2/2010 image-hifi.com 35

Transkript

1 34 image-hifi.com 2/2010

2 2/2010 image-hifi.com 35

3 Lautsprecher Kiso Acoustic HB-1 Heiliges Tonholz! Um eine waschechte Takamine standesgemäß erklingen zu lassen, muss man ab sofort kein begnadeter Gitarrist mehr sein Mal ehrlich, wer braucht denn schon ein Schnittmodell? Wer will denn tatsächlich sehen, wie es im Inneren eines Lautsprechers aussieht? Und überhaupt in einem so winzigen Böxchen ist doch ohnehin kein Platz für irgendetwas Aufregendes Das Schnittmodell der Kiso Acoustic HB-1 habe ich mit Kusshand entgegengenommen. Seit ein paar Wochen steht es direkt neben meinem Schreibtisch und demonstriert offenherzig, wie es möglich ist, aus einem derart kleinen Gehäuse nicht die üblichen zweieinhalb oder drei, sondern stattliche sechs Liter Innenvolumen herauszuholen: mit höchster Handwerkskunst nämlich. Das Schnittmodell zeigt extrem dünne, aber hochstabile Wandungen und raffinierte Fertigungsdetails, wie sie nur dem gesammelten Know-how wahrer Meister entspringen können. Tatsächlich ist die Kiso HB-1 dem Können von Spezialisten zu verdanken. Diese hatten zuvor überhaupt nichts mit HiFi, sondern mit der Fertigung von Weltklasse-Gitarren zu tun. Ladies and gentlemen (and audiophiles) welcome to Takamine Guitars, one of the leading guitar makers of the world. Querverbindungen zwischen Lautsprecher- und Instrumentenherstellern sind nichts wirklich Neues, man denke an Hans Deutsch/Bösendor- fer, ganz aktuell Voxativ/Schimmel oder quasi konzernintern und kaum je spürbar Yamaha/Yamaha. Alle Jahre wieder werden neue Kooperationen dieser und ähnlicher Art bekanntgegeben, mit Schwung wird dann das eine oder andere Konstruktionsdetail ins neue, vermeintlich musikalische Licht gesetzt wohlgemerkt: Detail. Äußerst selten bekennt sich heutzutage ein HiFi-Entwickler dazu, dass für die Entwick- lung eines neuen Schallwandlers ein Musikinstrument Pate gestanden oder wenigstens konkrete Orientierung gegeben hätte. HiFi und Musikinstrumente? Zwei Welten mit nur sehr kleiner Schnittmenge. Nicht so für Toru Hara. Aber der Mann ist ja auch kein Lautsprecherentwickler, erst recht keiner der jüngeren HiFi-Schule. Man sollte sich Toru Hara im Hauptberuf übrigens Bauingenieur vorstellen als Mann 36 image-hifi.com 2/2010

4 mit allergrößter Begeisterung für die Musik, der mit großen Ideen und großem Vermögen ein highfideles Ideal verfolgt, das, vereinfacht ausgedrückt, das Beste aus vermeintlich verschiedenen Welten vereint: die Quintessenz aus High Fidelity, Live- Musik-Erfahrungen und Musikinstrumentenbau. Aus diesem Grund hat Hara-san, in engem Teamwork mit ausgesuchten Experten, Kiso Acoustic aus der Taufe gehoben und die HB-1 erschaffen. Weltpremiere feierte dieser höchst ungewöhnliche Lautsprecher übrigens auf der Hifideluxe 2009 (und ich kam, sah und war begeistert). Nun ließe sich natürlich trefflich diskutieren, ob ein idealer Lautsprecher nicht ganz grundsätzlich ein bisschen größer ausfallen sollte; als praktizierender Bassist bin ich in diesem Punkt durchaus belastbar. Doch man unterschätze nicht den enormen Fundus, aus dem Toru Hara sein Ideal destilliert hat. Er weiß ganz genau, wovon er spricht, wovon er träumt, was er will und natürlich auch, was genau er da mit der Kiso HB-1 erschaffen hat. Jeden Tag ein neues fantastisches Detail: Korpus-Schnittmodell der HB-1 zum Streicheln, Schauen und Liebhaben In Japan genießt Hara-san den Ruf eines absolut Audiophilen, dessen Leben sich in erster, zweiter und dritter Linie um Musik, Musik, Musik dreht, und zwar in genau dieser Reihenfolge. So ist Toru Hara nicht nur ein überaus aktiver und regelmäßiger Konzertbesucher, sondern seit Jahrzehnten auch an audiophilen Live- Aufnahmen beteiligt, genießt hohes Ansehen bei Künstlern und Aufnahmeteams gleichermaßen, pflegt enge Kontakte tief in die professionelle Musikszene hinein. Zudem, so wird kolportiert, besitzt er sprichwörtlich tonnenweise High-End-Audioequipment, vor dem sich regelmäßig Japans Audio-Experten zum Referenzhören versammeln. Man darf Toru Hara daher getrost eine profunde Kennerschaft HiFi-historischer, aber auch neuester High-End-Gerätschaften unterstellen sowie allerbeste Verbindungen zu wichtigen Entscheidern der musikalischen, audiophilen und auch instrumentalen Branche. Irgendwann ist Hara-san klar geworden, dass all die tollen Errungenschaften moderner High-End-Technologien deren Vorteile er zweifellos sehr zu schätzen weiß nicht notwendigerweise mehr Musik und Emotionen transportieren als gewisse HiFi-Klassiker. Insbesondere ältere Lautsprecherlegenden, fast immer mit recht dünnen und vergleichsweise mitschwinglustigen Gehäusewänden ausgestattet, schienen ihm des Öfteren näher an der Musik zu sein als die radikal bedämpften, resonanzminimierten Messwert-Musterknaben der Neuzeit. Das gab Herrn Hara ebenso zu denken wie eine scheinbar völlig andere Beobachtung. So fielen ihm immer wieder Gitarren auf, de- 2/2010 image-hifi.com 37

