Meine erstickte Seele
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- Dagmar Meyer
- vor 8 Jahren
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1 Meine erstickte Seele Meine Seele war erstickt, weil ich mein Leben nicht lebte. Ich lebte das Leben der anderen. Ich lebte mein Leben nach den Überzeugungen, die andere mir vorgaben: wie meine Mutter, mein Vater, mein Mann, meine Freunde, die Gesellschaft. Ich lebte so und war so, wie es von mir erwartet wurde. Ich passte mich an und fügte mich in die Gesellschaft ein. Ich wollte es immer allen anderen recht machen und war dadurch sehr beliebt. Aber auch vollkommen überfordert und stand ständig unter Druck. Sehr viel in meinem Leben war nicht in Ordnung. Bis meine Seele es nicht mehr aushielt und krank wurde. Meine Seele schrie zu meinem Körper: Sag du es ihr, denn auf mich hört sie nicht! Und mein Körper begann zu sprechen. Er begann mit einem Gehörsturz, begleitet mit Ohrensausen, pfeifen und einem Druckschmerz. Das war der erste Schrei meiner Seele. Sie schrie: Hör auf mich, hör auf deine innere Stimme! Ich hörte ein bisschen darauf und veränderte einiges was mir Druck machte. Aber zu wenig, denn die alten Gedankenmuster und Überzeugungen all der anderen, die sich in meinem Kopf in all den Jahren angesammelt hatten, waren zu festgefahren. Der Körper schickte mir ein weiteres Zeichen. Es schnürte mir die Kehle zu. Ein Kloß saß in meinem Hals, der mir das Atmen schwer machte. Ich hörte noch immer nicht auf meine Seele! Und dann holte mein Körper zum großen Schlag aus! Er schickte mir die Angst! Er schickte mir eine extreme Angst, die sich bis hin zur Todesangst steigerte. Die Angst bohrte sich in mein Herz und verursachte mir Schmerzen, dass ich glaubte sterben zu müssen. Ich lag mit meinem Herzschmerz auf der Intensivstation, aber organisch war absolut nichts festzustellen. Diagnose: Psychosomatischer Herzschmerz!
2 Doch das war noch nicht genug! Die Angst ergriff meinen Kopf, mein Gehirn, meine Gedanken. Die Angst machte mich über Nacht verrückt und wahnsinnig. Ich konnte nicht mehr klar denken. All meine Gedanken blitzten im Kopf durcheinander. Gedanken und Bilder aus der Vergangenheit, aus der Zukunft und das was jetzt gerade passierte. Ich dachte im Heute, im Morgen, im Gestern und kreuz und quer, alles durcheinander, miteinander, gleichzeitig und extrem schnell. Ein Blitzlichtgewitter an Gedanken und Bildern in meinem Kopf, ausgelöst und angetrieben durch die Angst. Ich war vollkommen durcheinander. Ich verlor vollkommen den Bezug zur Realität und zu dem was jetzt gerade passierte. Ich verlor auch jegliches Zeitgefühl. Ich hörte Stimmen in meinem Kopf, die mir sagten, wie ich was machen sollte. Im nächsten Moment meldete sich eine andere Stimme, die mir sagte, ich solle es anders tun. Alles was sich in meinem Kopf, in meinem Leben an Überzeugungen, Erfahrungen und Möglichkeiten, wie man was machen könnte, angesammelt hatte, oder wie man darüber denken sollte, meldete sich laut in meinem Kopf und wollte mir befehlen. Ich wusste nicht mehr wer ich war, wie ich war und was ich nun wirklich tun sollte. Ich war nicht mehr ich selbst. Dieser Gedankenwirrwarr machte mich wahnsinnig und ich konnte keinen normalen Gedanken mehr denken. Das Leben im normalen Alltag wurde mir fast unmöglich. Ich konnte nicht einmal mehr rechnen, wenn ich bis zehn zählen musste, brauchte ich meine Finger dazu. Mein ganzes Leben bestand nur mehr noch aus Angst. Wenn ich am Morgen aufwachte, hatte ich schon Angst vor der Angst. Nach circa vier Monaten kam dann die Depression und mit ihr die Resignation. Absolute Hilflosigkeit und Kraftlosigkeit. Oft
