Abschlussbericht des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften

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1 Abschlussbericht des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Abschlussbericht des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften

2 Abschlussbericht des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften

3 Editorial für das Darstellungsheft des NRW-Forschungsverbundes Der nordrhein-westfälische Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften legt mit diesem Abschlussbericht einen ausführlichen Überblick über die Forschungsaktivitäten der zweiten Förderphase des gemeinsamen Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften des BMBF und des VDR vor und vermittelt zudem einen Überblick über den Stand der laufenden Projekte im Forschungsverbund. Der vorliegende Band wendet sich an einen recht heterogenen Adressatenkreis: Zunächst wollen und müssen wir unseren Förderern Rechenschaft darüber ablegen, was der nordrhein-westfälische Forschungsbund mit den ihm anvertrauten Geldern geleistet hat. Darüber hinaus sollen wissenschaftlich fundierte Impulse für die Entscheidungsträger im Rehabilitationsgeschehen gegeben werden. Nicht zuletzt soll die Darstellung unserer Forschungsaktivitäten allerdings auch dazu dienen, die Ergebnisse im wissenschaftlichen Diskurs zu distribuieren und so ggf. zu fruchtbaren Zusammenarbeiten mit anderen Arbeitsgruppen führen. Die unterschiedlichen Zielgruppen haben selbstverständlich jeweils andere Anforderungsprofile für die Erstellung eines derartigen Berichtsbandes, die nicht ganz leicht zu erfüllen sind. Einerseits besteht großes Interesse, dass wissenschaftliche Ergebnisse allgemein verständlich, insbesondere im Hinblick auf ihre Umsetzung auch plakativ dargestellt werden, andererseits möchte man den wissenschaftlichen Anspruch in der Ergebnisdarstellung letztendlich nicht zu sehr zurückstellen. Wir sind dennoch zuversichtlich, dass es mit dem vorliegenden Band gelungen ist, diesen Spagat erfolgreich zu absolvieren. Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse und noch laufenden Projekte decken ein breites Spektrum rehabilitationswissenschaftlicher Forschung ab. Daraus ergeben sich viele unterschiedliche und sehr interessante Aspekte für die klinische Praxis, die Entscheidungsträger und die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Der nordrhein-westfälische Forschungsverbund möchte allen aktiven Forschern für ihr Engagement, allen Donoren und den beteiligten Verwaltungen auf Bundes- und regionaler Ebene für ihre Unterstützung danken. Ein besonderer Dank gilt dem jüngst in den Ruhestand getretenen Vorstandsmitglied Hans Gerwinn, der durch sein Wirken in und außerhalb des Forschungsverbundes einen entscheidenden Anteil an der Etablierung der Rehaforschung in NRW trägt. Ferner dankt der Verbund dem ebenfalls in den Ruhestand getretenen Mitglied der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, Herrn Klaus Schulte, für seinen unermüdlichen Einsatz zugunsten der Rehaforschung in NRW. Nicht zuletzt gilt unser Dank den zahlreichen beteiligten Reha-Einrichtungen bzw. dem dort tätigen Personal sowie den unzähligen Patientinnen und Patienten für ihre Kooperation, ohne die unsere Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Wir hoffen, dass dieser Band dazu beiträgt, die Rehabilitationswissenschaften weiter zu verbreiten und in Nordrhein-Westfalen in einer Forschungstradition zu festigen. Für den Vorstand Prof. Dr. B. Greitemann Sprecher Dr. Thomas Schott Stellv. Sprecher

4 Inhaltsverzeichnis Editorial Inhaltsverzeichnis Inhaltliche und strukturelle Entwicklung des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften (Greitemann, Schott, Wilking) 5 Eigene Projekte PWII/4 Zielorientierte Beratung zur Rückkehr zur Arbeit von Patienten der kardiologischen Rehabilitation (ZOBRA) (Samkange-Zeeb, Schott) PWII/6 Screening auf Rehabilitationsbedarf - effektiv und ökonomisch? (Pollmann, Wild) 21 PWII/8 Prävention und Therapie traumaassoziierter psychischer Störungen von Unfallopfern in der Rehabilitation (Heuft, Lange) PWII/9 Subjektive Patientenkonzepte und Rehabilitationspraxis in der kardiologischen Rehabilitation (SPUR) (Leppin, Altenhöner, Grande, Mannebach) 8 8 RQII/1 Vergleich onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen und strukturen in Ländern der Europäischen Gemeinschaft (Delbrück, Witte) 47 RQII/3 Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation Qualitätskonzepte von Patienten, Medizinern und Sozialdienstmitarbeitern (Grande, Romppel) 57 RQII/4 Bedarfsorientierte Entwicklung, Integration und Evaluation psychosozialer Fortbildung für die Rehabilitation (Mariolakou, Muthny) 69 RQII/5 Reform und Perspektiven des Leistungsrechts im gegliederten Rehabilitationssystem (Schnapp, Cravotta) 78 G2 Methodenberatung, Methodenkoordination, Instrumentenentwicklung und projektübergreifende Evaluation (Muthny, Mangold, Ostendorp) 87 Das Integrierte Orthopädisch-Psychosomatische Konzept der Klinik Münsterland (IOPKO) Umsetzung, Replikation und Transfer (Fröhlich, Niemeyer, Greitemann) 97 Diagnostik von Reha-Motivation - Entwicklung eines mehrdimensionalen Messverfahrens für die Rehabilitationswissenschaft und Praxis (Muthny, Fiedler) 02 Die Entwicklung eines Prozessdokumentationssystems für den Routineeinsatz in der stationären medizinischen Rehabilitation (RehaProDok) (Jäckel, Greitemann, Meixner, Kalwa) 111 Assoziierte Projekte Methodenzentrum Bielefeld (Berg, Kutschmann) Integriertes Orthopädisch-Psychosomatisches Konzept (IOPKO) - Konzept und Ergebnisse (Dibbelt, Büschel, Greitemann) Entwicklung einer Indikatorenliste zur sozialmedizinischen Beurteilung der Reintegrationsprognose und der Rehabilitationsbedürftigkeit bei Rentenantragstellern mit psychischen Erkrankungen (IREPRO) (Hesse, Gebauer) 5 4

5 Leitlinie zur medizinischen Rehabilitation von Patientinnen und Patienten nach lumbaler Bandscheibenoperation (Fischer, Schnabel, Sewtz) 47 Fahreignung nach neurologischen Erkrankungen: Quantitative Analyse unter Berücksichtigung der beruflichen Reintegrationsperspektive (Karbe, Jacobs, Küst) 157 Diagnostik von Arbeitsmotivation bei Rehabilitationspatienten Entwicklung und Evaluation eines Assessmentinstrumentes (Fiedler, Ranft, Greitemann, Heuft) Evaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge der Deutschen Rentenversicherung Westfalen (PRN) (Heuer, Hesse, Gebauer) Stellenwert der Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen in der sozialmedizinischen Beurteilung stationärer orthopädischer Reha-Patienten (EFL) (Büschel, Schaidhammer, Greitemann) Förderung zerebraler Plastizität durch das Spiegeltraining Evaluierung eines neuen Therapieansatzes für die neurologische Rehabilitation (Dohle, Püllen, Nakaten, Küst, Rietz, Karbe) Optimierung der Intensitätssteuerung des Ergometertrainings in der kardiologischen Rehabilitation (OpErgo) (Mayer-Berger, Kohlmeyer, Bjarnason-Wehrens) Sekundärprävention bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit durch Anschlussheilbehandlung und anschließender konzeptintegrierter Nachsorge (SeKoNa) (Kohlmeyer, Mayer-Berger) Sozialmedizinische und prognostische Wertigkeit der Spiroergometrie bei Patienten mit hochgradig reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (SEEK) (Mayer-Berger, Bassenge, Grodzinski) Qualitätssicherung der Arzt-Patient-Interaktion in der stationären medizinischen Rehabilitation (PAINT) (Dibbelt, Schaidhammer, Greitemann) Erfassung von Aktivitätseinschränkungen und Teilhabestörungen bei Diabetes durch die Betroffenen zur Einschätzung ihres Rehabedarfs (Zillessen, Pollmann, Barth) Integration der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in die orthopädische Rehabilitation (TCM) (Kühn, Fischer) Der Einfluss von Bindung auf das Ergebnis stationärer psychosomatischer Rehabilitation (Damke, Koechel) Leitlinienentwicklung (Asthma) und Evaluation des Leitlinieneinsatzes (COPD) in der Pneumologischen Rehabilitation (Fischer, Schnabel, Sewtz) Evaluation eines Nachsorgeprogramms zum Nichtrauchertraining in der stationären Rehabilitation (NRT) (Resler, Labrenz) Schlagwortverzeichnis (Index)

6 Inhaltliche und strukturelle Entwicklung des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Der nordrhein-westfälische Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften besteht aus einem Verbund forschender Rehabilitationseinrichtungen, Universitäten und Kostenträgern. Das Entscheidungsgremium des Verbundes ist die Mitgliederversammlung, welches einen Vorstand wählt, der die geschäftlichen Abwicklungen des Verbundes organisiert. Unterstützt wird der Vorstand hierbei durch das Netzwerksekretariat und einen wissenschaftlichen Beirat. Förderung erfährt der Verbund durch die Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen e.v. (GfR), einen Verein, der maßgeblich getragen wird von den drei großen in Nordrhein-Westfalen ansässigen Rehabilitationsträgern (DRV Rheinland, DRV Westfalen und DRV Knappschaft-Bahn-See) sowie weiteren Donoren aus dem Bereich privater Rehabilitationseinrichtungen und der Berufsgenossenschaften. Die enge Verzahnung zwischen klinischen Forschungsinteressen im Sinne der Basisforschung und universitären Forschungen speziell auf dem Gebiet der Versorgungsforschung hat zu einem fruchtbaren Austausch zwischen Kliniken und Wissenschaftlern in der gewachsenen Infrastruktur des Verbundes geführt. Unterstützt wird die Arbeit des nordrhein-westfälischen Rehabilitationsforschungsverbundes durch die beiden großen trägereigenen Forschungsvereine, refonet auf der Seite der DRV Rheinland, Verein für Rehabilitationsforschung Norderney (VFR) auf der Seite der DRV Westfalen. Tabelle 1: Organigramm des NRW-Verbundes Organigramm des NRW-Verbundes NRW-Forschungsverbund Rehawissenschaften Zukunftsstrategien für die Rehabilitation Sprecher Stellvertreter GfR Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein- Westfalen e.v. Wissenschaftlicher Beirat Projektbereich A Prädiktoren und Wirksamkeit Vorstand Mitglieder Projektbereich B Reha-System und Qual.-Managem. Geschäftsstelle Methodenzentren Assoziierte Projekte Im bisherigen Vorstand besteht eine enge Verbundenheit zwischen Kliniken/Universitäten/Kostenträgern durch Aufteilung der Vorstandssitze. 14. Rehawiss. Kolloquium Geschäftsstelle/Netzwerk-Sekretariat Während der Förderung des Verbundes durch das BMBF und den VDR im Rahmen des Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften ( ) war die Geschäftsstelle des nordrheinwestfälischen Forschungsverbundes die erste organisatorische Anlaufstelle. Hier wurden telefonische Auskünfte beantwortet, hier wurden Antragsteller in der Bearbeitung der Forschungsanträge unterstützt, die Geschäftsstelle war zentrales Kommunikationsfeld und Informationsbörse für den Verbund. Aufgabe der Geschäftsstelle war zudem die komplette Abwicklung organisatorischer Abläufe, die Unterstützung des Vorstandes und die Organisation der jährlich stattfindenden wissenschaftlichen Tagungen und Mitgliederversammlungen. Geführt wurde die Geschäftsstelle von Herrn Peter Wilking, DRV Westfalen. 5

7 Seit 2005 hat das von der GfR eingerichtete Netzwerk-Sekretariat unter der Leitung von Prof. Greitemann und Dr. Pollmann die Aufgaben des Verbundes übernommen. Im Netzwerk-Sekretariat übernimmt Herr Wilking weiterhin die Aufgaben des wissenschaftlichen Geschäftsführers des Verbundes. 2. Institutionelle Methodenberatung Der NRW-Verbund Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen unterstützte die forschenden Mitglieder bis 2004 durch eine institutionelle Methodenberatung mit zwei Methodenzentren, die an den Universitäten Bielefeld und Münster angesiedelt sind. Seit dem Jahr 2005 erfolgt die Methodenberatung ausschließlich durch das Methodenzentrum Bielefeld, das an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften bei der Arbeitsgruppe Epidemiologie und International Public Health (Leitung: Prof. Dr. Oliver Razum) angesiedelt ist und verantwortlich von Juniorprofessorin Dr. Berg und Dr. Kutschmann betrieben wird. Zielsetzung der Methodenberatung ist: die Gewährleistung der methodischen Qualität der beteiligten Studien, die Beratung und Unterstützung der Projekte, speziell der Kliniker, Datenaggregation und Weiterentwicklung von Assessmentverfahren, Kontaktpflege und Erfahrungsaustausch mit Methodenberatungszentren anderer Forschungsverbünde. Im Rahmen der Methodenberatung erfolgten Methodenworkshops bzw. Fortbildungskurse für die Verbundmitglieder und interessierte Mitarbeiter der assoziierten Reha-Kliniken. Ziel dieser Kurse ist die Verbesserung der methodologischen Qualität bei der Antragstellung und der Projektdurchführung, um frühzeitig eine gesicherte statistische Basis der rehabilitationsbezogenen Forschung zu gewährleisten. Folgende Veranstaltungen fanden statt: Tabelle 2: Methodenberatungsworkshops Nr. Datum Thema, Ort WS Variablen und Instrumente, Erhebungs-Schnittmenge im Verbund, Münster WS Messkonzepte und Methoden in der Rehabilitation, Münster WS Assessment Krankheitsverarbeitung und Sozioökonomische Evaluation, Münster WS Dateneingabe und deskriptive Auswertung, Münster WS Bisherige Auswertungsstrategien, zentrale Ergebnisse und abschließende Auswertungsplanung, Münster WS Vergleichende Würdigung von Assessment-Instrumenten für die Erfassung gemeinsamer Inhaltsbereiche in Patienten-Studien - Empfehlung gemeinsamer Instrumente im Verbund, Münster WS Studiendesign für klinische und epidemiologische Studien in der Rehabilitationsforschung, Bielefeld WS8 08./ How to write a paper, Bielefeld WS Grundprinzipien der Testkonstruktion und ihrer Anwendung, Auswertungsstrategien zum Thema Logistische Regression, Monitoring, Bielefeld WS Fatigue als neues Konstrukt mit Relevanz für die Rehabilitation, Grundlagen der Varianzanalyse und SPSS-Anwendungsbeispiele, Münster WS11 29./ Analyse von Strukturgleichungsmodellen mit AMOS 5.0, Bielefeld WS Was ist bei der Darstellung der Methoden in Publikationen zu beachten, damit deren Angemessenheit zur Beantwortung der Fragestellung deutlich wird?, Bielefeld WS Erstellen von rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsanträgen, Bielefeld 6

8 3. Ziele Ziele der Arbeit des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften sind: die Verstetigung rehabilitationswissenschaftlicher Forschung durch Schaffung von festen Strukturen, insbesondere Anbindungen an die Universitäten das Schaffen regionaler rehawissenschaftlicher Kompetenznetzwerke die Steigerung von Umfang und Qualität sowie Effizienz auf dem Gebiet der Rehabilitationsforschung Ergebnistransfer, klinischer Bezug und dadurch sekundärer Zusatzgewinn für die Mitglieder. 4. Entwicklung von Strategien Forschung auf dem Gebiet der Rehabilitationswissenschaften macht langfristig nur dann Sinn, wenn auch praktische Umsetzungsmöglichkeiten der Forschungsergebnisse vorhanden sind. Dieser Aufgabe hat sich der nordrhein-westfälische Forschungsverbund gestellt. Forschungsergebnisse werden dabei im Verbund, aber auch in der GfR, mit Rehapraktikern, Rehabilitationsträgern und sozial-politischen Entscheidungsträgern, unter anderem im Beirat, diskutiert. Dabei gewonnene Erkenntnisse und Ergebnisse werden bei den Trägern letztendlich dazu genutzt, Entwicklungen von neuen Strategien in der Rehabilitationspraxis zu implementieren. Tabelle 3 Entwicklung von Strategien NRW-Forschungsverbund Rehawissenschaften Zukunftsstrategien für die Rehabilitation Beirat Verbundanalyse Umweltanalyse wiss. Evidenz Reha-Praktiker RV-Träger Sozialpolitische Entscheidungsträger Entwicklung von Strategien 14. Rehawiss. Kolloquium Implementation von Strukturen an den Universitäten Im Rahmen der bisherigen Entwicklung des Forschungsverbundes wurden an den Universitäten folgende rehabilitationswissenschaftliche Schwerpunkte geschaffen: Lehrstuhl Rehabilitationswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke Rehabilitationsvorlesungen an den Universitäten Bielefeld, Bochum, Münster, Witten/Herdecke Rehabilitationsvorlesungen im Querschnittsfach Rehabilitation an den Medizinischen Fakultäten der Universitäten in NRW 7

9 Studiengang Public Health, Universität Bielefeld (Schwerpunktstudium, berufsfeldorientiertes Studium) Studiengang Psychologie, Universität Münster, mit Entwicklung eines rehabezogenen psychosozialen Basis-Curriculums Modellstudiengang Medizin, Universität Witten/Herdecke, mit Pflichtpraktika Rehabilitation und problemorientiertem Lernen An den Universitäten Münster und Witten/Herdecke sind gemeinsame Ringvorlesungen mit rehabilitativem Inhalt entstanden. 6. Wissenschaftliche Fachtagungen, Verbundtagungen Der nordrhein-westfälische Forschungsverbund hat sich dazu entschieden, jährlich eine wissenschaftliche Fachtagung jeweils zu einem Spezialthema und eine Mitgliederversammlung durchzuführen. Zwischen 1999 und 2004 wurden zusätzlich Verbundtagungen durchgeführt, auf denen die Verbundprojekte ihre Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vorstellten. Schwerpunkt der Mitgliederversammlung ist der Austausch der Verbundmitglieder untereinander, die Darstellung und kritische Diskussion der erarbeiteten Ergebnisse der einzelnen Gruppen sowie auch das Hereintragen neuer externer Ergebnisse und Informationen in die Mitgliedergremien. Schwerpunkt der wissenschaftlichen Fachtagung ist die hochkarätige, wissenschaftliche Abhandlung von Schwerpunktthemen mit rehabilitationswissenschaftlichem Bezug bzw. Inhalt. An wissenschaftlichen Tagungen wurden durchgeführt: Tabelle 4: Fach- und Jahrestagungen, Kolloquien Datum Thema, Ort Jahrestagung Zukunftsstrategien für die Rehabilitation, Münster Wissenschaftliche Fachtagung Ziele, Arbeitsformen und Wirkungen psychosozialer Fortbildung und Supervision in der Rehabilitation, Münster Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium des VDR, Norderney Wissenschaftliche Fachtagung Zukunft der Arbeit und Rehabilitation, Dortmund Jahrestagung Wirksamkeitsoptimierung und Qualitätsmanagement in der Rehabilitation, Münster Wissenschaftliche Fachtagung Vernetzung in der Rehabilitation (integrierte Versorgungssysteme, Auswirkungen der DRG s auf die Rehabilitation), Bad Rothenfelde Jahrestagung Ergebnisse der Rehabilitationsforschung und Ansatzpunkte ihrer Umsetzung, Bielefeld Wissenschaftliche Fachtagung Chronischer Kreuzschmerz multimodaler Therapieansatz zur Rehabilitation, Münster Wissenschaftliche Fachtagung Ziele und Wirkungen psychosozialer Fortbildung in der Rehabilitation, Münster Jahrestagung Versorgungsqualität und Qualitätsmanagement in der medizinischen Rehabilitation, Düsseldorf Strategietagung des NRW-Verbundes, Münster 15./ Wissenschaftliche Fachtagung Arbeit und Gesundheit älterer Arbeitnehmer/-innen, Bielefeld 8

10 Datum Thema, Ort Jahrestagung Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Rehabilitation, Recklinghausen Wissenschaftliche Fachtagung Reha-Motivation - Theorien, Assessment und Relevanz für die Rehabilitation, Münster 25./ Jahrestagung Sechs Jahre Rehabilitationsforschung im NRW-Verbund, Bielefeld Wissenschaftliche Fachtagung Wie viel Schlafmedizin braucht die Rehabilitation?, Düsseldorf Wissenschaftliche Fachtagung Themen der Versorgungsforschung: Patientenautonomie in der Akutversorgung und der Rehabilitation, Bielefeld 7. Gutachterliche Wertung der Projekte Zur Sicherung der Qualität der geförderten Projekte hat sich der Nordhein-Westfälische Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Forschungsnetzwerks der GfR, dem VFR und dem refonet, hohe Qualitätsmaßstäbe gesetzt. Die gutachterliche Bewertung der Anträge erfolgt standardisiert (Formulargutachten) und wird vorbereitet durch das Clearing-Verfahren des Forschungsnetzwerks, dem alle Anträge für das refonet, die GfR und den VFR unterworfen sind. Entsprechende Antragsformulare sind einfach auf der Internetplattform des Forschungsnetzwerks herunterzuladen und können genutzt werden. Nach Antragstellung gibt zunächst das Netzwerk-Sekretariat ein Clearing-Votum ab, ob das geplante Projekt bereits anderweitig beforscht wird, d. h. eventuell Doppelforschungen vorliegen. Das Netzwerk- Sekretariat empfiehlt im Rahmen des Clearings ggf. auch Kooperationen mit anderen Arbeitsgruppen zur Nutzung von Synergieeffekten und schlägt einen externen Gutachter vor. Mit diesem Clearing- Votum wird ein Kurzantrag im Hinblick auf die Thematik des Forschungsprojektes kritisch gewürdigt. Nicht von der GfR geförderte Projekte werden im Rahmen des Assoziierungsverfahrens vom Vorstand des NRW-Forschungsverbundes im Hinblick auf die inhaltliche Passung zu den Themen des NRW- Verbundes bewertet 1. Grundvoraussetzung für jeden Antragsteller ist die methodologische Beratung durch eines der Methodenzentren. Anschließend wird bei entsprechender Passung und Akzeptanz der Antragsteller aufgefordert, einen Langantrag zur externen Begutachtung einzureichen. Hierzu hat das Forschungsnetzwerk einen Kreis renommierter Wissenschaftler kontaktiert, die als Gutachter zur Verfügung stehen. Sämtliche Wissenschaftler sind ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Rehabilitations- und Versorgungswissenschaften; die meisten Gutachter sind bewusst nicht aus dem Bereich Nordrhein-Westfalen gewählt, um hier von vornherein möglichst objektive Stellungnahmen zu gewährleisten. Diese unabhängige externe Begutachtung sichert letztendlich auch die wissenschaftliche Akzeptanz von Studien. Die Studien werden sowohl methodologisch als auch fachinhaltlich begutachtet. 8. Inhaltliche Entwicklung Im Rahmen der ersten Förderphase für die Forschungsverbünde lagen die Schwerpunkte der Aktivitäten des nordrhein-westfälischen Forschungsverbundes auf den Bereich Prädiktoren und Wirksamkeit, Steuerung und Management. Im Rahmen von Querschnittprojekten erfolgte die Bearbeitung von Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Rehabilitation sowie von Diseasemanagement. Nach Ablauf der ersten Phase konnten in der zweiten Förderphase zahlreiche Projekte der ersten Förderphase in der zweiten Förderphase intensiviert bzw. weiterentwickelt werden. 1 GfR-Projekte gelten als eigene Verbundprojekte und müssen daher nicht assoziiert werden. 9

11 Tabelle 5 Förderphase I Förderphase II Geschlechtsspezifische Unterschiede in der cardiologischen Reha Patientenkonzepte und Rehapraxis Prädiktoren der Wirksamkeit medizinischer Rehabilitation Screening auf Rehabedarf Aus-, Fort- und Weiterbildung Evaluation der Wirkung psychosozialer Aus-, Fort- und Weiterbildung Krankheitsverarbeitung als Prädiktor in der cardiologischen Rehabilitation Rehaerfolg jüngerer Schlaganfall-Patienten Schnittstellen im Rehabilitationsrecht Reform und Perspektiven des Leistungsrechts Ergebnisevaluation in der cardiologischen Rehabilitation Zielorientierte Beratung zur Rückkehr zur Arbeit Aktive Patientenbeteiligung in der Rehabilitation Diagnostik von Arbeitsmotivation Die im NRW-Verbund durchgeführten Forschungsprojekte spiegeln den gesamten Bereich der wesentlichen Rehabilitationsindikationen wider. So finden sich die Bereiche Cardiologie, Gastroenterologie, Neurologie, Onkologie, Orthopädie, Pneumonologie, Psychosomatik sowie indikationsübergreifende Fragestellungen Ein besonderer Schwerpunkt, der speziell in der letzten Zeit im NRW-Verbund an Bedeutung gewonnen hat und der die Verbundenheit zur Rehabilitationsbasis darstellt, ist die zunehmende Anzahl qualitativ hochwertiger assoziierter Projekte, die meist aus der Rehabilitationspraxis entstanden sind. Bis zum Zeitpunkt der Berichtlegung sind vom NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften 31 Forschungsprojekte assoziiert worden. Sie sind damit vollwertige Mitglieder des Verbundes und haben dementsprechend ebenfalls die Möglichkeit erhalten, sich an diesem gemeinsamen Abschlussbericht des Verbundes zu beteiligen. 9. Ausblick Mit der Fortsetzung der institutionellen Forschungsförderung im Bereich der Rehabilitationswissenschaften in Nordrhein-Westfalen durch die ansässigen Rentenversicherungsträger ist der Bestand des Verbundes garantiert. Der Verbund hat tragfähige finanzielle und organisatorische Strukturen zur Verfügung, die es ihm auch in Zukunft weiter ermöglichen, den eingeschlagenen Weg erfolgreich fortzuführen. Bewusst wurde nach eingehenden, auch strategischen Diskussionen im Vorstand und im Verbund darauf verzichtet, sich von der Forschung her nur auf ein Spezialgebiet zu konzentrieren, wie dies teilweise in anderen Verbünden geschehen ist. Aus Sicht des Vorstandes bietet im bevölkerungsreichsten Bundesland letztendlich nur eine breite rehabilitationswissenschaftliche Basis die Möglichkeit, die tragfähige Struktur von Rehabilitationsforschung zu erhalten. Rückblickend ist es gelungen, die wissenschaftliche Fundierung und Evaluation der Rehabilitation in der Forschung deutlich voranzutreiben und zu verbessern. Es wurden u.a. Studien zur Qualitätssicherung, zur Überprüfung und Weiterentwicklung der Qualität der Rehabilitation in Nordrhein- Westfalen erarbeitet. Rehabilitationsforschung ist inzwischen wissenschaftlich und auch praktisch 10

12 akzeptiert; gerade im Forschungsverbund NRW gibt es eine ausgesprochen positive gegenseitige Befruchtung von Kliniken und Forschung mit verbessertem gegenseitigem Verständnis. Im Hinblick auf die Einbindung in universitäre Forschung und Lehre sind allerdings noch erhebliche Anstrengungen nötig, um der Rehabilitationswissenschaft und der Rehabilitation als klinischem Gebiet den ihr angemessenen Stellenwert in der universitären Ausbildung zu geben. Langjährig gewachsene universitäre Strukturen im Sinne der traditionellen, eher akutmedizinisch ausgerichteten Ausbildung behindern teilweise diesen gewünschten Einbezug und die Öffnung doch erheblich. Die Rehabilitationskliniken, die traditionell langjährig bereits ein nicht unerhebliches berufliches Betätigungsfeld für Mediziner sind, stehen einer Öffnung auch für universitäre Lehre positiv offen, dieses Angebot wird allerdings noch zu wenig genutzt. Dies sind sicherlich Bereiche, in denen der NRW-Verbund in der nächsten Zeit noch weiter intensiv arbeiten wird. So ist z. B. aus dem Kreis des NRW-Verbundes eine Beteiligung an der jüngst durch das BMBF erfolgten Ausschreibung zur versorgungsnahen Forschung zu erwarten. Der Verbundvorstand 11

13 Zielorientierte Beratung zur Rückkehr zur Arbeit von Patienten der kardiologischen Rehabilitation (ZOBRA) Förderkennzeichen: PW II/4 Förderer: NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Projektleiter: Dr. Thomas Schott Projektmitarbeiter: A. vom Orde, F. Samkange-Zeeb, Universität Bielefeld, Fak. f. Gesundheitswissenschaften, Postfach , Bielefeld Laufzeit: 10/ /2005 Das Projekt ZOBRA (Zielorientierte Beratung zur Rückkehr zur Arbeit), wurde zwischen Oktober 2001 und Juni 2005 im Rahmen des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften in enger Kooperation mit Rehabilitationseinrichtungen bundesweit durchgeführt. Ziel des Projekts Zentrales Anliegen des Forschungsprojektes war, zu einer Optimierung der beruflichen Reintegration nach einer schweren Herzerkrankung beizutragen. Mit Hilfe eines Screeninginstrumentes sollten Personen, die aus medizinischen Gründen wieder arbeiten können, jedoch aus anderen Gründen eine Problemgruppe darstellen, zu Beginn der Rehabilitation erfasst und in der Folge - basierend auf einem Assessmentverfahren strukturiert beraten bzw. unterstützt werden. Das Forschungsprogramm kann in folgenden Hypothesen zusammengefasst werden: Der Personenkreis, der ein erhöhtes Risiko einer Frühberentung trägt, ist mit einem Screeningverfahren relativ einfach zu identifizieren. Die jeweils individuellen Problemlagen können über ein Assessmentverfahren präzisiert werden. Durch eine auf der Basis des Assessmentverfahrens ziel- und problemorientiert zugeschnittene Betreuung und Beratung während der Rehabilitation, können Rückkehrraten signifikant erhöht werden. Effektivität und Effizienz des gesamten Verfahrens können mittels eines kontrollierten Forschungsdesigns und einer Inkrementalanalyse überprüft werden. Die Überprüfung der Wirksamkeit der Intervention erfolgte in einem kontrollierten Design. Ein darin enthaltener ökonomischer Studienteil (Inkrementalanalyse) gibt Aufschluss über die Relation der im Vergleich zu einer Standardmaßnahme zusätzlich aufgewendeten Mittel (Ressourcenverbrauch) und Erträge (vermiedene Frühberentungen). Durchführung der Erhebung Einschlusskriterien Als Kriterien für die Teilnahme an der Studie galten: Diagnose: Z.n. Herzinfarkt, Bypass-Operation, PTCA oder KHK ohne vorangegangenes akutes Ereignis Erwerbstätigkeit zum Zeitpunkt der Rehamaßnahme bzw. Arbeitsunfähigkeit vor der Rehabilitationsmaßnahme (Arbeitslose wurden in die Studie nicht aufgenommen) 12

14 Alter bis einschließlich 61 Jahre Ausreichende Deutschkenntnisse Da diese Stichprobe nach bestimmten Kriterien ausgesucht wurde, ist sie nicht repräsentativ für Personen, die im Allgemeinen an Rehamaßnahmen nach einer Herzerkrankung teilnehmen. Erhebungszeitpunkte Im Rahmen der Längsschnittstudie wurden in der Kontroll- und Interventionsgruppe jeweils drei Messzeitpunkte gewählt. Zu Beginn der Rehabilitationsmaßnahme (T1) erhielten die Patienten einen Screeningfragebogen, mit dem das Risiko bzw. Nicht-Risiko einer Nicht-Rückkehr zur Arbeit festgestellt werden konnte. Der Screeningfragebogen entstand auf der Datenbasis des Projektes Modellvorhaben Kardiologische Rehabilitation (Badura et al. 2001). Ergänzend zu diesem T1-Fragebogen machten die Mitarbeiter in den Einrichtungen jeweils auf einem patientenbezogenen Dokumentationsbogen Angaben zum Beratungsaufwand bei der an der Studie beteiligten Person. Sechs und zwölf Monate nach Ende der Rehabilitationsmaßnahme erhielten die Patienten postalisch einen Fragebogen, mit dem der derzeitige Erwerbs- bzw. Berentungsstatus sowie zwischenzeitliche AU-Zeiten erfragt wurden (T2- und T3-Erhebungen). Ziehung und Studienablauf der Kontrollgruppe Ende Februar 2002 begann die Stichprobenrekrutierung der Kontrollgruppe in den Einrichtungen, d.h. die Messung zum Zeitpunkt T1. Die Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten, wurden zu Beginn der Rehamaßnahme von den Einrichtungsmitarbeitern wegen Teilnahme an der Studie angesprochen. Die Rekrutierung lief kontinuierlich. Patienten, die die Teilnahme zusagten, wurden gebeten, die Einverständniserklärungen zu unterschreiben und bekamen dann den Screening- bzw. T1-Fragebogen (mit Rückumschlag) zum Ausfüllen. Jede Einrichtung hatte nummerierte Fragebögen bekommen. Die Fragebögen konnten entweder per Post an das Projektteam zurückgesendet oder in der jeweiligen Einrichtung abgegeben werden. Zum Fragebogen gehörte auch ein Dokumentationsbogen, der von den Mitarbeitern der Einrichtungen auszufüllen war. Der Dokumentationsbogen hatte die gleiche Nummer wie der Fragebogen und wurde nach Abschluss der Rehamaßnahme an das Projektteam gesendet. Um den Arbeitsaufwand für die Mitarbeiter der beteiligten Einrichtungen möglichst gering zu halten, wurde die Auswertung der Screeningfragebögen der Kontrollgruppe von dem Projektteam durchgeführt. Mehr als 1900 Screeningfragebögen wurden an die teilnehmenden Einrichtungen verschickt. 841 Personen konnten für die Kontrollgruppe rekrutiert werden. Zeitgerecht wurden ab September 2002 die T2-Erhebung und ab März 2003 die T3-Erhebung bei der Kontrollgruppe begonnen. Zur Steigerung der Rückläufe erhielten Studienteilnehmer, die auf das erste T2- bzw. T3-Anschreiben nicht antworteten, nach ca. 2 Wochen ein Erinnerungsschreiben mit erneutem Fragebogen. Bei weiterhin ausbleibender Reaktion wurden die Personen telefonisch kontaktiert und zu ihrem Erwerbsstatus befragt. Ziehung und Studienablauf der Interventionsgruppe Zwischen dem und dem wurden die beteiligten Einrichtungen besucht, um die Interventionsphase vorzustellen und den Ablauf mit den involvierten Mitarbeitern abzustimmen. Im Januar 2003 begann die Interventionsgruppenrekrutierung. Diese wurde im November 2003 beendet. Die Patienten der Interventionsgruppe erhielten wie zuvor die Kontrollgruppe den Screeningfragebogen zu Beginn der Rehabilitationsmaßnahme. Anhand des Manuals wurde dieses Screening in den Einrichtungen ausgewertet und die Einteilung in Risiko- und Nicht-Risiko -Patienten vorgenommen. Bei den Risiko -Patienten folgte ein Assessment bestehend aus Patienten- bzw. Arztfragebogen (Dokumentationsbogen) und einem checklistengestützten Gespräch, woran sich eine zielorientierte Beratung in Hinblick auf die individuelle Erwerbssituation anschloss. Für die Interventionsgruppe konnten N=339 Patienten rekrutiert werden. Entsprechend begann im September 2003 die T2-Erhebung und im März 2004 die T3-Erhebung bei der Interventionsgruppe. Im Juli 2003 wurde der T2-Versand und im Januar 2004 der T3-Versand bei der Kontrollgruppe beendet. Zur Steigerung der Rückläufe erhielten Studienteilnehmer (beide Gruppen), die auf das erste T2-13

15 bzw. T3-Anschreiben nicht antworteten, nach ca. 2 Wochen ein Erinnerungsschreiben mit erneutem Fragebogen. Bei weiterhin ausbleibender Reaktion wurden die Personen telefonisch kontaktiert und zu ihrem Erwerbsstatus befragt. Aufbau einer Datenbank und Datenerfassung Zwei getrennte Datenbanken wurden erstellt. Für administrative Aufgaben wurde eine EXCEL-Datei mit Namen, Adressen und dem individuellen Studienverlauf (Fragebogen-Versand und Rücklauf, Probleme hinsichtlich Teilnahme) erstellt. Die Daten, die von den Screening- und Dokumentationsbögen erhoben wurden, wurden in einer SPSS-Datei erfasst. Von den gesamten rekrutierten 1180 Teilnehmern (841 Kontrollgruppe und 339 Interventionsgruppe) sind 103 Teilnehmer schon bei der T1-Phase ausgefallen, meistens weil sie die Einschlusskriterien nicht erfüllten. Einige wurden doppelt gemeldet, gaben falsche Adressen an oder schickten den T1- Fragebogen nicht zurück. Weitere 16 Teilnehmer sind zu T2 ausgefallen, 13 von ihnen weil sie unbekannt verzogen waren. Eine Person war verstorben, eine andere hat die Teilnahme aus persönlichen Gründen abgesagt. Eine weitere schickte den Fragebogen unausgefüllt zurück. Beim Versand der T2-Fragebögen ist ein Fehler passiert; 17 berechtigte Teilnehmer erhielten keine Fragebögen (jedoch T3). Zwischen T2 und T3 sind weitere 3 Personen gestorben. Statistische Analyse Deskriptive Analyse Zunächst werden Teilnehmer der Kontroll- und Interventionsgruppe anhand folgender soziodemografischen Faktoren beschrieben und verglichen: Geschlecht Alter Schulabschluss Beruf Familieneinkommen und Anzahl Personen im Haushalt. Danach wird der Erwerbsstatus der gesamten Stichprobe, aufgeteilt nach Gruppen (Kontrolle und Intervention), dargestellt. Statistische Analyseverfahren Validierung des Screeningfragebogens Der Screeningfragebogen wird anhand der Daten der Kontrollgruppe validiert, wobei unser Outcome-Parameter Rückkehr zur Arbeit ja/nein lautet. Die Gruppe der Nicht-Rückkehrer ist jedoch sehr gemischt. Unter ihnen befinden sich Arbeitslose, Personen die eine Umschulung machen, Krankgeschriebene und Berentete. Unser Ziel war es jedoch, Personen, mit dem Risiko frühberentet zu werden, anhand unseres Screeningfragebogens zu Beginn der Rehabilitation zu identifizieren. Da es nicht möglich ist, Arbeitslosigkeit oder Umschulungen vorherzusagen, wurden alle, die diesen beiden Kategorien angehörten, aus der Validierung ausgelassen. Der Fragebogen wurde validiert, indem dessen Sensitivität (wie gut er Personen mit Frühberentungsrisiko richtig identifizierte) und dessen Spezifität (wie gut er Personen ohne Risiko identifizierte) ein Jahr nach der Rehabilitation berechnet wurden. Dies wurde dreimal, je mit unterschiedlichen Nicht- Rückkehrern, wie folgend berechnet: Fall I: Unter den Nicht-Rückkehrern befanden sich alle krankgeschriebenen und berenteten Teilnehmer. Fall II: Bei den Krankgeschriebenen wurde nach Vorliegen eines Rentenantrags bzw. der Beabsichtigung, einen Antrag zu stellen, geprüft. Die Krankgeschriebenen, die keinen Rentenantrag gestellt hatten und nicht beabsichtigten es zu tun, wurden aus der Analyse ausgelassen. D. h. unter den Nicht-Rückkehrern befanden sich Krankgeschriebene mit Rentenantrag bzw. solche, die beabsichtigten, einen zu stellen, und die Berenteten. Fall III: Unter den Nicht-Rückkehrern befanden sich nur die berenteten Teilnehmer. 14

16 Einflussfaktoren auf die Rückkehr zur Arbeit ein Jahr nach der Rehabilitation Der Einfluss folgender Faktoren auf die Rückkehr zur Arbeit wurde anhand multivariater Regressionsanalyseverfahren überprüft: Alter, Geschlecht, berufliche Position und subjektive Einschätzungen zu der zukünftigen Erwerbstätigkeit bzw. Arbeitssituation. Ergebnisse Von den zu T1 erfassten 1061 Teilnehmern waren 918 männlich (86,6%) und 142 weiblich (13,4%). Die meisten der Teilnehmer waren Deutsche (96,6%). Insgesamt wurden 334 Teilnehmer (31,5%) als Risikopatienten identifiziert. Die Teilnehmer waren im Alter von 21 bis 61 Jahren, die Mehrheit war älter als 50 Jahre (60,4%). Der Median lag bei 52 Jahre und der Modalwert bei 53 Jahre. Vergleich der Kontroll- und Interventionsgruppen anhand soziodemografischer Faktoren Die beiden Gruppen wurden anhand folgender soziodemografischer Faktoren verglichen: Geschlecht, Alter, Schulabschluss, Beruf, Einkommen und Anzahl Personen im Haushalt. Die Proportion von Frauen war höher in der Kontrollgruppe als in der Interventionsgruppe (14,6% und 10,3%). Jedoch konnte dieser Unterschied nicht statistisch bestätigt werden (p = 0,06). In beiden Gruppen waren die Proportionen der Teilnehmer in den älteren Altersklassen viel höher als in den jüngeren. Mehr als 90% der Teilnehmer waren älter als 40 Jahre. 4% der Kontrollgruppen-Teilnehmer waren ohne Haupt- oder Volksschulabschluss. Bei den Interventionsgruppen-Teilnehmern waren es 3%. In beiden Gruppen war der Anteil der Teilnehmer, die einen Haupt-/Volksschulabschluss hatten, am höchsten: 42,6% bei den Kontrollen und 48,2% bei den Interventionen. 9,7% der Kontrollgruppe hatten einen Schulabschluss der Polytechnischen Oberschule. Bei den Interventionsgruppen-Teilnehmern waren es 1,7%. Der Anteil von Angestellten war in beiden Gruppen am höchsten (Kontrollgruppe 49,1% und Interventionsgruppe 52,8%) und der der Beamten am niedrigsten (Kontrollgruppe 7,6% und Interventionsgruppe 7,2%). In Bezug auf das Einkommen war der Anteil von Teilnehmern, die <1500 Euro verdienten, größer in der Interventionsgruppe (22,0%) als in der Kontrollgruppe (17,9%). Andererseits hatte die Kontrollgruppe einen größeren Anteil von Teilnehmern, die zwischen 1500-<2500 verdienten als die Interventionsgruppe (je 23,7% und 21%). In den anderen Gehaltsklassen waren die Unterschiede nicht so groß. Außer bei den Schulabschlüssen (p = 0,00) sind die Unterschiede der Anteile der soziodemografischen Faktoren zwischen den beiden Gruppen nicht statistisch signifikant (Tabelle 1). Tabelle 1: Soziodemografische Faktoren der Studienpopulation nach Gruppen Kontrolle (n = 751) Intervention (n = 310) Merkmal Prüfwert n % n % Geschlecht: weiblich , ,3 chi² = 3,5* (p= 0,06) Alter (in Jahren): bis und über Schulabschluss: ohne Haupt-/Volksschulabschluss Haupt-/Volksschulabschluss Realschule Polytechnische Oberschule Fachhochschule Allg. Hochschulreife anderer Schulabschluss Fehlend ,7 7,7 29,7 61,9 4,0 42,1 21,2 9,6 7,2 13,7 0,9 1, ,3 9,0 33,9 56,8 2,9 47,1 24,5 1,6 7,1 13,9 0,6 2,3 chi² = 3,12 (p = 0,37) chi² = 22,6 (p = 0,00) 15

17 Merkmal Beruf: Arbeiter Angestellter Beamter Selbständiger Fehlend Kontrolle (n = 751) Intervention (n = 310) n % n % ,2 48,1 7,5 13,1 2, ,0 52,2 7,1 8,7 1,0 Prüfwert chi² = 4,70 (p = 0,20) Einkommen (Euro): bis< < < < < <3500 über 3500 Fehlend ,2 16,6 22,1 16,0 12,1 6,7 12,5 6, ,2 21,0 20,0 15,8 12,6 6,8 12,9 4,8 chi² = 3,07 (p = 0,88) Anzahl Personen im Haushalt: 1 2 bis 3 4 bis 5 mehr als 6 Fehlend ,4 57,3 25,2 2,5 1, ,3 55,2 30,3 2,6 1,6 chi² = 4,07 (p = 0,25) Erwerbsstatus der gesamten Stichprobe Von den 936 Teilnehmern, deren Fragebögen zu T2 bewertet wurden, waren ein halbes Jahr nach der Rehabilitation 75,1% zur Arbeit zurückgekehrt, 11,8% krankgeschrieben und 3,0% berentet. Zu T3 (ein Jahr nach der Rehabilitation) waren 73,5% der Teilnehmer erwerbstätig und 9,3% krankgeschrieben (Tabelle 2). Tabelle 2: Rücklauf und Erwerbstätigkeit der Teilnehmer zu T2 und T3 ½ Jahr nach Rehabilitation 1 Jahr nach Rehabilitation n % n % Responserate , ,6 Erwerbstätigkeit erwerbstätig , ,5 krankgeschrieben ,9 86 9,4 berentet 28 3,0 66 7,2 arbeitslos 92 9,8 88 9,6 Umschulung 3 0,3 3 0,3 Erwerbsstatus nach Gruppen Die Responseraten der Teilnehmer der beiden Gruppen (Kontrollen und Interventionen) lagen höher als 85% ein halbes Jahr und ein Jahr nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahmen. Es wurden keine großen Unterschiede zwischen den Rückkehr zur Arbeit Raten der Teilnehmer der beiden Gruppen beobachtet. Ein halbes Jahr nach der Rehabilitation waren 74,6% der Teilnehmer der Kontrollgruppe wieder erwerbstätig. Bei den Teilnehmern der Interventionsgruppe waren es 75,5%. Ein Jahr nach der Rehabilitation waren 73,2% der Kontrollen und 74,2% der Interventionsgruppe erwerbstätig (Tabelle 3). 16

18 Tabelle 3: Rückkehrraten und Erwerbsstatus der Teilnehmer nach Gruppen (zu T2 und T3). Kontrolle Intervention Kontrolle Intervention T2 Erhebung T3 Erhebung n % n % n % n % Responserate , , , ,7 Erwerbstätig , , , ,2 Krankgeschrieben 79 12, ,9 58 9, ,3 Berentet 15 2,3 13 4,7 44 6,8 22 8,1 Arbeitslos 70 10,6 22 7, ,5 20 7,4 Umschulung 3 0,5 0 0,0 3 0,5 0 0,0 Erwerbsstatus nach Risikostatus In beiden Gruppen waren mehr als 80% zu beiden Erhebungszeitpunkten zur Arbeit zurückgekehrt, die als Nicht-Risiko-Teilnehmer identifiziert worden sind. Zu T2 waren 57,1% der als Risikogruppe identifizierten Teilnehmer der Kontrollgruppe erwerbstätig. Bei den Teilnehmern der Interventionsgruppe waren es 57,9%. Es gab keinen signifikanten Unterschied in den Rückkehrraten der beiden Gruppen (Tabelle 4). Tabelle 4: Erwerbsstatus der Teilnehmer nach Gruppen und Risikostatus Kein Risiko Risiko Kontrolle Intervention Kontrolle Intervention T2 Erhebung T3 Erhebung Erwerbstätig 82,8 82,2 82,5 81,4 T2: Krankgeschrieben 8,0 6,9 7,0 7,7 chi² = 6,45 p = 0,17 Berentet 0,4 2,5 2,3 4,6 Arbeitslos 8,3 8,4 7,7 6,2 Umschulung 0,4 0,0 0,5 0,0 T3: chi² = 4,94 p = 0,42 Erwerbstätig 57,1 57,9 54,6 55,8 T2: Krankgeschrieben 20,5 25,0 13,0 16,9 chi² = 5,83 p = 0,21 Berentet 6,2 10,5 15,7 16,9 Arbeitslos 15,7 6,6 16,2 10,4 Umschulung 0,5 0,0 0,5 0,0 T3: chi² = 1,99 p = 0,85 Validierung des Screeningfragebogens Ein Jahr nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahmen waren 82,5% der als Nicht-Risiko identifizierten Teilnehmer der Kontrollgruppe wieder erwerbstätig. Bei den als Risiko identifizierten Teilnehmern waren es 54,6%. Der Anteil von krankgeschriebenen, berenteten und arbeitslosen Teilnehmern war unter den als Risiko identifizierten Personen deutlich höher als unter denen ohne Risiko. 17

19 Sensitivität und Spezifität Fall I: nicht Rückkehrer = alle Krankgeschriebenen + Berenteten Vorhersage: Screening Ergebnis Beobachtet: Rückkehr zur Arbeit T3 nein ja Gesamt kein Risiko Risiko Gesamt Sensitivität = 62/102 = 60,1% Spezifität = 354/472 = 75,0% Fall II: nicht Rückkehrer = Krankgeschriebene mit Rentenantrag bzw. Beabsichtigung+ Berentete Vorhersage: Screening Ergebnis Beobachtet: Rückkehr zur Arbeit T3 nein ja Gesamt kein Risiko Risiko Gesamt Sensitivität = 58/85 = 68,2% Spezifität = 354/472 = 75,0% Fall III: nicht Rückkehrer = nur Berentete Vorhersage: Screening Ergebnis Beobachtet: Rückkehr zur Arbeit T3 nein ja Gesamt kein Risiko Risiko Gesamt Sensitivität = 34/44 = 77,3% Spezifität = 354/472 = 75,0% Einflussfaktoren auf die Rückkehr zur Arbeit ein Jahr nach der Rehabilitation: Anhand einer multivariaten logistischen Regressionsanalyse konnte Folgendes festgestellt werden: Alter, Geschlecht, die Beeinträchtigung durch die Krankheit bei der Arbeit/Beruf und Angst waren keine signifikanten Prädiktoren für eine Rückkehr zur Arbeit I Jahr nach Abschluss der Reha. Bei den Berufen zeigte sich, dass für Beamte eine dreifach erhöhte Chance im Vergleich zu Arbeitern (Referenzgruppe) bestand, wieder zur Arbeit zurückgekehrt zu sein. Der Status Angestellter war ebenso wie eine Selbständigkeit kein signifikanter Prädiktor. Bei den erfragten Einschätzungen zeigt sich, dass Personen, die angaben, nur zur Arbeit zurückzukehren, wenn ihre Gesundheit es zulasse, eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit für eine Rückkehr aufwiesen als Personen, die selbst eine schnelle Rückkehr erwarteten. Ebenso war eine erwartete längere Dauer (3 Monate +) bis zur Rückkehr bei T1 wie eine zunehmende Depressivitätsskala (gemessen zu T3) negativ mit der Rückkehr zur Arbeit nach einem Jahr assoziiert (Tabelle 5). 18

20 Tabelle 5: Multivariate Logistische Regression Ergebnisse der Teilnehmer der Kontrollgruppe 1 Jahr nach Abschluss der Rehabilitation 95,0% KI für OR Koeff. B Sig. OR Unterer Wert Oberer Wert Alter (pro Jahr) -0,02 0,23 0,98 0,95 1,01 Geschlecht weiblich* männlich 0,34 0,29 1,00 1,40 0,75 2,60 Beruf Arbeiter* Angestellter Beamter Selbständiger Beeinträchtigung Arbeit und Beruf gar nicht* gering mäßig deutlich sehr stark Einschätzung Erwerbstätigkeit schnell wieder erwerbstätig* wenn Gesundheit zulässt nicht mehr Hoffnung auf Erwerbstätigkeit 1 Monat* 3 Monate 6 Monate 12 Monate nach 12 Monaten überhaupt nicht mehr 0,47 1,105-0,29-1,44-1,04-1,47-1,81-1,02-1,13-0,75-1,29-1,21-2,02-2,32 0,02 0,07 0,03 0,41 0,20 0,18 0,34 0,17 0,10 0,01 0,00 0,12 0,00 0,01 0,00 0,03 0,03 0,00 1,00 1,597 3,020 0,75 1,00 0,24 0,36 0,23 0,16 1,00 0,36 0,32 1,00 0,47 0,27 0,30 0,13 0,10 0,97 1,101 0,38 0,03 0,04 0,03 0,02 0,19 0,08 0,28 0,13 0,10 0,02 0,02 Angst T3 0,05 0,25 1,05 0,97 1,14 Depressivität T3-0,14 0,00 0,87 0,80 0,95 * Referenz 2,63 8,29 1,49 1,98 3,01 1,88 1,39 0,68 1,36 0,80 0,56 0,91 0,78 0,46 Zusammenfassung und Diskussion Ein wesentliches Ziel des Forschungsprojektes war, zu einer Optimierung der beruflichen Reintegration nach einer schweren Herzerkrankung beizutragen. Mit Hilfe eines Screeninginstrumentes sollten Personen, die aus medizinischen Gründen wieder arbeiten können, jedoch aus anderen Gründen eine Problemgruppe darstellen, zu Beginn der Rehabilitation erfasst und in der Folge - basierend auf einem Assessmentverfahren strukturiert beraten bzw. unterstützt werden. Durch dieses Verfahren sollten die Rückkehrraten auf ca. 75% gesteigert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Rückkehrraten zur Arbeit bei Teilnehmern sowohl der Kontrollgruppe als auch der Interventionsgruppe mit ca. 75% an der oberen Grenze des Erwartbaren liegen. Damit ist zweierlei festzustellen: 1. Sollte sich dieser Trend auch in anderen Studien verifizieren lassen, so kann von einem Epochenwechsel, weg von der hohen Inanspruchnahme der Frühberentung zu einer Vermeidung von Frühberentung, gesprochen werden. Es ist zu beobachten, ob dieser Trend alleine für kardiologische Erkrankungen gilt oder ob die verstärkte Vermeidung der Frühberentung auch in anderen Indikationsbereichen stattfindet. 2. Sorgsam geplant und engagiert in den beteiligten Einrichtungen durchgeführt, zeigt die Intervention zwar mit einer leicht über 75% liegenden Rückkehrrate zur Arbeit ein sehr gutes Ergebnis, gemessen an den bisher üblicherweise nachgewiesenen 60 % - 65% Raten. Da jedoch im Vergleich zur Kontrollgruppe keine signifikante Steigerung nachzuweisen ist, bleibt die Bewertung der Sinnhaftigkeit einer solchen Intervention offen. 19

21 Ein weiteres Ziel des Forschungsprojektes ZOBRA war die Validierung des Screeninginstrumentes zur frühzeitigen Identifizierung von Personen mit einem Risiko auf Frühberentung. Auch hier kann im Grunde - bezogen auf die Gütekriterien des Instruments und seine Handhabbarkeit im klinischen Alltag - von einem guten Ergebnis gesprochen werden, wobei allerdings auch hier bei der sehr geringen Zahl der Frühberentungen die Sinnhaftigkeit und der gesundheitsökonomische Nutzen hinterfragt werden sollte. Als weiteres Ergebnis des Projektes kann berichtet werden, dass klassische Einflussfaktoren auf RTW wie Alter und Schicht an Bedeutung verlieren. Weiterhin große Bedeutung für RTW hat die subjektive Erwerbsprognose und ein erhöhtes Ausmaß an Depressivität, das der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit nach einer schweren Erkrankung hinderlich entgegensteht. Die mögliche Umsetzung der hier produzierten und getesteten Instrumente wie Screening, Assessment und standardisierte, zielorientierte Beratung in die Standardversorgung der kardiologischen Rehabilitation sollte von den tatsächlich beobachteten Rückkehrraten abhängig gemacht werden. Liegen diese in der Normalversorgung bereits deutlich über 70%, so sind von einer zusätzlichen, auf zielorientierter Beratung aufbauenden Intervention wenig Effekte zu erwarten. 20

22 Screening auf Rehabilitationsbedarf - effektiv und ökonomisch? Förderkennzeichen: Förderer: Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin Projektleiter: Dr. Hartmut Pollmann Projektmitarbeiter: Burkhard Wild, M.A. Laufzeit: bis (incl. kostenneutraler Verlängerung) Zusammenfassung In dem Forschungsprojekt wird geprüft, ob durch eine frühzeitige Erkennung von Rehabilitationsbedarf und dem Angebot einer Rehabilitationsmaßnahme die Erwerbsfähigkeit nachhaltig gebessert werden kann und damit direkte und indirekte Krankheitskosten vermieden bzw. gesenkt werden können. Die Intervention (Angebot einer Rehabilitationsmaßnahme) wird gegen eine Kontrollgruppe geprüft. In einem ersten Teilprojekt wird ein Fragebogeninstrument entwickelt, das im zweiten Teilprojekt als Screeninginstrument zur Früherkennung von Rehabilitationsbedarf an Arbeitnehmern mit überdurchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten eingesetzt wird. Durch Ermittlung von Rehabilitationsbedarf vor einer Antragstellung auf Rehabilitation wird ein randomisiertes Studiendesign möglich, mit dem die Effekte des Rehabilitationsangebotes ggf. auch der durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen geprüft werden können. Das Projekt wird in Kooperation mit zwei großen Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, dem zuständigen Rentenversicherungsträger und dem Institut für Gesundheitsökonomie der Universität zu Köln durchgeführt. 1. Einleitung/wissenschaftlicher Hintergrund Leistungen zur medizinischen Rehabilitation kommen gemäß den gesetzlichen Vorgaben zum Einsatz, wenn die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist. Wann und ob überhaupt diese Leistungen beantragt werden, hängt von Einflussfaktoren wie Krankheitsverlauf (chronisch progredienter Verlauf, akutes Ereignis), Einstellung des Versicherten zu und Kenntnis über Rehabilitationsleistungen, Anregungen Dritter (Arbeitgeber, MDK) u.a. ab (Cibis, 1997; Hansmeier et al, 1999; Klosterhuis et al., 1999; Krischke et al., 1997; Lachmann et al., 1999; Maier-Riehle & Schliehe, 1999; Raspe, 1999; Raspe & Heon-Klin, 1999; Schliehe & Koch 1999; Zimmermann et al., 1999). Während bei Erkrankungen, die mit einem akuten Ereignis (Herzinfarkt, Schlaganfall) einhergehen, Rehabilitationsleistungen häufig und in nahem zeitlichen Bezug zum Ereignis in Anspruch genommen werden, ist dies bei chronisch progredienten Verläufen weniger der Fall. Es gibt keine Daten zum optimalen Rehabilitationszeitpunkt bei Krankheiten mit chronischem Verlauf. Eine Über- wie auch Unterbeanspruchung von Rehabilitationsleistungen lassen sich nur schwer abschätzen, ein erhebliches Forschungsdefizit in diesem Bereich wird beklagt (Schliehe, 1999). Es gibt deutliche Indizien, dass eine erhebliche Unterinanspruchnahme rehabilitativer Leistungen vorliegt (Raspe & Heon-Klin, 1999). Es ist anzunehmen, dass mit einer frühen Rehabilitation die Erhaltung bzw. die Verbesserung der Leistungsfähigkeit und eine Verringerung der Arbeitsunfähigkeitszeiten zu erreichen ist und dass eine wirkungsvolle Verbesserung der gesundheitlichen Lebensqualität auf Leistungsbereitschaft und fähigkeit zurückwirkt. Chronische Erkrankungen führen typischerweise über funktionelle Einschränkungen - Leistungsabfall - Probleme am Arbeitsplatz - Somatisierung - Erhöhung der Arbeitsunfähigkeitszeiten - Erwerbseinschränkungen zur Erwerbsunfähigkeit. Sofern 21

23 durch eine frühzeitige Rehabilitation dieser Ablauf unterbrochen oder erheblich verzögert werden kann, ist mit einer Reduzierung der direkten (Leistungen der Krankenversicherung, Leistungen der Rentenversicherung) und indirekten Kosten (Arbeitsunfähigkeitszeiten, Leistungsfähigkeit) zu rechnen. Dass es grundsätzlich möglich ist, durch ein Indexinstrument Rehabilitationsbedarf zu erkennen, wurde bereits gezeigt (Hansmeier et al, 1999; Potthoff et al., 1997). Zu der Frage, ob auf diesem Wege eingeleitete Rehabilitationsmaßnahmen effizient sind, liegen keine validen Daten vor. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung In dem Projekt soll geprüft werden, ob durch eine frühzeitige Erkennung von Rehabilitationsbedarf an einer Gruppe von Arbeitnehmern mit chronischen Erkrankungen, die noch keinen Antrag auf medizinische Rehabilitation gestellt haben, die Erwerbsfähigkeit gebessert werden kann und damit direkte und indirekte Krankheitskosten vermieden bzw. gesenkt werden können. Das Projekt dient zwei Hauptzielen: Die aus dem Projekt PW5 hervorgegangenen Instrumente zu Rehabilitationsbedarf und -erfolg werden als Screeninginstrument zur Früherkennung von Rehabilitationsbedarf generalisiert und validiert. Das Angebot einer frühen Rehabilitationsmaßnahme wird anhand individueller Krankheitskosten über einen Zeitraum von 4 Jahren gesundheitsökonomisch evaluiert. Hieraus ergeben sich die Hauptfragestellungen für das zweite Teilprojekt: 1. Führt die frühzeitige Rehabilitation chronischer Erkrankungen zu einer Reduktion krankheitsassoziierter Kosten? 2. Führt die frühzeitige Rehabilitation chronischer Erkrankungen zu einer nachhaltigen Verbesserung von Lebensqualität, Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit? 3. Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in Outcome und Inanspruchnahme? 3. Methoden und Arbeitsplan Das Projekt gliedert sich in zwei Teilprojekte. Die erste Teilstudie ist eine Querschnittsstudie (Totalerhebung) zur Validierung der Prädiktorinstrumente für Rehabilitationsbedarf und -erfolg aus dem Projekt PW5. Die zweite Teilstudie ist als kontrollierte Panelstudie (Auswahl typischer Fälle mit anschließender Randomisierung) konzipiert, in der alle Versicherten aus der Schnittmenge Deutsche Rentenversicherung Rheinland und BKK Ford-Werke bzw. Deutsche Rentenversicherung Rheinland und AOK Rheinland hinsichtlich überdurchschnittlicher Arbeitsunfähigkeitszeiten und chronischen rehabilitierbaren Erkrankungen (ICD) überprüft werden. Teilprojekt 1 Validierung der Prädiktoren Fragebogen (PW5-Instrument) an Antragsteller von Rehaleistungen Begutachtung durch Ärztlichen Dienst Erstellung und Prüfung des Instrumentes zum Screening Teilprojekt 2 Gesundheitsökonomische Evaluation Auswahl der Studienteilnehmer (Chron. Erkrankung; AU-Zeiten) Screening auf Rehabedarf Randomisierung Interventionsgruppe Kontrollgruppe Erfassung der Kosten 24 M. vor Reha 1. Befragung (T1) Angebot der Rehabilitation 2. Befragung (T2 = T Monate) Erfassung der Kosten 12 M. nach Reha (T2) Erfassung der Kosten 24 M. nach Reha (T3) 22

24 3.1 Teilprojekt 1 Alle Versicherten, die vom Ärztlichen Dienst der Deutsche Rentenversicherung Rheinland während eines Monats wegen eines Antrags auf medizinische Rehabilitation in den Diagnosegrundgruppen (DGG) 1 (Bewegungsorgane), 2 (Herz-Kreislauf), 3 (Stoffwechsel), 7.2 (Psychische Erkrankungen außer Sucht) begutachtet wurden (Vollerhebung, N=1.295), erhielten vor der Untersuchung einen Fragebogen mit 32 Items zu Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes, Schmerzen sowie Einschränkungen und Belastungen in den Bereichen somatische und psychische Funktionen, Alltag und Erwerbsleben, die in einem Vorprojekt als Prädiktoren von Rehabilitationsbedürftigkeit gefunden worden waren (Pollmann et al., 2002). Nach dem Ausfüllen des Fragebogens fand die Begutachtung durch den bezüglich des Fragebogens verblindeten Arzt statt. Der Arzt quantifizierte nach der Untersuchung die Rehabilitationsbedürftigkeit in den Dimensionen Einschränkungen durch Organschäden, Einschränkungen durch Funktionsverluste, Einschränkungen bei Fähigkeiten des alltäglichen Lebens, Einschränkungen im Erwerbsleben und psychische Belastungen. Die Erfolgsprognose wurde in den Dimensionen Funktionsverbesserung, Wiedereingliederung ins Erwerbsleben, Fähigkeitsverbesserung und Lebensqualitätsverbesserung quantifiziert. Neben der ärztlichen Beurteilung der Motivation des Versicherten wurde die ärztliche Entscheidung für oder gegen die Gewährung einer Rehabilitation erfasst. 3.2 Teilprojekt 2 Im zweiten Teilprojekt wurden zunächst aus dem Datenbestand der BKK Ford und der AOK Rheinland diejenigen Versicherten gefiltert, die die folgenden Voraussetzungen erfüllten: Mitgliedschaft bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland Alter < 55 Jahre im Erwerbsleben Arbeitsunfähigkeitszeit mindestens 42 Tage in den letzten 12 Monaten Arbeitsunfähigkeit durch eine Diagnose aus den DGG 1, 2, 3 oder 7.2 begründet Vorliegen einer prinzipiell rehabilitierbaren Erkrankung (ICD 10-Prüfung) Die Krankenkassen zogen nach oben genannten Screeningvorgaben zu zwei Zeitpunkten Versicherte aus ihrem Datenbestand. Aus dieser Stichprobe wurden Versicherte zufällig ausgewählt und um Bearbeitung eines Screeningfragebogens gebeten. Es wurden Fragebogen (19,6%) zurückgesandt, hierunter wurden 722 Versicherte mit Rehabilitationsbedarf (laut Screeningfragebogen) identifiziert. Nach Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zur Gewährung einer medizinischen Rehabilitation verblieben 407 Versicherte in der Studie, die in Interventionsgruppe und Kontrollgruppe randomisiert wurden. Der Interventionsgruppe (215 Versicherte) wurde das Angebot einer Rehabilitation durch die Deutsche Rentenversicherung Rheinland gemacht. Die Rehabilitationsleistungen wurden kurzfristig in einer für die Erkrankung spezialisierten Rehabilitationseinrichtung als stationäre Leistung durchgeführt. Die Studienteilnehmer, die eine Rehabilitation ablehnten, verblieben in der Interventionsgruppe. Diejenigen Versicherten aus der Kontrollgruppe, die eine Rehabilitation während der Projektlaufzeit erhielten, verblieben ebenfalls in der Kontrollgruppe (Intent-to-treat-Analyse). Von den Versicherten werden die individuellen Kosten (stationäre Kosten, Medikamentenkosten, ambulante Kosten nach EBM-Gruppen) der vergangenen 24 Monate vor Rehabilitationsbeginn sowie 12 und 24 Monate nach Rehabilitationsende erfasst. Die Versicherten der Interventions- und Kontrollgruppe werden zu zwei Zeitpunkten (vor Intervention, Ein-Jahres-Katamnese) mit validierten Instrumenten (IRES 3) über den Gesundheitsstatus befragt. Daneben werden die Kosten der Intervention und die durch die Arbeitsunfähigkeitszeiten verursachten Kosten kalkuliert. 23

25 4. Ausgewählte Ergebnisse aus Teilprojekt 1: Zur Begutachtung von Rehabilitationsantragstellern 4.1 Problemstellung Rehabilitationsleistungen werden vom Rentenversicherungsträger gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit erheblich gemindert oder gefährdet ist und eine Aussicht auf Besserung durch die bewilligte Leistung besteht (SGB VI, 10). Im Antragsverfahren muss daher vom Gutachter neben der Rehabilitationsbedürftigkeit auch die Erfolgsaussicht beurteilt werden. Für das Antragsverhalten und den Wunsch nach Rehabilitation spielt die subjektive Rehabilitationsbedürftigkeit des Antragstellers eine Rolle (Zimmermann, 1999). Es konnte bereits gezeigt werden, dass es keine substantielle Korrelation zwischen subjektiver und objektiver Rehabilitationsbedürftigkeit gibt (Petras, 2000). Es ist jedoch unklar, in welchem Umfang objektive Rehabilitationsbedürftigkeit (Arzturteil) und Erfolgsprognose (Arzturteil) die Bewilligung der Rehabilitationsleistungen beeinflussen. Hierzu wurde die Entscheidung des begutachtenden Arztes über die Bewilligung von Rehabilitationsleistungen mit seiner Beurteilung der Rehabilitationsbedürftigkeit, seinem vermuteten Erfolg und der bei Rehabilitationsantragstellern erhobenen subjektiven Rehabilitationsbedürftigkeit verglichen. 4.2 Ergebnisse In die Auswertung konnten Versicherte, die einen Rehabilitationsantrag stellten, aufgenommen werden. Davon waren 67,8% männlich und das mittlere Alter betrug 46,7 ± 9,2 Jahre. Insgesamt wurde bei 983 (81%) Antragstellern eine Rehabilitation als notwendig beurteilt. Zur Entwicklung eines Screeninginstrumentes für Versicherte wurde der Versicherten-Fragebogen, der auf Basis der Ergebnisse aus dem Projekt PW5 (Pollmann et al., 2002) erstellt wurde, nach einer Itemanalyse mit den Urteilen des Arztes über die Rehabilitationsbedürftigkeit der Antragsteller (gesetzt als Goldstandard) verglichen. Der Fragebogen enthielt Items zur subjektiven Gesundheit (6 Items aus IRES-Min; Gesundheitszustand, Schmerzen, vitale Erschöpfung), psychosozialen Belastungen (16 Items; Zufriedenheit mit Gesundheit, Vermeidung körperlicher Belastungen, Arbeitsbelastung, Arbeitspensum, Interessenverlust, Einschränkung durch Krankheit, Fortführung der Alltagsaktivitäten, Fortführung der Freizeitaktivitäten, Traurigkeit) sowie zu Aktivitäten des täglichen Lebens (10 Items). Zur Korrelation der subjektiven Rehabilitationsbedürfnisse der Antragsteller und des Arzturteils wurden die Arzturteile zu einem Index zur Rehabilitationsbedürftigkeit zusammengefasst. Wie erwartet, fanden sich zwischen dem Arzturteil über die Rehabilitationsbedürftigkeit (Summenscore der fünf Dimensionen) und den Items zum subjektiven Rehabilitationsbedarf keine bedeutsamen Assoziationen. Die Korrelationen waren, obwohl signifikant, nur schwach ausgeprägt (Korrelationen zwischen 0.08 und 0.23; siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Korrelation der Rehabilitationsbedürftigkeit im Arzturteil mit subjektiver Rehabilitationsbedürftigkeit Dimension Korrelation mit den Skalen Korrelation mit den Einzelitems Subjektive Gesundheit (IRES-Variablen) 0,218** 0,120 0,200 Psychosoziale Belastungen 0,232** 0,075 0,226 Aktivitäten des täglichen Lebens 0,277** 0,129 0,193 ** p.01; Somit konnte mit den vorliegenden Items kein Instrument erstellt werden, mit dem auf das Arzturteil zur Rehabilitationsbedürftigkeit und damit auf die Entscheidung zur Durchführung einer Rehabilitation geschlossen werden kann. 24

26 Zur Ermittlung der Rehabilitationsbedürftigkeit für das Versichertenscreening im zweiten Teilprojekt wurde das Instrument IRES-Min neben Items (Leistungsvermögen in Beruf und Freizeit, Vermeidung körperlicher Belastung, Belastung durch Arbeit, Vorgesetztenverständnis, Interessenverlust, Fortführung der Alltagsaktivitäten, Aktivitäten des täglichen Lebens) eingesetzt, die über Item- und Regressionsanalyse ausgewählt wurden. Des Weiteren wurde untersucht, was den begutachtenden Arzt veranlasst, eine Rehabilitation zu befürworten. Mittels logistischer Regression wurde der Einfluss der Arztbeurteilungen zu Bedürftigkeit (siehe Tabelle 2) und Erfolg (siehe Tabelle 3) auf die Entscheidung (siehe Tabelle 4) des begutachtenden Arztes zur Durchführung einer Rehabilitation ermittelt. Die Rehabilitationsentscheidung wurde zu zwei Ausprägungen zusammengefasst: Durchführung einer Rehabilitation wird befürwortet (1) und Durchführung einer Rehabilitation wird nicht befürwortet (0). Hierbei wurde auch als Rehabilitationsbedarf definiert, wenn der Gutachter meinte, dass eine Krankenhausbehandlung nötig wäre und wenn wegen der Einhaltung der Vier-Jahres-Frist dem Antrag nicht stattgegeben werden konnte. Lautete die Entscheidung keine Rehabilitation, ambulante Behandlung ausreichend oder andere Gründe, so wurde kein Bedarf angenommen. Tabelle 2: Arzturteile zur Rehabilitationsbedürftigkeit Mittelwert Standardabweichung Min max N Rehabedürftigkeit aufgrund Organschäden 1,80 0, Rehabedürftigkeit aufgr. v. Funktionsverlusten 1,27 0, Rehabedürftigkeit Einschr. im Alltag 1,50 0, Rehabedürftigk.aufgr. Einschr. im Erwerbsleben 2,01 0, Rehabedürftigk. aufgr. psych. Belastung 1,29 1, Tabelle 3: Arzturteile zur Erfolgsprognose Mittelwert Standardabweichung Min max N Rehabedürftigkeit aufgr. v. Funktionsverlusten 1,85 0, Rehabedürftigkeit Einschr. im Alltag 2,03 0, Rehabedürftigk.aufgr. Einschr. im Erwerbsleben 1,80 0, Rehabedürftigk. aufgr. psych. Belastung 1,97 0, Tabelle 4: Rehabilitationsempfehlung der begutachtenden Ärzte Häufigkeit Prozent Rehabilitation soll durchgeführt werden ,6 keine Reha (ohne Angabe von Gründen) 30 2,5 keine Reha - ambulante Behandlung ausreichend 80 6,6 keine Reha - Krankenhausbehandlung erforderlich 5 0,4 keine Reha - 4-Jahres-Frist 39 3,2 keine Reha - andere Gründe 81 6,7 Summe ,0 missing

27 Bei den Arzturteilen zur Bedürftigkeit sind zwei von fünf Variablen signifikant: Bedürftigkeit aufgrund Einschränkungen im Erwerbsleben (OR: 6,8) und Bedürftigkeit aufgrund psychischer Belastung (OR: 1,6). Aus der Klassifikationstabelle ergibt sich, dass durch die Urteile zur Bedürftigkeit im zugrunde liegenden Modell 42% falsch negative und 4% falsch positive klassifiziert werden (siehe Tabellen 5 und 7). Bei den Urteilen zur Erfolgsprognose sind zwei von vier Variablen signifikant: Erfolg hinsichtlich Funktionserhalt (OR: 3,4) und Erfolg hinsichtlich Erhalt der Erwerbsfähigkeit (OR: 13,2). Die Vorhersagegüte der Urteile zur Erfolgsprognose liegt höher, lediglich 13% werden als falsch negative und 3% als falsch positive klassifiziert (siehe Tabellen 6 und 8). Tabelle 5: Logistische Regression (stepwise) Entscheidung des Arztes zur Rehabilitation erklärt durch Items zur Rehabilitationsbedürftigkeit (N=1127) Rehabilitationsbedürftigkeit im Arzturteil (pseudo-r 2 = 0,273) OR 95% KI P Bedürftigkeit wg. Einschränkungen im Erwerbsleben 6,8 4,8-8,1 < 0,001 Bedürftigkeit wg. psychischer Belastung 1,6 1,3-1,9 < 0,001 Tabelle 6: Logistische Regression (stepwise) Entscheidung des Arztes zur Rehabilitation erklärt durch Items zur Erfolgsprognose einer Rehabilitation (N=1133) Erfolgsprognose (pseudo-r 2 = 0,438) OR 95% KI P Erfolgsprognose hinsichtlich Erhalt der Erwerbsfähigkeit 13,2 8,5-19,9 < 0,001 Erfolgsprognose hinsichtlich Funktionserhalt 3,4 2,2-4,4 < 0,001 Tabelle 7: Vorhersage der Rehabilitationsentscheidung durch Urteil des Arztes über Rehabilitationsbedürftigkeit (in Prozent) Entscheidung zur Durchführung einer Rehabilitation Reha nein (vorhergesagt) Reha ja (vorhergesagt) Reha nein (beobachtet) 96 4 Reha ja (beobachtet) Tabelle 8: Vorhersage der Rehabilitationsentscheidung durch Erfolgsprognose des Arztes (in Prozent) Entscheidung zur Durchführung einer Rehabilitation Reha nein (vorhergesagt) Reha ja (vorhergesagt) Reha nein (beobachtet) 97 3 Reha ja (beobachtet) Entscheidend für eine Befürwortung bzw. Ablehnung einer Rehabilitationsmaßnahme ist demnach in erster Linie der erwartete Rehabilitationserfolg, in zweiter Linie die Rehabilitationsbedürftigkeit. Eine zuverlässige Vorhersage zur gutachterlichen Befürwortung einer Rehabilitation ist über eine alleinige Erhebung der Rehabilitationsbedürftigkeit beim Versicherten nicht möglich. 5. Diskussion Die Assoziation zwischen subjektiver und objektiver Rehabilitationsbedürftigkeit ist nicht ausreichend, um mit entsprechenden Instrumenten auf das Arzturteil über die Rehabilitationsbedürftigkeit schließen zu können. Der begutachtende Arzt berücksichtigt in seiner Entscheidung zu Rehabilitationsmaßnahmen sowohl die Rehabilitationsbedürftigkeit (vor allem bezüglich Einschränkungen im 26

28 Erwerbsleben und psychischen Belastungen) wie auch den vermuteten Erfolg hinsichtlich Funktionserhalt und Wiedereingliederung ins Erwerbsleben. Auftragsgemäß werden erwerbsbezogene Einschränkungen und (noch stärker) Erfolgsvermutungen stark berücksichtigt. Die Rehabilitationsbedürftigkeit scheint eine hinreichende Bedingung zur Gewährung einer Rehabilitation zu sein, die Erfolgsprognose jedoch eine notwendige. Wie die Erfolgsprognose des Arztes entsteht und welchen prognostischen Wert sie hat, bleibt offen. Ein Screening zur Rehabilitationsbedürftigkeit allein kann nach diesen Ergebnissen die ärztliche Begutachtung nicht ersetzen, wenngleich die Validität der ärztlichen Erfolgsbeurteilung nicht zu beurteilen ist. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Die Laufzeit des Projektes hat sich wegen teils beträchtlicher Schwierigkeiten in der Vorbereitungsund Rekrutierungsphase erheblich verlängert. Die Verzögerungen waren bedingt durch hohe Auflagen des Datenschützers bezüglich der Patienteninformation sowie eines geringeren Rücklaufs bei der Erstbefragung als geplant. Durch das Bemühen aller Projektbeteiligten, wobei die Arbeit der kooperierenden Krankenkassen besonders hervorzuheben ist, konnte die erforderliche Fallzahl, wenn auch mit Verzögerung, erreicht werden. Durch die Verzögerungen wird das Projekt erst zum abgeschlossen sein. Die Deutsche Rentenversicherung Bund als Förderer hat einer kostenneutralen Verlängerung zugestimmt. 7. Literatur Literatur beim Verfasser 8. Projektbezogene Publikationen H. Pollmann, B. Wild-Mittmann, C. Büchner, H.-D. Pannen (2003), Begutachtung von Reha-Antragstellern subjektive vs. objektive Rehabedürftigkeit. Vortrag anlässlich der Jahrestagung des NRW- Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften 2003, 27. Nov in Recklinghausen H. Pollmann, B. Wild-Mittmann, C. Büchner, H.-D. Pannen (2004), Begutachtung von Rehabilitationsantragstellern: Zwischen subjektiver Bedürftigkeit, objektivem Bedarf und Erfolgsprognose In: DRV-Schriften, 52, S

29 Prävention und Therapie traumaassoziierter psychischer Störungen von Unfallopfern in der Rehabilitation: Eine prospektive Prädiktorenstudie Förderkennzeichen: Förderer: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR Projektleiter: Univ.-Prof. Dr. G. Heuft, Dr.phil. Dipl.-Psych. C. Lange, Dr. med. M. Burgmer Projektmitarbeiter: Dr. med. M. Braunheim Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie Universitätsklinikum Münster Laufzeit: (inkl. kostenneutraler Verlängerung von 9 Monaten) Zusammenfassung Psychische Störungen nach Unfällen sowie ihre kurz- und langfristigen Folgen wurden bislang in Deutschland selten untersucht. In einer prospektiven Prädiktorenstudie wurde daher eine konsekutive Stichprobe von 202 Unfallopfern, die mindestens 1 Nacht stationär in der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster aufgenommen wurden, direkt, 6 und 12 Monate nach einem Unfall mit standardisierten Interviews und einem umfangreichen Fragebogen untersucht. Dabei hatten 27 % der Studienteilnehmer ihren Unfall im Verkehr, 26 % während der Arbeit, 29 % in ihrer Freizeit und 8 % im Haushalt erlebt. 20 % der untersuchten Unfallopfer waren schwer verletzt. 15 % der Patienten litten 6 wie 12 Monate nach dem Unfall unter einer nach dem Unfall neu aufgetretenen psychischen Störung. Unfallopfer mit einer psychischen Erkrankung wiesen längere Arbeitsunfähigkeitszeiten auf und schätzten ihre Leistungsfähigkeit schlechter ein als Unfallopfer ohne psychische Erkrankung. Die objektive sowie die subjektive Verletzungsschwere und die psychische Beschwerdesymptomatik direkt nach dem Unfall erwiesen sich als Prädiktoren für lange Arbeitsunfähigkeitszeiten. Insgesamt betonen die Ergebnisse die Wichtigkeit der subjektiven Wahrnehmung des Unfallereignisses und der Verletzungsschwere, die bei einem Screening für Risikopatienten unbedingt - neben der erhöhten psychischen Reaktion direkt nach dem Unfall - zu berücksichtigen ist. 1. Einleitung / Wissenschaftlicher Hintergrund Im Straßenverkehr verunglücken in Deutschland jährlich etwa Menschen, davon erleiden mehr als 20 % schwerste Verletzungen. Zudem kommen jährlich ca meldepflichtige Arbeitsunfälle. Ein Unfall unterbricht die Kontinuität des Lebens schlagartig und verlangt dem Unfallopfer und seinen Angehörigen extreme Anpassungsleistungen ab. Ein Unfall führt in vielen Fällen zu langjähriger medizinischer und rehabilitativer Versorgungspflicht wurden insgesamt stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aufgrund von Arbeits- und Verkehrsunfällen durchgeführt. Dabei hängt der Erfolg der beruflichen Rehabilitation nach einem Unfall nicht nur von somatisch-klinischen, sondern auch entscheidend von psychosozialen Variablen ab: Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) blieben signifikant länger in der Akutklinik, sie wurden länger und häufiger in einer Rehabilitationsklinik behandelt und benötigten mehr Hilfe und Unterstützung nach der Entlassung aus der stationären Behandlung als Patienten ohne PTSD (Frommberger et al. 1998). Häufig werden diese unfallbedingten psychischen Störungen in 28

30 der akut-medizinischen Behandlung nicht ausreichend erkannt und gefährden den Rehabilitationserfolg. Daher ist unter den Aspekten Kosten, Behandlungsergebnisse und Qualitätssicherung in der Rehabilitation die Beachtung psychischer Folgen nach Unfällen dringend geboten. Als Prädiktoren für die psychosoziale Anpassung nach Unfallverletzungen werden in der Literatur Variablen aus den folgenden Bereichen diskutiert: (a) Persönlichkeit (prämorbide Persönlichkeit, Alter, Geschlecht) (b) Unfall (Unfallart, subjektive Bewertung des Traumas, peritraumatische Dissoziation, Verletzungsschwere, Länge des Krankenhausaufenthaltes) (c) Unfallverarbeitung (Psychische Symptomatik, Coping, Arbeitsunfähigkeit). 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Obwohl Unfälle als häufigste Ursache für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) und anderer psychischer Störungen in der Bevölkerung gelten, wurden ihre kurz- und langfristigen psychischen Folgen in Deutschland bislang wenig erforscht. Bei der kritischen Betrachtung bislang vorliegender Studien fielen v.a. die geringe Stichprobengröße, der retrospektive Untersuchungsansatz, das spezifische Klientel und die Vernachlässigung von Art und Schwere der Verletzungen sowie des Unfalls auf. Es war geplant, in einer prospektiven klinischen Studie mind. 200 Patienten mit schweren Unfallverletzungen zu 3 Messzeitpunkten differenziert zu untersuchen. Dabei wurde neben dem Auftreten und der Art von traumaassoziierten psychischen Störungen der Zusammenhang von somatischen, sozialen und psychischen Variablen zur Persönlichkeit, zum Unfall und zur Unfallverarbeitung evaluiert, um so den Einfluss psychischer Unfallfolgen und anderer Prädiktoren für die Dauer der akuten bzw. rehabilitativen stationären Behandlung, der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie des weiteren Rehabilitationsverlaufes insgesamt zu ermitteln. Auf der Grundlage dieser Prädiktoren sollten Frühinterventionen zur Förderung des Rehabilitationsverlaufes schwerverletzter Patienten entwickelt werden. Dabei sollte die prospektive Untersuchung von individuellen Verläufen (von der Akutbehandlung bis zum Ende der Rehabilitation) helfen, Risikokonstellationen für einen problematischen Rehabilitationsverlauf (etwa psychische Störungen, Schmerzsyndrome etc.) möglichst frühzeitig zu identifizieren. 3. Methoden In einer prospektiven Studie wurden zu 3 Messzeitpunkten: direkt nach dem Unfall (T1), 6 Monate (T2) und 12 Monate später (T3) konsekutiv alle Patienten der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster, die mind. 1 Nacht stationär aufgenommen wurden, mit standardisierten Interviews und einem umfangreichen Fragebogen (s. Tabelle 1) untersucht. Ein schweres Schädelhirntrauma (SHT), eine Verletzung als Folge einer Suizidhandlung oder Gewalttat und fehlende Sprachkenntnisse führten zu einem Ausschluss aus der Studie. Tabelle 1: Eingesetzte Untersuchungsinstrumente Persönlichkeit Prämorbide psychische Erkrankung Ressourcen Unfall Subjektive Unfallschwere Objektive Verletzungsschwere Subjektive Verletzungsschwere Instrument Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV: - Lebenszeitprävalenz - aktuelle Diagnose - Persönlichkeitsstörung Sence of Coherence Visuelle Analogskalen [0-100]: - Schwere des Unfalls - Todesbedrohung - Unfallvermeidung Injury Severity Score Visuelle Analogskalen [0-100]: - Schwere der Verletzungen - Bleibende Schäden Abkürzung (Autor) SKID I und II (Wittchen 1997) SOC-13 (Schumacher 2000) ISS (Greenspan 1985) 29