5 Lautsprecher Kiso Acoustic HB-1 ren Klangvermögen und Ansprache ihn stets aufs Neue begeisterten, akustische Instrumente, die auffallend größer und voluminöser klangen, als ihre moderaten Maße vermuten lassen: Takamine. Ein interessanter Weg eröffnete sich plötzlich für Toru Hara, seinen Traum zu verwirklichen. Er würde die Vorteile dreier Genres miteinander verquicken: den unwiderstehlichen Charme ausgesuchter HiFi- Klassiker, die nahezu grenzenlose Klarheit neuzeitlicher High-End- Hightech-Maschinen plus die emotionale Unmittelbarkeit exquisiter Musikinstrumente. All das wollte er in einem kleinen Lautsprecher zusammenführen, der es den Großen dann mal so richtig zeigt Sie meinen, das sei doch die geradezu prototypische Vision eines vollbeschleunigten Highenders? Stimmt genau! Deutschland-Distributor Thomas Fast nennt den Kiso-Chef voller Respekt und nicht ohne Grund the unstoppable man Also hat Toru Hara für die HB-1 eine enge, synergetische Kooperation von ausgewiesenen Spezialisten für Treibertechnik, Frequenzweichendesign und Korpuskonstruktion eingefädelt. Und mit dem Wissen von Takamine um eine optimal homogene, dynamische, energiereiche Klangentfaltung entstand dann dieses einzigartige Nonplusultra-Lautsprechergehäuse, das selbstverständlich an den Innenaufbau einer Gitarre erinnert. Mittlerweile haben sich drei Spezialisten bei Takamine Guitars qualifiziert, Kiso HB-1 fertigen zu dürfen. Man kann es einfach nicht oft genug betonen: Das fantastische Gehäuse der HB-1 wurde nicht nur bei Takamine Guitars konzipiert, es Beruhigt: Einzig die Frequenzweiche im Massivholzsockel ist bedämpft. Dieser besteht, wie auch Schallwand und Gehäuseboden, aus wertvollem Tonholz wird dort auch komplett gefertigt. Von exakt den gleichen Leuten, die sonst in teurer Handarbeit noble Sechssaiter bauen. (Wie so etwas aussehen kann, zeigt das Takamine- Sondermodell Grand Ole Opry ausschnittsweise in unserem Aufmacherbild. Dank hierfür geht an Station Music in Jettingen-Scheppach.) Völlig klar, dass sich das in einem saftigen Preis niederschlagen muss. Umsonst gibt es, bei aller professionellen Freundschaft, natürlich nichts, jedes Detail kostet extra. Und es sind verdammt viele Details für diese Kompromisslosigkeit nötig. Wagen wir einen intensiven Blick auf und in die Konstruktion. Die Kiso HB-1 kommt de facto ohne Dämmstoff aus. Man möchte der optimalen Klangentfaltung keine unnötigen Hindernisse in den Weg stellen (zumindest gilt das fürs klangrelevante Gehäusevolumen mitsamt Reflexkanal; die Frequenzweiche in ihrer separaten Basiskammer wird sehr wohl ruhig gestellt). Eine Gitarre hat schließlich auch keinen bedämpften, sondern einen resonanzoptimierten, breitbandig unterstützenden Hohlkorpus. Einfach grandios ist diese unglaublich dünne, gleichwohl stabile Gehäusewandung, die Top und Rücken in elegantem Schwung vereint und im Inneren, an den Übergängen zu den nichtparallelen, definiert vorgespannten Seitenteilen durch fein eingefräste Massivholzbänder verstärkt wird. Auf den Seitenwänden finden wir aufmontierte Resonanzsperrungen aus individuell zulaufenden Holzstäben, deren Position und Formgebung keinem Zufallsprinzip, sondern klassischer Gitarrenbaukunst entspringt. Tatsächlich massiv ist die Schall- 38 image-hifi.com 2/2010

