 Arealdynamik Korrelation der kontinentalen Verbreitungsgrenzen europäischer Waldbäume mit Klima-Grenzlinien aus: Frey & Lösch 2010

48 postglaziale Einwanderungsrichtung von Hasel (Corylus) nach Europa Arealdynamik Picea Quercus aus: Gliemeroth 1995