31 Psychische Unfallfolgen Rehabilitationsergebnis Instrument Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV (SKID I aktuell) Brief Symptom Inventory Hospital Anxiety & Depression Scale Clinican-Administered PTSD Scale Dauer der Arbeitsunfähigkeit Subjektive Leistungsfähigkeit Abkürzung (Autor) SKID I (Wittchen 1997) BSI (Franke 2000) HADS D (Herrmann 1995) CAPS (Blake 1995) Bei der Auswertung der Daten kamen je nach Skalenniveau Chi 2 -Tests, Korrelationsberechnungen nach Pearson, t-tests sowie multiple lineare und logistische Regressionsanalysen zum Einsatz. 4. Ergebnisse 4.1 Responserate Zur Überprüfung der Repräsentativität der befragten Patienten wurde von Patienten, die sich weigerten an der Studie teilzunehmen oder im Verlauf der Ersterhebung abbrachen, neben den soziodemographischen Daten, Alter und Geschlecht verletzungsspezifische Parameter erhoben. Abbildung 1: Responserate der Stichprobe T1: Jan Jul 2003 T2: Jul Jan 2004 T3: Jan Jul (100 %) Patienten 208 / 297 (70,0 %) 169 / 208 (81,3 %) 163 / 208 (78,3 %) 49 / 297 (16,5 %) kein Einverständnis 46 / 297 (15,5 %) Abbruch 39 / 208 (18,8 %) Abbruch 6 / 169 (3,6 %) Abbruch Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, ergaben sich nur bei den Variablen Alter und Geschlecht signifikante Unterschiede, wobei v.a. ältere Patienten und Frauen die Teilnahme an der Untersuchung verweigerten, bei den verletzungsspezifischen Parametern zeigten sich keine Unterschiede. Tabelle 2: Vergleich Abbrecher vs. Studienteilnehmer Teilnehmer Nichtteilnehmer T, Chi, U p Alter (MW ± SD) 38,3 ± 13,8 43,3 ± 14,9-2,82 0,01 Geschlecht (F/M) 55 / / 53 5,75 0,01 ISS (MW ± SD) 9,1 ± 8,6 7,9 ± 7,0 1,20 0,22 Extremitäten Score (MW ± SD) 5,2 ± 5,1 4,9 ± 3,9 0,38 0,70 Polytrauma (Ja/Nein) 25 / / 82 1,12 0,29 Amputation (Ja/Nein) 29 / / 75 0,16 0,69 30

32 Bei einer differentiellen Analyse zeigte sich, dass Frauen häufiger als Männer (22 % vs. 13 %) die Teilnahme an der Untersuchung direkt verweigerten, wogegen sie im Verlauf der Erstbefragung genauso häufig wie Männer abgebrochen haben. Im Verlauf der Studie (T1 T3) brachen 39 Patienten die weitere Befragung ab. Diese Patienten unterschieden sich nicht hinsichtlich der Verletzungsschwere, des Verletzungsmusters (Amputation, Polytrauma), des Alters, der psychischen Vorbelastungen und der psychischen Traumafolgen voneinander. Jetzt blieben signifikant mehr Frauen in der Studie als Männer. 4.2 Demographische Daten / Persönlichkeit Es wurden deutlich mehr Männer als Frauen in die konsekutive Stichprobe eingeschlossen, wobei das Verhältnis 76 % zu 24 % mit den in der Literatur berichteten Stichproben übereinstimmt, zumal Männer sowohl im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit sowie im Verkehr einem höheren Unfallrisiko ausgesetzt sind als Frauen. Die Unfallopfer waren im Durchschnitt 38 Jahre alt mit einer Spanne von Jahren. Bei 43 % der befragten Patienten konnte im Lebensverlauf eine psychische Vorerkrankung festgestellt werden, 20 % der befragten Patienten waren aktuell vor dem Unfall psychisch erkrankt. Auffallend hoch war die Anzahl diagnostizierter Persönlichkeitsstörungen durch den SKID II mit 21 %. Somit waren nur 60 % der befragten Patienten direkt vor dem Unfall psychisch nicht beeinträchtigt. Betrachtet man alle 3 Diagnosemöglichkeiten (aktuelle SKID I Diagnose, Lebenszeit SKID I Diagnose, Persönlichkeitsstörung SKID II) zusammen, so wiesen insgesamt nur 52 % der Patienten keine psychischen Störungen aktuell oder in der Lebenszeit auf. 4.3 Unfallerleben Auffällig viele Patienten erlebten ihren Unfall im Rahmen ihrer Freizeitgestaltung (29 %), 27,4 % erlitten einen Verkehrsunfall, 26 % einen Arbeitsunfall. Der Anteil der Haushaltsunfälle war mit 8 % am geringsten. Die Unfallopfer beschrieben in 31 % ihren Unfall als menschlich verursacht, 40 % als schicksalhaft und bei 29 % gab es keine Fremdeinwirkung. Auf einer Analogskala [0-100] beurteilten 52 % der Patienten ihren Unfall als leicht bis mittelschwer (Wert: 50), 31 % der befragten Patienten schätzten ihn als eher sehr schwer ein (Wert: 75), im Durchschnitt stuften sie ihn mittelschwer (MW=54) ein. Dabei sahen 76 Patienten (37 %) den Unfall als durch sie selbst verursacht an. 50 % der Patienten waren der Meinung, dass sie den Unfall hätten verhindern können, 18,8 % fühlten sich am Unfall schuldig. 30 % der Patienten gaben Werte über 50 (Analogskala [0-100]) an, als Antwort auf die Frage, für wie wahrscheinlich sie es während des Unfalls hielten, getötet zu werden. 23 % der Patienten erlebten während oder direkt nach dem Unfall starke Angst oder sogar Todesangst. Bei einem cut-off von 50 (Analogskala [0-100]) gaben 23 % einen Kontrollverlust während des Unfalls an, 63 % fühlten sich während des Unfalls oder kurz danach hilflos. 4.4 Unfallfolgen 20 % der untersuchten Patienten hatten einen Injury Severity Score (ISS) von mind. 10 Punkten und sind damit als schwer verletzt zu bezeichnen. Im Mittel hatten die Patienten einen Verletzungsscore von 9 (SD = 8,6) mit einer Spannweite von 1 bis Patienten (14 %) zogen sich durch den Unfall eine Amputationsverletzung zu oder wurden als Folge der Unfallverletzung an mind. einer Extremität amputiert, hiervon 4 an einer der beiden unteren Extremitäten. Patienten schätzten ihre Verletzungen direkt nach dem Unfall (Analogskala [0-100]) mit einem Durchschnittswert von 55 höher ein als 6 bzw. 12 Monate (MW: 49) später. 50 % der untersuchten Unfallopfer sahen ihre Verletzungen als eher schwer an (cut-off > 50). Die stationäre Aufenthaltsdauer ist in Tabelle 3 dargestellt. Insgesamt erhielten nur 25 % der Patienten eine Rehabilitationsmaßnahme nach dem erlittenen Unfall. Bei 56 Patienten (34 %) wurde mind. eine Reoperation notwendig. 15 Patienten mussten mehr als einmal wieder operiert werden. 31

33 Tabelle 3: Aufenthaltstage im Akut- und Rehabilitationsbereich Aufenthaltsdauer (Tage) Mittelwert SD Spannweite Median 25 % Perzentile: 50 % 75 % Akutkrankenhaus 24,1 27, Rehabilitation 9,3 20, Gesamt 33,4 41, Berufliche Reintegration 39 Patienten (24 %) gaben eine Veränderung ihrer bis zum Unfall ausgeübten Tätigkeit (auch Tätigkeit als Hausfrau etc.) an. 77 % der Patienten (N = 38) konnten an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren, 12 Patienten (7 %) hatten ein Rentenverfahren eingeleitet, dass in 4 Fällen bereits genehmigt worden war. Im Durchschnitt waren die erwerbstätigen Patienten (N=128) 169 Tage arbeitsunfähig (SD=136, Spannweite: 2 bis 365 Tage, Median = 120). 13 % der Patienten kehrten sehr zügig wieder in den Arbeitsprozess zurück, 10 % waren zwischen 6 Monaten und 11 Monaten arbeitsunfähig, 27 % waren selbst 12 Monate nach dem Unfall weiterhin arbeitsunfähig. Ihre Leistungsfähigkeit schätzten 25 % der Patienten als deutlich schlechter im Vergleich zur Zeit vor dem Unfall ein, 22 % als etwas schlechter, nur die Hälfte der Patienten erlebte sich 1 Jahr nach dem Unfall hinsichtlich der Leistungsfähigkeit nicht verändert (53 %). Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (Einschätzung durch den Interviewer, falls das Begutachtungsverfahren noch nicht abgeschlossen war) lag bei 41 % der Patienten vor. 4.6 Fragestellungen / Hypothesen (1) Wie häufig treten posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) sowie weitere traumaassoziierte psychische Störungen direkt, 6 Monate sowie 12 Monate nach einem Unfall auf? Direkt nach dem Unfall konnte bei 8 % der Patienten (N=16) eine mind. subsyndromale PTSD diagnostiziert werden. Die Inzidenzrate stieg 6 Monate später deutlich auf 17 % (N=28) an, um 12 Monate nach dem Unfall wieder auf 12 % (N=19) abzusinken. 6 Monate nach dem Unfall wurden durch den SKID 14 % (N = 24) neu aufgetretene psychische Störungen diagnostiziert, 12 Monate nach dem Unfall waren es 13 % (N = 21). Die differentielle Analyse der SKID-Diagnosen machte deutlich, dass die Fragestellung nach der Inzidenz von psychischen Störungen nach Unfällen von der prämorbiden Persönlichkeit nicht zu trennen ist, da ansonsten die psychischen Auswirkungen von Unfällen überschätzt werden. Unter Berücksichtigung der Komorbiditäten ließen sich so 6 Monate nach dem Unfall insgesamt 15 % (N = 26) der Patienten mit einer nach dem Unfall neu aufgetretenen psychischen Störung identifizieren (SKID I Diagnose & PTSD Vollbild). 12 Monate nach dem Unfall blieb die Inzidenzrate gleich. Abbildung 2: Verlauf der PTSD Symptomatik über alle 3 Erhebungszeitpunkte T1 T2 T3 mind. subsyndromal 16 7,7 % 21 Keine PTSD ,3 % ,6 % ,4 % ,7 % ,3 % Drop-out N=39 N=6 32

34 Insgesamt konnte kein einheitliches Muster der Störungsverläufe über die 3 Messzeitpunkte identifiziert werden. (2) Wie wirken sich die psychischen Traumafolgen auf die weitere Entwicklung des Unfallopfers hinsichtlich seines Rehabilitationsergebnisses in den beruflichen Parametern aus? Zu allen 3 Messzeitpunkten wiesen Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung PTSD (im CAPS) oder einer allgemeinen psychischen Belastung (gemessen durch den Global Severity Index (GSI) des BSI) längere Arbeitsunfähigkeitszeiten auf als Patienten ohne psychische Symptomatik. 6 Monate nach dem Unfall waren Patienten mit einer PTSD Symptomatik signifikant länger arbeitsunfähig erkrankt, 12 Monate nach dem Unfall Patienten mit ausgeprägter allgemeiner psychischer Symptomatik. Patienten mit einer psychischen Symptomatik schätzten ihre Leistungsfähigkeit häufiger als verschlechtert ein als Patienten ohne ausgeprägte psychische Symptomatik, 6 und 12 Monate nach dem Unfall wurden diese Häufigkeitsunterschiede signifikant. (3) Welchen Einfluss hat die Verletzungsschwere auf die psychischen Traumafolgen und das Rehabilitationsergebnis? Patienten mit den Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung waren nicht signifikant schwerer verletzt als Patienten ohne PTSD, sie schätzten sich nach dem Unfall aber subjektiv als schwerer verletzt ein. Patienten mit einer allgemeinen psychischen Belastung waren sowohl objektiv wie subjektiv schwerer verletzt als Patienten ohne allgemeine grundsätzliche Belastung. Patienten, die ihre Leistungsfähigkeit als verschlechtert erleben, waren ebenfalls sowohl objektiv wie subjektiv schwerer verletzt als Patienten, die ihre Leistungsfähigkeit als unverändert einschätzen. Es besteht ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der objektiven wie subjektiven Verletzungsschwere, wobei die Korrelation zwischen der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der subjektiven Verletzungsschwere mit r =.49 höher war als zwischen der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der objektiven Verletzungsschwere. (4) Welchen Einfluss hat das Unfallerleben auf die Entwicklung der psychischen Traumafolgen sowie des weiteren Rehabilitationsergebnisses? Patienten, die während des Unfalls eine Todesbedrohung erlebten, entwickelten häufiger eine posttraumatische Belastungsstörung als Patienten, die keine Todesbedrohung erlebten. Patienten, die ihren Unfall subjektiv als schwer beurteilten, entwickelten häufiger eine andere traumaassoziierte psychische Störung als Patienten, die ihren Unfall als leicht beurteilten. Patienten, deren Verletzungen objektiv als schwer beurteilt wurden, waren länger arbeitsunfähig als Patienten, deren Verletzungen objektiv als leicht zu beurteilen waren. Patienten, die ihre Verletzungen subjektiv als schwer beurteilten, schätzten ihre Leistungsfähigkeit schlechter ein als Patienten, die ihre Verletzungen als leicht beurteilten. (5) Welchen Einfluss hat die Persönlichkeit auf die Entwicklung psychischer Traumafolgen? Patienten mit einer SKID I Diagnose (aktuell oder Lebenszeit) entwickeln signifikant häufiger allgemeine psychische Belastungssymptome als Patienten ohne SKID I Diagnose in der Vorgeschichte. Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung trifft dieser Zusammenhang nicht zu. Im Verhältnis entwickeln Frauen fast doppelt so häufig eine Posttraumatische Belastungsstörung wie Männer, wobei diese Unterschiede nur 6 Monate nach dem Unfall signifikant wurden. (6) Durch welche Prädiktoren zu T1 lassen sich die Entwicklung einer traumaassoziierten psychischen Störung sowie das Rehabilitationsergebnis zu T3 am besten vorhersagen? Die psychische Belastung 12 Monate nach dem Unfall ließ sich durch (a) die prämorbide Persönlichkeit, (b) die subjektive Todesbedrohung während des Unfalls, (c) die objektive Verletzungsschwere und (d) die direkte psychische Belastung nach dem Unfall vorhersagen (s. Abbildung 3). 33

35 Bei der Schwere der PTSD Symptome 12 Monate nach dem Unfall spielten die Variablen (a) weibliches Geschlecht (b) die wahrgenommene Todesbedrohung und (c) die direkte psychische Belastung nach dem Unfall eine Rolle (s. Abbildung 3). Abbildung 3: Prädiktorenmodell Psychische Traumafolgen T1 T1 SKID I Lebenszeit Persönlichkeit Geschlecht Obj. Verletzungsschwere Psychische Belastung T3 Unfall PTSD Todesbedrohung Todesbedrohung Psychische Belastung Psychische Reaktion Psychische Belastung Bei der Dauer der Arbeitsunfähigkeit waren Variablen zur (a) objektiven und (b) subjektiven Verletzungsschwere sowie (c) die akuten Belastungssymptome (CAPS) direkt nach dem Unfall relevant (s. Abbildung 4). Auf die subjektive Einschätzung der Leistungsfähigkeit wirkten sich (a) das Alter (b) die objektive und (c) die subjektive Verletzungsschwere sowie (d) die psychische Belastung direkt nach dem Unfall aus (s. Abbildung 4). Abbildung 4: Prädiktorenmodell Rehabilitationsergebnis T1 Persönlichkeit Alter Obj. Verletzungsschwere Subj. Verletzungsschwere AU T3 Unfall Leistungsfähigkeit Obj. Verletzungsschwere Subjektive Unfallschwere PTSD Symtome Psychische Reaktion Psychische Belastung 5. Diskussion und Ausblick 6 Monate nach dem Unfall litten 15 % der Patienten unter einer nach dem Unfall neu aufgetretenen psychischen Störung, 12 Monate nach dem Unfall blieb die Inzidenzrate mit 14 % nahezu gleich. Das Spektrum der psychischen Erkrankungen betraf neben der Posttraumatischen Belastungsstörung depressive Erkrankungen sowie Angst- und Anpassungsstörungen. Die Unfallopfer, die psychisch erkrankt waren, wiesen längere Arbeitsunfähigkeitszeiten auf und schätzten ihre Leistungsfähigkeit deutlich schlechter ein als Unfallopfer ohne psychische Symptomatik. Als Risikofaktoren für lange Arbeitsunfähigkeitszeiten erwiesen sich neben der (a) objektiven Ver- 34

36 letzungsschwere, (b) die subjektiv wahrgenommene Verletzungsschwere sowie die (c) akute Belastungssymptomatik direkt nach dem Unfall. Insgesamt betonen die Ergebnisse die Wichtigkeit der subjektiven Wahrnehmung des Unfallereignisses und der Verletzungsschwere, die bei einem Screening für Risikopatienten unbedingt - neben der erhöhten psychischen Reaktion direkt nach dem Unfall - zu berücksichtigen ist. Gesundheitspolitisch ist eine Aufklärung darüber, dass eine PTSD oder eine andere psychische Belastung nach einem Unfall bei jedem Unfallopfer auftreten kann, sowohl für die Beteiligten selber wie für die weiterbehandelnden Ärzte wichtig, da dann entsprechend hilfreiche Interventionen angeregt und aufgesucht werden können. Patienten mit einem erhöhtem Risiko, eine PTSD oder andere psychische Störungen zu entwickeln, können nun direkt nach dem Unfall identifiziert, aufgeklärt und ggfs. Frühinterventionen zugewiesen werden, die ihnen helfen, die mit dem Unfall verbundenen Schwierigkeiten zu verarbeiten. Im Rahmen des Konsiliardienstes am Universitätsklinikum Münster wurden durch die enge Kooperation im Rahmen der Studie und der damit verbundenen Sensibilisierung der dortigen Mitarbeiter mittlerweile deutlich mehr Unfallopfer zur psychosomatischen Diagnostik vorgestellt. Nach einer ausführlichen Diagnostik war es aufgrund der Schwere der traumaassoziierten psychischen Störung in einigen Fällen sinnvoll, eine psychosomatische Rehabilitation in einer Klinik mit einem speziellen Behandlungsangebot für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung zu empfehlen. 6. Überlegungen und Vorbereitungen zur Umsetzung der Ergebnisse Angesichts der von uns prospektiv identifizierten Risikoprofile für die Entwicklung psychischer Störungen nach schweren Unfällen (mit ihren negativen Folgen für eine gelingende Rehabilitation und (berufliche) Wiedereingliederung) sollte die gesundheitspolitische Öffentlichkeit die Integration eines Psychosomatischen Konsiliardienstes in alle Unfallchirurgische Zentren fordern. Im derzeitigen Krankenhausfinanzierungssystem (DRG-gestützt), das auf diagnosebezogenen Fallpauschalen, die nur die somatischen Verletzungsfolgen und nicht die psychische Komorbidität von Patienten berücksichtigt, beruht, sind für eine solche Innovation kaum Mittel vorgegeben. Was jenseits der Akutversorgung an Langzeitkosten resultiert, ignoriert das DRG-System. Somit sind die Kliniken der Akutversorgung nicht in der Lage, den orthopädischen und neurologischen Rehabilitationskliniken, in denen ein Teil der Unfallopfer langfristig behandelt wird, die notwendigen Informationen über mögliche psychische Komorbiditäten zu geben. In diesen eher somatisch ausgerichteten Rehabilitationskliniken müssten zudem psychosomatische Konzepte zur Behandlung traumatisierter Unfallopfer integriert werden, um diesen professionelle Hilfe im Umgang mit ihren seelischen Traumafolgen zur Verfügung zu stellen. Auf dem Hintergrund dieser Problematik wurde bereits 2003 in Kooperation mit den Opferschutzbeauftragten der Polizei, dem Versorgungsamt Münster und dem Regierungspräsidium Münster im Auftrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in der hiesigen Klinik eine Traumaambulanz eingerichtet, die sich u.a. mit der spezifischen Problematik von Unfallopfern beschäftigt und nach einer umfangreichen Diagnostik diesen auf den individuellen Fall abgestimmte adäquate Behandlungsmöglichkeiten anbietet. 7. Literatur: bei den Autoren 8. Kongressbesuche mit Präsentation und Publikationen M. Burgmer, C. Lange, M. Braunheim, G. Heuft: Traumaassoziierte psychische Störungen bei Unfallopfern Hypothesen der prospektiven Studie und bisheriger Verlauf. Expertentagung zu psychischen Störungen bei Unfallopfern. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Arbeitsgruppe: Posttraumatische Belastungsstörung nach Arbeitsunfällen M. Braunheim, C. Lange, M. Burgmer, M. Langer, G. Heuft (2003) Traumaassoziierte psychische Störungen von Unfallopfern eine prospektive Prädiktorenstudie. Vortrag i. R. der 54. Jahrestagung des 35

37 Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) vom in Göttingen, Vortrag am Psychother Psych Med 53: 100 M. Burgmer, C. Lange, M. Langer, M. Braunheim, G. Heuft: The psychological consequences of traumatic injuries. Presentation at the VIII European Conference on Traumatic Stress. Berlin, Germany May European Psychotherapy Vol 4. Special Edition 2003: p76 M Braunheim, C. Lange, M. Burgmer, M. Langer, G. Heuft(2003) Entwicklung und Verlauf der Posttraumatischen Belastungsstörung nach Unfällen: Ergebnisse einer Längsschnittstudie zur Prädiktorenermittlung. Abstract im Programm der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie und Psychopathometrie (DGMPP) gemeinsam mit dem Collegium Internationale Psychiatriae Scalarum (CIPS) vom in Mainz M. Burgmer, C. Lange, M. Braunheim, M. Langer, M.J. Raschke, G. Heuft: Häufigkeit und Prädiktoren für die Entwicklung von posttraumatischen, depressiven oder ängstlichen Symptomen in den ersten Tagen nach einem Unfall. Vortrag auf der 55. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), März 2004, Geldern. Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie 2004; 54(2):86 M. Braunheim, C. Lange, M. Burgmer, M. Langer, M.J. Raschke, G. Heuft: PTSD-Prävalenz nach Unfällen in Abhängigkeit vom Erhebungszeitpunkt des Traumakriteriums (Kriterium A). Vortrag auf der 55. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), März 2004, Geldern. Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie 2004; 54(2):86 J. Gerken, M. Burgmer, C. Lange, M. Braunheim, M. Langer, M.J. Raschke, G. Heuft: Validität der revidierten Fassung der Impact of Event-Skala (IES-R) an einem Kollektiv von Unfallverletzten. Posterpräsentation auf der 55. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), März 2004, Geldern. Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie 2004; 54(2):90 C. Lange, M. Burgmer, M. Braunheim, M. Langer, M.J. Raschke, G. Heuft: Prädiktoren für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Vortrag auf der 55. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), März 2004, Geldern. Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie 2004; 54(2):101 M. Braunheim, C. Lange, M. Burgmer, M. Langer, G. Heuft: Auswirkungen von traumaassoziierten psychischen Störungen auf den Rehabilitationsverlauf nach Unfällen. Vortrag auf dem 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), März 2004, Düsseldorf. C. Lange, M. Burgmer, M. Braunheim, G. Heuft: Der Einfluss von psychischen Störungen nach einem Unfall auf den weiteren Rehabilitationsverlauf. Vortrag i.r. der Jahrestagung des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften am in Bielefeld M. Burgmer, C. Lange, M. Braunheim, M. Langer, G. Heuft: Prevalence and Prediction of Posttraumatic Psychich Disorders after an Accident a Prospective Study. Presentation at the 9th European Conference on Traumatic Stress. Stockholm, Sweden June M. Burgmer, C. Lange, M. Braunheim, M. Langer, G. Heuft: Influence of Mental and Posttraumatic Stress Disorders on the Course of Rehabilitation after an Accident a Prospective Study. Presentation at the 9th European Conference on Traumatic Stress. Stockholm, Sweden June 2005 Zurzeit sind einige Arbeiten in hochrangigen internationalen Journals im Review-Verfahren. Es war verabredet worden, die Studie erst nach der Gesamtauswertung zu publizieren, um sie entsprechend platzieren zu können. 36

38 Kontaktadresse: Univ.-Prof. Dr. Gereon Heuft Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie Domagkstr Münster Tel.: Fax: Homepage: 37

39 Subjektive Patientenkonzepte und Rehabilitationspraxis in der kardiologischen Rehabilitation: Eine geschlechtsspezifische Analyse von Kongruenzen/Inkongruenzen und deren Auswirkungen auf Compliance und Rehabilitationserfolg Förderkennzeichen: PW II/9 Förderer: Deutsche Rentenversicherung Westfalen (LVA Westfalen) Titel des Projektes: SPUR-Projekt Subjektive Patientenkonzepte und Rehabilitationspraxis in der kardiologischen Rehabilitation: Eine geschlechtsspezifische Analyse von Kongruenzen/Inkongruenzen und deren Auswirkungen auf Compliance und Rehabilitationserfolg Projektleiter: PD Dr. Anja Leppin, Dr. Gesine Grande, PD Dr. Hermann Mannebach Projektmitarbeiter: Thomas Altenhöner MPH Laufzeit: Zusammenfassung Mit Hilfe des SPUR-Projekts wurde an kardiologischen AHB-Patienten untersucht, inwieweit sich weibliche und männliche Patienten hinsichtlich ihrer rehabilitationsbezogenen Vorstellungen voneinander unterscheiden. Anhand einer Stichprobe von 543 Herzinfarktrehabilitanden (weiblich=25%) zeigte sich, dass Frauen etwas höhere Erwartungen an bestimmte Therapieangebote sowie einige Struktur- und Prozessmerkmale hatten. Außerdem gaben Frauen für manche Rehabilitationsziele etwas ausgeprägtere Zielvorstellungen an. Die Bewertung des Therapieprogramms und der Struktur- bzw. Prozessparameter am Ende der AHB fiel insgesamt sehr positiv aus und wies nur wenige Geschlechtsdifferenzen auf. Weiterhin hatten die Patientinnen und Patienten am Ende der AHB angegeben, ihre zuvor anvisierten Rehabilitationsziele zu einem großen Teil erreicht zu haben. Zwischen Männern und Frauen wurden dabei geringe Differenzen nachgewiesen, nach denen Frauen allerdings einige Ziele in geringerem Umfang erreicht hatten als Männer. 1 Einleitung/wissenschaftlicher Hintergrund In der kardiologischen Rehabilitation konnten bisher primär kurzfristige Wirksamkeitsnachweise erbracht werden, während mittel- und längerfristige Erfolge eher selten nachgewiesen werden konnten (Grande, Schott & Badura, 1998). Eine wesentliche Ursache für diese Transfer-Lücke zwischen AHB und Alltagsleben scheint in der mangelnden Patienten-Compliance, das heißt einer Bereitschaft zur aktiven Therapiemitarbeit im Hinblick auf grundlegende Lebensstiländerungen, Medikamenteneinnahme und ein regelmäßiges Aufsuchen von Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen, zu liegen (siehe Petermann & Koch, 1998). Gesundheitspsychologische wie auch allgemeine Einstellungs- Verhaltens-Modelle legen nahe, Determinanten für diese mangelnde Compliance im Bereich von subjektiven Einschätzungen und Erwartungen zu suchen: Hierzu gehören z.b. Einschätzungen über die Erkrankung (Bedrohungspotential, Chronizität etc.), Erwartungen bezüglich effektiver Behandlungsmöglichkeiten (Ergebniserwartungen) sowie der eigenen Fähigkeit, die notwendigen Modifika- 38

40 tionen vorzunehmen und durchzuhalten (Selbstwirksamkeitserwartungen). Motivation und Verhalten von Patienten erklären sich jedoch nicht allein aus individuellen Faktoren, sondern auch die erlebte Kongruenz bzw. Inkongruenz zwischen subjektiven Erwartungen und konkreten Rehabilitationsangeboten, d.h. die Bedürfnisorientierung der Angebote spielt eine wichtige Rolle (siehe Petermann & Koch, 1998). Diskrepanzen scheinen nach bisherigen Erkenntnissen für Frauen häufiger aufzutreten als für Männer (siehe Deck, Zimmermann, Kohlmann & Raspe, 1998), und einige US-amerikanische Studien berichten, dass Frauen ihre Ziele in der Rehabilitation weniger häufig aufgenommen und erfüllt sehen als Männer (siehe Konstam & Houser, 1994; Moore & Kramer, 1996). Völlig ungeklärt ist bisher, inwieweit sich solche subgruppenspezifischen Unterschiede auf das krankheitsrelevante Verhalten der Patienten sowie auf den Reha-Erfolg nach Beendigung der Maßnahme auswirken. 2 Ziel des Vorhabens und Fragestellung Beantwortet werden sollen daher folgende Fragestellungen: 1. Inwieweit unterscheiden sich männliche und weibliche Rehabilitanden im Hinblick auf ihre subjektiven Konzepte bezüglich der Rehabilitation, ihrer Erkrankung sowie im Hinblick auf ihre eigenen Umgangsmöglichkeiten hiermit? 2. Inwieweit nehmen weibliche und männliche Patienten eine Übereinstimmung zwischen ihren subjektiven Erwartungen und Einschätzungen einerseits, dem Rehabilitationsprogramm, an dem sie teilnehmen, andererseits wahr? 3. Inwieweit haben wahrgenommene Kongruenzen bzw. Inkongruenzen einen Einfluss auf die Compliance in den Bereichen Verhaltensänderungen, Medikamenteneinnahme sowie Inanspruchnahme von Nachsorgeangeboten und auf den Rehabilitationserfolg? 3 Methoden und Arbeitsplan Studiendesign Das SPUR-Projekt wurde als prospektive Längsschnittstudie mit drei Messzeitpunkten durchgeführt. Die erste Messung (T1) fand ganz zu Anfang der Rehabilitation in den ersten beiden Tagen der Anschlussheilbehandlung statt. Eine zweite Erhebung (T2) erfolgte dann am Ende der Maßnahme und der Zeitpunkt der Nachbefragung zur Erfassung der mittelfristigen Outcome-Parameter (T3) lag sechs Monate nach der Entlassung aus der Rehabilitationsklinik. Zu allen drei Messzeitpunkten wurden die Patienten und ihre jeweils behandelnden Ärzte mit Hilfe von anonymisierten, schriftlichen Fragebogen befragt. Zu T1 und T2 füllte neben dem Patienten der behandelnde Arzt in der Rehabilitationsklinik den betreffenden Fragebogen aus. ½ Jahr nach der Rehabilitation erhielten die Studienteilnehmer die vollständigen Unterlagen für den dritten Messzeitpunkt. Diese beinhalteten einen Fragebogen für den Patienten sowie einen adressierten und frankierten Rückumschlag, mit dem der Patientenfragebogen zurückgeschickt wurde. Darüber hinaus lag dem Schreiben ein Umschlag mit den Arztunterlagen (Arztfragebogen & Rückumschlag) bei, den die Patienten jeweils an ihre behandelnden Hausärzte bzw. Kardiologen weiterleiten sollten, damit diese den Arztfragebogen 3 ausfüllen konnten. Das Studiendesign ist in Abbildung 1 graphisch dargestellt. In die Studie wurden AHB/AR-Patienten mit den folgenden Einschlusskriterien aufgenommen: AHB/AR nach akutem Myokardinfarkt; keine Bypass-Operation; kardiologische Erstrehabilitation, Höchstalter 75 Jahre & Deutschsprachigkeit. Abbildung 1: Studiendesign Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 Messzeitpunkt 3 Arztfragebogen 1 Arztfragebogen 2 Arztfragebogen 3 Patientenfragebogen 1 Patientenfragebogen 2 Patientenfragebogen 3 Anfang der AHB Ende der AHB 6 Monate nach der AHB 39

41 Stichprobenrekrutierung, Teilnahmeverweigerung und Drop-Out In der Zeit von September 2002 bis August 2003 sind in den 14 kooperierenden Kliniken 543 Myokardpatienten und -patientinnen, die an einer AHB oder AR teilgenommen haben, für die Studie rekrutiert worden. Die Fragebögen der Messungen zu T1 und T2 (Beginn und Ende der Rehabilitation) liegen dem Projekt vollständig vor. Der Rücklauf der Erhebung 6 Monate nach der AHB/AR (T3) beträgt 502 Patientenfragebögen und 447 Arztfragebögen. Für die Patientenunterlagen ergibt sich eine Rücklaufquote von 92,4%, für die Arztfragebögen erreicht die Quote 82,3%. Berücksichtigt man, dass die Patienten, die ihre Teilnahme ein halbes Jahr nach der Rehabilitation verweigert haben, vermutlich auch ihre T3-Arztunterlagen nicht weiterleiteten, kann davon ausgegangen werden, dass etwa 90% der niedergelassenen Ärzte, die einen Fragebogen erhielten, diesen ausgefüllt an das Projekt zurückgeschickt haben. 5 Patienten (1%) sind in den ersten sechs Monaten nach der Rehabilitation verstorben. 36 Patienten (6,6%) haben ihre Mitarbeit zu T3 verweigert. Aufgrund der intensiven Recherchen und der Mitarbeit von mehreren Einwohnermeldeämtern konnte der Lebendstatus für alle Patienten zu T3 aufgeklärt werden. Ein Überblick zum dargestellten Datenrücklauf wird in Tabelle 1 gezeigt. Tabelle 1: Fragebogenrücklauf SPUR-Projekt Patientenfragebogen Arztfragebogen Patientenfragebogen Arztfragebogen Patientenfragebogen Arztfragebogen Zeitpunkt Anzahl (N) Anteil (%) T T T ,4 83,3 Beschreibung der Stichprobe Für das SPUR-Projekt sind 136 weibliche Patienten rekrutiert worden, der Frauenanteil liegt damit bei exakt 25%. Die aufgenommenen Patienten weisen zum Zeitpunkt des Rehabilitationsbeginns ein Durchschnittsalter von 58,8 Jahren (SD=10,5 Jahre) auf. Der jüngste Patient ist 29 Jahre alt gewesen, das Höchstalter beträgt aufgrund der Altersbegrenzung 75 Jahre. Es zeigt sich, dass die Studienteilnehmerinnen mit 61½ Jahren im Mittel fast drei Jahre älter sind als die männlichen Rehabilitanden (M=57,8 Jahre). In anderen neueren Studien an kardiologischen Patienten wie beispielsweise der PIN-Studie sind mit einem Frauenanteil von 22% (Baessler et al., 2001) ähnliche Prozentsätze weiblicher Rehabilitanden gefunden worden (vgl. auch Grande, Leppin, Mannebach et al. 2002; Grande, Leppin, Romppel et al., 2002; Willich et al., 2001). Ebenso spiegeln sich in diesen Untersuchungen vergleichbare Altersunterschiede wider, wobei sich etwas geringere Differenzen durch eine frühere Altersbegrenzung (z.b. Baessler et al., 2001) und etwas größere Unterschiede durch das Nichtvorhandensein einer oberen Altersgrenze (z.b. Grande, Leppin, Romppel et al., 2002, Willich et al., 2001) in der jeweiligen Studie erklären lassen. Ein Überblick über die Verteilung der soziodemographischen Merkmale inklusive der statistischen Kennwerte ist in Tabelle 2 zu sehen. Die Werte werden dort sowohl für die Gesamtstichprobe als auch geschlechtsspezifisch getrennt aufgeführt. Wie für das Alter zeigen sich auch hinsichtlich der anderen soziodemographischen Parameter zum Teil deutliche geschlechtsspezifische Differenzen. Während der Anteil der Berufstätigen in der Gesamtstichprobe bei fast 50% liegt, ist nur etwas mehr als ein Viertel der Patientinnen zum Zeitpunkt des Infarkts einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Dieser Unterschied bestätigt sich auch in einem Regressionsmodell nach Kontrolle des Alters (WaldGeschlecht=8,0, p<.01). 40

42 Tabelle 2: Verteilung der soziodemographischen Merkmale Merkmal (N=543) Gesamt weiblich männlich Prüfwert p Geschlecht (%) Alter in Jahren (M/SD) Erwerbstätige (%) Schulbildung (jeweils %) keinen Schulabschluss Volks-, Hauptschule Realschule/Mittlere Reife/POS Fachhochschulreife Abitur -- 58,8 (10,5) ,5 (9,6) ,8 (10,6) T=-3,6 χ 2 =18,2 <.001 <.001 χ 2 =10,3 <.001 Insgesamt hat sich gezeigt, dass die meisten Patienten über eher niedrigere schulische Bildungsabschlüsse verfügen. So haben etwa zwei Drittel der Stichprobe maximal die Hauptschule abgeschlossen. Annähernd jeder fünfte Patient hat die Mittlere Reife erreicht. Mit einer Fachhochschulreife bzw. einem Abitur beendeten 15% ihre schulische Laufbahn. Auch hier zeigen sich Differenzen zwischen Männern und Frauen. Frauen haben häufiger höchstens den Hauptschulabschluss erreicht, während Männer öfter die fachbezogene oder allgemeine Hochschulreife erlangt haben. Insgesamt zeigen Analysen weiterer Parameter, dass die vorliegende Stichprobe des SPUR-Projektes hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale weitestgehend ähnliche Verteilungen aufweist wie die vergleichbare Altersgruppe in der Gesamtbevölkerung Deutschlands. 4 Ergebnisse Unterschiede in den Patientenkonzepten zu Beginn der Rehabilitation Mit Hilfe von univariaten Varianzanalysen ist hier der Einfluss des Geschlechts überprüft worden. Die Effekte der soziodemographischen Merkmale Alter und Sozialstatus werden in den jeweiligen Modellen kontrolliert. Des Weiteren ist der vom Arzt eingeschätzte allgemeine Gesundheitszustand als Kontrollvariable in die Modelle einbezogen worden. Berichtet werden ausschließlich Befunde, für die sich ein signifikanter Einfluss der Prädiktorvariablen gezeigt hat. Tabelle 3: Unterschiedliche Programmerwartungen weiblicher und männlicher Infarktpatienten zu Beginn der Rehabilitation Therapie (1 = nicht wichtig bis 5 = extrem wichtig) weiblich (M/SD) männlich (M/SD) Muskelaufbautraining 2,8 (1,3) 3,3 (1,3) 11,3 =.001 Einzelkrankengymnastik 3,6 (1,4) 3,3 (1,3) 4,1 <.05 Entspannungstraining 3,7 (1,3) 3,5 (1,3) 5,7 <.05 Einzelpsychotherapie 3,1 (1,4) 2,9 (1,4) 7,1 <.01 Kochübungen 3,2 (1,4) 2,9 (1,3) 5,5 <.05 Kontrollierte Merkmale: Alter, Sozialstatus, allgemeiner Gesundheitszustand F p Geschlechtsspezifische Programmerwartungen ergeben sich für fünf Angebote (Tabelle 3). Im bewegungstherapeutischen Bereich haben Männer höhere Erwartungen an das Muskelaufbautraining, während sich Frauen etwas mehr von physiotherapeutischen Einzelbehandlungen versprechen. Außerdem sind Frauen die psychologischen Verfahren Entspannungstraining und Einzelpsychotherapie wichtiger wie auch die praktischen Kochübungen, von denen sie sich ebenso mehr erhoffen als die männlichen Rehabilitanden. Der geschlechtsspezifische Vergleich der Zielsetzungen zeigt signifikante Befunde für drei von fünf im Rahmen einer Faktorenanalyse generierten Faktoren (siehe Tabelle 4). Darüber hinaus weisen 41

43 die zwei nicht dargestellten Faktoren Information und Erholung sowie Ernährung und physische Aktivität tendenzielle Unterschiede in gleicher Richtung auf. Demnach scheinen sich Frauen grundsätzlich etwas höhere Ziele in der Rehabilitation zu setzen als Männer. Tabelle 4: Unterschiedliche Zielvorstellungen männlicher und weiblicher Herzinfarktrehabilitanden Ausmaß der Zielsetzung (1 = überhaupt nicht bis 5 = unbedingt) weiblich (M/SD) männlich (M/SD) Körperliche Regeneration und Leistungsfähigkeit 4,7 (0,6) 4,6 (0,6) 5,6 <.05 Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit 4,6 (0,8) 4,2 (1,0) 8,4 <.01 Psychische Krankheitsbewältigung 4,5 (0,8) 4,2 (0,9) 6,5 <.05 Kontrollierte Merkmale: Alter, Sozialstatus, allgemeiner Gesundheitszustand Die statistische Überprüfung von Geschlechtsunterschieden in der Beurteilung von Prozess- und Strukturqualität der Kliniken hat ebenfalls einige signifikante Befunde ergeben. Wie in Tabelle 5 zu sehen ist, liegt beispielsweise der Komfort, den eine Klinik bietet, insbesondere den weiblichen Rehabilitanden am Herzen. Männern scheint es demgegenüber weniger wichtig zu sein, wie ihre Zimmer ausgestattet sind oder ob die Klinik ein umfassendes Freizeitangebot anbietet. Außerdem halten sie Prozessmerkmale wie die zeitliche Abstimmung für etwas weniger relevant als Frauen. Tabelle 5: Bedeutung von Prozess- und Strukturmerkmalen in Abhängigkeit vom Geschlecht F p Merkmal (1 = gar nicht wichtig bis 7 = extrem wichtig) weiblich(m/sd) männlich(m/sd) F p Prozessmerkmale 4,7 (0,6) 4,6 (0,6) 5,6 <.05 Strukturmerkmale Service & Komfort 4,5 (0,8) 4,2 (0,9) 6,5 <.05 Kontrollierte Merkmale: Alter, Sozialstatus, allgemeiner Gesundheitszustand Männer und Frauen unterscheiden sich also teilweise deutlich in ihren rehabilitationsbezogenen Vorstellungen. Während die Unterschiede bezüglich des Therapieprogramms noch relativ gering ausfallen und Frauen nur zu einigen Angeboten andere Erwartungen haben, trifft dies verstärkt auf die Zielsetzungen und die Qualitätsmerkmale der Rehabilitation zu. Auffällig sind die Befunde insofern, als dass sich außer für das medizinische Aufbautraining bei den Frauen immer höhere Mittelwerte als bei den Männern ergeben haben. Daher kann angenommen werden, dass sich Frauen generell etwas mehr vom Therapieprogramm versprechen, höhere Zielerwartungen besitzen und ihnen verschiedene strukturelle und prozessorientierte Bedingungen wichtiger sind als männlichen Rehabilitanden. Erhaltene Therapien Zum zweiten Messzeitpunkt kurz vor der Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme wurden die Patienten u.a. um Angaben zu den erhaltenen Therapiemaßnahmen gebeten. Dabei wurde zum einen gefragt, ob die Patienten überhaupt an einer bestimmten Therapie teilgenommen haben und zum anderen wie häufig sie diese jeweilige Therapie erhalten haben. Logistische Regressionen für die Teilnahme an sich (ja/nein) sowie Kovarianzanalysen für die Häufigkeit der Teilnahme, jeweils unter Kontrolle des Alters, ergaben eine Reihe von Geschlechtsunterschieden. Bezüglich der Teilnahme an bestimmten Therapieformen zeigte sich, dass Frauen weniger oft Gruppentherapie im Wasser erhalten hatten (Wald = 9,8; OR =,45; CI =,27-,74), seltener an der Ernährungsberatung teilnahmen (Wald = 5,75; OR =,59; CI =,38-,91) und tendenziell weniger oft eine spezielle Diät erhielten (Wald = 3,72; OR =,56; CI =,31-1,0). Andererseits nahm ein größerer Anteil an Frauen krankengymnastische Maßnahmen in Anspruch (Wald = 4,77; OR = 1,7; CI = 1,06-2,86). Gleiches galt für Einzelpsychotherapien (Wald = 9,78; OR = 2,21; CI = 1,34-3,63) und Massagen (Wald = 5,08; OR = 1,6; CI = 1,06-2,41). Außerdem nahm ein höherer Prozentsatz an Frauen an den praktischen Kochübungen teil (Wald = 18,12; OR = 2,48; CI = 1,63-3,77). 42

44 Die Daten zur Teilnahmefrequenz zeigten, dass die Männer im Durchschnitt eine Einheit mehr Fahrradergometertraining erhalten haben als Frauen (M = 12 vs. M = 11) (F(1,475) = 5,79; p <.05). Nichtsignifikante Trends zu Geschlechtsunterschieden ergaben sich für die Häufigkeit der Teilnahme an Vorträgen und für erhaltene Massagen. Männer hatten im Durchschnitt fast einen Vortrag mehr besucht als Frauen (M = 6,8 vs. M = 6,0) (F(1,442) = 3,14; p <.08) und innerhalb der Gruppe der Massagepatienten gaben Männer eine etwas höhere Frequenz an als Frauen (M = 5,8 vs. M = 5,4) (F(1,277) = 2,7; p <.10). Beurteilung des Erfolgs der einzelnen Therapieangebote durch die Patienten und Patientinnen Ein weiterer Fragenkomplex des T2-Fragebogens bezog sich auf die subjektive Bewertung des Therapieerfolgs durch die Patienten und Patientinnen. Dabei ging es zum einen um die Beurteilung des spezifischen Erfolgs einzelner Maßnahmen, d.h. die Patienten wurden gebeten für jede Maßnahme, an der sie teilgenommen hatten, auf einer Skala von 1-5 einzuschätzen wie viel ihnen diese persönlich geholfen hat. Überwiegend zeigten sich positive Urteile. Die günstigsten Bewertungen erhielten dabei das Fahrradergometertraining (M = 4,42; SD =,81), die Gespräche mit dem Arzt/der Ärztin (M = 4,22; SD =,85), das Bewegungstraining in der Gruppe (M = 4,22; SD =,89) und die praktischen Kochübungen (M = 4,12; SD = 1,02). Im Vergleich hierzu wurden das Entspannungstraining (M = 3,4; SD = 1,18), die Einzelpsychotherapie (M = 3,5; SD = 1,17) und die psychologische Gruppentherapie (M = 3,2; SD = 1,15) etwas kritischer gesehen. Am ungünstigsten fiel die Bewertung der Berufsberatung aus (M = 2,81; SD = 1,21). Die zur Analyse der Geschlechtsunterschiede durchgeführten Kovarianzanalysen unter Kontrolle des Alters erbrachten eher wenige Differenzen. Frauen hatten nicht nur häufiger an einer Einzelpsychotherapie teilgenommen (siehe oben), sondern von denjenigen, die diese Maßnahmen in Anspruch genommen hatten, urteilten die weiblichen Teilnehmer (M = 3,9) auch etwas positiver als die männlichen Klienten (M = 3,3) (F(1,77) = 4,9; p <.05). Gleiches ließ sich für die Massagen feststellen, wobei der Unterschied hier (M = 4,6 für die Frauen und M = 4,3 für die Männer) noch geringer ausfiel (F(1,284) = 4,23; p <.05). Ein tendenzieller Unterschied ergab sich darüber hinaus für die Beurteilung der Effektivität des Fahrradergometers, die Männer marginal höher einschätzten als Frauen (M = 4,5 vs. M = 4,3) (F(1,507) = 3,24; p =.07). In weiteren Fragen ging es um Merkmale der Prozess- und Strukturqualität der Rehabilitation. Auch hier fielen die Urteile, die auf einer Notenskala von 1-6 erfolgten, insgesamt eher positiv aus, wobei die ärztliche und therapeutische Behandlung (M = 1,85; SD =,86 und M = 1,87; SD =,83) die besten Bewertungen erhielten, gefolgt von der Verständlichkeit der gegebenen Informationen (M = 1,96; SD =,89) und der technischen Ausstattung der Kliniken (M = 1,97; SD =,89). Demgegenüber ließen sich bei der Beurteilung der zeitlichen Abstimmung der Angebote (M = 2,49; SD = 1,0) sowie bei der Abstimmung des Angebotes auf die eigenen, individuellen Bedürfnisse (M = 2,47; SD = 1,0) leichte Einschränkungen des positiven Urteils erkennen. Unterschiede in den Urteilstendenzen zwischen Männern und Frauen gab es kaum. So gaben Frauen eher als Männer an, in der Rehabilitation Zeit zum Ausruhen gefunden zu haben (F(1,536) = 23,07; p <.001), und sie äußerten sich etwas positiver über das Essen (M = 2,4 vs. M = 2,1) (F(1,531) = 3,9; p <.05). Schließlich wurden die Patienten und Patientinnen gebeten, auf einer fünfstufigen goal-attainment- Skala einzuschätzen, in welchem Umfang sie einzelne Rehaziele (falls sie diese überhaupt gehabt hatten) ihrer eigenen Meinung nach erreicht haben. Für die Gesamtstichprobe fanden sich für alle Items linksschiefe Verteilungen, d.h. die meisten Patienten waren der Meinung ihre Ziele mehr oder weniger erreicht zu haben. Besonders positiv gesehen wurden z.b. die Erreichung des Ziels Informationen über die Krankheit zu erhalten (M = 4,28; SD = 1,15), gesundheitsbewusstes Verhalten zu erlernen (M = 4,26; SD =,72) oder zu lernen, die eigenen Beschwerden korrekt einschätzen zu können (M = 4,12; SD =,80). Marginal kritischer gesehen wurde dagegen die Erreichung des Ziels körperlich leistungsfähiger zu werden (M = 3,8; SD =,81). 43

45 Auch hier traten alles in allem eher wenige Geschlechtsunterschiede auf, das heißt, bezüglich der meisten Ziele beurteilten Männer und Frauen ihren Rehaerfolg annähernd gleich. Auffällig ist allerdings, dass dort, wo dennoch Unterschiede auftraten, diese ausnahmslos darauf zurückzuführen waren, dass Frauen sich etwas skeptischer als Männer äußerten. So ließen Frauen vor allem im Bereich der psychischen Rehaziele etwas weniger Optimismus erkennen, was sich z.b. in geringeren Werten für die Beurteilung der Erreichung des Rehaziels Verarbeitung der Krankheit (M = 3,7 vs. M = 4,0) (F(1,420) = 4,5; p <.05), des Lernerfolgs bezüglich der weiteren Belastbarkeit des Herzens (M = 4,0 vs. M = 4,3) (F(1,508) = 4,06; p <.05) und tendenziell des Rehaziels Abbau von Ängsten (M = 3,8 vs. M = 4,0) (F(1,443) = 2,8; p <.10) niederschlug. Neben den spezifischen Rehazielen wurde auch global abgefragt, wie die Patienten den Erfolg ihrer Rehamaßnahme beurteilten bzw. wie zufrieden sie waren. Auch hier zeigte sich, dass Frauen weniger positiv urteilten (siehe Abbildung 2). So waren sie etwas weniger zuversichtlich als Männer was die Übertragbarkeit des Gelernten in den Alltag anging, wobei sich jedoch nur ein Effekt auf dem 10%-Niveau ergab (F(1,534) = 6,9; p <.10). Ähnliche Unterschiede ließen sich auch für die recht ähnliche Frage nach der Vorbereitung auf das Leben zu Hause (F(1,528) = 7,85; p <.01) sowie nach der Erreichung persönlicher Rehaziele (F(1,534) = 6,9; p <.01) und nach der Zufriedenheit mit der Rehamaßnahme insgesamt feststellen, wobei der Unterschied hier jedoch wiederum nicht signifikant wurde (F(1,534) = 3,4; p <.07). Abbildung 2: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Erwartung des allgemeinen Rehabilitationserfolgs Frauen Männer ,9 8,2 7,5 8,1 8,1 8, Übertragbarkeit des Gelernten in den Alltag Vorbereitung auf das Leben zu Hause Zufriedenheit mit der Rehamaßnahme 5 Diskussion Die Befunde zeigen, dass gemessen an den Erwartungen und vor allem den Zielstellungen weibliche Herzinfarktpatienten insgesamt etwas motivierter in die stationäre kardiologische Rehabilitation kommen als männliche Patienten, wobei allerdings offen bleiben muss, inwieweit die gefundenen Unterschiede in den Selbstaussagen der Patienten auf tatsächliche Differenzen zurückgehen oder inwieweit hier auch soziale Erwünschtheitsprozesse eine Rolle spielen, die in der Regel gerade bei älteren Frauen etwas stärker ausgeprägt sind und dazu geführt haben könnten, dass Frauen die angebotenen Therapiemöglichkeiten und Zielstellungen eher für sich reklamieren als Männer. Gegen eine solche Erklärung spricht allerdings der Befund, dass Frauen sich auch in Bezug auf Strukturund Prozessmerkmale der rehabilitativen Versorgung anspruchsvoller bzw. fordernder zeigten, was mit der Annahme einer stärkeren sozialen Anpassungstendenz eher inkompatibel scheint. Speziell die Erwartungen an die therapeutischen Angebote zeigen klassisch-geschlechtsstereotype Unterschiede: Männer beurteilen Muskelaufbautraining als wichtiger, Frauen physiotherapeutische Angebote, Entspannungstraining und Einzelpsychotherapie. Hier zeigt sich potenziell Handlungsbedarf für motivationale Arbeit, zumal sich die Erwartungsunterschiede zumindest teilweise auch 44

46 in den tatsächlichen Teilnahmeraten an den einzelnen Angeboten und deren Wirksamkeitsbeurteilung durch die Patienten niederschlagen, wie z.b. in Bezug auf die Einzelpsychotherapie. Insgesamt ist allerdings festzuhalten, dass Geschlechtsunterschiede in den Erwartungen nicht übermäßig groß bzw. bedeutsam zu sein scheinen. Positiv herauszuheben ist vor allem, dass ein erwartbar gewesener Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Patienten in Bezug auf die Kernmerkmale der kardiologischen Rehabilitation, also Ergometertraining und Bewegungstraining in der Gruppe nicht aufgetreten ist. Aufmerksamkeitsbedürftig scheint in der integrativen Betrachtung der Befunde allerdings die Tatsache, dass Frauen insgesamt mehr erwartet haben als Männer, gleichzeitig aber auch durchweg etwas kritischer in der Beurteilung der Outcomes waren. Es scheint plausibel anzunehmen, dass diese kritischere Haltung gerade durch die höhere Anspruchshaltung bedingt sein könnte. Andererseits hat sich vielfach gezeigt, dass eine höhere Motivation eher mit besseren Beurteilungen von therapeutischen Interventionen einhergeht, was übrigens auch für die vorliegende Stichprobe gilt, so dass diese etwas größere Skepsis der weiblichen Patienten und ihre mögliche Bedeutung für die gesundheitlichen Outcomes der Rehabilitation doch eine intensivere Betrachtung zu verdienen scheint. Diese sowie eine systematische Analyse der generellen Bedeutung von Kongruenzen und Inkongruenzen von Erwartungen und therapeutischer Realität sind Thema der Langfassung des Projektberichts. 6 Umsetzbarkeit der Ergebnisse Die Befunde des Projekts sollen dazu beitragen, geschlechtsspezifische Versorgungslücken bzw. geschlechtsspezifisches Optimierungspotential der existierenden Versorgung durch die kardiologische Rehabilitation zu identifizieren. Unter Einbezug der Befunde des dritten Messzeitpunktes (siehe Endbericht), sollen geschlechtsspezifische Versorgungsverläufe den Bedürfnisprofilen gegenübergestellt werden und hieraus Vorschläge für ein besseres matching in der Versorgungspraxis abgeleitet werden. 7 Literatur Baessler, A., Hengstenberg, C., Holmer, S., Fischer, M., Mayer, B., Hubauer, U., Klein, G., Riegger, G. & Schunkert, H., (2001). Long-term effects of in hospital cardiac rehabilitation on the cardiac risk profile. A case-control study in pairs of siblings with myocardial infarction. European Heart Journal. 22(13): Deck, R., Zimmermann, M., Kohlmann, T. & Raspe, H. (1998). Rehabilitationsbezogene Erwartungen und Motivationen bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen. Rehabilitation, 37, Grande, G., Leppin, A., Mannebach, H, Romppel, M. & Altenhöner, T. (2002). Geschlechtsspezifische Unterschiede in der kardiologischen Rehabilitation. Abschlussbericht [Online]. Available: rehaforschung-nrw.de/forsch_proj/ documents/abschlussbericht_pw6.pdf) ( ). Grande, G., Leppin, A., Romppel, M., Altenhöner, T. & Mannebach, H., (2002). Frauen und Männer nach Herzinfarkt: Gibt es in Deutschland geschlechtsspezifische Unterschiede in der Inanspruchnahme rehabilitativer Leistungen? Die Rehabilitation, 41, Grande, G., Schott, T. & Badura, B. (1998). Die kardiologische Rehabilitation - Entwicklung, Konzepte, Maßnahmen und Erfolge. Gesundheitspsychologie, 6, Konstam, V. & Houser, R. (1994). Rehabilitation of women post myocardial infarction a new look at old assumptions. Journal of Applied Rehabilitation Counseling, 25, Moore, S. M. & Kramer, F. M. (1996). Women s and men s preferences for cardiac rehabilitation program features. Journal of Cardiopulmonary Rehabilitation, 16,

47 Petermann, F. & Koch, U. (1998). Rehabilitationsforschung Welchen Beitrag kann die Gesundheitspsychologie leisten? Gesundheitspsychologie, 6, Willich, S. N., Müller-Nordhorn, J., Kulig, M., Binting, S., Gohlke, H., Hahmann, H., Bestehorn, K., Krobot, K. & Völler, H. (2001). Cardiac risk factors, medication and recurrent clinical events after acute coronary disease a prospective cohort study. European Heart Journal, 22, Projektbezogene Publikationen Altenhöner, T. (2006). Soziale Ungleichheit in der kardiologischen Rehabilitation. Universitätsdissertation an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld zur Erlangung des Dr.PH. Lage: Jacobs Verlag. Altenhöner, T. & Leppin, A. (2006). Ungleichheiten in der therapeutischen Versorgung von Herzinfarktpatienten [Abstract]. In: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.). 15. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom März 2006 in Bayreuth. DRV-Schriften, 64, Altenhöner, T. & Leppin, A. (2005). Ungleichheit in der psychischen Belastung von Herzinfarktrehabilitanden. Public Health Forum, 49, Dehde, L. (2004). Subjektive Ursachenvorstellungen bei Patienten nach einem Herzinfarkt. Ergebnisse einer qualitativen Analyse. Masterarbeit an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld zur Erlangung des MPH. Mischke, C. (2004). User-Involvement/Nutzerpartizipation ein Thema für chronisch Kranke? Masterarbeit an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld zur Erlangung des MPH. Münster, A. (2005). Zusammenhang zwischen Depressivität und Krankheitskonzept bei Herzinfarktrehabilitanden. Diplomarbeit zur Abschlussprüfung im Fachbereich Psychologie der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaften der Universität Bielefeld. 46

48 Vergleich onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen und strukturen in Ländern der Europäischen Gemeinschaft Förderkennzeichen: FKZ Förderer: LVA Rheinprovinz Projektleiter: Prof. Dr. H. Delbrück Projektmitarbeiterin: Dr. M. Witte Laufzeit: bis Hintergrund und Zielsetzung Aus verschiedenen Gründen gewinnen europaweite Gesundheitssystemvergleiche in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Seit den 1990er Jahren wurden in vielen Ländern der europäischen Gemeinschaft Reformen und Maßnahmen zur Kostenreduzierung der Gesundheitssysteme eingeleitet. Dazu gehörten u.a. die Förderung des Wettbewerbs zwischen den Leistungsanbietern bzw. zwischen den Kostenträgern, der Abbau von Betten sowie eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer in der stationären Akutversorgung. In Deutschland führten die Reformen auch zu erheblichen Kürzungen von Rehabilitationsmaßnahmen. Im Rahmen der jetzigen Gesundheitsreform sind weitere Kürzungen zu erwarten. In Diskussionen um die Durchsetzung solcher Rationalisierungsmaßnahmen werden von einigen Experten häufig Behauptungen über die kostengünstigen Rehabilitationsstrukturen anderer Länder aufgestellt, die nach Meinung anderer Experten auf nicht aussagekräftigem Datenmaterial basieren. Diese Untersuchung soll zusätzliche Informationen über die Rehabilitationsstrukturen bei Krebspatienten in einigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft liefern. Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit eines Vergleichs der europäischen Gesundheitssysteme ergibt sich durch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die vom Europaparlament im Bereich der Gesundheitsversorgung gefördert wird. Durch Urteile des europäischen Gerichtshofes ist neben dem freien Warenverkehr auch der freie Dienstleistungsverkehr möglich. Dies zieht einen europaweiten Wettbewerb der verschiedenen Anbieter auch bei Rehabilitationsmaßnahmen nach sich. Sowohl die zwischenstaatliche Zusammenarbeit als auch die stärkere Wettbewerbsorientierung machen es notwendig, möglichst vergleichbare Leistungsstandards zu haben. Um solche Leistungsstandards für die Rehabilitation zu entwickeln, muss der aktuelle Stand der Versorgung in den einzelnen Ländern Europas erfasst werden. Für die onkologische Rehabilitation liegen jedoch abgesehen von einigen Vorarbeiten des Projektleiters (Delbrück, 2000) noch keine strukturierten Informationen oder vergleichende Analysen der verfügbaren rehabilitativen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen vor. Die Inzidenz- bzw. Prävalenzraten von Krebserkrankungen sind in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft mehr oder weniger gleich hoch. Die einzelnen Länder unterscheiden sich jedoch erheblich in den zur Verfügung stehenden Rehabilitationsstrukturen, Rehabilitationsleistungen und Rehabilitationszielen. Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag liefern, diese zu dokumentieren und zu vergleichen. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die Beschreibung der Rehabilitationsangebote für Patientinnen mit Brustkrebs sowie für Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs und einem Stoma. 47

49 2. Methode 2.1. Länderauswahl Die Auswahl der zu untersuchenden Länder erfolgte nach zwei Gesichtspunkten (Abb. 1): Es sollten Länder vertreten sein, die einen nationalen Gesundheitsdienst unterhalten und deren Gesundheitsleistungen vorwiegend durch den Staat d.h. durch Steuern finanziert werden. Des Weiteren sollten Länder vertreten sein, deren Gesundheitsleistungen in erster Linie durch Kranken- bzw. Sozialversicherungen finanziert werden (Schneider et al. 1998). Darüber hinaus sollten die Regionen Nord-, Ost-, West-, Südeuropa einbezogen werden. Abb. 1: Länderauswahl In diesen Ländern wurden sowohl Mitarbeiter des Nachbetreuungsteams, die in der Krebsrehabilitation tätig sind, als auch Vertreter/innen von Selbsthilfeorganisationen und aus der Gesundheitspolitik befragt. Selbsthilfegruppen spielen in vielen Ländern eine wichtige Rolle bei der Informationsvermittlung und emotionalen Unterstützung von Erkrankten. Zu den befragten Experten sollten sowohl Ärzte als auch Psychologen, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Stomatherapeuten und Krankenschwestern bzw. -pfleger gehören. Anders als in Deutschland wird in einigen europäischen Ländern die Betreuung der Krebspatientinnen und -patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus überwiegend von speziell ausgebildeten Schwestern bzw. Pflegern (cancer care nurses, specialist nurses) übernommen; dies führte dazu, möglichst viele Krankenschwestern in die Befragung einzuschließen Untersuchungsphasen Die Befragung lief in zwei Phasen ab: zunächst wurde ein Fragebogen zur Beschreibung der bestehenden Rehabilitationsangebote und -strukturen an die angeschriebenen Kooperationspartner verschickt. Die so gewonnenen Informationen bildeten dann die Grundlage für halbstrukturierte Interviews, die mit den jeweiligen Diskussionspartnerinnen und -partnern zur Klärung und Ergänzung vor Ort geführt wurden. 48

50 Abgesehen von der Vergleichbarkeit der Daten und der Gewinnung eines schnellen Überblicks, versprachen wir uns hierdurch, bestehende Kontakte zu erweitern. Die Befragten wurden gebeten, den Fragebogen an andere Experten weiterzuleiten und weitere Ansprechpartner für die Interviews zu nennen. Auf diese Weise wurden in einer Art Schneeballsystem geeignete Probanden gefunden, die mit der onkologischen Rehabilitation ihres Landes vertraut sind Erhebungsinstrumente Fragebogen und Interviewleitfaden wurden von den Autoren selbst entwickelt und mit Vertretern der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, deutschen Rehabilitationsmedizinern sowie Vertreterinnen der Selbsthilfe diskutiert und entsprechend angepasst. Der Fragebogen und die Fallbeispiele zum Interview wurden ins Englische, Französische, Italienische und Slowakische übersetzt. Die Übersetzungen wurden von Muttersprachlern geleistet bzw. überarbeitet und korrigiert. Der Fragebogen setzt sich aus drei Teilen zusammen: einem allgemeinen Teil zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen und zwei diagnosespezifischen Teilen. Da die angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen auch von der Art der Krebserkrankung abhängen, wurden zum Ländervergleich zwei Erkrankungen ausgewählt, die besonders häufig auftreten: Brustkrebs und Darmkrebs mit Anlage eines Stoma. Allgemeiner Teil Um die Rahmenbedingungen der Rehabilitation von Krebspatienten und den Rehabilitationsprozess in den einzelnen Ländern angemessen abzubilden, wurde auf den Dimensionen der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität ein Fragebogen konstruiert, der 28 Items umfasst. Fragen zur Strukturqualität beziehen sich u.a. auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Kosten und Kostenträger, die Zuweisung der Patienten, das Rehabilitationskonzept und die Rehabilitationsziele sowie die personelle/räumliche Ausstattung der Rehabilitationseinrichtungen. Fragen zur Prozessqualität umfassen die Zusammenarbeit der an der Rehabilitation beteiligten Berufsgruppen. Zur Beschreibung der Ergebnisqualität wird nach der Verfügbarkeit standardisierter Rehabilitationsprogramme, Leitlinien zur Versorgung von Krebspatienten und der Evaluation der durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen gefragt. Fragebogen: Patientinnen mit Brustkrebs Der Fragebogen zur Rehabilitation von Patientinnen mit Brustkrebs beschäftigt sich mit der Dauer des Aufenthaltes im Akutkrankenhaus, adjuvanter und additiver Therapie, der Prothetik, der Verfügbarkeit von Lymphdrainage, Physiotherapie und psychosozialer Unterstützung im Rahmen des Rehabilitationsprozesses. Der Fragebogen umfasst insgesamt 15 Items. Fragebogen: Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs und Stomaanlage Der Fragebogen (12 Items) zur Rehabilitation bei Darmkrebs umfasst ebenfalls Fragen zur Dauer des Aufenthaltes im Akutkrankenhaus sowie zur Verfügbarkeit von Physiotherapie und psychosozialer Unterstützung; des Weiteren Fragen zur Stomaversorgung. Interviewleitfaden Um die Rehabilitationsangebote zu erfassen, wurde den Befragten ein Fallbeispiel einer Patientin mit Brustkrebs und eines Patienten mit Rektumkarzinom vorgegeben. In diesem Beispiel wurde die somatische, psychische, soziale und berufliche Situation eines Patienten nach Erstbehandlung im Akutkrankenhaus beschrieben mit den im deutschen Rehabilitationssystem verfügbaren Rehabilitationsmaßnahmen und Hilfen. Des Weiteren wurde eine palliative Situation dieses Patienten mit den 49

51 entsprechenden Unterstützungsangeboten dargestellt. Anhand dieses Fallbeispiels wurden die länderspezifischen Unterschiede im Rehabilitationsprozess dokumentiert. Fragen zur Struktur-, Prozess und Ergebnisqualität onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen konnten auf diese Weise detailliert erörtert werden Durchführung der Untersuchung Erste Kontakte zu Experten für onkologische Rehabilitation wurden über verschiedene europaweit vertretene Vereinigungen (Académie Européenne de Médicine de Réadaptation, European Cancer Leagues) und persönliche Kontakte des Projektleiters sowie Pharmaunternehmen (Novartis, Dansac) hergestellt. Kontakte zu Selbsthilfegruppen in den entsprechenden Ländern wurden von Europa Donna (European Breast Cancer Coalition) und der Deutschen ILCO (Ileostomie-, Colostomie-, Urostomie-Vereinigung) unterstützt. Da die anfangs verfügbaren Informationen zur onkologischen Rehabilitation in den Untersuchungsländern sehr gering waren und die Studie einen explorativen Charakter hat, waren wir auf die Aussagen und die Unterstützung dieser Kontaktpersonen angewiesen. Ein Ausschluss bestimmter Probanden fand nicht statt, da wir uns erst einen Überblick über die Landessituation verschaffen wollten. Jeder einzelne Teil des dreiteiligen Fragebogens sollte von mindestens zwei Vertretern pro Land beantwortet werden, d.h. es sollten mindestens 42 Fragebogen vollständig ausgefüllt werden. Die Fragebogen wurden in der Zeit von November 2001 bis Mai 2002 verschickt. Um den Rücklauf zu erhöhen, wurden die Betreffenden ein zweites Mal nach 6 Wochen angeschrieben und erinnert. Die Rücklaufquoten (Rücklauf der von uns direkt angeschriebenen Personen) der drei Fragebogen betrugen beim Allgemeinen Teil 53%, beim Fragebogen zu Brustkrebs 37% und beim Fragebogen zu Darmkrebs mit Stomaanlage 65%. In mehreren Ländern wurde nicht die angestrebte Quote erfüllt. In anderen Ländern dagegen wirkten die Angeschriebenen als Multiplikatoren und sorgten für weiteren Rücklauf (Tabelle 1). Tabelle 1: Rücklauf der verschickten Fragebogen pro Land Verschickte Fragebogen Rücklauf verschickter Fragebogen Rücklauf von Fragebogen durch Multiplikatoren Allg. Brustk. Stoma Allg. Brustk. Stoma Allg. Brustk. Stoma Schweden Großbritannien Niederlande Frankreich Deutschland Italien Slowakei Gesamt Die Personen, die die Fragebogen beantwortet hatten, wurden erneut angeschrieben und um ein Interview vor Ort gebeten. In einigen Ländern war es wegen des geringen Fragebogenrücklaufs notwendig, noch weitere neue Ansprechpartner zu finden. Oft waren in den eingehenden Fragebogen schon weitere an Interviews interessierte Personen genannt worden. Die Interviews sollten pro Land mit mindestens 10 Personen geführt werden. Zur Durchführung der Interviews standen pro Land 8-10 Reisetage zur Verfügung. Der Projektleiter befragte Experten und Selbsthilfegruppen in Frankreich, Italien, der Slowakischen Republik und Deutschland. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin führte Interviews in Schweden, Großbritannien und den Niederlanden. Leider konnten aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten, für die das Projektteam nicht verantwortlich war, in manchen Ländern lediglich 7 statt der angestrebten 10 Interviews geführt werden. Insgesamt wurden 76 Personen interviewt. Von diesen hatten 36 Personen unsere Fragebogen aus- 50

52 gefüllt, 40 Personen waren für die Interviews neu gewonnen worden. Das Ziel, möglichst viele verschiedene Berufsgruppen, die mit dem Prozess der Nachsorge und Rehabilitation von Krebspatienten befasst sind, zu befragen, wurde erreicht. Die meisten der Befragten waren Ärztinnen/Ärzte, die in der Nachsorge von Krebspatienten oder in der Rehabilitation tätig waren (51%). An zweiter Stelle folgten Krankenschwestern (14%), an dritter Stelle Vertreter/-innen von Selbsthilfegruppen(13%). Die übrigen Berufsgruppen teilten sich folgendermaßen auf: Politiker (8%), Psychologinnen (6%), Physiotherapeutinnen (4%), Sozialarbeiterin (1%), Vertreter/-innen für Heil- und Hilfsmittel (3%). Alle Interviewpartner aus dem medizinischen Bereich verfügten über eine mindestens 5-jährige Berufstätigkeit in der onkologischen Nachsorge bzw. Rehabilitation. Alle Interviewpartner waren in überregionalen Netzwerken oder Gremien tätig. Aus diesem Grund hatten sie nicht nur Einblick in die Besonderheiten ihrer eigenen Einrichtung, sondern waren auch informiert über nationale Entwicklungen. 3. Ausgewählte Ergebnisse Rechtsgrundlage In Deutschland haben Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen ein gesetzlich verankertes Recht auf Rehabilitation. Die ihnen zustehenden Leistungen sind u.a. in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern festgehalten. Krebspatienten haben auch ein Recht auf eine stationäre Rehabilitationsleistung; zumindest auf ein stationäres Heilverfahren im Anschluss an die Primärtherapie. Lediglich in der Slowakischen Republik steht Krebspatienten dieses Anrecht zu. Hier gilt es allerdings eher theoretisch, weil die entsprechenden Angebote fehlen. Ein so umfassendes Rehabilitationsangebot wie in Deutschland steht den Erkrankten in keinem anderen europäischen Land zur Verfügung. Rehabilitationsmaßnahmen werden in den befragten Ländern in der Regel bei neurologischen Erkrankungen, angeborenen Behinderungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates oder des Herz- Kreislauf-Systems durchgeführt. Diese sind gesetzlich verankert. Doch für onkologische Erkrankungen gilt dies nicht. Selbst in den Ländern, in denen es explizit für Krebspatientinnen und -patienten stationäre und ambulante Rehabilitationsangebote gibt (Niederlande, Schweden, Slowakische Republik), werden diese nicht unbedingt routinemäßig durchgeführt. Rehabilitationsverständnis Rehabilitationsleistungen wie wir sie in Deutschland kennen werden nicht in allen Ländern unter der Bezeichnung Rehabilitation subsummiert. Die Rehabilitationsleistungen bei onkologischen Patienten zählen in einigen Ländern nicht zum Aufgabenbereich der Rehabilitationsmedizin, sondern zur kurativen Medizin. Versteht man unter Rehabilitation solche Maßnahmen, die der Wiedererlangung verlorengegangener Funktionen und der Unterstützung der Krankheitsverarbeitung dienen, dann ordnet man diese in Italien, Großbritannien und zum Teil auch in den Niederlanden und Schweden in die Akutbehandlung und Nachsorge von Krebspatienten ein. Sie erfolgen nicht zeitlich und räumlich getrennt von der kurativen Medizin und werden nicht als eigenständige Kategorie definiert. Trotz der sprachlichen Barrieren und dem anderen Rehabilitationsverständnis im Zusammenhang mit Krebserkrankungen vertreten die Befragten ein bio-psychosoziales Rehabilitations- bzw. Nachsorgekonzept. Rehabilitation hat das Ziel einer umfassenden Nachbetreuung und Unterstützung der Betroffenen sowohl im somatischen, psychischen als auch im sozialen Bereich. Scheinen die Experten in den verschiedenen Ländern auch von einem ähnlichen Rehabilitationskonzept auszugehen, unterscheiden sich die länderspezifischen Rehabilitationsangebote allerdings in wesentlichen Punkten. Rehabilitationspraxis Onkologische Rehabilitationsmaßnahmen werden in den befragten Ländern in der Regel ambulant durchgeführt. Lediglich in Deutschland, Schweden und in der Slowakischen Republik stehen hierfür auch spezielle Rehabilitationskliniken zur Verfügung. Ambulante Rehabilitationsprogramme in 51

53 Form von organisierten Gruppenangeboten gibt es in den Niederlanden und in Schweden. In den anderen Ländern werden ambulante Rehabilitationsmaßnahmen nur individuell und problembezogen durchgeführt. Die Rehabilitationsangebote beschränken sich - abgesehen von Deutschland - in den meisten Ländern auf den somatischen Bereich, auf balneologische Anwendungen und auf Physiotherapie. Die Roborierung der Patienten ist vorrangiges Ziel und psychosoziale Maßnahmen erfolgen am Rande. In dem in den Niederlanden angebotenen ambulanten Rehabilitationsprogramm Herstel & Balans stehen physiotherapeutische Maßnahmen im Vordergrund. Psychoedukative Maßnahmen werden hier in begrenztem Stundenumfang jedoch auch berücksichtigt. In den in Schweden angebotenen Programmen geht es hingegen in erster Linie um Psychoedukation. Manche Programme (z.b. Starting again ) umfassen auch physiotherapeutische Maßnahmen. In Frankreich werden in den spärlichen Gruppenangeboten nahezu ausschließlich somatische Behinderungen berücksichtigt. In Italien, der Slowakischen Republik und in Großbritannien werden nach Auskunft der Befragten keine rehabilitativen Gruppenangebote durchgeführt. Vernetzung von Kurativmedizin und Rehabilitation Eine der Hauptkritiken an der in Deutschland praktizierten Rehabilitation ist die mangelnde Vernetzung mit der Kurativmedizin und den weiterbetreuenden Hausärzten. Die Befragung zeigte, dass die Vernetzung mit der Kurativmedizin in den Ländern besser funktioniert, wo die Behandelnden, die schon in die Akutversorgung der Patienten eingebunden waren, auch rehabilitative Aufgaben übernehmen, bzw. diese koordinieren. In Schweden wird z.b. in regelmäßig stattfindenden Teamsitzungen der mögliche Rehabedarf der Patienten abgeklärt und die behandelnde Fachkrankenschwester (Specialist nurse) und/oder der Sozialberater bestellen Patienten zu weiteren Gesprächen ein. In Fällen, in denen das Angebot der Akutklinik zur Rehabilitation der Patienten nicht ausreicht, nehmen sie Kontakt zu Gemeindeschwestern, Physiotherapeuten oder Rehakliniken auf. Auch in Großbritannien übernimmt die Fachkrankenschwester (Specialist nurse) eine zentrale Rolle im Rehabilitations-, Versorgungs- und Nachsorgeprozess der Patienten. In den Niederlanden haben sich Kliniken, Fachärzte, Hausärzte und Rehabilitationszentren, die Krebspatienten behandeln, zu den sogenannten Integralen Krebszentren zusammengeschlossen, um die Kontinuität der medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Versorgung während der Behandlung im Krankenhaus und nach der Entlassung zu Hause zu garantieren. In Frankreich und Italien wurde und wird die Vernetzung ebenfalls sehr erfolgreich vorangetrieben. In der Slowakei und in Deutschland arbeiten die Rehabilitationskliniken am unabhängigsten. Psychologische Betreuung Bei der psychologischen Betreuung von Krebspatienten lassen sich zwei Bereiche unterscheiden: Eine spezifische psychoonkologische Betreuung, die von geschulten Psychologen, Ärzten oder Sozialberatern durchgeführt wird und sich an Patienten wendet, die erhebliche Probleme bei der Krankheitsverarbeitung entwickelt haben und unter massiven Ängsten und Depressionen leiden. Angebote zur emotionalen Unterstützung, Psychoedukation und Information für Patienten ohne besonderen Unterstützungsbedarf. Diese Angebote werden von Selbsthilfegruppen, speziell geschulten Krankenschwestern, Sozialberatern und Psychologen durchgeführt. Eine spezifische psychoonkologische Betreuung der Patienten findet in Deutschland, Schweden, Frankreich und in den Niederlanden in Rehabilitationseinrichtungen statt. Niedergelassene Psychotherapeuten und auch die in den Akutkrankenhäusern angestellten Psychotherapeuten verfügen in der Regel nicht über ein psychoonkologisches Fachwissen. Am häufigsten, d.h. routinemäßig wird eine psychoonkologische Betreuung in Deutschland während der stationären Rehabilitation und in Frankreich in der Tagesklinik durchgeführt. In Großbritannien wird ein Psychotherapeut nur bei besonderem Unterstützungsbedarf des Patienten hinzugezogen; Beratungsgespräche werden ansonsten von Fachkrankenschwestern durchgeführt. In Italien wird die fachpsychologische Betreuung von Patienten zwar angestrebt, ist jedoch lediglich in wenigen großen Tumorzentren verfügbar. Sowohl 52

54 in Italien als auch in der Slowakischen Republik übernehmen die Selbsthilfegruppen eine entscheidende Rolle bei der psychischen Unterstützung von Erkrankten. Berufliche Wiedereingliederung Bis auf Italien und die Slowakei besteht in allen untersuchten Ländern die Möglichkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung chronisch Kranker. In Deutschland, den Niederlanden und Schweden kann die Rückkehr ins Berufsleben auch durch Anpassung des Arbeitsplatzes erleichtert werden oder durch die Zuweisung einer anderen Aufgabe innerhalb des gleichen Betriebes. Hohe Arbeitslosigkeitsraten, wie z.b. in Italien oder der Slowakei stehen der beruflichen Reintegration von Erkrankten allerdings im Wege. Lediglich in Deutschland haben berufliche Aspekte einen hohen Stellenwert in der Rehabilitation. Dies ist durch den Haupt-Kostenträger bestimmt. Das Ziel der Rentenversicherungsträger für die Übernahme der Rehabilitationskosten besteht in der beruflichen Reintegration möglichst vieler Patienten (Reha vor Rente). Dies wird allerdings aufgrund der Altersstruktur der Krebspatienten selten erreicht. Auch die zunehmend hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland steht dem häufig entgegen. Selbsthilfegruppen Die Tätigkeitsschwerpunkte der Selbsthilfegruppen sind nicht nur in den verschiedenen europäischen Ländern, sondern auch in den Ländern selber regional sehr unterschiedlich. Insgesamt haben die Selbsthilfegruppen eine große Bedeutung für die Rehabilitation der Patienten. Sie bieten Serviceleistungen, wie allgemeine Informationen zur Erkrankung und zu Behandlungsverfahren. Sie informieren über psychische und berufliche Aspekte der Erkrankung und unterstützen Patienten dabei, ihr gewohntes Leben trotz Erkrankung wieder aufzunehmen. In Großbritannien arbeiten die Selbsthilfegruppen sehr eng mit medizinischen Fachkräften zusammen. In den Niederlanden, Schweden und in Großbritannien sind Vertreter der Selbsthilfegruppen an gesundheitspolitischen Entscheidungen beteiligt, seit kurzem auch in Frankreich. In Großbritannien haben die regionalen Selbsthilfegruppen Mitspracherecht bei der Verteilung des Etats der regionalen Gesundheitsdienste. In Nordrhein-Westfalen werden die Frauenselbsthilfegruppen aktuell als Gesprächspartnerinnen beim Aufbau der Brustkrebszentren eingebunden. Die Selbsthilfegruppen für Krebspatienten mit künstlichem Darmausgang (ILCO) greifen stärker in die medizinische und Hilfsmittelversorgung ein als die anderen Selbsthilfegruppen. Qualitätssicherung Spezielle ambulante Rehabilitationsprogramme, wie sie in Schweden oder den Niederlanden angeboten werden, sind sehr gut evaluiert. In allen Ländern spielt die Qualitätssicherung der Versorgung und Rehabilitation eine immer größere Rolle. Es finden zunehmend Qualitätskontrollen statt, die jedoch nicht zwangsläufig Qualitätsverbesserungen zum Ziel haben, sondern zu einer Reduzierung der Kosten führen sollen. Spezielle Leitlinien für die onkologische Rehabilitation existieren lediglich in Deutschland. Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, dass diese in der Praxis auch befolgt werden. In den Niederlanden gibt es einen landesweiten Standard, nach dem das Programm Herstel & Balans durchgeführt wird. In Therapieleitlinien in den Niederlanden, Großbritannien, Italien, Schweden, Frankreich zur medizinischen Behandlung von Brustkrebspatientinnen wird allerdings auch auf Aspekte der Rehabilitation der Patienten eingegangen (Physiotherapie, psychosoziale Unterstützung). 4. Diskussion In den letzten 5 Jahren wurden in allen untersuchten Ländern Forderungen nach einer umfassenden körperlichen und psychosozialen Rehabilitation von Krebspatienten laut. Die Forderungen wurden von Selbsthilfegruppen und Ärzten gestellt und teilweise auch als gesundheitspolitische Ziele von den Regierungen formuliert. In manchen Ländern wurden diese Forderungen auch in den therapeutischen 53