6 wand aus wertvollem Ahorn-Tonholz, darin ein perfekt eingepasstes, speziell poliertes Ebenholz-Hörnchen für den Hochtöner. Im Inneren sind Feinbuchsen zur Treibermontage eingelassen, die auch in der ebenfalls massiven Bodenplatte zu finden sind. Auffällig ist dort ein gerundeter Reflexöffnungsmund aus Holz, der den Übergang zur massiven Ahornbasis bildet, ein weiteres Vorzeigestück feinster Tonholzbearbeitung. Die vergleichsweise schwere, später schwarz lackierte Basis ist ein dreidimensional bearbeiteter, praktisch nirgendwo rechtwinkliger Ahornblock, der den Reflexkanal fast hätte ich Schallloch gesagt dynamisch geformt nach vorn hinausführt. Ein xxx Mitspieler Laufwerke: Audio Note TT-3 Reference Mk II, Consequence Audio Charade Tonarme: Audio Note AN-1s, Consequence Audio Mancini Tonabnehmer: Audio Note IO Ltd., Ortofon Valencia Übertrager: Audio Note S9, Consequence Audio Phonoentzerrer: Brocksieper Phonomax Silver SE, EAR 834P CD-Player: DynaStation 2.5, Philips CD104 modified by Roman Gross, Marantz SA-KI Pearl und SA-11S1 D/A-Wandler: Audio Note DAC 3.1 Bal. Vorverstärker: Ayre KX-R, Shindo Monbrison Endverstärker: Audio Note P2SE, Ayre MX-R Vollverstärker: Avantgarde Acoustic Model 3, Dartzeel CTH-8550, Marantz PM-KI Pearl Kabel: A23, Audio Note, BiG, Crimson, DNM, DynaLink, Dynamikks, Furukawa, HMS, Kiso, Sun Wire, Voodoo Cable Aufstellung: Finite Elemente Pagode, LignoLab TT100, Die Bank von Norbert Gütte, Sound Mechanics Raumakustik: Fast Audio, Harmonix RFA-7800 Zubehör: Stillpoints, Gretsch G6022E Rancher Acoustic/Electric xxxx ausgefrästes Fach auf der Unterseite beherbergt die Frequenzweiche, auf seiner Rückseite passt sich das Anschlussterminal ein. Ach, ich bin richtig verliebt in diese Schnittmodell, Teil 2: Der massive Sockel aus Ahorn-Tonholz umfasst die dreidimensional herausmodellierte Reflexöffnung und führt den Schall dynamisch bis zur Front heraus highfidele Schallwandler-Miniatur. Leider fordert der Distributor das Schnittmodell schon übermorgen wieder zurück. Der Jammer wird groß sein. Zum Glück bleibt mir das eingespielte Musterpärchen. Darüber könnte ich einem neugierigen Gast, um nicht vorab zu viel zu verraten, erst einmal eine gute Platte vorspielen, ganz einfach Musik sprechen lassen. So ließe sich prima eine wortreiche Erklärung einsparen, warum zwei dieser winzigen Lautsprecher ungefähr so viel kosten wie der mechanische Chronograph am Arm des Gastes. Oder die Ohrringe von Tante Candy. Oder der Kleinwagen zum Abitur der Tochter Der Grundpreis für die Ausführung in Mahagoni lässt sich übrigens noch beträchtlich nach oben treiben. Neben Ahorn bietet Kiso eine Version aus Hawaiian Koa an, das auch als Heiliges Holz kursiert und in gewissen (Musiker-)Kreisen einen entsprechenden Ruf genießt. Elementar ist auch ein adäquates Stativ für die HB-1. Ob es aber unbedingt das maßgeschneiderte, irrwitzig teure Acoustic-Revive-Modell sein muss? Es lohnt selbstverständlich, den nicht allzu wirkungsgradstarken 2/2010 image-hifi.com 39

