Wenn Familiengerichte das Jugendamt als Ermittlungsbehörde

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1 Trennungen vor Gericht: Wenn Familiengerichte das Jugendamt als E... /Trennungen-... WELT? TRENNUNGEN VOR GERICHT Wenn Familiengerichte das Jugendamt als Ermittlungsbehörde nutzen Stand: 12:53 Uhr Lesedauer: 5 Minuten Von Sabine Menkens Politik Redakteurin Quelle: Getty Images Im Streit um das Sorge und Umgangsrecht sollen die Gerichte eigentlich besonders schnell und gründlich vorgehen. Doch in der Praxis gelingt das nur selten, wie eine neue Fallstudie offenbart. Die Folgen für die Kinder sind oftmals verheerend. n der Theorie ist die Sache eigentlich klar. Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen, heißt es in Paragraf 155 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen (FamFG). Der Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens statt nden. Verfahren, in denen es um das Wohl und die Zukunft von Kindern geht, so die Intention des Gesetzgebers, dürfen nicht verschleppt werden. Gerade bei Umgangsstreitigkeiten nach Trennung (/politik/deutschland/a nt ic 1e /Tnennungs kinden-ab sage -an-das- Wechselmodell-als- Leitbild. html) und Scheidung soll so vermieden werden, dass die betroffenen Kinder im Kon ikt zerrieben werden. lvon5

2 Trennungen vor Gericht: Wenn Familiengerichte das Jugendamt als E... /Trennungen-... 2von5 Kind schaftsrecht. pdf) am Beispiel des Amtsgerichts Braunschweig zeigt. Anhand von 13 Fällen, bei denen beteiligte Elternteile Einsicht in sämtliche Prozessakten gewährt haben, belegen sie, dass das Prinzip der beschleunigten Verfahrensführung nur selten beachtet wird. Schon zu Beginn des Verfahrens würden mehr als die Hälfte der Fälle länger als zwei Monate verschleppt. Wurde ein Gutachten beantragt, habe die Verzögerungsquote nach dessen Vorlage sogar 100 Prozent betragen. Aber auch andere gesetzliche Normen wie die sogenannte Wohlverhaltensp icht der Eltern oder das gerichtliche Hinwirken auf elterliches Einvernehmen würden regelmäßig missachtet, beklagen die Verbände. Folge sei nicht selten ein teilweiser oder vollständiger Kontaktabbruch zu einem Elternteil und gravierende psychische Folgeschäden bei den betroffenen Kindern. Bei 71 Prozent der in der Erhebung betrachteten Trennungskinder sei nach dem Verfahren ein Therapiebedarf festgestellt worden. Die Hälfte habe keinen oder nur noch unvollständigen Kontakt zum anderen Elternteil. Erschreckend hohe Zahl therapiebedürftiger Kinder" Die Erhebung ist nicht repräsentativ. Dennoch glauben die Verbände, damit einen wichtigen Einblick in typische Verläufe hochstrittiger Sorgerechtsm- und Umgangsverfahren zu geben. Die erschreckend hohe Zahl therapiebedürftiger Kinder (/ polit ik/ deutsch land In der familiengerichtlichen Praxis allerdings wird diese Norm häu g verletzt, wie eine von dem Trennungselternverband Papa Mama Auch und drei weiteren Verbänden vorgelegte Fallstudie (file : ///Users/smenkens/Downloads/2023_Ber*icht - Erhebung- /p1u /trennung-mit-kindern-eine-toxische-situation-es-1iebt-ja-beide- Elter n. html) oder auch die hohen Kontakt-Abbruchquoten sind dramatisch, sagte die Erziehungswissenschaftlerin Charlotte Micheliegel von Papa Mama Auch. Kinder von streitenden Trennungseltern erlebten oft jahrelangen Dauerstress. Die Vielfalt der Problemstellungen erfordert schnelleres Handeln und mehr Zusammenarbeit von Jugendämtern, Familiengerichten und Beratungsstellen, orientiert am Kindeswohl und den gesetzlichen Vorgaben. Gute Eltern versuchten nach einer Trennung, den Weg über Anwälte und Familiengerichte zu vermeiden, so Michel Biegel. Wo dies nicht gelingt, beobachten sie und ihre Mitstreiter bei Papa Mama Auch allerdings immer wieder die Mechanismen, die auch in der