55 Leitlinien (so z.b. zur Behandlung von Brustkrebserkrankungen) festgeschrieben. Ihre Umsetzung steht allerdings in einigen Ländern noch aus (Italien, Slowakische Republik, Großbritannien). In Deutschland kann man dagegen auf eine lange Tradition einer ganzheitlichen Rehabilitation von Krebspatienten zurückblicken. Die stationären Rehabilitationsangebote sind für alle Krebspatienten verfügbar, unabhängig von der Wohnregion, dem Versicherungsstatus, dem Alter und der Art der Krebserkrankung. Die durch die Erkrankung und Therapiefolgen verursachten Probleme der Patienten sind vielfältig. Zu den körperlichen Problemen gehören Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, sexuelle Störungen, Umgang mit Inkontinenz, respiratorische Probleme, Gewichtsverlust etc. Auf der psychischen Ebene reagieren viele Patienten mit Ängsten und Depressionen und müssen sich mit einer geringeren Lebenserwartung und Selbstbildveränderungen auseinandersetzen. Zu den sozialen Problemen gehören finanzielle Einbußen aufgrund von beruflichen Einschränkungen, geringem Krankengeld bzw. Rente, der Verlust sozialer Kontakte und eine möglicherweise bestehende Pflegebedürftigkeit. Dass die verschiedenen Problembereiche einen ganzheitlichen Ansatz der Rehabilitation von Krebspatienten notwendig machen, ist in Deutschland selbstverständlich. Der ganzheitliche Ansatz von Rehabilitationsmaßnahmen bei Krebspatienten, wie er insbesondere von den Betroffenenverbänden gewünscht wird, wird ausschließlich in Deutschland in der Praxis umgesetzt. Dies ist in folgenden Bereichen erkennbar: der interdisziplinären Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen in den onkologischen Rehabilitationskliniken, der in Deutschland geforderten und evaluierten Prozessqualität, die mit der Diagnostik eventueller Fähigkeits- und Funktionsstörungen im somatischen, psychischen, sozialen und beruflichen Bereich beginnt, dem auf der Rehabilitationsdiagnostik basierenden individuellen Rehabilitationsplan, den spezifischen Rehabilitationszielen. Bei der Evaluation der erreichten Rehabilitationsmaßnahmen werden die Lebensqualität der Patienten auf dem Boden somatischer und psychosozialer Variablen, die Auseinandersetzung mit der Erkrankung sowie die Patientenzufriedenheit berücksichtigt. Die Qualitätsbeurteilung bezieht die Rückkehr zur Arbeit und die Teilnahme am sozialen Leben mit ein. Die von uns erwähnte Schilderung des deutschen Rehabilitationskonzeptes stieß in nahezu allen Ländern auf Unkenntnis, teilweise warf man uns mangelnde Glaubwürdigkeit unserer Ausführungen vor. Häufigere und intensivere Beiträge in der internationalen Wissenschaftsliteratur über die deutsche Rehabilitationspraxis sind sinnvoll. Von einigen Seiten erfolgte die Äußerung, dass eine solche ganzheitliche Rehabilitation in ihrem Lande nicht durchführbar sei. Als Gründe hierfür wurden u. a. mangelnde Finanzierbarkeit (Slowakei), die einseitig somatisch orientierte Medizin (Italien, Frankreich), geographische Strukturen (Schweden), mangelnde politische Reformbereitschaft genannt. Die meisten interviewten Personen hielten die ganzheitliche Rehabilitation jedoch für etwas Erstrebenswertes und Notwendiges. Nahezu alle ausländischen Experten zeigten sich interessiert, mehr von unseren Erfahrungen zu hören und zu lernen. Doch auch wenn mit dem deutschen Rehabilitationsmodell eine gute Versorgung von Krebspatienten gewährleistet ist, gibt es Probleme. Sie betreffen sowohl die onkologische Versorgung allgemein als auch die onkologische Rehabilitation speziell. Die Interviews zeigten, dass sich die Probleme des Gesundheitswesens in den verschiedenen Ländern ähneln. Erstaunlich war, wie diese Probleme von den einzelnen Ländern teilweise wesentlich früher als in Deutschland erkannt und angegangen wurden. Von den Erfahrungen der anderen Länder können wir in Deutschland sicherlich profitieren. Kritisch wird in Deutschland gleichermaßen von Leistungsträgern wie Leistungserbringern gesehen, dass die meisten Krebspatienten kaum auf das vorbereitet sind, was sie während des stationären Aufenthalts erwartet. Viele Krebspatienten verbinden in Deutschland mit einem stationären Rehabilitationsaufenthalt immer noch die Vorstellung einer Erholungskur und sind dann enttäuscht, wenn ihre aktive Teilnahme gefordert wird und sie sich mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen müssen. Eine Veränderung dieser Situation könnte dadurch erreicht werden, die behandelnden Ärzte und Sozialarbeiter in Akutkliniken wirksamer über die Angebote der Rehabilitationskliniken zu informieren. Aber auch die Betroffenenverbände müssten stärker auf die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der 54

56 onkologischen Rehabilitation hingewiesen werden. Die Patienten sollten stärker über die Eigenverantwortung und auch die finanzielle Beteiligung bei roborierenden und präventiven Maßnahmen in der Nachbetreuung aufgeklärt werden. Dass diesbezügliche Verbesserungsvorschläge bislang kaum Wirkung zeigten, mag mit an den erschwerten Möglichkeiten der Rehabilitationskostenträger auf die zuweisenden Akutkliniken und kurativ tätigen Ärzten liegen. Zu Recht hört man in Deutschland gelegentlich die kritische Bemerkung, dass die falschen, oft nicht motivierten Patienten wertvolle Rehabilitationsbetten blockieren. Möglicherweise kann man hier von Schweden lernen: Sozialberater, Pflegepersonal oder Ärzte prüfen die Motivation der Patienten sehr genau, bevor sie sich für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme aussprechen. Wünschenswert ist zweifellos eine noch stärkere Vernetzung der Leistungsträger und eine stärkere Integration der Rehabilitation in die onkologische Versorgung. Ein typisch deutsches Problem besteht in der mangelnden Vernetzung zwischen Akutklinik und Rehabilitationsklinik. So sehr die Interdisziplinarität innerhalb der onkologischen Rehabilitation gefordert und auch gewährleistet ist, so mangelt es doch an einer Zusammenarbeit mit den vor- und nachbehandelnden Institutionen. In anderen europäischen Ländern bestehen solche Schwierigkeiten nicht, da die Rehabilitationsmaßnahmen in dem gleichen Akutkrankenhaus angeboten werden, wo auch die Primärbehandlung stattfindet (Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien). Auch entfernter gelegene onkologische Rehabilitationskliniken sowie die mobilen home care units und Schmerzkliniken sind mit den einweisenden Akutkliniken und weiterbetreuenden Institutionen eng vernetzt. Um die Vernetzung zur Akutklinik auch in Deutschland zu fördern, wäre es sinnvoll, insbesondere die wohnortnahen Rehabilitationskliniken mit Patienten zu belegen, bei denen eine gleichzeitige rehabilitative und kurative Behandlung notwendig ist. Ein verstärkter Austausch mit den kurativmedizinisch tätigen Kollegen in der Region wäre in Form von Qualitätszirkeln und gemeinsamen Tagungen und Fortbildungen wünschenswert. In Frankreich, aber auch in Italien wurde schon sehr frühzeitig auf die Kritik einer mangelhaften Zusammenarbeit und einem mangelhaften Informationsaustausch zwischen vor- und nachbehandelnden Institutionen reagiert. Dass hier wesentliche Fortschritte in der Vernetzung gemacht wurden, ist mit eine Folge teilweise drakonischer Leitlinien, deren Nichtbefolgung erhebliche finanzielle Konsequenzen für die beteiligten Behandler zur Folge hatte. Zwar mangelt es in Deutschland nicht an Leitlinien für die Therapie onkologischer Patienten; jedoch ist deren Befolgung bzw. Nichtbefolgung weitgehend beliebig dem Arzt überlassen. Auch enthalten sie wenig konkrete rehabilitative Anweisungen. In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass in diesen Ländern auch die ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen von den Akutkliniken mitorganisiert und finanziert werden. Auch in Schweden hat man schon wesentlich länger als in Deutschland Erfahrungen mit der Budgetierung und der Pauschalabgeltung medizinischer und rehabilitativer Maßnahmen gemacht. 5. Umsetzung der Ergebnisse Von den Bestrebungen anderer Länder mit dem Ziel einer stärkeren Vernetzung kurativer und rehabilitativer Maßnahmen sowie ambulanter und rehabilitativer Versorgung können wir in Deutschland sicherlich profitieren. Dies betrifft sowohl die positiven als auch negativen Erfahrungen. Auch der stärkere Einbezug der Pflege in die Rehabilitation und als case manager sollte erwogen werden. Die Einrichtung von Brustkrebszentren - wie sie momentan in NRW entstehen - und die eventuelle spätere Einrichtung anderer Zentren für bestimmte Krebserkrankungen könnte sowohl die medizinische Behandlung als auch die psychosoziale Betreuung und Rehabilitation von Krebspatienten verbessern und gleichzeitig Kosten reduzieren helfen. Vorbedingung ist allerdings eine stärkere Berücksichtigung rehabilitativer Aspekte bei den Disease management Programmen und der rigorosen und kontrollierten Einhaltung von Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Krebserkrankungen. Die personelle und institutionelle Verbindung der Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung sowie der BfA in den onkologischen Fachgesellschaften müsste und könnte hier stärker unterstützend wirken. Den Zentren müsste ebenso wie im Ausland die Möglichkeit einer ambulanten medizinischen und rehabilitativen sowie palliativen Nachbetreuung eingeräumt werden. Wohnortnahe Nachsorgekliniken müssten den Zentren angegliedert werden, die personell, organisatorisch, konzeptionell einschließlich dem Datenaustausch und budgetär eng miteinander verbunden sind. Die personelle und organisatorische Struktur dieser Zentren müsste auch die rehabilitativen Belange der Krebs- 55

57 patienten berücksichtigen. Die Patientinnen sollten besser über die Erkrankung und die Behandlungsmöglichkeiten informiert und stärker in den Entscheidungsprozess um die optimalste Therapie einbezogen werden. In Frankreich und Italien wurde das von den Sozialversicherungen gewährte Kurwesen für Krebspatienten ohne weitergehende Folgen rigoros reduziert. Dass in Deutschland immer noch die Kur einen hohen (auch finanziellen) Stellenwert in der onkologischen Nachbetreuung hat, ist kein gutes Aushängeschild der deutschen onkologischen Rehabilitation. Solange die Wertigkeit dieser Kuren auch nicht nachgewiesen ist, wird man im europäischen Ausland auch nicht ernsthaft an eine Anpassung und Übernahme des deutschen onkologischen Rehabilitationskonzeptes denken. 6. Literatur Delbrück, H., Grinschgl, A., Koch, J. (2000) Onkologische Rehabilitation in Ländern der europäischen Gemeinschaft. In: VDR (Hrsg.): 9. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium 2000, Frankfurt, Schneider, M.; Beckmann, M.; Biene-Dietrich, P.; Gabanyi, M.; Hofmann, U.; Köse, A.; Mill, D.; Späth, B. (1998): Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich, Übersichten Basys: Augsburg 7. Projektbezogene Publikationen Delbrück, H.; Witte, M. (2003): Vergleich der Rehabilitationsstrukturen für Krebspatienten in Frankreich und Deutschland. In: VDR (Hrsg.): 12. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium 2003, Frankfurt, Witte, M.; Delbrück, H. (2003): Onkologische Rehabilitation in Schweden: Rehabilitationsmaßnahmen für Patientinnen mit Brustkrebs. In: VDR (Hrsg.): 12. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium 2003, Frankfurt, Delbrück, H.; Witte, M. (in Vorbereitung): Onkologische Rehabilitation in Europa: Rehabilitationsstrukturen und -maßnahmen für Patientinnen mit Brustkrebs 56

58 Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation Qualitätskonzepte von Patienten, Medizinern und Sozialdienstmitarbeitern Förderkennzeichen: 01GD0113 Förderer: Bundesministerium für Bildung und Forschung Projektleitung: Prof. Dr. Gesine Grande Dipl.-Soz. Johannes Staender Prof. Dr. Bernhard Badura Projektmitarbeiter: Dipl.-Psych. Matthias Romppel Laufzeit: Hintergrund Die Etablierung einer Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation, d. h. die systematische Dokumentation und Veröffentlichung von Daten über die Qualität der Versorgungsstrukturen, -prozesse und -ergebnisse ist eine zentrale rehabilitationswissenschaftliche Herausforderung. Veränderungen der rechtlichen Grundlagen im SGB V und die Anfang 2004 getroffene Vereinbarung der Selbstverwaltung zur Veröffentlichung von strukturierten Qualitätsberichten für Akutkrankenhäuser ab dem Jahr 2005 lassen auch für den Rehabilitationsbereich in näherer Zukunft ähnliche Entwicklungen erwarten. Die Qualitätsberichterstattung wird als ein wesentliches Element der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen angesehen. Es wird angenommen, dass durch die Veröffentlichung von Qualitätsberichten die Transparenz der Gesundheitsversorgung vergrößert wird, Patientenströme beeinflusst werden, eine stärkere Partizipation der Patienten an Entscheidungen im Versorgungsprozess ermöglicht wird und letztlich eine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden kann. Als potentielle Nutzer von Qualitätsberichten werden vor allem diejenigen Akteure in der Rehabilitation oder Gesundheitsversorgung angesehen, die über eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme, Gestaltung und den Erfolg der Leistungen mitbestimmen, z. B. zuweisende Ärzte, Kostenträger und Konsumenten (Patienten, Versicherte), ihr Entscheidungsverhalten bezogen auf die Inanspruchnahme oder Auswahl einzelner Leistungen sollte durch die Verfügbarkeit relevanter Informationen qualitätsbewusster erfolgen können (Brennan & Strombom, 1998; Marshall, Shekelle, Leatherman & Brook, 2000; Badura, 1999). In der Praxis wurde jedoch festgestellt, dass Qualitätsberichte nur wenig genutzt wurden und dass, nicht zuletzt aus diesem Grund, die Veröffentlichung von qualitätsrelevanten Daten wenig Einfluss auf Patientenströme und Versorgungsqualität hatte (Boscarino & Adams, 2004; Marshall & Davies, 2001; Mukamel & Mushlin, 2001; Schneider & Epstein, 1998). Die geringe Nutzung wird u. a. damit erklärt, dass Informationsbedürfnisse und Qualitätsverständnis der Nutzer in diesen Berichtssystemen bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden sind (z.b. Hibbard & Jewett, 1996; Hibbard, 1998; Kaiser Family Foundation, 2000). Untersuchungen zum Qualitätsverständnis von Nutzern sind jedoch rar und liegen fast nur für die akutmedizinische Versorgung in den USA vor. Die Ergebnisse dieser Studien können wegen der stärkeren Präsenz marktwirtschaftlicher Elemente und der Dominanz von Managed Care Organisationen im amerikanischen Gesundheitssystem und angesichts der Versorgungsunterschiede in Akutmedizin und Rehabilitation nur sehr bedingt auf den deutschen Reha-Sektor übertragen werden. Es ist bisher also so gut wie nichts darüber bekannt, wie diejenigen Akteure, deren Entscheidungen im Vorfeld einer Rehabilitation über die bedarfsgerechte Inanspruchnahme und Gestaltung der Leistungen entscheiden, Qualität in der Rehabilitation definieren und welche Informationsbedürfnisse 57

59 daraus erwachsen. Es wird vermutet, dass die rehabilitationsbezogenen Qualitätskonzepte von Patienten, Akutmedizinern, Sozialdienstmitarbeitern und Kostenträgern stark divergieren. Noch weniger ist bekannt über den Zusammenhang zwischen als relevant angesehenen Qualitätsindikatoren und tatsächlichen rehabilitationsbezogenen Entscheidungen. Da die reale Entscheidungssituation bei gegenwärtigen Inanspruchnahme- und Auswahlentscheidungen in der Rehabilitation in Deutschland durch eine Reihe von spezifischen Kontextfaktoren gekennzeichnet ist (Einschränkung des Entscheidungsspielraums durch bestehende Rahmenbedingungen, fehlende qualitätsrelevante Informationen), kann vermutet werden, dass sich als qualitätsrelevant eingestufte Kriterien einerseits und tatsächlich entscheidungsrelevante Kriterien andererseits unterscheiden. Projektziele Es wurde angestrebt, am Beispiel von zwei quantitativ bedeutsamen Indikationsgruppen koronare Herzerkrankungen (ICD ) und Dorsopathien (ICD ) empirische Grundlagen für eine Qualitätsberichterstattung zu erarbeiten, die Qualitätskonzepte und qualitätsbezogene Informationsbedürfnisse verschiedener Akteure im Rehabilitationsprozess berücksichtigen. Ziele des Projektes waren: 1. Analyse und Rekonstruktion der rehabilitationsbezogenen Qualitätskonzepte von Patienten, Akutklinikern und Mitarbeitern des Sozialdienstes denjenigen Akteuren im Rehabilitationsprozess, die neben den Kostenträgern an Entscheidungen über den Zugang zur Rehabilitation und die Inanspruchnahme rehabilitativer Leistungen beteiligt sind. 2. Identifikation gruppenspezifischer Qualitätsindikatoren und quantitativer Vergleich der Relevanz dieser Indikatoren zwischen den Akteursgruppen. Welche Qualitätskriterien werden von welchen Akteuren als Indikatoren und Standards guter Versorgungsqualität angesehen? 3. Identifikation derjenigen Qualitätsindikatoren, die in rehabezogenen Entscheidungen tatsächlich berücksichtigt werden. Welche Rolle spielen diese qualitätsbezogenen Entscheidungskriterien vor dem Hintergrund des gegenwärtig vorhandenen Entscheidungsspielraums der einzelnen Akteursgruppen und der gegenwärtig verfügbaren Informationen für Inanspruchnahme- und Auswahlentscheidungen? 4. Erarbeitung von Empfehlungen für nutzerorientierte Qualitätsberichte in der Rehabilitation im Hinblick auf die Auswahl der Qualitätsindikatoren und ihre Darstellung. Diese Empfehlungen sollen die rehabilitationsbezogenen Informationsbedürfnisse aller drei Nutzergruppen berücksichtigen und so zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen für den Zugang zur Rehabilitation und der bedarfsgerechten Inanspruchnahme rehabilitativer Angebote beitragen. Methoden Die Projektziele wurden mit Hilfe eines zweistufigen methodischen Vorgehens verfolgt. Ein qualitativer Ansatz zur Hypothesengenerierung und zur Rekonstruktion wesentlicher Elemente der Qualitätskonzepte der Akteursgruppen wurde mit einem quantitativen Vergleich der Relevanz der so ermittelten Qualitätsindikatoren zwischen den Akteursgruppen kombiniert. In der ersten, qualitativen Erhebungsphase führten wir leitfadengestützte Experteninterviews mit 20 Ärzten und 10 Sozialdienstmitarbeitern durch. Je 10 der Ärzte waren im orthopädischen bzw. kardiologischen Bereich tätig. Weiterhin wurden 94 Patienten in Fokusgruppen befragt, davon waren 45 kardiologische Patienten (27 nahmen aktuell an einer Reha teil) und 49 orthopädische Patienten (33 aktuelle Reha-Teilnehmer). Die Patienten waren zwischen 20 und 85 Jahren alt (M = 52.6 Jahre) und je zur Hälfte männlich und weiblich. Die Interviews und Fokusgruppen wurden vollständig transkribiert und mit Hilfe eines standardisierten Kategoriensystems inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Protokolle umfassen über 1,7 Megabyte, was einer Textmenge von über Wörtern und (bei einzeiligem Zeilenabstand und einer Schriftgröße von 12 Punkt) ca. 430 Druckseiten entspricht. In der zweiten, quantitativen Projektphase wurden aus den Daten der ersten, qualitativen Erhebung Fragebögen entwickelt. Die Fragebögen enthielten eine Liste von 78 Qualitätsindikatoren, die auf der Basis der inhaltsanalytischen Auswertung der Interview- und Fokusgruppenprotokolle erarbeitet 58

60 worden waren. Die Items waren dabei so formuliert, dass sie für alle untersuchten Akteursgruppen sowie die beiden untersuchten Indikationsbereiche passend waren. Diese Qualitätsindikatoren sollten hinsichtlich ihrer Wichtigkeit für die Einschätzung der Qualität einer Rehabilitationseinrichtung bzw. Rehabilitationsmaßnahme beurteilt werden. Ferner wurden Items zur Rehaerfahrung und zur Rehaeinstellung aus bisherigen Fragebögen der Arbeitsgruppe übernommen. Als akteursgruppenspezifische, potentielle Determinanten der Qualitätskonzepte wurden zusätzlich für die Patienten Items zum Gesundheitszustand und zu soziodemographischen Variablen sowie für die Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter Fragen zur Ausbildung, zur beruflichen Position sowie zur Berufserfahrung entwickelt. Auch dabei wurde soweit möglich auf bewährte Fragen bzw. auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Generische Methoden (VDR, 1999) zurückgegriffen. Die Fragebögen wurden mit Begleitschreiben, Einverständniserklärung und Rückumschlag bundesweit an verschiedene Einrichtungen bzw. an niedergelassene Orthopäden im Umkreis von ca. 100 km verschickt. Die Kontaktdaten wurden einschlägigen Nachschlagewerken entnommen. Für die Rekrutierung der Patienten im Akut- und Rehabereich wurde z.t. auf bestehende Kooperationsbeziehungen zurückgegriffen. Sozialarbeiter wurden getrennt angeschrieben. Für die Beantwortung des Fragebogens wurde den teilnehmenden Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern ein Honorar von 20 Euro gezahlt. Insgesamt nahmen 203 Ärzte, 101 Sozialdienstmitarbeiter und 625 Patienten an der schriftlichen Befragung teil (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Stichprobengrößen nach Indikation und Versorgungssektor Akteursgruppe Sektor Verschickte FB a Vorliegende FB Rücklauf b Sozialdienst Akut-Krankenhaus % Ärzte % Kardiologie Akut-Krankenhaus % Orthopädie Akut-Krankenhaus % Facharztpraxis % Patienten % Kardiologie Akut-Krankenhaus % Reha % Orthopädie Akut-Krankenhaus % Facharztpraxis % Reha % Anmerkung: a - FB: Fragebögen; b - Rücklauf bei Ärzten und Patienten bezogen auf insgesamt an kooperierende Einrichtungen verschickte Fragebögen, bei Sozialdienst bezogen auf insgesamt verschickte Fragebögen. Die Auswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS. Die deskriptiven Analysen wurden je nach Datenniveau mittels F-Test, t-test oder Chi-Quadrat-Test durchgeführt. Zur Bestimmung der Dimensionalität der Qualitätskonzepte wurde eine Faktorenanalyse mit Varimaxrotation durchgeführt. Unterschiede zwischen den Akteursgruppen (t-test, F-Test) wurden auf der Basis standardisierter Werte berechnet (Prozentrangtransformation mit anschließender z-standardisierung). Der Einfluss anderer Variablen auf die Wichtigkeitseinschätzung der Qualitätsindikatoren wurde mit t- Test und F-Test geprüft, wobei die Fehlerwahrscheinlichkeit nach Bonferroni-Holm adjustiert wurde. In multivariaten Kovarianzanalysen wurden mögliche Variablenkonfundierungen überprüft. 59

61 Ergebnisse der qualitativen Studie Einstellung zur Rehabilitation Während die Sozialdienstmitarbeiter die Rehabilitation überwiegend als grundlegend positiv bewerten, ist bei den Ärzten ein differenzierteres Meinungsspektrum vorhanden: Zwar steht die Mehrheit der Ärzte der Rehabilitation positiv bis wohlwollend skeptisch gegenüber, es werden jedoch deutliche Vorbehalte geäußert, von einzelnen Ärzten wird der medizinische Sinn der Rehabilitation gar völlig in Frage gestellt und auf Missbrauchsmöglichkeiten im Rahmen des Sozialstaates hingewiesen. Probleme werden daneben vor allem bei der Umsetzung des Rehabilitationskonzeptes, der Rehabilitationsdauer und der Einbindung in die Alltagsbezüge der Patienten gesehen, wodurch die Nachhaltigkeit der Rehabilitationserfolge als gefährdet gesehen wird. Insbesondere orthopädisch tätige Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter betonen die Vorzüge ambulanter und teilstationärer Rehabilitation. Übereinstimmend sehen Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter das spezifische Leistungspotential der Rehabilitation und eine zunehmend wichtige Rolle aufgrund verkürzter Liegezeiten im Akutbereich sowie die durch erfolgreiche Sekundärprävention mögliche Kostenersparnis. Ärzte wie Sozialdienstmitarbeiter differenzieren den Rehabilitationsbedarf in Abhängigkeit von medizinischen und sozialen Merkmalen der Patienten. Kardiologisch wie orthopädisch tätige Ärzte sehen Probleme mit dem Ansehen der in Rehabilitationseinrichtungen tätigen Kollegen und fordern, dass Rehabilitationseinrichtungen sich auf ihre spezifischen Möglichkeiten zur Schulung und Sekundärprävention konzentrieren sollten. Kardiologische Patienten sehen die Rehabilitation grundlegend positiv, Kritikpunkte entstehen durch spezifische eigene negative Erfahrungen. Zwischen dem Wunsch nach Erholung und den von der Rehabilitation gestellten Anforderungen wird ein Spannungsverhältnis wahrgenommen. Obwohl häufig ein großer Leidensdruck vorhanden ist, stehen orthopädische Patienten der Rehabilitation zumindest in ihrer stationären Form eher skeptisch gegenüber, sind bei erfolgter Rehabilitationsteilnahme aber grundsätzlich positiv eingestellt. Auch hier werden jedoch eine Reihe spezifischer negativer Erfahrungen geschildert. Beiden Patientengruppen ist gemeinsam, dass sie es für wichtig halten, dass eine Rehabilitationsmaßnahme auf den jeweiligen Patienten mit seiner jeweiligen Erkrankung zugeschnitten ist. Gründe für Rehabilitation Übereinstimmend werden die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit im Alltag und die Wiedereingliederung in das Alltagsleben als übergeordnete Zielsetzungen einer Rehabilitationsmaßnahme genannt. Von den Ärzten wird die Mobilisierung, vor allem für ältere und orthopädische Patienten, als Grundlage dafür angeführt. Die Rückkehr in das Berufsleben spielt für die im Mittel deutlich jüngeren orthopädischen Patienten eine wichtigere Rolle. Indikationsspezifisch unterscheiden sich die somatischen Zielsetzungen, die weitestgehend nur von den Ärzten thematisiert werden: die Verbesserung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit in der Kardiologie und die Muskelkräftigung und Fortsetzung der funktionellen Behandlung in der Orthopädie. Schulungen zu Risikofaktoren und möglichen Verhaltensanpassungen werden mit indikationsspezifisch unterschiedlicher Schwerpunktsetzung vor allem von Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern, weniger deutlich von den Patienten, für eine wichtige Komponente der Rehabilitation gehalten. Übereinstimmend wird die Krankheitsbewältigung als eine wichtige Zielsetzung genannt. Für die kardiologischen Ärzte und Patienten sind es vor allem die Angstbewältigung und die Wiedererlangung des Vertrauens in die eigene Leistungsfähigkeit, die dabei im Vordergrund stehen, während es für die orthopädischen Ärzte und Patienten eher um die Schaffung von Bewältigungsressourcen für zukünftige Belastungssituationen geht. Ausschließlich von orthopädischen Ärzten und Patienten sowie Sozialdienstmitarbeitern wird der durch die Rehabilitation erreichte Milieuwechsel mit dem damit verbundenen Abstand von Belastungen im familiären oder beruflichen Umfeld diskutiert. Kardiologische Patienten sehen die Rehabilitation unter anderem als eine Möglichkeit zur Erholung bzw. als Gelegenheit zum Nachdenken, bei einem gleichzeitig vorhandenen Gefühl der Sicherheit. Schließlich wird auch die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichgesinnten als hilfreicher Aspekt angesprochen. 60

62 Gründe gegen Rehabilitation Vor allem Ärzte sehen bei der üblicherweise durchgeführten Rehabilitation Nachteile des Behandlungssettings (Zeitdauer und eingeschränkte Übertragbarkeit in den Alltag). In Übereinstimmung mit den Sozialdienstmitarbeitern werden alternative Behandlungssettings diskutiert, die in Abhängigkeit unter anderem vom Alter, von der Motivation des Patienten und von seinem sozialen Umfeld als möglich angesehen werden. Von Angehörigen aller befragten Akteursgruppen werden mangelnde Motivation und die Abneigung gegen Krankenhausaufenthalte als mögliche Kriterien für Entscheidungen gegen eine Rehabilitationsteilnahme genannt. Im kardiologischen Bereich wird von ärztlicher Seite die Notwendigkeit einer Rehateilnahme mit zunehmendem Alter, bei fortgeschrittener KHK und/oder allgemein schlechtem körperlichen Zustand als weniger dringlich angesehen. Von den befragten Orthopäden wird insbesondere für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eine kontinuierliche Behandlung gegenüber einer zeitlich begrenzten Maßnahme präferiert. Darüber hinaus führen die befragten Ärzte einzelne medizinische Kontraindikationen auf. Grundlagen der Qualitätsvorstellungen Die Qualitätsvorstellungen von Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern basieren zum großen Teil auf Erfahrungen aus dem beruflichen Alltag, eine formale Beschäftigung mit dem Thema ist nur vereinzelt festzustellen. Neben eigenen Beobachtungen der Rehabilitationsergebnisse werden auch Rückmeldungen von Patienten genutzt, um zu einer Beurteilung von Rehabilitationseinrichtungen zu gelangen. Einschränkend ist anzumerken, dass diese Möglichkeiten nur bei Patienten bestehen, die nach einer Rehabilitation erneut vorstellig werden, es sich somit um eine selektierte Gruppe handelt. Bei Sozialdienstmitarbeitern häufiger als bei Ärzten können auch der Austausch mit Kollegen und persönliche Kontakte mit Rehabilitationseinrichtungen zur Urteilsbildung beitragen. Ärzte dagegen nutzen zusätzlich Kenntnisse über die spezifischen Krankheitsbilder, um Anforderungen an die Rehabilitation zu formulieren. Die Ansichten der befragten Patienten basieren weitestgehend auf persönlichen Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem. Entscheidungsprozesse In den untersuchten Akutkliniken ist es in der Regel der Sozialdienst, der sich um die organisatorischen Fragen zur Einleitung einer Rehabilitationsmaßnahme kümmert. Nachdem die Indikationsstellung und die Feststellung der Rehabedürftigkeit und Rehafähigkeit aufgrund medizinischer und psychosozialer Merkmale durch den Arzt erfolgt sind, ist es Aufgabe der Sozialdienstmitarbeiter, Kontakte zu Kostenträgern und Kliniken aufzunehmen und das Antragsverfahren durchzuführen. In Gesprächen mit den Patienten werden deren Präferenzen, vorhandene Ressourcen sowie die häusliche und berufliche Situation erfragt. Bei der Auswahl einer Rehabilitationseinrichtung ist die Menge der in Frage kommenden Kliniken in der Regel durch den jeweiligen Kostenträger eingeschränkt. Aufgrund von Empfehlungen von Verwandten oder Bekannten oder auch persönlichen Erfahrungen haben Patienten häufig Präferenzen in Bezug auf die Klinikwahl, als sehr bedeutsames Entscheidungskriterium wird die Wohnortnähe herausgestellt. Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter sprechen Empfehlungen aus, die auf der beruflichen Erfahrung bzw. der Kenntnis einzelner Rehabilitationseinrichtungen beruhen. Häufig sind es auch pragmatische Gründe, die eine Rolle spielen (vorhandene freie Plätze). Die Entscheidungsspielräume haben in den letzten Jahren deutlich abgenommen, je nach Kostenträger sind die Auswahlmöglichkeiten mehr oder weniger begrenzt oder auch gar nicht vorhanden. In den orthopädischen Praxen geht die Initiative zur Rehabilitation in der Regel von den Patienten aus, mitunter erfolgen Anregungen durch den Arzt oder auch die Krankenkasse. Meist wird den Patientenwünschen entgegengekommen. Indikationsabhängig werden gelegentlich aufgrund von spezifischen Anforderungen oder aufgrund von vorhandenen Erfahrungen Empfehlungen für eine bestimmte Rehabilitationseinrichtung ausgesprochen. Die Verantwortung für das weitere Antragsverfahren liegt in aller Regel bei den Patienten. Lediglich in Ausnahmefällen engagiert sich der Arzt auch in der Folge im Kontakt mit Kostenträgern. 61

63 Vorhandene und genutzte Informationsquellen Ärzte Formelle Informationsquellen sind den befragten Ärzten zum Teil nicht bekannt oder werden aus zeitlichen Gründen, mangelndem Interesse oder weil die Ärzte die Nutzung nicht für sinnvoll halten, nicht genutzt. Hausprospekte werden in erster Linie als Werbematerial wahrgenommen, das einen groben Überblick über vorhandene Einrichtungen und Angebote, Indikationen und Behandlungsschwerpunkte geben kann und vor allem zur Patienteninformation genutzt wird. Nachschlagewerke erleichtern die Vergleichbarkeit zwischen Einrichtungen, aber auch hier wird der Nutzwert durch fehlende Qualitätsrelevanz der verfügbaren Informationen sowie aufgrund der fehlenden Einflussmöglichkeiten auf die Auswahl einer Rehabilitationseinrichtung als eingeschränkt wahrgenommen. Internetangebote und Computerdatenbanken werden zum Teil genutzt, es wird jedoch über technische Schwierigkeiten beim Zugang berichtet. Durch den Austausch mit Kollegen und Mundpropaganda entsteht eine grobe Vorstellung der Qualität einer Rehabilitationseinrichtung. Rückmeldungen von Patienten sind für Klinikärzte nur für einen Teil der Patienten verfügbar und ergeben ein verzerrtes Bild, auch Entlassungsberichte stehen nicht regelmäßig zur Verfügung. Die befragten niedergelassenen Orthopäden können sich dagegen über Berichte von Patienten, die Beobachtung der Rehabilitationsergebnisse und die zugesandten Entlassungsberichte regelmäßiger ein Urteil über einzelne Rehabilitationseinrichtungen bilden. Sozialdienst Klinikprospekte werden von Sozialdienstmitarbeitern in erster Linie als Anschauungsmaterial für Patienten genutzt. Ebenso wie bei Nachschlagewerken können Hinweise auf spezifische Indikationen und Angebote entnommen werden. Auch das Internet wird in diesem Sinn genutzt. Bezweifelt wird die Qualitätsrelevanz der verfügbaren Informationen. Der Austausch mit Kollegen wird von Sozialdienstmitarbeitern gepflegt, in speziellen Fällen wird gelegentlich auch aktiv Kontakt aufgenommen. Patientenrückmeldungen werden geschätzt, Erfahrungen von Patienten werden gezielt erfragt. Obgleich nicht systematisch erfasst und auch durchaus kritisch beurteilt, werden Patientenrückmeldungen als wichtige Bausteine einer Klinikeinschätzung angesehen. Schließlich können bei persönlichen Besuchen von Rehabilitationseinrichtungen Eindrücke von Lage, Aussehen und Atmosphäre einer Einrichtung gewonnen werden. Im Normalfall greifen die Sozialdienstmitarbeiter jedoch auf ihren beruflichen Erfahrungsschatz zurück und nutzen keine zusätzlichen Informationsquellen. Patienten Vielfach stehen den Patienten vor Beginn einer Rehabilitationsmaßnahme keinerlei Informationen zur Verfügung. Vereinzelt kann auf Klinikprospekte oder Internetangebote zugegriffen werden, verfügbare Informationen betreffen in erster Linie äußerliche, strukturelle Merkmale, das Fehlen ausführlicherer Informationen zum Therapieprogramm wird beklagt. Urteile über Rehabilitationseinrichtungen können sich die Patíenten in erster Linie aufgrund eigener Erfahrungen oder von Berichten von Personen aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis bilden. Empfehlungen des behandelnden Arztes wird in der Regel starkes Vertrauen entgegengebracht. Informationsbedarf Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter sehen sich bereits durch das bestehende Informationsangebot zeitlich überfordert. Während viele Ärzte aufgrund eingeschränkter Einflussmöglichkeiten einen geringen zusätzlichen Informationsbedarf konstatieren, wünschen sich die Sozialdienstmitarbeiter durchaus weitere, vor allem jedoch qualitätsrelevantere Informationen. Patienten möchten besser auf die Rehabilitation vorbereitet werden und wünschen sich mehr Informationen über den Ablauf einer Rehabilitationsmaßnahme sowie Erfahrungsberichte von Patienten. Qualitätsindikatoren Ergebnisse der quantitativen Befragung Dimensionen und akteursgruppenspezifische Unterschiede Die von uns befragten Akteure entwickelten differenzierte Vorstellungen über qualitätsrelevante Merkmale von Rehabilitationseinrichtungen. Die empirisch ermittelten Qualitätskonzepte waren mehrdimensional, faktorenanalytisch konnten sieben unabhängige Dimensionen subjektiver Quali- 62

64 tätsbewertungen von Rehabilitationseinrichtungen identifiziert werden ( Renommee und Standards der Einrichtung, Durchführung des Therapieprogramms, Kompetenzen des Personals, Hotelaspekte, Alltagsnähe, somatische Ergebnisqualität, psychosoziale Ergebnisqualität ). Die Faktorenstruktur der Qualitätskonzepte erwies sich als stabil und ließ sich für alle Akteursgruppen bestätigen. Im Mittel zeigte sich, dass Patienten und Sozialdienstmitarbeiter die Indikatoren insgesamt wichtiger für die Beurteilung der Qualität einschätzten als Ärzte. Diese unterschiedliche Antworttendenz spiegelte sich auch darin wider, dass Patienten und Sozialdienst fünf der sieben Qualitätsdimensionen ( Renommee und Standards der Einrichtung, Durchführung des Therapieprogramms, Kompetenzen des Personals, Hotelaspekte und psychosoziale Ergebnisqualität ) wichtiger einschätzten als die befragten Ärzte. Einen besseren Einblick in die Unterschiede zwischen den Qualitätskonzepten der befragten Akteursgruppen gestatten jedoch die standardisierten Skalenwerte der sieben Qualitätsdimensionen (Abb. 1). Abbildung 1: Wichtigkeit der Dimensionen im Urteil der Akteursgruppen (die Skalenwerte wurden z-standardisiert) 0,80 0,60 0,40 0,20 0,00-0,20-0,40-0,60-0,80 Renommee Therapie Personal F-Test, p<.001 Hotel Alltagsnähe Som. Outcomes Ps. Outcomes Patienten Ärzte Sozialdienst Von allen drei Akteursgruppen wird die Dimension Kompetenzen des Personals im Vergleich mit den anderen Qualitätsdimensionen am wichtigsten eingeschätzt, allerdings fällt die Wertschätzung dieser Dimension unter den Patienten relativ am geringsten aus. Kompetenzen des Personals umfassen Merkmale wie Motivation und Engagement, Freundlichkeit, Kompetenz und Erfahrung der Ärzte, die in anderen, vor allem US-amerikanischen Studien als besonders wichtige Qualitätsaspekte aus Patientensicht identifiziert wurden. Unsere eigenen, abweichenden Befunde können zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass wir Qualitätskonzepte zur Rehabilitation untersucht haben, einem Versorgungssektor, für den ein breiter Konsens über die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Versorgung und insbesondere die Integration psychosozialer Aspekte existiert. Dass eine ganzheitliche Rehabilitation, deren zentrale Ziele psychosozialer Natur sind (Lebensstilveränderung, Einstellungsänderungen, psychische Stabilisierung, Abbau von negativen Gefühlen wie Angst und Depression, Motivation für langfristige Compliance), in wesentlich stärkerem Maße psychosoziale Kompetenzen vom Personal abverlangt, dürfte auch von Akteuren außerhalb des Rehasystems allgemein akzeptiert sein. Letztlich könnte das dazu führen, dass eben nicht nur die Patienten die psychosozialen 63

65 Kompetenzen der Ärzte und des Personals hoch schätzen, sondern auch die zuweisenden Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter in unserer Studie sogar noch stärker als die Patienten selbst. Die zweitgrößte Wichtigkeit für die Qualität einer Einrichtung wird jeweils in allen Akteursgruppen der Psychosozialen Ergebnisqualität zugeschrieben, Sozialdienstmitarbeiter schätzen diese Dimension dabei noch höher als die Patienten. Die relative Bedeutung der Dimension Durchführung des Therapieprogramms ist für alle drei Akteursgruppen gleich, sie folgt an dritter bzw. vierter Stelle in der Rangfolge innerhalb der Akteursgruppen. Größere Unterschiede in den Qualitätskonzepten der Akteursgruppen finden sich bei der relativen Wertschätzung der übrigen Dimensionen. Während die Dimensionen Alltagsnähe und somatische Ergebnisqualität im Vergleich zu den anderen Dimensionen von den Patienten weniger wertgeschätzt werden als von den Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern, sind die Dimensionen Hotelaspekte und Renommee und Standards der Einrichtung für die Patienten im Vergleich zu den anderen Dimensionen wichtiger als für andere Akteursgruppen. Renommee und Standards einer Einrichtung werden möglicherweise von den Patienten als globale Qualitätsmerkmale angesehen, die in einer Situation, in der andere differenzierende Qualitätsinformationen fehlen, das sichere Gefühl vermitteln können, in guten Händen zu sein und die optimale Versorgung zu bekommen. Dass Alltagsnähe im Vergleich zu anderen Qualitätsdimensionen von allen Akteursgruppen geringer wertgeschätzt wurde, insbesondere von den Patienten, kann möglicherweise damit zusammenhängen, dass ausgehend von der stationären Routineversorgung Alltagsnähe nicht als Qualitätsmerkmal angesehen wird, das von einer Reha-Einrichtung zu erwarten bzw. dieser zuzuschreiben wäre. Relevanz von Struktur-, Prozess- und Ergebnismerkmalen als Indikatoren der Qualität einer Rehabilitationseinrichtung Die sieben Dimensionen subjektiver Qualitätsvorstellungen ließen sich nicht direkt auf die von Donabedian (1966) unterschiedenen Ebenen von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität projizieren, gleichwohl wurden diese drei Aspekte abgebildet. Die Qualitätsdimensionen Renommee und Standards der Einrichtung, Hotelaspekte und Wohnortnähe spiegeln Qualitätsaspekte wider, die in der Qualitätsforschung traditionell der Strukturebene zugeordnet werden. Die Faktoren Durchführung des Therapieprogramms und Kompetenzen des Personals umfassen in erster Linie verschiedene Merkmale der Prozessqualität bezogen auf Organisation und Ablauf des therapeutischen Programms und bezogen auf den Umgang des Personals mit den Patienten und deren Fähigkeiten zu psychosozial und klinisch qualifiziertem Handeln. Zur Qualität der Ergebnisse ließen sich zwei Aspekte unterscheiden: psychosoziale und somatische Rehabilitationserfolge stellen sich in der Bewertung von Patienten, Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern als voneinander unabhängige Dimensionen der Qualität dar. Bezogen auf die mittleren Bewertungen aller befragten Akteure zeigte sich deutlich, dass denjenigen Merkmalen die höchste Qualitätsrelevanz zugesprochen wurde, die als Indikatoren der Prozessqualität oder globaler Rehabilitationsergebnisse gelten. Unter den ersten zehn Rangplätzen findet sich mit dem Indikator Qualifikation des Personals nur ein einziges Strukturmerkmal, unter den wichtigsten 20 Merkmalen tauchen auf den Rangplätzen 11, 13 und 14 das therapeutische Angebot, die Fachrichtung der behandelnden Ärzte und die Sauberkeit der Zimmer auf. Im Unterschied dazu finden sich auf den letzten 10 Rangplätzen (diejenigen Merkmale, die für die Qualität als am wenigsten wichtig beurteilt wurden) ausschließlich Indikatoren der Strukturqualität. Diskussion und Empfehlungen für eine nutzerorientierte Qualitätsberichterstattung 1. Akteursgruppenübergreifende Qualitätsberichte Ein öffentlicher Qualitätsbericht zur Rehabilitation sollte den Informationsbedürfnissen und Interessen aller potentieller Nutzer, d. h. aller Akteursgruppen, die im Vorfeld der Rehabilitation an Entscheidungen über die Inanspruchnahme oder Auswahl von Leistungen beteiligt sind, genügen. Wir sehen einen umfassenden Bericht als überlegen gegenüber spezifischen Berichten für verschiedene Nutzergruppen. 64

66 Partnerschaftliche Kommunikation, patientenorientierte Beratung und partizipative Entscheidungsprozesse im Vorfeld der Entscheidung für eine Rehabilitationsteilnahme und insbesondere vor der Auswahl einer geeigneten Einrichtung sollten auf einer gemeinsamen Informationsbasis beruhen. Einseitige Informationsvorteile einer Akteursgruppe führen gegenüber anderen Entscheidungsträgern zu einem Wissensvorteil, der Partnerschaftlichkeit erschwert und dazu führen kann, dass die Entscheidungskriterien eben jener Akteursgruppe in den Entscheidungsprozessen stärker berücksichtigt werden (können). Unsere Ergebnisse zeigen, dass trotz der zwischen den Akteursgruppen vorhandenen Unterschiede in der Gewichtung einzelner Qualitätsindikatoren bzw. Qualitätsdimensionen weitgehende Übereinstimmung darin besteht, welche Dimensionen wesentlich die Qualität einer Einrichtung bestimmen. Die Erstellung und Pflege eines akteursgruppenübergreifenden Berichterstattungssystems in der Rehabilitation ist trotz der Berücksichtigung eines umfangreicheren Indikatorensatzes im Hinblick auf Aufwand und Kosten als günstigere Lösung anzusehen im Vergleich zur Erstellung mehrerer spezifischer Berichte. 2. Vergleichende und deskriptive Informationen Grundsätzlich sollte der Qualitätsbericht zwei Funktionen ermöglichen, die unabhängig voneinander oder im Zusammenhang genutzt werden können (vgl. Joint Commission, 2005). Die erste Funktion bezieht sich auf den Leistungsvergleich im Hinblick auf festgelegte Qualitätskriterien. Empfohlen wird für die allgemeine Nutzung des Qualitätsberichtes die Verwendung globaler Indikatoren (Indizes) und eine globale vergleichende Bewertung anhand der Durchschnittswerte aller einschlägigen Einrichtungen (unterdurchschnittliche, durchschnittliche, überdurchschnittliche Leistungen). Entsprechende vergleichende Bewertungen könnten dann für eine einzelne Einrichtung oder nach bestimmten Kriterien (z. B. Region, Indikationsbereich) ausgewählte Einrichtungen abgerufen werden. Die zweite Funktion des Qualitätsberichtes sollte darin bestehen, beschreibende Detailinformationen zu den einzelnen Einrichtungen bereitzustellen. Gemeint sind vor allem Strukturdaten, die übereinstimmend für einen unmittelbaren Qualitätsvergleich als weniger relevant angesehen wurden. Sie können jedoch vor dem Hintergrund insbesondere der individuellen Präferenzen der Patienten ein relevantes Entscheidungskriterium bei Auswahlentscheidungen werden und sollten deshalb Bestandteil eines Qualitätsberichtssystems in der Rehabilitation sein. Eine Kombination strukturbezogener Auswahlprozesse und leistungsbezogener Vergleiche soll durch den Aufbau des Qualitätsberichtes ermöglicht und gefördert werden. So soll einerseits eine Vorauswahl von Einrichtungen nach Strukturmerkmalen möglich sein, z. B. nach Region oder Indikationsbereichen, für die ausgewählten Einrichtungen kann anschließend die vergleichende Qualitätsbewertung abgefragt werden. Umgekehrt sollte es möglich sein, primär nach leistungsbezogenen Kriterien zu vergleichen und die deskriptiven Angaben der besten Kliniken anschließend einzusehen. 3. Gestaltung und Indikatorenauswahl Eine grundsätzliche Anforderung bei der Gestaltung eines Qualitätsberichterstattungssystems besteht darin, den Aufwand für die beteiligten Einrichtungen bezüglich Datenerhebung und Dokumentation möglichst gering zu halten. Es sollte, soweit vertretbar und sinnvoll, auf bereits vorhandene Indikatoren, Screening- oder Qualitätssicherungsverfahren zurückgegriffen werden. 65

67 Umsetzbarkeit der Ergebnisse Die Voraussetzungen für die Etablierung einer öffentlichen Qualitätsberichterstattung sind in der Rehabilitation in Deutschland durchaus günstig. In keinem anderen Bereich des Gesundheitssystems in Deutschland wird ein vergleichbarer Aufwand für die Qualitätssicherung betrieben wie in der Rehabilitation. Durch die frühzeitige Etablierung von Qualitätssicherungsprogrammen der GRV bzw. der GKV gibt es inzwischen vielfältige Vorerfahrungen, Erhebungsroutinen und Daten, auf die eine nutzerorientierte Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation zurückgreifen könnte und sollte. Was bisher fehlt, ist einerseits eine grundlegendere Orientierung an den Qualitätskonzepten und Informationsbedürfnissen von Akteuren, die neben den Kostenträgern an Entscheidungs- und Auswahlprozessen im Vorfeld der Rehabilitation beteiligt sind. Was darüber hinaus fehlt, ist die Motivation insbesondere der Kostenträger zur breiten Veröffentlichung von Qualitätsinformationen bzw. zur Übertragung von Entscheidungskompetenzen über die Auswahl von Einrichtungen an andere Akteure wie zuweisende Ärzte oder Patienten. Das erklärt sich aus den bestehenden Interessenskonflikten (die primären Ziele der Kostenträger sind weniger auf die Stärkung der Position und Einflussmöglichkeiten der Patienten gerichtet als auf die Erhaltung von Kontrolle und Einfluss zur Sicherung von Wirtschaftlichkeit und Marktposition) und der fehlenden Erwartung eines zusätzlichen Nutzens durch die Veröffentlichung von Qualitätsdaten auf Seiten der Kostenträger. Sinn und Nutzen einer nutzerorientierten Qualitätsberichterstattung wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, den organisatorischen und finanziellen Rahmen langfristig abzusichern. Der Aufwand für die Entwicklung und Etablierung eines Berichtssystems muss trotz bereits bestehender und möglicherweise nutzbarer Qualitätssicherungsprogramme als erheblich angesehen werden und wäre nur gerechtfertigt, wenn eine langfristige Nutzung angezielt und sichergestellt wäre. Auch im Hinblick auf methodische Fragen der Operationalisierung und Messung von Qualitätsindikatoren sind längst nicht alle Probleme geklärt (z.b. Indexbildung, Risikoadjustierung). Ein offenes Problem in der Qualitätsforschung ist noch immer die Messung der Prozessqualität medizinischer oder rehabilitativer Versorgung. Während einzelne Qualitätsaspekte von Versorgungsprozessen wie die Koordination der Behandlung oder Wartezeiten inzwischen über ereignisorientierte Ansätze der Patientenzufriedenheitsbefragung ökonomisch und zuverlässig erfasst werden, gibt es andere Aspekte, deren Operationalisierung und Messung bisher nicht befriedigend möglich ist (z.b. interpersonelle und kommunikative Kompetenzen des Personals im Kontakt mit den Patienten). Trotz all dieser offenen Fragen sehen wir grundsätzlich die Entwicklung einer nutzerorientierten Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation als eine außerordentlich lohnende Aufgabe an, deren Umsetzung dazu beitragen könnte, die Qualität der Versorgung langfristig zu verbessern und Bedarfsgerechtigkeit auch unter der Perspektive subjektiver Erwartungen und Vorstellungen der Patienten besser zu gewährleisten. Es wäre zu überprüfen, ob damit Patientenzufriedenheit und Erfolge der Rehabilitation weiter verbessert werden können. Die Evaluation der Effekte einer nutzerorientierten Qualitätsberichterstattung könnte in vielerlei Hinsicht wichtige Erkenntnisse für die Qualitätsforschung und die Versorgung in der Praxis liefern. Literaturverzeichnis Badura, B. (1999). Evaluation und Qualitätsberichterstattung im Gesundheitswesen - Was soll bewertet werden und mit welchen Maßstäben? In B. Badura & J. Siegrist (Eds.), Evaluation im Gesundheitswesen (pp ). Weinheim: Juventa. Boscarino, J. A. & Adams, R. E. (2004). Public perceptions of quality care and provider profiling in New York: implications for improving quality care and public health. J Public Health Manag.Pract., 10, Brennan, P. F. & Strombom, I. (1998). Improving health care by understanding patient preferences: the role of computer technology. J Am.Med Inform.Assoc., 5, Hibbard, J. H. (1998). Use of outcome data by purchasers and consumers: new strategies and new dilemmas. Int.J Qual Health Care, 10, Hibbard, J. H. & Jewett, J. J. (1996). What type of quality information do consumers want in a health care report card? Med Care Res Rev., 53, Kaiser Family Foundation (2000). National survey on Americans as Health Care Consumers: An Up- 66

68 date on the Role of Quality Information. Menlo Park: Kaiser Family Foundation. Marshall, M. & Davies, H. (2001). Public release of information on quality of care: how are health services and the public expected to respond? J Health Serv.Res Policy, 6, Marshall, M. N., Shekelle, P. G., Leatherman, S. & Brook, R. H. (2000). The public release of performance data: what do we expect to gain? A review of the evidence. JAMA, 283, Mukamel, D. B. & Mushlin, A. I. (2001). The impact of quality report cards on choice of physicians, hospitals, and HMOs: a midcourse evaluation. Jt.Comm J Qual Improv., 27, Schneider, E. C. & Epstein, A. M. (1998). Use of public performance reports: a survey of patients undergoing cardiac surgery. JAMA, 279, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.) (1999). Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften. Empfehlungen der Arbeitsgruppen Generische Methoden, Routinedaten und Reha-Ökonomie (DRV-Schriften, Bd. 16). Frankfurt am Main: VDR. Publikationen Zeitschriftenartikel und Buchbeiträge Mehrere Zeitschriftenpublikationen sind in Vorbereitung. Grande, G. & Romppel, M. (2005). Qualitätskonzepte von Patienten am Beispiel der kardiologischen und orthopädischen Rehabilitation. In B. Badura & O. Iseringhausen (Hrsg.), Wege aus der Krise der Versorgungsorganisation. (S ). Göttingen: Huber. Kongressbeiträge Grande, G. & Romppel, M. (2003). Qualität liegt im Auge des Betrachters. Jahrestagung des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften, November 2003 in Recklinghausen. Grande, G. & Romppel, M. (2004). Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation Was die Akteure wissen und zu wissen wünschten. In: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.), 13. Rehawissenschaftliches Kolloquium. Selbstkompetenz Weg und Ziel der Rehabilitation vom 8. bis 10. März 2004 in Düsseldorf (DRV-Schriften, 52) (99-100). Frankfurt: VDR. Grande, G. & Romppel, M. (2005). Ein Vergleich der Einstellungen zur Rehabilitation von Akutärzten in Orthopädie und Kardiologie. In: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.), 14. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium. Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven vom 28. Februar bis 2. März 2005 in Hannover (DRV-Schriften, 59) ( ). Frankfurt: VDR. Romppel, M. & Grande, G. (2003). Rehabilitationsbezogene Qualitätskonzepte von Patienten, Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern (Abstract). In: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.), 12. Rehawissenschaftliches Kolloquium. Rehabilitation im Gesundheitssystem vom 10. bis 12. März 2003 in Bad Kreuznach (DRV-Schriften, 40) ( ). Frankfurt: VDR. Romppel, M. & Grande, G. (2004). Qualitätskonzepte von Patienten und Ärzten am Beispiel der kardiologischen und orthopädischen Rehabilitation (Abstract) (3. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung, 18. bis 19. Juni 2004, Bielefeld). Journal of Public Health, 12 Supp. 1, S66-S67. Diplomarbeiten Makowsky, K. (2004). Qualitätskonzepte von Angehörigen unterschiedlicher Berufsgruppen in Rehabilitationskliniken am Beispiel der orthopädischen und kardiologischen Rehabilitation. Unveröffentlichte Diplomarbeit im Masterstudiengang Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld. Hartmann, I. (2005). Qualitätsberichterstattung in der Rehabilitation. Qualitätskonzepte von Mitarbeitern der Renten- und Krankenversicherung. Unveröffentlichte Diplomarbeit im Masterstudiengang Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld. 67

69 Kontakt Matthias Romppel Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften Postfach Bielefeld Prof. Dr. Gesine Grande HTWK Leipzig Fachbereich Sozialwesen Postfach Leipzig mailto: 68

70 Bedarfsorientierte Entwicklung, Integration und Evaluation psychosozialer Fortbildung für die Rehabilitation Förderkennzeichen: 01 GD 0118 Förderer: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Projektleiter: Prof. Dr. Dr. F. A. Muthny, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster (UKM) Projektmitarbeiterin: Dipl.-Psych. A. Mariolakou, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster (UKM) Mitantragsteller: Prof. Dr. H. Delbrück, Klinik Bergisch-Land Wuppertal, Prof. Dr. R. P. Nippert, Institut für Ausbildungsforschung und Studienangelegenheiten der Universität Münster, und Prof. Dr. U. Witting, Institut für Arbeitsmedizin der Universität Münster. Laufzeit: bis (inkl. kostenneutraler Verlängerung von 6 Monaten) 1. Hintergrund Umfang und Qualität der Patientenbetreuung stellen hohe Anforderungen auch an die Interdisziplinarität und die psychosoziale Kompetenz der in der Rehabilitation engagierten Berufsgruppen. Der Qualifikation des Personals (Strukturqualität) und der Zusammenarbeit der Fachdisziplinen wird ein maßgeblicher Einfluss auf die Ergebnisqualität zugesprochen, wobei der Teamansatz als wesentliches Merkmal für die Prozessqualität gesehen werden kann (Körner & Bengel, 2004). Da die komplexe Leistung der Rehabilitation nur unter Beteiligung verschiedener Berufsgruppen mit spezifischen Kenntnissen und Methoden erbracht werden kann, ist medizinische Rehabilitation ausdrücklich als interdisziplinäre Aufgabe konzipiert (s. auch Jochheim, 1992) und macht angesichts bestehender Ausbildungsdefizite (Muthny & Mariolakou, 2002) Fort- und Weiterbildung zur sachgerechten und patientenorientierten Durchführung rehabilitativer Maßnahmen notwendig (s. auch Vogel, 1998). Zudem kommen der Fort- und Weiterbildung neben der Vermittlung psychosozialer Kompetenz vielfältige weitere Funktionen zu, so vor allem als Teil des Qualitätsmanagements (bzw. der Qualitätssicherung) und als Maßnahme zur Gesundheitsförderung und Burnout-Prävention der Fachkräfte. Bereits im Vorgängerprojekt Q1 (Förderphase I) war der Bedarf an psychosozialer Fortbildung ermittelt, ein Basis-Curriculum mit 12 Leitthemen entwickelt und Fortbildung (insgesamt 71 Veranstaltungen) durchgeführt und evaluiert worden (Muthny & Mariolakou, 2000, 2002). Damit konnten auch Akzeptanz, Realisierbarkeit und eine erste retrospektive Einschätzung von Fortbildungswirkungen beurteilt werden. Als Elaborierung des Forschungsansatzes wurde im vorliegenden Projekt RQII/4 der Phase II eine differenzierte Erfassung der Wirkungen von Fortbildung in einem randomisierten Kontrollgruppendesign angestrebt (Zielkriterien: Kompetenz im Umgang mit Patienten, Arbeitsmotivation, Arbeitszufriedenheit und interdisziplinäre Kooperation). Dabei wurden zwei unterschiedliche Fortbildungsformen durchgeführt und evaluiert: Zum einen themenzentrierte Fortbildungsserien und zum anderen eine eintägige Fortbildung speziell zur Förderung der interdisziplinären Kommunikation und Kooperation im Team. 69

71 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Als Aufgaben und Ziele des Projekts in der Phase II wurden im Einzelnen definiert: Durchführung und Evaluation spezieller Veranstaltungen zur Interaktion/Kooperation der verschiedenen Berufsgruppen in der Rehabilitation mit dem Ziel der Optimierung von interdisziplinärer Zusammenarbeit und Kommunikation in Rehabilitationseinrichtungen, differenzierte Erfassung von Fortbildungswirkungen im Vergleich zu (möglichst parallelisierten) Teams ohne Fortbildung und Integration von Rehabilitationsthemen in bestehende ärztliche Fort- und Weiterbildungscurricula. Fragestellungen: 1. In welchem Ausmaß trägt die Teilnahme an psychosozialer Fortbildung zur Verbesserung der beruflichen Kompetenz verschiedener Reha-Fachgruppen hinsichtlich des Umgangs mit beruflichen Belastungen, mit problematischen Rehabilitanden und der Kooperation mit Kollegen bei? 2. Wie wirkt sich die interdisziplinäre psychosoziale Fortbildung auf die Motivation der Fachkräfte aus, im Rehabilitationsalltag häufiger und effektiver interdisziplinär im Team zu kooperieren? 3. Wie wirkt sich diese Fortbildung auf Arbeitszufriedenheit und Kompetenzerleben aus? 4. Inwieweit profitieren die einzelnen Berufsgruppen von der Teilnahme an interdisziplinären Veranstaltungen und welche spezifischen Effekte lassen sich ermitteln? 5. Inwieweit sind Bedarf an psychosozialer Fortbildung und ihre Wirkungen berufsgruppenspezifisch oder -übergreifend? Hypothese: Psychosoziale Fortbildung führt zu positiven Veränderungen im Hinblick auf Kompetenzerleben, Arbeitszufriedenheit, den Umgang mit beruflichen Belastungen (und mit problematischen Rehabilitanden) und im Hinblick auf interdisziplinäre Kooperation. 3. Methoden und Arbeitsplan 3.1 Studiendesign Es wurden zwei Evaluationsstudien mit randomisiertem Kontrollgruppendesign durchgeführt (s. Abb. 1). Die Intervention umfasste in Studie 1 fünf Einzelfortbildungen in interdisziplinärer Gruppenzusammensetzung (jeweils 3-stündige Themeneinheiten zu Patientenmotivierung, Krankheitsverarbeitung, Kommunikation und Gesprächsführung, Umgang mit depressiven Patienten und Umgang mit fordernd-aggressiven Patienten). Die Durchführung erfolgte innerhalb eines halben Jahres im Abstand von 2 bis 5 Wochen. In Studie 2 wurde ein neu entwickeltes, eintägiges Seminar speziell zur Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit durchgeführt und evaluiert. Die wesentlichen Ziele für die Seminarveranstaltung beinhalteten vor allem Austausch von Erfahrungen und Sichtweisen verschiedener Berufsgruppen, Analyse der interdisziplinären Kommunikation, Austausch der Erwartungen an eine gute Patientenversorgung, Formulierung und Diskussion der Erwartungen an andere Berufsgruppen und Weiterentwicklung der künftigen interdisziplinären Zusammenarbeit im Team. Die Intervention erfolgte in beiden Studien jeweils mit Interventions- und Kontrollgruppe zeitversetzt, die Zuteilung zu den Gruppen randomisiert. 70

72 Abb. 1: Design der vergleichenden Evaluationsstudien T1 0 Mon Gruppe A (n = 50) Intervention 5 dreistündige Fortbildungseinh. Studie 1 T2 6 Mon Intervention keine Intervention Gruppe B (n = 50) keine Intervention 5 dreistündige Fortbildungseinh. T1 0 Mon Gruppe A (n = 80) Intervention eintägige FB zur interdiszipl. Koop. Studie 2 T2 3 Mon Intervention keine Intervention Gruppe B (n = 80) keine Intervention eintägige FB zur interdiszipl. Koop. T3 12 Mon T3 6 Mon Gruppe A und B sollten jeweils 3 Kliniken umfassen (Indikationen Orthopädie, Kardiologie und Neurologie) und möglichst weitgehend parallelisiert sein (nach Anteil der Indikationen und Berufsgruppen). Angestrebt wurde eine interdisziplinäre Zusammensetzung (Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ärzte), die allerdings entsprechend der realen Personalstärken nicht gleich verteilt sein kann. Die Intervention in Form von Fortbildung wurde dabei zeitversetzt eingesetzt. Bei Gruppe A sollte die Fortbildung unmittelbar nach der T1-Messung, bei Gruppe B erst mit einer halbjährigen Wartephase (bei Studie 2 drei Monate) nach der T2-Messung beginnen. Die Gruppen A und B wurden hinsichtlich der Größe, des Therapieangebots, der Berufsgruppen und der Patientenzusammensetzung der Rehabilitationskliniken parallelisiert. Damit wurde über 2 Messzeitpunkte ein randomisiertes Kontrollgruppendesign (RCT) realisiert. Psychologen mit langjähriger Berufserfahrung in der Rehabilitation sollten zu psychosozialer Fortbildungsgestaltung qualifiziert und motiviert werden und ca. 50% der Interventionen in der eigenen oder einer nahe gelegenen Klinik übernehmen. Diese wurden in zwei Moderatorenseminaren ausgewählt (insgesamt 7 ganztägige Trainings mit 40 Personen), qualifiziert und mit der Durchführung der Themeneinheiten, den Arbeitsmaterialien und Evaluationsvorgaben vertraut gemacht. Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen, der persönlichen Bereitschaft und des Zustandekommens einer Klinik-Kooperation in regionaler Nähe wurden 7 Psychologen/innen eingebunden. Die Fortbildungstätigkeit wurde durch die wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet, u.a. in Form der gemeinsamen Durchführung der ersten Veranstaltung, telefonischer Anbindung, Rückmeldung organisatorischer Veränderungen, etc Instrumente zur Fragebogenmessung in Studie 1 und 2 Das Instrumentarium erfasste in beiden Studien zu den drei Messzeitpunkten vor allem die folgenden Inhaltsbereiche: Arbeitszufriedenheit, Kompetenzerleben, Burnout, Stressverarbeitung, Befindlichkeit und Erleben der beruflichen Interaktion, sowie klinikbezogene Parameter. Für die relevanten Inhaltsbereiche wurden standardisierte Instrumente ausgewählt bzw. Eigenentwicklungen vorgenommen. In die Verlaufsuntersuchung wurden die folgenden Inhaltsbereiche und Instrumente einbezogen und in einem Fragebogen-Paket zusammengefasst: Arbeitszufriedenheit (Eigenentwicklung), Erwartungen an psychosoziale Fortbildung (Eigenentwicklung), Burnout: Maslach Burnout-Inventory (MBI-D), dt. Fassung Büssing & Perrar (1992), mit 2 der 4 Skalen: Emotionale Erschöpfung und Persönliche Erfüllung und Leistung in der Arbeit, 71

73 Befindlichkeit und Erleben der beruflichen Interaktion (Eigenentwicklung), Selbstwirksamkeit: Generalisierte Kompetenzerwartung (GKE; Schwarzer, 1994), Lebenszufriedenheit: Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ; Fahrenberg et al., 2000), daraus nur die Skala Arbeit und Beruf (FLZ-ARB), Teamarbeit: Fragebogen zur Arbeit im Team (F-A-T; Kauffeld & Frieling, 2001), mit den vier Skalen Zusammenhalt, Verantwortungsübernahme, Aufgabenbewältigung und Zielorientierung, Involvement-Skala (Moser & Schuler, 1993), klinikbezogene Daten, u.a. Stellenzahl der verschiedenen Berufsgruppen, Bettenzahl, Fehlzeiten und Fluktuation der Mitarbeiter im vergangenen Jahr. 4. Ergebnisse In die Studie 1 konnten 19 Kliniken aufgrund der stabilen Kooperationsbereitschaft, der Auswahlkriterien für die Projektkooperation (u.a. T1-Rücklauf) und der zeitlichen Vorgaben durch die Kliniken selbst (u.a. Untersuchungszeitfenster) eingebunden werden (von insgesamt ca. 38 kontaktierten Reha-Kliniken). Die vollständige Fortbildungsserie konnte letztlich in 17 Kliniken durchgeführt werden, in 3 Kliniken kamen jeweils parallel 2 Fortbildungsgruppen zustande. Die Intervention in Form der Fortbildungsserie lag für die Gesamtstichprobe im Zeitraum vom November 2002 bis Dezember Sowohl für Studie 1 als auch für Studie 2 sind die zu jedem Messzeitpunkt erreichten Rückläufe in Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1: Überblick der Rücklauf-Häufigkeiten aus Studie 1 und Studie 2 T1 T2 vollständige Datensätze T1 - T2 Studie Studie Für die Studie 2 konnten zunächst 9 Kliniken für die Projektkooperation gewonnen werden und nahmen an der T1-Messung teil; in 8 Reha-Kliniken wurde die ganztägige Seminarveranstaltung im Untersuchungszeitraum März bis Oktober 2004 realisiert. 4.1 Ergebnisse der Studie 1 (themenzentrierte Fortbildungsserie) T1-Messung (A- und B-Gruppen zusammen) 936 Angehörige von Reha-Teams aus 19 Kliniken verschiedener Indikationen antworteten und konnten in die Auswertung einbezogen werden (davon 131 Ärzte, 207 Pflegekräfte, 136 Physiotherapeuten, 332 aus anderen Berufsgruppen). 73% gaben eine hohe Arbeitszufriedenheit insgesamt an. Mit dem Verhältnis zu den Patienten waren 82%, mit der Arbeit im Team 76%, der Arbeitsplatzsicherheit 54% und der Leitung 51% zufrieden bzw. sehr zufrieden. Zufriedenheit mit Beruf und Arbeit gaben 51% bezüglich der Abwechslung an, die der Beruf bietet, 55% mit der eigenen Position an der Arbeitsstelle, 59% mit dem Erfolg im Beruf, 46% mit dem Betriebsklima und 50% mit den beruflichen Anforderungen und Belastungen. Nur 28% der Befragten waren zufrieden mit den Aufstiegsmöglichkeiten am Arbeitsplatz. Hinsichtlich der Team-Kooperation sahen 47%, dass ihre Arbeit vom Team geschätzt wird und die eigenen Einschätzungen berücksichtigt werden. Gewinnbringende Arbeitsbesprechungen und ausreichenden Informationsfluss bestätigten 31%, wohingegen der interdisziplinäre Austausch nur nach Ansicht von 22% wirklich funktionierte. Hohe Einschätzungen hinsichtlich der Wichtigkeit psychosozialer Fertigkeiten für die Arbeit gaben 88% an, bezogen auf die eigenen psychosozialen Kompetenzen in der Patientenbetreuung 40%, auf die psychosozialen Kompetenzen in der Zusammenarbeit im Team ein Drittel und im Hinblick auf eigenes Wissen über psychosoziale Themen 27%. Arbeitszufriedenheit korreliert hochsignifikant vor allem mit dem Erleben beruflicher Interaktion 72

74 (r =.50), Erschöpfung (r = -.42), Arbeit im Team (r >.40) und (schwächer, aber noch signifikant) mit Arbeits-Involvement, Erfüllung in der Arbeit und Selbstwirksamkeitserwartungen. Als ein Haupteinflussfaktor auf die Arbeitszufriedenheit zeigt sich der Indikationsbereich (Arbeitszufriedenheit in der Neurologie relativ am niedrigsten, in der Kardiologie am höchsten). Hingegen ergeben sich nur schwache Zusammenhänge zu Alter, Gesamt-Berufserfahrung und Zugehörigkeitsdauer zur jetzigen Klinik. Haupteffekte der themenzentrierten Fortbildungsserien Die Ausgangsbedingungen in der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe stimmten weitgehend überein. In der Interventionsgruppe traten durch die Fortbildung (5 thematische Einheiten à 3 h) signifikante Effekte in 8 von 13 Scores auf, vor allem in dem Sinne, dass nach der Fortbildung das eigene psychosoziale Wissen, der Zusammenhalt im Team und die Selbstwirksamkeitserwartungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit hochsignifikant stärker ausgeprägt waren. Außerdem ergaben sich signifikante Unterschiede im Hinblick auf bessere berufliche Interaktion, bessere Aufgabenbewältigung und ausgeprägtere Zielorientierung. Weniger deutlich, aber noch signifikant, waren Verbesserungen in der Erfüllung in der Arbeit und der Verantwortungsübernahme. In der Kontrollgruppe ergaben sich demgegenüber keine Veränderungen in 11 von 16 Skalen. Es konnte eine signifikante Verbesserung in der Selbstwirksamkeitserwartung festgestellt werden. Dem stehen allerdings 4 signifikante Verschlechterungen zwischen T1 und T2 gegenüber, so vor allem in der Zufriedenheit mit Beruf und Arbeit (FLZ), der Arbeitszufriedenheit insgesamt, der Zielorientierung und in zwei Skalen des Arbeits-Involvements. Ergebnisse der retrospektiven Evaluation durch die Fortbildungsteilnehmer Die 3-stündigen Fortbildungsveranstaltungen wurden durch die teilnehmenden Reha-Fachkräfte evaluiert (insgesamt 1118 Evaluationen, davon 20% von Physiotherapeuten, 19% von Pflegekräften und 17% von Ärzten). Das Thema Reha-Motivation und Compliance besuchten die meisten Teilnehmer. Die Zufriedenheit mit der Fortbildung insgesamt wurde hoch beurteilt. 88% bis 90% waren hoch zufrieden mit der gemeinsamen Fortbildung für verschiedene Berufsgruppen, dem Umgang der Teilnehmer untereinander, dem Austausch und den Gruppendiskussionen sowie der Wahl der Themen. Ausgeprägte Wirkungen der Fortbildung sahen über 50% bezogen auf das Verständnis für Patientenprobleme, Verständnis anderer Berufsgruppen, bessere Kommunikationsfähigkeit im Team, bessere Kooperation zwischen den Berufsgruppen, Nützlichkeit für die klinische Arbeit insgesamt und bessere Kompetenz im Umgang mit Patienten. 4.2 Ergebnisse der Studie 2 (eintägige Fortbildung zur interdisziplinären Kooperation) T1-Messung (A- und B-Gruppen zusammen) 550 Angehörige von Reha-Teams aus 8 Kliniken antworteten zum T1-Messzeitpunkt (davon 18% Pflegekräfte, 13% Ärzte und 12% Physiotherapeuten). Eine hohe Arbeitszufriedenheit insgesamt gaben über 70% an, die meisten waren mit dem Verhältnis zu den Patienten hoch zufrieden (80%), hingegen nur 44% mit der Arbeitsplatzsicherheit. Haupteffekte der eintägigen Fortbildung zur interdisziplinären Kooperation In der Studie 2 zeigten sich im T1-T2-Verlauf der Interventionsgruppe ausgeprägte und hochsignifikante Effekte in 3 der 13 Skalen im Sinne besserer Aufgabenbewältigung und erhöhter Selbstwirksamkeitserwartungen. Außerdem wurde das psychosoziale Wissen signifikant höher eingeschätzt. Allerdings zeigte sich hier auch ein Negativeffekt, d.h. die Erfüllung in der Arbeit wurde signifikant niedriger eingeschätzt. In der Kontrollgruppe wurden Veränderungen in 3 von 13 Scores deutlich. Es zeigte sich eine signifikante Erhöhung hinsichtlich Erfüllung in der Arbeit und in den Selbstwirksamkeitserwartungen, hingegen eine Reduktion der Arbeitszufriedenheit insgesamt. Ergebnisse der retrospektiven Evaluation durch die Fortbildungsteilnehmer 147 Teilnehmer evaluierten das eintägige Seminar, davon 30% Pflegekräfte, 16% Physiotherapeuten und 15% Ärzte. 84% äußerten sich stark zufrieden mit der Veranstaltung. Unter den Einzelaspekten wurden am höchsten die gemeinsame Fortbildung für verschiedene Berufsgruppen (90%), der gegenseitige Austausch und die Gruppendiskussionen (87%) sowie die Kleingruppenarbeit insgesamt 73

75 (85%) beurteilt. Ausgeprägte Wirkungen des Seminars wurden vor allem im Verständnis anderer Berufsgruppen, besserer Kooperation zwischen den Berufsgruppen, höherem Wissen über die Arbeit der anderen und über Kooperationsmöglichkeiten im Team (jeweils über 90%) gesehen. 5. Zusammenfassung und Diskussion Ziel des Projekts war es, bedarfsorientierte psychosoziale Fortbildung für Reha-Fachkräfte durchzuführen und zu evaluieren. In Studie 1 umfasste die Intervention fünf Einzelfortbildungen innerhalb eines halben Jahres (jeweils 3-stündige Themeneinheiten zu Patientenmotivierung, Krankheitsverarbeitung, Kommunikation und Gesprächsführung, Umgang mit depressiven Patienten und Umgang mit fordernd-aggressiven Patienten). In Studie 2 wurde ein neu entwickeltes eintägiges Seminar speziell zur Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit durchgeführt und evaluiert. In beiden Studien erfolgte eine randomisierte Zuteilung zu einer Interventions- bzw. Kontrollgruppe (letztere bekam als Wartegruppe die Fortbildung zeitversetzt später) und es wurden jeweils 3 Messzeitpunkte zur Erfassung der Ausgangsbedingungen und des zeitlichen Verlaufs realisiert. Wichtige Parameter, auch im Sinne von Outcome-Kriterien der Fortbildung, waren dabei Arbeitszufriedenheit, Erwartungen an psychosoziale Fortbildung, Erleben der beruflichen Interaktion und Teamarbeit. Von den 936 Rehabilitationsfachkräften der Studie 1 vor Beginn der Fortbildung gaben über 70% eine hohe Arbeitszufriedenheit an, vor allem mit dem Verhältnis zu den Patienten (82%), deutlich geringer mit der Arbeitsplatzsicherheit (54%). Hinsichtlich der Team-Kooperation sahen 47%, dass ihre Arbeit vom Team geschätzt wird und die eigenen Einschätzungen berücksichtigt werden. Gewinnbringende Arbeitsbesprechungen und ausreichenden Informationsfluss erlebten 31%, wohingegen der interdisziplinäre Austausch nur nach Ansicht von 22% wirklich funktioniert. Arbeitszufriedenheit korrelierte hochsignifikant vor allem mit dem Erleben beruflicher Interaktion (r =.50), Burnout (r = -.42), Zusammenhalt und Zielorientierung im Team (r >.40). Hauptwirkungen der themenzentrierten Fortbildung im Prä-Post-Vergleich zeigten sich in dem Sinne, dass nach der Fortbildung das eigene psychosoziale Wissen, der Zusammenhalt im Team und die Selbstwirksamkeitserwartungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit hochsignifikant stärker ausgeprägt waren. Außerdem wird eine bessere berufliche Interaktion und Aufgabenbewältigung sowie eine ausgeprägtere Zielorientierung im Kontrast zur Kontrollgruppe deutlich. Ergebnisse der retrospektiven Teilnehmer-Evaluation (N = 1118) ergaben hohe Zufriedenheit mit den Veranstaltungen (88% bis 90%), speziell auch der gemeinsamen Fortbildung für verschiedene Berufsgruppen, dem Umgang der Teilnehmer untereinander, dem Austausch und den Gruppendiskussionen sowie der Wahl der Themen. Ausgeprägte Wirkungen der Fortbildung sahen über 50% bezogen auf das Verständnis für Patientenprobleme aber auch für andere Berufsgruppen, bessere Kommunikationsfähigkeit und Kooperation sowie Nützlichkeit für die klinische Arbeit insgesamt und bessere Kompetenz im Umgang mit Patienten. In der Studie 2 (mit eintägiger Fortbildung zur interdisziplinären Kooperation) antworteten 550 Angehörige von Reha-Teams aus 8 Kliniken zum T1-Messzeitpunkt (davon 18% Pflegekräfte, 13% Ärzte und 12% Physiotherapeuten). Wirkungen im Verlauf zeigten sich in der Interventionsgruppe in 3 der 13 Skalen im Sinne besserer Aufgabenbewältigung, erhöhter Selbstwirksamkeitserwartungen und besserem psychosozialen Wissen im Kontrast zur Kontrollgruppe. In der retrospektiven Teilnehmer-Evaluation (138 auswertbare Teilnehmer-Rückmeldungen) äußerten 84% ausgeprägte Zufriedenheit mit der Veranstaltung und konstatierten Wirkungen des Seminars vor allem im Hinblick auf das bessere Verständnis (73%) und die Kooperation der Berufsgruppen (69%), höheres Wissen über die Arbeit der anderen (67%) und höhere Motivation für die interdisziplinäre Kooperation (69%). Die Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an verschiedenen Formen psychosozialer Fortbildung und die Sinnhaftigkeit interdisziplinärer Durchführung. Wirkungen wurden sowohl im Hinblick auf die Teamkooperation, Erleben von Kompetenz als auch auf die Umsetzbarkeit in der Patientenbetreuung berichtet. Dies spricht insgesamt für einen systematischen Einsatz bedarfsorientierter psychosozialer Fortbildung in der Rehabilitation in einem interdisziplinären Setting und kontinuierlicher Evaluation derselben. 74

76 Auch Probleme des Projekts sollen nicht unerwähnt bleiben, die allerdings überwiegend durch kompensatorische Anstrengungen gelöst werden konnten, z.b. Probleme der Rekrutierung für die Wartegruppe, in der die Kliniken erst zwei Mitarbeiterbefragungen durchführen mussten, bevor sie die Intervention bekamen (entsprechend steht der z.t. großen Zahl der T1-Antworten eine deutlich kleinere Stichprobe mit vollständigen Daten T1-T2 gegenüber und ist in Studie 2 die Parallelisierung von Interventions- und Kontrollgruppe nicht zufriedenstellend gelungen), Selektionseffekte durch Drop-outs im Verlauf, aber auch dadurch, dass es zum Teil unterschiedliche Fachkräfte waren, die zu den einzelnen Messzeitpunkten antworteten (so umfasste die Ausgangsstichprobe bei T1 über 500 Mitarbeiter, von denen aber nur knapp 200 vollständige T1 T2-Daten aufwiesen), die lückenhafte Erfassung der kinikbezogenen Variablen (sie konnten für Bettenzahl, Belegungsgrad und Personalzahlen noch einigermaßen erreicht werden, kaum jedoch für Fehlzeiten und Personalfluktuation), und zwischenzeitliche Veränderungen in den Kliniken, die im Design nicht kontrolliert werden konnten, z.b. Verschiebungen im Indikationsschwerpunkt, personelle Wechsel (bis hin zum Wechsel in den Chefarzt- und Verwaltungsleiterpositionen). 6. Umsetzung der Ergebnisse Hier werden drei zentrale Ansätze gesehen, die größtenteils auch bereits beschritten wurden, vor allem eine Umsetzung in Ausbildungscurricula der verschiedenen Berufsgruppen: Eine Integration in das Medizinstudium erfolgte neben den bereits in Münster durch Prof. Nippert und Frau Dr. Gebauer geförderten Rehabilitations-Felderfahrungen für Medizinstudierende auch durch die Einbringung der Ergebnisse und Methoden in das Querschnittsfach der neuen Approbationsordnung ( Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilkunde ). Bezüglich der ärztlichen Weiterbildung erschien eine Verankerung im Curriculum zur Weiterbildung Reha-Wesen am wirkungsvollsten, und entsprechende Veranstaltungen wurden mit Prof. Delbrück und der Ärztekammer Düsseldorf durchgeführt. Zur Umsetzung in die Ausbildung der Physiotherapeuten wurde Kontakt mit dem Verband Leitender Lehrkräfte an Schulen für Physiotherapie e.v. geknüpft und eine gemeinsame Konzeption zur Umsetzung mit entsprechenden Schulen erarbeitet. Zur Integration in die psychologische Ausbildung besteht bereits Austausch mit den Ausbildungsinstituten in Freiburg (Prof. Bengel) und Bremen (Prof. Petermann). Bezüglich der Konsequenzen für künftige Fortbildungsangebote wäre eine institutionelle Anbindung an bestehende Fortbildungseinrichtungen der effektivste Schritt (Vorüberlegungen und Gespräche gab es im Hinblick auf den VDR, Referat berufliche Bildung, und die Fortbildungsakademie der DEGEMED). Als unmittelbar realisierbarer Schritt erschiene beispielsweise ein Moderatorentraining für Rehabilitationspsychologen, die diese zur eigenständigen Gestaltung psychosozialer Fortbildung für andere Berufsgruppen qualifiziert. Am wirkungsvollsten wäre wohl eine Aufnahme psychosozialer Fortbildung in den Kriterien-Katalog der Qualitätssicherung in der Rehabilitation, die auf verschiedenen Ebenen (Berufsgruppen, Klinikhierarchie) am raschesten zur Umsetzung führen könnte. Optimal wäre die Verankerung von Fortbildungsangeboten in einer regionalen oder auch überregionalen Fortbildungsakademie der Rentenversicherungsträger. Entsprechende Anstrengungen müssen nach dem Strukturwandel z.t. neu in Angriff genommen werden. Auch Bemühungen, entsprechende Fortbildungsangebote als regionale Serviceleistungen zu etablieren, dauern an, haben aber leider noch keine konkrete Form oder gar Institutionalisierung erreichen können. Umsetzungsrelevant für Patienten und Personal in Rehabilitationseinrichtungen erscheinen die Ergebnisse insgesamt im Hinblick auf: Qualitätssicherung in der Patientenbetreuung durch Kompetenzsteigerung des Personals in den Reha-Kliniken (z.b. durch regionale Moderatoren), 75