3 hatte ich nicht einmal mehr die Kraft aufzustehen, um mich selbst zu waschen, geschweige denn irgendetwas zu kochen. Ich war mehr tot als lebendig. Eine lebende, wandelnde Leiche. Und ich wollte nur mehr noch flüchten. Flüchten vor meiner Angst, vor meinem wirren Verstand, vor meiner Familie, vor meiner Umgebung, vor dem Leben, vor mir selbst. In meinem Kopf hörte ich eine Stimme, die laut schrie und mir befehlen wollte: Bring dich um! Du hältst das nicht mehr aus! Ich weiß nicht mehr, wie oft ich daran dachte mir das Leben zu nehmen. Ich flüchtete viermal in die Psychiatrie, als ich wirklich ganz knapp davor war Selbstmord zu begehen. Ich wurde dort jedes Mal für kurze Zeit aufgefangen und konnte mich etwas erholen. Ich bekam die verschiedensten Psychopharmaka und Antidepressiva und wurde mit der Diagnose Schizoaffektive Psychose mit schweren Depressionen wieder ins Leben entlassen. Ich kämpfte, ich kämpfte den Kampf meines Lebens. Ich kämpfte zwei Jahre lang ums Überleben. Denn irgendetwas in mir wollte überleben und ich wollte auch wegen meiner Kinder überleben, weil ich wusste, dass sie mich brauchten. In den zwei Jahren hat mich eine Freundin, eine sehr gute Homöopathin, begleitet. Ohne ihre Gespräche und die Homöopathie, die mich über Wasser hielt, würde ich wahrscheinlich heute nicht mehr leben. Denn die Medikamente, die ich bekam, halfen nur in geringem Ausmaß und es ging mir die meiste Zeit sehr schlecht. Erst beim vierten Psychiatrieaufenthalt, der fünf Wochen dauerte, fanden die Ärzte die richtigen Medikamente, die mir halfen. Durch die schweren Medikamente wurden meine wirren Gedanken halbwegs geordnet und die Angst eingedämmt. Ich konnte ganz langsam und vorsichtig wieder normalen, alltäglichen Arbeiten ohne diese extremen Ängste nachgehen,
4 wie kochen, einkaufen, Kinder versorgen, usw. Allmählich fand ich wieder in das normale Leben zurück. Dann wollte ich eine Therapie machen, denn ich wollte nicht ein Leben lang schwere Medikamente nehmen, die mir zwar eine gute Unterstützung waren, aber auch vieles zudeckten, meine Gefühle dämmten und mich teilweise wie ferngesteuert sein ließen. Ich hatte nun genug Zeichen von meinem Körper bekommen. Meine Seele hat laut genug und lange genug geschrien. Ich erinnerte mich wieder daran, dass ich eine innere Stimme habe und begann darauf zu hören. Ich fand eine gute Therapeutin, eine Kinesiologin und ich arbeitete fast vier Jahre sehr intensiv an mir. Wir spürten sehr viele Gedankenmuster und Überzeugungen auf. Muster und Überzeugungen vieler anderer Menschen, die ich übernommen und zu meinen eigenen gemacht hatte. Ich durchschaute und verstand sehr viel, was meine Gedankenwelt so durcheinander brachte. Wir lösten vieles auf und kreierten neue Glaubenssätze und neue Lebensstrategien. Ich kam sehr weit und erlangte eine gewisse Stabilität, die mir erlaubte, immer wieder ganz langsam die Medikamentendosis zu reduzieren, bis auf eine kleine geringe Erhaltungsdosis. Es ging mir wieder gut. Dann kam der Zeitpunkt wo ich glaubte ganz mit meinen Medikamenten aufhören zu können. Ich setzte sie nach Rücksprache mit meinem Arzt ab. Drei Monate später kam sie dann wieder, die Angst und verwirrte wieder meine Gedanken. Nicht mehr so intensiv, aber stark genug, dass ich wieder zu den Tabletten zurückgreifen musste. Für mich war das ein schwerer Rückschlag. Ich hatte doch so hart an mir gearbeitet und glaubte alles aufgelöst zu
5 haben. Ich war sehr traurig, als mir bewusst wurde, dass das doch noch nicht alles war und noch etwas fehlte, dass ich wieder ganz gesund werden konnte. Nur wusste ich nicht, was noch fehlte. Die Antwort fand ich bei den Menschen in einem Tanzkreis und bei der Therapeutin, die diesen leitete. Schon in der ersten Therapiestunde begriff ich, was mir noch fehlte. Ich wusste eine Menge von all den Gedankenmustern und den alten Überzeugungen und hatte neue Glaubenssätze. Aber ich lebte sie nicht! Ich lebte noch immer das Leben der anderen. Ich tat noch immer das, was von mir erwartet wurde und fügte mich ins System. Ich funktionierte und existierte wieder. Aber ich lebte nicht. Mit einem einzigen Satz, der sich in mein Unterbewusstsein eingegraben hat, begann dann mein Leben. Dieser Satz, der Startschlüssel zu meinem Leben hieß: Ich habe das Recht anders zu sein! Eigentlich wusste ich schon sehr lange, dass ich in meinem Innersten anders war als die anderen, sogar sehr viel anders war als die meisten. Nur lebte ich dieses Anders Sein nie. Und dass ich sogar ein Recht darauf hatte, das hat mir vorher noch nie jemand gesagt. Denn ich hatte gelernt angepasst zu sein und nicht anders. Nach dieser ersten Stunde hatte ich das Gefühl auferstanden zu sein, wie Phönix aus der Asche. Ich begann mein Anders Sein etwas zu leben. Ich getraute mich langsam mein innerstes Ich zu leben und das was mir meine innere Stimme sagte.