3 Trennungen vor Gericht: Wenn Familiengerichte das Jugendamt als E... Trennungen-... 3von5 Fallstudie geschildert werden: Eltern, die einander schlecht machen, auch vor dem Kind. Gutachter, die den Kontaktabbruch zu einem Elternteil gutheißen, um das Kind zur Ruhe kommen zu lassen. Jugendämter, die hil os die Waffen strecken, wenn Eltern nicht kooperieren. Und Verfahren, die sich ewig hinziehen und an deren Ende Eltern stehen, die sich resigniert zurückziehen, und Kinder, die so zermürbt sind, dass sie aus Selbstschutz den Kontakt zu einem Elternteil abbrechen. Für die strittigen Fälle, die vor Gericht gehen, ist die Erhebung insofern durchaus repräsentativ, sagt Michel Biegel. Es ist das, was ich täglich erlebe. Die Eltern, die ihre Akten für die Auswertung zur Verfügung gestellt haben, wollen anonym bleiben. Aber sie erzählen von dem Leid, das durch das familienrechtliche Verfahren über sie gekommen ist. Die Mutter etwa, die sich die Betreuung des zehnjährigen Sohnes nach der Trennung einvernehmlich hälftig mit dem Vater geteilt hatte bis ihr Exmann sich neu verliebt habe und den Sohn mit sich in die neue Wohnung in einen anderen Landkreis nehmen wollte. Mein Ex Mann hat ihn hinter meinem Rücken so lange bearbeitet, bis er zugestimmt hat. Er hat ein zweites Handy gekauft und die Nachrichten, die ich an meinen Sohn geschrieben habe, selbst beantwortet, sagt die Mutter. Sogar das Jugendamt und der Verfahrensbeistand haben gesagt, dass unser Sohn manipuliert worden ist. Trotzdem bekam der Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Dass sie ihren Sohn jetzt nur noch jedes zweite Wochenende zu sich holen dürfe, dass er sich ihr gegenüber zunehmend ablehnend verhalte, schmerzt die Mutter. Ich fühle mich ausgegrenzt und ohnmächtig. Immerhin aber kann sie ihren Sohn noch sehen. In vielen anderen Fällen komme es im Laufe des Verfahrens zu einem totalen Kontaktabbruch, sagt Ulf Hofes, Vorsitzender von Papa Mama auch. Er mahnte daher Gesetzesverschärfungen an. Zwar stehe vieles heute schon in den Gesetzen. Aber offenbar nicht klar und deutlich genug. Gerichte nutzen Jugendamt als Ermittler Im Kindschaftsrecht würden nahezu ächendeckend die Anforderungen der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung ignoriert, kritisierte der Hamburger Rechtsanwalt

4 Trennungen vor Gericht: Wenn Familiengerichte das Jugendamt als E... Trennungen-... 4von5 Matthias Bergmann in seiner Stellungnahme zu der Erhebung. Richter delegieren häu g nicht nur juristische Fragestellungen an Gutachter, sondern überlassen Gutachtern auch die Befragung aller möglicher Dritter. Statt unmittelbarer Zeugenbefragung nutzten viele Familiengerichte das Jugendamt oder Verfahrensbeistände als Ermittlungsbehörde des Gerichtes. So kommt es dazu, dass Verfahrensbeistände von Gesprächen mit Kindergärtnerinnen, Lehrern und sonstigen Dritten berichten, ohne dass diese Personen durch das Gericht direkt angehört werden. Zudem seien viele Richter und Anwälte häu g nicht spezialisiert genug für das Kindschaftsrecht ausgebildet. Eine umfassende Qualitäts- und Erfolgskontrolle mit bundesweiter und systematischer Datenerhebung wäre dringend geboten, um die rechtliche Qualität der Verfahren und ihre Erfolge für das Wohl der Kinder zu prüfen. Dass in familiengerichtlichen Verfahren einiges im Argen liegt, hat man auch im Justizministerium erkannt. Mit dem 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sind bereits einige Änderungen im Gerichtsverfahrensgesetz in Kraft getreten. Insbesondere wurde dabei festgeschrieben, dass Familienrichter und Verfahrensbeistände für Kinder fachlich besonders für diese Aufgabe qualifiziert sein müssen und die Gerichte verp ichtet werden, die betroffenen Kinder anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen. Eine Expertenanhörung im Bundestags Rechtsausschuss (/politik/deutschland /ar tic1e /justiz-wenn - Familien richter- keine-ahnung-haben. html) hatte zuvor erschreckende Qualitätsde zite in familiengerichtlichen Verfahren offenbart. Man sei zuversichtlich, dass die Änderungen im familiengerichtlichen Verfahren zu deutlichen Verbesserungen führen, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Gerade die besonderen Quali kationsanforderungen für Familienrichterinnen und richter dürften sicherstellen, dass Familienrichterinnen und richter künftig von Anfang an noch besser für ihre verantwortungsvolle Aufgabe gerüstet sind. Statistiken zeigten zudem, dass die Verfahrensdauer von familiengerichtlichen Verfahren vor den Amtsgerichten seit deutlich gesunken sei von durchschnittlich acht Monaten 2008 auf durchschnittlich 6,3 Monate 2021.

5 Trennungen vor Gericht: Wenn Familiengerichte das Jugendamt als E. Trennungen. 5V0n5 Die WELT als epaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung so sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: Der Kurz Link dieses Artikels lautet: de/