77 Verbesserung der Interaktion, Kommunikation und Kooperation zwischen verschiedenen Berufsgruppen durch gemeinsame Lern- und Trainingsprozesse und Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und Attraktivität des Arbeitsfeldes Rehabilitation durch Fortbildung, Organisations- und Teamentwicklung. 7. Literatur Büssing, A. & Perrar, K.M. (1992): Die Messung von Burnout. Untersuchung einer deutschen Fassung des Maslach-Burnout-Inventory (MBI-D). Diagnostica, 38 (4), Fahrenberg, J., Myrtek, M., Schumacher, J. & Braehler, E. (2000): Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ). Göttingen: Hogrefe. Jochheim, K.-A. (1992): 25 Jahre Rehabilitation. Fragen - Antworten, unbeantwortete Fragen hinterfragte Antworten. Die Rehabilitation, 31, Kauffeld, S. & Frieling, E. (2001): Der Fragebogen zur Arbeit im Team (F-A-T). Zeitschrift für Arbeitsund Organisationspsychologie, 45, Körner, M. & Bengel, J. (2004): Teamarbeit und Teamerfolg bei multi- und interdisziplinären Teams in der medizinischen Rehabilitation. Rehabilitation, 43, Moser, K. & Schuler, H. (1993): Validität einer deutschsprachigen Involvement-Skala. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 14 (1), Muthny, F.A. & Mariolakou, A. (2000): Arbeitszufriedenheit im Reha-Team und der Bedarf an psychosozialer Fortbildung. Prävention und Rehabilitation, 12, Muthny, F.A. & Mariolakou, A. (2002): Aus -, Fort- und Weiterbildung in der Rehabilitation. Q1-Abschlussbericht. Schwarzer R. (1994): Optimistische Kompetenzerwartung: Zur Erfassung einer personellen Bewältigungsressource. Diagnostica, 40, Vogel, H. (1998): Berufsgruppen in der Rehabilitation. In H. Delbrück & E. Haupt (Hrsg.), Rehabilitationsmedizin: ambulant, teilstationär, stationär (S ). München: Urban & Schwarzenberg. 8. Projektbezogene Publikationen und Vorträge Muthny, F.A., Mariolakou, A. (2002): Pflegekräfte in der stationären Rehabilitation Arbeitszufriedenheit, Motivation für interdisziplinäre Zusammenarbeit und für den Erwerb psychosozialer Kompetenz. Pflege, 15, Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2002): Arbeitszufriedenheit und Bedarf an psychosozialer Fortbildung von Physiotherapeuten in der Rehabilitation, Krankengymnastik, 8, Mariolakou, A., Wiedebusch, S., Muthny, F.A. (2005): Berufliches Selbstverständnis, Aufgabenspektrum und Arbeitsschwerpunkte von Rehabilitationspsychologen. Prävention und Rehabilitation, 17 (3), Mariolakou, A., Casper, S., Dorn, M., König, I., Muthny, F.A., Wiedebusch, S. (2006): Reha-Psychologen als Fortbilder für andere Berufsgruppen Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu Motiven, Erfahrungen und Bedarf an künftiger Unterstützung in dieser Aufgabe. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, zur Veröffentlichung angenommen. Muthny, F.A., Mariolakou, A. (2002): Wirkungen psychosozialer Fortbildung für das Rehabilitations- Team. Vortrag im Rahmen des 11. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Halle. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2003): Bedarf an psychosozialer Fortbildung und Inanspruchnahme entsprechender Angebote von Reha-Fachkräften. Vortrag im Rahmen des 12. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Bad Kreuznach. Muthny, F.A., Mariolakou, A. (2003): Wirkungen psychosozialer Fortbildung für Fachkräfte in der Rehabilitation. Berufsgruppen- oder Team-bezogen? Vortrag im Rahmen des 12. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Bad Kreuznach. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2003): Psychosoziale Fortbildung in der Rehabilitation als Maßnahme der internen Qualitätssicherung. Jahrestagung des NRW- Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften, Recklinghausen. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2004): Wirkungen interdisziplinärer psychosozialer Fortbildung Qualitätssicherung oder Krisenintervention? Jahrestagung des NRW- Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften, Bielefeld. 76

78 Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2004): Was kann spezielle Fortbildung für die interdisziplinäre Kooperation des Reha-Teams bewirken? Vortrag im Rahmen des 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Düsseldorf. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2004): Aufgabenspektrum und berufliches Selbstverständnis von Rehabilitationspsychologen. Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP), Bochum. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2005): Wie gut funktioniert das Reha-Team aus der Sicht der Mitarbeiter? Vortrag im Rahmen des 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Hannover. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2005): Mitarbeiterzufriedenheit im Reha-Team und mögliche Einflussfaktoren. Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP), Marburg. Mariolakou, A., Muthny, F.A. (2006): Auswirkungen teamorientierter Fortbildung auf Arbeitszufriedenheit, Selbstwirksamkeit und Job involvement. Posterpräsentation im Rahmen des 15. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, Bayreuth. Danksagung Eine große Zahl von Rehabilitationskliniken hat sich engagiert an der Untersuchung beteiligt und wir sind ihnen zu besonderem Dank verpflichtet. In Studie 1 kooperierten (Reihenfolge nach Zeit der Aufnahme in die Untersuchung): Parkklinik, Chefarzt Dr. U. Müller, Bad Nauheim Reha-Klinik Wetterau der BfA, Chefarzt Prof. Dr. T. Wendt, Bad Nauheim Wicker-Klinik KG, Chefarzt Dr. W. Lehmann-Leo, Bad Homburg Klinik Bad Oexen, Chefarzt Dr. T. Schulte, Bad Oeynhausen Deegenberg-Klinik, Chefarzt Prof. Dr. Deeg, Bad Kissingen Reha-Klinik Föhrenkamp der BfA, Chefarzt Prof. Dr. G. Oehler, Mölln Klinik am Osterbach, Chefarzt Dr. M. Low, Bad Oeynhausen Neurologische Fachklinik Hilchenbach, Chefarzt Dr. A. Sackmann, Hilchenbach Neuro-Orthopädisches Reha-Zentrum Bad Orb, Chefarzt Dr. G. Ebenhöh, Bad Orb Reha-Klinik Bad Münder, Chefarzt Dr. J. Borghardt, Bad Münder Maternus-Klinik für Rehabilitation, Chefarzt Dr. H. Meruna, Bad Oeynhausen Reha-Klinik Bellevue, Chefarzt Dr. U. Seifart, Bad Sooden-Salmünster Klinik Königsfeld der LVA Westfalen, Chefarzt Prof. Dr. M. Karoff, Ennepetal AOK Klinik Stöckenhöfe, Chefarzt Dr. B. Kamper, Wittnau bei Freiburg Weserland-Klinik Bad Hopfenberg, Chefarzt Dr. R. Vogt, Petershagen Klinik Möhnesee, Chefarzt Dr. R. Schubmann, Möhnesee Schwarzwaldklinik - Neurologie, Chefärztin Dr. D. Kolander, Bad Krozingen Schwarzwaldklinik - Orthopädie, Chefarzt Dr. A. Peters, Bad Krozingen Teutoburger-Wald-Klinik, Chefarzt Prof. Dr. A. Wirth, Bad Rothenfelde Die Rehabilitationskliniken der Studie 2 waren (Reihenfolge nach der Aufnahme): Berolina-Klinik, Chefärztin Dr. I. Chalup-Biesenbaum, Bad Oeynhausen Klinik am Rosengarten, Chefarzt Dr. Dr. E. Wehking, Bad Oeynhausen Rehaklinik Auental der BfA, Chefarzt Dr. H. Hagemann, Bad Steben Werra-Reha Klinik der BfA, Chefarzt Dr. H. Rossband, Bad Sooden-Allendorf Weser-Rehaklinik der BfA, Chefarzt Dr. M. Holme, Bad Pyrmont Karl-Aschoff Klinik, Chefarzt Dr. U. Droste, Bad Kreuznach Heinrich-Mann-Klinik, Chefarzt Dr. H. Bennefeld, Bad Liebenstein Klinik Bad Brambach, Chefärztin Dr. U. Emmert, Bad Brambach Allen kooperierenden Kliniken unser herzlicher Dank für die gute Zusammenarbeit! Kontaktadresse: Prof. Dr.med. Dr.phil. Fritz A. Muthny, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster, Von-Esmarch-Str. 52, Münster, postmaster.medpsych@uni-muenster.de 77

79 Reform und Perspektiven des Leistungsrechts im gegliederten Rehabilitationssystem Eine Untersuchung zur Ausgestaltung der rehabilitationsrechtlichen Leistungskataloge unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Maßgaben Förderkennzeichen: 01 GD 0119 Förderer: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Bonn Projektleiter: Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp Projektmitarbeiterin: Manuela Cravotta Laufzeit: 2 Jahre und 3 Monate Durchführende Institution: Institut für Sozialrecht, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstrasse 150, Bochum Zusammenfassung: 1. Einleitung/wissenschaftlicher Hintergrund Im Gegensatz zur Medizin spielt das Sozialrecht innerhalb der Rehabilitationsforschung eine nachrangige Rolle; umfassendere wissenschaftliche Untersuchungen jüngeren Datums, die sich intensiv mit den Leistungskatalogen der Rehabilitationsträger auseinandersetzen, sind kaum vorhanden. Zwar sind in den letzten Jahren zahlreiche Beiträge erschienen, die sich ganz allgemein mit der Verabschiedung des SGB IX befassen. Sie gehen allerdings nicht oder nur peripher auf die Fragestellungen des Projekts ein. Ebenso verhält es sich mit den vorliegenden Kommentierungen zum SGB IX. Da diese sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Gesetzesbegründung beschränken, fehlt ihnen die erforderliche Tiefenschärfe. An einer ausführlichen Gesamtdarstellung des derzeit geltenden Leistungsrechts der einzelnen Rehabilitationsträger mangelt es bis jetzt. Bezüglich der Darstellung des Leistungsrechts der Rehabilitationsträger kann auf die Vorarbeiten des Vorgängerprojektes Die Reduktion rehabilitationsrechtlicher Schnittstellenprobleme - Bausteine auf dem Weg zu einem einheitlichen Rehabilitationsgesetz zurückgegriffen werden. Die dort entwickelten Ansätze konnten weiter ausgebaut werden. Ein ähnliches Forschungsdesiderat besteht hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung untergesetzlicher Normgebung im Bereich des Sozial- bzw. Sozialleistungsrechts. Bislang wurden entsprechende Probleme nahezu ausschließlich für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere bezüglich der Richtliniengebung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss thematisiert. Fragen zur Zulässigkeit und Tragweite untergesetzlicher Leistungsvorschriften anderer Sozialleistungsbereiche werden dagegen im wissenschaftlichen Diskurs kaum untersucht. Probleme des Rehabilitationsrechts bleiben bislang gänzlich unberücksichtigt. Soweit die Beurteilung untergesetzlicher Normgebung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung von Bedeutung war, konnte auf zahlreiche wissenschaftliche Beiträge des Projektleiters zurückgegriffen werden. Erheblicher Forschungsbedarf besteht schließlich auch bezüglich des im Grundgesetz manifestierten Benachteiligungsverbots Behinderter. Zwar gibt es knapp zwölf Jahre nach der entsprechenden 78

80 Verfassungsänderung neben den üblichen Kommentierungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG einige umfassende Abhandlungen zu der Gesetzesnovelle, doch lassen diese Beiträge ausnahmslos eine Beurteilung der Auswirkungen des Benachteiligungsverbotes auf die zu gewährenden Sozialleistungen vermissen. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Ziel des Vorhabens war es, derzeit noch bestehende Ungleichbehandlungen aufzuzeigen, die auf dem gegliederten System der Leistungsgewährung und damit einhergehend dem unterschiedlichen Umfang der einzelnen Leistungskataloge beruhen und darzulegen, ob diese aus rechtswissenschaftlicher, sozialpolitischer und ökonomischer Sicht gerechtfertigt sind. Im Falle einer (teilweisen oder gänzlich) fehlenden Rechtfertigung wurden konkrete Vorschläge für eine Neufassung der betreffenden Leistungskataloge unterbreitet, um die Ungleichbehandlungen zu beseitigen und so die Leistungskataloge insgesamt zu harmonisieren. Hierbei war insbesondere herauszuarbeiten, welche Vorgaben dem Behindertengrundrecht für die Ausgestaltung der Leistungskataloge entnommen werden können. Vorab musste dabei der Frage nachgegangen werden, ob das derzeitige Rehabilitationsrecht stärker verrechtlicht und damit eine Harmonisierung sowohl der unterschiedlichen Leistungskataloge als auch der unterschiedlichen Rehabilitationsziele angestrebt werden soll, oder ob der Selbstverwaltung umfangreichere Entscheidungsfreiräume als nach bisheriger Rechtslage eingeräumt werden sollen, um so größere Betroffenennähe zu erzielen. 3. Methoden und Arbeitsplan Um die so abgesteckten Ziele zu erreichen, ist Grundlage der Untersuchung eine ausführliche deskriptive Darstellung der derzeit im Rahmen des gegliederten Rehabilitationssystems gewährten Leistungen. Dabei wird das Augenmerk verstärkt auf die Leistungsvorschriften und die sie konkretisierenden untergesetzlichen Rechtsquellen gelegt. Darauf aufbauend wurde der Gegenstand und der Umfang der von den verschiedenen Rehabilitationsträgern gewährten Leistungen miteinander verglichen sowie die aus den divergierenden Ausgestaltungen der Leistungskataloge resultierenden Ungleichbehandlungen der Betroffenen kritisch analysiert. Entscheidende Kriterien waren dabei die bereits kurz skizzierten verfassungsrechtlichen Maßgaben. Das erste übergreifende verfassungsrechtliche Kriterium für eine Überprüfung der Leistungskataloge war das im Jahr 1994 in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes aufgenommene Verbot der Benachteiligung Behinderter. Es wurde untersucht, welche Maßgaben sich daraus für die Rehabilitationsmaßnahmen ergeben, die behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen zu gewähren sind. Zum zweiten handelte es sich um das Problem der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und Tragweite untergesetzlicher Normgebung. Im Rehabilitationsrecht wird mit einem dichten Netz untergesetzlicher Regelungen wie Rechtsverordnungen, Richtlinien, Vereinbarungen der Träger(-gruppen) untereinander, Anwendungsempfehlungen oder Gemeinsame Empfehlungen der gesetzlich vorgegebene Leistungsrahmen präzisiert, ausgestaltet und teilweise sogar eingeschränkt. Es wurde untersucht, ob dieses dichte Netz untergesetzlicher Normgebung verfassungsrechtlich überhaupt tragbar ist. Anschließend wurde auf die Frage eingegangen, wie die einzelnen das Leistungswesen bestimmenden Rechtsquellen auszugestalten sind. Es wurde überprüft, ob den zuständigen Rehabilitationsträgern ein höheres Maß an individuellen Entscheidungen als bisher ermöglicht werden kann, um so die soziale Selbstverwaltung zu stärken und die Setzung autonomen Rechts zu fördern oder ob im Gegenteil die Leistungsvorschriften stärker als bisher verrechtlicht, also durch Gesetz oder Rechtsverordnung reglementiert und damit vereinheitlicht bzw. harmonisiert werden müssen. Im Kern war 79

81 also zu entscheiden, ob es aus sozialpolitischer, -rechtlicher bzw. -ökonomischer Sicht sinnvoller ist, die Leistungsgewährung stärker als bisher zu harmonisieren und final auszugestalten oder die Zahl der reglementierenden Vorschriften einzudämmen, um sowohl trägerspezifischen Zielen gerecht zu werden als auch eine größere Versicherten- bzw. Betroffenennähe zu erzielen. Den Abschluss der Arbeit bildet eine zusammenfassende Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse. Insbesondere werden konkrete Vorschläge für eine Neufassung der unterschiedlichen Leistungskataloge unterbreitet, um diese insgesamt zu harmonisieren und die derzeit noch herrschenden Ungleichbehandlungen der Betroffenen zu beseitigen. 4. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisdarstellung beleuchtete folgende Punkte näher: In Kapitel 1 wurde zunächst die historische Entwicklung des Rehabilitationsrechts skizziert und die für die Untersuchung verwendeten terminologischen Grundlegungen und damit einhergehend der Untersuchungsgegenstand dargelegt. Im zweiten Kapitel wurde sodann das Leistungsrecht der einzelnen Rehabilitationsträger dargestellt, wobei vorab auf die allgemeinen Regelungen, wie das SGB IX als sog. allgemeiner Teil des Rehabilitationsrechts, eingegangen wurde. Im nachfolgenden dritten Kapitel wurden die sich aus dem Vergleich der Leistungskataloge der einzelnen Rehabilitationsträger ergebenden Unterschiede und Ungleichbehandlungen dargelegt und einer eingehenden Analyse, insbesondere anhand des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG, unterzogen. In Kapitel 4 wurden sodann die verfassungsrechtlichen Determinanten herausgearbeitet, die für das derzeitige gegliederte System des Rehabilitationsrechts relevant sind. In den Fokus der Betrachtungen trat hierbei insbesondere das sog. Behindertengrundrecht des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Anschließend wurden die derzeit bestehenden untergesetzlichen Normierungen der einzelnen Rehabilitationsträger auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit hin untersucht. In Kapitel 5 schließlich wurden Änderungs- und Verbesserungsvorschläge nicht nur in Bezug auf die Ausgestaltung der Leistungskataloge, sondern auch bezüglich der Voraussetzungen der Leistungsgewährung gemacht. Mit in die Betrachtung einzubeziehen waren hierbei nicht nur rechtswissenschaftliche, sondern auch sozialpolitische und ökonomische Gesichtspunkte. Abschließend wurden in Kapitel 6 die gewonnenen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst, ihre Verwertbarkeit für die Praxis dargestellt sowie ein kurzes Resümee gezogen. Als Ergebnis der Untersuchung kann Folgendes festgehalten werden: Im gegliederten System der Rehabilitation bestehen nach wie vor erhebliche Abweichungen in den verschiedenen Leistungskatalogen der Rehabilitationsträger, die für behinderte Menschen zu Ungleichbehandlungen in der Gewährung von rehabilitativen Leistungen führen. Diese Ungleichbehandlungen beruhen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auf dem Vorhandensein unterschiedlicher Rehabilitationsziele der einzelnen Rehabilitationsträger. Die Prüfung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hat jedoch ergeben, dass dieser eine umfassende Gleichberechtigung und Gleichstellung behinderter Menschen in der Gesellschaft einschließlich einer dem besonderen Gleichheitssatz adäquat ausgestalteten Organisation der Leistungserbringung erfordert. Der Gesetzgeber ist aus diesem Grund dazu angehalten, im Rahmen seiner Sozialgestaltung besondere Maßnahmen zugunsten der Gruppe behinderter Menschen zu ergreifen. Diese staatliche Pflicht wird größer, je mehr es um die tatsächliche Ausübung von Freiheitsrechten behinderter Menschen geht. Allerdings lassen sich aus dem Grundrecht weder Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung des Rehabilitationsrechts entnehmen noch steht dem einzelnen behinderten Menschen ein irgendwie gearteter Anspruch auf Tätigwerden des Gesetzgebers zu. Der Legislative kommt vielmehr ein erheblicher Entscheidungsspielraum bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen zu. Hierbei hat der Gesetzgeber neben den organisatorischen, sachlichen, personellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auch unterschiedliche Konzepte zur Verbesserung der täglichen Lebensbedingungen abzuwägen. Die sich hier stellenden Fragen sind zwar politischer Natur; aus rechtswissenschaftlicher Sicht können dennoch verfassungsrechtlich adäquate Lösungswege vorgestellt werden, die zur Beseitigung der herausgearbeiteten Schwachstellen beitragen können. Sie sollen als Diskussionsgrundlage verstanden werden. 80

82 A. Beseitigung von Ungleichbehandlungen Im Recht der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sollte gesetzlich definiert werden, was im Rahmen der Zuzahlungen zur stationären medizinischen Rehabilitation unter Kalendertag zu verstehen ist. Im Hinblick auf die Beseitigung von Ungleichbehandlungen wäre zu diskutieren, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem derzeitigen Katalog der Krankenbehandlung herauszunehmen und einen eigenständigen Zehnten Abschnitt im SGB V Leistungen zur medizinischen Rehabilitation einzufügen. Wahlweise können auch lediglich die ambulanten Leistungen einem gesonderten Abschnitt zugeführt werden. Außerdem könnte das persönliche Budget verstärkt zu einer Harmonisierung des derzeitigen Leistungsrechts beitragen. Im Rahmen der Erbringung von besonderen Leistungen der Bundesagentur für Arbeit sollte die Regelung des 103 SGB III dahingehend abgeändert werden, dass die dort genannten Leistungen auch außerhalb von rehabilitativen Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit möglich werden. B. Harmonisierungsvorschläge a. Neuordnung des gegliederten Systems Die Zusammenfassung der Rehabilitation unter einem einzigen Rehabilitationsträger wird nicht befürwortet. Bedenkenswert erscheint jedoch der Ansatz, die medizinische Rehabilitation bei der gesetzlichen Krankenversicherung und die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Bundesagentur für Arbeit anzusiedeln. Beizubehalten wäre der Sondercharakter der gesetzlichen Unfallversicherung sowie das System sozialer Entschädigung. Ebenfalls bedenkenswert ist die Ansiedelung lediglich der ambulanten medizinischen Rehabilitation bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Entsprechende Reformen in Bezug auf diesen als auch auf den vorerwähnten Ansatz erscheinen jedoch politisch nicht durchsetzbar und würden bestehende Probleme nicht lösen, sondern nur verschieben. Ebenfalls erwägenswert erscheint der Vorschlag, alle Unfälle in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung zu verlagern und entsprechende Kostenerstattungsregelungen zu treffen. b. Systemimmanente Lösungsvorschläge Es wird vorgeschlagen, die einzelnen Rehabilitationsziele, insbesondere diejenigen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, strikter den Vorgaben des SGB IX anzupassen. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung würde dies zu einer Erweiterung des derzeitigen Leistungsrahmens führen, da bei Anbindung an die Zielvorgaben des 4 Abs. 1 SGB IX nicht nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, sondern auch bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit oder Bezug von Sozialleistungen Leistungen möglich erschienen. Auswirkungen entfaltet diese Erweiterung bei den Leistungen, die wegen den nach aktuellem Recht begrenzten Zielvorgaben gegenüber den anderen Rehabilitationsträgern in vermindertem Umfang erbracht werden. In den übrigen Bereichen würde diese Erweiterung keine Veränderung in der Leistungserbringung bewirken. In Bezug auf die gesetzliche Rentenversicherung wird vorgeschlagen, auf das Kriterium zu verzichten, Leistungen nur zu erbringen, wenn sie der Beseitigung von Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit dienen. Außerdem sollte der Kreis der anspruchsberechtigten Personen erweitert und leichter bestimmbar gemacht werden, indem auf Vorversicherungszeiten verzichtet und stattdessen auf den Status des aktiven Versicherten und dessen generell festgestellten Rehabilitationsbedarf abgestellt wird. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation stellt eine mögliche Plattform zur Stärkung der Selbstverwaltung dar. Ihr kommt die wichtige Aufgabe zu, durch die Erarbeitung gemeinsamer Empfehlungen daran mitzuwirken, die Schwierigkeiten des gegliederten Systems zu kompensieren. Die derzeitige Praxis weist bei der Umsetzung allerdings noch Defizite auf. 81

83 Als zweite mögliche Plattform zur Stärkung der Selbstverwaltung kommen die Servicestellen in Betracht. Sie sollten als rechtlich selbständige Stellen ausgebaut bzw. in die bestehende Struktur der Bundesarbeitsgemeinschaft eingegliedert werden. Außerdem sollte den Servicestellen Kontrollfunktion zukommen, indem sie aufgetretene Ungleichbehandlungen aufdecken und den betreffenden Rehabilitationsträgern davon Mitteilung machen. Abschließend kann festgehalten werden, dass auch nach Einführung des SGB IX behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen mit Hindernissen beim Verfahren der Leistungserbringung und mit Ungleichbehandlungen bei der Leistungsgewährung an sich konfrontiert werden. Das SGB IX konnte bislang nur wenig zur Entspannung dieser Situation beitragen. Das reale Ausmaß des Fortschritts der angestrebten Integration behinderter Menschen wird daher künftig von zwei Faktoren abhängen: Zunächst sind die einzelnen Rehabilitationsträger gefragt, die Vorgaben des SGB IX sowie der übrigen der Integration behinderter Menschen dienenden Regelungen konstruktiv und zügig umzusetzen. Zum anderen muss sich der Gesetzgeber in noch stärkerem Maße als bislang im Klaren darüber sein, welche Verantwortung er für die Herbeiführung der Integration übernimmt: Zum einen muss er Ungleichbehandlungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen durch gesetzliche Regelungen auszugleichen suchen. Zum anderen obliegt ihm die rechtliche Steuerung der nichtrechtlichen Interventionen, etwa durch soziale Dienstleistungen. Und schließlich muss das Recht sicherstellen, dass seine Wohltaten durch entsprechende Institutionen samt Verfahren wirksam werden. Hierzu muss es u.a. gelingen, den Gedanken der Teilhabe mit weiteren Reformen in der Gesundheitspolitik zu verknüpfen. Ansatzpunkt hierfür könnte beispielsweise die Tatsache sein, dass Armut und Alter die herausragende Bedrohung behinderter Menschen darstellen: Erfolgreiche Integration darf deshalb nicht nur das Verfahren der Leistungserbringung und die Leistungen an sich betreffen, sondern muss auch andere gesellschaftliche Aspekte, vorrangig die Armutsbekämpfung, berücksichtigen. Mit in diese Betrachtung einzubeziehen ist der Umstand, dass der existentiell schärfer werdende Wettbewerb der Krankenversicherung sich für die Rehabilitation eher störend als förderlich auswirkt. Die Krankenkassen konzentrieren sich mehr und mehr auf die Maßnahmen, von denen sie sich positive Wirkungen bei den (jungen, gesunden) Mitgliedern bzw. potentiellen Mitgliedern versprechen. Während die Prävention in diesem Sinne als zukunftsträchtig und wettbewerbsfördernd angesehen und von daher in diesem Sektor kräftig investiert wird, ist bei der Rehabilitation wohl eher das Gegenteil der Fall. Trotzdem kann der düsteren These von Pitschas nicht gefolgt werden, wonach das Rehabilitationsrecht die angestrebte umfassende Eingliederung behinderter Bürger in die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft verfehlt hat. Die derzeitige Sozialrechtsinfrastruktur, als die Gesamtheit leistungsrechtlicher, antidiskriminierender bzw. gleichstellungsrechtlicher und institutionell-rechtlicher Regelungen, die der Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft dienen, ist derzeit zwar noch nicht optimal. Angesichts der schwierigen Materie und der komplexen Sachverhalte, die bei der Leistungserbringung von den Rehabilitationsträgern zu erforschen und zu bewerten sind, kann dennoch festgestellt werden, dass sich sowohl Gesetzgebung als auch Rehabilitationsträger auf dem richtigen Weg zu einer umfassenden Eingliederung behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen befinden. 5. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Da es sich bei vorliegendem Projekt um eine kritische Analyse der rehabilitationsrechtlichen Leistungskataloge der unterschiedlichen Rehabilitationsträger handelt, sind die erzielten Forschungsergebnisse letztendlich nur durch entsprechende Gesetzesänderungen umsetzbar. Es ist daher zu versuchen, politische Entscheidungsträger für die herausgearbeiteten Ungleichbehandlungen und die vorgestellten Lösungsmöglichkeiten zu sensibilisieren, um auf diesem Wege die für notwendig gehaltenen rehabilitationsrechtlichen Änderungen zu initiieren. Im rechts- und sozialwissenschaftlichen Bereich geschieht dies üblicherweise über die Anregung wissenschaftlicher Diskussionen zum jeweiligen Thema. 82

84 Entscheidende Bedeutung kommt hierbei der Publikation der Forschungsergebnisse in Form einer Monographie oder eines Aufsatzes in einer gängigen Fachzeitschrift zu. 6. (Grundlegende) Literatur Axer, Peter: Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, Tübingen Derselbe: Zur demokratischen Legitimation in der gemeinsamen Selbstverwaltung dargestellt am Beispiel des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, in: Schnapp (Hrsg.): Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip - am Beispiel der Sozialversicherung, Tagungsband zum 8. Fachkolloquium des Instituts für Sozialrecht am 28./29. Juni 2000 in Bochum, Frankfurt am Main Benda, Ernst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans-Jochen(Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage, Berlin, New York Bereiter-Hahn, Werner/Mehrtens, Gerhard: Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Stand: April 2004, Berlin Bethge, Herbert: Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, 1 ff. Bieritz-Harder, Renate: Gleichbehandlung im Recht - Zwei Probleme bei der Anwendung des SGB IX auf die Eingliederungshilfe des BSHG, ZFSH/SGB 2001, 648 ff. Bihr, Dietrich/Fuchs, Harry/ Krauskopf, Dieter/Lewering, Eckhart: Sozialgesetzbuch- Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Kommentar, Stand: Mai 2003, München Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt am Main Derselbe: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung: Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage, Berlin Buch, Michael: Das Grundrecht der Behinderten (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG), Osnabrück Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.): Teilhabe durch berufliche Rehabilitation Handbuch für Beratung, Förderung, Aus- und Weiterbildung, Ausgabe Caspar, Johannes: Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 ff. Clemens, Thomas: Verfassungsrechtliche Anforderungen an untergesetzliche Rechtsnormen, MedR 1996, 432 ff. Derselbe: Normstrukturen im Sozialrecht - Unfallversicherungs-, Arbeitsförderungs- und Kassenarztrecht, NZS 1994, 337 f. Davy, Ulrike: Das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung im deutschen Verfassungsrecht und im Gemeinschaftsrecht, SDSRV 49 (2002), 7 ff. Emde, Ernst Thomas: Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, Berlin Erlenkämper, Arnold/Fichte, Wolfgang: Sozialrecht - Allgemeine Rechtsgrundlagen, Sozialgesetzbücher und sonstige Sozialgesetze, Verfahrensrecht, 5. Auflage, Stand: November 2002, Köln et al

85 Gerkens, Klaus/Schliehe, Ferdinand/Steinke, Bernd: Handbuch Rehabilitation und Vorsorge, Band 2, Stand: Mai 2004, Sankt Augustin Grigoleit, Hanspeter/ Schliehe, Ferdinand/ Wenig, Manfred: Handbuch Rehabilitation und Vorsorge, Band 1, Stand: August 2003, Sankt Augustin Großmann, Ruprecht et al.: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Neuwied, Kriftel Hällßig, Gert: Normsetzung durch Richtlinien im Vertragsarztrecht - Zum Rechtscharakter der Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, Hamburg Hänlein, Andreas: Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, Berlin, Heidelberg, New York Derselbe: Festlegung der Grenzen der Leistungspflicht der Krankenkassen, SGb 2003, 301 ff. Hesse, Konrad: Der allgemeine Gleichheitssatz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsetzungsgleichheit, in: Badura/Scholz (Hrsg.): Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München Jürgens, Gunther: Grundrecht für Behinderte, NVwZ 1995, 452 f. Derselbe: Die verfassungsrechtliche Stellung Behinderter nach Änderung des Grundgesetzes, ZfSH/ SGB 1995, 353 ff. Kluth, Wilfried: Demokratische Legitimation in der funktionalen Selbstverwaltung Grundzüge und Grundprobleme, in: Schnapp (Hrsg.): Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip - am Beispiel der Sozialversicherung, Tagungsband zum 8. Fachkolloquium des Instituts für Sozialrecht am 28./29. Juni 2000 in Bochum, Frankfurt am Main Köhler, Karl-F.: Die verfassungsrechtliche Stellung behinderter Menschen nach dem Grundgesetz, SdL 1996, 356 ff. Kossens, Michael/ Maaß, Michael/Steck, Brigitte/Wollenschläger, Frank: Grundzüge des neuen Behindertenrechts - SGB IX und Gleichstellungsgesetz, München Kossens, Michael/ von der Heide, Dirk/ Maaß, Michael: Praxiskommentar zum Behindertenrecht (SGB IX). Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, München Kreikebohm, Ralf (Hrsg.): Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI -, 2. Auflage, München Lachwitz, Klaus/Schellhorn, Walter/Welti, Felix (Hrsg.): HK-SGB IX - Handkommentar zum Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Neuwied, Kriftel Langer, Stefan: Staatshaftung für Waldschäden wegen Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten, NVwZ 1987, 195 ff. Von Maydell, Bernd Baron/ Ruland, Franz (Hrsg.): Sozialrechtshandbuch (SRH), 3. Auflage, Neuwied, Kriftel, Berlin Mrozynski, Peter: SGB IX. Teil 1. Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen. Kommentar, München 2002 Von Münch, Ingo/Kunig, Philip: Grundgesetz-Kommentar. Band 1 (Einführung bis Art. 19), 5. Auflage, München Dieselben: Grundgesetz-Kommentar. Band 2 (Art. 20 bis Art. 69), 4./5. Auflage, München

86 Ossenbühl, Fritz: Zur Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften, in: Bachof/Heigl/Redeker (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung; Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, München Derselbe: Grundrechtsschutz im und durch Verfahrensrecht, in: Müller/Rhinow/Schmid/ Wildhaber, Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, Festschrift für Kurt Eichenberger zum 60. Geburtstag, Basel, Frankfurt am Main 1982, S. 183 ff. Derselbe: Die Richtlinien im Vertragsarztrecht, in: Schnapp (Hrsg.): Probleme der Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, Teil 1, Tagungsband zum 5. Fachkolloquium des Instituts für Sozialrecht am 28./29. Juni 1997 in Bochum, Frankfurt am Main Papier, Hans-Jürgen: Der Wesentlichkeitsgrundsatz am Beispiel des Gesundheitsreformgesetzes, VSSR 1990, 123 ff. Derselbe: Staatsrechtliche Vorgaben für das Sozialrecht, in: von Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre BSG, Köln/Berlin/München 2004, S. 23 ff. Reichenbach, Peter: Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG als Recht auf selbstbestimmte Lebensführung, SGb 2000, S. 660 ff. Derselbe: Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule - Zugleich ein Beitrag zur Interpretation des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, Berlin Derselbe: 2 Abs. 1 SGB IX - Ein Beitrag zur Umsetzung des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG?, SGb 2002, 485 ff. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Medizinische und ökonomische Orientierung, Jahresgutachten 1988, Baden-Baden Schnapp, Friedrich E./Kostorz, Peter: Die Reduktion rehabilitationsrechtlicher Schnittstellenprobleme - Bausteine auf dem Weg zu einem einheitlichen Rehabilitationsgesetz, unveröffentlichtes Manuskript, Bochum 2002 Schnapp, Friedrich E./Wigge, Peter (Hrsg.): Handbuch des Vertragsarztrechts Das gesamte Kassenarztrecht, München Schnapp, Friedrich E.: Geltung und Auswirkungen des Gesetzesvorbehalts im Vertragsarztrecht, MedR 1996, 418 ff. Derselbe: Die Richtlinien im Kassenarztrecht ( 92 SGB V) auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, S. 437 ff. in: Gitter/Schulin/Zacher: Festschrift für Otto Ernst Kraseny zum 65. Geburtstag, München Derselbe: Aktuelle Rechtsquellenprobleme im Vertragsarztrecht - Am Beispiel von Richtlinien und Einheitlichem Bewertungsmaßstab -, SGb 1999, 62 ff. Derselbe: Die Sozialstaatsklausel - Beschwörungsformel oder Rechtsprinzip?, SGb 2000, 341 ff. Derselbe: Friedenswahlen in der Sozialversicherung, in: Epping et al. (Hrsg.), Brücken Bauen und Begehen, Festschrift für Knut Ipsen, München Derselbe: Untergesetzliche Rechtsquellen im Vertragsarztrecht - am Beispiel der Richtlinien -, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, Köln/Berlin/München 2004, S. 497 ff. Schulin, Bertram (Hrsg.): Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Gesetzliche Krankenversicherung, München

87 Derselbe (Hrsg.): Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht, München Derselbe (Hrsg.): Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3, Rentenversicherungsrecht, München Derselbe: Kodifikatorische Anforderungen an ein Buch Rehabilitationsrecht - SGB IX - aus juristischer Sicht, SDSRV 37, S. 7 ff. Schulin, Bertram/ Igl, Gerhard: Sozialrecht, 7. Auflage, Düsseldorf Spranger, Tade Matthias: Wen schützt Art. 3 III 2 GG?, DVBl. 1998, 1058 ff. Straßmair, Stefan M.: Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Berlin Tempel-Kromminga, Helke: Die Problematik der Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen nach dem neuen Recht des SGB V, Frankfurt am Main Trenk-Hinterberger, Peter: Die Rechte behinderter Menschen und ihrer Angehörigen, Stand: September 2002, 30. Auflage, Düsseldorf Dieselben (Hrsg.): Sozialgesetzbuch, Kommentar zum gesamten Recht des Sozialgesetzbuchs, Ordner 1: Gesetzliche Rentenversicherung, Stand: August 2004, München Dieselben (Hrsg.): Sozialgesetzbuch, Kommentar zum Recht des Sozialgesetzbuchs, SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: Januar 2004, München Wigge, Peter: Die Stellung der Ersatzkassen im gegliederten System der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem GRG vom : zugleich ein Beitrag zur Notwendigkeit einer Organisationsreform in der GKV, Berlin Wilke, Gerhard/Fehl, Hans-Martin/Förster, Hans-Christof/Leisner, Franz/Sailer, Stephan: Soziales Entschädigungsrecht - Handkommentar zum Bundesversorgungsgesetz und Soldatenversorgungsgesetz (Kriegsopferversorgung), Opferentschädigungsgesetz, Bundes-Seuchengesetz (Impfschädenversorgung), 7. Auflage, Stuttgart et al Wissing, Gerhard/Mutschler, Bern/Brak, Ralf/Schmidt-De Caluwe, Raimund: Sozialgesetzbuch - SGB III - Arbeitsförderung, Stand: 2004, Baden-Baden Projektbezogene Publikationen Vorhabenergebnisse wurden von den Projektbeteiligten bislang noch nicht publiziert. Die Ergebnisse sollen als (überarbeitete und mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat versehene) rechtswissenschaftliche Dissertation eingereicht und später in monographischer Form publiziert werden. Eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse, insbesondere die Darstellung der leistungsrechtlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Rehabilitationsträgern und darauf beruhende Ungleichbehandlungen der behinderten Menschen, soll in einer rechtswissenschaftlichen Fachzeitschrift als Aufsatz veröffentlicht werden. 86

88 G2: Methodenberatung, Methodenkoordination, Instrumentenentwicklung und projektübergreifende Evaluation Förderkennzeichen: Förderer: BMBF/VDR-Förderschwerpunkt, Deutsche Rentenversicherung Westfalen Projektleiter: Prof. Dr. Dr. Fritz A. Muthny, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster (UKM). Mitarbeiter/ innen: Dipl.- Psych. Michael Mangold, Dipl.- Psych. Mirjam Ostendorp, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster (UKM). Laufzeit: bis Ziele, Funktionen und Aufgaben des Methodenzentrums Das Methodenzentrum Münster erfüllte in der Förderphase II in Kooperation mit dem Methodenzentrum Bielefeld eine wichtige unterstützende Funktion der Forschung im NRW Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften. Die Serviceleistungen des Methodenzentrums mit Schwerpunkt auf Assessment trugen zur Qualitätssicherung laufender Vorhaben und zum projektübergreifenden Erkenntnisgewinn in der Rehabilitationsforschung bei. Darüber hinaus hat das Zentrum eigenständige Aufgaben im Bereich der Optimierung und Entwicklung von Assessment-Instrumenten übernommen, um Reha-relevante Konstrukte reliabel und valide erheben zu können. Weiterhin hat das Methodenzentrum durch die Unterstützung von Publikationen und Dissertationen sowie durch die Nutzung der engen Anbindung zum Universitätsklinikum nicht nur zum Erkenntnisgewinn, sondern auch zur Verfestigung der Forschungsstrukturen über die Förderphase II hinaus sowie zur Sensibilisierung für diesen Forschungsbereich beigetragen. Zu den Zielen, Funktionen und Aufgaben im Einzelnen gehörten: Serviceleistungen (methodische Beratung und Weiterbildung), Optimierung und Entwicklung von Instrumenten (Instrumenten-Prüfung und -Vergleich, Adaptionen, Neu- und Weiterentwicklungen), Verstetigung der Forschungsstrukturen. 2. Serviceleistungen im Berichtszeitraum Die Serviceleistungen mit dem Ziel der Qualitätssicherung der Forschung im Verbund fanden in Form von individueller Beratung einzelner Projekte, aber auch übergreifend in Form von Veranstaltungen zur Weiterbildung statt: a) Methodische Beratung Die methodischen Beratungstätigkeiten des Methodenzentrums Münster befassten sich infolge der Spezialisierung inhaltlich vor allem mit dem Bereich des Assessments in der Rehabilitation. Zum Spektrum der Beratungsleistungen gehörten: Beratung zur Auswahl und zum Einsatz von Instrumenten im Förderschwerpunkt und assoziierten Projekten, 87

89 Hilfestellungen bei Auswertung und Interpretation der Testergebnisse, Beratung bezüglich Design und Testplanung bei Testevaluationsstudien, Hilfestellung bei Publikationsvorhaben. b) Ausrichtung von methodischer Weiterbildung zur Sicherung der Forschungsqualität im Verbund, Workshops und Tagungen Methodenworkshops: Zur Sicherung der Forschungsqualität im Verbund wurden neben der individuellen Beratung einzelner Projekte Möglichkeiten für interessierte Mitglieder des Verbundes geschaffen, sich allgemein methodisch weiterzubilden. In Zusammenarbeit mit dem Methodenzentrum Bielefeld konnten Methodenworkshops mit unterschiedlichen Inhalten angeboten werden: 9. Methodenworkshop, Bielefeld, 22. Januar Das Methodenzentrum Münster vermittelte mit einem Beitrag zur klassischen Testtheorie theoretisches Wissen zur Entwicklung und teststatistischen Beurteilung von Instrumenten und lieferte darüber hinaus mit Hilfe von Beispielen zur Anwendung einzelner Tests im Bereich der Rehabilitation Hilfestellungen für die Praxis in Reha-Forschung und klinischem Alltag. 10. Methodenworkshop, Münster, 18. September Der Workshop wurde vom Methodenzentrum Münster ausgerichtet und vermittelte die Grundlagen der Varianzanalyse und ihre Anwendung anhand von SPSS-Beispielen sowie die Möglichkeiten der Messung und die Relevanz des psychologischen Konstruktes Fatigue für den Bereich der Rehabilitation. Tagungen und Kolloquien: Die Tagungen und Kolloquien dienten nicht nur der Weiterbildung, sondern auch dem intensiven wissenschaftlichen Austausch über relevante Inhalte und Methoden im Bereich der Rehabilitation: Organisation der wissenschaftlichen Jahrestagung 2004 am in Münster zur Reha- Motivation, Beteiligung am Reha-Kolloquium in Düsseldorf, März 2004, Beteiligung am Reha-Kolloquium in Hannover, Februar/ März 2005, Durchführung inneruniversitärer Reha-Kolloquien im SS 03 und WS 03/04 (gemeinsame Veranstaltung des Instituts für Medizinische Psychologie und der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie des UKM). 3. Ergebnisse zur Optimierung und Entwicklung von Assessment-Instrumenten für Forschung und Screening im Bereich der Rehabilitation 3.1 Übersicht Das Methodenzentrum Münster hat sich schwerpunktmäßig die psychometrische Analyse und Weiterentwicklung von Instrumenten sowie die Neuentwicklung von Fragebögen in defizitären Inhaltsbereichen der Rehabilitation zur Aufgabe gemacht. Folgende Teilvorhaben wurden im Berichtszeitraum verfolgt: a) Instrumenten-Prüfung und -Vergleich Der Vergleich verschiedener Instrumente zu ähnlichen Inhaltsbereichen diente der teststatistischen Prüfung einzelner Instrumente, um den gezielten Einsatz von Assessment-Instrumenten im Bereich der Rehabilitationsforschung, aber auch als Screening im klinischen Alltag zu optimieren. Beispiele: Vergleich von Coping-Instrumenten: Trierer Skala zur Krankheitsbewältigung (TSK; Klauer & Filipp, 1993) vs. Freiburger Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung (Muthny, 1988) Weiterentwicklung eines Fragebogens zu Schlaf- und Vigilanzstörungen 88

90 Deutsche Adaption und Prüfung von Fatigue-Instrumenten: (CLDQ, FIS-D (Häuser, Almouhtasseb, Muthny, Grandt & 2003; Häuser, Zimmer, Schiedermaier & Grandt, 2004) Vergleich symptomspezifischer Instrumente: Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS; Herrmann, Buss & Snaith, 1995) vs. Brief Symptom Inventory (BSI; deutsche Version von Franke, 1995), Vergleich von Kurz-Instrumenten zu Reha-Status und Lebensqualität: IRES-min (Gerdes & Jäckel, 1995) vs. SF-12 (Bullinger & Kirchberger, 1998) Teststatistische Prüfung des Barthel-Index (Zusammenarbeit mit Prof. Thilmann, Essen) b) Adaption und bedarfsgerechte Neu- und Weiterentwicklung von Instrumenten für die Reha- Forschung Beispiele: Unterstützung bei der Adaption und teststatistischen Analyse der Testgütekriterien der Fatique Impact Scale (FIS-D) und der Erstellung und Prüfung einer Kurzform für die Reha-Praxis (Häuser & Muthny, 2004). Adaption und Reanalyse des Chronic Liver Disease Questionaire (CLDQ-D, Häuser, Zimmer, Schiedermaier & Grandt, 2004). Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzungen von Patienten, Ärzten und Psychologen. Bestimmung und Optimierung der Interrater-Reliabilität (Zusammenarbeit mit Dr. H.J. Freutel, Prof. Dr. W. Schweidtmann, Eichholz-Klinik, Lippstadt). 3.2 Testmethodische Weiterentwicklung des Schlaf-Fragebogens M. Mangold, F.A. Muthny, U. Dörner, J. Fischer, H. Pollmann, F. Raschke, J. Siegrist Kurzdarstellung Schlafstörungen sind relevant für die Rehabilitation, da Schlafqualität ein wichtiger Teil bzw. Beitrag zur Lebensqualität ist, da die Schlafqualität bei körperlichen Erkrankungen häufig durch Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen vermindert ist, da speziell Schmerzen und Behinderungen der Atmung Ein- und Durchschlafstörungen bewirken und da Schlafstörungen bei bestimmten Erkrankungen wichtige Hinweise auf pathologische Prozesse geben, z.b. in Form des Apnoe-Syndroms bei pulmologischen und neurologischen Patienten. Dadurch kommt dem Assessment von Schlaf- und Vigilanzstörungen Bedeutung für die Rehabilitation zu; allerdings gibt es bislang kaum Instrumente und entsprechende Daten speziell für den Rehabilitationsbereich. Aus diesen Gründen wurde die Weiterentwicklung des Schlaf-Fragebogens von Siegrist et al. (1987) anhand eines projektübergreifenden Datensatzes des Förderschwerpunkts geleistet. Dabei standen Ergebnisse aus den Bereichen Gastroenterologie (Projekt PW5, Pollmann et al., 2003) und Kardiologie (PW4, Muthny et al., 2002) zur Verfügung. Insgesamt konnten die Fragebogen-Daten von 664 Patienten ausgewertet werden, von denen 295 in der gastroenterologischen Rehabilitation waren (Diagnosen: Diabetes, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Carcinome des Gastrointestinaltrakts) und 369 in der kardiologischen Rehabilitation (Patienten mit KHK, überwiegend nach Herzinfarkt, aber auch Patienten nach Bypassoder Klappenoperation). Vor allem aufgrund des hohen Anteils von KHK-Patienten waren über 70% der Antwortenden männlichen Geschlechts, das Durchschnittsalter lag bei 53 Jahren (in einem weiten Bereich von 18 bis 81 Jahren). 89

91 Die Faktorenanalyse zeigte drei Faktoren mit guter Varianz-Ausschöpfung und guter inhaltlicher Interpretationsfähigkeit im Sinne von Ein- und Durchschlafstörungen, Vigilanz und Apnoe-Hinweisen. Die auf dieser Basis gerechneten Itemanalysen erbrachten zufriedenstellende Trennschärfen für die Items und gute Konsistenzen für die beiden Skalen (eine Apnoe-Skala erschien aufgrund des Umstands, dass hier nur zwei Items zur Verfügung standen, und aufgrund des hohen Missing-data- Anteils nur begrenzt sinnvoll). Die Skalencharakteristika sind in Tab. 1 dargestellt. Tabelle 1: Summenscores des Schlaf-Fragebogens Scores Zahl Items N MW S Min Max Cronbach s a Vigilanz ,73 0,79 1,00 5,00.81 Schlafstörung ,13 0,95 1,00 5,00.82 Apnoe ,00 1,00 1,00 5,00.74 Die Scores der Schlaf- und Vigilanzstörungen korrelieren trotz faktorenanalytischer Fundierung recht hoch miteinander (r =.45***). Es bestehen keinerlei signifikante Zusammenhänge der Scores mit der Bildung, jedoch mit dem Lebensalter in dem Sinne, dass ältere Patienten weniger Vigilanzstörungen und mehr Apnoe angeben. Frauen berichten hochsignifikant ausgeprägter Schlaf- und Vigilanzstörungen, aber weniger Apnoe-Symptome. Schlaf- und Vigilanzstörungen zeigen hochsignifikante Zusammenhänge mit den Psychopathologie-Skalen des BSI (Franke, 2000), so mit Angst (r =.34 bzw..44), Depression (r =.29 bzw..46) und Somatisierung (r =.36 bzw..51). Der enge Zusammenhang mit Psychopathologie und Beschwerden spricht dafür, dass dabei weniger spezifische Diagnostik von Schlafstörungen als vielmehr ein weiteres Beschwerdenmaß entwickelt wurde. Ein erster Vergleich verschiedener Erkrankungen bzw. Reha-Indikationen (Darmkrebs, entzündliche Darmerkrankungen und Herzerkrankungen) zeigt keine Unterschiede im Ausmaß der Schlafstörungen, aber deutlich höhere Vigilanzwerte bei den Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen als bei kardiologischen und Krebspatienten. Literatur: Franke, G. H. (2000): Brief Symptom Inventory von L. R. Derogatis (Kurzform SCL-90-R), Deutsche Version. Manual. Göttingen: Beltz-Test. Goertelmeyer, R. (1986): Schlaffragebogen A und B. In: Collegium Internationale Scalarum (Hrsg.). Internationale Skalen für Psychiatrie, 3. Auflage, Weinheim: Beltz. Siegrist, J., Peter, J., Himmelmann, J. & Geyer, S. (1987): Erfahrungen mit einem Anamnesebogen zur Diagnostik der Schlafapnoe. Praxis der Klinischen Pneumologie, 41, 10, Mangold, M., Muthny, F.A., Dörner, U., Fischer, J., Pollmann, H., Raschke, F., Siegrist, J.: Testmethodische Weiterentwicklung des Schlaf-Fragebogens (in Vorbereitung). Pollmann et al. (2003): Projektbericht PW5. Muthny et al. (2002): Projektbericht PW Entwicklung einer Kurzform der Fatigue Impact Scale (FIS-D15) und Prüfung der inhaltlichen Zusammenhänge von Fatigue mit verwandten Konstrukten W. Häuser, F.A. Muthny Fatigue ist ein Beschwerdekomplex (Syndrom) bzw. Konstrukt, das wesentlich bestimmt wird durch Müdigkeit, Konzentrationsprobleme und Erschöpfung. Es wird zunehmend als wichtiger Symptomkomplex bei Krebserkrankungen (Tavio, Milan & Tirelli, 2002), Multipler Sklerose (Zimmermann & Hohfeld, 1999) und Lebererkrankungen (Prince et al., 2000) diskutiert und ist das Hauptmerkmal des ätiologisch umstrittenen Chronic Fatigue Syndromes CFS (Fukuda et al., 1994; Wolf & Barth, 2002). 90

92 Da für den deutschen Sprachraum kein generisches Instrument zur alleinigen Erfassung von Fatigue zur Verfügung stand, wurde die Fatigue Impact Scale (FIS) erst jüngst mittels Hin- und Rückübersetzungsmethode ins Deutsche übertragen (Häuser et al., 2003). Bei der hohen klinischen Relevanz von Fatigue erschien die FIS-D für die klinische Routineversorgung als auch für Forschungsprojekte zu lang, und eine Verbesserung der Testökonomie wurde gefordert. Da die hohen Konsistenzen der Skalen auf Redundanzen (und Kürzungsmöglichkeiten) hinwiesen und zudem die faktorenanalytische Fundierung des Fragebogens ausstand, wurde in der vorliegenden Arbeit versucht, diese beiden Schritte bzw. Ziele zu verbinden. Da vor allem Patienten mit Lebererkrankungen häufig über Müdigkeit klagen, wurde die FIS häufig in der Hepatologie eingesetzt. Daher wurde auch in der vorliegenden Untersuchung eine Stichprobe einer Klinik der Sekundär- und Tertiärversorgung zugrunde gelegt. Dabei wurden 204 konsekutive Patienten mit Lebererkrankungen unterschiedlicher Ätiologie befragt (Durchschnittsalter 53 Jahre, 47% Frauen, 53% Männer, 45% mit Zirrhose). Da die Faktorenanalyse der 40-Item-Version einen Generalfaktor zeigte und zudem nur begrenzt die Zuordnung der Items zu den 3 Skalen des Originals bestätigte, erschien eine starke Kürzung zusammen mit einer Bereinigung der Diskrepanzen in den Itemzuordnungen zwischen Originalskalen und Faktorenanalyse sinnvoll. Es ergaben sich 3 Skalen mit je 5 Items (kognitive, körperliche und psychosoziale Dimension), die gute interne Konsistenz erbrachten (Cronbach s Alpha zwischen.90 und.96, s. Tabelle 2). Tabelle 2: Charakteristika der Skalen des FIS-D15 im Vergleich zur Langform Skalen FIS-D15 Kognitive Dimension FIS-D15 Körperliche Dimension FIS-D15 Psychosoziale Dimension FIS-D15 Gesamt Mittelwert (SD) 7,72 (5,54) 10,97 (6,04) 7,84 (5,27) 26,61 (15,53) Minimum Maximum Interne Konsistenz Cronbach a 176 n 196 Retest Reliabilität Pearson Korrelationskoeffizient 44 n Die Interkorrelationen der Subskalen der FIS sind erwartungsgemäß hoch, relativ am höchsten zwischen der körperlichen und psychosozialen Fatigue-Skala (r =.83), am niedrigsten zwischen körperlicher und kognitiver Skala (r =.68). Die Skalen der Kurzfassung korrelieren hoch mit den langen Originalskalen gleicher Benennung (r =.95 bis.97). Die Test-Retest-Reliabilität ist mit.72 bis.85 ebenfalls zufriedenstellend. Auch die Zusammenhänge im Sinn der konvergenten Validität ergeben sich in ähnlicher Höhe mit den Validierungsinstrumenten der FIS-D, dem SF-36 (Bullinger und Kirchberger, 1998), der HADS-D (Herrmann, Buss & Snaith, 1995) und dem GBB 24 (Schumacher & Brähler, 1998). Die relativ höchsten Korrelationen ergeben sich bei dem FIS-D15-Gesamtscore mit der Erschöpfungsskala des GBB 24 (r =.81) und der Skala Vitalität des SF-36 (r = -. 78). Signifikante Zusammenhänge mit soziodemographischen Daten zeigen sich nicht, auch nicht die erwarteten geschlechtsspezifischen Effekte im Sinne von ausgeprägterer Fatigue bei Frauen. Sowohl die FIS-Langform (Häuser et al., 2003) als auch die Kurzform FIS-D15 (Häuser & Muthny, 2004) weisen signifikante Korrelationen im Sinne der konvergenten Validität mit Untersuchungsinstrumenten auf, welche ähnliche Beschwerdemuster und Aspekte der Lebensqualität erfassen. Es kann als Qualitätsmerkmal der FIS-D bzw. FIS-D15 angesehen werden, dass ihre Korrelationen mit den Validierungsinstrumenten im mittleren Bereich liegen, d. h. sie erfassen Aspekte der ge- 91

93 sundheitsbezogenen Lebensqualität, welche durch die anderen Instrumente nicht erfasst werden. Bezüglich der diskriminativen Validität ergeben sich in der FIS-Langform keine Unterschiede zwischen Patienten ohne Zirrhose und Patienten mit Zirrhose bzw. den verschiedenen Child - Stadien der Leberzirrhose (Häuser et al., 2003). Die Kurzform FIS-D15 (15 Items) ist damit ein testökonomisch einsetzbares Instrument, das mit der sehr viel längeren Originalversion (40 Items) gut vergleichbar bleibt und zudem gute testmethodische Eigenschaften besitzt. Es kann daher gleichermaßen für den Einsatz in der Grundlagenwissenschaft wie in klinischen Studien empfohlen werden. Mit der FIS D15 ergeben sich für Psychosomatiker und Medizinpsychologen neue, an die Bedürfnisse der Patienten und der somatisch tätigen Kollegen ankoppelnde Forschungsgebiete in der Psychoonkologie, Psychoneurologie und hepatologischen Psychosomatik. Literatur Häuser, W., Almouhtasseb, R., Muthny, F.A., Grandt, D. (2003). Validierung der deutschen Version der Fatigue Impact Scale FIS-D. Zeitschrift für Gastroenterologie, 41, Häuser, W., Muthny, F.A. (2004). Entwicklung einer Kurzform der Fatigue Impact Scale (FIS-D15). Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 65, Weitere Literatur bei den Verfassern 3.4 Testgüte-Vergleich der Trierer Skalen zur Krankheitsbewältigung (TSK) und des Freiburger Fragebogens zur Krankheitsverarbeitung (FKV) U. Dörner, F.A. Muthny, Die Trierer Skalen zur Krankheitsbewältigung (TSK; Klauer und Filipp, 1993) und der Freiburger Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung (FKV-LIS; Muthny, 1989) stellen zwei etablierte deutschsprachige erkrankungsbezogene Coping-Instrumente dar, deren Testgütekriterien gut dokumentiert sind und die aufgrund ihres Einsatzes in zahlreichen empirischen Studien zum Bewältigungsverhalten bei Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen gute Vergleichsmöglichkeiten bieten (Muthny et al., 1999). So ergibt z.b. die Recherche in der Datenbank PSYNDEX zwischen 1990 und Treffer für den FKV und 30 Treffer für die TSK. In einer Querschnittuntersuchung wurden an einer Stichprobe von 224 kardiologischen Rehabilitanden die beiden Instrumente miteinander bezüglich ihrer Reliabilität und Validität verglichen. Die internen Konsistenzen der Skalen erwiesen sich mit einer Ausnahme als ausreichend bis zufriedenstellend (Cronbach`s Alphas von.66 bis.81), wobei die Reliabilitäten für die Skalen des TSK mit ausformulierten Items und einer größeren Itemanzahl pro Skala insgesamt etwas höher ausfielen. Die Skalen beider Instrumente messen trotz z.t. ähnlicher Bezeichnungen eher unterschiedliche Aspekte und korrelieren nur mäßig. Substantielle Beziehungen mit Depression, Angst und dem Reha- Status zeigten besonders die Skalen Depressive Verarbeitung des FKV-LIS und Rumination der TSK. Während die TSK über eine bessere Reliabilität verfügen, liegen für den FKV umfangreichere Vergleichsdaten vor und es besteht die Möglichkeit der Selbst- und Fremdeinschätzung. Bezüglich der Testgütekriterien sind beide Verfahren standardisiert und verfügen damit über gute Durchführungs- und Auswertungsobjektivität. Die interne Konsistenz der TSK-Skalen ist insgesamt besser als die der FKV-LIS-Skalen, was z.t. mit der Anzahl der Items pro Skala und der unterschiedlichen Itemform zusammenhängen dürfte (beim TSK ausformulierte Sätze, beim FKV-LIS einzelne Begriffe). Beide Instrumente sind multidimensional mit jeweils 5 Summenscores, messen aber offensichtlich trotz ähnlicher Skalenbezeichnungen doch eher unterschiedliche Inhalte, wie die Korrelationen zwischen den Skalen der beiden Instrumente belegen. 92

94 Tabelle 3: Interkorrelationen zwischen FKV-LIS-Skalen und TSK-Skalen (n = 224) TSK FKV-LIS Rumination Suche nach sozialer Einbindung Bedrohungsabwehr Suche nach Information Suche nach Halt in der Religion Depressive Verarbeitung.45*** ** -.06 aktives Coping ***.30***.27***.03 Ablenkung/ Selbstaufbau Religiosität/ Sinnsuche Bagatellisierung/ Wunschdenken.29***.38***.40***.29***.12.33***.18*.31***.21**.59***.45***.16*.07.24**.16* Pearson r * p.05,** p. 01, *** p. 001 Dies wird auch an den unterschiedlichen Zusammenhängen (im Sinne konkurrenter Validität) mit den verschiedenen Reha-Outcome-Kriterien deutlich, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings nur im Querschnitt untersucht werden konnten. So zeigten sich bei beiden Coping-Inventaren Zusammenhänge zwischen einer depressiven Verarbeitung bzw. Rumination und einem schlechten psychosozialen Reha-Ergebnis (was aber auch auf das vielzitierte Konfundierungsproblem zurückgeht). Im Hinblick auf die Testökonomie benötigen beide Verfahren eine Bearbeitungszeit von ca Minuten und liegen damit in einem ähnlichen Aufwandsbereich. Der FKV bietet allerdings mehr Vergleichsmöglichkeiten mit den Daten verschiedener Patientengruppen, da er insgesamt über verschiedene Indikationsbereiche deutlich häufiger eingesetzt wurde (Muthny et al., 1999). Untersuchungsmethodisch bietet der FKV zusätzlich die Möglichkeit der vergleichenden Fremd- und Selbsteinschätzung, da er zwei entsprechende Versionen (mit unterschiedlichen Instruktionen, aber identischer Itemdarbietung) besitzt. Außerdem eröffnet er die grundsätzliche Möglichkeit der Beurteilung der Adaptativität, allerdings nur in begrenzter Form über die Einschätzung der drei hilfreichsten Formen. Einschränkend ist bei der Interpretation der vorliegenden Ergebnisse darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Querschnittstudie handelt, die quasi nur eine Momentaufnahme der Situation der Patienten darstellt. Wie Längsschnittuntersuchungen zeigen, sollte die Einschätzung der psychologischen Konsequenzen einer Herzerkrankung eher auf Grundlage der längsschnittlichen Beziehungen erfolgen (Van Elderen, Maes & Dusseldorp, 1999; Dörner et al., 2005). Die Erfassung des Coping-Verhaltens kann das Verständnis von Patienten mit einer chronischen körperlichen Erkrankung verbessern helfen und ebenfalls Hinweise auf psychosoziale Maßnahmen zur Unterstützung des Anpassungsprozesses geben (Terry, 1992). Mit dem TSK und dem FKV-LIS existieren zwei etablierte deutschsprachige Coping-Inventare mit zufriedenstellenden Testgütekriterien, die eine reliable Erfassung von Krankheitsverarbeitungsprozessen bei kardiologischen Patienten ermöglichen. Die Auswahl eines der beiden Instrumente wird sinnvollerweise am ehesten durch das Untersuchungsziel, den gewählten Zugang (Selbst- und/ oder Fremdeinschätzung) und den Anspruch an die Skalenkonsistenz bestimmt. Literatur Dörner, U., Muthny, F.A., Benesch, L. & Gradaus, D. (2005). Vorhersage der Lebensqualität nach stationärer kardiologischer Rehabilitation. Physikalische Medizin Rehabilitationsmedizin Kurortmedizin, 15, Klauer, Th. & Filipp S-H. (1993). Trierer Skalen zur Krankheitsbewältigung (TSK). Handanweisung. Göttingen: Hogrefe. 93

95 Muthny, F.A. (1989). Manual zum Freiburger Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung (FKV). Weinheim: Beltz. Muthny, F.A., Bullinger, M., Kohlmann, T. (1999): Variablen und Erhebungsinstrumente in der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung. - Würdigung und Empfehlungen. In VDR (Hrsg.): Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften. Empfehlungen der Arbeitsgruppen. VDR, DRV- Schriften, Band 16, Terry, D. (1992). Stress, coping and coping resources as correlates of adaptation in myocardial infarction patients. British Journal of Clinical Psychology, 31, Van Elderen, T., Maes, S. & Dusseldorp, E. (1999). Coping with coronary heart disease: a longitudinal study. Journal of Psychosomatic Research, 47, 2, Testmethodischer Vergleich BSI - HADS Das Brief Symptom Inventory (BSI) ist eine Kurzform der Symptom Check List (SCL-90-R, Derogatis, 1992) und erfasst in der deutschen Adaptation von Franke (2000) mit 53 Items 9 Psychopathologie- Skalen. Für den klinischen Gebrauch haben sich in der medizinischen Rehabilitation vor allem die Skalen Ängstlichkeit, Depressivität und Somatisierung durchgesetzt und sind weit verbreitet. Zur Erfassung von Angst und Depressivität wird im klinischen Bereich inzwischen aber auch relativ häufig die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) von Zigmond und Snaith (1983) eingesetzt, die als deutsche Version HADS-D von Herrmann et al. (1995) herausgegeben wurde. Da beide Instrumente sozusagen konkurrierend in der Rehabilitationsforschung Angst/Ängstlichkeit und Depressivität messen und viele Überlegungen (allerdings auch Mythen) zu den Vorzügen und Nachteilen bestehen, erschien es sinnvoll, diese als Kopf-an-Kopf-Vergleich in derselben Rehabilitandenstichprobe zu untersuchen. Dies ist im Rahmen des Methodenprojekts Münster in einer Untersuchung mit Krebspatienten geschehen, und die Ergebnisse sollen hier kurz vorgestellt werden (290 Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen, vor allem Patienten mit gastrointestinalen Karzinomen und Brustkrebs, zur näheren Darstellung s. Abschlussbericht, Langfassung). Betrachtet man die Verteilung der Skalen (s. Tabelle 3), so wird deutlich, dass in der untersuchten Rehabilitandenstichprobe alle 4 Skalen eine gewisse Linksschiefe aufweisen. Bodeneffekte sind dabei beim BSI stärker zu erwarten als bei der HADS. Tabelle 4: Verteilungscharakteristika der HADS- und BSI-Scores Scores n MW s Bereich (Min Max) Cronbach s a HADS-A 281 6,44 3, (0-21)*.85 HADS-D 284 5,08 4, (0-21)*.87 BSI-ANGST - Summen-Rohw. - Itemstd. Summe 270 4,57 0,76 5,01 0, (0-24)* 0 4 (0 4)*.92 BSI-Depression - Summen-Rohw. - Itemstd. Summe 270 2,84 0,48 4,16 0, (0-24)* 0 3,67 (0 4)*.91 * Maximal möglicher Bereich Bezüglich der internen Konsistenzen liegen beide Instrumente für die Angst- bzw. Depressivitäts- Skalen in einem ähnlichen Bereich mit Cronbach s Alpha von mindestens.85 (s. Tabelle 1), allerdings mit leichten Vorteilen für den BSI. Auch bezüglich der Untersuchungsökonomie und der Zahl der Items (6 bzw. 7) sind beide Instrumente gut vergleichbar. 94

96 Bei den Interkorrelationen zwischen den Skalen zeigt sich erwartungsgemäß ein relativ hoher Zusammenhang zwischen den beiden Angst-Skalen (r =.73) und den beiden Depressions-Skalen (r =.69). Wie Tabelle 4 aufzeigt, gibt es allerdings auch hohe Zusammenhänge zwischen den Angst- und den Depressions-Skalen, was auf die Schnittmengen der Konstrukte zurückgehen dürfte. Tabelle 5: Interkorrelation der HADS- und der BSI-Skalen (Onkologie) Scores HADS-A HADS-D BSI-Angst HADS-D.66 ** BSI-ANGST.73 **.49 ** BSI-Depression.71 **.69 **.67 ** Pearson r (nur Koeffizienten p.05 dargestellt) Schließlich wurde der Frage nachgegangen, inwieweit durch bestimmte, von den Testautoren vorgegebene Cut-offs, hochbelastete bzw. Risiko-Patienten identifiziert werden. Hier identifiziert die HADS mit den angegebenen Grenzen von 11 bis 14 Punkten für schwere Störung 8,8 % Patienten mit einer Angststörung und 6,8 % der Patienten mit einer Depression (Werte über 14 sehr schwer : 5,5% für Angst, 4% für Depression). Damit erfasste der HADS insgesamt nach diesen Vorgaben 14,3% Patienten mit Angststörungen und 10,8% mit Depression. Nach der Normtabelle des BSI-Manuals (Franke, 2000) wird ein T-Wert >62 als psychisch auffällig betrachtet. Dies entspricht bei der Depressionsskala einem Rohwert von 5 bzw. Mittelwert von 0,83. Nach diesem Kriterium liegen ca. 20 % der Stichprobe über dem Cut-off. Bei der Angstskala entspricht dies einem Rohwert von 5 bzw. einem Mittelwert von 0,80. Danach liegen ca. 37 % der Stichprobe über dem Cut-off. Die verwendeten Begriffe wie schwere Störung und psychisch auffällig bezeichnen indes sehr unterschiedliche Sachverhalte und haben nur begrenzt mit einem dritten Kriterium, nämlich der Behandlungsbedürftigkeit zu tun. Da zudem Cut-offs immer noch häufig unterschiedlich begründet sind (wenn nicht gar relativ willkürlich gesetzt erscheinen), kann aus den obigen Ergebnissen und unterschiedlich großen Risikogruppen nicht auf eine höhere Sensitivität des BSI geschlossen werden. In weiteren Analysen soll mit klinischen Stichproben verglichen und eine ROC-Analyse (Receiver- Operating-Charakteristics Analysis) durchgeführt werden. Literatur Derogatis, L.R. (1992). SCL-90-R, administration, scoring & procedures manual-ii for the R(evised) version and other instruments of the Psychopathology Rating Scale Series. Townson: Clinical Psychometric Research, Inc. Franke, G. H. (2000): Brief Symptom Inventory von L. R. Derogatis (Kurzform SCL-90-R), Deutsche Version. Manual. Göttingen: Beltz-Test. Herrmann, C., Buss, U., Snaith, R.P.: HADS-D (1995). Hospital Anxiety and Depressions Scale Deutsche Version. Bern: Hans Huber. Zigmond, A. S., & Snaith, R.P. (1983) The Hospital Anxiety and Depression Scale. Acta Psychiatrica Scandinavica, 67, Verstetigung der Forschungsstrukturen Die Anbindung des Methodenzentrums Münster an die Medizinische Fakultät und das Universitätsklinikum Münster ermöglichte es, angehende Ärzte für den Bereich der Rehabilitation zu sensibilisieren und Interesse an diesem Arbeitsfeld zu wecken. Dies geschah im Berichtszeitraum durch Un- 95

97 terstützung von 8 Dissertationen mit rehabilitationsbezogenen Themen. Da das Methodenzentrum über das Ende der Phase II hinaus keine weitere Förderung fand, wird neben den Ergebnissen des Projekts die Betreuung von Dissertationen speziell zu rehabilitationswissenschaftlichen Fragestellungen wesentlicher Aspekt der Verstetigung sein. Liste eigener Publikationen Dörner, U. & Muthny, F.A. (2005). Vom Typ-A-Konzept zur Depressionsbehandlung nach Herzinfarkt: Entwicklung und Stand psychokardiologischer Forschung. In: Balck, (Hrsg.), Anwendungsfelder der medizinischen Psychologie, Dörner,U. & Muthny, F.A. (2004). Testgüte-Vergleich von Instrumenten zur Krankheitsverarbeitung Trierer Skalen zur Krankheitsbewältigung (TSK) und Freiburger Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung (FKV). Manuskript eingereicht zur Publikation in Zeitschrift für Medizinische Psychologie. Häuser, W., Almouhtasseb, R., Muthny, F.A., Grandt, D. (2003). Validierung der deutschen Version der Fatigue Impact Scale FIS-D. Zeitschrift für Gastroenterologie, 41, Häuser, W., Muthny, F.A. (2004). Entwicklung einer Kurzform der Fatigue Impact Scale (FIS-D15). Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 65, Häuser, W., Zimmer, C., Schiedermaier, P. & Grandt, D (2004). Biopsychosocial Predictors of Health- Related Quality of Life in Patients With Chronic Hepatitis C. Psychosomatic Medicine, 66, Weitere Literatur bei den Verfassern 96

98 Das Integrierte Orthopädisch-Psychosomatische Konzept der Klinik Münsterland (IOPKO) Umsetzung, Replikation und Transfer Förderkennzeichen: Förderer: gefördert im Rahmen des gemeinsamen Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften - Umsetzungsphase der Rentenversicherung und des Bundesministers für Bildung und Forschung Projektleiterin Stephanie Fröhlich, Dipl.-Psych., Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde Projektmitarbeiter: Ralph Niemeyer, Dipl.-Biol., Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde Laufzeit: Kooperationspartner: Prof. Bernhard Greitemann, Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde Dr. Heinz-Hubert Daalmann, Rehazentrum Bad Eilsen Dr. Peter Paes, Klinik am Hellweg, Bad Sassendorf Dr. Jürgen philipp, Salzetalklinik, Bad Salzuflen Dr. Marcus Gnad, Maternusklinik, Bad Oeynhausen 1. Einleitung Dass Rückenschmerzen zu den Hauptkostenfaktoren im Gesundheitswesen zählen, ist inzwischen vielfach belegt (Kohlmann & Schmidt, 2005; Vetter, Küsgens & Bonkas, 2005). Dabei übersteigen die indirekten Kosten durch Arbeitsausfälle und Kompensationszahlungen bei weitem die eigentlichen Behandlungskosten (Hildebrandt & Pfingsten, 2005). Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahrzehnten die Bemühungen verstärkt, geeignete Behandlungen für Rückenschmerzpatienten und vor allem Interventionen zur Förderung der beruflichen Integration von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zu entwickeln und implementieren. Sowohl in internationalen als inzwischen auch in deutschsprachigen Studien haben sich aktivierende multimodale Therapieprogramme bei Patienten mit Rückenschmerzen als effizient erwiesen (Klaber-Moffett, 1986; Deyo, 1991; Wheeler, 1995; van Tulder et al., 1997; Frost et al. 1998; Denner, 1999; Pfingsten 2001; Guzman et al., 2001; Dibbelt et al., 2004, 2006). Neben körperlicher Aktivierung und verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Schmerzbewältigung hat sich vor allem die Bearbeitung beruflicher Probleme als zwingend für einen Behandlungserfolg erwiesen (Streibelt, 2006; Dibbelt, Büschel & Greitemann, 2004, 2006; Müller-Fahrnow et al., 2005; Knörzer et al., 2005). Waddell (1998) konnte eindrucksvoll darstellen, dass die Berufscharakteristik, die Arbeitszufriedenheit und die Arbeitsunfähigkeitsdauer einen wesentlichen Einfluss auf das Langzeitergebnis bei Rückenschmerzen haben. Gerade der Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften NRW hat sich besonders um die Entwicklung von Konzepten zur beruflichen Orientierung bemüht: so liegen inzwischen etliche Studien aus Projekten des Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften NRW vor, die deutliche Verbesserungen der Behandlungseffektivität von multimodalen Behandlungsprogrammen durch ein effektives Screening (und damit der Gewinnung homogener Behandlungsgruppen) sowie durch Maßnahmen zur beruflichen Orientierung in der medizinischen Rehabilitation nachweisen können (Schöttler & Kühn, 2004; Schimpf, Müller-Fahrnow & Ostermann, 2004; Dibbelt, Büschel, Greitemann, 2004; Greitemann, Dibbelt, Büschel, 2004). In dem hier beschriebenen Projekt ( RUM 1 ) wird das aktivierende, informierende und verhaltensmodulierende multimodale Rückenfit-Programm des IopKo in 4 weitere Kliniken implementiert und evaluiert. 1 RUM = RÜCKENFIT-UMSETZUNG 97

99 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Das Projekt hat zum Ziel, 1. die im Rahmen des IopKo-Projektes entwickelten und an der Klinik Münsterland evaluierten Rückenfit-Maßnahmen in das Behandlungsangebot anderer orthopädischer Reha-Kliniken zu integrieren und sie 2. hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf zentrale Outcome-Parameter wie die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, Funktionskapazität, Schmerzbelastung und psychische Belastung zu prüfen. Nachdem die Maßnahmen des Iopko-Konzeptes in der Klinik Münsterland als Referenzklinik mit positiven Ergebnissen evaluiert wurden, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Implementierung an anderen orthopädischen Reha-Kliniken gelingen kann. 3. Methoden und Arbeitsplan Datenbasis: Die Berechnung des notwendigen Stichprobenumfangs erfolgte mittels einer Power-Analyse, die nach den Ergebnissen der Vorläuferstudie von mittleren Effekten des Outcomeparameters Funktionsstatus (IRES) ausging. Die Effektstärke betrug in der Studiengruppe, welche aus 86 Patienten bestand, zu t2 0,59 und zu t3 0,79. Nach Bortz & Döring (2002; S. 613) erscheint ein Stichprobenumfang von N=82 pro Gruppe und Klinik ebenfalls ausreichend, um mittlere Effekte bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0,01 abzubilden. Messzeitpunkte: Es sind die folgenden Messzeitpunkte vorgesehen: (1) t0: vor dem Antritt der Reha-Maßnahme (2) t1: zu Ende des Reha-Aufenthaltes vor der Abreise aus der Klinik (3) t2: drei Monate nach Reha-Aufenthalt Variablen: Eine valide Diagnostik ist für die Erkennung von Risikopatienten und für eine optimale Zuweisungssteuerung unverzichtbar. Ebenso wichtig ist die Untersuchung der Wirksamkeit der Maßnahme auf zentrale Outcome-Parameter. Es werden folgende Variablen erhoben: Somatischer, funktionaler und psychosozialer Status Strategien der Schmerzbewältigung Kontrollüberzeugungen Motivation zur Verhaltensänderung Erreichung von Rehazielen Sportbezogene Konsequenzerwartungen und Selbstwirksamkeit zur sportlichen Aktivität Alltagsverhalten Berufliche Situation & Perspektiven Intervention: Die Interventionsbausteine des IopKo, die hier für die Rückenfit-Implementierung umgesetzt werden, sind: 1) Die multiprofessionelle Zuweisung: Ein Planungsteam, bestehend aus Ärzten und Psychologen entscheidet über die Verordnung des Rückenfit-Programms. 2) Seminareinheiten BOR I u. II: 2 Module zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation 3) Rückenfit (multimodales Therapie-Programm) 98

100 Das Arbeitsprogramm sieht zwei Phasen vor, nämlich die der Implementierung und die der Evaluation. In der ersten Phase standen und stehen die Bedingungen, Aufwand und Schwierigkeiten eines Transfers im Fokus. Die Vorbereitungsphase war geprägt von regelmäßigen Abstimmungsgesprächen in den Kliniken, bei denen einige Barrieren aus dem Weg geräumt werden mussten. Des Weiteren wurden die Programminhalte weiterentwickelt und angepasst sowie Informations- und Lehrmaterial erstellt. Während der gesamten Vorbereitungszeit und der Testphase werden die Kliniken supervidiert. Die Evaluationsstudie ist eine prospektive quasi-experimentelle Vergleichsstudie: Die Reha-Effekte der Interventionsgruppe in jeder der beteiligten Kliniken werden mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden, die ein Standard-Reha-Programm in der jeweiligen Klinik erhält. Dabei wird die Erhebung der Kontrollgruppe bzw. der Studiengruppe in der Regel in 2 Zeitblöcken von 4 Monaten erfolgen. In der Projektlaufzeit selbst können allerdings die Daten für die Katamnese nach 3 Monaten (t2) nicht vollständig aufbereitet, ausgewertet und berichtet werden, da sich der Zeitplan in allen Kliniken verzögert hat. Darüber hinaus ist eine Klinik in der Vorbereitungsphase abgesprungen und es musste Ersatz gefunden werden. Für die Erhebung und Auswertung der 12-Monatskatamnese reicht eine Projektlaufzeit von 2 Jahren nicht aus. Dennoch ist es sicherlich sinnvoll (auch aus Gründen der Vergleichbarkeit mit der Vorläuferstudie), diese Daten zu erheben; dies und ihre Auswertung muss dann einem Nachfolgeprojekt vorbehalten bleiben. 4. Arbeitsstand Zur Vorbereitung auf die Implementierungsgespräche mit Therapeuten aus anderen Kliniken wurden Interviews mit den Rückenfit-Therapeuten der Klinik Münsterland durchgeführt. Im Rahmen dieser Interviews sollten die Münsterland-Therapeuten einen Perspektivwechsel vornehmen und sich in die Therapeuten der Kooperationskliniken hineinversetzen. Sie wurden gebeten, sich zu überlegen, was sie dazu motivieren würde, ein neues Programm gerne in ihrer Klinik auszuprobieren. Aufgrund der so geführten 14 Interviews mit Ärzten, Psychologen, Sporttherapeuten, Sozialberatern und Rehafachberatern wurden aus 318 relevanten Statements ca. 60 verschiedene Inhaltsbereiche deutlich, welche auf ganz verschiedene Art und Weise die Therapeuten motivieren können. Sie wurden dann letztendlich zu 12 Kategorien zusammengefasst, welche ein gutes Bild über motivational bedeutsame Aspekte therapeutischen Arbeitens aufzeigen. Mit diesem Wissen im Hintergrund wurde der Kontakt zu den geplanten Kooperationskliniken hergestellt. In den ersten Besprechungen, die in der Regel in den Kooperationskliniken vor Ort stattfanden, wurde zunächst mit der Klinikleitung über die generelle Umsetzbarkeit des geplanten Vorhabens gesprochen. In weiteren Gesprächen mit den Ärzten und Therapeuten wurde das Rückenfit-Programm vorgestellt, meist mit Unterstützung durch erfahrende IopKo-Therapeuten (jeweils ein Psychotherapeut und ein Sporttherapeut). Die in den Kliniken bestehenden Settings wurden diskutiert und die Möglichkeiten der Integration des neuen Programms erörtert: 1. Gibt es inhaltliche Überschneidungen zu bereits bestehenden Programmen? 2. Welche Einschlusskriterien soll es geben? 3. Welche Alternativen zu den Psychosozialen Anamnesen sind denkbar? (Screening?) 4. Welche Screening-Instrumente werden bisher eingesetzt? 5. Vor- und Nachteile geschlossener vs. offener Gruppen 6. Was bekommt die Kontrollgruppe verordnet? 7. Wie ist der Schulungsbedarf? 8. Wer sind die Ansprechpartner? 9. Wie sieht die Zeitperspektive aus? Dabei traten z.t. auch Widerstände auf Seiten der Kliniken auf, weil man die bisherige Vorgehensweise als erfolgreich und auslastend empfunden hatte. Da in den Kooperationskliniken für dieses Projekt in der Regel kein zusätzliches Personal zur Verfügung steht, musste sehr sorgfältig überlegt werden, wie man vorgehen kann und möchte. Die Erfahrungen aus den vorab geführten Interviews erwiesen sich hier als hilfreich. 99