7 Lautsprecher Kiso Acoustic HB-1 Böxchen 85 Dezibel und 8 Ohm als griffige Eckdaten hochklassige, potente Elektronik zur Seite zu stellen. Mit ausreichend Nachdruck und Autorität umsorgt, spielen sie so putzmunter drauflos, so unerschrocken und überaus exakt auf den Punkt, dass der akustische Erstkontakt den einen oder anderen unverschämten Fragesteller unvermittelt ins Sofa drücken könnte. Wenigstens aber sind große Augen und hochgezogene Brauen garantiert: Wie um alles in der Welt kann ein großes Orchester so unverschämt locker aufspielen, sich so mühelos von den süßen kleinen Böxchen lösen? Wir konstatieren: Die Kiso HB-1 ist ganz grundsätzlich kein Spielzeug, sondern ein ganz ernsthaftes Musikinstrument, dessen ungewöhnlicher Hintergrund sich dem Kenner subtil, aber unmittelbar erschließt. Klangfarbenreichtum, Klarheit und dreidimensionale Bühnendarstellung sind exemplarisch. Die Empfehlung von Kiso Acoustic, die HB-1 eher sehr weit auseinander zu positionieren, belohnt die kleine Japanerin mit einer herrlich großzügig aufgespannten, bestens ausgeleuchteten und mit klar fokussierten Akteuren besetzten Bühne. Ein sonst durchaus übliches Besetzungsloch in der Stereomitte einer allzu breiten Wohnzimmerbühne gibt es mit ihr schlichtweg nicht. Ebenso wenig ein akustisches Kippmoment zu einer Seite hin. Und immer wieder erlebe ich mit der Kiso HB-1 die perfekte Loslösung des Schalls von seiner Quelle. Selbstverständlich ist die winzige Japanerin (das Grundgehäuse passt beinahe auf eine image hifi-seite liegend!) kein discothekentaugliches Tieftonmonster. Für die subsonische Darstellung tektonischer Erdplatten- Gut und teuer: Die Acoustic-Revive- Stative passen perfekt bewegungen sind andere, weniger juwelenhafte Kollegen zuständig. Dennoch sprengt sie gerne Grenzen der Vorstellung, zu welch fundamentalen Leistungen ein wirklich kleiner Schallwandler in der Lage sein kann ohne den sonst üblichen Kompromiss, Tiefgang gegen Temperament einzutauschen. Verblüffend locker stellt sie auch abgründige Percusxxxx sionattacken in den Raum, lässt sich vom voll besetzten Sinfonieorchester nicht aus dem Tritt bringen, bewahrt auch bei Blixa Bargelds hinterhältigen Geräuschcollagen jederzeit die Contenance, folgt jedem Impuls, jeder Musik mit einer derartigen Selbstverständlichkeit und Homogenität, dass ich schon sehr lange nachdenken muss, ob ich jemals einen vergleichbaren Kompaktlautsprecher erlebt habe. Ensemble, Verity Audio, Super-B&W, Vollaktiv-Linn, ProAc? Fast alle sind erheblich größer, konventioneller sowieso. Nein, die temperamentvolle, musikalisch unglaublich talentierte und vollkommen einzigartige Kiso Acoustic HB-1 markiert für mich den Gipfel highfideler Maßschneiderei: flink, schlank und irrwitzig exakt, unerschrocken und konturenstark, für große Aufgaben qualifiziert und bei allem Klangvolumen übrigens auch ziemlich laut, wenn s denn sein soll. Takamine lässt herzlich grüßen. Autor: Cai Brockmann Fotografie: Rolf Winter Lautsprecher Kiso Acoustic HB-1 Funktionsprinzip: 2-Wege-Kompaktlautsprecher, Reflex Nennimpedanz: 8 Ω Wirkungsgrad: 85 db/w/m Bestückung: 10-cm-Tiefmitteltöner, 17-mm-Hochtonhorn Besonderheiten: unbedämpftes Gehäuse aus 2,5 mm starkem, gebogenem Massivholz; 3,5 mm starke, nicht parallele Seitenwände mit Verstrebungen; massive Ahornbasis mit eingefrästem Reflexkanal und Kammer für Frequenzweiche; massive Schallwand aus Ahorn, poliertes Hochtonhorn aus Ebenholz, Fertigung bei Takamine Guitars Optionen: passende Stative von Acoustic Revive (4400 Euro/Paar), Korpus-Ausführungen: Mahagoni, optional gegen Aufpreis: Ahorn ( Euro), Hawaiian Koa ( Euro) Maße (B/H/T): 14,8/31,7/22,1 cm Gewicht: 5 kg Garantiezeit: 5 Jahre Paarpreis: ab Euro Kontakt: Fast Audio, Thomas Fast, Brählesgasse 21, Stuttgart, xxxx 40 image-hifi.com 2/2010