6 Es kamen Talente und Eigenschaften zum Vorschein, dass ich nur mehr so staunte. Mir ging es so gut wie schon lange nicht mehr in meinem Leben. Ich veränderte mich. Und das war natürlich den anderen, meiner näheren Umgebung, nicht recht. Denn ich funktionierte nicht mehr so wie es alle gewohnt waren. Ich stieß auf Konfrontationen und Ablehnung. Ich hörte Worte wie: Jetzt spinnt sie total, sie ist wieder verrückt geworden. Ihr werdet sehen, sie landet wieder in der Psychiatrie. Und dann kam sie wieder, die Angst! Aber durch eine weitere Therapiestunde wurde mir klar, wovor ich Angst hatte: Ich hatte Angst, nicht mehr geliebt zu werden, weil ich jetzt so anders war. Ich hatte Angst, dass sich die Menschen, die mir wichtig sind, von mir abwenden. Und ich hatte auch Angst, von der sogenannten Gesellschaft durch mein Anders Sein abgelehnt und für verrückt erklärt zu werden. Ich hatte Angst nicht geliebt zu werden, so wie ich wirklich bin. Nun wusste ich, warum ich mich nie traute so zu sein und das zu leben wie ich wirklich bin. Ich begriff auch, dass ich abhängig war. Abhängig von der Liebe und der Anerkennung der anderen. Und dann lernte ich mir Liebe und Anerkennung selbst zu geben. Ich lernte mich selbst zu lieben, so wie ich bin. Mit der Zeit wuchs diese Liebe zu mir selbst immer mehr. Heute bin ich nicht mehr abhängig von der Liebe und Anerkennung der anderen. Und ich habe auch keine Angst mehr nicht geliebt zu werden. Wenn ich geliebt werde, dann möchte ich geliebt werden, wie ich wirklich bin. Und ich werde nur mehr noch so sein, wie ich
7 bin. Ich werde meine Seele nie mehr ersticken. Ich werde nun mein Leben leben. Manchmal meldet sich wieder die Angst in mir, die Angst vorm Leben. Aber die Angst ist in all den Jahren mein bester Freund geworden. Sie hat mir Vertrauen gelernt, die ganze Angst die ich hatte, hat sich in Selbstvertrauen gewandelt. Die Angst ist der Begleitschutz, der Bodyguard meiner inneren Stimme. Und wenn ich die Angst spüre, flüstert sie mir leise zu: Vertrau, vertrau und höre ganz tief in dein Herz hinein! Vertrau deiner inneren Stimme und tu was dein Herz dir sagt! Für mich sind die Jahre der Krankheit vorbei. Sechs Jahre, die mir vorkamen wie zwölf Jahre. Seit Anfang des Jahres 2005 brauche ich keine Medikamente mehr und ich weiß, dass ich sie nie wieder in meinem Leben brauchen werde. Ich möchte hier an dieser Stelle betonen, dass niemanden meiner Angehörigen auch nur die geringste Schuld trifft an dem Zustand, den ich hatte, denn im Grunde sind sie selber erstickte Seelen. Die Dunkelheit ist vorbei! Und ich bin dieser Dunkelheit unendlich dankbar, denn ohne sie würde ich heute noch immer funktionieren und existieren und nicht wirklich LEBEN! Die Dunkelheit war für mich wertvolle Komposterde, die ich zum Wachsen brauchte. Aber nun habe ich genug kompostiert. Ich will nun weiterwachsen und aufblühen. Ich will meine Seele, mein innerstes Ich aufblühen lassen. Ich will MEIN LEBEN leben! Und ich werde mich durch nichts und niemanden aufhalten lassen. Und ich werde mir durch nichts und niemanden mehr mein Anders Sein und meine Seele ersticken lassen.
8 Ich möchte euch allen sagen und euch bitten: Lebt euer Leben! Hört dabei auf eure innere Stimme und tut was euer Herz euch sagt! Und erstickt nicht eure Seelen! August 2005 Auszug aus dem Buch Raus aus dem Chaos mein Weg zu mir von Maela Schmeißl (Eigenverlag) Das Verwenden dieses Textes mit Quellenangabe ist erlaubt und erwünscht, die kommerzielle Nutzung hingegen nicht gestattet. Alle Rechte vorbehalten Maela Schmeißl
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