101 In einem Konsensgespräch im Frühjahr 2006 in der Klinik Münsterland trafen Vertreter aller zu diesem Zeitpunkt beteiligten Kooperationskliniken zusammen und diskutierten gemeinsam. Besondere Schwerpunkte waren dabei die Zuweisungspraxis, der Personalbedarf und die geplanten Untersuchungsinstrumente sowie der straffe Zeitplan. Im Anschluss daran wurde der Wunsch der Kooperationspartner nach einer generellen Austauschplattform erfüllt, in dem die Projektleitung zusammen mit einem Programmierer kurzfristig die Webseite auf die Beine stellte, auf welche nur die Projektbeteiligten Zugriff haben und Ideen, Material und Fragen mit allen Beteiligten diskutieren können. So wurden dort u.a. die inzwischen überarbeiteten Programmeinheiten sowie erstelltes Informations- und Lehrmaterial bereitgestellt. Als Konsequenz der knappen personellen, vor allem psychologischen, Ressourcen mussten Alternativen zu den psychosozialen Aufnahmegesprächen gefunden werden, die nicht in allen Kliniken durchführbar sind. Auf Grundlage der Daten aus der Vorgänger-Studie zum IopKo-Programm von Herrn Prof. Greitemann und Frau Dr. Dibbelt wurde mittels Diskriminanzanalysen untersucht, aufgrund welcher statistisch nachweisbaren Merkmale die Patienten in der Vorgänger-Studie von dem multiprofessionellen Planungsteam zum IopKo-Programm zugewiesen wurden. Aufgrund dieser Ergebnisse sowie des theoretischen Anspruchs an das Programm wurde der Fragebogen zur Risikospezifischen Behandlungszuweisung (RBZ) entwickelt, der genau die kritischen Bereiche abfragt, welche für die Zuweisung relevant sind. Der RBZ besteht aus einer doppelseitig bedruckten DIN A4-Seite und kann mittels farbiger Folien schnell ausgewertet werden. Erste Ergebnisse zur internen Konsistenz liefern durchweg gute Ergebnisse. Zur Schulung der Therapeuten wurden und werden in erster Linie Hospitationen in der Klinik Münsterland sowie Gespräche mit den erfahrenen Therapeuten eingesetzt. Des Weiteren wurden Filme der Programmeinheiten gedreht und den Therapeuten zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich liegen die Inhalte auch in schriftlicher Form vor, ebenso wie das überarbeitete Reha-Buch für die Patienten. In allen Kliniken kam es zu Verzögerungen, so dass der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden kann. Es hat sich gezeigt, dass die Abstimmung mit den Klinken sehr zeitintensiv ist und mit Barrieren gerechnet werden muss. Die Bereitschaft, eventuell vorhandene eigene Programme abzuändern oder die klinikinterne Zuweisungsroutine neu zu gestalten, war in den verschiedenen Kliniken unterschiedlich. Die multiprofessionelle Zuweisung, welche durch die psychosozialen Anamnesen maßgeblich revolutioniert werden sollte, kann aus Personalmangel nicht in allen Kliniken auf die gleiche Art und Weise umgesetzt werden. Eine Klinik, die zu Projektbeginn noch bereit war, teilzunehmen, musste im Laufe der Abstimmungsgespräche erkennen, dass sie die personellen Anfordernisse des Projekts nicht wird leisten können und sagte die Teilnahme an der Studie im Frühjahr 2006 ab. Somit waren Abteilungs- und Projektleiter gefordert, sich um eine Ersatzklinik zu bemühen. Mittlerweile gibt es zwei Aspiranten, mit denen Gespräche geführt werden. Ein weiterer Punkt, der viel Zeit gekostet hat, ist die Abstimmung der Untersuchungsinstrumente. Da in den meisten Kliniken routinemäßig bereits Verfahren eingesetzt werden und die Arbeit sowohl für die Patienten als auch für die Auswertenden ein bestimmtes Maß nicht überschreiten sollte, bedurfte es einiger Gespräche und Kompromisse, bis ein akzeptabler gemeinsamer Nenner gefunden wurde. Im Mai 2006 werden zwei Kliniken mit der Studienphase starten, nachdem die Testphase erfolgreich durchgeführt wurde. Eine dritte Klinik beginnt mit der Kontrollgruppe. Durch den unerwarteten Ausstieg der vierten Klinik verzögert sich der Zeitplan für die zwei neuen Ersatzkliniken vermutlich um mindestens 4 Monate. 5. Literatur 1) Bührlen, B; Gerdes,N.; Jäckel, W.-H. (2005). Entwicklung und psychometrische Testung eines Patientenfragebogens für die medizinische Rehabilitation (IRES-3). Die Rehabilitation, 44, (2), S ) Bortz, J. & Döring, N. (2002). Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin: Springer. 3) Denner, A. (1999). Analysegestützte medizinische Trainingstherapie für die Wirbelsäule: Methoden, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung. Orthopädische Praxis, 11, (35), ) Deyo, R.A. (1991). Nonsurgical care of low back pain. Neurosurgery Clinics of North America 2(4), ) Dibbelt, S. & Büschel, C. & Greitemann, B. (2006). Chronische Rückenschmerzen: Profitieren stärker chronifizierte Patienten weniger von der orthopädischen Rehabilitation? Tagungsband 100

102 des 15. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, DRV-Schriften Band 64, S , Bayreuth. 6) Dibbelt, S., Büschel, C. & Greitemann, B. (2004). Langfristige Effekte eines multimodalen Therapieprogramms bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Tagungsband des 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, DRV-Schriften, Band 52, S , Düsseldorf. 7) Dibbelt, S.; Greitemann, B. & Büschel, C. (2006). Nachhaltigkeit orthopädischer Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen - Das Integrierte Orthopädisch-Psychosomatische Behandlungskonzept (IopKo). Eingereicht für Rehabilitation ; voraussichtliches Erscheinungsjahr: ) Frost, H.; Lamb, S.E., Klaber-Moffett, J.A., Fairbank, J.C.T. & Moser, J.S. (1998). A fitness programme for patients with chronic low back pain: 2-year-follow-up of a randomised controlled trial. Pain, 75, ) Guzman, J., Esmail, R., Karjalainen, K., Malmivaara, A., Irvin, E. and Bombardier, C. (2001). Multidisciplinary rehabilitation for chronic low back pain: systematic review, British Medical Journal, 322, ) Hildebrandt, J., Müller, G. & Pfingsten, M. (2005). Lendenwirbelsäule. München: Urban & Fischer. 11) Klaber-Moffet, J.A., Torgerson, D., Bell-Syer, S., Jackson, D., Llewlyn-Phillips, H., Farrin, A.& Barner, J. (1999). Randomised controlled trial of exercise for low back pain: clinical outcomes, costs, and preferences. British Medical Journal, 319, ) Klaber-Moffett, J.A.(1986). A controlled, prospective study to evaluate the effectiveness of a back school in the relief of chronic low back pain. Spine, 11, (2), ) Knörzer,J. Presl.R, Stern,H.; Müller-Fahrnow,W., Hansmeier, T.; Landau,K.; Brauchler,R.; Sinn- Behrendt,A.; Bopp,V. (2005). Orientierender Überblick über Strukturen, Inhalte, erste Studienergebnisse zur medizinisch-berufsorientierten Rehabilitation für orthopädische Rehabilitanden. Tagungsband des 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums. S , Hannover. 14) Kohlmann, T. &Schmidt, C.O. (2005). Epidemiologie des Rückenschmerzes. In J. Hildebrandt, M. Pfingsten (Hrsg.), Lendenwirbelsäule (S. 3-13). München: Urban und Schwarzenberg 15) Müller-Fahrnow, W. Knörzer, J., Muraitis,A., Möllmann, C., Streibelt,M., Hansmeier, T. (2005). Ergebnisevaluation der medizinisch-beruflich orientierten (MBO) Rehabilitation von MSK-Patienten. Tagungsband des 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums. S , Hannover. 16) Pfingsten, M. & Hildebrandt, J. (2001). Die Behandlung chronischer Rückenschmerzen durch ein intensives Aktivierungskonzept (GRIP) - eine Bilanz von 10 Jahren. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther, 36(9), pp ) Schimpf, S., Müller-Fahrnow, W. & Ostermann, H.W. (2004). Die berufliche Situation von psychisch beeinträchtigten MSK Patienten im Vergleich zu einer Patientengruppe ohne psychische Komorbidität. 13. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium: Selbstkompetenz Weg und Ziel der Rehabilitation vom 8. bis 10. März 2004 in Düsseldorf. DRV-Schriften, Bd. 52, S ) Schöttler, M. & Kühn, W. (2004). Die Bedeutung sozialmedizinischer Prädiktoren der Chronifizierung für Selbst- und Fremdeinschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei chronischen Rückenschmerzen. 13. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium: Selbstkompetenz Weg und Ziel der Rehabilitation vom 8. bis 10. März 2004 in Düsseldorf. DRV-Schriften, Bd. 52, S ) Slangen, K., Kolip, P., Schmidt, B., Rosowski, E., Czujekt, J. & Greitemann, B. (2002). Aktive Patientenbeteiligung in der Rehabilitation. Weihnheim: Juventa. 20) Streibelt, M. (2006). Einflussfaktoren auf den Erfolg stationärer orthopädischer Rehabilitation: Prädiktoren eines Return to Work in good health. Tagungsband des 15. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums, S , Bayreuth. 21) van Tulder, Maurits W., M.W.; Koes, B.W., Bart.W., Bouter, L.M. & Lex, M. (1997). Conservative treatment of acute and chronic non-specific low back pain. Spine, 22, ) Vetter, C.; Küsgens, I. & Bonkass, F. (2005). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr In Badura,B.; Schellschmidt, H. & Vetter, C. (Hrsg.) Fehlzeiten-Report Arbeitsplatzunsicherheit und Gesundheit. (S ). Berlin: Springer. 23) Waddell, G. (1998). The back pain revolution. Churchill Livingstone, Edinburgh. 24) Wheeler, A.H. (1995). Evolutionary Mechanisms in Chronic Low Back Pain and rationale for treatment. American Journal of Pain Management, 5, (2),

103 Diagnostik von Reha-Motivation - Entwicklung eines mehrdimensionalen Messverfahrens für die Rehabilitationswissenschaft und Praxis Förderkennzeichen: GfR02001 Förderer: Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen (GfR) Projektleiter: Fritz A. Muthny, Institut für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Münster (UKM) Wiss. Mitarbeiter: Rolf Fiedler, Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Münster (UKM) Matthias Richter, Institut für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Münster (UKM) Laufzeit: Hintergrund Dass motivationale Voraussetzungen und Prozesse wesentliche Einflussfaktoren für den Verlauf und den Erfolg von Rehabilitationsmaßnahmen sind, ist inzwischen weitgehend Konsens (z.b. Guthrie & Harvey, 1994, Hafen et al., 2000, Reusch et al, 2004), ebenfalls die Erkenntnis, dass diese den Prozess der beruflichen Wiedereingliederung maßgeblich beeinflussen. Die Reha-Motivation stellt konzeptionell den Spezialfall der Behandlungs- oder auch Therapiemotivation dar, im Kontext der Rehabilitation wird entsprechend von Reha-Motivation gesprochen. Die Bedeutung von Motivation in der Rehabilitation wird nicht nur aus therapeutischer Sicht, sondern auch unter rechtlichen und ökonomischen Aspekten immer wieder betont. Am häufigsten als theoretische Grundlagen für motivationale Prozesse im Zusammenhang mit Rehabilitation werden diskutiert: das Transtheoretische Modell (Prochaska & DiClemente (1984) beschreibt die Bereitschaft zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung und folgende Handlungsschritte in einem Prozess von fünf Phasen: precontemplation, contemplation, preparation, action and maintainance ) und die Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1997): Die Motivation wird indirekt über Prozesse der Selbstbewertung und vor allem durch die wahrgenommene Selbstwirksamkeit (SWK) beeinflusst, die sich förderlich auf die Anstrengung und Persistenz bei der Zielverfolgung auswirkt. Die Bedeutung der Erfassung motivationaler Faktoren zu Beginn oder im Vorfeld einer Reha-Maßnahme speist sich aus ihren möglichen Konsequenzen (Hafen et al., 2000): Verbesserung der differentiellen Zuweisung von Patienten zu bestimmten Behandlungsformen, Zuweisung zu Motivationsaufbautrainings bei Patienten mit motivationalen Defiziten und Verbesserung der Erfolgsbewertung der Behandlung. Zur Erfassung des Konstrukts standen zu Projektbeginn drei Instrumente zur Verfügung, die allerdings nur einen begrenzten Teil des Motivationsspektrums abdecken: Der Fragebogen zur Erfassung rehabilitationsbezogener Erwartungen und Motivationen 102

104 (FREM-17) von Deck et al. (1998), der Patienten-Fragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO) von Hafen et al. (2001) und der Fragebogen zur Erfassung motivationaler Bedingungen zur Vorhersage der Therapiemitarbeit (FEMB) von Kühn et al. (2001). Hauptziel war deshalb die ergänzende Erfassung relevanter Aspekte von Reha-Motivation, die von bisherigen Ansätzen noch nicht berücksichtigt worden sind, und theoretische Konstrukte mit klinischen Erfahrungen verbinden. 2. Untersuchungsmethodik Fragestellungen 1. Welches sind relevante Kognitionen im Zusammenhang mit dem Konstrukt Reha-Motivation - nach den Ergebnissen der Literatur und der Meinung von Experten? 2. Welche Items eignen sich zur angemessenen Abbildung dieser kognitiven Dimensionen? 3. Wie hängt die Reha-Motivation mit soziodemographischen Variablen und Parametern der Erkrankung zusammen? 4. Welche Zusammenhänge zeigen das Konstrukt bzw. die Skalen der Reha-Motivation mit anderen psychosozialen Konstrukten bzw. Skalen (vor allem Krankheitsverarbeitung, subjektiven Theorien, Behandlungszufriedenheit, emotionale Befindlichkeit, Gesundheits- und Reha-Status)? 5. Welche Zusammenhänge (im Sinne von konvergenter Validität) zeigen die neu entwickelten Skalen der Reha-Motivation mit bestehenden Skalen? Aus Gründen der Untersuchungsökonomie wurde die Querschnitt-Untersuchung gewählt, da sie ausreichend erschien, um die Fragen dieses ersten Schrittes (Ermittlung der Dimensionalität und Skalen-Reliabilität) zu beantworten. Die Patienten füllten den Fragebogen faktisch in der 1. oder 2. Woche der stationären Rehabilitation aus. Neben den neu entwickelten Reha-Motivations-Skalen und soziodemographischen Daten wurden die folgenden Inhaltsbereiche erfasst: Bestehende Reha-Motivationsskalen zum Instrumentenvergleich (Skalen 2 u. 6 des PAREMO; Hafen et al., 2001), relevante, dem Konstrukt Reha-Motivation nahe Inhaltsbereiche wie generelle Selbstwirksamkeit (GKE; Schwarzer, 1994) und schließlich Kriterien der erfolgreichen Adaptation: Angst und Depressivität (HADS-D; Herrmann, Buss & Snaith, 1995), Somatisierung (BSI; Franke, 2000) und der REHA-Status (IRES-min; Gerdes & Jäckel, 1995). Als Stichprobe wurden orthopädische Patienten gewählt, um relative Homogenität zu erreichen. Ein- und Ausschlusskriterien betrafen das Alter (zwischen 18 und 70 Jahre) und gutes deutsches Sprachverständnis. Stichprobe Die Gesamtstichprobe schloss 383 orthopädische Patienten in der Rehabilitation ein. Beide Geschlechter waren etwa gleich stark vertreten, das Durchschnittsalter lag bei ca. 52 Jahren. Familienstand (fast 3/4 verheiratet), Wohnsituation und Schulabschluss (78% mit Volksschulbildung, nur 11% mit Abitur bzw. Fachhochschulreife) dürften weitgehend repräsentativ für die Altersgruppe sein (s. ausführlicher bei Muthny et al., 2006). Der größte Teil der Patienten sind Arbeiter (41%) bzw. Angestellte (37%). Vor der Reha-Maßnahme waren 36% ganztags berufstätig, 9% mindestens halbtags. 10% waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos, 7% bezogen bereits eine EU- bzw. BU-Rente. 9% hatten einen Rentenantrag gestellt. 57% waren zum Zeitpunkt der Reha krank geschrieben, wobei die Krankschreibungszeiten der letzten 12 Monate von einem Tag bis zu einer ganzjährigen Krankschreibung variierten. Hauptträger der Reha- 103

105 Maßnahme war die LVA (50%) gefolgt von der BfA (33%). Immerhin 1/3 hatte bereits früher an einer Reha-Maßnahme teilgenommen (max. 7 frühere Reha-Maßnahmen), während es für fast 2/3 die erste Reha war. Bezüglich der medizinischen Hauptdiagnosen umfassen Hüft-Totalendoprothesen (Hüft-TEP) mit ca. 1/4 der Patienten den größten Anteil, gefolgt von Wirbelsäulen-Erkrankungen mit Op. (21%), konservativ behandelten WS-Erkrankungen (19%), Knie-TEP (14%) und chronische Schmerzpatienten (10%). 3. Ergebnisse 3.1 Reha-bezogene Vorsätze Unter den Vorsätzen, die die Patienten während der Reha einschätzten, steht nach Häufigkeit eine ausgesprochene Compliance-Orientierung im Vordergrund ( Ich habe mir fest vorgenommen, in der Reha alles genau so zu machen wie es vorgeschlagen wird und... die Anweisungen der Ärzte genau zu befolgen ), die von jeweils 93% der Rehabilitanden betont wird (s. Tabelle 1). Weitere Vorsätze beziehen sich auf die Vollständigkeit der Teilnahme an den Maßnahmen, aber auch darauf, sich alles genau erklären zu lassen. In letzterem Zusammenhang steht auch bei noch 3/4 der Rehabilitanden der Vorsatz, sich nicht nur genau zu informieren, sondern auch früh anzusprechen, wenn ich keine Besserung erlebe. Eine gewisse Selektivität in der Compliance wird bei 2/3 deutlich ( nur das zu machen, was mir gut tut ). Patienten sind an Information in den verschiedenen Kanälen interessiert, betonen aber auch den hedonistischen Aspekt ( in der Reha auch Spaß zu haben ). Immerhin 41% geben in ausgeprägter Form an, einen eigenen Weg in der Rehabilitation zu suchen und nicht nur die standardisierten Angebote umzusetzen. Tabelle 1: Reha-bezogene Vorsätze (n = 383) Vorgegebene Items (Auswahl mit relativ hoher Ausprägung) Ich habe mir fest vorgenommen,... Häufigkeiten in % starke/ sehr starke Ausprägungen * in der Reha alles genau so zu machen wie es vorgeschlagen wird. 93 die Anweisungen der Ärzte genau zu befolgen. 93 an allen Maßnahmen teilzunehmen, die mir vorgeschlagen werden. 90 mir alles genau erklären zu lassen. 83 mich über die geplanten Behandlungen genau zu informieren. 74 früh anzusprechen, wenn ich keine Besserung erlebe. 73 nur das zu machen, was mir gut tut. 69 alle Informationsveranstaltungen zu besuchen. 54 alles zu meiner Krankheit nachzulesen, was ich bekomme. 54 in der Reha auch Spaß zu haben. 54 meinen eigenen Weg der Rehabilitation zu finden. 41 * bezogen auf 5-er Skala mit 1 = gar nicht bis 5 = sehr stark zutreffend; Werte 4 und 5 addiert Faktorenanalytisch ergab sich nach formaler Struktur und inhaltlicher Interpretierbarkeit eine 3-Faktoren-Lösung: Ein erster Faktor ( Information und Aufklärung ) zeigt vor allem den Vorsatz, sich über die geplanten Behandlungen genau zu informieren (Markiervariable mit Ladung.82). Ein zweiter Faktor wird geprägt von der Absicht, nur das zu machen, was mich überzeugt (Markiervariable mit Ladung.81, Benennung der Skala als Eigener Weg/Autonomie ). In einem dritten Faktor schließlich kommen Compliance-Vorsätze zum Ausdruck (Markieritem Ich habe mir vorgenommen, in der Reha alles genauso zu machen, wie es vorgeschlagen wird ). Die Skalen zeigen in der Itemanalyse zufrieden stellende bis gute interne Konsistenzen und befriedigende Trennschärfen der Items (Tabelle 4). 104

106 3.2 Reha-bezogene Selbstwirksamkeit Die überwiegende Mehrheit der Patienten betont die Bedeutung einer aktiven Mitarbeit bei den Reha- Maßnahmen und damit auch die Selbstwirksamkeit. Aktive Mitarbeit fördert nach diesen Einstellungen vor allem die baldige Teilnahme am normalen Leben, das Bald-wieder-fit-werden, den Spaß am Leben und den Stolz auf das in der Reha Erreichte.. (über 3/4 der Befragten, die dies in starker Ausprägung bestätigen, s. Tabelle 2). Die Wiederaufnahme der Arbeit steht für 72% ausdrücklich im Zusammenhang mit einer aktiven Rolle in der Reha und ist so auch ein wichtiges Motiv. 2/3 der Befragten sehen aber auch noch Zusammenhänge zwischen aktiver Mitarbeit und der Besserung der Stimmung, einer besseren Zukunftsplanung, besseren Möglichkeiten Hobbys nachzugehen und insgesamt einer höheren Wahrscheinlichkeit, wieder wie früher zu sein. Tabelle 2: Reha-bezogene Selbstwirksamkeit (n = 383) Vorgegebene Items (Auswahl mit relativ hoher Ausprägung) Ich bin überzeugt, dass ich durch aktive Mitarbeit bei den Reha- Maßnahmen erreichen kann, dass... Häufigkeiten in % starke und sehr starke Ausprägungen * ich bald wieder am normalen Leben teilnehmen kann. 80 ich bald wieder körperlich fit bin. 78 das Leben wieder mehr Spaß macht. 77 ich stolz auf das in der Reha Erreichte sein kann. 75 ich eher wieder die Arbeit aufnehmen kann. 72 sich auch meine Stimmung wieder bessert. 69 ich bald wieder in die Zukunft planen kann. 68 ich wieder meinen Hobbys besser nachgehen kann. 68 ich bald wieder wie früher sein werde. 68 * bezogen auf 5er-Skala von 1 = gar nicht bis 5 = sehr stark; starke und sehr starke Ausprägungen addiert Als Ergebnis der Faktorenanalyse erscheint hier die 2-Faktoren-Lösung mit 67% Varianzausschöpfung statistisch angemessen und lässt sich auch gut inhaltlich interpretieren (s. Muthny et al., 2005a). So zeigt sich im ersten Faktor die Motivation, wieder am normalen Leben teilnehmen zu können als Markiervariable und kennzeichnet die Rückkehr zu alltäglichen Aktivitäten als wesentlichen Inhalt dieses Faktors, der daher mit Aktive Mitarbeit für normales Leben benannt wurde. Der zweite Faktor fasst Items zusammen, die die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass eine aktive Mitarbeit in der Rehabilitation auch die Stimmung wieder verbessert (entsprechende Markiervariable). Wie Tabelle 4 zeigt, verfügen die Scores über eine gute interne Konsistenz (Cronbach s Alpha.86 bzw..87). 3.3 Reha-bezogene Befürchtungen Befürchtungen spielen in den Reha-bezogenen Kognitionen der Rehabilitanden eine relativ untergeordnete Rolle. In starker Ausprägung befürchten Patienten noch am ehesten, sich mehr zuzumuten als ihnen gut tut, zu ehrgeizig an die Maßnahmen heranzugehen, das Klagen anderer Patienten unangenehm zu finden und ungeduldig zu werden bis sich die erhoffte Wirkung einstellt (jeweils 11-13% der Patienten, s. Tabelle 3). Resignative Voreinstellungen ( dass die Reha schließlich doch nichts bringt bzw. dass der Rentenantrag wegen der Reha nicht bewilligt wird ) spielen mit je 4% der Patienten zahlenmäßig eine eher untergeordnete Rolle, ebenso wie die noch seltenere Antizipation von Enttäuschung, negativen Effekten oder der Befürchtung, sich bei den Maßnahmen eventuell blamieren zu können. 105

107 Tabelle 3: Reha-bezogene Befürchtungen (n = 383) Vorgegebene Kategorien Ich fürchte, dass... gar nicht/ wenig Häufigkeiten in % mittel stark/ sehr stark ich mir mehr zumute als mir gut tut ich zu ehrgeizig an die Maßnahmen herangehe mir das Klagen der Patienten auf die Nerven geht meine Geduld auf eine harte Probe gestellt wird die Reha wenig auf meine Wünsche eingeht die Reha schließlich doch nichts bringt mich die vielen kranken Menschen deprimieren mein Rentenantrag wegen der Reha nicht bewilligt wird Vergünstigungen als Schwerbehinderter wegfallen die Reha zu anstrengend für mich wird ich nicht die richtigen Therapien bekomme mir zu viele Vorschriften gemacht werden ich in der Reha enttäuscht werde ich mich bei den Maßnahmen blamieren könnte ich mich in der Reha noch kränker fühle als ich bin * bezogen auf 5er-Skala von 1 = gar nicht bis 5 = sehr stark; starke und sehr starke Ausprägungen addiert Hier erscheint faktorenanalytisch die 3-Faktoren-Lösung formal und inhaltlich sinnvoll und schöpft ca. 55% der Varianz aus (s. Muthny et al., 2005b). Ein erster Faktor fasst Befürchtungen betreffs Konfrontation mit Kranken zusammen (Markieritem Ich befürchte, dass mich die vielen kranken Menschen deprimieren ). Ein zweiter Faktor subsumiert die Befürchtungen, soziale Nachteile durch die Rehabilitation in Kauf nehmen zu müssen (Markieritem Ich befürchte, dass meine Vergünstigungen als Schwerbehinderter wegfallen bzw.... dass mein Rentenantrag wegen der Reha nicht bewilligt wird ). Dieser Faktor umfasst aber auch resignative Elemente ( dass die Reha schließlich doch nichts bringt und dass die Reha weniger auf meine Wünsche eingeht ). Ein dritter Faktor schließlich thematisiert Befürchtungen, sich in der Reha selbst zu überfordern und sich ggf. mehr zuzumuten als mir gut tut. Auch hier zeigt die faktorenanalytisch begründete Summenskalen-Bildung zumindest für 2 Skalen eine gute interne Konsistenz (s. Tabelle 4). Charakteristika der neu gebildeten Skalen im Überblick Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse der Score-Bildung und die für weitere Analysen zur Verfügung stehenden Summenscores, ihre Verteilungscharakteristika und internen Konsistenzen. Während die letzteren mit Cronbach s Alphas über.70 auch bei den neu gebildeten Skalen als zufrieden stellend bis gut gelten können (einzige Ausnahme der Score Soziale Nachteile durch die Reha ), sind die Verteilungen nicht überall befriedigend, so einige Überzeugungsskalen eher linksschief, Befürchtungsskalen eher rechtsschief. Auch im Vergleich mit den bestehenden Skalen (FREM-17 und PAREMO) zeigen die neu gebildeten Scores akzeptable Skaleneigenschaften. Tabelle 4: Liste aller Scores zu Reha-Motivation (n = 383) Skalen Reha-Motivation n Items MW s Cronbach s a VORSATZ1 (Information/Aufklärung) 5 3,93 0,70.79 VORSATZ2 (Eigener Weg) 5 3,09 0,

108 Skalen Reha-Motivation n Items MW s Cronbach s a VORSATZ3 (Anweisungsbefolgung) 3 4,55 0,53.80 R-SWK1 (Aktive Mitarbeit für normales Leben) 5 4,09 0,82.87 R-SWK2 (Aktive Mitarbeit für verbesserte Stimmung) 5 3,89 0,84.86 FUERCH1 (Unangenehme Konfrontation mit Kranken) 6 1,55 0,58.81 FUERCH2 (Soziale Nachteile durch Reha) 4 1,50 0,61.67 FUERCH3 (Überforderung in der Reha) 3 2,04 0,89.75 PAREMO Skala 2 (Änderungsbereitschaft) 8 2,42 0,59.76 PAREMO Skala 6 (Eigeninitiative und Wissen) 6 2,76 0, Korrelative Zusammenhänge der Skalen der Reha-Motivation Relativ hohe Korrelationen zeigen sich naturgemäß innerhalb eines Inhaltsbereichs (z.b. korrelieren die beiden Skalen der Reha-bezogenen Selbstwirksamkeit mit r =.64), aber auch Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bereichen werden sichtbar, z.b. zwischen Befürchtungen ( soziale Nachteile durch Reha ) und Selbstwirksamkeit (r = -.35). Allerdings kann keine Redundanz der Skalen konstatiert werden. Konvergente Validität Die Zusammenhänge mit den beiden ausgewählten PAREMO-Skalen sind gering bis mäßig-gradig ausgeprägt, relativ am höchsten zwischen dem Vorsatz Information/ Aufklärung und der Skala 6 ( Eigeninitiative und Wissen ) des PAREMO (r =.31). Die Ergebnisse zeigen, dass mit den neu entwickelten Skalen offensichtlich andere Inhaltsbereiche erfasst werden und wenig Redundanz mit bestehenden Instrumenten besteht. Zusammenhänge zwischen neu gebildeten Reha-Motivations-Skalen und Outcome- Kriterien Die Zusammenhänge zwischen den Reha-Motivations-Skalen und zentralen Outcome-Kriterien der Rehabilitation sind in Tabelle 5 dargestellt. Dabei zeigen sich vergleichsweise geringe Zusammenhänge zwischen Reha-Motivation und Outcome, relativ am höchsten zwischen der Überzeugung, dass aktive Mitarbeit in der Reha zu einem baldigen normalen Leben beiträgt und den generalisierten Selbstwirksamkeitserwartungen (r =.31), sowie zwischen den Rehabezogenen Befürchtungen und allgemeinen Ängsten, wie sie im HADS-D erfasst wurden (r =.30). Zum Vergleich sind auch die entsprechenden Korrelationen der PAREMO-Skalen dargestellt, die ebenfalls begrenzte Zusammenhänge mit den Kriterien zeigen. Tabelle 5: Korrelation der Reha-Motivations-Skalen mit Outcome-Kriterien (n = 383) Skalen Reha-Motivation IRES gesamt Selbstwirksamkeit (GKE) BSI Somatisierung HADS-D Angst HADS-D Depression VORSATZ1.16 **.16 **.12 * VORSATZ2.13 * VORSATZ3.11 * R-SWK1.20 **.31 **.12 *.22 **.25 ** R-SWK2.18 ** FUERCH1.15 **.15 **.23 **.25 ** FUERCH2.24 **.19 **.21 **.30 **.26 ** FUERCH3.12 *.12 *.20 **.23 **.20 ** 107

109 Skalen Reha-Motivation IRES gesamt Selbstwirksamkeit (GKE) BSI Somatisierung HADS-D Angst HADS-D Depression PAREMO Skala 2.19 **.17 **.13 * PAREMO Skala 6.13 *.11 * Pearson r, * = p <.05, ** = p <.01, *** = p <.001; nur Koeffizienten mit p <.05 dargestellt 3.5 Zusammenhänge mit Stichprobenmerkmalen Zusammenhänge der Rehamotivations-Scores mit Alter und Bildung zeigen sich kaum (insgesamt sind nur 2 von 24 Koeffizienten signifikant und dies nicht substantiell). Die Krankheitsdauer hängt nicht mit den Skalen der Reha-Motivation zusammen. Geschlechtsunterschiede lassen sich ebenfalls nicht nachweisen. Bezüglich der Diagnosegruppen zeigen sich ebenfalls nur wenige signifikante Unterschiede, allerdings ist dies auch durch die relativ kleinen orthopädischen Subgruppenstichproben bedingt. So ist die Einschätzung der Bedeutung der aktiven Mitarbeit für den Reha-Erfolg (im Sinne Reha-bezogener Selbstwirksamkeit) bei den Arthritis-Patienten hochsignifikant geringer als bei fast allen anderen Gruppen (p <.001), am stärksten ist hier der Kontrast zu den Knie-TEP-Patienten und den Wirbelsäulenoperierten. 4. Zusammenfassung und Diskussion Aufgrund der bestehenden Defizite in der Erfassung der (allgemein als wichtig erachteten) Reha- Motivation wurden neue Inhaltsbereiche erschlossen (s. auch Muthny et al., 2006). Die Skalenentwicklung erfolgte sowohl induktiv wie auch vor dem Hintergrund zweier Theorien, nämlich des Transtheoretischen Modells (Prochaska & DiClemente, 1984) und der Theorie der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1997). Erfahrene Rehabilitationsärzte und Rehabilitationspsychologen beschrieben die ihrer Meinung nach relevantesten Aspekte der Reha-Motivation und formulierten entsprechende Items aus Patientenperspektive. Dieser erste Itempool wurde in interdisziplinären Sitzungen gesichtet, von groben Redundanzen befreit und nach Verständlichkeit und Eindeutigkeit der Aussage selektiert. In der Gesamtstichprobe von 383 orthopädischen Patienten lag das Durchschnittsalter bei ca. 52 Jahren, beide Geschlechter waren etwa gleich stark vertreten. Die Schulbildung (78% mit Volksschulbildung, 11% mit Abitur bzw. Fachhochschulreife) dürfte für die Altersgruppe weitgehend repräsentativ sein. Vor der Reha-Maßnahme waren immerhin 36% ganztags berufstätig gewesen, 7% bezogen bereits eine EU- bzw. BU-Rente. Hauptträger der Reha-Maßnahme waren LVA (50%) und BfA (33%). Die Grunderkrankungen betrafen vor allem die Wirbelsäule (21% Rückenschmerzen mit Zustand nach Wirbelsäulen-Op., 19% ohne Op.), Erkrankungen der Hüfte (25% Hüft-TEP) bzw. des Kniegelenks (14% Knie-TEP) und rheumatische Erkrankungen bzw. chronische Schmerzen (10%). Viele Patienten hatten bereits eine längere Anamnese, speziell Schmerz-Anamnese. Damit wurde eine für die orthopädische Rehabilitation typische (wenn auch nicht repräsentative) Stichprobe beforscht und an ihren Ergebnissen die Instrumentenentwicklung geleistet. Die faktorenanalytisch gebildeten Skalen weisen gute interne Konsistenzen bzw. Trennschärfen der Items auf und umfassen die folgenden Bereiche: Vorsätze (3 Skalen: Information/Aufklärung, Eigener Weg, Anweisungsbefolgung ) Reha-bezogene Selbstwirksamkeit (2 Skalen: Aktive Mitarbeit für normales Leben und Aktive Mitarbeit für verbesserte Stimmung ) und Befürchtungen (3 Skalen: Unangenehme Konfrontation mit Kranken, Soziale Nachteile durch Reha und Überforderung in der Reha ). Bezüglich der konvergenten Validität wurden nur geringe Zusammenhänge mit den beiden ausgewählten PAREMO-Skalen ( Änderungsbereitschaft und Eigeninitiative und Wissen ) nachgewiesen, so dass offensichtlich andere Inhaltsbereiche erfasst werden, die nicht redundant mit den bestehenden sind. Erwartungsgemäß erwies sich der Zusammenhang zwischen generalisierter Kompetenzerwartung (GKE) und Reha-bezogener Selbstwirksamkeit mit max. r =.31 als so schwach, dass ein ausschließ- 108

110 licher Einsatz entsprechender generischer Instrumente für die Ziele der Rehabilitationsforschung nur begrenzt nützlich erscheint (s. auch Muthny et al., 2005a). Ein ähnlicher Sachverhalt zeigte sich bereits früher in einem verwandten Konzept, nämlich im Hinblick auf die generischen und erkrankungsspezifischen Kontrollüberzeugungen (vgl. Krampen, 1987, Lohaus & Schmitt, 1989). Demgegenüber zeigen erkrankungsbezogene Instrumente der Selbstwirksamkeit in der Literatur hohe Interkorrelationen (z.b. r =.62 bei Stevens et al., 2005). Zusammenhänge zwischen den Reha-Motivations-Skalen und zentralen Outcome-Kriterien der Rehabilitation sind vergleichsweise gering, relativ am höchsten zwischen Reha-bezogenen Befürchtungen sind Angst und Depression (wie im HADS-D erfasst). Geschlechtsbezogene Unterschiede der Reha-Motivations-Skalen zeigen sich nicht. Zusammenhänge der Reha-Motivations-Scores mit Alter, Bildung und Krankheitsdauer liegen ebenfalls kaum über dem Zufallsniveau und sollen daher nicht interpretiert werden. Im Vergleich verschiedener orthopädischer Erkrankungen zeigt sich die Reha-bezogene Selbstwirksamkeit bei den Arthritis-Patienten hochsignifikant geringer als bei fast allen anderen Gruppen, am stärksten ist hier der Kontrast zu den Knie-TEP-Patienten und den Wirbelsäulenoperierten. Für eine Umsetzung der Erkenntnisse in der Praxis kommt auch den maßnahmenspezifischen Aspekten Bedeutung zu. So weisen Faller & Vogel (2006) darauf hin, dass die Erwartungen des Rehabilitanden in Bezug auf die Wirksamkeit der angewandten Methoden und der persönlich gesetzten Ziele sich auf das tatsächlich erzielte Rehabilitationsergebnis auswirken. In ihrer entsprechenden Studie kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Patienten (Stichprobe chronischer Rückenschmerz) dabei vor allem hohe Erwartungen an unspezifische bzw. biomedizinische Maßnahmen knüpften. Geringer fielen die Erwartungen bei eher aktiven Maßnahmen wie etwa körperlichem Training sowie psychotherapeutischen bzw. edukativen Maßnahmen aus. Als möglichen Grund hierfür führen sie aufgrund ihrer Befunde Angst vor Verstärkung der Schmerzen durch Überlastung oder Überforderung an. Eine aktive Mitarbeit, bedingt durch die Erwartung, dass dadurch auch Erfolge erzielt werden können, ist dabei Prädiktor für das tatsächliche Erreichen eben dieser erwarteten Erfolge. Dies entspricht den zentralen Annahmen von Bandura (1997) und wurde auch von Dohnke et al. (2006) anhand ihrer entsprechenden Ergebnisse mit orthopädischen Patienten diskutiert. Die Rehabilitanden hatten dabei weniger körperliche Beschwerden bei Entlassung, je besser das Behandlungsergebnis erwartet und je höher die Selbstwirksamkeit bei Reha-Beginn eingeschätzt wurde. In diesem Sinne lässt sich auch das Ergebnis aus der psychosomatischen Rehabilitation sehen, dass hierbei das Rentenbegehren eine wichtige Rolle (negative) spielt (Zwerenz & Beutel, 2006; Deck, 2006). Insgesamt liegt mit den Reha-bezogenen Kognitionen ( REHAKOG ) ein Instrument vor, das eine gute inhaltliche Ergänzung zu den bestehenden Instrumenten der Reha-Motivation leistet und gute Testgütekriterien aufweist. Allerdings erscheint die weitere Prüfung in Längsschnitt-Untersuchungen als Prädiktor für vielfältige Parameter des Reha-Outcomes (auch speziell die Rückkehr zur Arbeit) erforderlich und die Untersuchung der Frage, inwieweit Reha-Maßnahmen die Reha-bezogenen Kognitionen aktuell beeinflussen bzw. künftig zum Günstigen verändern können. Literaturverzeichnis Bandura, A. (1997). Self-efficacy: the exercise of control. New York: Freeman & Co. Bloch, F.S. & Priens, R. (Hrsg.) (2001). Who Returns to Work and Why? A Six-Country Study on Work Incapacity and Reintegration. London: Transaction Publishers. Deck, R. (2006). Erwartungen und Motivation von Patienten in der medizinischen Rehabilitation. In: R. Nübling, FA. Muthny & J. Bengel (Hrsg.), Reha-Motivation und Behandlungserwartung. S Bern: Huber. Deck, R., Zimmermann, M., Kohlmann, T. & Raspe, H. (1998). Rehabilitationsbezogene Erwartungen und Motivationen bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen. Rehabilitation, 37, Dohnke, B., Müller-Fahrnow, W. & Knäuper, B. (2006). Der Einfluss von Ergebnis- und Selbstwirksamkeitserwartungen auf die Ergebnisse einer Rehabilitation nach Hüftgelenkersatz. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 14, Faller, H. & Vogel, H. (2006). Erwartungen von Rückenschmerz-Rehabilitanden an die Methoden und Ergebnisse der Rehabilitation. In R. Nübling, FA. Muthny & J. Bengel (Hrsg.), Reha-Motivation und Behandlungserwartung. S Bern: Huber. Franke, G.H. (2000). Brief Symptom Inventory von L.R.Derogatis - deutsche Fassung. Göttingen: Beltz. 109

111 110 Gerdes, N. & Jäckel, W. (1995). Der IRES-Fragebogen für Klinik und Forschung. Die Rehabilitation, 34, XIII-XXIV. Guthrie, S. & Harvey, A. (1994). Motivation and its influence on outcome in rehabilitation. Reviews in Clinical Gerontology, 4, Hafen, K., Bengel, J., Jastrebow, J. & Nübling, R. (2000). Konzept und Dimension der Reha-Motivation. Prävention und Rehabilitation, 12, Hafen, K., Jastrebow, J., Nübling, R. & Bengel, J. (2001). Entwicklung eines Patientenfragebogens zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO). Die Rehabilitation, 40, Herrmann, C., Buss, U. & Snaith, R.P. (1995). HADS-D Hospital Anxiety and Depression Scale deutsche Version: Ein Fragebogen zur Erfassung von Angst und Depressivität in der somatischen Medizin. Bern: Huber. Krampen, G. (1987). Entwicklung von Kontrollüberzeugungen: Thesen zu Forschungsstand und Perspektiven. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 19, Kühn, A., Pannicke, L., Mohs, A. & Schneider, H. (2001). Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung motivationaler Bedingungen zur Vorhersage der Therapiemitarbeit von LVA- Versicherten während stationärer medizinischer Rehabilitation Erste Ergebnisse der Skalenentwicklung. Rehabilitation, 40, Lohaus, A., Schmitt, G.M. (1989). Fragebogen zur Erhebung von Kontrollüberzeugungen zu Krankheit und Gesundheit (KKG). Göttingen: Hogrefe. Muthny, F.A., Fiedler, R., Richter, M., Schweidtmann, W. & Wiedebusch, S. (2006). Reha-bezogene Kognitionen (REHAKOG): Vorsätze, Selbstwirksamkeitserwartungen und Befürchtungen. In R. Nübling, FA. Muthny & J. Bengel (Hrsg.), Reha-Motivation und Behandlungserwartung. S Bern: Huber. Muthny, F.A., Fiedler, R., Richter, M., Wiedebusch, S. (2005a): Reha-bezogene Selbstwirksamkeitserwartungen (R-SWK) Testentwicklung, Reliabilität und Validität. Erscheint in Praxis der klinischen Verhaltensmedizin. Muthny, F.A., Fiedler, R., Richter, M., Wiedebusch, S. (2005b): Reha-bezogene Befürchtungen Testgütekriterien eines neu entwickelten Instruments. Eingereicht für Prävention und Rehabilitation. Prochaska, J.O. & DiClemente, C.C. (1984). The transtheoretical approach: Crossing traditional boundaries of therapy. Homewood: Dow Jones/Irwin. Reusch, A., Ströbl, V. & Faller,. H. (2004). Motivation zu Gesundheitsverhalten in der somatischen Rehabilitation. In F. Petermann & I. Ehlebracht-König (Hrsg.), Motivierung, Compliance und Krankheitsbewältigung. S Regensburg: Roderer. Schwarzer, R. (1994). Optimistische Kompetenzerwartung: Zur Erfassung einer personellen Bewältigungsressource. Diagnostica, 40, Stevens, M., Van den Akker-Scheek, I. & Van Horn, J.R. (2005). A Dutch translation of the self-efficacy for rehabilitation outcome scale (SER): A first impression on reliability and validity. Patient Education and Counseling, 58, Zwerenz, R. & Beutel, ME.(2006). Entwicklung und Validierung des Fragebogens zur berufsbezogenen Therapiemotivation (FBTM). In R. Nübling, FA. Muthny & J. Bengel (Hrsg.), Reha-Motivation und Behandlungserwartung. S Bern: Huber.

112 Die Entwicklung eines Prozessdokumentationssystems für den Routineeinsatz in der stationären medizinischen Rehabilitation (Reha ProDok) Förderkennzeichen AZ Förderer Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen e.v. (GfR) Kooperation zwischen der Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin (Universitätsklinikum Freiburg) und der Klinik Münsterland (Bad Rothenfelde) Projektleiter Prof. Dr. Wilfried H. Jäckel, Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin (Universitätsklinikum Freiburg) Prof. Dr. Bernhard Greitemann, Klinik Münsterland (Bad Rothenfelde) Projektmitarbeiter Dr. Katja Meixner, Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin (Universitätsklinikum Freiburg) Dr. Marion Kalwa, Klinik Münsterland (Bad Rothenfelde) Laufzeit bis Einleitung Peer Review-Verfahren stellen eine der häufigsten Formen der externen Qualitätsbewertung im Gesundheitswesen dar [1] und haben im akutmedizinischen Bereich wesentlich zum Wissen über medizinische Fehler und vermeidbare Behandlungskomplikationen beigetragen [2]. Ein Peer Review beinhaltet eine Qualitätsbeurteilung durch Peers, also durch gleichgestellte Angehörige der jeweiligen Berufsgruppe (z.b. Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten). Die Bewertungsmaßstäbe sind dabei in der Regel in Form von Standards oder konsensuell abgestimmten Bewertungskriterien vorgegeben. Im Qualitätssicherungsprogramm der Rentenversicherungsträger wird ein Peer Review-Verfahren seit 1999 routinemäßig zur Erfassung der Prozessqualität für alle größeren Indikationsbereiche der medizinischen Rehabilitation eingesetzt [3]. Das Verfahren beruht auf einer Beurteilung der Leistungen einer Rehabilitationsklinik durch erfahrene Ärzte aus anderen Kliniken (Peers). Als Bewertungsgrundlage werden dabei anonymisierte Entlassungsberichte, ergänzt um patientenbezogene Therapiepläne, herangezogen [4,5]. Das Peer Review wird für alle stationären Rehabilitationseinrichtungen im Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherungsträger durchgeführt. Die Grundlage der Prüfung wird durch eine Checkliste qualitätsrelevanter Prozessmerkmale sowie ein dazugehöriges Manual mit indikationsspezifischen Bewertungskriterien gebildet. Über Ergebnisse der jüngsten Erhebungsrunde in den somatischen Indikationsbereichen wird in Farin et al. [6] berichtet. Mit der Implementierung des Peer-Review-Verfahrens wurden umfangreiche Anforderungen an die Dokumentation von Rehabilitationsprozessen eingeführt, die zusätzlich zu den Vorgaben zur Erstellung eines Entlassberichts zu berücksichtigen sind. Dies erhöht den Aufwand für die Dokumentation und wird von Praktikern häufig als Kritikpunkt am Peer Review vorgebracht. Aus diesem Grund erschien es notwendig nach Möglichkeiten und Konzepten zu suchen, die den Dokumentationsprozess entlasten. Mit der Entwicklung eines Prozessdokumentationssystems für den Routineeinsatz in der stationären medizinischen Rehabilitation (RehaProDok) will das vorliegende Projekt dazu einen Beitrag leisten. 111

113 Zielsetzung des Projekts RehaProDok stellt einen Vorschlag für die Struktur und die Inhalte eines routinemäßig in der Indikation Muskuloskelettale Erkrankungen einsetzbaren Dokumentations-Moduls dar. Somit ist Reha- ProDok als Lastenheft für die Dokumentation von Rehabilitationsprozessen zu verstehen. Bei der Entwicklung des Instrumentariums wird berücksichtigt, dass eine Übertragung auf andere Indikationsbereiche möglich ist. Innerhalb des Peer-Review-Verfahrens bleibt unter Einsatz von RehaProDok das Manual zur Checkliste qualitätsrelevanter Prozessmerkmale als Bewertungsgrundlage bestehen. Durch das standardisierte Abfragen der qualitätsrelevanten Prozessmerkmale mit RehaProDok wird also keine neue Bewertungsgrundlage implementiert. Vielmehr soll durch RehaProDok die Qualitätssicherung im Dokumentationsprozess unterstützt werden. Die Einbindung in das bestehende Klinikinformationssystem ermöglicht es einerseits, bestehende Informationen neu zu verknüpfen, um einen Informationsgewinn zu erreichen, und andererseits soll die Doppelerfassung von Informationen durch die Strukturvorgaben von RehaProDok vermieden werden. Zudem ist es ein Ziel, durch RehaProDok die Struktur der Dokumentation von Behandlungsprozessen an die Terminologie der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit anzupassen, um eine Implementierung der für die Rehabilitation wichtigen ICF-Begrifflichkeit in den Rehabilitationsprozess zu erreichen. Die Grundstruktur von RehaProDok ist die Bündelung aller qualitätsrelevanten Prozessmerkmale, um eine adressatenorientierte Prozessdokumentation zu erstellen. Dabei werden als Adressaten die Deutsche Rentenversicherung als Leistungsträger (E-Bericht) und als Institution der Qualitätsüberprüfung (Peer-Review-Verfahren) sowie niedergelassene Ärzte ( Kurzbrief ) betrachtet. Input für den vorliegenden Entwurf von RehaProDok geben der Leitfaden zum einheitlichen Entlassungsbericht in der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung (2001) sowie das Manual Peer Review Checkliste und Manual Somatische Indikationsbereiche (2002). Die Vorgaben des RehaProDok können als Grundlage für eine paper-pencil oder eine EDV-gestützte Dokumentation dienen. RehaProDok wird optimal genutzt, wenn eine Implementierung in das gesamte EDV-gestützte Klinikinformationssystem, das z.b. aus Basisdaten-, Terminvergabe- oder Labor-Modulen bestehen kann, stattfindet. Dadurch kann RehaProDok im System bestehende Informationen automatisiert übernehmen und ggf. neu verknüpfen. Ohne zusätzlichen Mehraufwand im Dokumentationsprozess können auf diese Weise qualitätsrelevante Prozessmerkmale (z.b. Anzahl der Visiten im individuellen Behandlungsverlauf) abgebildet werden. Die Integration in das Klinikinformationssystem stellt somit sicher, dass Prozessmerkmale unabhängig vom jeweiligen Anforderungskontext (z.b. Peer Review, Erstellung Entlassbericht) nur einmal dokumentiert werden. Auf dieser Grundlage kann nach Abschluss des Behandlungsprozesses eine adressatenorientierte Dokumentation, z.b. die bewertungsrelevanten Merkmale für das Peer-Review-Verfahren für den Begutachtungsprozess, exportiert bzw. ausgedruckt werden. Projektablauf In der ersten Projektphase wurde in Kooperation zwischen AQMS und Klinik Münsterland der Entwurf für das Lastenheft des RehaProDok erarbeitet. Dazu wurden die Vorgaben zur Erstellung von Entlassungsberichten der Rentenversicherung sowie des Peer-Review-Manuals analysiert. Zudem konnten aufgrund der Erfahrung der Klinik Münsterland mit EDV-basierter Dokumentation einzelne zusätzliche qualitätsrelevante Prozessmerkmale definiert werden, die sich aus neuen Verknüpfungen von Informationen im Dokumentationssystem ergaben. Damit kann innerhalb der Prozessdokumentation ein Informationszugewinn erreicht werden, der im EDV-gestützten Dokumentationssystem automatisiert erstellt wird. Der Entwurf beinhaltet auch Vorschläge zur Weiterentwicklung von Prozessdokumentationen, wie z.b. der standardisierte Einsatz von Assessmentinstrumenten. Im Rahmen eines Expertenworkshops, an dem Chefärzte aus Rehabilitationskliniken sowie Vertreter der Deutschen Rentenversicherung teilnahmen, wurde der Entwurf RehaProDok zur Diskussion 112

114 gestellt. Dabei standen die folgenden Fragestellungen im Mittelpunkt: Gestaltung des RehaProDok unter Berücksichtigung der Dimensionen des Peer Review sowie der Terminologie des ICF (Abbildung 1). Zuordnung jedes Items der Peer Review-Checkliste in das Felder-Schema des RehaProDok. Definition der Operationalisierung für jedes Item der Peer Review-Checkliste im Lastenheft (z.b. Freitext, Auswahlfeld). Definition des Datenerfassungsprozesses für jedes Item der Peer Review-Checkliste (d.h. Wer ist für die Dateneingabe zuständig? z.b. Arzt, Therapeut, Verwaltung). Definition der Inhalte, die in einen Kurzbrief für den Hausarzt/Facharzt zu übernehmen sind. Abbildung 1: Felder-Schema des RehaProDok zur Symbolisierung des Behandlungsprozesses Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten und Partizipation Kontextfaktoren (Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren) Anamnese Diagnostik Behandlungsprozess Therapieziele Rehabilitations- Verlauf Klinische und Sozialmedizinische Epikrise Weiterführende Maßnahmen und Nachsorge Nach einer postalischen Befragung der Experten und der Überarbeitung des Entwurfs von RehaPro- Dok wird das Lastenheft fertiggestellt und eine EDV-technische Umsetzung in der Klinik Münsterland durchgeführt. Zur Validierung des Projektergebnisses werden Prozessdokumentationen, die mit RehaProDok erstellt wurden, erfahrenen Peers zur Begutachtung vorgelegt. Als Bewertungskriterien für den dokumentierten Behandlungsprozess gelten dazu die Vorgaben des Peer-Review- Manuals. Literatur 1 Shaw C. External assessment of health care. British Medical Journal 2001; 322: Brennan, T. A., Leape, L. L., Laird, N. M., Hebert, L., Localio, A. R., Lawthers, A. G., Newhouse, J. P., Weiler, P. C. & Hiatt, H. H. Incidence of adverse events and negligence in hospitalized patients. Results of the Harvard Medical Practice Study I. New England Journal of Medicine 1991; 324: Egner U, Gerwinn H, Schliehe F. Das bundesweite Reha-Qualitätssicherungsprogramm der gesetzlichen Rentenversicherung. Zeitschrift für Ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung 2002; 96:

115 4 Jäckel WH, Protz W, Maier-Riehle B, Gerdes N. Qualitäts-Screening im Qualitätssicherungsprogramm der gesetzlichen Rentenversicherung. Deutsche Rentenversicherung 1997; 9-10: Jäckel WH, Maier-Riehle B, Protz W, Gerdes N. Peer-Review: Ein Verfahren zur Analyse der Prozessqualität stationärer Rehabilitationsmaßnahmen. Die Rehabilitation 1997; 36: Farin E, Carl C, Lichtenberg S, Jäckel WH, Maier-Riehle B, Rütten-Köppel E. Die Bewertung des Rehabilitationsprozesses mittels des Peer Review Verfahrens: Methodische Prüfung und Ergebnisse der Erhebungsrunde 2000/2001 in den somatischen Indikationsbereichen. Die Rehabilitation 2003, 42,

116 Bericht des Methodenzentrums Bielefeld im NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Förderkennzeichen: Kooperationsvertrag vom Förderer: Deutsche Rentenversicherung Westfalen Projektleiterin: Juniorprofessorin Dr. Gabriele Berg (MSP), Universität Bielefeld Projektmitarbeiter: Dr. Marcus Kutschmann (Dipl.-Stat.), Universität Bielefeld Laufzeit: ab Zusammenfassung: Die Aufgabe des Methodenzentrums liegt in der Unterstützung, der Planung und Auswertung einzelner Studien bei epidemiologischen und statistischen Problemen. Zur nachhaltigen Sicherung der epidemiologischen und methodischen Qualität der Forschungsprojekte sind folgende Aspekte zu nennen: kontinuierliches Monitoring einzelner Projekte, gutachterliche Tätigkeiten, spezifische Beratung einzelner Projekte, Methodenworkshops in regelmäßigen Abständen sowie Mitarbeit in der nationalen Koordination und Bildung einer verbundübergreifenden AG Methoden. Es besteht eine rege Nachfrage nach den Dienstleistungen des Methodenzentrums Bielefeld. Aufgabe des Methodenzentrums ist einerseits die methodische Betreuung und andererseits die Bündelung von Kompetenzen und Vermeidung doppelter Arbeit in unterschiedlichen Projekten. 1. Einleitung Eine wichtige Voraussetzung für die hohe Qualität der Rehabilitationsforschung liegt in der adäquaten Nutzung epidemiologischer und statistischer Forschungsmethoden in den einzelnen Forschungsprojekten. Daher besteht die Aufgabe der Methodenberatung darin, bei der Planung und Auswertung einzelner Studien sowie epidemiologischen und statistischen Problemen Unterstützung zu leisten. 2. Ziel des Vorhabens Ziel der Methodenberatung ist es, die Forschungsprojekte aus den Teil- und Querschnittsprojekten im NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften bei epidemiologischen und statistischen Problemen und Fragestellungen zu unterstützen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die hohe Qualität der rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsprojekte. Anfänglich wurde die Methodenberatung nur durch das Methodenzentrum an der Abteilung Medizinische Psychologie der Universität Münster unter Leitung von Prof. Dr. Dr. F. A. Muthny durchgeführt. Seit Beginn 2001 wird die methodische Beratung auch im Methodenzentrum Bielefeld durch den Kooperationsvertrag mit der Deutschen Rentenversicherung Westfalen und der Universität Bielefeld, AG Epidemiologie & International Public Health (vormalig AG Epidemiologie und Medizinische Statistik) gewährleistet. Die Zusammenarbeit mit dem Methodenzentrum in Münster (Prof. Dr. Dr. F. A. Muthny und Dipl.-Psych. Mirjam Ostendorp, Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Münster) verlief stets zur vollsten Zufriedenheit. Es hat eine klare Arbeitsteilung gegeben, Methodenworkshops wurden gemeinsam organisiert und ein Informationsaustausch zwischen beiden Zentren fand statt. 115

117 Die Unterstützung durch das Methodenzentrum Bielefeld wird nicht nur im Rahmen der Auswertung einzelner Studien gewährleistet, sondern beginnt schon in der Planungsphase. So betrifft die Beratung und Unterstützung durch das Methodenzentrum neben der Planung und Durchführung der Projekte (z.b. Festlegung des Studiendesigns, Berechnung des Stichprobenumfangs), das Monitoring der Forschungsprojekte, die Formulierung statistischer Hypothesen, die Auswahl geeigneter statistischer Methoden und die Durchführung der Datenanalyse. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Projekte durch komplexe Erhebungsschemata, unvollständige Datenerfassung oder komplexe Modellierung gekennzeichnet sind. Neben der individuellen Projektberatung gehören zu den weiteren Aufgaben des Methodenzentrums die Organisation von Methodenworkshops sowie die Beteiligung an den Aktivitäten der AG Methoden des Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften. 3. Methoden und Arbeitsplan Die Verstetigung des Methodenzentrums Bielefeld ist über einen Kooperationsvertrag mit der Deutschen Rentenversicherung Westfalen gewährleistet. Daher wird es auch weiterhin möglich sein, die Arbeit im Sinne unseres Beratungskonzeptes durchzuführen, das sich aus folgenden Modulen zusammensetzt: Monitoring: Durch die Form der kontinuierlichen Betreuung, durch Operationalisierungspläne, die Zwischenberichte und die Rückantwortfragebögen können das Wissen über den Stand der Forschungsprojekte ausgebaut und somit nachfolgende Beratungen konkret durchgeführt werden. Gutachterliche Tätigkeiten beinhalten vorwiegend die Begutachtung methodischer Aspekte von Forschungsanträgen. Beratung in- und externer Projekte: Nicht nur Projekte aus dem NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften, sondern auch externe Projekte fragen nach methodischer Beratung. Methodenworkshops: In regelmäßigen Abständen finden methodische Workshops statt, um den Wissensstand der Forschungsnehmer in der Methodenlehre auszubauen. Dabei werden die Themen dieser Workshops den Bedürfnissen der Forschungsnehmer angepasst. Nationale Koordination: Die nationale Koordination ist im Rahmen der Forschungsverbünde sehr positiv verlaufen. Eine Verstetigung dieser Koordination wird gewünscht. So ist seitens der AG Methoden angedacht, sich als Arbeitsgruppe unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) zu etablieren. Ziel ist es, u.a. Workshop-Angebote weiter zu verbreiten, anfallende Arbeiten zu bündeln und die Methoden in den Rehabilitationswissenschaften weiterzuentwickeln. Erstellung von Manualen: Manuale werden gesucht, aufgebaut und weiterentwickelt, um nicht nur die Arbeit in der Beratung, sondern auch die Arbeit einzelner forschender Institute zu vereinfachen. Beispielhaft sei hier die GEP (Gute Epidemiologische Praxis) genannt. Erweiterung des Beratungsspektrums: Weiterhin ist zu erwähnen, dass seit der Gründung des NRW Pflegeforschungsverbundes das Beratungsspektrum der Mitglieder des Bielefelder Methodenzentrums nicht nur Fragestellungen der Rehabilitations-, sondern auch der Pflegeforschung umfasst. Des Weiteren besteht eine Zusammenarbeit mit dem Statistischen Beratungszentrum (StatBeCe) der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bielefeld. Diese Zusammenarbeit gestaltet sich so, dass medizinische bzw. epidemiologische Fragestellungen gegebenenfalls von den Mitarbeitern des Methodenzentrums Bielefeld bearbeitet werden können. Insgesamt dient dies einer Erweiterung des Kompetenzspektrums, was letztendlich auch den durch das Methodenzentrum Bielefeld betreuten Projekten aus der Rehabilitationsforschung zugute kommt. 116

118 4. Ergebnisse/erbrachte Leistungen 4.1 Methodenworkshops Folgende Methodenworkshops wurden im Berichtszeitraum in Zusammenarbeit mit dem Methodenzentrum Münster durchgeführt: Methodenworkshop 5: Methodenworkshop 6: Methodenworkshop 7: Methodenworkshop 8: Methodenworkshop 9: Assessment-Instrumente (am in Münster) Auswertungsstrategien aus Forschungsprojekten der Phase I 4 Projekte wurden vorgestellt und diskutiert ( in Münster). Studiendesign für klinische und epidemiologische Studien in der Rehabilitationsforschung Es fanden Vorträge statt über Planung, Powerberechnung, Studiendesign und das geplante Monitoring für Forschungsprojekte der Phase II. Im Rahmen des Workshops wurden Entscheidung über Art und Ablauf des Monitorings getroffen. 6 Forschungsprojekte der Phase II wurden vorgestellt und diskutiert ( in Bielefeld). How to write a paper Dabei handelte es sich um einen Workshop, der in englischer Sprache unter der Leitung von Frau Elisabeth Heseltine abgehalten wurde. Im Rahmen dieses Workshops wurden einzelne Aspekte im Aufbau eines Artikels für eine internationale wissenschaftliche Zeitschrift durch Vorträge vorgestellt und anhand von kleinen Gruppenarbeiten vertieft. Aufgrund eines im Anschluss verteilten Bewertungsbogens wurde ersichtlich, dass alle 14 Teilnehmer mit dem Aufbau und den Inhalten des Workshops zufrieden waren (08. bis in Bielefeld) Auswertungsstrategien (am in Bielefeld) Im Rahmen dieses Workshops wurden folgende Themen behandelt: 1. Grundprinzipien der Testkonstruktion und ihrer Anwendungen (Prof. Dr. Dr. F. A. Muthny) 2. Auswertungsstrategien in der Logistischen Regression (PD Dr. R. Bender) 3. Bericht über den Stand des Monitoring (M. Hetzer) Methodenworkshop 10: Chronische Erschöpfung Fatigue und Varianzanalyse (am in Münster) Methodenworkshop 11: Lineare Strukturgleichungsmodelle mit AMOS 5.0 (29. und in Bielefeld) Referent: Dr. Markus Wirtz vom Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Freiburg/Bad Säckingen Aufgrund der hohen Nachfrage konnte der zunächst auf zehn Teilnehmer begrenzte Workshop auf 17 Teilnehmer erweitert werden. Im Anschluss wurde der Kurs von allen Teilnehmern als gut bewertet. Vor allem Inhalt, Neuigkeitswert und Relevanz wurden positiv hervorgehoben. 117

119 Methodenworkshop 12: Darstellung der Methoden und Ergebnisse in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ( in Bielefeld) Referenten: Marcus Kutschmann (Methodenzentrum Bielefeld), Dr. Ingo Langner, (Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin), unter Mitarbeit von Dr. Corinna Lange (Münster), Dr. Thomas Schott (Bielefeld), Dr. Maibritt Witte (Wuppertal) Der Workshop gliederte sich in zwei Blöcke. Im Theorieteil wurden von Dr. Ingo Langner und Marcus Kutschmann vermittelt, wie der Aufbau und die Struktur des Methoden- und Ergebnisteils von Veröffentlichungen gestaltet sein sollten. Im Praxisteil wurden auf dieser Grundlage aktuelle Publikationsentwürfe mit den Workshopteilnehmern gemeinsam besprochen und diskutiert. Aufgrund der großen Nachfrage wurde die ursprünglich geplante Begrenzung auf 15 Teilnehmer dahingehend gelockert, dass 25 Personen am Workshop teilnehmen konnten. Dies machte eine Besprechung der vorgestellten Publikationsentwürfe in Kleingruppen erforderlich, ein Umstand, der zu einer intensiveren und damit effektiveren Diskussion der einzelnen Entwürfe beigetragen hat. 4.2 Durchführung des Monitorings Die Durchführung des Monitorings liefert einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der hohen Qualität der rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsprojekte. Mit Monitoring ist ein regelmäßiger Besuch bzw. Bericht der einzelnen Projektträger gemeint, in dem z.b. Fragen über das Studiendesign, zur Dokumentation oder zu sonstigen anfallenden Problemen aufgezeigt und im Anschluss geklärt werden können. Ziel ist es, als Schnittstelle zwischen den einzelnen Projekten zu fungieren, wiederkehrende Vorgänge in allen Projekten durch Operationalisierung zu standardisieren und zu vereinfachen, das vorhandene Wissen im NRW-Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften optimal einzusetzen sowie mögliche Probleme in den einzelnen Forschungsprojekten zeitnah zu erkennen und zu beheben. Folgende Aspekte werden im Monitoring berücksichtigt: Ausarbeitung eines Operationalisierungsplans Halbjährlicher Fragebogen zum Stand der Erhebung Review der Zwischenberichte für die Finanzgeber Jährlicher Vor-Ort-Termin durch das Methodenzentrum Das Monitoring begann im Juli Von den insgesamt sieben Forschungsprojekten, die epidemiologische Daten erheben, nahmen alle am Monitoring teil. Zu Beginn des Monitorings wurde von allen Projekten ein Operationalisierungsplan erstellt. Ein großer Vorteil ist darin zu sehen, dass durch die teilweise sehr umfangreichen Operationalisierungspläne, Zwischenberichte und Rückantwortfragebögen das Wissen über den Stand der Forschungsprojekte ausgebaut wurde und somit nachfolgende Beratungen konkreter durchgeführt werden konnten. Zudem wurde eine fundierte Unterstützung im Datenmanagement durch die Mitarbeit einer Dokumentarin gewährleistet. Ein weiterer Vorteil des Kontakts mit den Forschungsprojekten ist darin zu sehen, dass Themen für Methodenworkshops erfragt und diese Workshops dann möglichst zeitnah durchgeführt werden können. Eine zweite Runde, in der wiederum der Stand der Erhebung erfasst wurde, fand im Dezember 2002 statt. Im Juni 2003 startete die dritte Runde des Monitorings mit dem Versand des halbjährlichen Fragebogens. Wiederum wurde in einem Kurzfragebogen, der bei Bedarf an die Gegebenheiten und das Studiendesign des jeweiligen Projekts angepasst wurde, der Stand der Erhebung abgefragt. Im Wesentlichen ergaben sich Probleme wie zögerliche bzw. schleppende Patientenrekrutierung, hohe Abbrecherquoten und nicht erwartete Patientenaufteilung, Verzögerungen bei Genehmigungen sowie Terminschwierigkeiten bei Kooperationszentren. Für diese Probleme wurden individuell mit den einzelnen Projektleitern und mitarbeitern Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Im Januar 2004 begann die vierte Runde des Monitorings mit dem Versand des Fragebogens zum Stand der Erhebungen. Hier zeigte sich, dass die Erhebung in allen Projekten problemlos erfolgte. Die fünfte Monitoring- Runde wurde im Juni 2004 durchgeführt. Hier war allerdings zum ersten Mal ein unvollständiger 118

120 Rücklauf der Fragebögen zu verzeichnen: Nur vier von insgesamt sieben Fragebögen wurden an das Methodenzentrum zurückgesandt. Die sechste Runde des Monitorings startete im Dezember Diesmal erfolgte eine vollständige Rückmeldung aller sechs, noch nicht abgeschlossenen Projekte. Hier zeigte sich, dass zum Teil Beratungsbedarf bei der Datenauswertung sowie beim Abfassen der Forschungsberichte bestand. 4.3 Beitrag zum Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften Ein Treffen der AG Methoden des Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften fand während des 12. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums 2003 in Bad Kreuznach statt. Im Rahmen des Methodenworkshops der Rehaforschungsverbünde wurde ein Vortrag zum Thema Gute epidemiologische Praxis (GEP) in der Rehabilitationsforschung gehalten. Darüber hinaus erfolgte ein Austausch über die Aktivitäten der Methodenzentren in den einzelnen Forschungsverbünden. Ein weiteres Treffen der AG Methoden fand im Juni in Frankfurt statt. Hier wurde u.a. ein Vorschlag erarbeitet, dass sich die einzelnen Methodenzentren über den Ablauf des Monitorings in allen Methodenzentren austauschen sollten. Auch auf dem 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium 2004 in Düsseldorf fand ein Treffen der AG Methoden statt. Der Kontakt zu dem Förderschwerpunkt konnte in diesem Jahr auch konkret dazu genutzt werden, durch den dadurch vorhandenen Informationsaustausch interessante Workshops zu planen. So wurde Markus Wirtz vom Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Freiburg/Bad Säckingen gewonnen, der einen sehr guten, bereits mehrfach gehaltenen Workshop zum Thema Lineare Strukturgleichungsmodelle anbietet. Auf dem 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium 2005 in Hannover war das Methodenzentrum an der Meet-the-Expert -Veranstaltung der AG Methoden mit einem Vortrag zum Thema Fallzahlkalkulation und Powerberechnung beteiligt. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden Themenbereiche behandelt und diskutiert, die in der Beratungspraxis der Mitarbeiter der Methodenzentren der rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünde häufig auftreten und die für die optimale Planung, Durchführung und Evaluation empirischer Studien eine zentrale Bedeutung besitzen. Unser Beitrag zur Meet-the-Experts-Veranstaltung erfreute sich reger Teilnahme. So war die Zahl der Interessierten recht hoch (trotz Mittagspause ca. 30 Personen). Außerdem gab es vereinzelt Kommentare von Teilnehmern, dass man bemüht sei, die in den Workshops bisher gesammelten Erfahrungen bei der eigenen Arbeit zu berücksichtigen. Des Weiteren fand eine Sitzung der AG Methoden statt, um den Entwurf eines gemeinsamen Positionspapiers zu im Rahmen der Methodenberatung gesammelten Erfahrungen, das auf einer Sitzung der AG Methoden im September 2004 erstmalig vorgestellt worden war, weiter zu diskutieren. 4.4 Entwurf eines Evaluationsbogens zur Rückmeldung für die Abschlussberichte der ersten Förderphase Entsprechend einer Anfrage des Vorstands des NRW-Forschungsverbunds Rehabilitationswissenschaften hinsichtlich der Bewertung von Forschungsanträgen wurde eine Checkliste entworfen. 4.5 Individuelle Projektberatung Bei der Beratung handelt es sich um vielseitige Tätigkeiten und Besprechungen über konkrete Aspekte des Studiendesigns, Auswertungsstrategien, Fallzahl- und Powerberechnungen etc.. Die Projektbetreuungen erstrecken sich einerseits auf Projekte im Forschungsverbund, auf assoziierte Projekte, aber auch auf externe Beratungen von Studien aus der Rehabilitationsforschung. Die Anzahl der Beratungstätigkeiten ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. Ihr ist auch zu entnehmen, dass sich die Beratungstätigkeiten anteilig gesehen vorwiegend auf die Projekte aus der Förderphase II beziehen. Allerdings war auch die Beratungstätigkeit in externen Projekten beträchtlich. 119

121 Anzahl Einzelprojekte gesamt Förderphase I Förderphase II Externe Projekte gesamt Diskussion Von vielen assoziierten und Mitgliederprojekten des NRW Forschungsverbunds Rehabilitationswissenschaften sowie externen Projekten werden die Aktivitäten und Dienstleistungen des Methodenzentrums Bielefeld positiv aufgenommen. Aufgabe des Methodenzentrums ist einerseits die methodische Betreuung und andererseits die Bündelung von Kompetenzen und Vermeidung doppelter Arbeit in unterschiedlichen Projekten. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Zukünftige Aktivitäten des Methodenzentrums Bielefeld liegen im Vorantreiben wissenschaftlicher Publikationen, die sich aus den Forschungsprojekten ergeben können. In diesem Zusammenhang ist auch die Durchführung des 12. Methodenworkshops zu sehen, der die Darstellung von Methoden- und Ergebnisteil in Veröffentlichungen zum Thema hatte. Eine weitere wichtige Aufgabe wird die demnächst anstehende Begutachtung der Forschungsberichte aus den einzelnen Projekten sein, bevor diese an die Finanzgeber weitergeleitet werden. Des Weiteren wird derzeit im NRW- Forschungsverbund diskutiert, das Monitoring-Procedere zu überarbeiten. Beispielsweise ist zu überlegen, ob ein Internet-basiertes Monitoring sinnvoll und praktikabel ist. Zu überlegen ist auch, welche Projekte zukünftig in welchem Umfang zu betreuen sind. 7. Literatur Literatur zu verschiedenen methodischen und epidemiologischen Fragestellungen können bei den Projektmitarbeitern erfragt werden. 8. Projektbezogene Publikationen Samkange-Zeeb F, Altenhöner T, Berg G, Schott T: Prediction of non-return to work in patients attending cardiac rehabilitation. International Journal of Rehabilitation (2006; 29:43-9.). Bender R, Berg G, Zeeb H.: Two- and one-sided hypotheses, significance tests, and confidence curves. Biometrical Journal 2005; 47: Kutschmann M, Bender R, Grouven U, Berg G: Aspekte der Fallzahlkalkulation und Powerberechnung anhand von Beispielen aus der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung. Rehabilitation, 2006; im Druck. 120

122 Integriertes Orthopädisch-Psychosomatisches Konzept zur medizinischen Rehabilitation von Patienten mit chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates und der Notwendigkeit einer beruflichen Neu- bzw. Umorientierung - Konzept und Ergebnisse Förderkennzeichen: 83 Förderer: Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung Norderney e.v. Projektleiter/in: Dr. Susanne Dibbelt Prof. Dr. Bernhard Greitemann Projektmitarbeiter: Claudia Büschel Laufzeit: bis Zusammenfassung In internationalen Studien scheint die Effektivität multimodaler Behandlungsprogramme bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen im Rahmen stationärer Behandlung gesichert [1]. Jedoch fallen in den in Deutschland durchgeführten Studien Effekte zu den mittel- bis langfristigen Katamnesen nur mäßig aus [2, 3]. Faktoren, die dafür verantwortlich gemacht werden, sind zum einen die fortgeschrittene Chronifizierung der Patienten sowie nicht behandelte psychische Belastungen und zum anderen berufliche Problemlagen. Im Rahmen des IopKo-Projektes wurde eine Reihe von Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung der Krankheitsbewältigung und der beruflichen Wiedereingliederung von Patienten mit Erkrankungen des Bewegungsapparates entwickelt und mit gutem Erfolg evaluiert: Einschränkungen der Funktion, Schmerzen und psychische Belastungen hatten sich zu Ende des stationären Aufenthaltes und auch 10 Monate danach in der Studiengruppe stärker reduziert als in der Vergleichsgruppe. Die Arbeitsunfähigkeitstage hatten sich 10 Monate nach Entlassung im Vergleich zu einem analogen Zeitraum vor der Reha um 75% reduziert. In Bezug auf die genannten Parameter ergaben sich in der Studiengruppe moderate bis starke Effekte, die die der Kontrollgruppe übertrafen. Insbesondere konnten sich auch Patienten mit fortgeschrittener Schmerzchronifizierung deutlich verbessern. In dieser Studie konnte nachgewiesen werden, dass stationäre orthopädische Rehabilitation in einem konsequent interdisziplinären Setting, mit einer multimodalen Therapie und einem Fokus auf Aktivierung und Motivierung nachhaltige positive Effekte sowohl in Bezug auf die von Patienten wahrgenommene körperliche und psychische Besserung als auch auf ökonomische Parameter wie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit oder die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen haben kann. Wir interpretieren die Effekte (1) als Ergebnis einer multiprofessionellen Diagnostik und Zuweisung, die hilft, die inhomogene Gruppe der Patienten mit unspezifischen Kreuzschmerzen in spezifischere und damit homogenere Behandlungsgruppen zu unterteilen, (2) als Ergebnis der gesteigerten Therapiemotivation durch die geschlossene Gruppe des multimodalen Programms, (3) als Ergebnis der Information, Aufklärung und intensivierten Beratung bei beruflichen Problemen, sowie (4) als Ergebnis der schnelleren Erkennung und effizienteren Behandlung psychischer Belastungen. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung der stationären Rehabilitation, die effektiv sein kann, wenn die zu den Problemen des Patienten passenden differenziellen Behandlungsangebote gemacht werden. 121

123 1. Einleitung Problemstellung und Hintergrund. Die epidemiologische Bedeutung chronischer Rückenschmerzen in den westlichen Industrieländern und die damit verbundenen Kosten für das Gesundheitswesen haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Forschung zum chronischen Rückenschmerz stark befördert. Neben zahlreichen Arbeiten zu Ursachen, Risikofaktoren und Behandlung liegen inzwischen auch etliche Studien zur Wirksamkeit von Behandlungsprogrammen bei chronischen Rückenschmerzen vor [1,2,3,4,5,6,7]. Ursachen und Behandlung chronischer Schmerzen. Ausgehend von dem bio-psycho-sozialen Modell chronischer Schmerzen finden sich zahlreiche Belege für eine multimodale Verursachung von chronischen (Rücken-) Schmerzen [8,9]. Auch in deutschen Reha-Kliniken werden zunehmend aktivierende multimodale bzw. multidisziplinäre Behandlungsprogramme bei chronischen Rückenschmerzen eingesetzt. Die Basis dieser Programme ist die so genannte Funktionale Wiederherstellung [10]. Diese bezeichnet eine aktivierende Therapie, die darauf zielt, den Teufelskreis von schmerzbedingter Passivität und damit verbundener physischer und psychischer Dekonditionierung durch Bewegung und Aktivität zu durchbrechen. Neben körperlichem Training, der Reduktion von Schmerzmitteln sowie verhaltenstherapeutischen Elementen zur Schmerz- und Stressbewältigung beinhaltet das Konzept außerdem die Einbeziehung von arbeitsbezogenen Übungen und Simulationen. Entscheidend für den therapeutischen Erfolg sind eine eingehende psychosoziale Anamnese sowie eine gute Abstimmung aller beteiligten Berufsgruppen [11]. Die in Reha-Kliniken durchgeführten multimodalen Programme entsprechen diesem Konzept mit unterschiedlichen Akzenten. Zur Wirksamkeit multimodaler Behandlungsprogramme. In internationalen Studien scheint die Wirksamkeit multimodaler Behandlungsprogramme bei Rückenschmerzen gut belegt. So kommen Nachemson & Johansson [12] zu dem Schluss: Es liegt starke Evidenz dafür vor, dass multidisziplinäre Behandlung, die kognitive Verhaltenstherapie einschließt, hinsichtlich Schmerzreduktion und Funktionswiederherstellung effektiv ist. Guzman et al. [5] fanden in einer Übersicht von zehn randomisierten Untersuchungen mit einem Kontrollgruppendesign starke Evidenz für die Verbesserung der Funktion infolge eines multidisziplinären Programms im Vergleich zu rein medizinischen Behandlungen. Moderate Evidenz ergab sich für die Reduktion von Schmerz, widersprüchliche Evidenz dagegen für einen positiven Einfluss auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Zwar konnten mehr Patienten infolge multidisziplinärer Programme die Arbeit wieder aufnehmen, eine signifikante Reduktion der Krankheitstage konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Weiterhin kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die genannten Effekte nur bei intensiven, stationär durchgeführten Programmen zeigen, nicht aber in weniger intensiven ambulanten Settings. Van Tulder et al. [6] berichten aufgrund ihres Reviews mittlere positive Effekte auf die Schmerzintensität sowie kleine positive Effekte auf die Funktionskapazität durch Verhaltenstherapie. Wirksamkeit in Deutschland. Die Wirksamkeit des multidiziplinären Behandlungsansatzes in deutschen Rehabilitationskliniken wurde in einer Übersicht von Hüppe & Raspe [1,2] untersucht. Demnach berichtet eine Mehrheit der deutschen Studien zwar positive Effekte, jedoch gelingt es nur in einzelnen Studien, nachhaltige Effekte der Behandlung nachzuweisen. Für die geringe Nachhaltigkeit der stationären Rehabilitation in Deutschland im Vergleich mit internationalen Studien werden in der Literatur mehrere Faktoren diskutiert [1,2,13a, 13b]: Patienten in Deutschland kommen häufig erst dann zur Rehabilitation, wenn die Ausübung der Berufstätigkeit gefährdet ist. Dann aber ist der Chronifizierungsprozess oft weit fortgeschritten. Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass stark chronifizierte Patienten von der stationären Rehabilitation weniger profitieren. Die Diagnose Rückenschmerz führt oft zu undifferenzierten Behandlungen. Es ist wichtig, differenzielle Behandlungsangebote für Patienten mit unterschiedlichen Belastungsprofilen zu machen, aber auch hinsichtlich der Belastung und der Veränderungsmotivation homogene Behandlungsgruppen zu bilden. Die Nachsorge, d.h. die Fortführung der therapeutischen Maßnahmen und die Stabilisierung eingeleiteter Verhaltensänderungen ist häufig dem Patienten überlassen und wird nicht hinreichend befördert und kontrolliert. Psychische und berufliche Problemlagen befördern häufig eine Aufrechterhaltung der Schmerz- 122

124 symptomatik. Mangelnde Behandlungserfolge gehen - wenn auch indirekt - zu Lasten der Lage auf dem Arbeitsmarkt: Häufig bietet dieser gerade für ältere und chronisch erkrankte Patienten weder Anreize noch Möglichkeiten der Wiedereingliederung. Der internationale Vergleich der Effektivität von Behandlungsprogrammen ist aufgrund der Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme schwierig [14,15]. Im Folgenden stellen wir ein multidisziplinäres Behandlungskonzept für die orthopädische Rehabilitation vor, das (1) Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung beruflicher und psychosozialer Problemlagen einschließt, das (2) Patienten hilft, realistische Erwartungen in Bezug auf Rentenleistungen zu entwickeln und ihnen (3) einen aktiven und lösungsorientierten Umgang mit der Erkrankung und den Krankheitsfolgen vermittelt. 2. Ziele des Vorhabens und Fragestellung Die Ziele des Projektes bestanden darin, diese Maßnahmen zu entwickeln, in der Klinik Münsterland zu implementieren und wissenschaftlich zu begleiten. Die Begleitstudie hatte zum Ziel, die Effekte der im Rahmen des Projektes eingeführten Maßnahmen zur Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates und der Notwendigkeit zu einer beruflichen Neu- bzw. Umorientierung zu bewerten, und zwar im Hinblick auf die Somatische und funktionale Besserung Psychosoziale Stabilisierung Berufliche Wiedereingliederung Aktivität und Selbstinitiative in Bezug auf gesundheitsfördernde Aktivitäten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen Dabei interessierte nicht nur der unmittelbare Reha-Effekt, sondern vor allem auch die Stabilität möglicher Effekte in mittel- und langfristigen Zeiträumen nach dem Klinikaufenthalt. Eine größere zeitliche Stabilität der Effekte des multimodalen 1 Gruppenprogamms Rückenfit (im Unterschied zur APIR-Studie) erwarteten wir als Folge der flankierenden Maßnahmen zur beruflichen Orientierung, die Lösungen für den beruflichen Alltag anbieten und so eine Stabilisierung der gesundheitlichen Effekte unterstützen können. Darüber hinaus sollte die multiprofessionelle Zuweisung und Diagnostik zu homogeneren Behandlungsgruppen führen, von denen sowohl die Teilnehmer des multimodalen Behandlungsprogramms als auch alle übrigen Patienten profitieren. Ein vergleichbarer Belastungsgrad und vergleichbare Belastbarkeit der Teilnehmer (etwa des Rückentrainings, aber auch der individuell verplanten Teilnehmer, die an offenen Therapiegruppen teilnehmen) ermöglicht eine gezieltere und effektivere Therapie. Bei der Studie handelt es sich um eine quasi-experimentelle prospektive Fragebogenstudie mit einem Längsschnittvergleichsgruppendesign mit vier Messzeitpunkten. Hierbei ist ein methodischer Weg beschritten worden, der einen guten Kompromiss zwischen (1) dem Goldstandard, der Randomisierten kontrollierten Studie, die aber in der Praxis schwer zu realisieren ist und (2) den nicht belastbaren Untersuchungen ohne Vergleichsgruppe darstellt. Eine angemessene Vergleichsgruppe wurde gewonnen, indem die zu bewertenden Maßnahmen für die Dauer der Erhebung ausgesetzt wurden. Eine Besonderheit des Studiendesigns besteht außerdem in der Differenzierung der Kontrollgruppe in drei Subgruppen, die mit den drei Interventionsgruppen hinsichtlich der Ausprägung und Spezifität der Belastungen vergleichbar sind. Damit konnten unerwünschte Effekte wie unterschiedliche Ausgangswerte der Vergleichsgruppen kontrolliert werden. 1 Wir bezeichnen im Folgenden nur das Rückenfitprogramm als multimodal, obwohl der Begriff auch für die beiden anderen Behandlungspfade Rückentraining und Individuelle Therapie greifen würde, da hier ja auch berufliche Probleme mitbehandelt werden. 123

125 Tabelle 1: Übersicht über die Maßnahmen des IopKo-Konzeptes multiprofessionell: Ärztliches Team Physiotherapeuten Psychologen Studienphase IopKo Kontrollgruppenphase Standard-Reha-Programm Aufnahme und Diagnostik uniprofessionell: Ärztliches Team Zuweisung zu den Therapien Multiprofessionelles Planungsteam Ärztliches Team Interventionen Individuelle Therapie Therapeutische Gruppen: Rückentraining Rückenfit Individuelle Therapie Module zur beruflichen Orientierung: Seminareinheiten BOR I und II Arbeitsplatztraining Das Integrierte Orthopädisch-Psychosomatische Konzept der Klinik Münsterland (IopKo) Das Integrierte Orthopädisch-Psychosomatische Konzept der Klinik Münsterland (IopKo) setzt sich aus den folgenden Bausteinen zusammen (Tabelle 1): Multiprofessionelle Diagnostik und Zuweisung zu den Therapien. Aufnahmegespräche und Untersuchungen werden nicht nur vom ärztlichen Team, sondern auch von Psychologen und von Physiotherapeuten durchgeführt. Die Entscheidung über die Auswahl geeigneter Interventionen und Behandlungsmaßnahmen, insbesondere die Zuweisung zum multimodalen Therapieprogramm Rückenfit in einem multiprofessionellen Planungsteam, in dem alle drei an der Aufnahme beteiligten Berufsgruppen vertreten sind und in dem alle Patienten im Heilverfahren vorgestellt werden. Multimodales Therapieprogramm Rückenfit. Ein spezifisches multimodales Therapieprogramm Rückenfit für Patienten mit chronischen Schmerzen und psychischen Belastungen wird angeboten. Rückentraining. Alternativ wird ein Rückentrainingsprogramm (ebenfalls in geschlossener Gruppe) für Patienten ohne psychische Belastungen angeboten, in dem der Trainingsaspekt ( No Pain, no gain ) im Vordergrund steht. Niederschwellige Schulungen zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation (BOR I und II) klären die Patienten zu Beginn des stationären Aufenthaltes über die Voraussetzungen der Rentengewährung und der Teilhabeförderung durch die Rentenversicherung auf. Die Schulungen verwenden Fallbeispiele und sind interaktiv gestaltet: Sie versetzen den Patienten in die Gutachterrolle, in der er Argumente für oder gegen eine Berentung finden muss. Sie geben dem Patienten das Rüstzeug zu einer realistischen Sichtweise seiner Situation und motivieren ihn so zur aktiven Mitarbeit an der Lösung seiner gesundheitlichen und beruflichen Probleme. Verstärktes Beratungsangebot im Sozialdienst. Es wurde erwartet, dass der Beratungsbedarf hinsichtlich der allgemeinen Informationen (gesetzliche Regelung und Fördermöglichkeiten) zwar durch die BOR-Einheiten gedeckt wird, der Beratungsbedarf zum individuellen Fall aber ansteigt. Um diesem Anstieg zu entsprechen, wurde der Stellenschlüssel im Sozialdienst angehoben. 124

126 Arbeitsplatztraining. In der Ergotherapie werden arbeitsplatzbezogene Leistungsdiagnostik und Trainings an simulierten Arbeitsplätzen durchgeführt. 3. Methoden und Arbeitsplan Evaluation des Integrierten Konzeptes Alle Maßnahmen, die im Rahmen des Konzeptes eingeführt wurden, waren Gegenstand einer kontrollierten prospektiven Bewertungsstudie, in der die Outcomes der Standard-Reha mit denen des Integrierten Konzeptes verglichen wurden. Die Studie wurde in der Klinik Münsterland durchgeführt, deren Patienten die Teilnehmer der Studie stellten. Bildung der Untersuchungsgruppen. Da die Maßnahmen die gesamte Klinikorganisation betrafen und zudem unerwünschte Effekte durch den Austausch der Patienten untereinander befürchtet wurden, entschieden wir uns gegen die gleichzeitige Realisierung von Kontroll- und Studienbedingungen und damit gegen eine randomisierte Zuweisung der Patienten zu den Bedingungen. Die Erhebung der Untersuchungsgruppen erfolgte dagegen in sechs alternierenden Zeitblöcken von drei Monaten, in denen jeweils Kontroll- und Studienbedingungen realisiert wurden. Die Daten von Patienten, die in zweiwöchigen Auswaschblöcken zwischen den Phasen anreisten, wurden nicht in die Auswertung mit einbezogen. Erhebung der Kontrollgruppen. Für die Erhebung der Kontrollgruppen wurden sämtliche im Rahmen von IopKo implementierten Maßnahmen für drei Monate ausgesetzt, d.h. sowohl die Gruppenprogramme Rückenfit und Rückentraining, die Maßnahmen zur beruflichen Orientierung als auch die Anamnesen durch Psychologen und Physiotherapeuten sowie die Zuweisung der Patienten zu den Therapien in einem multiprofessionellen Planungsteam fanden in diesen Zeitblöcken nicht statt. Stattdessen wurden alle Patienten individuell verplant, d.h. sie erhielten ein Standard-Rehaprogramm, wie es vor Einführung der IopKo-Maßnahmen durchgeführt worden war (s. Tabelle 1). Die Eingangsdiagnostik wurde ausschließlich vom ärztlichen Dienst vorgenommen. Damit in den Studienbedingungen analoge Subgruppen gebildet werden konnten, gaben die aufnehmenden Ärzte für jeden Studienteilnehmer eine Empfehlung für einen der drei Behandlungspfade ab. Anhand dieser Empfehlungen konnten auch die Teilnehmer der Kontrollphase den drei Subgruppen Rückenfit, Rückentraining und Individuelle Therapie zugeordnet werden, mit denen die Interventionsgruppen der Studienphase dann jeweils verglichen wurden. Messzeitpunkte. Die Studienteilnehmer wurden mittels eines Fragebogens zu vier Messzeitpunkten befragt: vor Antritt der Reha (t0), zu Ende des stationären Aufenthaltes (t1), drei Monate nach Entlassung (t2) sowie 10 Monate nach Entlassung (t3). Damit ergab sich ein vierfach gestufter Messwiederholungsfaktor Zeitpunkt (4) sowie ein zweifach gestufter Faktor Gruppe (Kontrollgruppe versus Studiengruppe) für jeden der 3 Behandlungspfade Rückenfit, Rückentraining und Individuelle Verplanung (Tabelle 2). Teilnehmer und Rücklauf. Teilnehmer waren Patienten im Alter von 19 bis 59 Jahren, die im Untersuchungszeitraum von August 2001 bis Januar 2003 eine stationäre medizinische Reha-Maßnahme zulasten der Rentenversicherung in der Klinik Münsterland erhielten. Zum Ende der Erhebung im Januar 2004 lagen 482 vollständige Datensätze vor. 306 Teilnehmer mit vollständigen Datensätzen durchliefen die Rehabilitation unter Studienbedingungen, 176 unter Kontrollbedingungen. Die Verteilung der Patienten auf die 3 Behandlungspfade ist Tabelle 2 zu entnehmen. 125

127 Tabelle 2: Design der IopKo-Begleitstudie und Fallzahlen 1 Behandlungsgruppen Studiengruppe (SG) 2 Rückenfit (multimodales Programm) 90 Rückentraining 104 individuelle Therapie 112 Gesamt Studiengruppe 306 Kontrollgruppe (KG) Rückenfit 3 48 Rückentraining 3 38 individuelle Therapie 3 90 Gesamt Kontrollgruppe 176 Gesamtstichprobe Die Zahlen umfassen die Patienten, die den Fragebogen zu allen vier Messzeitpunkten vollständig und auswertbar ausgefüllt haben. 2 Zuordnung entsprechend der Entscheidung des multiprofessionellen Planungsteams. 3 Zuordnung entsprechend der Empfehlung des aufnehmenden Arztes; tatsächlich wurden alle Patienten während der Erhebung der Kontrollgruppe individuell verplant. Messinstrumente. Als Kern-Instrument wurde u.a. der IRES 2 (Indikatoren des Reha-Status, Version 2.1) verwendet [16]. Die aufnehmenden Stations-Ärzte bearbeiteten außerdem das Mainzer Stadiensystem der Schmerzchronifizierung nach Gerbershagen [17] sowie einen Ärztefragebogen nach Gerdes et al. [16]. Implementierung der Maßnahmen. Alle Maßnahmen, die im Rahmen des Projektes entwickelt und umgesetzt wurden, wurden mindestens vier Monate vor Beginn der Erhebung implementiert und erprobt. Eine Vorläuferversion des Rückenfitprogramms (Gruppentraining) war bereits vier Jahre vor Projektstart eingeführt worden, so dass zu Beginn der Erhebung Routine in den Abläufen erreicht war. Auswertung. Sofern es sich - wie bei den IRES-Skalen - um kontinuierliche Daten handelte, wurden multivariate Varianzanalysen nach dem Allgemeinen Linearen Modell mit Messwiederholungen über die Messzeitpunkte (4) und dem Faktor Gruppe (2) für alle IRES-Dimensionen, Untersummen und Einzelskalen berechnet. In die Auswertung gingen die Daten aller 482 Teilnehmer ein, deren Daten am Ende der Erhebung vollständig, d.h. zu allen 4 Messzeitpunkten vorlagen. n 4. Ergebnisse Beschreibung der Gesamtstichprobe. Das Alter in der Gesamtstichprobe vor Aufnahme lag im Mittel bei 46 Jahren. 86% waren vor Beginn der Reha erwerbstätig, 53% davon arbeitsunfähig. Die Mehrzahl der Erwerbstätigen (92%) hatte eine berufliche Stellung als Arbeiter. 88% der Teilnehmer gaben eine Krankheitsdauer länger als 6 Monate an. 6% der Teilnehmer hatten vor Beginn des Reha-Aufenthaltes einen Rentenantrag gestellt. 2 Ein sogenanntes Heilverfahren im Unterschied zur Anschlussheilbehandlung 126

128 Vergleich von Kontroll- und Studiengruppe zu t0 (Baseline). Die Mittelwerte der IRES-Indikatoren zu t0 (Reha-Status gesamt, somatischer Status, Funktionaler Status, Psychosozialer Status) sowie die Subskalen wurden für Studiengruppe und Kontrollgruppe verglichen, ohne dass sich signifikante Unterschiede ergeben hätten. Auch hinsichtlich der demografischen Merkmale fanden sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Gruppen. Es gab jedoch in der Studiengruppe mehr Personen mit einem laufenden Rentenantrag (8,1% gegenüber 3,5% in der Kontrollgruppe) und damit mehr Teilnehmer, denen aufgrund der Rentenorientierung eine schwierige Motivationslage im Hinblick auf gesundheitliche Besserung zugeschrieben wird. Ergebnisse. In der Gesamtstichprobe (N=482) verbesserte sich die Studiengruppe zu den Messzeitpunkten t1, t2 oder t3 hinsichtlich des Gesamtscores (Rehastatus), aber auch hinsichtlich der Unterdimensionen stärker als die Kontrollgruppe. In Abb. 1 sind die Mittelwerte beider Gruppen zu allen 4 Messzeitpunkten für den Reha-Status, also den IRES-Gesamtscore, dargestellt. Abb. 1: Mittelwerte des Reha-Status zu allen vier Messzeitpunkten Reha -Status 8,0 7,5 7,0 6,5 6,0 5,5 5,0 t0 t1 t2 t3 Kontrolle (176) Studien (305) Effektstärken 10 Monate nach Reha-Ende (t3; Abb. 2). Zur Katamnese 10 Monate nach Reha- Ende (t3) zeigen sich in der vorliegenden Studie mittlere bis große Effektstärken 3 für die IRES-Dimensionen sowie auch für einige Untersummen (US), die zudem die Effekte in der Kontrollgruppe übertrafen: für den Reha-Status betragen sie 0,70 (gegenüber 0,21 in der Kontrollgruppe), für den somatischen Status 0,80 (gegenüber 0,37 in der Kontrollgruppe) und für den Funktionsstatus 0,55 (gegenüber 0,23 in der Kontrollgruppe). Für die Untersumme Schmerzen & Symptome beträgt die Effektstärke 0,68 (gegenüber 0,37 in der Kontrollgruppe), für die Untersumme Behinderung im Alltag ergibt sich eine Effektstärke von 0,48 (gegenüber 0,21 in der Kontrollgruppe) und die Depressivität ist in der Studiengruppe zu t3 mit einer Effektstärke von 0,45 gebessert (gegenüber 0,04 in der Kontrollgruppe). Anzahl der Krankheitstage vor und 10 Monate nach der Reha. Die Anzahl der mittleren AU-Tage pro Monat (t0) lag laut Angaben der Patienten zu t0 bei 10,3; es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen Studiengruppe und Kontrollgruppe. Zu t3 hatte sich die monatliche Anzahl der Krankheitstage in der Studiengruppe auf 2,5 Tage (d.h. um 75%), in der Kontrollgruppe auf 4,4 Tage (das sind 59%) verringert. Für die Studiengruppe ergibt sich eine Effektstärke von 0,71, für die Kontrollgruppe 0,53 in Bezug auf die Reduktion der Krankheitstage zu t3. (s. Abb. 2). 3 Demnach gelten Effektstärken unter 0,4 als geringe, zwischen 0,4 und 0,8 als mittlere und über 0,8 als starke Effekte [19] 127

129 Abb. 2: Effektstärken der Gesamtstichprobe zu t3 Gesamtstichprobe: Effektstärken 10 Monate nach Reha (t3) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0,21 0,70 0,37 0,80 0,23 0,55 0,37 0,63 Kontrolle (176) Studien (307) 0,48 0,45 0,28 0,21 0,19 0,04 0,53 0,71 Reha-Status Somat. Status Funktionaler Status Schmerzindex Behinderung im Alltag Psychische Belastung Depressivität AU-Tage/Monat Beruflicher Status und Rückkehr zur Arbeit. Der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtstichprobe reduzierte sich im Untersuchungszeitraum von 86% zu t0 auf 66% zu t3; dies entspricht einer Reduktion von 20 Prozentpunkten. Mit 22 Prozentpunkten fiel diese Reduktion in der Studiengruppe deutlicher, wenn auch nicht signifikant größer aus als in der Kontrollgruppe mit 16 Prozentpunkten. Dieser Unterschied geht vor allem auf den höheren Zuwachs der Bezieher einer BU/EU-Rente in der Studiengruppe zurück: Dieser stieg in der Studiengruppe im Untersuchungszeitraum von 3 auf 21 und damit um 6 Prozentpunkte, in der Kontrollgruppe dagegen nur um 1 Prozentpunkt. Allerdings hatten in der Studiengruppe, wie oben berichtet, bereits zu t0 signifikant mehr Personen einen Rentenantrag gestellt (8,1% gegenüber 3,5% in der Kontrollgruppe). Kosteneffizienz. Eine Analyse zur Kosteneffizienz konnte zeigen, dass sich die Maßnahmen des Iop- Ko-Programms trotz erhöhter Kosten im Hinblick auf zentrale Outcome-Parameter, nämlich die Reduktion der AU-Tage, die Verbesserung des Reha-Status, die Schmerzreduktion und die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen dem Standardprogramm als überlegen erwiesen. Ergebnisse in der Teilstichprobe der Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko (Rückenfit). Die bis hierher berichteten Ergebnisse gelten für die Gesamtstichprobe der Studie. Viele der oben beschriebenen Effekte der IopKo-Maßnahmen konnten jedoch auch für die Teilstichproben, insbesondere für die Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko, die an dem multimodalen Therapieprogramm Rückenfit teilnahmen, nachgewiesen werden (s. Abb. 3). 4 In diese Analyse gingen nur die Daten von Teilnehmern ein, die zu allen Messzeitpunkten erwerbstätig waren. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden die Angaben zu t0 (6 Monate vor der Reha) und die Angaben zu t3 (10 Monate nach der Reha) durch die Anzahl der Monate geteilt. 128

130 Abb. 3: Effektstärken der Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko (Rückenfitpatienten) zu t3 Teilstichprobe Rückenfit: Effekt stärken 10 Mona te Nn ach Reha (t3 ) 1,0 0,8 0,6 0,89 0,59 0,94 0,69 0,60 0,76 0,60 Kontrolle (48) Studien (90) 0,66 0,50 0,4 0,2 0,37 0,27 0,22 0,13 0,26 0,31 0,06 0,0 Reha-Status Somat. Status Funktionaler Status Schmerzindex Behinderung im Alltag Psychische Belastung Depressivität AU-Tage/Monat Besonderheiten bei den Rückenfit-Patienten. Bei den Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko konnte eine überlegene Wirkung des multimodalen Programms für den Reha-Status insgesamt, den Funktionsstatus, Depressivität und die psychische Belastung (Untersumme) und auch für die Krankheitstage nachgewiesen werden. Im Unterschied zur Gesamtstichprobe findet sich bei diesen Patienten keine überlegene Wirksamkeit des Programms im Hinblick auf die Schmerzmaße (Schmerzscore, Schmerzhäufigkeit, Schmerzintensität, Schmerztage und Beeinträchtigung durch Schmerz): Beide Gruppen, Kontrollgruppe und Studiengruppe, verbessern sich zu Reha-Ende und zu den Katamnesen in erheblichem Maße und ohne Unterschied. Der Vorteil des multimodalen Programms besteht demnach weniger in einer überlegenen Reduktion der Schmerzen, als vielmehr in der überlegenen Reduktion der psychischen Belastung, insbesondere der Depressivität sowie in der selbst eingeschätzten Verbesserung der Funktion. Hinweise auf veränderte Schmerzstrategien und Kontrollüberzeugungen bei den Rückenfit- Patienten. Wir finden Hinweise auf stärkere und nachhaltigere Veränderungen in Kognition und Verhalten im Umgang mit dem Schmerz in der Interventionsgruppe: So geben Personen der Studiengruppe zu t3 weniger Vermeidung, Resignation und Hilflosigkeit im Umgang mit Schmerzen an. Gleichzeitig scheinen Strategien der Ablenkung und die Vorhersagbarkeit von Schmerzen anhand von Warnsignalen zu t3 zuzunehmen. Teilnehmer des Rückenfitprogramms erfahren durch die Reha einen (stärkeren) Zuwachs an Handlungsorientierung und internaler Kontrollerwartung, gleichzeitig nimmt die Erwartung ab, dass nur mächtige Andere (Ärzte) ihren Gesundheitszustand positiv beeinflussen können. Körperliches Wohlbefinden (FEW). Teilnehmer des Rückenfitprogramms schätzen 10 Monate nach der Reha die körperliche Belastbarkeit, die innere Ruhe, die Vitalität und die Genussfähigkeit besser ein als vor der Reha und als Teilnehmer in der Kontrollgruppe. Gesundheitsbewusstes Verhalten im Alltag (FVA). In der Tendenz geben Teilnehmer des Rückenfitprogramms 10 Monate nach der Reha eher als Patienten der Kontrollphase an, sich zu bewegen, zu entspannen und genussfähig zu sein. 5 Für die Skala Schmerzintensität wird die kritische Interaktion zwar signifikant, dies beruht auf einer punktuellen Überlegenheit der Studiengruppe zu t2; zu t1 und t3 unterscheiden sich die Gruppen dagegen nicht. 129

131 5. Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussion Zusammenfassung Wir konnten zeigen, dass stationäre orthopädische Rehabilitation zu guten Reha-Ergebnissen sowohl im Hinblick auf subjektive als auch auf objektive Maße wie z.b. der beruflichen Wiedereingliederung führt, wenn (1) auf der Basis multiprofessioneller Diagnostik die Passung zwischen Patient und Therapieangebot optimiert werden kann und wenn (2) berufliche und psychische Probleme mitbehandelt werden und dadurch motivationale Hindernisse für die Krankheitsbewältigung ausgeräumt werden können. Differenzielle Effekte der Maßnahmen zugunsten der Interventionsgruppe konnten für alle drei IRES- Dimensionen, d.h. den funktionalen, somatischen und den psychosozialen Status, auch statistisch abgesichert werden. Darüber hinaus fanden wir für diese Parameter 10 Monate nach Reha auch Effektstärken, die nach der einschlägigen Klassifikation [19] als mittel bis hoch eingestuft werden können und die unter Studienbedingungen höher ausfielen als unter Kontrollbedingungen, darunter Schmerzen, Funktion, psychische Belastungen und Arbeitsunfähigkeitstage. Erwerbsstatus. Die Zahl der Erwerbstätigen nahm auch in der Interventionsgruppe um mehr als 20% zugunsten der Arbeitslosen (Zuwachs um 8,7% in der Studiengruppe gegenüber 7,9 in der Kontrollgruppe) und der Rentner (Zuwachs um 9% in der Studiengruppe gegenüber 3% in der Kontrollgruppe) ab. Allerdings hatten in der Studiengruppe bereits vor Antritt der Reha mehr als doppelt so viele Patienten einen Rentenantrag gestellt als in der Kontrollgruppe. Auf berufliche Problemfälle und den expliziten (realistischen) Rentenwunsch konnten demnach die Maßnahmen trotz der motivationalen Aspekte wenig Einfluss nehmen. Dies betrifft insbesondere diejenigen Patienten, die als ältere Arbeitnehmer kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Bei einem Teil der Patienten könnte allerdings durch die realistische Einschätzung ihrer Rentenchancen eine Änderung der Motivationslage erreicht worden sein. Nicht in allen Fällen ist aber eine Reintegration ins Erwerbsleben möglich. Dies zeigt sich an der Zahl der Erwerbslosen, die auch in unserem Kollektiv über den Erhebungszeitraum um 8% zugenommen haben. Im Rahmen dieser Diskussion muss man darauf hinweisen, dass in Deutschland die Tendenz zu einem frühen Ausscheiden ungebrochen ist: Der Anteil der über 55jährigen, die noch im Erwerbsleben stehen, beträgt in Deutschland 39%, in der Schweiz hingegen sind es noch 72% [20]. Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutsamkeit psychischer und sozialer Bedingungsfaktoren bei Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko. Sie weisen darauf hin, dass sich Behandlungseffekte bei diesen Patienten weniger in einer (überlegenen) Reduktion der Schmerzen als vielmehr in dem verbesserten Umgang mit den Krankheitsfolgen (Depressivität und Einschränkung der Funktion) zeigen und bestätigen die Annahmen des biopsychosozialen Krankheitsmodells. Die Ergebnisse zeigen auch, dass gerade bei diesen Patienten ein multidisziplinärer Ansatz konsequent umgesetzt werden muss. Diskussion Im Folgenden wollen wir auf einige Aspekte eingehen, die die Aussage dieser Ergebnisse einschränken könnten. Rücklauf. Potentielle Validitätsgefährdungen bestehen in der relativ hohen Abbrecher-Quote 6 von 49%. Es könnte sein, dass Abbrecher und Responder sich bereits in den Ausgangswerten systematisch unterscheiden. Ein Vergleich der Abbrechergruppe mit den Respondern zu t0 ergab zwar geringfügige Unterschiede im Hinblick auf den funktionalen und psychosozialen Status, die berufliche und psychische 6 Darunter fallen - wie oben beschrieben auch Personen mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen und solchen, deren Aufenthaltsort zu den Katamnesenzeitpunkten nicht zu ermitteln war. 130

132 Belastung sowie die Lebenszufriedenheit und die Reha-Erfahrung. Die Unterschiede zwischen Studiengruppe und Kontrollgruppe, die wir dargestellt haben, vermögen diese Unterschiede jedoch nicht zu erklären, da beide Untersuchungsgruppen von dieser Selektion in gleichem Maße betroffen waren. Differenzierung der Wirkfaktoren. Wir können aufgrund des verwendeten Designs nicht genau sagen, welche der Maßnahmen zu einer Überlegenheit der Interventionsgruppe beigetragen hat. Waren es die Module zur beruflichen Orientierung, die multiprofessionelle Diagnostik und Zuweisung oder die Therapieprogramme Rückenfit und Rückentraining? Die Frage ließe sich nur mit Hilfe eines aufwendigen Designs beantworten, mit dem die Effekte der einzelnen Maßnahmen überprüft werden könnten. Wir haben jedoch einige Hinweise aus der Literatur, die nahe legen, dass in der Tat die Kombination der Maßnahmen zu den hier dargestellten Ergebnissen geführt hat. So haben Schreiber et al. [21] trotz aufwendiger optimierter Diagnostik und Zuweisung nach somatischen, aber auch psychischen und sozialen Belastungsfaktoren keine Effekte dieser differenzierten Zuweisungspraxis in den Outcomes gefunden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Jellema et al. [22]. Andererseits scheinen spezifische Therapieangebote alleine nicht zu stabilen Effekten zu führen: In einer älteren Studie [23], die eine Vorläuferversion des Rückenfitprogramms im gleichen Setting (Klinik Münsterland) evaluiert hatte, wurden keine langfristig stabilen Effekte des multimodalen Programms gefunden. Im Unterschied zu der vorliegenden Studie gab es dort keine multiprofessionelle Diagnostik, keine Zuweisungssteuerung im Team und keine Module zur beruflichen Orientierung. Wir schließen daraus, dass diese Maßnahmen für die Wirksamkeit der Therapien (etwa des multimodalen Programms, aber auch einer individuellen Therapie) wichtige Mediatoren sind, indem sie helfen, homogene Patientengruppen zu bilden, Patienten den optimalen Therapien zuzuweisen und durch die Behandlung der beruflichen und psychischen Probleme die Therapiemotivation zu verbessern oder überhaupt erst herzustellen. Einen Hinweis hierauf finden wir auch in den Analysen der Ergebnisse für die einzelnen Behandlungspfade, dem multimodalen Therapieprogramm Rückenfit, dem Rückentraining und bei Patienten, die ausschließlich individuelle Therapie erhielten: In allen drei Gruppen wurden unter Studienbedingungen größere und nachhaltigere Verbesserungen erzielt als unter Kontrollbedingungen. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Weiterführende Fragestellungen: Replikation und Transfer. Mit dieser Studie konnte gezeigt werden, dass orthopädische Rehabilitation bei Patienten mit chronischen Erkrankungen bei einem konsequenten multimodalen und interdisziplinärem Setting und einem Schwerpunkt auf aktivierende und motivierende Therapien nachhaltige positive Effekte auf subjektive wie auch auf bedeutsame objektive ökonomische Parameter haben kann. Aufgrund der ermutigenden Ergebnisse wurde dem Institut für Rehaforschung Bad Rothenfelde im Rahmen des Förderschwerpunktes Rehabilitationswissenschaften Mittel für ein Folgeprojekt bewilligt, das klären soll, ob die Maßnahmen, wenn sie in andere orthopädische Kliniken transferiert werden, auch dort zu besseren und stabileren Reha- Ergebnissen bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen führen. Dank Die Studie wurde mit Mitteln des Vereins für Rehabilitationsforschung Norderney e.v. (Deutsche Rentenversicherung Westfalen) finanziert. Die Autoren danken auch den Patienten, allen Mitarbeitern und Therapeuten der Klinik Münsterland, die an der Studie beteiligt waren, für ihre engagierte Mitarbeit und Unterstützung. 7. Literatur [1] Hüppe, A. & Raspe, H. (2003). Die Wirksamkeit stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen: Eine systematische Literaturübersicht. Rehabilitation, 42, [2] Hüppe, A. & Raspe, H. (2005). Zur Wirksamkeit von stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen: Aktualisierung und methodenkritische Diskussion einer Literaturübersicht. Rehabilitation, 44,

133 [3] Pfingsten, M. & Hildebrandt, J. (2001). Die Behandlung chronischer Rückenschmerzen durch ein intensives Aktivierungskonzept (GRIP) - eine Bilanz von 10 Jahren. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther, 36(9), pp [4] Pfingsten, M., Franz, C., Hildebrandt, J., Saur, P. and Seeger, D. (1996). Das Göttinger Rücken Intensiv Programm (GRIP) - ein multimodales Behandlungsprogramm für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, Teil 3. Psychosoziale Aspekte. Der Schmerz, 10 (6), [5] Guzman, J., Esmail, R., Karjalainen, K., Malmivaara, A., Irvin, E. and Bombardier, C. (2001). Multidisciplinary rehabilitation for chronic low back pain: systematic review, British Medical Journal, 322 (7301), [6] van Tulder, M. W., Ostelo, R., Vlaeyen, J. W., Linton, S. J., Morley, S. J. and Assendelft, W. J. Behavioral treatment for chronic low back pain: a systematic review within the framework of the Cochrane Back Review Group. Spine, 2001, 26(3), pp [7] Haaf, H.-G. (2005). Ergebnisse zur Wirksamkeit der Rehabilitation. Rehabilitation 2005; 44. [8] Hasenbring, M; Hallner, D & Klasen, B (2001). Psychologische Mechanismen im Prozess der Schmerzchronifizierung. Unter- oder überbewertet? Der Schmerz, 15, [9] Linton, S.J. (2000). A review of psychological risk factors in back and neck pain. Spine, 25 (9), [10] Mayer, T.G. & Gatchel, R.J. (1987). A prospective two-year-study on functional Restoration in Industrial Low Back Pain Injury. JAMA, 258: [11] Gatchel, R. J., Mayer, T. G., Hazard, R. G., Rainville, J. and Mooney, V. Functional restoration. Pitfalls in evaluating efficacy. Spine, 1992, 17(8), pp [12] Nachemson, A. & Johansson, E. Back Pain A scientific enigma in the new millenium. Phys Med, Rehab med, Kurort Med 2001; 11: 2-8. [13a] Greitemann, B., Dibbelt, S., Büschel, C. (Im Druck). Integriertes Orthopädisch-Psychosomatisches Konzept zur medizinischen Rehabilitation von Patienten mit chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates Langfristige Effekte und Nachhaltigkeit eines multimodalen Programms zur Aktivierung und beruflichen Umorientierung. (Erscheint in: Zeitschrift für Orthopädie). [13b] Greitemann, B. (2004). Qualitätsmanagement im Versorgungsprozess von Rückenpatienten, Zielsetzung und Verringerung der hohen indirekten Krankheitskosten. Unveröffentlichtes Manuskript. [14] Zimmermann, M. Medizinische und/oder berufliche Rehabilitation? Zuweisung und Wahl der richtigen Rehabilitation für Patienten mit chronisch behindernden Rückenschmerzen im internationalen Vergleich. 14. Rehabiilitationswissenschaftliches Kolloquium, Hannover. VDR Verlag, Tagungsband DRV-Schriften Bd. 59. [15] Weber, A (2004). Reintegration nach Langzeitarbeitsunfähigkeit. In: T. Schott (Hrsg.): Eingliedern statt ausmustern. Möglichkeiten und Strategien zur Sicherung der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer. Weinheim: Juventa. [16] Gerdes, N; Weidemann, H & Jäckel, WH (Hrsg., 2000). Die Protos-Studie. Ergebnisqualität stationärer Rehabilitation in 15 Kliniken der Wittgensteiner Kliniken Allianz. Darmstadt: Steinkopf. [17] Gerbershagen, HU; Korb, J; Nagel, B & Nilges, P (1996). Das Mainzer Stadiensystem der Schmerzchronifizierung - Handanweisung. 132

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135 Entwicklung einer Indikatorenliste zur sozialmedizinischen Beurteilung der Reintegrationsprognose und der Rehabilitationsbedürftigkeit bei Rentenantragstellern mit psychischen Erkrankungen (IREPRO) Projektkennzeichen: Projekt 91 Förderer: Verein für Rehabilitationsforschung Norderney Kaiserstr. 26 Norderney Projektleiterin: Dipl.-Psych. Dr. Bettina Hesse Projektmitarbeiter: Dipl.-Psych. Dr. Bettina Hesse cand. psych. Petra Gelléri cand. psych. Isabell Kulbe Forschungsinstitut: Institut für Rehabilitationsforschung Norderney Abteilung Sozialmedizin Münster Leitung: Dr. med. Erika Gebauer Gartenstr Münster Laufzeit: Januar 2001 bis Dezember 2004 Zusammenfassung Für die sozialmedizinische Begutachtung von Erwerbsminderungsanträgen aufgrund psychischer Erkrankungen wurde in einem mehrstufigen expertenbasierten Entwicklungsprozess eine Arbeitshilfe zur standardisierten Ableitung der Besserungsprognose und der Rehabilitationsbedürftigkeit in Form einer Indikatorenliste entwickelt. Als Expert/innen wurden in der Begutachtung und Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen erfahrene Mitarbeiter verschiedener Sozialversicherungsträger, psychiatrischer Kliniken und Rehakliniken einbezogen. Die Indikatorenliste beschreibt 10 Indikatoren aus 3 Themenfeldern (Funktionsvermögen, Krankheits- und Behandlungsverlauf, Ressourcen) mit je 5 Bewertungsstufen. Die Bewertung der Indikatoren wird in einem Bewertungsprofil visualisiert und den rehabilitativen und therapeutischen Möglichkeiten gegenübergestellt. Zur Illustration des Vorgehens sind dem Manual Fallbeispiele angefügt. Die durchschnittliche Zeit zum Ausfüllen des Bewertungsprofils beträgt 8,3 Minuten. Das Grundprinzip des Manuals ist auf andere Indikationen und andere Einsatzbereiche wie z.b. die Beurteilung von Reha-Anträgen übertragbar. Die Struktur der Indikatorenliste bietet eine gute Basis für die gutachterliche Falldiskussion in Qualitätszirkeln und in der Super- und Intervision. 1. Einleitung / wissenschaftlicher Hintergrund Den Anstoß für die Entwicklung der Indikatorenliste gaben Beobachtungen in einem vorauslaufenden Projekt zur Rehabilitation und Frühberentung bei psychischen Störungen [Hesse 2001]. Dort waren bei der Auswertung von Rentengutachten und in einer Expertenbefragung Schwachstellen in der prognostischen Bewertung deutlich geworden. Die oft erhebliche Chronizität der Störungen und die dem Rentenantrag vorausgehende lang an- 134

136 dauernde berufliche und soziale Desintegration wurden nicht immer ausreichend in die Bewertung einbezogen. Dadurch wurde die Schwere der Störung unterschätzt und das Besserungspotential überschätzt. Außerdem wurden die persönlichen Ressourcen und die motivationale Situation der Antragsteller nicht ausreichend in die Bestimmung der Besserungsprognose einbezogen. Es fehlten im Gutachten Hinweise, wie bei einer Zeitberentung eine Besserung der Erwerbsfähigkeit zu erreichen sei bzw. die Hinweise waren sehr allgemein gehalten. Eine Besserung wurde teilweise durch Mittel erwartet, die nicht im Einflussbereich der Rentenversicherung liegen (z. B. Psychotherapien) und für die eine Weitergabe der Therapieempfehlungen nicht systematisch stattfindet. In der Expertenbefragung wurden Fallvignetten zur Beurteilung vorgelegt. Hier zeigte sich eine erhebliche Variabilität in der Beurteilung der Besserungsprognose des gleichen Falles durch verschiedene Experten. Diese Befunde zeigen den Bedarf für eine stärkere Standardisierung und Optimierung der Prognosebewertung in der Begutachtung. Neben diesen Beobachtungen begründen folgende Entwicklungen die Relevanz des Projektes: Die kontinuierliche Zunahme psychischer Erkrankungen im Berentungsgeschehen Der Anteil psychischer Erkrankungen an den Erwerbsminderungsrenten steigt kontinuierlich. Im Jahr 2003 lag ihr Anteil bei 24 % bei den Männern und 36 % bei den Frauen [Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) 2004]. Änderungen im Renten- und Rehabilitationsrecht Die Beurteilung des Leistungsvermögens und der Prognose ist mit Änderung des Rentenrechts zum komplexer geworden. Die Einführung von Teilrenten und die Änderung der Argumentationsweise für Zeit- und Dauerrenten erfordern eine differenziertere Betrachtung von Entwicklungsmöglichkeiten. Mit der Verabschiedung des SGB IX gewinnt die Frage der Rehabilitationsbedürftigkeit in der Rentenbegutachtung eine noch größere Bedeutung. Die Notwendigkeit der Qualitätssicherung in der Begutachtung Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Evidence Based Medicine und der Leitlinienentwicklung machen es auch für die sozialmedizinische Begutachtung erforderlich, Standardisierung und Transparenz des Begutachtungsprozesses zu erhöhen. Dies ermöglicht eine systematische Qualitätssicherung und schafft Voraussetzungen zur Sicherstellung der Verteilungsgerechtigkeit von Sozialleistungen [Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) 2004, Stelzer & Sieber 1993]. Fehlende Forschungsaktivitäten im Bereich der sozialmedizinischen Begutachtung Das Themenfeld der sozialmedizinischen Begutachtung ist bisher kaum untersucht. Die Mehrzahl der Publikationen gibt Erfahrungswissen wieder und bezieht sich überwiegend auf die Beurteilung des Leistungsvermögens und weniger auf die Prognose [Baumann et al. 2001, Foerster 1992]. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Ziel des Projektes war die Entwicklung einer Arbeitshilfe für psychiatrische Gutachter bei der sozialmedizinischen Begutachtung von Rentenantragstellern mit psychischen Störungen. Diese Arbeitshilfe wird im Weiteren als Indikatorenliste IREPRO bezeichnet. Die Indikatorenliste IREPRO dient: 1. der Ableitung der Prognose bzgl. der Wiedererlangungschancen des vollen Leistungsvermögens (Reintegrationsprognose): Die Indikatorenliste soll dazu beitragen, die Prognosegenauigkeit bzgl. der Wiedererlangung des Leistungsvermögens deutlich zu verbessern. Sie soll differenzieren zwischen Versicherten mit einem niedrigen, mittleren und hohen Reintegrationspotential. Versicherte mit gutem Reintegrationspotential können so zielgerichtet ausgewählt und unterstützt werden. 135

137 2. der Bestimmung des Handlungsbedarfs (Rehabilitationsbedürftigkeit): Die Indikatorenliste soll erfassen, welche therapeutischen/rehabilitativen Mittel zur Förderung der Reintegrationschancen eingesetzt werden können. Sie soll erfassen, inwieweit die Besserung durch Maßnahmen der Rentenversicherung beeinflusst werden kann bzw. in welchem Verantwortungsbereich die zur Besserung nötigen Maßnahmen angesiedelt sind. Folgende Kriterien sollen durch die Indikatorenliste IREPRO erfüllt werden: diagnoseunabhängige Anwendbarkeit bei allen psychischen Störungen Herstellung einer Verbindung zwischen Ist-Zustand und therapeutischen bzw. rehabilitativen Interventionsmöglichkeiten keine grundlegende Veränderung des Begutachtungsprozesses möglichst geringer Zeitaufwand in der praktischen Anwendung gute gutachterliche Akzeptanz Berücksichtigung des biopsychosozialen Gesundheitskonzepts der WHO, wie es in der ICF beschrieben wird. Die Indikatorenliste soll zu mehr Transparenz und Standardisierung in der Begutachtung beitragen. Sie stellt einen Beitrag zur Qualitätssicherung im Begutachtungsprozess dar und kann helfen Begutachtungen und Rehabilitation wirtschaftlicher einzusetzen. Die prognostische Validierung der Indikatorenliste war nicht Bestandteil der Entwicklungsphase. Sie kann und wird aus empirischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die dafür nötige Datenbasis wurde im Projektverlauf geschaffen. 3. Methoden und Arbeitsplan Aufgrund des Mangels an empirischer Evidenz war es notwendig, für die Entwicklung der Indikatorenliste auf Expertenwissen zurückzugreifen. Mit diesem Vorgehen wurde außerdem eine hohe Partizipation des Nutzerkreises der Indikatorenliste im Entwicklungsprozess und eine gute Akzeptanz des Instrumentes angestrebt. Um einen größeren Kreis von Experten einzubeziehen und die Möglichkeiten der Diskussion, Reflexion und praktischen Erprobung der Indikatorenliste zu schaffen, wurden in den Entwicklungsprozess Klein- und Großgruppenaktivitäten einbezogen, die durch die Projektleitung strukturiert und gesteuert wurden. Die Entwicklung verlief in mehreren Phasen. Es wurden 2 Expertenkreise gebildet: 1. Die Großgruppe setzte sich bundesweit aus Gutachtern und Entscheidungsträgern der Rentenversicherung, Gutachtern anderer Zweige der Sozialversicherung und Behandlern aus Kuration und Rehabilitation zusammen. So war gewährleistet, dass ein breiter Kreis von Nutzern und Entscheidungsträgern einbezogen wurde und auch Aspekte der Kuration und Rehabilitation in der Entwicklung berücksichtigt wurden. Die Großgruppe nahm an schriftlichen Befragungsrunden und der Abschlussveranstaltung teil. Initial wurden ca. 90 Personen / Institutionen angeschrieben. 2. Die Kleingruppe setzte sich je nach Entwicklungsphase aus 7 bis 9 Personen zusammen. Es handelte sich um 7 psychiatrische Gutachter der LVA Westfalen sowie 2 Mitarbeiter/innen von Reha-Einrichtungen im Einzugsgebiet der LVA Westfalen. Die Kleingruppe traf sich zu halb- und ganztägigen Arbeitstreffen, diskutierte den Wissensstand, reflektierte eigenes Handeln und gab Impulse für die Weiterentwicklung der Indikatorenliste. Sie erprobte die ersten Entwürfe der Indikatorenliste in der Praxis und nahm ebenfalls an der Abschlussveranstaltung teil. Die Projektleitung war verantwortlich dafür, die Arbeit beider Gruppen zu strukturieren und zu organisieren, d. h. Fragebögen zu entwickeln, Informationen bereitzustellen, Arbeitsaufträge für die 136

138 Kleingruppe zu formulieren, den Gruppenprozess zu moderieren und die Impulse beider Gruppen in dem Entwurf der Indikatorenliste umzusetzen. Im Entwicklungsprozess wurden verschiedene Arbeitsformen bzw. Erhebungstechniken eingesetzt: Schriftliche Befragungen (Großgruppe) Moderierte Gruppendiskussionen (Kleingruppe) Fallbesprechungen (Klein- und Großgruppe) Praxisphasen, in denen das Instrument erprobt wird (Kleingruppe) Insgesamt waren acht Entwicklungsschritte geplant. Die einzelnen Schritte und das damit verbundene Ziel sind in der folgenden Abbildung 1 wiedergegeben: Abb. 1: Entwicklungsphasen der Indikatorenliste Phase Aufgabe Ergebnis Befragung Großgruppe I Prognosefaktoren Kleingruppendiskussionen I Operationalisierungsschema Bewertungsprofil, Indikatorenauswahl Entwurf Manual Befragung Großgruppe II Kleingruppendiskussionen II Bewertung 1. Entwurf Modifikation Praxisphase I Kleingruppendiskussionen III Praktikabilität Modifikation Praxisphase II Stat. Kennwerte Interrater-Reliabität Fälle für progn. Validierung Abschlussworkshop Erprobung an Fallbeispielen Diskussion Endfassung Manual Ziel der ersten Befragung der Großgruppe war es, eine erste empirische Basis für die Kleingruppenarbeit zu gewinnen. Der Fragebogen enthielt Items zur Bewertung der Projektidee, zur Bewertung der Güte der Prognose in Rentengutachten sowie zu den Einflussfaktoren der Güte der Bewertung, außerdem eine Auflistung von Prognosefaktoren, die hinsichtlich ihrer Relevanz für die Prognose beurteilt werden sollten. Die Zusammenstellung der Prognosefaktoren erfolgte anhand der Literaturrecherche. Die Ergebnisse der Befragung wurden in der Kleingruppe diskutiert. Sie flossen in die erste Auswahl der Indikatoren ein. In der Kleingruppe wurde das Operationalisierungsschema für die Beschreibung der Indikatoren und das Bewertungsprofil diskutiert. Entwürfe hierfür stellte die Projektleitung bereit. Die ausgewählten Indikatoren wurden anhand eines Operationalisierungsschemas inhaltlich beschrieben. Aus 137

139 der Kleingruppenarbeit heraus wurde von der Projektleitung ein erster Manualentwurf entwickelt. Der Manualentwurf wurde der Großgruppe zusammen mit einem Fragebogen zugesandt (Befragung Großgruppe II), der Rückmeldung zu folgenden Bereichen abfragte: Aufbau, Verständlichkeit und Systematik des Manuals Auswahl der Indikatoren Beschreibung der Indikatoren Die Ergebnisse der Befragung wurden in der Kleingruppe diskutiert und die notwendigen Veränderungen an dem Indikatorenmanual vorgenommen. Das Manual wurde anschließend bei ca. 50 Begutachtungen von den Mitgliedern der Kleingruppe in der Praxis erprobt (Praxisphase I). Ziel dieser Phase war es, Handhabungsprobleme mit dem Manual und Lücken in der Auswahl und der Beschreibung der Indikatoren zu erfassen. Außerdem wurden Interkorrelationen der Indikatoren untereinander berechnet. Aufgrund der Erfahrungen in der Praxisphase I und den statistischen Ergebnissen wird das Indikatorenmanual in der Kleingruppe noch einmal grundlegend überprüft und angepasst. Anschließend wurde das Indikatorenmanual von den Mitgliedern der Kleingruppe bei 215 Fällen erprobt (Praxisphase II). Diese Fälle dienten der faktorenanalytischen Analyse der Indikatorenliste und sollten die Basis für die prognostische Validierung der Indikatorenliste in ca. 3 Jahren darstellen, in der die prognostische Einschätzung mit dem tatsächlichen weiteren Verlauf abgeglichen wird. Zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität wurden aus den 215 Gutachten 20 Gutachten ausgewählt und allen Gutachtern noch einmal zur Bewertung vorgelegt. Das Manual und die Ergebnisse der Praxisphase wurden der Großgruppe der Experten auf dem Abschlussworkshop vorgestellt. Dort wurde das Manual von allen Teilnehmern in Kleingruppenarbeit an Beispielfällen erprobt. Die Erfahrungen aus der Fallarbeit wurden im Plenum vorgestellt und die Anregungen und Hinweise aus den Kleingruppen und der Plenumsveranstaltung in die Endfassung des Manuals eingearbeitet. Die Beispielfälle des Workshops wurden als Orientierungshilfe in das Manual aufgenommen. Das Manual wurde noch einmal allen Teilnehmern des Abschlussworkshops zur Kenntnisnahme vorgelegt. Aufgrund der Änderungen, die sich aus der Praxisphase II und dem Abschlussworkshop für das Manual ergaben, war es notwendig, die Interrater-Reliabilität ein zweites Mal zu bestimmen; hierzu wurden den Gutachtern erneut 20 Fälle vorgelegt. Außerdem wurde für die prognostische Validierung die Indikatorenliste bei weiteren 300 Rentengutachten eingesetzt. Der weitere Krankheitsverlauf dieser Fälle wird in ca. 3 Jahren erfasst und mit dem Bewertungsprofil abgeglichen. Neben der Bestimmung der Vorhersagegenauigkeit der Indikatorenliste wird es dann auch möglich sein, für die Indikatoren ein Gewichtungsmodell zur Ableitung der Prognose zu entwickeln. 4. Ergebnisse Im Folgenden wird der Aufbau des Manuals, die Bearbeitungszeit, die Faktorenstruktur und die Interrater-Reliabilität beschrieben: 4.1 Aufbau des Manuals Das Manual besteht aus 3 Elementen: 1. der Beschreibung der Indikatoren 2. dem IREPRO-Bewertungsprofil 3. Fallbeispielen 138

140 Es werden insgesamt 10 Indikatoren in 3 Untergruppen beschrieben: A Psychisches, soziales und körperliches Funktionsvermögen A-1 Psychisches Funktionsvermögen A-2 Tagesstrukturierung und Selbstversorgung A-3 Soziales Funktionsvermögen A-4 Körperliches Funktionsvermögen B Krankheitsverlauf und Behandlungsperspektive B-1 Krankheitsverlauf B-2 Behandlungsperspektive C Ressourcen C-1 Ausbildungs- und Erwerbsbiographie C-2 Reintegrationsmotivation C-3 Bewältigungs-Kompetenz C-4 Fördernde und hemmende Kontextfaktoren Jeder Indikator wird nach einem festen Schema operationalisiert. Der Indikator wird definiert, die Prognoserelevanz dargestellt, Bewertungsaspekte und Informationsquellen beschrieben, therapeutische und rehabilitative Interventionsmöglichkeiten genannt und die Bewertungsstufen beschrieben. Für jeden Indikator gibt es 5 Bewertungsstufen. Bei einigen Indikatoren sind diese eindimensional bei manchen zweidimensional. Als Beispiel wird in der folgenden Abbildung 2 der Indikator Krankheitsverlauf wiedergegeben. Abb. 2: Operationalisierungsschema der Indikatoren am Beispiel des Krankheitsverlaufs B 1 - Krankheitsverlauf Definition Prognoserelevanz Bewertungsaspekte Informationsquellen Therapeutische oder rehabilitative Interventionsmöglichkeiten Bewertungsstufen Der Krankheitsverlauf beschreibt den lebensgeschichtlichen Zeitpunkt des Krankheitsbeginns und den zeitlichen Verlauf. Durch die Betrachtung des Krankheitsverlaufs ist es möglich, Aussagen über die Chronifizierung der Symptomatik und die Progredienz der Erkrankung zu machen. Dauer der Symptomatik - kurz: < 2 Jahre - mittellang: 2-5 Jahre - lang: > 5 Jahre Verlauf bzw. Dynamik der Erkrankung - remittierend - gleich bleibend (auch zyklisch, intermittierend, Symptomwechsel) - progredient (auch residuales Zustandsbild) Anamnesegespräch Vorbefunde Arbeitsunfähigkeits-Diagnosen-Beleg der Krankenkassen (AUD-Beleg): Arbeitsunfähigkeitszeiten (Länge, Häufigkeit, Entwicklung) Es ergeben sich aus diesem Kriterium keine Interventionsmöglichkeiten, da hier eine retrospektive Bewertung des Krankheitsverlaufs erfolgt. Dauer < 2 Jahre 2-5 Jahre > 5 Jahre remittierend Verlauf gleich bleibend progredient Das IREPRO-Bewertungsprofil visualisiert die Bewertungen für jeden Indikator. Dabei ist jedem Indikator eine Auflistung therapeutischer und rehabilitativer Interventionsmöglichkeiten zugeordnet, die für den individuellen Fall ausgewählt werden können. Das Bewertungsprofil wird in Abbildung 3 wiedergegeben. 139

141 Abb. 3: IREPRO-Bewertungsprofil der Indikatorenliste Das IREPRO-Bewertungsprofil Das Bewertungsprofil dient der Strukturierung des gutachterlichen Entscheidungsprozesses. Die Erfassung und Auswertung kann nur durch einen psychiatrisch erfahrenen Gutachter erfolgen! Name: Alter: Datum: Diagnose/n: Begutachtungsanlass Erwerbsminderungsrente Nachuntersuchung Widerspruch / Klage Grundsicherung (SGB XII) Reha-Antrag Letzte berufl. Tätigkeit: Leistungsvermögen Letzte Tätigkeit 6 Std. 3 bis unter 6 Std. < 3 Std. Allg. Arbeitsmarkt 6 Std. 3 bis unter 6 Std. < 3 Std. Arbeitsplatz vorhanden? ja nein Notwendige therap./rehabilitative Maßnahmen, die sich aus der Bewertung des Indikators ableiten Prognose-Indikatoren Die Bewertungsstufen 5 bis 1 werden im Manual für jeden Indikator erläutert keine Infos Fortführung der bisherigen Therapie Intensivierung / Modifikation d. bisherigen Therapie amb. psychiatr. Behandlung ambulante Psychotherapie stat. oder teilstat. Psychiatr. Klinik betreutes Wohnen Soziotherapie spezifisches Training, s. Erläuterungen RPK bzw. Übergangseinrichtung psychosomat. Reha somatische Reha / Therapie Leistungen zur Teilhbe am Arbeitsleben Entwöhnungsbehandlung (Sucht) andere, s. Erläuterungen A. Psychisches, soziales & körperl. Funktionsvermögen Psych. Funktionsvermögen Tagesstruktur/Selbstversor- Soziales Funktionsvermögen Körperl. Funktionsvermögen B. Krankheitsverlauf & Behandlungsperspektive Krankheitsverlauf Behandlungsperspektive C. Ressourcen Ausbildungs-/ Erwerbsbiographie Reintegrationsmotivation Bewältigungskompetenzen Fördernde & hemmende Kontextfaktoren Insgesamt zu empfehlende Maßnahmen Prognose für die Wiederherstellung bzw. Erhaltung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben in den nächsten 3 Jahren Erläuterungen zu den Maßnahmen sehr günstig günstig eher günstig eher ungünstig ungünstig 140 sehr ungünstig

142 Ist jeder Indikator bewertet, erfolgt die zusammenfassende Prognosebewertung und eine abschließende Zusammenfassung der zu empfehlenden Maßnahmen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es hierfür keinen festen Algorithmus; die Entscheidung liegt im Ermessen des Gutachters. Ein fester Algorithmus ist gegenwärtig nicht sinnvoll, da die vorliegende Indikatorenliste auf Expertenkonsens beruht und die prognostische Validierung in ca. 3 Jahren zu genaueren Gewichtungsmodellen führen wird als es gegenwärtig möglich ist. Die Vorgabe eines Gewichtungsmodells zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde eine Pseudopräzision bedeuten. 4.2 Bearbeitungszeit Die durchschnittliche Bearbeitungszeit für das Manual liegt bei 8,3 Minuten (Median: 10 Minuten). 4.3 Faktorenstruktur Im Rahmen der 2. Praxisphase wurde in 215 Begutachtungsfällen das Bewertungsprofil ausgefüllt. Eine Faktorenanalyse (Hauptkomponentenmethode, Varimax-Rotation) erbrachte als beste Lösung eine 4-Faktorenlösung. Sie bildet die Struktur der Indikatorenliste gut ab. Die aufgeklärte Varianz beträgt 74 %. Die Entscheidung für eine 4-Faktorenlösung erfolgte anhand des Eigenwertverlaufs und inhaltlicher Kriterien. Der erste Faktor ist durch hohe Ladungen der Indikatoren Psychisches Funktionsvermögen, Tagesstruktur/Selbstversorgung und Soziales Funktionsvermögen gekennzeichnet. Auf dem zweiten Faktor laden alle 4 Ressourcenindikatoren hoch, das sind Lern- und Erwerbsbiographie, Reintegrationsmotivation, Bewältigungskompetenz und die Fördernden und hemmenden Kontextfaktoren. Auf dem dritten Faktor laden die Indikatoren Krankheitsverlauf und Behandlungsperspektive hoch. Abweichend von der Struktur der Indikatorenliste stellt das Körperliche Funktionsvermögen eine einige Komponente dar. Dies ist inhaltlich nachvollziehbar, da das körperliche Funktionsvermögen schon per Definition als Komorbidität unabhängig von der psychischen Situation ist. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse sind in Tabelle 1 wiedergegeben. Tabelle 1: Faktorenanalyse der Indikatorenliste (Hauptkomponentenmethode und Varimax-Rotation mit Kaisernormalisierung, n =215): Rotierte Komponentenmatrix, aufgeklärte Varianz pro Faktor Indikatoren Kommunalitäten Komponente nach Extraktion Psychisches Funktionsvermögen 0,713 0,819-0,037 0,200-0,029 Tagesstruktur/Selbstversorgung 0,815 0,888 0,114 0,112-0,023 Soziales Funktionsvermögen 0,802 0,884 0,134 0,021-0,050 Körperliches Funktionsvermögen 0,962-0,066 0,067-0,022 0,976 Krankheitsverlauf 0,823 0,190 0,137 0,873 0,076 Behandlungsperspektive 0,763 0,110 0,314 0,800-0,110 Lern- und Erwerbsbiographie 0,616 0,121 0,772 0,021-0,064 Reintegrationsmotivation 0,679 0,031 0,777 0,236 0,137 Bewältigungs-Kompetenz 0,644 0,438 0,607 0,210 0,200 Fördernde und hemmende Kontextfaktoren 0,584-0,041 0,741 0,184-0,012 Aufgeklärte Varianz 25,02% 22,71% 15,90% 10,37% 141

143 4.4 Interrater-Reliabilität Es fand eine zweimalige Überprüfung der Interraterreliabilität in zwei Entwicklungsphasen anhand von je 20 Fällen statt. An der ersten Überprüfung nahmen vier Gutachter/innen, an der zweiten acht Gutachter/innen teil. Die Fälle wurden aus den 215 Fällen der Praxisphase II ausgewählt. Dabei wurde eine möglichst breite Streuung der Diagnosen, der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der Bewertung der Indikatoren angestrebt. Außerdem wurde darauf geachtet, dass die Gutachten zu möglichst allen Indikatoren Informationen enthielten. Berichtet wird nur von den Ergebnissen der letzten Überprüfung der Interrater-Reliabilität. Die 20 Fälle wurden acht Gutachter/innen vorgelegt. Vier von ihnen trafen sich zu einer halbtägigen Vorbereitung auf die Aufgabe. Bei diesem Treffen wurden die Indikatoren mit den Änderungen besprochen und zwei Fallbeispiele diskutiert. Als Maß zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität wurde der Interklassenkorrelationskoeffizient für absolute Übereinstimmung (ICC unjust) gewählt (s. Tabelle 2). Er wurde für verschiedene Ratergruppierungen berechnet: alle 8 Rater/innen die 6 Rater/innen mit der höchsten Übereinstimmung. Hier wurde die Übereinstimmung sowohl über alle zwanzig Fälle wie auch die zuerst bearbeiteten zehn Fälle und die zuletzt bearbeiteten zehn Fälle berechnet. Die Interraterkorrelationen sind in Abbildung 4 wiedergegeben. Tabelle 2: Interklassenkorrelationskoeffizient ICC unjust zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität. Indikatoren 8 Rater/innen 6 Rater/innen (ohne Rater/in C und E) Fälle 1-20 Fälle 1-10 Fälle Psychisches Funktionsvermögen Tagesstrukturierung / Selbstversorgung Soziales Funktionsvermögen Körperliches Funktionsvermögen Krankheitsverlauf Behandlungsperspektive Ausbildungs- und Erwerbsbiographie Reintegrationsmotivation Bewältigungskompetenz Fördernde und hemmende Kontextfaktoren

144 Abb. 4: Interkorrelationsgrafik aller 8 Rater/innen über alle 10 Indikatoren Alle 10 Indikatoren B A C H D G.53 F E Es werden nur Interkorrelationen über.40 abgebildet: Tabelle 2 zeigt, dass die Interrater-Reliabilität über 8 Rater/innen mit Werten zwischen.22 und.45 unbefriedigend ist. Bessere Werte zwischen.30 und.61 werden erreicht, wenn die 2 Rater/innen (C und E), die über alle 10 Indikatoren die schlechtesten Interkorrelationen zu den anderen Rater/ innen aufweisen, aus der Berechnung ausgeschlossen werden (vgl. Abb. 4). Die beiden ausgeschlossenen Rater/innen hatten nicht an dem Vorbereitungstreffen teilgenommen und waren im Entwicklungsprozess nicht kontinuierlich präsent. Betrachtet man die Werte der verbliebenen 6 Rater/innen im zeitlichen Verlauf, d.h. vergleicht man die Interrater-Reliabilitäten der zuletzt bearbeiteten zehn Fälle mit den zuerst bearbeiteten 10 Fällen, ist eine deutliche Besserung der Reliabilitäten bei den zuletzt bearbeiteten Fällen zu verzeichnen. Sie liegt bei den zuletzt bearbeiteten 10 Fällen zwischen.34 und.71. Dies deutet auf einen deutlichen Übungseffekt im Umgang mit dem Manual hin. Hier sind die Reliabilitäten mit Ausnahme der Indikatoren Reintegrationsmotivation und Fördernde und hemmende Kontextfaktoren befriedigend. 5. Diskussion Im Entwicklungsprozess der Indikatorenliste mussten verschiedene Schwierigkeiten berücksichtigt werden. Es gab wenig bis keine vorhandene empirische Evidenz auf die zurückgegriffen werden konnte. Hinzu kamen die geringen Möglichkeiten, den zu prognostizierenden Prozess direkt zu beobachten, da zwischen Prognosestellung und Ablauf des Prognosezeitraums zwei bis drei Jahre liegen. Somit musste in der Entwicklungsphase hauptsächlich auf das Erfahrungswissen der beteiligten Expert/innen zurückgegriffen werden. Die Expert/innen waren bewusst aus der Praxis gewählt, um einen engen Bezug zum Einsatzgebiet zu halten. Denn nur so können in der Routine praktikable Lösungen gefunden werden. Mit diesem Vorgehen verbunden war aber auch die Schwierigkeit, dass die einbezogenen Expert/innen als Praktiker/innen überwiegend wenig gewohnt waren, eine wissenschaftliche Perspektive einzunehmen und ihr Handeln auf einer empirischen Ebene zu reflektieren. In der Praxis 143

145 ist das Handeln einzelfallorientiert. Für die Entwicklung der Indikatorenliste war es nötig, übergeordnete Bewertungsmuster und Entscheidungsstrategien zu erkennen und zu benennen. Für die Exploration der jeder Entscheidung impliziten Bewertungsschritte war deshalb in der Kleingruppe ein längerer Entwicklungsprozess nötig. Die Expert/innenbefragung I machte darüber hinaus deutlich, dass bei aller Zustimmung zum Projektansatz, die Vorstellung einer Operationalisierung und Standardisierung des Entscheidungsprozesses auch mit großen Bedenken bzgl. der gutachterlichen Freiheit behaftet war. Mit fortschreitender Arbeit konnte der Perspektivenwechsel von den beteiligten Gutachter/innen immer besser vorgenommen werden. Die Arbeit an konkreten Fällen führte zu lebhaften Diskussionen über individuelle Bewertungsmuster und machte allen Beteiligten deutlich, wie unterschiedlich manche Informationen gewertet werden. Ein kritischer Punkt im gesamten Entwicklungsprozess war die Genauigkeit der Operationalisierungen, insbesondere der Bewertungsaspekte und der Bewertungsstufen. Erste Fallgespräche zeigten deutlich, dass das spontane Verständnis vieler Indikatoren individuell sehr unterschiedlich sein kann. Gleichzeitig musste eine Gratwanderung zwischen optimaler Genauigkeit, die zwangsläufig mit großer Detailliertheit und umfangreichen Beschreibungen verbunden ist, und Praxistauglichkeit erfolgen. Praxistauglichkeit heißt in diesem Zusammenhang, möglichst kurze Beschreibungen und Explorationsstrategien, die sich in die vorhandene Begutachtungspraxis integrieren lassen. Erschwerend kam hinzu, dass für die Informationsgewinnung bisher keine für die Begutachtungssituation validierten psychometrischen Messinstrumente zur Verfügung stehen und der Einsatz der vorhandenen Messinstrumente deshalb nur mit großer Vorsicht erfolgen kann. Somit mussten die Exploration der Indikatoren und die Bewertung des Explorierten weiterhin im Ermessensspielraum der Gutachterin bzw. des Gutachters bleiben. Gleichzeitig musste durch die Indikatorenbeschreibungen dieser Spielraum aber sehr genau begrenzt werden. Die Indikatorenbeschreibungen in der endgültigen Fassung stellen somit einen Kompromiss innerhalb dieses Rahmens dar. Dies hat Auswirkungen auf die Interraterreliabilität. Sie ist in hohem Maße davon abhängig, dass alle Nutzer ein gleiches Verständnis der Indikatoren haben. Dieses ist umso höher, je genauer eine Beschreibung ist, je weniger Interpretationsspielraum vorliegt, je präziser sich die Nutzer an die Definitionen halten und je klarer die Informationslage ist. Viele der ausgewählten Indikatoren stellen psychologische Konstrukte dar, die einen weiten Bedeutungshorizont haben wie z.b. die Bewältigungskompetenz oder die Reintegrationsmotivation. Hier ist es naturgemäß schwerer eine Übereinstimmung zu erzielen als wenn es z.b. um den Bewegungswinkel eines Gelenkes geht. Die Beurteilung anderer Indikatoren wie z.b. der Behandlungsperspektive basieren stark auf dem Erfahrungswissen und der eher optimistischen oder pessimistischen Grundhaltung der einzelnen Gutachter/innen. Dies wird solange so bleiben, solange empirische Evidenz darüber fehlt, welche Behandlungsmaßnahmen in welchem Krankheitsstadium Erfolg versprechend sind. Ein Teil der Reliabilitätsmängel kann durch systematische Schulungen reduziert werden. Analysen des Beurteilungsverhaltens haben gezeigt, dass dabei folgende Themen bearbeitet werden sollten: Urteilstendenzen (z.b. unterschiedliche Nutzung der Skalenbreite durch die Rater/innen) unterschiedlicher Umgang mit geringer oder fehlender Information Abgleich des spontanen Verständnisses der Indikatoren mit der Operationalisierung im Manual Ein weiterer Teil der Reliabilitätsmängel kann durch die Entwicklung von standardisierten Instrumenten zur Informationserhebung verringert werden. In der zweiten Expert/innenbefragung haben mehr als 2/3 der Befragten den Einsatz von standardisierten Tests und ein Set von Musterfragen für die Exploration begrüßt. 93 % wünschten Selbstauskunftsbögen für die Antragsteller. Die Diskussion der Interrater-Reliabilität macht deutlich, dass die Reliabilität der Urteile in Gutachten insgesamt ein Problem in der sozialmedizinischen Begutachtung darstellt und sich hier ein weites Handlungsfeld aufspannt. 144

146 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse In der gegenwärtigen Fassung leistet die Indikatorenliste einen ersten Schritt zur Erhöhung der Transparenz und Standardisierung der sozialmedizinischen Begutachtung von Rentenantragstellern bei den Fragen der Prognose und des Rehabilitationsbedarfs. Das Manual ist im Umfang überschaubar. Die Bearbeitungszeit zum Ausfüllen des IREPRO-Bewertungsprofils ist mit im Mittel 8,3 Minuten gering. Das Interesse und die Akzeptanz bei den Anwendern sind sehr gut. Das Grundprinzip des Manuals ist auf andere Indikationen, andere Fragestellungen, z.b. auch die Beurteilung des Leistungsvermögens und andere Einsatzbereiche, z.b. die Beurteilung von Reha- Anträgen übertragbar. Für einen routinemäßigen Einsatz des Instruments muss durch Schulungen und den Einsatz standardisierter Informationserhebungsverfahren eine ausreichende Interrater-Reliabilität sichergestellt werden und es müssen die Ergebnisse der prognostischen Validierung abgewartet werden. Die Struktur der Indikatorenliste bietet schon jetzt eine gute Basis für die Falldiskussion in Qualitätszirkeln und in der Super- und Intervision. Aus der Erfahrung in der Kleingruppenarbeit und auch aus den Kontakten mit dem größeren Expert/innenkreis ist zu erwarten, dass ein großes Interesse an der systematischen Diskussion von Fallbeispielen, z. B. im Rahmen von Schulungen, besteht. Die Gutachter/innen sind in der Regel Einzelkämpfer, d.h. sie haben keine Möglichkeit und oft auch keine Zeit, ihre Entscheidungen mit anderen zu diskutieren. Sie können in der Gutachtertätigkeit ihr Handeln nur im geringen Maße durch Rückmeldungen überprüfen, da die Begutachtung einer Person bis auf wenige Ausnahmen, z.b. bei Nachuntersuchungen oder im Rahmen von Sozialgerichtsverfahren, eine einmalige Situation ist. 7. Literatur Baumann, W.; Heipertz, W.; Schliehe, F. & van Essen, J. (2001): Herausforderungen der sozialmedizinischen Beratung und Begutachtung. Gesundheitswesen, 63, Sonderheft 1, S35-S38. Foerster, K. (1992): Psychiatrische Begutachtung im Sozialrecht. Der Nervenarzt, 63, Hesse, B. (2001): Rehabilitation und Frühberentung bei jüngeren Antragstellern mit psychischen Erkrankungen. Gesamtbericht. Institut für Rehabilitationsforschung Norderney, Abteilung Sozialmedizin Münster. Stelzer, E. & Sieber, G. (1993): Qualitätssicherung in der Rentenbegutachtung: Methodik und erste Ergebnisse. Der medizinische Sachverständige, 89, 6, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) [Hg] (2004): Abschlussbericht der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung -SOMEKO- wdv Gesellschaft für Medien und Kommunikation mbh & Co. OHG: Bad Homburg. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR) (2004): Rentenversicherung in Zeitreihen. VDR: Frankfurt/M. 8. Projektbezogene Publikationen Hesse, B. & Gebauer, E. (2004): Entwicklung einer Indikatorenliste zur sozialmedizinischen Bewertung der Reintegrationsprognose und des Rehabedarfs bei Rentenantragstellern mit psychischen Erkrankungen (IREPRO). in Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR)[Hg]: Selbstkompetenz - Weg und Ziel der Rehabilitation. 13. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom

147 10. März 2004 in Düsseldorf. wdv Gesellschaft für Medien und Kommunikation mbh & Co. OHG: Bad Homburg Hesse, B. & Gebauer, E. (2004): Erfassung der Reintegrationsprognose und Rehabilitationsbedürftigkeit in der psychiatrischen Begutachtung von Rentenantragstellern. Gesundheitswesen, 66, 8/9, Hesse, B. & Gebauer, E. (2005): Erfassung der Reintegrationsprognose im psychiatrischen Rentengutachten. In: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR)[Hg]: Rehabilitationsforschung in Deutschland - Stand und Perspektive. 14. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 28. Februar bis 2. März 2005 in Hannover. wdv Gesellschaft für Medien und Kommunikation mbh & Co. OHG: Bad Homburg Kontaktadresse / Homepage Dipl. Psych. Dr. Bettina Hesse MPH Institut für Rehabilitationsforschung Norderney Abteilung Sozialmedizin Gartenstr Münster Tel: hesse.ifr@t-online.de Homepage: Das Manual wird auf Anfrage als pdf-datei zugesandt. 146

148 Leitlinie zur medizinischen Rehabilitation von Patientinnen und Patienten nach lumbaler Bandscheibenoperation Förderkennzeichen: VFR-Projekt Nr. 42 Förderer: Das Projekt wurde gefördert durch den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Frankfurt/M. (jetzt DRV-Bund, Berlin) und den Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung e.v. Norderney Projektleiter: Prof. Dr. med. J. Fischer, Lehrstuhl für Klinische Rehabilitationswissenschaften der Universität Witten/Herdecke, Alfred Herrhausen Str. 44, D Witten Projektmitarbeiter: Dipl.-Soz. M. Schnabel, Dr. S. Sewtz MPH; Lehrstuhl für Klinische Rehabilitationswissenschaften der Universität Witten/Herdecke, Alfred Herrhausen Str. 44, D Witten. Laufzeit: bis Einleitung / wissenschaftlicher Hintergrund Leitlinien stellen eine Orientierungshilfe für den klinischen Alltag dar. In ihnen wird das umfangreiche Wissen der beteiligten Berufsgruppen unter Beachtung der aktuellen Forschungsergebnisse zusammengefasst. Dieses Wissen wird den klinisch tätigen Berufsgruppen als konkrete und explizit ausformulierte Entscheidungshilfe zur Verfügung gestellt. Leitlinien sollen als Handlungs- und Entscheidungskorridore gesehen werden, von denen in begründeten Fällen auch abgewichen werden kann. Durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wurden bereits viele Leitlinien veröffentlicht und Qualitätskriterien für die Entwicklung von Leitlinien entwickelt und aufgestellt 1. Im Bereich der Rehabilitation sind für die Fachgebiete Physikalische Medizin und Rehabilitation über die AWMF jedoch bisher nur sechs Leitlinien zugänglich, in denen vor allem Rehabilitationsprozesse und der Zugang zur Rehabilitation betrachtet werden. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Auf der Basis eines beendeten Forschungsprojektes 2 wurde im Jahr 2001 die Entwicklung einer Leitlinie zum Thema Medizinische Rehabilitation von Patientinnen und Patienten im erwerbsfähigen Alter nach lumbaler Bandscheibenoperation initiiert. Dieses Forschungsvorhaben wurde durch den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und durch den Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung Norderney e.v. unterstützt. Ziel war die Entwicklung eines berufsgruppenübergreifenden und überregional anerkannten Qualitätsstandards für die Rehabilitation dieser Patientengruppe. Der Lehrstuhl für Rehabilitationswissenschaften der Universität Witten/Herdecke hat diese Entwicklung koordiniert und konnte im Jahr 2003 die Leitlinie vorlegen. Es werden hier die Methodik und die Ergebnisse dieses Entwicklungsprozesses dargestellt. Probleme, die sich für die Leitlinienentwicklung vor allem in der Rehabilitation mit ihren komplexen ineinandergreifenden Prozessen und der Integration der verschiedenen Berufsgruppen ergeben, werden benannt und entsprechende Lösungen hierzu vorgestellt. 1 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Hier: bzw. 2 Winter, Christoph: Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation auf der Grundlage von Leitlinien: konsensfähige Leitlinien für die Praxis. 1997; Luchterhand; Neuwied. 147

149 3. Methoden und Arbeitsplan Zur Entwicklung dieser Leitlinie wurden die folgenden 3 Projektschritte konzipiert, bearbeitet und durchgeführt: Literaturanalyse Struktur- und Prozessanalyse Konsensusverfahren Literaturanalyse In der systematischen Entwicklung von Leitlinien sollten nach Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Ergebnisse der wichtigsten vorliegenden Studien zum jeweiligen Thema in der Leitlinie berücksichtigt werden 3. Eine Analyse der Fachliteratur sollte der Erhebung gesicherten Wissens über die Wirksamkeit bestimmter medizinischer bzw. therapeutischer Verfahren in der Behandlung von bandscheibenoperierten Patientinnen und Patienten dienen. Systematische Literaturrecherchen wurden sowohl im Vorfeld unserer Untersuchungen als auch im Verlauf des Projektes durchgeführt. Es wurden zwei Suchstrategien verfolgt. Zum einen wurde allgemein nach Forschungsergebnissen für den Bereich Medizinische Rehabilitation nach primärer Bandscheibenoperation geforscht, zum anderen wurde gezielt nach Informationen zu den möglichen Therapieinhalten und -zielen recherchiert, wie z.b. zu Krankengymnastik, Schmerzreduktion etc., sofern sie zusätzlich einen Bezug zur Rehabilitation nach Bandscheibenoperation aufwiesen. Hierzu wurde vor allem auf die Datenbanken Medline und Cochrane sowie die Metadatenbank Jade, das Internet und auf einschlägige Fachzeitschriften zurückgegriffen. Die Suchstrategie bezog sich auf folgende Schlüsselwörter: Rehabilitation, Bandscheibe(n), Operation, Bandscheibenvorfall oder Bandscheibenoperation und in Kombination miteinander. In einem weiteren Schritt wurde nach Verknüpfungen mit relevanten Therapieanwendungen recherchiert. Dies geschah sowohl in deutscher, als auch in englischer Sprache. Für die Einstufung der Forschungsergebnisse in Evidenz- und Empfehlungsgrade dienten die Vorgaben des Centre of Evidence Based Medicine in Oxford 4. Struktur- und Prozessanalyse Zur Ergänzung und Erweiterung des Forschungsstandes beteiligten sich neun Kliniken an der Struktur- und Prozessanalyse. Diese sollten zur Transparenzbildung und zur Evaluierung des aktuellen Qualitätsstandards beitragen. Zur Erfassung und Dokumentation der Strukturen und Prozesse wurden folgende Instrumente eingesetzt, um einen möglichst umfassenden und interdisziplinären Eindruck zu gewinnen: Strukturierte Interviews mit der ärztlichen und der verwaltungstechnischen Leitung der Kliniken zur Analyse der vorhandenen Strukturen und Prozesse. Ziel war eine erste Einschätzung der Ausgangssituation und die Weiterentwicklung der folgenden Projektschritte. Eine schriftliche Befragung der weiteren an der Rehabilitation beteiligten Berufsgruppen mit Hilfe eines selbst entwickelten Fragebogens. Hier wurden Anmerkungen und Hinweise zu den Abläufen und Therapieinhalten erfasst. Eine Patientenaktenanalyse zur Erhebung von soziodemographischen Angaben, Aufnahme- und Entlassungszeitpunkt, OP-Datum, Diagnosen, therapeutischen Anwendungen, Nachbehandlungsempfehlungen, beruflichen Perspektiven etc.. Im Zeitraum von Mai bis Juli 2001 wurden Daten zu insgesamt 127 Patientinnen und Patienten aus sieben Rehabilitationskliniken erfasst. Ein Fragebogen zur Erfassung der Klinikstrukturen, Prozesse und Schnittstellenprobleme, der in Anlehnung an bestehende Instrumente 5 entwickelt wurde. Der Einsatz erstreckte sich auch 3 Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. Zeitschrift für Ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung (ZaeFQ), 2001, 95, Suppl Centre of Evidence Based Medicine, Oxford 2001; VDR, ed.; Kommission zur Weiterentwicklung der Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung: Abschlussberichte Band III. Arbeitsbereich Rehabilitationskonzepte. Teilband ; Darmstadt: Dissertationsdruck.

150 auf eine bundesweite Klinikbefragung, an der sich 52 Klinikleitungen beteiligten. Es wurden u.a. Angaben zum Personalschlüssel, zu therapeutischen Funktionsräumen, zu Therapiezielen und -inhalten, zu Supervision und Besprechungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie zur Schnittstellenproblematik erhoben. Parallel stattfindende Interviews mit externen Experten, hier Fachärzten, aus den Bereichen der Akutversorgung und Nachbehandlung. Diese wurden zu den Themen der Schnittstellen und den damit einhergehenden Problemen, wie z.b. zu medizinischen Voraussetzungen und zum Zugang zur Rehabilitation sowie Nachsorge der rehabilitierten Patienten, befragt. Mit Hilfe der Ergebnisse der Befragungen und der Strukturanalysen wurde ein erster Vorschlag für eine Leitlinie erstellt. Darüber hinaus konnten relevante Prozessbestandteile der Anschlussheilbehandlung nach Bandscheibenoperation sowohl klinikbezogen als auch klinikübergreifend ausgewertet werden. Konsensusverfahren Die Erkenntnisse der Literaturrecherche und die Ergebnisse der Befragungen erbrachten wichtige Anhaltspunkte für die Inhalte und für die Gestaltung der Leitlinie. Auf Basis dieser gewonnenen Ergebnisse und aus den Erfahrungen aus anderen S2-Leitlinienprojekten 6 wurde eine Vorlage für das Konsensusverfahren erarbeitet, die sich durch folgende Merkmale auszeichnete: Überblick anhand eines klinischen Algorithmus Therapiezielorientierung Interdisziplinarität Berücksichtung der Schnittstellenproblematik Die Leitlinienvorlage orientierte sich an einem einfachen Ablaufdiagramm, welches die einzelnen Inhalte der Leitlinie in eine logische Abfolge von der Aufnahme bis zur Entlassung des Patienten setzte und so eine gute Übersichtlichkeit gewährleistete. Dieser klinische Algorithmus stellt ein strukturbildendes Element dar. Die Leitlinienvorlage fokussierte die explizite Darlegung der Zugangsvoraussetzungen für eine stationäre Rehabilitation, eine konsequente Ausrichtung an Therapiezielen und die Nennung von Vorgaben für die Schnittstelle zwischen Rehabilitation und Nachbehandlung. Das Konsensusverfahren sollte interdisziplinären und überregionalen Charakter besitzen und alle am Rehabilitationsprozess beteiligten Professionen integrieren. Dazu gehörten die Fachbereiche Medizin, speziell die Orthopädie, Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie und Sozialarbeit. Ferner waren die Dachverbände der beteiligten Professionen und die Kostenträger eingebunden. Trotz intensiver Bemühungen konnten weder die Patientenvertretung noch Personen aus dem Berufsfeld der Pflege in den Konsensusprozess integriert werden. Bezüglich der Pflegesituation in Rehabilitationskliniken wurde jedoch über Interviews und Befragungen im Vorfeld eine fachliche Mitwirkung an der Vorlagenerstellung sichergestellt. Eine Einbindung der Pflegewissenschaften und der Patientinnen und Patienten ist für den Zeitpunkt der Überarbeitung avisiert. Es fanden im Dezember 2002 und im Mai 2003 jeweils eintägige Sitzungen an der Universität Witten/ Herdecke statt, in denen nach dem Verfahren des nominalen Gruppenprozess 7 gearbeitet wurde. Kernpunkt der ersten Sitzung war die Diskussion der Leitlinienstruktur und die Festlegung der Inhalte der Leitlinie anhand des vorgeschlagenen Algorithmus. Das Verfahren des nominalen Gruppenprozesses wurde unter Federführung und Anleitung eines externen Moderators durchgeführt. Die einzelnen Schritte waren folgende: 1 Entwurf der Leitlinie 2 Kommentare der Gruppenmitglieder 3 schriftliches Festhalten aller Kommentare 6 Fischer, J. et al: Nicht-erholsamer Schlaf: Leitlinie S2 der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) Delbecq, AL, Van der Ven, AH, Gustafson, DH: Group Techniques for Programm Planning: A Guide to Nominal Group and Delphi Process, Glenview IL, Scott Forstmann,

151 4 Zusammenfassung /Bündelung ähnlicher Kommentare 5 Abstimmung über die Priorisierung der Diskussionspunkte 6 Diskussion der Kommentare 7 Überarbeitung des Entwurfes 8 Revision der überarbeiteten Leitlinie und Wiederholung des Prozesses bis zur Erlangung von Konsens Im Anschluss an diesen ersten nominalen Gruppenprozess, in dem alle Vorschläge mit einem Zustimmungsgrad von mindestens 80% aufgenommen wurden, folgten mehrere schriftliche Konsensrunden zu Struktur und Inhalten der Leitlinie nach der Delphitechnik. Die Mitglieder der Konsensuskonferenz wurden darin aufgefordert, die inhaltlichen Ausführungen zu überprüfen und weitere Änderungsvorschläge innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich abzugeben. Diese Vorschläge wurden anonym in die Vorlage eingearbeitet und den Mitgliedern erneut zugesandt. Die daraus resultierende neue Vorlage diente somit als Basis für die Diskussionen im Rahmen der 2. Konferenz im Mai 2003, die ebenfalls in Witten stattfand. In dieser Konsensuskonferenz wurden die Inhalte der Leitlinie und die vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen eingehend diskutiert und einzeln abgearbeitet. Dabei wurde für jeden Vorschlag eine Konsensbasis formuliert und darüber abgestimmt. 4. Ergebnisse Ergebnisse zur Literaturanalyse In der Literaturrecherche wurden Studien berücksichtigt, die sich inhaltlich mit bestimmten Therapieformen, Therapieinhalten oder Effekten von Rehabilitationsmaßnahmen, wie z.b. Krankengymnastik, Elektrotherapie, AU-Zeiten etc., in der Behandlung bzw. in der Rehabilitation von Bandscheibenoperationen und zum Teil mit akutem und/oder chronischem Rückenschmerz beschäftigten. Ostelo et al. (2003) 8 untersuchten beispielsweise die Rehabilitation von primär Bandscheibenoperierten, Heymans et al. (2004) 9 betrachteten verschiedene Arten von Rückenschulen in der Behandlung von Rückenschmerzen und Karjalainen et al. (2004) 10 ermittelten biopsychosoziale Ansätze in der Rehabilitation von chronischem Rückenschmerz. Studien, die methodische Mängel wie z.b. unzureichende oder fehlende Angaben über beispielsweise Arten, Intensitäten und Dauer von Behandlungsformen aufwiesen, fanden in der Auswertung keine Berücksichtigung. Da die Literaturrecherche kaum konkrete Hinweise auf effektive und effiziente therapeutische Maßnahmen sowie hinsichtlich empfohlener Behandlungsintensitäten im Rahmen einer Rehabilitation nach primärer Bandscheibenoperation erbracht hat, war es nicht möglich, die Leitlinie alleine auf Grundlage der Literaturrecherche herzuleiten bzw. zu erstellen. Ergebnisse zur Struktur- und Prozessanalyse Die Analysen in orthopädischen Rehabilitationskliniken, die Expertenbefragungen und die bundesweite Klinikbefragung in zufällig ausgewählten Rehabilitationskliniken mit orthopädischer Abteilung hat eine Reihe interessanter Einblicke in die Therapievielfalt bei der medizinischen Rehabilitation von Patientinnen und Patienten nach primärer Bandscheibenoperation erbracht. Die Ergebnisse der Struktur- und Prozessanalyse in den orthopädischen Rehabilitationskliniken zeigte, dass zwischen den Kliniken eine hohe Varianz bezüglich der einzelnen Struktur- und Prozessmerkmale zu verzeichnen war. Durch den Vergleich mit den Ergebnissen des Vorgängerprojektes (Winter 1997) konnten auch die Veränderungen über einen Zeitraum von fünf Jahren beobachtet werden Ostelo, R.W.; de Vet, H.C.; Waddel, G. et al.: Rehabilitation Following First-Time Lumbar Disc Surgery. A Systematic Review Within the Framework of the Cochrane Collaboration. In: Spine, 2003; Vol.28, Nr.3, S Heymans, M.W.; van Tulder, M.W.; Esmail, R.; Bombardier, C.; Koes, B.W.: Back Schools for Non-specific Low-back Pain. (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd. 10 Karjalainen, K.; Malmivaara, A.; van Tulder, M.; Roine, R.; Jauhiainen, M.; Hurri, H.; Koes, B.: Multidisciplinary Biopsychosocial Rehabilitation for Subacute Low-back Pain Among Working Age Adults (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd.

152 Als zentrale Veränderung ist die Verkürzung der Aufenthaltsdauer von 28 auf 21 Tage zu nennen. Dagegen sind die Patientenstruktur, Therapieformen und Anwendungshäufigkeiten in den vergangenen fünf Jahren vergleichsweise konstante Größen geblieben. Die durchschnittliche Anwendungshäufigkeit in den Bereichen Krankengymnastik und Bewegungsbad ist z.b. trotz der erfolgten Verkürzung des Rehabilitationsaufenthaltes unverändert geblieben. Betrachtet man die Maßnahmen als übergeordnete Gruppe, z.b. Krankengymnastik oder Thermo-Hydro-Balneotherapie, bestand nur geringer Anpassungsbedarf bezüglich der Therapieanwendungen. Innerhalb der Therapiegruppen jedoch zeigten sich starke Eigenheiten der Kliniken. Allein im Bereich Krankengymnastik wurden 12 verschiedene Anwendungen nach der Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL) ermittelt. Dies beruhte u.e. zum Teil auf den spezifischen Anforderungen der Patientinnen und Patienten; weitere Ursachen können sicherlich auch in Zusammenhang mit Spezifika der Einrichtungen, z.b. mit teilweise vorhandenen ortsspezifischen Heilmitteln in den Kliniken, gesehen werden. Die in der Strukturanalyse ermittelten Größen der Therapiegruppen waren in den meisten Therapieformen sehr unterschiedlich und die seinerzeit beschlossenen Maximalgrößen wurden zum Teil deutlich überschritten. Möglicherweise war dies eine Folge infrastruktureller Unterschiede oder aber auch der höheren Intensität der Behandlungseinheiten. Es bestanden aber auch weitreichende Gemeinsamkeiten z.b. hinsichtlich der Rehabilitationsziele: sowohl medizinische Ziele, wie bspw. die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Zielgruppe als auch psychologische und sozialmedizinische Ziele, wie z.b. die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, wurden über alle Kliniken hinweg genannt. Die Struktur- und Prozessanalysen ergaben eine gute Basis zur Festlegung typischer Therapieziele. Andererseits waren die Ergebnisse alleine nicht dazu geeignet, ein best practice bei der Erreichung dieser Ziele zu dokumentieren. Die Streubreite bestimmter Maßnahmen in den untersuchten Rehabilitationskliniken war teilweise so groß, dass auf dieser Basis keine Empfehlung für einen Behandlungskorridor abgegeben werden konnte. Beispielsweise wurde für die therapeutische Leistung Indikationsspezifische Krankengymnastik als Einzelbehandlung mind. 30min (b03) eine Spannweite von 15 verordneten Einheiten pro rehabilitativer Maßnahme ermittelt, bei einem Minimum von 3 und einem Maximum von 18 Einheiten. Die Ergebnisse bezüglich der Definition der Therapieziele und des Rehabilitationsablaufes konnten in anschließenden Einzelinterviews mit externen Experten aus den Bereichen Akutmedizin und Nachsorge weitgehend bestätigt werden. Zusätzlich wurden von diesen Experten Probleme bei der Informationsweitergabe aus den Akutkliniken und eine unterentwickelte Zusammenarbeit der Rehabilitationskliniken mit den Akteuren in der Nachsorge beschrieben. Mit Hilfe der bundesweiten Befragung gelang es einen repräsentativen Querschnitt über das Behandlungsspektrum und über die Strukturmerkmale der Rehabilitationskliniken zu erhalten. Die wichtigsten Ergebnisse hierzu waren folgende: Die großen Blöcke der Leistungseinheiten, z.b. Krankengymnastik, Sporttherapie etc., wurden in fast allen Kliniken angewendet. Passive Maßnahmen, wie Hydro-, Thermo- und Balneotherapie oder Massagen, wurden von ca. drei Viertel der befragten Häuser für das vorgelegte Indikationsschema empfohlen. Wenig homogen zeigten sich die Ergebnisse bei quantitativer Betrachtung. Die einzelnen Anwendungen, gerade in den Bereichen Elektrotherapie oder auch Hydro-, Thermo- und Balneotherapie, deckten den gesamten Bereich der möglichen Leistungen nach der Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL) ab. Es kristallisierten sich, wie schon bei der Ersterhebung in den neun Rehabilitationskliniken, kaum klinikübergreifende Standards heraus. Die Streubreite der Intensität der empfohlenen Anwendungen war sehr groß. Eine Generierung von Behandlungskorridoren war auf dieser Ergebnisbasis kaum sinnvoll. Als Konsequenzen ergeben sich aus den Ergebnissen folgende Erkenntnisse für die Leitlinienentwicklung: Die wissenschaftliche Evidenz für die jeweiligen Therapieinhalte ist aus Sicht der befragten Ärztinnen und Ärzte und auf Basis der Literaturrecherche als geringgradig zu bezeichnen. Die somatischen und psychosozialen Zusammenhänge sowie die Notwendigkeit interdisziplinärer Rehabilitation sind weitestgehend anerkannt und im Klinikalltag berücksichtigt. 151

153 Die Schnittstellenproblematik ist sehr differenziert zu sehen; hier bedarf es sowohl fortlaufender Verbesserungen als auch weiterführender Forschung in den Überleitungen zwischen akutmedizinischem Bereich und Rehabilitation sowie zwischen Rehabilitation und Nachsorge. Es ist nicht möglich, allein auf Basis der Therapieempfehlungen der Kliniken konkrete Maßnahmen als Standardtherapieinhalte zu definieren. Dies gilt ebenso für die Festlegung von Einheiten für einzelne Therapieformen. Diese Ergebnisse der Literatur-, Struktur- und Prozessanalyse sind in der Vorlage für den Konsensusprozess berücksichtigt worden. So wurden die Voraussetzungen für eine stationäre Rehabilitation, die konsequente Ausrichtung der Leitlinie an Therapiezielen und die Nennung von Vorgaben für die Schnittstelle zwischen Rehabilitation und Nachbehandlung dargelegt. Ergebnisse des Konsensusverfahrens Die vorliegende Leitlinie gibt Handlungsanweisungen und legt die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritte für Patientinnen und Patienten im erwerbsfähigen Alter nach lumbaler Bandscheibenoperation fest. Ziel der Leitlinie ist, die Einschränkungen der Gesundheit und der körperlichen Leistungsfähigkeit der Zielgruppe zu reduzieren oder zu beseitigen und die Ursachen der Beschwerden aufzudecken. Die formulierte Leitlinie stellt eine konsensbasierte Zusammenfassung der Situationsanalyse in den beteiligten Rehabilitationskliniken, erweitert um die Expertenmeinung der beteiligten Professionen und auch externer Fachleute, dar. Die Leitlinie wurde entsprechend den Vorgaben des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) ausgearbeitet. Die Checkliste für die Methodische Qualität von Leitlinien 11 diente dabei als Qualitätsmaßstab. Ein wichtiges Element im Rahmen der systematischen Erstellung von Leitlinien ist der Begriff der Logik. Laut der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bestimmen die logischen Strukturen von klinischen Algorithmen die Clinical Practice Guidelines. Die Strukturierung einer Abfolge der Leitlinieninhalte sollte durch das Voransetzen eines Algorithmus gewährleistet werden. Vorteil dieser Struktur ist es, dass im Klinikalltag, unter dem Aspekt eines interdisziplinären Ansatzes der Rehabilitation, alle Professionen auf diese Leitlinie zurückgreifen können. Das heißt, eine schnelle Orientierung bezüglich der für die jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessanten Abschnitte des Behandlungsablaufes ist gewährleistet. Als Instrument für die konsequente Umsetzung der Abläufe in einen Algorithmus diente das Programm ALGO Klinische Algorithmen des Instituts für Theoretische Chirurgie der Marburger Phillips-Universität 12. Die Leitlinie besteht aus dem Algorithmus, den jeweiligen Kommentaren zu den Elementen des Algorithmus und als zentralem Bestandteil aus der Übersicht über die typischen Therapieziele und den zur Zielerreichung vorgeschlagenen Maßnahmen (Abb.1). Letztere sind tabellarisch aufgebaut und beinhalten Hinweise zu Häufigkeit und Ausführung. Der Algorithmus unterscheidet zwischen Zustands-, Aktions-, und Entscheidungsknoten. Der Zustandsknoten definiert sich durch die vorgegebene Fallvignette. Die Aktionsknoten ergeben sich aus dem klinischen Ablauf, in den die Inhalte der vorläufigen Leitlinie eingearbeitet wurden. Um eine möglichst hohe Übersichtlichkeit zu gewährleisten, sind einzelne Aktionen zusammengefasst worden, wie z.b. die Diagnostik und das Biopsychosoziale Screening. Für die Darstellung in der Leitlinie sind drei Entscheidungsknoten von zentraler Bedeutung: Die Kontrolle der Unterlagen bei Aufnahme. Die Überprüfung auf psychologische Auffälligkeiten. Hier ist gegebenenfalls ein Psychologisches Konsil zu veranlassen. Diese Entscheidung ist deshalb von großer Bedeutung, weil psychologische Einflussfaktoren eine entscheidende Rolle bei der Erkrankung und im Rehabilitationsprozess spielen und eventuell die Konsultation von externem Personal erfordern. 11 Ollenschläger, G., Helou, A., Kostovic-Cilic, L., Perleth, M., Raspe, H.H., Rienhoff, O., Selbmann, H.K,, Oesingmann, U.: Die Checkliste zur methodischen Qualität von Leitlinien- ein Beitrag zur Qualitätsförderung ärztlicher Leitlinien. In: Zeitschrift für Ärztliche Fortbild und Qualitätssicherung 1998;92: Sitter, H., Prünte, H., Lorenz, W.: A New Version of the Programm ALGO for Clinical Algorithms. In: Brender, j. et al. (Hrsg.): Medical Informatics Europe 96, 1996, IOS Press, S

154 Die Erhebung des fortlaufenden Rehabilitationserfolges. Diese Überprüfung im Sinne der Therapiezielerreichung ist ebenfalls von zentraler Bedeutung und bedingt eine Feedbackschleife im täglichen interdisziplinären Rehabilitationsablauf. Weitere Schleifen und Abfragen, z.b. nach besonderen sozialrechtlichen Beratungsnotwendigkeiten, sind aus unserer Sicht durch den normalen Ablauf gewährleistet. Die Darstellung der Therapieziele und die entsprechende Zuordnung der Behandlungsmöglichkeiten wurde wie folgt vorgenommen: Die Therapieziele werden zunächst mit der entsprechenden Zuordnung der Maßnahmen in einer grafischen Übersicht dargestellt. Im Anschluss werden die Therapieund Rehabilitationsziele in tabellarischer Form weiter ausgeführt. Sofern ein Konsens zu den Behandlungsarten erzielt worden ist, wurden den Maßnahmen Angaben zum Umfang, zur Ausführung und zu weiteren notwendigen Empfehlungen, wie z.b. Warnhinweise, zugeordnet. In allen Fällen wurde der geforderte Zustimmungsgrad von 80% deutlich überschritten. Nachdem alle Änderungsvorschläge zur Leitlinienvorlage angenommen und eingearbeitet wurden, gilt die vorliegende Leitlinie - mit Datum vom 22. September als Konsensergebnis der beteiligten Gremiumsmitglieder. Ergänzt wird der medizinische Teil der Leitlinie durch ein Protokoll, welches die in den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgeführten Zusatzinformationen behandelt. Hierzu gehören neben der Darstellung der Rahmenbedingungen, die Förderinstitutionen, die verantwortlichen Redakteure, die Mitglieder des Konsensusverfahrens, der Überarbeitungszeitraum und Einschränkungen, die sich aus der Vorgehensweise ergeben haben und vorerst nicht bearbeitet werden konnten. Die Leitlinie ist im Internet über die Homepage des Lehrstuhls für Rehabilitationswissenschaften der Universität Witten/Herdecke abrufbar und wird über die Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) in das Leitlinienportal der AWMF eingestellt. Die turnusmäßige Überprüfung und Anpassung der Leitlinie an neue wissenschaftliche Erkenntnisse stellt eine der Zielsetzungen weiterführender Forschungsprojekte dar. Darüber hinausgehende Forschungsfragen könnten auf die Anwendung neuer therapeutischer Verfahren sowie auf die Anwendung und Wirkungsweise der Leitlinie innerhalb von Rehabilitationskliniken zielen. 5. Diskussion Im Rechercheprozess ergaben sich folgende Einschränkungen: Die Erhebung von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen stellte im Rahmen der Thematik Rehabilitation nach Bandscheibenoperation eine gewisse Schwierigkeit dar, da kaum Studien zu dieser Fragestellung existieren. Eigene Rechercheergebnisse zeigten, dass sich das Gros der Literaturangaben und Untersuchungsergebnisse auf angrenzende Fachgebiete und Themen bezieht, wie z.b. auf die Behandlung von chronischem Rückenschmerz, auf den Vergleich ambulanter und stationärer Rehabilitationsmaßnahmen oder auf die Untersuchung der genannten Therapieverfahren in anderen Kontexten etc. Untersuchungen, die dezidiert der interessierenden Fragestellung nachgingen, beliefen sich auf Einzelnachweise. Folglich wurde verstärkt auf andere Elemente der systematischen Entwicklung, wie z.b. Logik und Konsensusverfahren, gesetzt. Weiterhin ist die Qualität der Studien zum Teil nur schwer einzuschätzen, nicht zuletzt weil in diesem Forschungsbereich manche Forschungsdesigns nur schwer oder nicht realisierbar sind, wie z.b. randomisierte Fall-Kontroll-Studien. Auch die Wirkung vieler therapeutischer Behandlungsmöglichkeiten auf eine effektive Rehabilitation nach lumbaler Bandscheibenoperation ist häufig nicht ausreichend belegt. Hinzu kommt, dass die Erhebung ökonomischer Fragestellungen, z.b. nach Kosteneffektivität, oder die Überprüfung psychischer Komponenten in Zusammenhang mit Bandscheibenerkrankungen nur in marginalem Ausmaße in der Literatur behandelt wird. 153

155 Erheblicher Forschungsbedarf existiert bezüglich: der Zusammenführung akutmedizinischer Leitlinien mit Leitlinien aus der Rehabilitation, einer stärkeren Einbindung des Nachsorgebereichs 13 in der Entwicklung von Leitlinien für die Rehabilitation und des Einsatzes methodisch hochwertiger Studien zu Behandlungsarten, Effekten von Maßnahmen etc. zur Etablierung wissenschaftlicher Evidenzen. Dies bedeutet für die Leitliniengenerierung, dass hohe Anforderungen an die methodisch korrekte Umsetzung eines formalen Konsensusverfahrens bestehen, um eine hohe Qualität der Leitlinie trotz der aufgezeigten Forschungsdefizite zu gewährleisten. In den therapeutischen Anwendungen bei der Rehabilitation nach primärer Bandscheibenoperation liegt eine Vielfalt des Behandlungsspektrums vor, die komplexen Interpretationszusammenhängen unterliegt. Ähnliche Ergebnisse sind auch in anderen Studien im Bereich der orthopädischen Rehabilitation zu beobachten 14. Für die Festlegung qualitativer Standards in der Ausstattung der Kliniken wurde im Rahmen des Konsensusverfahrens beschlossen, auf die Arbeitsgruppe von Farin et. al. (2003) zu verweisen 15, die sich umfassend mit dieser Thematik beschäftigt hat. Der Evidenzgrad der Leitlinie erreicht bezüglich der Behandlungsformen den Empfehlungsgrad A für den multidisziplinären bio-psycho-sozialen Rehabilitationsansatz und den Empfehlungsgrad B für die Rückenschule und für den Vorrang von aktiven Maßnahmen im Rehabilitationskonzept. Für alle anderen Angaben, Hinweise und Vorschläge basiert die Leitlinie auf dem Wissen der beteiligten Expertinnen und Experten, das im formellen Konsensusverfahren abgestimmt wurde und erreicht damit Stufe D nach den Kriterien des Centre of Evidence Based Medicine. Das Konsensusverfahren wurde unter Beteiligung der Chefärztinnen und Chefärzte der beteiligten Kliniken, der Dachverbände der beteiligten Professionen und der Kostenträger interdisziplinär und überregional durchgeführt. Mit Hilfe des nominalen Gruppenprozesses konnte in zwei Konferenzen und drei schriftlichen Befragungsrunden Konsens über die Struktur und die Inhalte der Leitlinie erreicht werden. Die nun vorliegende Leitlinie erfüllt weitestgehend die Vorgaben des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Leitlinienentwicklung. Im Rahmen eines obligatorischen Leitlinienreportes wurden Methodik, Teilnehmer sowie Einschränkungen der Leitlinie transparent dargelegt. Hinsichtlich der zukünftigen Überarbeitung der Leitlinie ist die Einbindung der Patientenbeteiligung sowie der Einbezug der Schnittstelle zwischen Akutversorgung und Rehabilitation geplant. Eine paritätische Besetzung mit Akutmedizinern könnte hier für die Zukunft Verbesserungen ergeben. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Die generierte Leitlinie bietet eine Basis für einen überregionalen Einsatz, da sie dem Charakter einer Handlungsrahmenempfehlung gerecht wird und da sie den Nutzern bezüglich der Behandlungsstrategien ausreichend Spielraum für die detaillierte Ausarbeitung entsprechender Anwendungen lässt. Sie basiert nach Möglichkeit auf gesicherten Forschungsergebnissen. Die Berücksichtigung eigener Profile bzw. von Spezifika der behandelnden Einrichtungen ist im Rahmen der Leitlinienanwendung darüber hinaus grundsätzlich jederzeit möglich. Wichtig erscheint allerdings, dass die allgemein akzeptierten Vorgaben für die Prozessabläufe, z.b. die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Kontrolle der Therapiezielerreichung und die Einbindung der Patientinnen und Patienten durch diese Leitlinie während der Rehabilitation sichergestellt werden. 13 Korsukéwitz, C.; Rose, S.; Schliehe F.: Zur Bedeutung von Leitlinien für die Rehabilitation. Rehabilitation 2003; 42; Gülich, M.; Engel, E -M.; Rose, S.; Klosterhuis, H.; Jäckel, W. H.: Leitlinienentwicklung in der Rehabilitation bei Rückenschmerzpatienten - Phase 2: Ergebnisse einer Analyse von KTL-Daten. In: Die Rehabilitation 2003; 42: Farin, E.; Gerdes, N.; Jäckel, W.H.; Follert, P.; Klein, K. & Glattacker, M.: Qualitätsprofile von Rehabilitationskliniken als Modell der Qualitätsmessung in Einrichtungen des Gesundheitswesens. In: Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2003; 8:

156 Alle grundlegenden Prozessabläufe sind in dem klinischen Algorithmus der Leitlinie festgehalten worden. Sie können nach einer indikationsspezifischen Anpassung von Diagnostik und Therapiezielen auch auf andere Bereiche der Rehabilitation angewendet werden. Eine solche Adaption wird zur Zeit parallel für den Bereich der chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) modellhaft erprobt. Die Leitlinie für die Rehabilitation nach lumbaler Bandscheibenoperation wird in einem Folgeprojekt in Versuchskliniken implementiert. Dabei soll es vor allem darum gehen, die Praxistauglichkeit der Leitlinie nachzuweisen. Die Kontrolle der Rehabilitationsergebnisse konzentriert sich auf Einschätzungen der Patientinnen und Patienten und auf Konsequenzen im Bereich der Nachsorge. Als unterstützende Maßnahme für die Umsetzung der Leitlinie wurden ihre wichtigsten Inhalte in einer leicht verständlichen Form als Patienteninformation aufbereitet, die in den Versuchskliniken zum Einsatz kommen wird. Mit dem Evaluationsprojekt soll die Grundlage geschaffen werden, die weiteren Qualitätsmaßstäbe der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hinsichtlich einer S3- Einstufung der Leitlinie perspektivisch erfüllen zu können. 7. Literatur Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Hier: www. awmf-online.de bzw. Centre of Evidence Based Medicine, Oxford 2001; Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. Zeitschrift für Ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung (ZaeFQ), 2001, 95, Suppl. 1. Delbecq, AL, Van der Ven, AH, Gustafson, DH: Group Techniques for Programm Planning: A Guide to Nominal Group and Delphi Process, Glenview IL, Scott Forstmann, Farin, E.; Gerdes, N.; Jäckel, W.H.; Follert, P.; Klein, K. & Glattacker, M.: Qualitätsprofile von Rehabilitationskliniken als Modell der Qualitätsmessung in Einrichtungen des Gesundheitswesens. In: Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2003; 8: Fischer, J. et al: Nicht-erholsamer Schlaf: Leitlinie S2 der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) Gülich, M.; Engel, E -M.; Rose, S.; Klosterhuis, H.; Jäckel, W. H.: Leitlinienentwicklung in der Rehabilitation bei Rückenschmerzpatienten - Phase 2: Ergebnisse einer Analyse von KTL-Daten. In: Die Rehabilitation 2003; 42: Heymans, M.W.; van Tulder, M.W.; Esmail, R.; Bombardier, C.; Koes, B.W.: Back Schools for Nonspecific Low-back Pain. (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd. Karjalainen, K.; Malmivaara, A.; van Tulder, M.; Roine, R.; Jauhiainen, M.; Hurri, H.; Koes, B.: Multidisciplinary Biopsychosocial Rehabilitation for Subacute Low-back Pain Among Working Age Adults (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd. Korsukéwitz, C.; Rose, S.; Schliehe F.: Zur Bedeutung von Leitlinien für die Rehabilitation. Rehabilitation 2003; 42; Ollenschläger, G., Helou, A., Kostovic-Cilic, L., Perleth, M., Raspe, H.H., Rienhoff, O., Selbmann, H.K,, Oesingmann, U.: Die Checkliste zur methodischen Qualität von Leitlinien- ein Beitrag zur Qualitätsförderung ärztlicher Leitlinien. In: Zeitschrift für Ärztliche Fortbild und Qualitätssicherung 1998;92: Ostelo, R.W.; de Vet, H.C.; Waddel, G. et al.: Rehabilitation Following First-Time Lumbar Disc Surgery. A Systematic Review Within the Framework of the Cochrane Collaboration. In: Spine, 2003; Vol.28, Nr.3, S Sitter, H., Prünte, H., Lorenz, W.: A New Version of the Programm ALGO for Clinical Algorithms. In: Brender, j. et al. (Hrsg.): Medical Informatics Europe 96, 1996, IOS Press, S VDR, ed.; Kommission zur Weiterentwicklung der Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung: Abschlussberichte Band III. Arbeitsbereich Rehabilitationskonzepte. Teilband ; Darmstadt: Dissertationsdruck. Winter, Christoph: Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation auf der Grundlage von Leitlinien: konsensfähige Leitlinien für die Praxis. 1997; Luchterhand; Neuwied. 155

157 Zustand nach lumbaler Bandscheibenoperation 0 Abb. 1: Klinischer Agorithmus Aufnahme / notwendige Unterlagen 1 Liegen alle notwendigen Unterlagen vor? ja 2 nein Unterlagen anfordern / fehlende Aufnahmen (z.b. CRT/MRT) und Analysen erstellen 3 Diagnostik, biopsychosoziale Aufnahmeuntersuchung 4 Vorstellung orthopädischer Facharzt 5 Patient ist ohne psychische Auffälligkeiten 6 nein Psychologisches Konsil 7 Absprache & Festlegung der individuellen Rehabilitations- und Therapieziele ja 8 - Stabilisierung des operierten Segmentes - Schmerz- und Ödemreduktion - Erlernen rückengerechten Verhaltens - angemessene Krankheitsbewältigung - Selbstversorgung, berufliche und soziale Eingliederung - Entwicklung eines Nachsorgekonzeptes - evtl. weitere individuelle Therapieziele Erstellung, Durchführung und Änderung des Therapie- und Behandlungsplans im interdisziplinären Rehabilitationsteam & Einleitung von Maßnahmen der Nachsorge sowie der beruflichen und sozialen Eingliederung 9 Regelmäßige Patientenbesprechung im interdisziplinären Rehabilitationsteam 10 Therapieziele sind wie geplant zu erreichen ja Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung nein Erstellen eines Nachsorgekonzeptes 13 Entlassung/Entlassungsbericht Universität Witten/Herdecke 2003

158 Fahreignung nach neurologischen Erkrankungen: Quantitative Analyse unter Berücksichtigung der beruflichen Reintegrationsperspektive Förderkennzeichen Förderer: Das Projekt wird gefördert von dem Rehabilitations-Forschungsnetzwerk der Deutschen Rentenversicherung Rheinland (refonet) und war assoziiertes Projekt im Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften. Projektleiter: Karbe, Hans, Prof. Dr. med., Ärztlicher Direktor Neurologisches Rehabilitations-Zentrum Godeshöhe Waldstr. 2-10, Bonn Projektmitarbeiter: Jacobs, Ursula, Diplom-Psychologin Neurologisches Rehabilitations-Zentrum Godeshöhe Waldstr. 2-10, Bonn Küst, Jutta, Dr. rer. soc., Dipl.-Psych., Leitende Psychologin Neurologisches Rehabilitations-Zentrum Godeshöhe Waldstr. 2-10, Bonn Laufzeit: Das Projekt wurde vom bis durchgeführt. Zusammenfassung In den letzten Jahren hat das Thema Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Häufig können Patienten arbeitsfähig aus der neurologischen Rehabilitation entlassen werden, ohne dass jedoch die Fahreignung bereits wieder gegeben ist. Dies kann nicht nur bei Berufskraftfahrern dazu führen, dass der Patient seinen Beruf nicht weiter ausüben kann, oder dass er trotz fehlender oder eingeschränkter Fahreignung am Straßenverkehr teilnimmt und so sich und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Die empirische Basis über Unfallhäufigkeiten oder kognitive Voraussetzung einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr ist sehr gering. Qualitative Analysen des Fahrverhaltens neurologischer Patienten haben gezeigt, dass multiple Probleme auf verschiedenen Ebenen bestehen (z.b. Wahrnehmung der Fahrzeuggröße, mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern etc.). Aufgrund der fehlenden Meldepflicht in der BRD ist es nicht möglich, spezifische Informationen über die Auswirkungen verschiedener Erkrankungen auf die Fahreignung zu erhalten. Eine quantitative Aussage über die Relevanz dieses Themas bezüglich der beruflichen Reintegration ist dadurch ebenfalls nicht möglich. Zur besseren Abschätzung des Interventionsbedarfs in diesem Bereich hatte die Untersuchung das Ziel, in einem ersten Schritt an einer konsekutiven Stichprobe neurologischer Patienten das Ausmaß der Fahreignungseinschränkungen sowie deren Auswirkungen auf die berufliche Reintegration zu erfassen. Ergänzend wurden die Ursachen der mangelnden oder eingeschränkten Fahreignung analysiert. 157

159 1. Einleitung und wissenschaftlicher Hintergrund Nach neurologischen Erkrankungen können motorische und kognitive Defizite die Fahreignung einschränken. Vor allem Störungen der Aufmerksamkeit, welche initial bei ca. 80% aller neurologischen Patienten bestehen, stellen ein deutliches Hindernis dar. In den letzten Jahren hat das Thema Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Patienten werden bereits in den Akutkliniken darüber aufgeklärt, dass ihre Fahreignung eingeschränkt ist bzw. zunächst weiter abgeklärt werden muss. In der Praxis der neurologischen Rehabilitation führt dies immer häufiger dazu, dass Patienten als arbeitsfähig entlassen werden können, die Fahreignung jedoch (noch) nicht gegeben ist. Davon sind nicht nur Arbeitnehmer, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise auf Kraftfahrzeuge angewiesen sind, sondern auch Arbeitnehmer, die den PKW zur Erreichung des Arbeitsplatzes benötigen (z.b. in ländlichen Regionen), betroffen. Dies stellt für die sozialmedizinische Beurteilung in vielen Fällen ein kaum lösbares Problem dar. Besonders Mitarbeitern von klein- oder mittelständischen Unternehmen droht der Arbeitsplatzverlust, wenn sie vom Fahren abhängige Teilaufgaben (z.b. Fahrten zur Baustelle, Materialbesorgungen, Lieferfahrten) nicht mehr ausüben können. Dies kann ein Grund dafür sein, dass neurologisch erkrankte Menschen trotz eingeschränkter Fahreignung und entsprechender Aufklärung weiterhin als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen und somit eine potentielle Gefahr für sich und andere Personen darstellen. Eine tatsächliche Risikoabschätzung dieses Verhaltens ist zur Zeit nicht möglich, da in der BRD keine Meldepflicht für neurologisch erkrankte Kraftfahrer besteht und somit nicht ermittelt werden kann, ob z.b. die Unfallhäufigkeit dieser Fahrergruppe erhöht ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dieses Verhalten ein erhöhtes Risiko der Eigen- und Fremdgefährdung darstellt. Angesichts der hohen Relevanz der Fahreignung nach Hirnschädigungen ist die empirische Basis über Unfallhäufigkeiten oder kognitive Voraussetzungen für die aktive Teilnahme am Straßenverkehr erstaunlich gering. Daten über Unfallhäufigkeiten oder darüber, wie viele Patienten die Fahreignung wiedererlangen, liegen nur unvollständig vor. Informationen werden überwiegend in Ländern mit Meldepflicht nach neurologischen Erkrankungen erhoben. Follow-up Untersuchungen zeigen, dass ca % der hirngeschädigten Patienten ihre Fahreignung wiedererlangen (van Zomeren et al., 1987; Brouwer & Withaar, 1997; Shore, Gurgold und Robbins, 1980; Hopewell & Price, 1985; Fisk, Schneider & Novack, 1997). Befragungen von neurologischen Patienten ergaben, dass ca % ohne entsprechende Diagnostik wieder Auto fahren (Dettmers, 2001, Hannen et al., 1998). Schultheis und Mitarbeiter (2002) verfolgten 47 SHT-Patienten einige Jahre nach positiver Beurteilung der Fahreignung. Im Unterschied zu anderen Studien konnte neben der Selbstauskunft der Patienten auch auf offizielle Informationen z.b. über Unfallhäufigkeiten oder Verstöße gegen Verkehrsregeln zugegriffen werden. Dabei ergaben sich im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe nur geringfügige Unterschiede. Qualitative Analysen des Fahrverhaltens neurologischer Patienten ergaben Probleme auf multiplen Ebenen (Lundquist et al., 2001). Häufig auftretende Fahrprobleme waren z.b. Probleme mit der Position des Fahrzeugs (Wahrnehmung der Fahrzeuggröße, Position auf der Strasse, im Kreisverkehr, schlechtes Spurhalten), mangelnde Aufmerksamkeit (z.b. gegenüber Fußgängern, bei Verkehrsschildern und Ampeln), mangelnder Überblick an freien Kreuzungen, häufiges Fragen um Rat und Schwierigkeiten, selbständig Lösungen für komplexe Situationen zu finden. Dies stellt eine kurze Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes dar. In der Cochrane Library existieren keine entsprechenden Reviews, auch neuere Medline-Recherchen ergeben keine Informationen bezüglich der quantitativen Dimensionen der eingeschränkten Fahreignung nach neurologischen Erkrankungen oder deren Zusammenhang mit der beruflichen Reintegration. Aufgrund dieser fehlenden empirischen Grundlage stellte das Forschungsvorhaben einen neuen Beitrag dar, durch welchen erstmals die quantitativen Dimensionen des o.g. Problems spezifisch für die in Deutschland geltenden Beurteilungsrichtlinien und Verfahrensweisen erhoben werden. Weiter werden auch spezifische Informationen über die Ursachen der mangelnden Fahreignung verfügbar sein, woraus sich Konsequenzen für die Schwerpunkte der rehabilitativen Interventionen ableiten lassen. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Das Ziel des Vorhabens bestand in der Ermittlung der Relevanz der Fragestellung der Fahreignung nach neurologischen Erkrankungen unter besonderer Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit. Dabei wurde die Anzahl der Patienten erfasst, bei welchen aufgrund einer neurologischen Erkrankung die 158

160 Fahreignung eingeschränkt war. Ergänzend wurden die Ursachen für diese Eignungsmängel erfasst und analysiert. Diese stellten die Datengrundlage für die ökonomische Relevanz dieser Fragestellung, aber auch den Ausgangspunkt zur Bedarfsanalyse und Entwicklung spezifischer therapeutischer Interventionen dar. Die zentralen Fragestellungen dieses Projektes waren: a) Bei wie vielen neurologischen Patienten bestehen Einschränkungen der Fahreignung? Der Beurteilung lagen dabei die aktuellen Beurteilungsrichtlinien zur Fahreignung zugrunde. b) Haben diese Einschränkungen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit, wenn ja, welche? Dabei wurde differenziert erfasst, in welchem Umfang und in welchen Teilaspekten die berufliche Tätigkeit oder das Erreichen des Arbeitsplatzes beeinträchtigt wird. c) Was sind die Gründe für die Einschränkungen? Zur Beantwortung dieser Frage wurden die Ursachen der Einschränkungen (z.b. Epilepsie, Hemianopsie) erfasst. Eine Analyse dieser Ursachen sollte der Identifikation der Hauptfaktoren, welche zu Mängeln der Fahreignung führen, dienen. 3. Methoden und Arbeitsplan 3.1 Auswahlverfahren Die Datenerhebung wurde an einer konsekutiven Stichprobe neurologischer rentenversicherter Patienten von 12/ /2005 durchgeführt. In dem Projektantrag wurde geschätzt, dass in diesem Zeitraum etwa 800 Patienten für eine Teilnahme an der Untersuchung in Frage kommen würden, abzüglich der Patienten, welche keine Fahrerlaubnis erworben haben. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 889 RV-Patienten aufgenommen, an der Untersuchung teilgenommen haben 694 Patienten. Voraussetzung war die Einverständniserklärung der Patienten sowie ein gültiger Führerschein. 3.2 Operationalisierung Die Voraussetzung zur Teilnahme am Straßenverkehr ist die sog. Eignung. In der geltenden Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) (Bundesgesetzblatt, 1998) werden neben anderen Regelungen auch Krankheiten und deren Auswirkungen auf die Eignung dargestellt. Es gilt folgender Grundsatz ( 2 Abs.1 FeV): Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet.... Die Zielsetzung dieser Untersuchung war die Erfassung der Häufigkeiten von Fahreignungseinschränkungen, deren Ursachen und deren Auswirkungen auf die berufliche Reintegration. Zur Beurteilung der Fahreignung bei neurologisch erkrankten Kraftfahrern waren deshalb neurologische (vgl ) und neuropsychologische Untersuchungen (vgl ) erforderlich. Um die Beurteilung der Relevanz der Fahreignung für die berufliche Reintegrationsperspektive vornehmen zu können, wurde ein standardisiertes Interview (vgl ) durchgeführt. Die Pretest-Phase fand vom statt. Sie diente dazu, unsere Instrumente (Interview, medizinische und neuropsychologische Stellungnahme, Abläufe und Organisation) zu überprüfen und zu kontrollieren, ob die zur Beantwortung der Fragestellung erforderlichen Informationen vollständig abgebildet wurden und eine weiterführende Analyse ermöglichten. Das Interview wurde mit 19 Teilnehmern durchgeführt. Die Stellungnahmen wurden zur Erprobung an einige Neuropsychologen und Ärzte verteilt, mit der Bitte, Unklarheiten zu benennen und Anregungen zur Verbesserung zu geben. Bei der Durchführung des Interviews zeigte sich, dass die Reihenfolge der Fragen teilweise verändert werden musste, um zusammenhängende Inhalte besser zu gruppieren und so eine flüssigere Durchführung zu ermöglichen. Weiterhin wurden kleine sprachliche Umsetzungen in der medizinischen und neuropsychologischen Stellungnahme vorgenommen, um Verständnisproblemen vorzubeugen. 159

161 Für jeden teilnehmenden Patienten wurden folgende Daten / Informationen erhoben: a) Standardisiertes Interview zur Erfassung der beruflichen Relevanz der Fahreignung b) Medizinische Daten und Kurzanamnese c) Medizinische Stellungnahme durch den zuständigen Arzt d) Neuropsychologische Diagnose e) Neuropsychologische Stellungnahme durch den zuständigen Neuropsychologen f) Soziodemographische Aspekte und biographische Daten g) Aufklärungsbogen und Einverständniserklärung h) Checkliste zur Dokumentation der Vollständigkeit der Daten und Dateneingabe Medizinische Stellungnahme Der aufnehmende Stationsarzt füllte nach der neurologischen Eingangsuntersuchung unter Berücksichtigung der Vorbefunde die medizinische Stellungnahme zur Fahreignung des Patienten aus. Dabei wurde zum einen erfasst, ob aus medizinischer Sicht die Fahreignung gegeben war, zum anderen die Ursachen einer möglichen Eignungseinschränkung. Grundlage dieser Stellungnahme war die Anlage 4 der FeV, in welcher häufig vorkommende Erkrankungen und Mängel aufgelistet sind sowie deren Auswirkungen auf die Fahreignung. In der medizinischen Stellungnahme wurden die für die neurologische Rehabilitation relevanten Kategorien ausgewählt. Die sachgemäße Ausfüllung dieser Stellungnahme wurde gewährleistet durch folgende Maßnahmen: a) Schulung der Ärzte Für die Landesärztekammer Nordrhein halten wir seit mehreren Jahren im Rahmen der verkehrsmedizinischen Zusatzqualifikation Vorträge über neurologische und neuropsychologische Aspekte der Fahreignung. Diese Vorträge wurden zu Studienbeginn für alle Ärzte und Neuropsychologen verpflichtend wiederholt. b) Supervision durch die zuständigen Oberärzte Alle Oberärzte des NRZ Godeshöhe verfügen über eine verkehrsmedizinische Zusatzqualifikation, so dass fachliche Anleitung z.b. bei Sonderfällen gewährleistet war. c) Vergleich mit der medizinischen Kurzanamnese Zur Sicherung der Vollständigkeit und der Datenqualität wurden von der Projektmitarbeiterin die medizinischen Stellungnahmen mit der sog. Kurzanamnese verglichen. Die Kurzanamnese ist ein hausinternes Formular, in welches Informationen zur Schädigung, zur Krankheitsgeschichte und der neurologische Eingangsbefund durch den Arzt eingegeben werden. Bei Unklarheiten wurde Rücksprache mit dem zuständigen Arzt gehalten Neuropsychologische Stellungnahme Der zuständige Neuropsychologe füllte nach der neuropsychologischen Untersuchung die neuropsychologische Stellungnahme zur Fahreignung des Patienten aus. Dabei wurde erfasst, ob die Fahreignung des Patienten zur Zeit gegeben ist. Zusätzlich wurden mögliche Einschränkungen spezifiziert. Die Beurteilungskategorien wurden entsprechend der laut Gesetzgeber relevanten kognitiven Funktionen und des Sehvermögens der Anlagen 5 und 6 der FeV ausgewählt. Besondere Anforderungen (FeV Anlage 5, S.2260) werden gestellt an die: a) Belastbarkeit, b) Orientierungsleistung, c) Konzentrationsleistung, d) Aufmerksamkeitsleistung, e) Reaktionsfähigkeit. 160

162 Die Beurteilung erfolgte entsprechend den Mindestanforderungen, wie sie in den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (Bundesanstalt für Straßenwesen [BAST], 2000) dargestellt werden. Zusätzlich wurden die zur neuropsychologischen Untersuchung eingesetzten standardisierten Testverfahren aufgenommen; eine Auflistung und Kurzbeschreibung findet sich in Tab. 1. Die Basisdiagnostik wurde als Screening bei allen Patienten erfasst. Zusätzlich wurde als Grundlage der neuropsychologischen Beurteilung das Standardmodul durchgeführt. Bei unzureichender Klarheit wurden diese Testverfahren durch Zusatzdiagnostik ergänzt. Tabelle 1: Neuropsychologische Testverfahren X X X X Basisdiagnostik Standardmodul Zusatzdiagnostik Untertest Visuelles Scanning (TAP-K) Alertness (TAP) Geteilte Aufmerksamkeit (TAP-K) Akustische Einfachreaktion (TAP-K) Geprüfte Funktion Räumliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit Reaktionsgeschwindigkeit auf einfache optische Stimuli mit und ohne vorherige Aktivierung Reaktionsfähigkeit auf parallel auftretende Stimuli unterschiedlicher Modalitäten Reaktionsgeschwindigkeit auf einfache akustische Stimuli X GoNogo (TAP-K) Selektive Aufmerksamkeit X X Vigilanz (TAP) Reaktionswechsel (TAP-K) Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit unter niedriger Zielreizdichte Fähigkeit zum Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus TAP: Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung, TAP TAP-K: Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung Kurzform, TAP-K Die sachgemäße Ausfüllung dieser Stellungnahme wurde gewährleistet durch folgende Maßnahmen: a) Schulung der Neuropsychologen (vgl ) b) Supervision durch die Leitende Neuropsychologin Aufgrund der langjährigen Erfahrung in der Beurteilung und Begutachtung der Fahreignung konnte eine fachliche Anleitung z.b. bei Sonderfällen gewährleistet werden. c) Vergleich mit dem neuropsychologischen Befund Zur Sicherung der Vollständigkeit und der Datenqualität wurden von der Projektmitarbeiterin die neuropsychologische Stellungnahme mit dem neuropsychologischen Befund verglichen. In diesen Befund gingen die Testergebnisse sowie deren Gesamtbewertung ein Interviewleitfaden Fahren & Beruf Zur Erfassung der beruflichen Relevanz der Fahreignung wurde mit jedem Patienten ein ca. ½ stündiges, standardisiertes Interview geführt. In diesem Interview wurden Fahrerfahrung, Art und Quantität der Fahraufgaben bei der beruflichen Tätigkeit und im persönlichen Umfeld, die subjektive Bewertung der Patienten der Möglichkeiten z.b. der Aufgabenumverteilungen am Arbeitsplatz und der resultierenden Einschränkungen sowie die Bedeutung der Fahreignung zum Erreichen des Ar- 161

163 beitsplatzes erhoben. Dieser Interviewleitfaden wurde in einem früheren Projekt zur Fahrsimulation entwickelt und eingesetzt und für dieses Projekt um die beruflichen Aspekte ergänzt Soziodemografische Basisdaten Aus der Patientenakte wurden folgende soziodemografischen Variablen erhoben: Soziodemografisch: Alter Geschlecht Berufsanamnese (hausinterner Fragebogen zu Ausbildung, derzeitiger Tätigkeit, früheren AU- Zeiten etc.) Behinderungsgrad: MdE / GdB 3.3 Auswertung Aufgrund der Fragestellung erfolgte die Datenauswertung in einem ersten Schritt rein deskriptiv. Erfasst wurden dabei zunächst die Häufigkeiten von Patienten mit gegebener bzw. eingeschränkter Fahreignung. Bei Einschränkungen der Fahreignung wurden die medizinischen und neuropsychologischen Ursachen differenziert erfasst. Weitere Variablen stellten die Relevanz der Fahreignung für die Berufstätigkeit der Patienten dar (entsprechend der Auskünfte im Interview). Ausgewertet wurde hierbei, in welchem Ausmaß welche Aspekte der beruflichen Tätigkeit der Patienten durch Einschränkungen der Fahreignung beeinträchtigt werden. Zusätzlich wurden Zusammenhänge zwischen schädigungsbezogenen Informationen, Fahrerfahrung, soziodemografischen Variablen und Fahreignung analysiert. Eingesetzte statistische Verfahren: Häufigkeitstabellen Korrelationsmatrizen 4. Ergebnisse Es konnten insgesamt 694 Patienten in die Studie aufgenommen werden. Davon waren 64% männliche und 36% weibliche Probanden. Die asymmetrische Geschlechterverteilung ist repräsentativ für die Geschlechterverteilung unseres Patientenguts der letzten Jahre. Das Durchschnittsalter lag bei 45,9 Jahren mit einer Standardabweichung von 9,5 Jahren. Bei der Analyse der Daten fand sich ein deutlicher geschlechtsspezifischer Unterschied bei den pro Jahr gefahrenen Kilometern. Die männlichen Patienten fahren mit durchschnittlich km rund km mehr im Jahr als das weibliche Kollektiv (durchschnittlich km pro Jahr). Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die Fahrerfahrung bei männlichen Patienten wesentlich höher ist als bei den weiblichen. Die weiteren Ergebnisse der Untersuchung werden entsprechend der formulierten Forschungsfragen dargestellt. a) Bei wie vielen neurologischen Patienten bestehen Einschränkungen der Fahreignung? Der Beurteilung lagen die aktuellen Beurteilungsrichtlinien zur Fahreignung zugrunde; die neuropsychologische Beurteilung der Fahreignung basiert auf der Anlage 5, die medizinische Beurteilung auf der Anlage 4 der FeV. Aus neuropsychologischer Sicht war die Fahreignung bei 53% der Patienten derzeit nicht gegeben. Eine Fahreignung zu einem späteren Zeitpunkt wurde dagegen nur bei 8% für nicht möglich erachtet. Bei 10% der Patienten konnte noch keine Aussage über eine spätere Fahreignung getroffen werden (vgl. Abb. 3). Bei Inhabern eines Gruppe 2 Führerscheins (vereinfachend LKW > 3.5 t und 162

164 Personenbeförderung) war bei 73% die Fahreignung für diese Fahrzeuge nicht gegeben. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei den medizinischen Einschätzungen der Fahreignung. Bei 45% der Stichprobe war die Fahreignung aus medizinischer Sicht derzeit nicht gegeben. Die Möglichkeit einer späteren Fahreignung wurde für 8% ausgeschlossen, für 5% konnte noch keine Aussage getroffen werden. Bei Führerscheininhabern der Gruppe 2 war die Fahreignung bei 85% nicht gegeben. Der etwas höhere Prozentsatz im Vergleich zu der neuropsychologischen Beurteilung war vor allem dadurch bedingt, dass nach Schlaganfällen die Fahreignung für die Gruppe 2 aus medizinischer Sicht nicht mehr gegeben ist, unabhängig von den resultierenden Funktionsstörungen. Bei n=521 Patienten (76%) stimmten die Beurteilungen der derzeitigen Fahreignung aufgrund der medizinischen und der neuropsychologischen Beurteilungskriterien überein (vgl. Tab. ). Eine mögliche/nicht mögliche spätere Fahreignung wurde bei n=577 (84%) Patienten übereinstimmend eingeschätzt (vgl. Tab. 3). Tabelle 2: Fahreignung derzeit medizinische Einschätzung gegeben nicht gegeben neuropsychologische gegeben Einschätzung nicht gegeben Tabelle 3: Fahreignung später medizinische Einschätzung gegeben nicht gegeben / nicht beurteilbar neuropsychologische gegeben Einschätzung nicht gegeben / nicht beurteilbar b) Haben diese Einschränkungen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit, wenn ja, welche? Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurde differenziert erfasst, in welchem Umfang und in welchen Teilaspekten die berufliche Tätigkeit oder das Erreichen des Arbeitsplatzes beeinträchtigt wurde. Zur Erreichung des Arbeitsplatzes verwendeten 76% der Stichprobe das eigene Kraftfahrzeug, nur 9% nutzten den ÖPNV. Für 61% des Patientenkollektivs gab es keine Alternative zur Erreichung des Arbeitsplatzes. Die Gründe, warum keine alternative Möglichkeit zur Arbeitsplatzerreichung gegeben war, sind hauptsächlich Schichtdienst und kein vorhandener oder ausreichender Personennahverkehr. Die Nutzung eines KFZ am Arbeitsplatz war für 44% aller untersuchten Patienten erforderlich, wovon 65% das Fahrzeug täglich benutzen müssen. Durchschnittlich benötigen die Probanden während 30% der gesamten Arbeitszeit ein KFZ. Hauptsächlich bestehen die berufsbezogenen Fahraufgaben aus Kundenbesuchen (50%) und Materialbeschaffung (27%). Bei Fehlen oder Einschränkung der Fahreignung gehen 49% aller Befragten vom Verlust des Arbeitsplatzes aus. Die Gefährdung des Arbeitsplatzes sehen die Patienten dann zu 67% durch den Arbeitgeber und zu 33% durch die fehlende Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes gegeben. In der untersuchten Stichprobe waren 4,1% (n=27) Berufskraftfahrer eingeschlossen. Separat be- 163

165 trachtet lag deren berufsbezogene Fahrtätigkeit mit 77,3% erwartungsgemäß deutlich höher, als die der restlichen Stichprobe. Der Verlust des Arbeitsplatzes bei fehlender Fahrerlaubnis wurde von 100% der Kraftfahrer angenommen. Neben den Einschränkungen der beruflichen Reintegrationsmöglichkeiten erwartete die überwiegende Mehrheit der Patienten auch deutliche Einschränkungen der Lebensqualität durch einen Verlust der Fahreignung. Dabei wurden Probleme überwiegend in den Bereichen Einkaufen, soziale Kontakte pflegen und Freizeitgestaltung gesehen. Von 71% des befragten Kollektivs wurde der Verlust der Fahrerlaubnis als sehr schlimm eingeschätzt. Lediglich 4% gaben an, dass der Führerschein unwichtig für ihr Leben sei. c) Was sind die Gründe für die Einschränkung der Fahreignung? Zur Beantwortung dieser Frage wurden die Ursachen der Einschränkungen (z.b. Epilepsie, Hemianopsie) erfasst. Eine Analyse dieser Ursachen sollte der Identifikation der Hauptfaktoren dienen, die zu Mängeln der Fahreignung führen. Die neuropsychologischen Defizite, welche die Fahreignung einschränkten, sind in Abb. 1 dargestellt (Mehrfachnennungen waren möglich). Dabei dominierten mit 62% Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen, welche grundsätzlich durch therapeutische Interventionen verbesserbar sind. Abb. 1: Neuropsychologische Störungen Prozent Aufmerksamkeit 23 visuelle Wahrnehmung 26 Sonstiges Die medizinischen Einschränkungen der Fahreignung sind in Abb. 2 dargestellt (Mehrfachnennungen waren möglich). Unter der Kategorie sonstiges wurden andere Störungsbilder erfasst, welche die Fahreignung einschränkten. Dazu gehörten z.b. Komorbiditäten wie Herzerkrankungen oder psychiatrische Erkrankungen. 164

166 Abb. 2: Medizinische Störungen Prozent Anfallsleiden reaktionsb. Medikamente motorische visuelle Einschränkung Einschränkung 30 sonstiges 5. Diskussion Von den im Untersuchungszeitraum aufgenommenen 889 Patienten nahmen 694 an der Untersuchung teil. Die Fahreignung war entsprechend den medizinischen Beurteilungskriterien bei 45% nicht gegeben, entsprechend der neuropsychologischen Beurteilungskriterien bei 53% der Patienten. Eine fehlende Fahreignung würde für 61% der Patienten eine deutliche Einschränkung bei der Erreichung des Arbeitsplatzes darstellen. Von wesentlich größerer Bedeutung ist jedoch die Tatsache, dass 44% aller untersuchten Patienten ein KFZ im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nutzen mussten, davon 65% täglich. Weiterhin sahen 49% der befragten Patienten ihren Arbeitsplatz als gefährdet an, wenn sie die Fahrtauglichkeit dauerhaft verlieren würden. Eine berufliche Reintegration würde durch das Fehlen einer gültigen Fahrerlaubnis sehr unwahrscheinlich, da sowohl die Arbeitsplatzerreichung als auch die für den heutigen Arbeitsmarkt notwendige Flexibilität erheblich eingeschränkt wären. Auch das soziale Leben wäre durch einen Führerscheinverlust sehr stark eingeschränkt. Für manche Patienten wäre es nicht möglich, ohne Fahrzeug notwendige Erledigungen durchzuführen, da in ländlichen Gegenden der ÖPNV nur in unzureichendem Maße vorhanden ist. Darüber hinaus wären die sozialen Kontakte durch mangelnde Mobilität stark gefährdet. Unseres Erachtens ist sowohl durch das Ausmaß der mangelnden Fahreignung sowie durch die Bedeutung der Fahreignung für die Berufstätigkeit und die sozialen Strukturen der untersuchten Patienten ein hoher Interventionsbedarf gegeben. Die Möglichkeit therapeutischer Interventionen wird dadurch sichtbar, dass vorwiegend behandlungsfähige Störungen wie Störungen der Aufmerksamkeit für das Fehlen der Fahreignung verantwortlich sind, während Fakten, die das Führen eines KFZ sicher ausschließen, wie Anfallsleiden nur in deutlich geringerem Maße auftreten. Es sollte über neue Rehabilitationsstrategien nachgedacht werden, damit die Fahreignung von möglichst vielen Patienten wieder erreicht werden kann. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Das Fehlen der Fahreignung stellt im Sinne der ICF eine Barriere bei der Teilhabe am Arbeitsleben dar. Die dargestellten Ergebnisse zeigen auf, dass weiterer Forschungsbedarf zum Thema Fahreignung und Therapie besteht, um den Patienten die Aussicht auf eine berufliche Reintegration zu bewahren. Durch ein effektives Training der Fahreignung könnten bei einem relevanten Anteil der Patienten die Voraussetzungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stark verbessert werden. Durch die Präsentation dieser Ergebnisse kann zum einen eine Verbesserung des Problembewusstseins erwartet werden, da immer noch nicht alle Patienten über mögliche Einschränkungen der Fahreignung aufgeklärt werden, zum anderen muss dem Fachpublikum aber auch die Notwendigkeit aufgezeigt werden, über neue Rehabilitationsstrategien nachzudenken. 165

167 In einem weiterführenden Projekt beschäftigen wir uns mit der Frage der Therapie von Fahreignung. Das geplante Vorhaben verfolgt aufgrund unserer Ergebnisse das Ziel der Entwicklung von Rehabilitationsstrategien der Fahreignung. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das Fahrverhalten neurologischer Patienten analysiert und ein individuelles, defizitorientiertes Fahrtraining durchgeführt. Dieses individualisierte praktische Fahrtraining wird mit dem herkömmlichen neuropsychologischen Training verglichen. Es wird erwartet, dass durch das praktische Fahrtraining mehr neurologische Patienten die Fahrtauglichkeit wiedererlangen können, was die Wiedereingliederungschance in das soziale und berufliche Leben deutlich erhöht. Weiterhin soll durch die Studie die Bedeutung der Fahrverhaltensprobe in der Diagnostik der Fahreignung unterstrichen werden und durch entsprechende Publikationen z.b. als Leitfaden in standardisierter Form stärkere Verbreitung finden. Ebenso soll mit den Erfahrungen des Fahrtrainings verfahren werden, wobei neben der Publikation in Manualform hier auch Schulungen im Rahmen der Fahrlehrerausbildung denkbar sind. 7. Literatur Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (2000). Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST), Heft M 115, Wirtschaftsverlag NW. Brouwer, W.H. & Withaar, F.K. (1997). Fitness to Drive After Traumatic Brain Injury. Neuropsych Rehabil, 7 (3), Bundesgesetzblatt Nr. G5702 (1998). Fahrerlaubnis-Verordnung-FeV 26. August Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrlicher Vorschriften vom Bonn: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft. Dettmers, Ch. (Hrsg.) (2001). Fahreignung nach Hirninfarkt und Schädelhirntrauma. Neurol Rehabil, 7 (5), Fisk, G.D., Schneider, J.J. & Novack, T.A. (1998). Driving Following Traumatic Brain Injury: Prevalence, Exposure, Advice and Evaluations. Brain Injury, 12 (8), Hannen, P., Hartje, W. & Skreczek, W. (1998). Beurteilung der Fahreignung nach Hirnschädigung. Der Nervenarzt, 69, Hopewell, C.A. & Price, R.J. (1985). Driving after head injury. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 7, 148. Lundqvist, A. & Rönnberg, J. (2001). Driving problems and adaptive driving behaviour after brain injury: a qualitative assessment. Neuropsychological Rehabilitation, 11 (2), Schultheis, M.T., Matheis, R.J., Nead, R. & DeLuca, J. (2002). Driving behaviors following brain injury: self-report and motor vehicle records. Journal of Head Trauma Rehabil, 17 (1), Shore, D., Gurgold, G. & Robbins, S. (1980). Handicapped driving: overview of assessment and training. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 61, 481. van Zomeren, A.H., Brouwer, W.H., Rothengatter, J.A. & Snoek, J.W. (1988). Fitness to Drive a Car After Recovery from Severe Head Injury. Archives of Physical Medicine & Rehabilitation, 69,

168 8. Projektbezogene Publikationen Präsentation eines Projekt-Posters bei der Jahrestagung des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften am 25./ Projektpräsentation bei der Ärztefortbildung Fahreignung im Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe am Vortrag bei dem 15. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium vom 13. bis 15. März 2006 in Bayreuth 167

169 Diagnostik von Arbeitsmotivation bei Rehabilitationspatienten Entwicklung und Evaluation eines Assessmentinstrumentes Förderkennzeichen: VFR - Projekt 84 Förderer: Verein für Rehabilitationsforschung (VFR) e. V. Norderney Projektleiter: Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann 1 Univ.-Prof. Dr. med. Gereon Heuft 2 Projektmitarbeiter: Dipl.-Psych. Rolf G. Fiedler 2 Dipl.-Psych. Andreas Ranft 2 1 Klinik Münsterland der LVA Westfalen, Bad Rothenfelde; 2 Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Münster (UKM) Laufzeit: bis Zusammenfassung Diagnostik von Arbeitsmotivation bei Rehabilitationspatienten Entwicklung und Evaluation eines Assessmentinstrumentes Hintergrund/Ziele: Es besteht in den Rehabilitationswissenschaften Einigkeit darüber, dass motivationale Faktoren wesentliche Einflussfaktoren für den Verlauf und den Erfolg von Rehabilitationsmaßnahmen sind. Bislang gibt es keine Instrumente zur Diagnostik von Arbeitsmotivation, die für die Bereiche der Rehabilitation oder medizinischen Versorgung entwickelt oder adaptiert wurden. Um bei Rehabilitanden arbeitsbezogene Motivationsstrukturen mit ihren Stärken und Defiziten abbilden zu können, wurde eine multidimensionale Betrachtung des Konstruktes Arbeitsmotivation vorgenommen und auf Basis einer Interviewstudie (N = 26) konzeptualisiert. Drei neue Konzepte entstanden, denen 12 Inhaltsbereiche mit insgesamt 202 Items zugeordnet wurden. Motivationales Selbstbild (MS) mit sechs Bereichen; Motivationale Handlungsentwürfe (MH) und Motivationale Passung (MP) mit je drei Bereichen. Ziel ist die psychometrische Entwicklung und Evaluation eines validen und reliablen Assessmentinstrumentes zur Diagnostik von Arbeitsmotivation. Methodik: Eine Vorversion des Fragebogens kam bei zwei Stichproben zum Einsatz, eine aus der medizinischen (MedReha: N = 225) und eine aus der beruflichen Rehabilitation (N = 300). Auf Basis exploratorischer und konfirmatorischer Faktorenanalysen mit den Daten aus der MedReha erfolgte eine Revision des Fragebogens mit deutlicher Reduzierung des Itempools (98 Items). Bei den Konzepten MS und MH konnten stabile Faktorlösungen in den Daten gefunden werden, mit denen sich die Mehrzahl der konzeptualisierten Konstrukte identifizieren ließen (MS: 5 Faktoren; MH 2 Faktoren). Die 7 Faktoren wurden mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellierungen konfirmatorischen Faktorenanalysen unterzogen und mit den Daten aus der beruflichen Rehabilitation kreuzvalidiert. Eine revidierte Fassung des Fragebogens kam bei einer Längsschnittuntersuchung zum Einsatz (N = ). Nach weiteren Item- und Skalenanalysen verblieben insgesamt 58 Items in dem Fragebogen. Ergebnisse: Für das Konzept MP wurden drei Bereiche inhaltlich-rational abgeleitet. Alle Faktoren von MS und MH konnten konfirmatorisch mit den Daten aus den Querschnittsuntersuchungen bestätigt und durch die Längsschnittdaten optimiert werden. Das neu entwickelte Diagnostikinstrument für Arbeitsmotivation (DIAMO) weist gute psychometrische Eigenschaften auf und beim Großteil der Skalen lässt sich eine, von der Stichprobe unabhängige, stabile Struktur finden. 168

170 Schussfolgerung: Aufgrund der Kreuzvalidierung mit unterschiedlichen Stichproben besitzt das DI- AMO das Potential zur Generalisierbarkeit, um auch in anderen Bereichen als der medizinischen Rehabilitation zum Einsatz zu kommen. Das DIAMO ist ein reliables und valides Verfahren zur multidimensionalen Erfassung von Arbeitsmotivation. Eine Normierung für verschiedene Indikationsbereiche steht noch aus. Durch die differenzierte Diagnostik von Arbeitsmotivation kann eine günstige Verbindung für gezielte berufsbezogene Interventionen hergestellt werden. Schlüsselwörter: Arbeitsmotivation, Motivationsdiagnostik, Rehabilitation, Testkonstruktion, Kreuzvalidierung 1. Einleitung Die Bedeutung von Fragestellungen der klinisch-psychologischen Motivationsdiagnostik hat im Bereich der Rehabilitationswissenschaften und der Patientenversorgung deutlich zugenommen, was auf die besondere Bedeutung der Motivation als Einflussgröße für den Rehabilitationsverlauf und -erfolg zurückzuführen ist (Hafen et al. 2000). In der Praxis wird dabei oft beklagt, dass Rehabilitanden mit falschen Erwartungen in die Rehabilitation kämen, geringe Motivation zur Mitarbeit mitbrächten oder oft den latenten Wunsch hegten, sich eine Erwerbsunfähigkeit bescheinigen zu lassen (Kühn et al. 2001). Bei Patienten aus psychosomatischen Reha-Kliniken zeigte sich, dass ein Rentenwunsch bzw. ein laufendes Rentenverfahren die wichtigsten Prädiktoren sind hinsichtlich der Vorhersage des Ausbleibens eines subjektiven Therapieerfolges bzw. von Erwerbsunfähigkeit zum Entlassungszeitpunkt (Sandweg et al. 2001; Gündel et al. 2003). Schott (2004) berichtet darüber, dass es vorwiegend krankheitsunabhängige Faktoren sind, die wesentlich darüber entscheiden, ob jemand nach einer medizinischen Rehabilitation seine gewohnte Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt oder einen Antrag auf vorzeitige Berentung stellt. Neben dem soziodemographischen Faktor Alter werden insbesondere die persönlichen Einstellungen, Motive und Präferenzen hinsichtlich einer weiteren Erwerbstätigkeit genannt (a.a.o.). Die berufliche Wiedereingliederung stellt bei Menschen im erwerbsfähigen Alter das zentrale Ziel der Rehabilitation im Rahmen der Rentenversicherung dar, auf das die Bemühungen um die Weiterentwicklung rehabilitativer Maßnahmen ausgerichtet sein sollen (Schaub & Schliehe 1995). Dabei kommt der Reha- bzw. Behandlungsmotivation (Deck et al. 1998; Hafen et al. 2001) und ebenfalls der Arbeitsmotivation - als bisher weitgehend unberücksichtigte Einflussgröße - eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung zu. Fehlende Arbeitsmotivation kann die rehabilitativen Anstrengungen zur Rückkehr in die Erwerbsarbeit negativ beeinflussen. Durch eine differenzierte Erfassung der arbeitsbezogenen und beruflichen Motivationsstruktur können ggf. Interventionen zur Motivationsförderung zu Beginn einer Reha-Maßnahme angeboten werden, um den Reha-Outcome zu verbessern und langfristig die Reintegration in das Erwerbsleben zu unterstützen. Wegen der Einflüsse von Arbeitsmotivation auf das Reha-Geschehen und das Ergebnis von Rehabilitationsmaßnahmen besteht Forschungsbedarf hinsichtlich den Fragen, wie Arbeitsmotivation definiert ist und wie dieses Konstrukt für eine praxisorientierte und ökonomische Diagnostik operationalisiert werden kann. Bezüglich einer Konzeptualisierung des Konstruktes Arbeitsmotivation oder einer umfassenden Theorie sieht es in der Literatur uneinheitlich aus und keines der vorhandenen Konzepte kann als Standard bezeichnet werden. Im Hinblick auf eine Operationalisierung von Arbeitsmotivation lassen sich nur wenige Instrumente finden, wobei für den klinischen Bereich bzw. den Kontext der Rehabilitation bislang kein geeignetes Instrument zur Verfügung steht, das sich indikationsübergreifend mit Arbeitsmotivation auseinandersetzt (Fiedler et al. 2005). Hier besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Fragen, wie Arbeitsmotivation definiert ist und wie sich das Konstrukt für eine Diagnostik operationalisieren lässt. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Das Ziel des Projektes ist es, ein zuverlässiges und im Klinikalltag handhabbares Assessmentinstrument für Arbeitsmotivation zu entwickeln, das geeignet ist, PatientInnen mit defizitärer Arbeitsmotivation zu identifizieren. Wegen der Komplexität des Konstruktes Arbeitsmotivation wird bei der Entwicklung und Evaluation des Diagnostikinstrumentes für Arbeitsmotivation (DIAMO) eine multidimensionale Erfassung berufsbezogener Motivationsstrukturen angestrebt. 169

171 3. Methoden und Arbeitsplan Zu Beginn des Projektes wurde eine Interviewstudie mit Experten aus den Bereichen Rehabilitation, Arbeits- und Motivationspsychologie durchgeführt, um das Konstrukt Arbeitsmotivation zu konzeptionalisieren und es einer Operationalisierung zugänglich zu machen. Anschließend folgten mit einer Vorversion des entwickelten Fragebogens zwei Querschnittsuntersuchungen zur psychometrischen Überprüfung der entwickelten Konzepte. Eine Längsschnittuntersuchung zur weiteren Überprüfung und Validierung des Instrumentes befindet sich im Rahmen eines Promotionsvorhabens noch in der Auswertung. Insgesamt nahmen über 1200 Rehabilitanden - vornehmlich der LVA - an den Untersuchungen teil. In einem kurzen Überblick folgen die empirischen Erhebungen. Für detailliertere Beschreibungen der Methodik und Stichproben wird auf die Publikationen (Punkt 8) verwiesen. I. Interviewstudie 26 Interviews mit Gesprächspartnern aus unterschiedlichen Bereichen (Kliniken, Universitäten, Versicherungsträger, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände, Medizinischer Dienst, Berufsschulen) und verschiedenen Berufsgruppen (Reha-Berater, Pädagogen, Ergotherapeuten, Ärzte, Psychologen, Juristen) wurden durchgeführt. Das Interviewmaterial wurde inhaltsanalytisch ausgewertet. Daraus wurden 3 Konzepte mit 12 Bereichen abgeleitet (Fiedler et al. 2004), die die Basis für die Entwicklung einer Vorversion des Instrumentes bildeten. Die Vorversion wurde auf Verständlichkeit und Praktikabilität bei jeweils ca. 15 Rehabilitanden aus der beruflichen und medizinischen Rehabilitation überprüft. II. Querschnittserhebung im BFW Hamm 350 Umschüler aus dem Berufsförderungswerk Hamm (NRW) nahmen an dieser ersten Erprobung des Fragebogens teil. Im Fragebogen befanden sich insgesamt 202 neue Items, die inhaltlich 12 Bereichen zugeordnet waren. Neben dem eigenen Itempool wurden soziodemographische Kerndaten erhoben und die HADS-D (s. u.) eingesetzt Es folgte eine item- und faktoranalytische Auswertung und eine erste Revision des Fragebogens (Schubmann 2004). III. Querschnitterhebung in der medizinischen Rehabilitation 225 Rehabilitanden aus der medizinischen Reha (6 Kliniken, LVA Westfalen: Klinik Münsterland, Klinik Norderney, Klinik Rosenberg LVA Rheinprovinz: Klinik Niederrhein; andere Träger: Klinik Möhnesee; Klinik Dörenberg) unterschiedlicher Indikationen (Orthopädie, Psychosomatik, Pulmologie, Allergologie, Gastroenterologie) bearbeitete eine revidierte Fassung des Fragebogens. Es folgte eine zweite item- und faktoranalytische Auswertung und eine erneute Revision des Fragebogens. Folgende Instrumente wurden parallel eingesetzt: Soziodemographischer Fragebogen: Um die Erhebung zu standardisieren und projektübergreifende Datenanalysen möglich zu machen, hat der VDR 1999 die Arbeitsgruppe Routinedaten ins Leben gerufen. In dieser Arbeitsgruppe wurden Empfehlungen zur Einbeziehung sozialmedizinischer Routinedaten sowie für Instrumente im Bereich der Soziodemographie erarbeitet. Die in den beiden Querschnittsuntersuchungen erhobenen soziodemographischen Variablen richten sich nach diesen Empfehlungen für einen soziodemographischen Kerndatensatz. Diese wurden von Deck und Röckelein (1999) unter dem Titel Zur Erhebung soziodemographischer und sozialmedizinischer Indikatoren in den rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünden beim VDR (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) publiziert. HADS-D: Ein in der Rehabilitation häufig eingesetztes Verfahren zum Screening von Depressivität und Ängstlichkeit ist die Hospital Anxiety and Depression Scale in der deutschen Version (HADS-D; Herrmann et al. 1995). Es ist ein standardisiertes Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung psychischer Beeinträchtigung. Die HADS-D besteht aus zwei Skalen (Depression und Angst), die sich jeweils aus sieben Items zusammensetzen. 170

172 BIS/BAS-Skalen: Die BIS/BAS-Skalen sind ein persönlichkeitsdiagnostisches Instrument, das zwischen den basalen Verhaltenstendenzen Inhibition/Gehemmtheit und Aktiviertheit/Annäherung differenziert. Es besteht aus zwei Skalen mit je 10 Items in Aussageform, die mittels eines vierstufigen Ratings (von 1= gar nicht bis 4= voll und ganz) eingeschätzt werden. Die beiden Skalen orientieren sich an der biopsychologischen Theorie von Gray (1981, 1982) zum Verhaltenshemmsystem (Behavioral Inhibition System, BIS) und zum Verhaltensaktivierungssystem (Behavioral Approach System, BAS). Zur Erfassung der auf diesen beiden Systemen basierenden Dispositionen liegt für den englischen Sprachraum ein validierter BIS/BAS-Fragebogen von Carver und White (1994) vor. Für die hier durchgeführte Untersuchung wurde eine deutsche Adaption (Ranft 2001) des BIS/BAS-Fragebogens verwendet. MMG: Das Multi-Motiv-Gitter (MMG; Schmalt et al. 2000) ist ein semiprojektives Testverfahren zur gleichzeitigen Messung der Ausprägung dreier unterschiedlicher Motive. Die Gitter-Technik kombiniert projektive Verfahren, wie beispielsweise den Thematischen Auffassungs-Test TAT (Murray 1943; McClelland et al. 1953), bei dem zu bestimmten Bildern Geschichten aufgeschrieben werden sollen, mit einem klassischen Fragebogenformat, bei dem Antwortvorgaben ausgewählt werden (Schmalt et al. 2000). Das Prinzip der Motivanregung mit situativen Bildern, wie es beim TAT angewendet wird, bleibt erhalten, statt aber dazu Geschichten aufzuschreiben, werden aus einer Liste von Aussagen die subjektiv zutreffenden angekreuzt. Mit dem MMG werden das Anschluss-, Leistungsund Machtmotiv gemessen (Schmalt et al. 2000). Dabei wird für jedes Motiv noch die Hoffnungs- und Furchtkomponente unterschieden. Visuelle Analogskalen (VAS): Zu zwei Themen wurde ganz allgemein nach einer subjektiven Einschätzung gefragt: dem Gesundheitszustand ( Wie stufen Sie Ihren momentanen Gesundheitszustand ein? ) und dem Wohlbefinden ( Wie stufen Sie Ihr momentanes allgemeines Wohlbefinden ein? ). Zu den beiden Items sollten die Probanden ihre Einschätzung auf einer 100-stufigen VAS ankreuzen. IV. Längsschnittuntersuchung in der medizinischen Rehabilitation Bei der Längsschnittuntersuchung bearbeiteten die Rehabilitanden die vorläufige Endfassung des DI- AMOs vor (t0: N= 422) und nach Ende (N= 250) der Reha-Maßnahme. Im Zeitraum ca. 12 Monate nach der Reha (N= 140) erfolgte ein telefonisches Interview, in dem die Rehabilitanden zur beruflichen Reintegration, Erwerbsunfähigkeitszeiten, Arbeitslosigkeit und Krankheitsbefinden befragt wurden. Die in der Längsschnittuntersuchung eingesetzten Instrumente sind in Tabelle 1 aufgeführt. Tabelle 1: In der Längsschnittuntersuchung eingesetzte Instrumente Instrument Autor Items t0: vor der Reha AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) Schaarschmidt & Fischer (1996) 66 Items BSW (Berufliche Selbstwirksamkeitserwartungen) Abele; Stief; Andrä (2000) 6 Items FREM-17 (FB zur Erfassung rehabilitationsbezogener Deck et al. (1998) 17 Items Erwartungen & Motivationen) EKO (Erkrankungsbezogene Kontrollüberzeugungen) Muthny, Bechtel & Spaete (1992) 9 Items GKE (Generalisierte Kompetenzerwartung) Schwarzer (1994) 10 Items BIS/BAS Persönlichkeitsskalen Carver & White (1994) 20 Items BSI (Brief Symptom Iventory) Franke (2000) 19 Items IRES-min (Indikator des Reha-Status) Gerdes & Jäckel (1995) 17 Items t1: nach der Reha BZ (Behandlungszufriedenheit) Reha-Kontext 9 Items t2: Follow-up ca. 12 Monate nach der Reha Strukturiertes Telefoninterview Eigenentwicklung 21 Items 171

173 4. Ergebnisse Aus den Analysen der Interviews entstanden drei Konzepte mit 12 Bereichen, die in Tabelle 2 aufgeführt sind. Die aufgeführten Bereiche stellen a-priori Dimensionen dar und dienten zur inhaltlichen Strukturierung der Items. Tabelle 2: Konzeptualisierung von Arbeitsmotivation; 3 Konzepte; 12 Bereiche mit jeweiliger Itemanzahl in der Vorversion des DIAMO 6 Bereiche 3 Ber.. 3 Ber. Motivationales Selbstbild: MS (Gesamt: 98 Items) Anschlussmotiv 16 Items Leistungsmotiv 17 Items Neugiermotiv 17 Items Einflussmotiv 15 Items Selbstregulation 14 Items Einstellungen zur Arbeit 19 Items Motivationale Handlungsentwürfe: MH (Gesamt: 58 Items) Zielsetzung 17 Items Zielumsetzung 23 Items Zielwirkung 18 Items Motivationale Passung: MP (Gesamt: 46 Items) Betriebliche Ebene 20 Items Psychosoziale Ebene 16 Items Belastungen 10 Items Die Überprüfung der Bereiche auf empirische Dimensionalität, Zuordnungen der Items und die Bildung von Skalen erfolgten mittels exploratorischer und konfirmatorischer Faktorenanalysen. Daran schlossen sich die Skalenanalysen an. Publiziert bzw. im Rahmen von Abschlussarbeiten dargestellt wurden bisher Ergebnisse aus den beiden Querschnittsuntersuchungen und erste Auswertungen von t0 und t1 aus dem Längsschnitt. Die Auswertung des Follow-Up s zu t2 (Bestimmung der prädiktiven Validität) erfolgt im Rahmen eines noch laufenden Promotionsvorhabens (Fr. Dipl.-Psych. H. Müller). Die nachfolgenden Ergebnisse aus den Item- und Faktorenanalysen der Längsschnittuntersuchung bei t0 sind Grundlage der (vorläufigen) Schlussfassung des DIAMO. Sie resultieren aus verschiedenen Entwicklungsschritten aus den Datenanalysen der vorherigen Querschnittsuntersuchungen. Die Skalenstruktur der beiden Konzepte MS und MH kann in ihrer Dimensionalität als stabil und valide bezeichnet werden, da mit den Daten aus den beiden Querschnittuntersuchungen eine Kreuzvalidierung der Skalenstruktur mittels Strukturgleichungsmodellen erfolgte (Fiedler 2006). Dafür wurden Modellentwicklungen und Strukturanalysen mit dem Statistikprogramm AMOS 5.0 (www. spss.com/amos) durchgeführt. Zur Kreuzvalidierung erfolgten konfirmatorische Faktorenanalysen, mit denen die in Abbildung 1 (MS-Konzept mit 5 latenten Variablen) und Abbildung 2 (MH-Konzept mit zwei latenten Variablen) dargestellten finalen Modelle überprüft wurden. Entwickelt wurden die Modelle anhand der Daten aus der medizinischen Rehabilitation (N=225). Mit den Daten der Stichprobe aus der beruflichen Rehabilitation (N=300) erfolgte die Kreuzvalidierung. 172

174 Abb. 1: Modell zum MS-Konzept: Standardisierte Parameter für die BFW-Daten; Strukturmodell mit 39 Items und fünf interkorrelierten Faktoren; ULS-Methode; S = Item-Nr., e = Fehlereinfluss,77 e21 S_21,70,88 e9 S_9,84,39 e15 S_15,62,59 e27,77,36 e51,36 e69,12 e76,45 e92,61 e36,43 e6,24 e30,43 e47,38 e66,41 e72,39 e85 S_27 S_51 S_69 S_76 S_92 S_36 S_6 S_30 S_47 S_66 S_72 S_85 e100,61 S_100,57 e28,28 e10,19 e14,21 e16,48 e34,34 e40,24 e64 S_28 S_10 S_14 S_16 S_34 S_40 S_64,60,60,35,67,66,78,49,66 -,62,64,63,78,75,53,44,46,69,58,49,12 Neugiermotiv,55 -,28 Einstellungen zur Arbeit,54 Einflussmotiv,32 -,53 Misserfolg- Vermeidung -,14 Anschlussmotiv,05,46 -,26 S_82,21 e82,22,46 S_31 e31,47,19,44,52,70,83,75,78,84 -,45,69,49,61,35,19,52 S_37 S_44 S_68 S_71 S_81 S_90 S_99 S_80 S_19 S_49 S_67 S_73 S_86 S_94 Simultane Analyse Medreha (N=225)/BFW (N=300) Group number 2 BFW Standardized estimates e37,27 e44,49 e68,68 e71,12 e81,04 e90,57,60 e99 e80,71 e19,20 e49,47 e67,24 e73,27 e86,37 e94 173

175 Abb. 2: Modell zum MH-Konzept: standardisierte Parameter für die BFW-Daten; Strukturmodell mit 18 Items und zwei interkorrelierten Faktoren; ULS-Methode; Z = Item-Nr., e = Fehlereinfluss -,49 Ziel- Inhibition Ziel- Aktivität Simultane Analyse "MH" Medreha (N=225)/BFW (N=300) Group 2 BFW Standardized estimates,79,41,73,54,48,76,75,50,23,65,49,61,46,60,43,80,55,66,63 Z_47,17 Z_8,54 Z_14,29 Z_41,23 Z_43,57 Z_46,56 Z_53,25 Z_54,05 Z_55,43 Z_34,24 Z_2,37 Z_16,21 Z_22,36 Z_24,18 Z_36,65 Z_38,30 Z_40,43 Z_58 e1 e2 e3 e4 e5 e6 e7 e8 e9 e10 e11 e12 e13 e14 e15 e16 e17 e18 Hierfür wurden in simultanen Analysen die Datensätze aus beiden Stichproben verglichen und der Modell-Fit berechnet. In den Abbildungen sind die Ergebnisse der Parameterschätzungen für die standardisierten Lösungen aufgeführt. Zur konfirmatorischen Überprüfung der faktoriellen Struktur erfolgte die Bestimmung des globalen Modellfits. Jeweils drei Fit-Maße für jedes Modell, die mit der unweighted least square (ULS) Methode berechnet wurden, sind in den Tabellen drei und vier aufgeführt. Tabelle 3: Fit-Indizes für die Modelle der Konzepte MH und MS (simultane Analyse N = 222/300) Fit-Maße Modellevaluation mit der ULS-Methode Kennwerte der Modellgüte Konzept MS (Abb. 1) Kennwerte der Modellgüte Konzept MH (Abb. 2) GFI 0,924 0,971 AGFI 0,914 0,963 RMR 0,077 0,

176 Es lag nicht bei allen Items eine Normalverteilung vor, weshalb die ULS-Methode zum Einsatz kam, da diese nicht an die Bedingungen der Normalverteilung gebunden ist (Backhaus et al. 2003). Die so berechneten Fit-Indizes (Cut-Off s für einen akzeptablen Modellfit: GFI/AGFI >.9 und RMR <.11; vgl. Backhaus et al. 2003) liegen im guten Bereich, so dass die entwickelten Modelle für das MS und das MH Konzept mit ihrer faktoriellen Struktur in der Kreuzvalidierung, durch simultanen Vergleich zweier Stichproben, als bestätigt angesehen werden können. In der Tabelle 4 (MS Konzept mit 31 Items) und der Tabelle 5 (MH Konzept mit 12 Items) sind die psychometrischen Kennwerte und Faktorladungen der Items, die nach weiteren Analysen der Daten aus dem Längsschnitt in der Schlussfassung des DIAMO verblieben, aufgeführt. Tabelle 4: Faktorlösung und Items Motivationales Selbstbild (MS) : Schlussfassung MS (31 Items; 5- stufige Likertskala von 1 =gar nicht bis 5 = sehr starke Zustimmung); Kennwerte Items: Varimax-rotierte Faktorladung der Hauptkomponentenanalyse (Anm.: Doppelladungen auf anderen Faktoren allesamt <.30), Reliabilität (α), Kommunalität (h²), Mittelwert (M), Standardabweichung (SD), Trennschärfe (rtc) bei Skalenbildung; N = 422 Neugiermotiv( NM) α = 0,85 Anschlussmotiv (AM) α = 0,84 Items Motivationales Selbstbild (MS) Kennwerte rf h² M SD rtc 1 Weiterbildungsmöglichkeiten nehme ich gerne wahr Ich möchte mich neuen Anforderungen in meinem Beruf stellen Beruflich entwickele ich mich noch weiter Ich bin bereit, neue Aufgaben anzugehen Neue Technologien motivieren mich weiter zu lernen Ich würde gerne viele Dinge ausprobieren Auf meine Kollegen kann ich mich in der Regel verlassen Meine Kollegen sind mir wichtig Durch meine Kollegen erfahre ich Unterstützung Ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter Kollegen ist mir wichtig Es bedeutet mir viel, mit anderen gemeinsame Arbeit zu leisten Einige Kollegen sind auch privat Freunde von mir Ich sage meinen Mitarbeitern gerne, wo es lang geht Einflussmotiv (EM) α = 0,83 Einstellungen zur Arbeit (EA) α =0,81 Misserfolg/Vermeidung (MV) α = 0,74 7 Ich gebe gerne den Ton an Gegenüber den anderen Mitarbeitern setze ich mich meistens durch Bei der Arbeit bestimme ich, was geschieht Ich bin jederzeit besser als meine Kollegen Mitarbeiter fragen mich nach meinem Rat Arbeit ist mir wichtig Arbeit macht das Leben süß Die Arbeit ist Mittelpunkt meines Lebens Arbeit macht Spaß Wenn ich nicht arbeite, fällt mir schnell die Decke auf den Kopf Arbeiten bedeutet mehr als nur Geld verdienen Ich schiebe schwierige Aufgaben gerne auf Die meisten Kollegen wissen viel mehr über die Arbeit als ich Unüblichen Erfordernissen bei der Arbeit versuche ich aus dem Weg zu gehen Sonderaufgaben vermeide ich nach Möglichkeit Meine Kollegen sind besser als ich Bei Hindernissen lasse ich schnell den Kopf hängen Wenn Kollegen mir mit Ablehnung begegnen, bin ich wie gelähmt

177 Tabelle 5: Faktorlösung und Items Motivationale Handlungsentwürfe (MH) : Schlussfassung MH (12 Items); Kennwerte Items: Varimax-rotierte Faktorladung der Hauptkomponentenanalyse (Doppelladungen auf anderen Faktoren allesamt <.15), Reliabilität (α), Kommunalität (h²), Mittelwert (M), Standardabweichung (SD), Trennschärfe (rtc) bei Skalenbildung; N = 422 Ziel-Inhibition (ZI) α =0,86 Ziel-Aktivität (ZA) α = 0,82 Items Motivationale Handlungsentwürfe (MH) Kennwerte rf h² M SD rtc 1 Bei großen Herausforderungen resigniere ich oft Erreiche ich ein Ziel nicht, resigniere ich Komme ich einem Ziel nicht näher, schmeiße ich die Flinte ins Korn Bei beruflichen Hindernissen kommen mir Selbstzweifel Manchmal weiß ich nicht, wie ich meine Aufgaben angehen soll Es fällt mir schwer, Prioritäten zu setzen Ich setze mir herausfordernde Ziele für die berufliche Zukunft Ich will beruflich erfolgreich sein Pläne bezüglich meiner beruflichen Zukunft werde ich auch umsetzen Ich habe mir das Ziel gesetzt, meine persönliche Entwicklung voranzutreiben Ich strenge mich an, um meine Ziele zu erreichen Häufig denke ich an das gute Gefühl nach einem erfolgreichen Tag Bei den Faktorenanalysen zu dem Konzept MP ließ sich keine Konsistenz hinsichtlich stabiler Faktorisierungen erkennen. In den berechneten Faktorlösungen luden jeweils, abhängig von der voreingestellten Anzahl an Faktoren, unterschiedliche Items auf einem Faktor. Die so berechneten Lösungsansätze ließen sich inhaltlich nicht sinnvoll interpretieren. Daher erfolgten die Revision des Konzeptes MP und die Auswahl der Items inhaltlich-rational. Item- und Skalenkennwerte für das Konzept MP sind in Tabelle 6 zu finden. Zu den Konzepten MS und MH, bzw. deren Skalen, sind in Tabelle 7 die Interkorrelationen mit den BIS/BAS Skalen, der HADS und dem MMG (s. o.) dargestellt. Tabelle 6: Items Motivationale Passung (MP) : Inhaltlich-rational abgeleitete Skalen zum Konzept Motivationale Passung (16 Items): Arbeitsumfeld (AU: P1 sozial, P2 betrieblich), Belastungen (BL) und Arbeitsanreiz & Veränderungswunsch (AV); Item- und Skalenkennwerte; N = AU BL AV Items Motivationale Passung (MP) P1 Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit ihrer gegenwärtigen (oder letzten) Arbeit (gewesen) hinsichtlich der sozialen Beziehungen und dem Betriebsklima? Kennwerte M SD α P1a Verhältnis zu den Kollegen P1b Verhältnis zu Vorgesetzten P2 Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit ihrer gegenwärtigen (oder letzten) Arbeit (gewesen) hinsichtlich den betrieblichen Bedingungen? P2a Räume, Ausstattung, Hilfsmittel P2b Verdienst/ Lohn P2c Entscheidungs- und Tätigkeitsspielraum P2d Arbeitszeiten P3 Wie belastet fühlten Sie sich insgesamt durch ihre gegenwärtige (oder letzte) Arbeit? P3a Psychische Anforderungen P3b Körperliche Anforderungen P3c Lärm P3d Schadstoffe P3e Klimatisierung P4 Wie sehr motiviert Sie Ihre bisherige (frühere) Arbeit? P5 Wie sehr würden Sie gerne einer anderen Erwerbstätigkeit nachgehen als Ihrer bisherigen Arbeit? (.59) 176

178 Tabelle 7: Interkorrelationen von MS und MH mit anderen Skalen: Korrelationen der MS/MH-Skalen mit BIS/BAS1 (BIS-Gehemmtheit, BAS-Aktiviertheit; N =221), HADS (A=Angst, D=Depression; N = 219) und MMG³ (HA-Hoffnung auf Anschluss, FZ-Furcht vor Zurückweisung, HE-Hoffnung auf Erfolg, FM-Furcht vor Misserfolg, HK-Hoffnung auf Kontrolle, FK-Furcht vor Kontrollverlust; N = 190) BIS/BAS HADS MMG Skala BIS BAS A D HA FZ HE FM HK FK NM AM MS EM EA MV MH ZI ZA Diskussion In dem Projekt ging es um eine multidimensionale Konzeptualisierung zur Diagnostik von Arbeitsmotivation, auf dessen Basis ein Assessmentinstrument entwickelt und evaluiert wurde. Die Dimensionalität wurde faktoranalytisch mit dem Ziel untersucht, ob und inwieweit die konzeptionellen Überlegungen sich in der faktoriellen Struktur wiederfinden lassen. Insgesamt konnten von den faktoranalytisch überprüften Bereichen (MS & MH) 7 Faktoren bestätigt werden, die den aus der Interviewstudie abgeleiteten Konzepten mit ihren 9 Subdimensionen (mit MP 12) mehrheitlich entsprechen. Die Schlussfassung des DIAMO beinhaltet 59 Items (MS: 31 Items, MH: 12 Items; MP: 16 Items). Die Skalen des DIAMO sind psychometrisch stabil und weisen gute Kennwerte auf. 6. Umsetzbarkeit der Ergebnisse Im Rahmen des Projekts konnte eine Datengrundlage bezüglich des für die Rehabilitation wichtigen Konstruktes Arbeitsmotivation geschaffen und ausgewertet werden. Mit dem DIAMO ist in Zukunft eine multidimensionale Motivationsdiagnostik unter arbeitsbezogenen Gesichtspunkten möglich. Der Erfassung motivationaler Faktoren (zu Beginn oder im Vorfeld einer Rehamaßnahme) kommt aus verschiedenen Gründen eine entscheidende Bedeutung zu. Somit könnte die differentielle Zuweisung zu bestimmten Behandlungsformen verbessert werden. Patienten mit mangelnder Motivation könnten entsprechende psychosoziale Interventionsmaßnahmen angeboten werden, wodurch ein verbesserter Reha-Erfolg zu erwarten wäre. Es gibt Hinweise darauf, dass Patienten mit mangelnder Arbeitsmotivation (bzw. ungünstiger Prognose in der Rehabilitation) identifiziert werden können. In den Querschnittsuntersuchungen in der beruflichen und medizinischen Rehabilitation ließen sich bis zu einem Drittel Rehabilitanden finden (31 % in der beruflichen Rehabilitation; 17 % in der medizinischen Rehabilitation), bei denen eine geringe Motivation im Sinne von Vermeidungstendenzen diagnostiziert wurden. DIAMO erlaubt insofern eine differenzierte Abbildung berufsbezogener Motivationsstrukturen und bietet die Möglichkeit, Personen mit einer resignativen Haltung hinsichtlich beruflicher Zielperspektiven und Hinweisen auf Vermeidungs- und Rückzugsverhalten zu identifizieren. Dadurch kann die Diagnostik über den Differenzierungsgrad der berufsbezogenen Motivation eines Rehabilitanden eine empirische Grundlage für nachfolgende Interventionen bilden. Eine Verbindung von Diagnostik und Intervention auf diese Art und Weise würde eine optimale Umsetzung der Projektergebnisse in die Praxis darstellen, da Patientenschulungen in der Rehabilitation sich als effizient bewährt haben (Buschmann-Steinhage 2004). Es können die mittels der Motivationsdiagnostik gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um mit darauf aufbauenden Trainings und/oder Psychoedukationen gezielt Veränderungsprozesse zu initiieren, zu begleiten und in Richtung konstruktiver Berufsperspektiven umzusetzen. 177

179 7. Literatur Backhaus K, Erichson B, Plinke W, Weiber R (2003) Multivariate Analysemethoden - Eine anwendungsorientierte Einführung (10. Auflage). Berlin: Springer Buschmann-Steinhage R (2004) Rehabilitation durch die Rentenversicherung: Ergebnisse zur Wirksamkeit und aktuelle Herausforderungen. Vortrag auf dem Pressekontaktseminar Mai 2004, Wernigrode; (online abrufbar auf September 2004) Carver CS, White TL (1994) Behavioural inhibition, behavioural activition, and affective responses to impending reward and punishment: The BIS/BAS scales. Journal of Personality and Social Psychology, 67, [Deutsche Übersetzung nach: Ranft A (2001) Automatische Vigilanz für verhaltensrelevante Stimuli: Differentielle Befunde. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität Münster Deck R, Röckelein E (1999) Zur Erhebung soziodemographischer und sozialmedizinischer Indikatoren in den rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünden. DRV-Schriften, Bd. 16: Deck R, Zimmermann M, Kohlmann T, Raspe H (1998) Rehabilitationsbezogene Erwartungen und Motivationen bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen. Rehabilitation (Stuttg); 37: Hafen K, Bengel J, Nübling R, Jastrebow, J (2000). Konzept und Dimensionen der Reha-Motivation (PAREMO). Prävention und Rehabilitation, 12, Hafen K, Jastrebow J, Nübling R, Bengel J (2001) Entwicklung eines Patientenfragebogens zur Erfassung der Rehamotivation (PAREMO). Rehabilitation (Stuttg); 40: 3 11 Gray JA (1981) A critique of Eysencks theory of personality. HJ Eysenck (Ed) A model for personality. Berlin: Springer Gray JA (1982) The neuropsychology of anxiety. An enquiry into the functions of the septo-hippocampal system. Oxford: Oxford University Press Gündel H, Stadtland C, Huber H (2003) Sozialmedizinische Begutachtung und psychosomatischpsychotherapeutische Behandlungsempfehlung bei Patienten mit somatoformen Beschwerden und Rentenwunsch. Psychother Psych Med 2003; 53: Herrmann C, Buss U, Snaith RP (1995) HADS-D Hospital Anxiety and Depression Scale - Deutsche Version. Ein Fragebogen zur Erfassung von Angst und Depressivität in der somatischen Medizin. Testdokumentation und Handanweisung. Bern: Huber Kühn A, Pannicke L, Mohs A, Schneider H (2001) Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung motivationaler Bedingungen zur Vorhersage der Therapiemitarbeit von LVA-Versicherten während stationärer medizinischer Rehabilitation Erste Ergebnisse der Skalenentwicklung. Rehabilitation (Stuttg); 40: Schaub E, Schliehe F (1995) Neuentwicklungen in der medizinischen Rehabilitation. Dtsch Rentenversicher; 7-8: Ranft A (2001) Automatische Vigilanz für verhaltensrelevante Stimuli: Differentielle Befunde. Unveröffentlichte Wissenschaftliche Hausarbeit zur Diplomprüfung. Westfälische Wilhelms-Universität Münster Sandweg R, Bernardy K, Riedel H (2001) Prädiktoren des Behandlungserfolges in der stationären psychosomatischen Rehabilitation muskuloskelettaler Erkrankungen. Psychother Psych Med; 51: Schmalt HD, Sokolowski K, Langens T (2000) Multi-Motiv-Gitter (MMG). Frankfurt: Swets 178 Schott, T (2004) Determinanten der Ausgliederung und Ansatzpunkte einer zielorientierten Beratung zur Rückkehr zur Arbeit nach einer schweren Herzerkrankung. In Schott, T. (Hrsg.). Eingliedern statt ausmustern - Möglichkeiten und Strategien zur Sicherung der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer. Weinheim: Juventa Verlag

180 8. Projektbezogene Publikationen Wissenschaftliche Vorträge/Posterpräsentationen 2003: Fiedler RG (2003) Zum Konstrukt der Arbeitsmotivation - Ergebnisse einer Expertenbefragung im Bereich der Rehabilitation. Forschungskolloquium des Instituts für Medizinische Psychologie; am , Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Fiedler RG, Heuft G, Greitemann B (2003) Arbeitsmotivation bei Rehabilitanden: Qualitative Analyse einer Expertenbefragung. Postervortrag auf dem 23. Motivationspsychologischen Kolloquium (MPK), an der Universität Osnabrück. Fiedler RG (2003) Motivationssysteme und ihre klinisch-therapeutische Bedeutung. Forschungskolloquium der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, am , Universitätsklinikum Münster. Muthny FA, Fiedler RG ( ) Reha-Motivation als zentraler Einflussparameter auf den Reha- Erfolg - wichtige Inhalte und Empfehlungen zur Erfassung. Jahrestagung des NRW-Forschungsverbundes für Rehabilitationswissenschaften, Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen. 2004: Fiedler, R. G., Greitemann, B., Heuft, G. (2004). Arbeitsmotivation bei Rehabilitanden Qualitative Analyse einer Expertenbefragung. Postervortrag auf dem 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Selbstkompetenz Weg und Ziel der Rehabilitation vom 8. bis 10. März 2004 in Düsseldorf. Fiedler RG, Greitemann B, Heuft G (2004) Arbeitsmotivation bei Rehabilitanden Konzepte und Ergebnisse. Wissenschaftliche Jahrestagung 2004 des NRW-Forschungsverbundes für Rehabilitationswissenschaften, am , Universitätsklinikum Münster. Muthny FA, Fiedler RG (2004) Leistungsmotivation in der Rehabilitation Skalen und Ergebnisse. Wissenschaftliche Jahrestagung 2004 des NRW-Forschungsverbundes für Rehabilitationswissenschaften, am , Universitätsklinikum Münster. Fiedler RG, Schubmann C (2004) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der beruflichen Rehabilitation Konstruktion und erste Überprüfung neuer Skalen. Forschungskolloquium der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, am , Universitätsklinikum Münster. Fiedler RG, Schubmann C, (2004) Ergebnispräsentation einer motivationsdiagnostischen Querschnittsuntersuchung im Berufsförderungswerk (BFW) Hamm. Geschäftsführungs- und Ausbildungsleitergremium - BFW Hamm GmbH; am , Hamm/Westf. Fiedler RG, Ranft A (2004) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der medizinischen Rehabilitation Ergebnisse (I) der faktorenanalytischen Konstruktion neuer Skalen. Forschungskolloquium der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, am , Universitätsklinikum Münster. Fiedler RG, Heuft G, Ranft A, Greitemann B (2004) Entwicklung eines Diagnostikinstrumentes für Arbeitsmotivation (DIAMO) in der medizinischen Rehabilitation. Posterbeitrag auf der Wissenschaftlichen Jahrestagung des NRW-Forschungsverbundes für Rehabilitationswissenschaften: Sechs Jahre Rehabilitationsforschung im NRW-Verbund vom in Bielefeld. Universität Bielefeld. Fiedler RG, Ranft A (2004) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der medizinischen Rehabilitation Ergebnisse (II): Zusammenhangsanalysen und erste Ansatzpunkte für potentielle Interventionen. Forschungskolloquium der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, am , Universitätsklinikum Münster. 179

181 Fiedler RG, Ranft A (2004) Entwicklung und erste Testung neuer Skalen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation in der medizinischen Rehabilitation und erste Ansatzpunkte für Interventionen. Forschungskolloquium des Instituts für Medizinische Psychologie, am , Westfälische Wilhelms-Universität Münster. 2005: Schubmann C, Fiedler RG, Heuft G, Greitemann B (2005) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der beruflichen Rehabilitation: Konstruktion und Überprüfung neuer Skalen. Posterpräsentation auf dem 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven; in Hannover. Fiedler RG (2005) Entwicklung und erste Testung eines Diagnostikinstrumentes für Arbeitsmotivation (DIAMO) in der medizinischen Rehabilitation. Vortrag auf dem 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven; Hannover Congress Centrum, , Hannover. Muthny FA, Fiedler RG, Wiedebusch S (2005). Leistungsmotivation als Teilaspekt der Reha-Motivation und Einflussgröße auf den Reha-Erfolg neue Skalen und empirische Ergebnisse. Vortrag auf dem 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven; Hannover Congress Centrum, , Hannover. Fiedler RG, Heuft G, Ranft A, Greitemann B (2005). Motivation zur Rückkehr ins Erwerbsleben: Entwicklung neuer Skalen. Posterpräsentation auf der 56. Jahrestagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) Körper und Emotion in Dresden. Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Fiedler RG (2005) Bedürfnisbefriedigung, psychische Gesundheit und die Konsistenztheorie von Grawe. Forschungskolloquium der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, am , Universitätsklinikum Münster. Fiedler RG, Ranft A, Greitemann B, Heuft G (2005) Entwicklung und Validierung des DIAMO [Diagnostikinstrument für Arbeitsmotivation]. Posterpräsentation auf dem 7. Kongress für Gesundheitspsychologie. Lebensstiländerungen in Prävention und Rehabilitation in Freiburg i. Br. Buchbeiträge/Abstracts 2004 Fiedler RG, Greitemann B, Heuft G (2004) Arbeitsmotivation bei Rehabilitanden Qualitative Analyse einer Expertenbefragung. Beitrag im Tagungsband zum 13. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Selbstkompetenz Weg und Ziel der Rehabilitation. Frankfurt am Main. DRV-Schriften, Bd. 52, S Fiedler RG, Ranft A, Greitemann B, Heuft, G (2005) Entwicklung eines Diagnostikinstrumentes für Arbeitsmotivation (DIAMO) in der medizinischen Rehabilitation. Beitrag im Tagungsband zum 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven. Frankfurt am Main. DRV-Schriften Bd. 59; S Schubmann C, Fiedler, RG, Heuft G, Greitemann B (2005) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der beruflichen Rehabilitation: Konstruktion und Überprüfung neuer Skalen. Beitrag im Tagungsband zum 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven. Frankfurt am Main. DRV-Schriften Bd. 59; S

182 Muthny FA, Fiedler RG, Wiedebusch S (2005) Leistungsmotivation als Teilaspekt der Reha-Motivation und Einflussgröße auf den Reha-Erfolg neue Skalen und empirische Ergebnisse. Beitrag im Tagungsband zum 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium: Rehabilitationsforschung in Deutschland Stand und Perspektiven. Frankfurt am Main. DRV-Schriften Bd. 59; S Fiedler RG, Schubmann C, Heuft G, Greitemann B. (2005) Arbeitsmotivation in der Rehabilitation Überblick zur Diagnostik, Vorstellung und Diskussion neuer Befunde. In R Nübling, FA Muthny & J Bengel (Hrsg.) Reha-Motivation und Behandlungserwartungen. Bern, Hans Huber 2006 Fiedler RG, Schubmann C, Heuft G, Greitemann B (2006) Arbeitsmotivation in der Rehabilitation Überblick zur Diagnostik, Vorstellung und Diskussion neuer Befunde. In Nübling, Muthny & Bengel (Hrsg.) Reha-Motivation und Behandlungserwartungen. Bern, Hans Huber Zeitschriftenartikel 2005 Fiedler RG; Heuft G, Ranft A, Greitemann B (2005) Motivation zur Rückkehr ins Erwerbsleben: Entwicklung neuer Skalen. Beitrag im PPmP Sonderheft zur 56. Jahrestagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) in Dresden Körper und Emotion. Psychother Psych Med, 58, 15. Fiedler RG, Ranft A, Greitemann B, Heuft G (2005) Arbeitsmotivation - Diagnostikinstrumente und ihre Relevanz in der Patientenversorgung. Zum Stand arbeitsbezogener Motivationsdiagnostik. Psychother Psych Med; 55, Fiedler RG, Ranft A, Schubmann C, Heuft G, Greitemann B. (2005) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der Rehabilitation Vorstellung und Befunde zur faktoriellen Struktur neuer Konzepte. Psychother Psych Med; 55; Ranft A, Fiedler RG, Greitemann B, Heuft G. DIAMO: Psychometrische Testung von Skalen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation. eingereicht. Weitere begutachtete Arbeiten Fiedler RG, Greitemann B, Heuft G. (2005) Motivationstraining für Rehabilitanden: Klärung berufsbezogener Ziele und Beratung zur Umsetzung Entwicklung und Evaluation einer Interventionsmaßnahme. Forschungsantrag an die Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (GFR) e.v. NRW; Förderbewilligung ab , Laufzeit 36 Monate. Fiedler, RG (2006) Diagnostik von Arbeitsmotivation bei Rehabilitationspatienten Konzeptualisierung, Operationalisierung, Strukturanalyse und Kreuzvalidierung neuer Skalen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. In Bearbeitung: Promotionsvorhaben von Herrn Dipl.-Psych. Andreas Ranft (Münster), Auswertung der Messzeitpunkte to & t1 der Längsschnittuntersuchung. Promotionsvorhaben von Frau Dipl.-Psych. cand med. Heike P. Müller (Bielefeld) Auswertung des Follow-up (t2) der Längsschnittuntersuchung; Bestimmung der prädiktiven Validität. 181

183 Evaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge der Deutschen Rentenversicherung Westfalen (PRN) Förderkennzeichen: Projekt 92 Förderer: Verein für Rehabilitationsforschung Norderney e. V. Kaiserstrasse Norderney Projektleitung: Dipl.-Soziologe Jochen Heuer, Dipl.-Psych. Dr. Bettina Hesse Projektmitarbeiterinnen: Cand.-Psych. Isabell Kulbe Dipl.-Psych. Petra Gelléri Laufzeit: Seit 1. April 2002 Forschende Institution: Institut für Rehabilitationsforschung Norderney Abteilung für Sozialmedizin Abteilungsleitung: Dr. med. Erika Gebauer Gartenstrasse Münster Tel.: und Fax: Methodenberatung: Eine Methodenberatung fand vor Bewilligung des Projektes durch Frau Prof. Dr. Gabriele Berg, Methodenberatung des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften, statt. Publikationen: Heuer, J.; Hesse, B. & Gebauer, E. (2004): Evaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge (PRN) der LVA Westfalen: Struktur- und Prozessoptimierung als unmittelbares Evaluationsergebnis. Das Gesundheitswesen, 66, 8/9, 579. Heuer, J. & Hesse, B. (2004): Struktur- und Prozessevaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge der LVA Westfalen. In: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR)[Hg]: Selbstkompetenz - Weg und Ziel der Rehabilitation. 13. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom März 2004 in Düsseldorf. wdv Gesellschaft für Medien und Kommunikation mbh & Co. OHG: Bad Homburg

184 Evaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge (PRN) der Deutschen Rentenversicherung Westfalen Teilbereich Struktur- und Prozessanalyse 1. Einleitung Psychische/psychosomatische Störungen verzeichnen den höchsten Anstieg im Bereich der - ebenfalls in ihrer Gesamtheit stark zunehmenden chronischen Erkrankungen und nehmen in den stationären Rehabilitationsleistungen bereits die zweite Stelle nach orthopädischen und noch vor kardiovaskulären Krankheitsbildern und Neubildungen ein (VDR 2005). Psychosomatische Störungen sind in der Regel besonders hoch chronifiziert und bedürfen zumeist einer langen Behandlungszeit. Evaluationsstudien im Bereich der stationären psychosomatischen Rehabilitation haben gezeigt, dass die Patienten regelhaft gute Besserungswerte durch ihren Klinikaufenthalt erreichen, diese aber nicht über einen längeren Zeitraum in das Alltagsleben transferieren können. An der Schnittstelle Klinik Alltag werden nun vereinzelt und häufig modellhaft Nachsorgemaßnahmen eingesetzt, um eine bessere Nachhaltigkeit der Therapieerfolge zu erzielen. Die Psychosomatische Rehabilitationsnachsorge (PRN) der Deutschen Rentenversicherung Westfalen wird als einziges dieser ergänzenden, alltagsbegleitenden Modelle flächendeckend und wohnortnah eingesetzt. Die Wohnortnähe trägt entscheidend dazu bei, dass Alltags-/Arbeitsplatzkonflikte, denen sich der Rehabilitand nach seiner Entlassung aus der stationären Therapie gegenüber sieht, ganz unmittelbar im Rahmen der ambulanten Nachsorge bearbeitet werden können und so eine Vertiefung und praktische Umsetzung der bisherigen Rehabilitationsergebnisse gewährleistet ist. Die Deutsche Rentenversicherung Westfalen nutzt zur Implementierung der Maßnahme bestehende Strukturen, indem zurzeit etwa 60 Therapeuten, die alle Kreise und kreisfreien Städte ihres Versorgungsbereiches abdecken, für die PRN besonders geschult wurden und somit ein umfassendes Nachsorgenetz aufgebaut werden konnte. Der Beginn der PRN ist zeitnah, innerhalb von vier Wochen nach Beendigung der stationären Therapie, vorgesehen. Die Nachsorge kann sowohl in Einzelals auch in Gruppentherapie erfolgen, selbst Mischformen sind möglich, so dass die Maßnahme sehr flexibel und patientenorientiert gehandhabt werden kann. In Gruppenform umfasst die Nachsorge bis zu 25 Termine zu je 90 Minuten über den Zeitraum eines halben Jahres, als Einzeltherapie 8 Sitzungen zu 50 Minuten. Es werden von den Nachsorgetherapeuten erforderlichenfalls vernetzende Leistungen gewünscht, wie bspw. Anbahnung eines Gespräches mit dem Arbeitgeber, Einsatz des Reha-Fachdienstes, Einleitung einer nachgehenden Psychotherapie und Ähnliches. Die Nachsorge ist damit zwischen zwei Schnittstellen angesiedelt: Auf der einen Seite die Reha-Klinik und der Transfer des Patienten und therapienotwendiger Informationen, auf der anderen Seite das Berufsund Arbeitsleben mit ggf. vernetzenden Maßnahmen. Beide Schnittstellen müssen so gestaltet sein, dass sie einen reibungsarmen Informations- und Kommunikationstransfer gewährleisten. 2. Struktur- und Prozessanalyse Im April 2002 initiierte die Deutsche Rentenversicherung Westfalen eine dreijährige Studie zur Evaluation der Psychosomatischen Rehabilitationsnachsorge. Die Evaluationsstudie erhob und bewertete die durch die Nachsorgemaßnahme erzielten Fortschritte bzw. den Grad der Therapiezielverwirklichung von PRN-Teilnehmern im Vergleich mit Patienten, die keine Nachsorge erhalten hatten. Da die erreichbaren Ergebnisse ganz unmittelbar von der gut funktionierenden Einbindung der PRN in die Rehakette zwischen Klinik und Alltagswelt abhängig sind, richteten sich die zentralen Fragestellungen der Evaluationsstudie gleichermaßen auf die Struktur- und Prozessanalyse. Letztere untersuchte neben den oben erwähnten Schnittstellen Gründe für den Nichtantritt und Abbruch der Maßnahme sowie die konzeptionelle Konformität der Nachsorgeinhalte. Übergreifendes Ziel der Struktur- und Prozessanalyse war die Optimierung des Verfahrensablaufs. 183

185 2.1 Ergebnisse Die Struktur- und Prozessanalyse ergab neben einer weitgehenden Zufriedenheit mit den Informationen zur PRN, die die LVA Westfalen bereitgestellt hatte, eine generell gute bis sehr gute Bewertung der Nachsorgemaßnahme hinsichtlich der Beurteilungskriterien Konzept, Praktikabilität und Versorgung der Versicherten durch Reha-Kliniker, Nachsorgetherapeuten und Rehabilitanden. Andererseits wurden aber auch kommunikative und interaktive Defizite sowie Informationslücken an den Schnittstellen Klinik Nachsorge und Nachsorge Alltag/Beruf aufgedeckt, die eine reibungslose Einbettung der PRN in den Reha-Prozess behinderten. Die vorgefundenen Probleme und Defizite wurden mit den zuständigen Stellen der Deutschen Rentenversicherung Westfalen diskutiert. Es wurden umgehend Lösungsmöglichkeiten erarbeitet und Modifikationen implementiert, die geeignet schienen, den Verfahrensablauf zu optimieren. Um die Wirksamkeit der vorgenommenen Änderungen zu überprüfen, wurde zwei Jahre nach der ersten Erhebung eine zweite Struktur- und Prozessanalyse durchgeführt Information und Kommunikation zwischen Klinik und Nachsorge Die erste Analyse der Schnittstelle Klinik PRN offenbarte Informations- und Kommunikationsdefizite zwischen Klinik- und Nachsorgetherapeuten. 59% der Kliniktherapeuten fühlten sich über die Nachsorgetherapeuten nicht ausreichend informiert, vice versa waren es 48%. Beide Gruppen bemängelten insbesondere die schlechte Erreichbarkeit der jeweiligen - häufig ungenannten - Ansprechpartner. Den Kliniktherapeuten fehlten Informationen über Qualifikation, Therapieausrichtung und die Therapieform (Gruppe oder Einzel) der Nachsorgetherapeuten, die ihnen zu über 70% unbekannt war. Die PRN-Therapeuten wünschten sich Klarheit über die Therapieausrichtung, die Schwerpunkte und die therapeutischen Konzepte der Kliniken. Im Zuge des neuen Internetauftritts der Deutschen Rentenversicherung Westfalen wurden nun die nachgefragten Informationen über die Nachsorgetherapeuten wie Sprechzeiten, therapeutische Ausrichtung, Therapieform etc. online bereitgestellt und ständig aktualisiert. Die nachgefragten Merkmale der Kliniken sind in der Regel über deren Homepages zu erhalten. Die zweite Strukturund Prozessanalyse ergab deutliche Verbesserungen im Informationsgrad der Kooperationspartner. Knapp drei Viertel der PRN-Therapeuten und fast zwei Drittel der Kliniktherapeuten sahen sich Ende 2004 ausreichend informiert. An der Schnittstelle stationäre Rehabilitation Nachsorge ist eine gute Kommunikation hinsichtlich der Übergabe der Rehabilitanden erforderlich, um den Nachsorgetherapeuten hinreichende Kenntnisse über den bisherigen Rehabilitationsverlauf, die vereinbarten Nachsorgeziele, zu erbringende Vernetzungsleistungen u. ä. zu vermitteln. Hier stellte sich ein häufig fehlender oder zu spät kommender Entlassungsbericht als besonders problematisch heraus. Die Nachsorgetherapeuten sahen sich dadurch in ihrer therapeutischen Arbeit und bei Vernetzungsleistungen an der Schnittstelle PRN Alltag/Beruf stark behindert, da ihnen ohne Entlassungsbericht ein erheblicher Mehraufwand entstünde (vollständige Anamnese erstellen, Neuerarbeitung der Therapieziele) und häufig durch die fehlende sozialmedizinische Einschätzung der Klinik - Unsicherheit hinsichtlich ihrer Vermittlungsleistungen (soll der Patient eine Umschulung erhalten, benötigt er eine nachgehende Psychotherapie, sollte der Kontakt mit dem Arbeitgeber gesucht werden etc.?) erwachsen. Dieses Defizit wurde während des PRN-Workshops am 5. November 2003 in der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, der von der Abteilung Sozialmedizin, der Reha-Abteilung und dem IfR unter Beteiligung von über 70 Klinik- und Nachsorgetherapeuten organisiert und durchgeführt wurde, thematisiert und diskutiert. Die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Zusendung des Entlassberichtes wurde nach einem konstruktiven Meinungsaustausch von den Reha-Klinikern gesehen und unterstützt. Zugleich wurde aber auch auf die bestehende Zeitnot im klinischen Alltag hingewiesen. Um bei aller erkennbaren Bereitschaft der Kliniker zu gewährleisten, dass die PRN-Therapeuten fortan mit allen notwendigen Informationen für ihre Arbeit versehen werden, wurden flankierende Maßnahmen vorgesehen. So wurde die Verpflichtung zur zeitnahen Übergabe des Entlassungsberichtes noch einmal explizit im PRN-Konzept festgeschrieben und ein erweiterter Übergabebericht entwickelt, der nun wichtige Angaben zu den Therapiezielen und ggf. einzuleitenden Vernetzungsleistungen enthält. Der 184

186 erweiterte Übergabebericht steht dem Nachsorgetherapeuten als Bestandteil der PRN-Verordnung unmittelbar nach Entlassung des Versicherten aus der Klinik zur Verfügung. Die zweite Struktur- und Prozesserhebung ergab nun, dass die Qualität des inhaltlichen Austauschs mit dem jeweiligen Kooperationspartner nach den genannten Interventionen deutlich besser beurteilt wurde. Die PRN-Therapeuten fühlten sich jetzt über die (aufgrund eines fehlenden oder zu spät kommenden Entlassungsberichtes) zuvor oft fehlenden Kategorien Bisheriger Krankheitsverlauf, Nachsorgeziele und Zu erbringende Leistungen gut informiert. Die Klagen der Nachsorgetherapeuten über einen fehlenden Entlassungsbericht sind stark zurückgegangen. Klinik- und PRN-Therapeuten berichten übereinstimmend, dass sie den E-Bericht zu 60% rechtzeitig zu Nachsorgebeginn verschickt bzw. erhalten haben. Inwieweit diese (weiterhin eher niedrige) Quote akzeptabel ist, wird weiter diskutiert werden müssen Versorgungsabdeckung Die Versorgungsabdeckung der PRN wurde zum Zeitpunkt der ersten Struktur- und Prozessanalyse teilweise kritisch gesehen. Von den Kliniktherapeuten waren 41% der Ansicht, dass mit dem Nachsorgeangebot nicht alle Versicherten mit Nachsorgebedarf erreicht würden. Dies beträfe vor allem ausländische Rehabilitanden, deren deutsche Sprachkenntnisse zu gering wären und Versicherte, deren Wohnort weit vom nächsten Nachsorgetherapeuten entfernt läge. Die Suche nach geeigneten fremdsprachigen Nachsorgetherapeuten gestaltet sich schwierig und wird zurzeit fortgesetzt. Die Flächenabdeckung entspricht grundsätzlich dem vorgegebenen Versorgungsziel, wonach im Zuständigkeitsbereich der DRV Westfalen kein Versicherter mehr als km Entfernung zu einem PRN-Therapeuten zurücklegen sollte. Lediglich in Teilen des Sauerlandes wurden Versorgungslücken ausgemacht. Offensichtlich scheint sich aber der Handlungsbedarf an diesem Punkt aus noch ungeklärten Gründen (möglicherweise durch eine zwischenzeitlich geforderte passgenauere Zuweisung bedingt) zu reduzieren, da die zweite Umfrage eine deutlich bessere Versorgungsabdeckung (78%) in der Einschätzung der Kliniktherapeuten ergab Nichtteilnahme und Abbruch Von allen untersuchten Rehabilitanden, die eine PRN verordnet bekamen, haben knapp zwei Drittel die Nachsorge begonnen und vollständig durchgeführt. Mehr als ein Drittel hat dagegen die PRN nicht angetreten oder abgebrochen. Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich aus der Analyse der Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung Westfalen für die Versicherten, denen außerhalb des Erhebungszeitraums eine PRN verordnet wurde. Die Datenauswertung der ersten Struktur- und Prozesserhebung zeigte, dass Rehabilitanden mit unklaren Nachsorgezielen für die PRN wenig motiviert waren und die Maßnahme deutlich häufiger als statistisch erwartet abbrachen. Die mangelnde Klarheit der Nachsorgeziele verdeutlichten die Angaben von Rehabilitanden und PRN-Therapeuten. Auf die Frage, wie gut sie über die PRN informiert seien, gaben mehr als ein Drittel der Nachsorgeteilnehmer an, dass dieses in der Klinik eher knapp oder gar nicht erfolgt sei. Das Urteil der Nachsorgetherapeuten fällt noch deutlicher aus. Fast die Hälfte sah die Klienten eher schlecht informiert. Um die vorgefundenen Informationsdefizite zu beseitigen, wurde während des PRN-Workshops die Aufgabe der Kliniken betont, mit ihren Patienten ausführlich den Sinn und Möglichkeiten der PRN und die persönlichen Nachsorgeziele zu besprechen. Um unmittelbar und systematisch den Informationsstand der Rehabilitanden zu verbessern, wurde der erweiterte Übergabebericht entwickelt, der eine gemeinsame Erarbeitung der Nachsorgeziele durch Reha-Kliniker und Patienten sowie deren Festschreibung in dem Dokument vorsieht. Ferner wird der erweiterte Übergabebericht nicht wie bisher allein von den Mitarbeitern der Klinik unterzeichnet, sondern auch vom Patienten selbst. Auf diesem Wege soll der Patient Klarheit über seine persönlichen Nachsorgeziele bekommen, ihm gleichzeitig seine Eigenverantwortlichkeit für den Erfolg der Nachsorgemaßnahme verdeutlicht und 185

187 damit auch seine Motivation gesteigert werden. Die zweite Befragung ergab gemäß den Eindrücken der Kliniktherapeuten eine deutliche Steigerung der Informiertheit der Rehabilitanden über ihre Nachsorgeziele und eine bessere PRN-Motivation durch Einführung des neuen Übergabeberichtes. Damit erscheint künftig auch eine niedrigere Abbrecherquote möglich Themenpräsenz in der Nachsorge und praktische Vernetzungsleistungen Die in der Nachsorge ermittelte Themenpräsenz entspricht zu beiden Messzeitpunkten in ihrer Häufigkeitsverteilung der Zielrichtung der PRN mit einem Fokus auf berufliche (Wieder-) Eingliederung. So standen nach dem mit höchster Priorität gelistetem Thema Familie / Partnerschaft die in diesem Zusammenhang relevanten Bereiche Berufliche Reintegration und Probleme am Arbeitsplatz deutlich vor Symptomreduzierung und Krankheitsverarbeitung. Blickt man dagegen auf die tatsächliche Vernetzungspraxis der Nachsorgetherapeuten, werden die Institutionen / Personen, die berufsorientierte Leistungen anbieten, zum zweiten Messzeitpunkt noch seltener herangezogen. Allerdings kann im Rahmen dieser Studie nicht festgestellt werden, ob das Maß der erbrachten Vernetzungsleistungen dem tatsächlichen Bedarf der Versicherten entspricht, oder ob an dieser Stelle mehr Aktivitäten für den Rehabilitanden sinnvoll und hilfreich wären. 3. Zusammenfassung Die Struktur- und Prozesserhebungen haben gezeigt, dass im Falle der PRN wissenschaftliche Begleitforschung unmittelbar in operationalisierbare Strategien umgesetzt werden kann, die geeignet sind, eine schnelle Optimierung der Maßnahme herbeizuführen und somit einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung und steigerung zu leisten. Die Untersuchung hat der PRN generell eine gute Ablaufperformance bescheinigt. Dort, wo Reibungsverluste insbesondere an den Schnittstellen Klinik PRN und PRN Alltag/Beruf erkannt worden sind, wurden Interventionen (Informationsbereitstellung im Internet, Erweiterter Übergabebericht, PRN-Workshop, Konzeptionsänderung etc.) entwickelt und umgesetzt. Wie die zweite Struktur- und Prozesserhebung belegt, konnten Probleme und Defizite auf diese Weise behoben oder deutlich verringert werden, z. B. in den Bereichen Information/Kommunikation zwischen Klinik- und Nachsorgetherapeuten, Klarheit der Nachsorgeziele der Patienten, später oder fehlender Entlassungsbericht. Im Falle der Bewertung der Versorgungsabdeckung durch die Kliniktherapeuten ist zum zweiten Messzeitpunkt eine deutlich positivere Einschätzung erfolgt, ohne dass hierfür Gründe offenkundig sind. Möglicherweise ist hier der Forderung seitens der Leistungsträgerin, präziser nach den Indikationskriterien zuzuweisen, nachgekommen worden. 186

188 Stellenwert der Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen in der sozialmedizinischen Beurteilung stationärer orthopädischer Reha-Patienten Förderkennzeichen: VFR-Projekt Nr. 86 Förderer: Verein für Rehabilitationsforschung e.v., Norderney Projektleiter/in: Claudia Büschel, Dipl.-Psych. Prof. Dr. Bernhard Greitemann Projektmitarbeiter: Monika Schaidhammer-Placke, M.A.; Kooperation mit Dr. Detlev Kasprowski, Brunswiek-Klinik und Klinik Friedrichshöhe, Bad Pyrmont Laufzeit: Einleitung Die sich ständig zuspitzende Debatte um das Kostenmanagement im Gesundheitssystem wie auch neuere Erkenntnisse über die große Bedeutung von Erwerbsarbeit für die biopsychosoziale Gesundheit von Menschen haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren das Ziel, Patienten zu einer Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu motivieren und zu befähigen, auch und gerade in der Rehabilitation immer stärker in den Vordergrund gerückt ist. Ganzheitliche und beruflich orientierte Behandlungskonzepte greifen diese Thematik auf und maximieren mit umfangreichen diagnostischen und therapeutischen Angeboten die Chancen der Patienten auf eine leidensgerechte berufliche Zukunft. Eine entscheidende Basis dafür liegt in einer zutreffenden sozialmedizinischen Einschätzung auf der Grundlage eines validen Vergleichs der Fähigkeiten eines Patienten mit den Anforderungen an seinem oder einem möglichen Arbeitsplatz. Sie ermöglicht vernünftige berufliche Prognosen und Entscheidungen über Maßnahmen zur Verhinderung eines verfrühten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben (Oliveri, Denier-Bont & Hallmark Itty, 1996). In der Klinik Münsterland (Bad Rothenfelde) sowie der Brunswiek-Klinik und der Klinik Friedrichshöhe (beide Bad Pyrmont) wird seit Jahren die EFL 1 nach Isernhagen als ein international anerkanntes FCE 2 -Verfahren bei Patienten mit unklarer beruflicher Prognose eingesetzt. Allerdings stehen einem hohen Grad an Objektivität durch die starke Standardisierung, einer großen Sicherheit für die Patienten und einer nachgewiesenermaßen hohen Intra- und Interrater-Reliabilität (Brouwer et al., 2003; Isernhagen, Hart, & Matheson, 1999; Reneman, Jaegers, Westmaas & Goeken, 2002) ein sehr großer Aufwand, eine hohe Belastung der Patienten sowie eine fragliche Validität gegenüber (z.b. Gross & Battié, 2004; Gross et al., 2004): Weder die prognostische Validität der EFL in Bezug auf eine erfolgreiche Rückkehr in das Erwerbsleben noch ihre Bedeutung in dem Prozess der sozialmedizinischen Beurteilung (a) durch Ärzte und (b) durch die Patienten selbst sind bisher ausreichend erforscht worden. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Ziel der hier beschriebenen Studie ist es, die Nützlichkeit des EFL-Tests für sozialmedizinische Beurteilungen im Rahmen der stationären orthopädischen Reha zu ermitteln. Insbesondere sollen zwei Fragen beantwortet werden: 1 EFL = Evaluation der Funktionellen Leistungsfähigkeit 2 FCE = Functional Capacity Evaluation 187

189 1. Inwiefern entsprechen die sozialmedizinischen Beurteilungen der behandelnden Ärzte den Ergebnissen der EFL? In welchem Maße und an welchen Punkten unterscheiden sie sich? 2. Trägt die EFL dazu bei, dass Patienten ein realistischeres Bild von ihrer eigenen funktionellen Leistungsfähigkeit bekommen? Wenn ja, hat das Auswirkungen auf ihre beruflichen Zielsetzungen? 3. Methoden und Arbeitsplan Instrumente Die Kerninstrumente für die Beantwortung der ersten Frage sind der ausführliche EFL-Bericht, insbesondere die EFL-Tabelle und die zusammenfassende Einschätzung der Leistungsfähigkeit nach REFA. Diese Ergebnisse des EFL-Tests werden mit den Einschätzungen der behandelnden Stations- oder Oberärzte verglichen, die im Arztbogen abgefragt werden. Zusätzlich werden die Ärzte gebeten, Angaben über ihnen bekannte besondere Belastungen des Patienten an seinem Arbeitsplatz sowie das Chronifizierungsstadium des Patienten nach Gerbershagen zu machen. Als mögliche Moderatorvariablen haben wir die Erfahrung von Ärzten und EFL-Therapeuten in ihrem Beruf, mit sozialmedizinischen Fragestellungen und mit EFL-Tests sowie den Grad, zu dem sie sich ihrer eigenen Ansicht nach in der Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Patienten durch dessen Persönlichkeit beeinflussen lassen, einmalig in den Bögen Angaben zum Arzt bzw. Angaben zum EFL- Therapeuten erhoben. Die Kerninstrumente für die zweite Frage sind neben den im EFL-Test standardmäßig zu Beginn und zum Ende des Tests eingesetzten PACT 1 und 2 die Fragebögen zu beruflichen Perspektiven 1 und 2, die von den Patienten kurz vor und einen Tag nach dem EFL-Test ausgefüllt werden. Mit ihrer Hilfe werden Angaben der Probanden über ihren Beruf, ihre selbst wahrgenommene Beeinträchtigung im Beruf durch ihren Gesundheitszustand, ihre selbst eingeschätzte Leistungsfähigkeit und ihre beruflichen Perspektiven sowie dessen Veränderungen erfragt, so dass eine direkte und eine indirekte Veränderungsmessung erfolgen kann. Darüber hinaus werden die Erwartungen der Patienten an den EFL-Test sowie ihr Erleben des Tests abgefragt. Ergänzt wird das Instrumentarium für die Patienten durch die Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) von Schaarschmidt & Fischer (2003). Datenbasis Eine vor Beginn des Projektes durchgeführte Power-Analyse hat eine optimale Stichprobengröße von N=82 ergeben. Dabei wurde der EFL-Subtest Heben Boden- zu Taillenhöhe als exemplarisches Hauptzielkriterium ausgewählt, da er in diversen Publikationen zur EFL immer wieder als eine Art Referenztest für die allgemeine Leistungsfähigkeit angeführt wird und eine hohe Interraterreliabilität aufweist. Gerechnet wurde konservativ mit α=.01; β=.2 und d=0,5 für einen Mittelwertvergleich zwischen unabhängigen Stichproben, da zwar die gleichen Probanden durch EFL und Arzt eingeschätzt werden, beide Einschätzungen aber voneinander unabhängig geleistet werden. Um diese Vorgabe auf jeden Fall erfüllen zu können, haben wir geplant, jeweils 50 Patienten in der Klinik Münsterland und 50 Patienten in den Kliniken von Dr. Kasprowski zu erheben. In die Studie eingeschlossen werden Patienten, bei denen eine Notwendigkeit der Klärung der Leistungsgrenzen zur sozialmedizinischen Einschätzung vorliegt, die sich am Ende des Informationsgespräches zu einer freiwilligen Teilnahme an der Studie bereit erklären und eine entsprechende Einverständniserklärung unterschreiben, die in ausreichendem Maße deutsch verstehen, lesen und schreiben können. Ausschlusskriterien sind die üblichen medizinischen und psychologischen EFL-Kontraindikationen. 188

190 Auswertung Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgt mit dem Statistical Package for Social Sciences (SPSS) Geplant ist eine reine Gruppenauswertung mit ergänzenden Subgruppenanalysen zur Identifikation von Moderatorvariablen. Der Fokus der Auswertung liegt auf den beiden Forschungsfragen und den sich daraus ergebenden Hauptzielkriterien: Frage 1: Hauptzielkriterien sind die allgemeine Leistungsfähigkeit nach REFA und die Ergebnisse der einzelnen EFL-Subtests. Für die jeweils gleichen Aspekte der Leistungsfähigkeit sollen die Grade der Übereinstimmung zwischen EFL-Ergebnis und ärztlicher Einschätzung durch die Berechnung von Produkt-Moment-Korrelationen überprüft und signifikante Unterschiede durch t-tests aufgedeckt werden. Frage 2: Veränderungen in den Selbsteinschätzungen der Patienten sollen durch Prä-Post-Vergleiche ihrer selbst vermuteten Leistungsgrenzen nach REFA (t-tests), ihres angenommenen Zeitpunktes der Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit (Kreuztabellen) und ihrer voraussichtlichen beruflichen Situation 12 Monate nach dem EFL-Test (Kreuztabellen) identifiziert werden. Durch t-tests nachgewiesene Signifikanzen werden durch die Angabe der dazugehörigen Effektstärken ergänzt. Arbeitsplan Aufgrund der einfachen Struktur des Projektes ist eine knappe Gliederung in nur drei Phasen möglich: 1. Vorbereitung (Erstellung der Fragebögen, Aufbau von Kooperationen mit allen Beteiligten, Anpassung der Abläufe in den Kliniken geplant: 3 Monate) 2. Datenerhebung (geplant: 13 Monate) 3. Auswertung und Berichtlegung (geplant: 8 Monate). 4. Arbeitsstand Die vorbereitenden Arbeiten einschließlich der Durchführung einer Probephase konnten planmäßig und erfolgreich abgeschlossen werden. Anschließend konnten wir im Frühjahr 2005 mit geringen Veränderungen im Instrumentarium, vor allem der zusätzlichen Aufnahme des AVEM, die Datenerhebung beginnen. Allerdings gestaltete sich die Rekrutierung der Probanden schwieriger als erwartet, so dass die Datenerhebung bei zurzeit 63 auswertbaren Datensätzen (58 Männer; 5 Frauen; Alter MW=40,0 Jahre) noch läuft und bis zu einem Stichprobenumfang von N=70 weitergeführt werden soll. Damit werden wir zwar unter dem geplanten N von 82 bleiben, sehen diese Veränderung aber aufgrund der in einer Zwischenauswertung bereits nachgewiesenen unerwartet großen Effekte als unproblematisch an. Unter den Teilnehmern gab es drei medizinische Drop-Outs, aber aufgrund der ausführlichen Aufklärung der Probanden und der offenbar hohen Plausibilität der Fragestellungen bisher keine Verweigerer. Erste Ergebnisse Erste Ergebnisse zeigen, dass 1. EFL und behandelnde Ärzte in der Einschätzung der allgemeinen Leistungsfähigkeit der Patienten stark, in der Einschätzung von Einzelfähigkeiten erheblich weniger gut übereinstimmen, wobei der EFL-Test den Patienten in der Regel höhere Leistungsgrenzen zuschreibt. 189

191 Abbildung 1: Einschätzungen von EFL und Arzt Effektstärken und Korrelationen Einschätzungen EFL und Arzt - Effektstärken und Korrel ationen (N=48) 2,0 0,8 ES r (Pearson) 0,7 Effekt st ärke der Differenz EFL- AB 1,5 1,0 0,5 0,0 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 Korrelation EFL mit AB -0,5 allg. Leistungsfähigkeit (REFA) (r=.68**) Schieben/Drücken (r=.40**) Ziehen (r=.29*) Stehen vorgeneigt ** (r=.30*) Heben Boden- zu Taillenhöhe ** (r=.20) Heben Taillen- zu Kopfhöhe ** (r=.43**) Sitzen vorgeneigt ** (r=.33 *) Tragen rechts ** (r=.34*) Tragen links ** (r=.17) Knien ** (r=.40**) Hockestellung ** (r=.48**) Längeres Stehen ** (r=.07) Heben horizontal ** (r=.25) Treppe steigen ** (r=.33*) Tragen vorne ** (r=.30*) Wiederholte Kniebeuge ** (r=.45**) Arbeit über Kopf ** (r=.35*) Längeres Sitzen ** (r=.08) Gehen ** (r=.10) Kriechen ** (r=.33*) Rotation im Stehen ** (r=.20) Leiter steigen ** (r=.32*) Rotation im Sitzen ** (r=.15) -0,1-0,2 Erklären lassen sich diese Differenzen nach Büschel et al. (2006) damit, dass die EFL im Gegensatz zu den Ärzten keine weiteren Belastungen des Patienten an seinem Arbeitsplatz berücksichtigt (Arbeit in Zwangshaltungen, Hitze, Kälte, Nässe, Zeitdruck, usw.). die EFL eine Einpunktmessung darstellt und im Gegensatz zu vor allem erfahrenen - Ärzten keine Entwicklungen und langfristigen Prognosen berücksichtigt. sich die Ärzte in ihrer Einschätzung durch die Persönlichkeit des Patienten beeinflussen lassen. die Schlussfolgerung von der zeitlich begrenzten Test- auf die Dauerbelastung am Arbeitsplatz fragwürdig ist. 2. die Patienten ihre Leistungsfähigkeit realistischer einschätzen. Der Anteil der Probanden mit PACT-Werten, die dem EFL-Ergebnis entsprechen, stieg von 14 (22,6%) auf 29 (46,8%) Probanden. Dabei zeigten 28 Probanden (45,1%) keine Veränderung im Belastungsniveau nach PACT, 5 (8,1%) korrigierten ihre Einschätzung nach unten und 25 (40,3%) nach oben. Global gefragt sagten 23 Probanden (37,1%), sie hätten sich vor dem EFL-Test weniger, 16 (25,8%) mehr und 23 (37,1%) gleichviel zugetraut. 190

192 Abbildung 2: Vergleich PACT I und II mit getesteter Leistungsfähigkeit et Die Auswirkungen dieser Zunahme der Selbsterkenntnis hatte allerdings nur begrenzte Folgen für die beruflichen Perspektiven der Patienten: 40 (76,92%) behielten ihre berufliche Perspektive bezüglich des Erwerbsstatus in einem Jahr bei, 30 von ihnen zweifelten zu keinem Zeitpunkt daran, wieder vollzeitig erwerbstätig zu sein. Die Patienten nahmen sich nach dem EFL-Test als weniger beeinträchtigt im Beruf wahr (MW prä = 4,13; MW post =3,62; p=.000; Skala 1=gar nicht; 5=sehr stark), doch auch die Hoffnung auf eine leidensgerechte Tätigkeit sank tendenziell ab (MW prä = 60,2%; MW post =54,6% subjektive Wahrscheinlichkeit; n.s.). Korrekturen bezüglich des vermuteten Zeitpunktes einer Rückkehr ins Erwerbsleben gab es in beide Richtungen: 11 Probanden (22,5%) meinten nach der EFL früher wieder arbeiten zu können, 9 Patienten (18,4%) verschoben den Zeitpunkt nach hinten, und 29 (59,2%) bleiben bei ihrer ursprünglichen Einschätzung. Generell scheint also durchaus eine Veränderung der globalen Einschätzungen der Fähigkeiten und Perspektiven stattzufinden, die sich jedoch kaum auf die konkreten Pläne niederschlägt. Insgesamt scheint sich die EFL als ein für einige Patienten durchaus wichtiger Baustein in der beruflich orientierten Rehabilitation zu bestätigen, der aber gut in ein ganzheitliches Geflecht von diagnostischen, beraterischen und therapeutischen Maßnahmen eingebunden werden muss, damit er einerseits kein unangemessen großes Gewicht bekommt, andererseits aber sein Potenzial voll entfalten kann. 5. Literatur Brouwer, S., Reneman, M.F., Dijkstra, P.U., Groothoff, J.W., Schellekens, J.M. & L.N. Goeken (2003). Test-retest reliability of the Isernhagen Work Systems Functional Capacity Evaluation in patients with chronic low back pain. Journal of Occupational Rehabilitation, 13, 4, S Büschel, C., Greitemann B. & M. Schaidhammer-Placke (2006). Stellenwert der EFL in der sozialmedizinischen Beurteilung stationärer orthopädischer Reha-Patienten. Vortrag auf dem 15. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium der Deutschen Rentenversicherung Rehabilitation und Arbeitswelt Herausforderungen und Strategien ; in Bayreuth. Gross, D.P. & M.C. Battié, M.C. (2004). The prognostic value of Functional Capacity Evaluations in Patients With Chronic Low Back Pain: Part 2. Sustained Recovery. Spine, 29, 8, S Gross, D.P., Battié, M.C. & J.D. Cassidy, J.D. (2004). The prognostic value of Functional Capacity Evaluations in Patients With Chronic Low Back Pain: Part 1. Timely Return to Work. Spine, 29, 8, S

193 Isernhagen, S.J., Hart, D.L. & L.M. Matheson (1999). Reliability of independent observer judgments of level of lift effort in a kinesiophysical Functional Capacity Evaluation. Work, 12, S Kaiser, H., Kersting, M., Schian, H.-M., Jacobs, A. & D. Kasprowski (2000). Der Stellenwert des EFL- Verfahrens nach Susan Isernhagen in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Rehabilitation, 39, S Matheson, L.N. & M.L. Matheson (1989/91). Spinal Function Sort. Rating of Perceived Capacity. Test Booklet and Examiners Manual. Performance and Capacity Testing PACT. Oliveri, M., Denier-Bont, F. & M.-L. Hallmark-Itty (1996). Evaluation der Funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) nach Susan Isernhagen. Suva Medizinische Mitteilungen Nr. 69, S Reneman, M.F., Jaegers, S.M., Westmaas, M. & L.N. Goeken (2002). The reliability of determining effort level of lifting and carrying in a functional capacity evaluation. Work, 18, 1, S Schaarschmidt, U. & Fischer, A. (2003). Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster. AVEM. Swets Test Services GmbH, Frankfurt am Main. 192

194 Förderung zerebraler Plastizität durch das Spiegeltraining Evaluierung eines neuen Therapieansatzes für die neurologische Rehabilitation Förderkennzeichen: Projekt Nr. 0315: Förderer: Refonet Rehabilitations-Forschungsnetzwerk der LVA Rheinprovinz Projektleiter: Dr. med. Christian Dohle, M.Phil. Neurologisches Rehabilitationszentrum Godeshöhe Waldstraße Bonn Tel.: /324 Fax: Mail: Web: Projektmitarbeiter/innen: Judith Püllen, Antje Nakaten, Mona Knebel (FSJ), Frau Dr. Jutta Küst, Dr. Thomas Wullen, Prof. Dr. Hans Karbe Neurologisches Rehabilitationszentrum Godeshöhe (Anschrift wie oben) Dr. Christian Rietz, cand. psych. A. Burdorf, cand. psych. I. Atoudsie Zentrum für Evaluation und Methoden Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Psychologisches Institut Römerstraße Bonn Laufzeit: 1. Juli 2004 bis 30. August 2006 (kostenneutrale Verlängerung um 2 Monate) Zusammenfassung Die häufigste Ursache für eine Behinderung und eine daraus resultierende Pflegebedürftigkeit sind Schlaganfälle. Die Rehabilitation dieser Störungen erfolgt bisher im Wesentlichen über therapeutische Konzepte, die durch verschiedene Stimulationsverfahren die zerebralen Kontrollstrukturen der betroffenen Körperseite aktivieren sollen. Dies fällt umso schwerer, je ausgeprägter das Defizit der betroffenen Extremität ist. Ein neuer, innovativer Therapieansatz, der durch die Kombination von selbst initiierter Bewegung und spezifischer visueller Stimuli eine Aktivierung der betroffenen Hemisphäre bewirkt, ist das Spiegeltraining. Hierbei werden Bewegungen der nicht betroffenen Extremität über einen Spiegel als Bewegungen der betroffenen Extremität dargeboten. Trotz des erheblichen Potentials dieses Ansatzes, vor allem für schwer betroffene Patienten in der Frühphase der Rehabilitation, hat er noch keinen verbreiteten Eingang in die neurologische Therapie gefunden. Ziel des beantragten Forschungsprojektes ist die Etablierung dieses neuen Therapieverfahrens für die neurologische Rehabilitation. Hierzu soll in einer systematischen, kontrollierten Patientenstudie die Wirksamkeit des Spiegeltrainings bei Patienten mit akuten Schädigungen im Vergleich zum Therapieverfahren mit direkter visueller Kontrolle der betroffenen Extremität bei Patienten mit akuten Schädigungen demonstriert werden. 193

195 1. Einleitung Jährlich erleiden alleine in Deutschland etwa Menschen einen Schlaganfall (Hirninfarkt oder Blutung). Nur sechs Prozent der Betroffenen gesunden nach einem Schlaganfall wieder vollständig. Nur etwa ein Drittel der Betroffenen kehren zu ihrer Arbeit zurück, davon jedoch jeder 4. bis 5. nur mit Hilfe % müssen in einem Krankenhaus oder Heim langfristig versorgt werden. Damit ist der Schlaganfall die dritthäufigste Todesursache und gleichzeitig die häufigste Ursache für eine Behinderung und Pflegebedürftigkeit. Zielgruppe des vorgestellten Therapieverfahrens sind vor allem Patienten mit Halbseitenlähmungen, die bei etwa 70 % der Patienten auftreten (Heller et al., 1987; Jorgensen et al., 1995a). Aber auch andere Läsionen (u.a. Schädel-Hirn-Traumata, Tumoren bzw. Zustände nach deren Operationen) bieten ein gleichartiges klinisches Bild. In der Regel treten in der ersten Zeit nach dem schädigenden Ereignis noch deutliche Verbesserungen des klinischen Zustandsbildes ein. Sie scheinen auf zerebralen Plastizitäts- und Kompensationsvorgängen zu basieren, welche innerhalb der ersten drei Monate am stärksten ausgeprägt sind (Jorgensen et al., 1995b; Wade et al., 1983). Dieser Prozess kann dabei durch intensive therapeutische Maßnahmen unterstützt werden. Grundlage der Therapien sind üblicherweise Konzepte (z.b. Bobath, Voijta, Perfetti, Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitierung), die über unterschiedliche Stimulationsverfahren eine Aktivierung der zerebralen Kontrollstrukturen der betroffenen Körperseite und eine Reaktivierung von physiologischen Bewegungsmustern bewirken sollen. Die Durchführung einer intensiven, frühzeitigen Therapie ist dabei umso wichtiger, je ausgeprägter das initiale Defizit des Patienten ist. Durch diese Therapiekonzepte wurden in der Vergangenheit große Erfolge erreicht, sie weisen aber auch Schwächen auf. Obwohl bekannt ist, dass die passive Bewegung von Extremitäten einen schwächeren Stimulus darstellt als die aktive, selbstgesteuerte Bewegungsausführung, ist dies bei schwer betroffenen Patienten mit nur noch geringen oder gar keinen Restfunktionen naturgemäß nur schwierig zu realisieren. Da zudem bekannt ist, dass visuelle Reize oft einen viel stärkeren Stimulus darstellen als die sensomotorische Information, wird der visuelle Eingang oft gezielt ausgeschaltet (z.b. durch Schließen der Augen). Derzeit existiert kein etabliertes Therapieverfahren, welches sich die starke Dominanz der visuellen Information explizit zu Nutzen macht. Ein neuer, eleganter Therapieansatz, der gerade diese beiden Aspekte besonders betont, ist das Spiegeltraining. Hierbei wird ein Spiegel so in der Körpermitte des Patienten platziert, dass Bewegungen des gesunden Arms als Bewegungen des betroffenen Arms wahrgenommen werden (Abbildung 1). Durch diesen Aufbau wird ein starker visueller Reiz hervorgerufen, der den Eindruck einer physiologischen Bewegung der betroffenen Extremität erzeugt, die in Verbindung mit selbst initiierter Bewegung steht. Abbildung 1: Prinzip des Spiegeltrainings 194

196 Der Wirkungsmechanismus dieses Aufbaus wurde von dem Antragsteller in einer kürzlich durchgeführten Studie bei Normalpersonen demonstriert. In einer Studie mit funktioneller Kernspintomographie konnte durch die Spiegelung der Bewegung eine klare Aktivierung der für die visuelle Darstellung der Hand verantwortlichen Hemisphäre registriert werden (Dohle et al., 2004). Ähnliche Effekte ließen sich auch durch eine computergraphische Repräsentation eines menschlichen Armes erzielen (Dohle et al., 2002; Dohle et al., in preparation). Die prinzipielle Wirksamkeit dieses Ansatzes für die neurologische Rehabilitation wurde von Altschuler und Mitarbeitern in einer Pilotstudie an neun Patienten mit chronischen Defiziten gezeigt (Altschuler et al., 1999). Obwohl bei diesen Patienten ja erfahrungsgemäß nur noch ein geringes Potential an zerebraler Plastizität besteht, wurde durch das Spiegeltraining eine Verbesserung des klinischen Zustandsbildes erreicht. Leider enthielt diese Publikation keine explizite Darstellung der Veränderungen mit statistischer Validierung. Somit ist mit dem Spiegeltraining ein neuer, innovativer rehabilitativer Ansatz postuliert worden, dessen Wirkprinzip grundlagenwissenschaftlich belegt werden konnte. Leider hat dieses Therapiekonzept noch keinen Eingang in den Kanon der etablierten rehabilitativen Verfahren gefunden. Dabei könnten besonders initial schwer betroffene Patienten von einem breiteren, frühzeitigen Einsatz des Spiegeltrainings mit der daraus resultierenden Aktivierung der geschädigten Hemisphäre profitieren. Die bisherige geringe Akzeptanz liegt vermutlich darin begründet, dass außer dem Datenmaterial der Pilotstudie (mit den beschriebenen Ungenauigkeiten) lediglich Einzelfallbeschreibungen (Sathian et al., 2000; Stevens and Stoykov, 2003) vorliegen. Auch weiterhin fehlt eine systematische Studie mit nachvollziehbarer Charakterisierung der erzielten Verbesserungen und statistisch abgesicherten Aussagen, insbesondere auch bei Anwendung in der Frühphase nach einer Schädigung. Dies ist Gegenstand des beantragten Projektes. Hierbei soll demonstriert werden, dass die erzielten Verbesserungen ausschließlich durch die besondere Art der visuellen Rückkopplung hervorgerufen werden. 2. Ziel des Vorhabens und Fragestellung Ziel des beantragten Forschungsprojektes ist die Überprüfung der Wirksamkeit des Therapieverfahrens des Spiegeltrainings für die neurologische Rehabilitation. Durch diese Arbeit soll ein Therapieprotokoll bereitgestellt werden, dessen Wirksamkeit durch eindeutige Evidenz belegt ist. Die zentrale Fragestellung ist: 1. Führt eine sechswöchige Behandlung mit dem Spiegeltraining (visuelle Rückkopplung der gespiegelten nicht-betroffenen Extremität) innerhalb der ersten drei Monate nach einem ischämischen Insult im Stromgebiet der Arteria cerebri media zu einer stärkeren Verbesserung der Muskelfunktion der betroffenen Extremität als eine identische Behandlung unter visueller Kontrolle der betroffenen Extremität (Kontrolltherapie)? Darüber hinaus können die folgenden Aspekte im Rahmen der Studie explorativ berücksichtigt werden: a. Führt die Behandlung mit dem Spiegeltraining bei den untersuchten Patienten zu einer deutlicheren Verbesserung der Funktionalität der betroffenen Extremität als eine Behandlung mit der Kontrolltherapie? b. Führt die Behandlung mit dem Spiegeltraining bei den untersuchten Patienten zu einer deutlicheren Verbesserung von Alltagskompetenz als eine Behandlung mit der Kontrolltherapie? 3. Methoden und Arbeitsplan Zielgruppe der beantragten Studie sind Patienten des Neurologischen Rehabilitationszentrums Godeshöhe mit erstmaligen, singulären, ischämischen Insulten im Stromgebiet der A. cerebri media, die über die Fähigkeit verfügen, die Arbeitsanweisungen adäquat umzusetzen. Da besonders der Effekt des Spiegeltrainings auf die frühe Rehabilitationsphase untersucht werden soll, werden be- 195

197 vorzugt Patienten, die bis zu 5 Wochen nach dem schädigenden Ereignis im Rehabilitationszentrum aufgenommen wurden, in die Studie eingeschlossen. Nach Einwilligung der Patienten zur Teilnahme an der Studie erfolgt ihre Zuordnung zu einem der beiden Therapiearme (Tabelle 1) gemäß einem pseudorandomisierten Protokoll. Zudem erfolgt die Erfassung grundlegender demographischer Informationen wie Alter, Geschlecht, Seite der betroffenen Hemisphäre und Händigkeit. Studiendesign Die grundlegende Idee der beantragten Studie ist eine Demonstration der Effektivität des Spiegeltrainings im Vergleich zur Kontrolltherapie. Hierzu führen die beiden Patientengruppen zwei Therapieprotokolle mit identischer Bewegungsausführung durch, die sich nur durch die Art des visuellen Feedbacks unterscheiden: Bei identischer motorischer Leistung sieht der Patient entweder die betroffene Extremität oder die gespiegelte nicht-betroffene Extremität. Die Patienten der Experimentalgruppe werden an einen Tisch platziert, auf dem sich in der Sagittalebene ihrer Körpermitte ein Spiegel befindet, in dem sie ihren nichtbetroffenen Arm sehen. Die Patienten der Kontrollgruppe sitzen in einer identischen Ausgangsposition, jedoch ohne Spiegel, so dass sie ihren betroffenen Arm sehen (siehe Abbildung 1). Die Aufgabe besteht nun in der Durchführung einfacher, symmetrischer Bewegungen beider Arme, wobei der betroffene Arm so weit wie möglich eingesetzt wird. Durch die Therapeuten werden lediglich Instruktionen zur Bewegungsausführung gegeben, jedoch keinerlei aktive Hilfestellung. Jeder Patient erhält (zusätzlich zu der regulär im Hause durchgeführten Therapie!) jeweils über 6 Wochen (an 5 Tagen der Woche) eine Sitzung von 30 Minuten Dauer. Gemäß der Zuteilung der Patienten zu den zwei Therapiegruppen führen diese entweder die Spiegel-Therapie oder die Kontroll- Therapie durch (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Studiendesign Woche Therapie-Gruppe 1 Therapie-Gruppe 2 Rekrutierung Aufklärung Erst-Testung Einwilligung Spiegel-Therapie Kontroll-Therapie Testung Vor Beginn und nach Ende der Therapieblöcke erfolgt eine standardisierte Testung. Operationalisierung Da das Spiegeltraining vor allem für schwer betroffene Patienten geeignet ist, werden für die Quantifizierung von Muskelfunktion, Funktionalität und Alltagskompetenz standardisierte Tests verwendet, die besonders für geringe Muskelfunktionen eine hohe Trennschärfe und zudem eine große Reliabilität aufweisen. Darüber hinaus erfolgt eine ausführliche elektrophysiologische und neuropsychologische Untersuchung. Insgesamt kommen die Tests wie folgt zum Einsatz: Tabelle 2: Operationalisierung Untersuchte Modalität Muskelfunktion Funktionalität Alltagskompetenz Test Fugl-Meyer-Skala Action Research Arm Test Functional Independence Measure 196

198 Untersuchte Modalität Intaktheit der Sensibelen Bahnen Elektrische Grundaktivität Sprachverständnis / Aphasie Neuropsychologie (Neglect) Test Somatosensibel evozierte Potentiale Elektroenzephalographie Token-Test Behavioural Inattention Test Die Testungen auf Muskelfunktion (FM) und Funktionalität (ARAT) werden auf Video aufgezeichnet. Die Videos werden gesammelt und nach Abschluss der Therapiestudie von zwei verschiedenen Beurteilern (Therapeuten der Godeshöhe) bewertet, die das jeweilige Therapieregime nicht kennen. Vor der Bewertung werden beide Beurteiler intensiv geschult. Im Rahmen der Schulung werden Intra-Rater-Variabilität (Stabilität) und Inter-Rater-Variabilität anhand zufällig ausgewählter Videos überprüft, bis beide Werte eine ausreichend hohe Qualität aufweisen. Vorläufige Powerberechnung Auf der Basis der erwarteten Effektstärken gelten bei Fehlerniveaus von a = 0,05 und 1 - b = 0,80 und einseitigen Testverfahren die folgenden optimalen Stichprobenumfänge: Muskelfunktion e 0,6 n opt = 37 Funktionalität e 0,4 n opt = 78 Alltagskompetenz e 0, n opt = 310 Innerhalb der Projektlaufzeit von 26 Monaten sind 20 Monate für Patientenrekrutierung und behandlung vorgesehen. Bei einer Rekrutierungsfrequenz von 1 Patienten / Woche und einer drop-out- Quote von ca. 30 % könnten in diesem Zeitraum etwa 50 Patienten behandelt werden. Bei dieser Fallzahl sind signifikante Ergebnisse lediglich für die Muskelfunktion, nicht jedoch für die Funktionalität und die Alltagskompetenz zu erwarten. Auswerteplan Die primäre Zielvariabele ist die Bewertung der Muskelfunktion auf der Fugl-Meyer-Skala nach Abschluss der Therapiemassnahme. Als Auswertestrategie ist eine Covarianzanalyse vorgesehen, bei der der FM-Wert vor Beginn der Therapiemassnahme als Kontrollvariable und der Therapiemodus als Faktor berücksichtigt wird. In der Endauswertung können diese Variablen gegebenenfalls noch ergänzt werden durch weitere biographische Angaben (z.b. geschädigte Hemisphäre, Alter, Zeitdifferenz zwischen Ereignis und Beginn der Therapiemassnahme) bzw. die Ergebnisse der neurophysiologischen und neuropsychologischen Testung als Co-Faktoren bzw. Co-Variablen. Die oben aufgeführte Auswertestrategie gilt in identischer Form für die explorativ untersuchten Variablen Funktionalität und Alltagskompetenz. 4. Arbeitsstand und erste Ergebnisse Vorbereitung der Testverfahren Nach Durchsicht der Literatur erwies sich der Fugl-Meyer-Test als der mit Abstand am häufigsten verwandte Test zur Objektivierung der Muskelfunktion. In den entsprechenden Publikationen wird dabei stets auf die Originalarbeit aus dem Jahr 1975 verwiesen (Fugl-Meyer et al., 1975). In der Studienvorbereitung stellte sich jedoch heraus, dass es keine validierte deutschsprachige Übersetzung des Tests gibt. Ein Bestandteil der Studienvorbereitung war daher die Erstellung eines deutschsprachigen Manuals sowohl zur Durchführung als auch zur Auswertung des Tests. 197

199 Therapieprotokoll Entsprechend der geringen Repräsentanz des Spiegeltrainings in der internationalen Fachliteratur gab es auch bis zum Studienbeginn kein etabliertes Trainingsprotokoll. Aufbauend auf die eingangs geschilderten neurophysiologischen Grundlagenarbeiten wurde ein Protokoll entwickelt, das eine möglichst große, dauerhafte Aufmerksamkeit auf die Konfiguration des Armes lenkt (Dohle et al., 2005). Patientenrekrutierung Zum stellt sich der Rekrutierungsstand wie folgt dar: In die Studie eingeschlossen: 47 Patienten - davon Studie beendet: Patienten - davon drop-outs: Patienten - zum Stichtag noch in der Studie: 2 Patienten Für eine möglichst große Vergleichbarkeit der beiden Therapiegruppen untereinander sollten die Patientengruppen möglichst homogen sein. Dies kommt in den relativ eng gefassten Ein- und Ausschlusskriterien zum Ausdruck. Es zeigt sich jedoch, dass eine entsprechend restriktive Patientenselektion die Zahl der in Frage kommenden Patienten extrem reduziert. Die obigen Zahlen belegen, dass selbst in einer der größten Rehabilitationskliniken Deutschlands (269 Betten, davon ca. 170 in der Phase B bzw. C) mit etwa 40 Aufnahmen pro Woche die erforderliche Rekrutierungsfrequenz von 1 Patienten pro Woche nur gerade erreicht wird. In kleineren Kliniken könnte daher ein derartiges Projekt nur als Multi-Center-Studie realisiert werden. Öffentlichkeitsarbeit In den letzten Monaten bzw. Jahren erfreut sich das Spiegeltraining einer zunehmenden Popularität, insbesondere auch in Laienkreisen. Dieses öffentliche Interesse kontrastiert stark zu dem ausgeprägten Mangel an fundierter Literatur zu diesem Thema. Im Augenblick verfügen die Projektbeteiligten deutschlandweit mit Abstand über die breiteste Kompetenz und Erfahrung zu diesem Therapieverfahren. Diese Kompetenz wird in zunehmenden Maße (beispielsweise in Form von Vorträgen) nachgefragt. Zur Kanalisierung der sich häufenden Anfragen wurden daher die wichtigsten Informationen zum Download auf der Projekthomepage des Förderers ( bereitgestellt, die monatlich etwa 100 bis 200mal abgefragt wird. Weiteres Vorgehen Aktuell laufen die Vorarbeiten zur Auswertung der auf Video dokumentierten Testungen, die ab Anfang April durchgeführt werden wird. Parallel erfolgt jedoch auch weiterhin noch die Behandlung von Studienpatienten. Nach derzeitigem Arbeitsstand soll die Rekrutierung bis etwa Ende April fortgesetzt werden. Nach diesem Zeitplan ist im Juli bzw. August 2006 mit dem Vorliegen der Ergebnisse zu rechnen. 5. Literatur Altschuler EL, Wisdom SB, Stone L, Foster C, Galasko D, Llewellyn DM, et al. Rehabilitation of hemiparesis after stroke with a mirror. Lancet 1999; 353: Dohle C, Kleiser R, Seitz RJ, Freund H-J. Body scheme gates visual processing. J Neurophysiol 2004; 91: Dohle C, Nakaten A, Püllen J, Rietz C, Karbe H. Grundlagen und Anwendung des Spiegeltrainings. In: Minkwitz K and Scholz E, editors. Standardisierte Therapieverfahren und Grundlagen des Lernens in der Neurologie: Schulz-Kirchner-Verlag, 2005:

200 Dohle C, Stephan KM, Kleiser R, Valvoda JT, Tellmann L, Hefter H, et al. Movements of a right or left virtual arm synchronous to one s own arm movements cause lateralized precuneal activations. Society for Neuroscience. Orlando, Dohle C, Stephan KM, Valvoda JT, Hosseiny O, Tellmann L, Kuhlen T, et al. Movement kinematics of a virtual arm are controlled by lateralized cerebral activations. In preparation. Feys HM, De Weerdt WJ, Selz BE, Cox Steck GA, Spichiger R, Vereeck LE, et al. Effect of a therapeutic intervention for the hemiplegic upper limb in the acute phase after stroke: a single-blind, randomized, controlled multicenter trial. Stroke 1998; 29: Fugl-Meyer A, Jaasko L, Leyman I, Olsson S, Steglind S. The post-stroke hemiplegic patient. 1. a method for evaluation of physical performance. Scand J Rehabil Med 1975; 7: Heller A, Wade DT, Wood VA, Sunderland A, Hewer RL, Ward E. Arm function after stroke: measurement and recovery over the first three months. Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 1987; 50: Jorgensen HS, Nakayama H, Raaschou HO, Vive-Larsen J, Stoier M, Olsen TS. Outcome and time course of recovery in stroke. Part I: Outcome. The Copenhagen Stroke Study. Archives of Physical Medicine & Rehabilitation 1995a; 76: Jorgensen HS, Nakayama H, Raaschou HO, Vive-Larsen J, Stoier M, Olsen TS. Outcome and time course of recovery in stroke. Part II: Time course of recovery. The Copenhagen Stroke Study. Archives of Physical Medicine & Rehabilitation 1995b; 76: Sathian K, Greenspan AI, Wolf SL. Doing it with mirrors: a case study of a novel approach to neurorehabilitation. Neurorehabil Neural Repair 2000; 14: Stevens JA, Stoykov ME. Using motor imagery in the rehabilitation of hemiparesis. Archives of Physical Medicine & Rehabilitation 2003; 84: Wade DT, Langton-Hewer R, Wood VA, Skilbeck CE, Ismail HM. The hemiplegic arm after stroke: measurement and recovery. Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 1983; 46:

201 OpErgo: Optimierung der Intensitätssteuerung des Ergometertrainings in der kardiologischen Rehabilitation. Förderkennzeichen: Refonet: Förderer: DRV Rheinland Projektmitarbeiter mit Institution: 1. Dr. med. W. Mayer-Berger (Studienleitung), Klinik Roderbirken 2. PD Dr. B. Bjarnason-Wehrens, (Studienleitung), Deutsche Sporthochschule Köln 3. Dr. med. M. Kohlmeyer (Studienarzt), Klinik Roderbirken 4. Dipl. Sportlehrerin A. Seifert (wissenschaftliche Mitarbeiterin), Klinik Roderbirken 5. Clemens Busch (wissenschaftl. Mitarbeiter), Dt. Sporthochschule Köln 6. Dr. Thomas Abel, (wissenschaftl. Mitarbeiter), Dt. Sporthochschule Köln 7. Dipl. Sportwiss. D. Bott, (wissenschaftl. Mitarbeiter), Dt. Sporthochschule Köln Laufzeit: November 2005 bis Oktober 2006 Einleitung: Ergebnisse zahlreicher Studien zeigen, dass ein individuell dosiertes und kontrolliertes Ausdauertraining zu einer Ökonomisierung der Herz-Kreislauf-Funktion führt [1,2,5]. Ergebnisse neuerer Untersuchungen demonstrieren zudem einen positiven Einfluss von körperlicher Arbeit auf die Prognose der KHK [3,4,6,7] Das Fahrradergometertraining mit Monitoring ist ein obligater Bestandteil der kardiologischen Rehabilitation. Für die Festlegung der individuellen Trainingsbelastung beim Fahrradergometertraining wird in der kardiologischen Rehabilitation in Deutschland in den meisten Einrichtungen ein prozentualer Bezug zur maximalen symptomlimitierten Leistungsfähigkeit bzw. der Herzfrequenzreserve (Maximale Herzfrequenz bei symptomlimitierter Leistungsfähigkeit minus Herzfrequenz in Ruhe) im Fahrradergometertest herangezogen. Die aus der Sportmedizin übernommene Laktatdiagnostik zur Bestimmung der Ausdauerleistungsfähigkeit und zur Überprüfung von Trainingseffekten stellt einen objektiven, auch weitestgehend von medikamentösen Einflüssen unabhängigen Parameter dar, der insbesondere bei gut belastbaren kardiologischen Patienten eine Optimierung der Belastungssteuerung und der Objektivierung der Therapieerfolge erlaubt. Eine systematische Evaluation hinsichtlich der Effizienz der verschiedenen Verfahren zur Belastungssteuerung des Ergometertrainings liegt gegenwärtig nicht vor. Ziel des Vorhabens und Fragestellung: Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Trainingsempfehlungen für das Ergometertraining in der kardiologischen Rehabilitation zu optimieren und dadurch eine Erhöhung des erreichbaren Trainingseffekts auf die körperliche Leistungsfähigkeit sowie die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit als wichtige Voraussetzung für die berufliche sowie soziale Reintegration zu erzielen. Es stellt sich hierbei die Frage, ob die zwei unterschiedlichen methodischen Konzeptionen (1. Orientierung an der Herzfrequenzreserve und 2. Orientierung an dem metabolischen Parameter Laktat) zur Bestimmung der Trainingsintensität zu unterschiedlichen Trainingsempfehlungen, hinsichtlich der Steuerungsparameter Trainingsleistung in Watt und Trainingsherzfrequenz, für das Ergometertraining in der kardiologischen Rehabilitation führen. Zweitens soll ermittelt werden, welches der beiden Verfahren die höchste Effizienz zur Steigerung der aeroben Ausdauerleistungsfähigkeit, gemessen an der Veränderung der Leistung bei 2,5 und 3,0 mmol Laktat pro Liter Blut, erzielt. Die Messzeitpunkte sind Anfang und Ende der Rehabilitationsmaßnahme mit 11 +/- 2 Trainingstagen. 200

202 Methoden und Arbeitsplan: 340 Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung werden in 2 Gruppen randomisiert: Die erste Gruppe trainiert bei 60% der symptomlimitierten Herzfrequenzreserve, die zweite Gruppe trainiert metabolisch gesteuert mit einer Intensität analog zu 60% der Belastung, die mit einem Laktatwert von 3,0 mmol/liter Blut im Stufentest verbunden war. In der Studie soll ein Vergleich dieser zwei Methoden zur Belastungssteuerung vorgenommen werden. Der Trainingsumfang gemessen in Kalorienumsatz pro Trainingseinheit wird in beiden Gruppen gleich gehalten. Die Randomisierungsliste wird von dem Koordinierungszentrum für Klinische Studien Köln (KKSK) erstellt. Die Randomisierung erfolgt nach den SOPs des KKSK. Bei der Ermittlung der Fallzahl wurde zunächst eine mittlere relative Leistungsveränderung unter einem Training gemäß Laktatreferenzwerten ( Referenzgruppe ) mit 16.5% (Standardabweichung 17% unter beiden zu vergleichenden Trainingsmodalitäten) angenommen; entsprechende Werte haben sich bei der explorativen Analyse eines Vorversuchs bestätigt, für den vergleichbare Einschlusskriterien wie für die jetzt geplante Studie bestanden. Für die (Laktat-) Referenzgruppe der jetzt geplanten Studie werden deshalb Effekte in gleicher Größenordnung angenommen. Mit diesen Werten und unter der Annahme entsprechender Verteilungseigenschaften ergeben sich bei einem 2-seitigen t-test für den Vergleich der mittleren prozentualen Leistungsänderung (zwei unabhängige Gruppen) die in den angefügten Grafiken dargestellten Fallzahlszenarien, wenn Unterschiede bei vorgegebener Power von 80% auf dem Signifikanzniveau α=0.05 statistisch abgesichert werden sollen. Bei einer mittleren relativen Leistungsänderung von etwa 10% 11% unter klassischen Belastungsbedingungen sind demnach für den Parallelgruppenvergleich des primären Zielkriteriums (relative) Leistungsänderung pro Studienarm rund 130 Patienten, insgesamt also vollständige Daten von 260 Patienten für die Auswertung hinreichend. Bei einer konservativ geschätzten Drop-Out-Rate von 20% 30% entspricht dies einer Fallzahl von insgesamt einzuschließenden Patienten, um die genannte Zahl auswertbarer Patienten zu erreichen. Voraussetzungen für die Teilnahme an der Studie: Bei allen Patienten liegt eine angiographisch nachgewiesene koronare Herzerkrankung vor. Die Patienten weisen eine echokardiographisch nachgewiesene erhaltene oder leicht eingeschränkte systolische Herzfunktion auf. Die Patienten befinden sich im Sinusrhythmus. Ausschlusskriterien (gemäß den ACC / AHA Empfehlungen ) sind ein akutes Koronarsyndrom mit einem zeitlichen Abstand von < 10 Tagen, eine mittel- bis höhergradig eingeschränkte systolische 201