Eigenschaften. Gedichte Martin Grahl

Transkript

1 Eigenschaften Gedichte 2020 Martin Grahl

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3 2 Barmherzig Heilung geschah dir über Nacht. Sie hoben dich auf, Gefallener. Sie reichten dir Ehre wie Brot und trockenen dunklen Wein umsonst und wie einem Freund. Sie nahmen dich bei deinen Händen und wuschen dir nebenher auch deine Schuld aus den verdreckten Wunden. Ganz achtsam sind sie, um dir nicht noch mehr Weh anzutun. Und dann gingen sie, als wären sie nie hier gewesen. Doch du hast dich wieder einmal finden dürfen am Anfang, nach jener missglückten Reise.

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5 4 Behutsam So löse ich ein feuchtes Blatt vom anderen, setzt tupfend die Malerin mit ihrem Pinsel ein Gesicht ins Bild. So ersteht ein abblätterndes Gemälde neu in den Händen der Restauratorin. So legt der Dichtende Worte zueinander gleich Puzzleteilen. So will ich dann auch mit dir einen Blick ins Paradies wagen. Wer möchte nicht behütet seiner Wege gehen? In die ferne Fremde muss man sich trauen, um heim zu kommen. So schauen wir einander ins Herz und glauben, dass geschieht, was völlig unmöglich ist.

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7 6 Dankbar Ich halte die halbe Welt in meiner Achtung. Dann lässt sie mich auch wirklich ein und mein Herz kommt zu Wort. Gottes Hände sind so machtvoll zart und das Kostbare wird stark, weil verletzlich. So bin ich nun fast Nichts, weil so viel in meinen Händen schwebt. Gottes Atem hebt mein Herz, und ich hatte es nicht gewusst.

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9 8 Demütig Ich möchte aufgerichtet werden, nicht mich selbst erheben. Erwecke mich aus meiner Träumerei und vertraue mir. Mit Geschenktem prahlt man nicht. Den Ring an meiner Hand gab ich nicht mir selbst. Dem Lauschenden offenbart sich die Musik. So erhebt sich der Taktstock und gebietet Stille. Dann umfängt der volle Klang den Erdball ohne ihn auch nur zu berühren. Wunder müssen an dir geschehen. Vom Gift jenes Baumes bedarf ich nichts. Wer hier bezahlen will, verliert sich nur. Im Verklingen vollenden die Zeiten.

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11 10 Federleicht Federleicht wird mir im starken Arm des Engels. Der trägt mein felsenschweres Bitten vor Gottes Thron. Im Flaum der Glucke flüchtet sich das Küken. Fliegenden Schritts huschen wir himmelan. Sieh das Geschwader der Löwenzahnsamen über m Land! Sie werden sich festsetzen und ihre Wurzeln in alle Ritzen schlagen. Die Engel schreiben ihre Lieder mit den Flügeln in die Luft. Sing sie mit mir. Sonst findet mein Märchen kein Ende.

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13 12 Geduldig Ich pilgere auf dem Weg ohne Ende, versetze Berge, die ich nie ersteigen könnte. Ich höre auf Unhörbares, schreibe, was kaum jemand lesen wird. Meine Blicke suchen, was im Fels verschlossen ist. Ich ertaste dein Herz, bis es mich auslacht, weil es lange schon mich in sich wiegt. Ich lass mir die Zeit, die du mir gibst.

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15 14 Gelassen Für eine halbe Stunde verlasse ich mich ganz auf Gott. In der anderen höre ich dem Prediger zu. Das Eitle lasse ich vor meinen Augen sich zerbröckeln. Sechsmal schiebe ich Last den Schotterweg hinauf. Einmal ruhe ich mich darauf aus. Dann bin ich Espenblatt am windstillen Morgen. Gott erwartet mich, da darf man nicht gehen, sich nicht rühren, kein Stück an diesem Augenblick. Sonst öffnet sich der Himmel nicht.

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17 16 Geruhsam Meine Zeit misst sich am Feuer einer stillen Kerze oder dem Atem des zur Ruhe gekommenen Meeres am Ufer. Ein Cello singt im Chor einer für ihn schweigenden Kirche. An diesem Morgen schläft sich jeder aus, bis Frau Zeit dich wecken wird, und dann gehen wir im Gleichmaß tickender alter Uhren. Staub steht im Sonnenlicht, zu müde für einen Tanz. Die Ziele sind verschwunden. Niemand sucht sie. Sogar sich selbst könnte man eben mal vergessen. So sollte man wohl zu singen anheben. Um Drei vor Zwölf.

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19 18 Liebreich Das altehrwürdige Wort verwahre ich in meinem kostbaren Kästchen wie einen Brief der Liebsten. Im Wohlstand gilt es wenig, da muss man es bergen für andere Zeiten. Es ist ein Groschen für die Not in schlichter Schönheit, eine der Cousinen von Liebreiz, dem munteren Mädchen aus dem Morgenland. Es ist ein Kleid von Frau Armut und Schmuck der Geschwächten. Bei der Mutter Milch bleibt die wilde Welt draußen vor der Tür und darf nicht weiter stören. Wir schöpfen mit dem Wort wie mit einer sorgsam geschnitzten Kelle Wasser aus einem der Flüsse aus Eden, klar und frisch wie Gottes Geist.

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21 20 Sanftmütig Mit sanftem Mut wagt mein Herz, mich dir zu nähern. Ein Strahl Freundlichkeit lag deinem Lachen bei. So tanzt ein buntes Oktoberblatt aufs Gras, obenauf noch, bittend, ob der Wind es noch einmal heben würde, ein letztes Mal. Engelsgeflüster, das einen nicht weckt. Doch im Schweigen hinterlegt es uns einen Brief aus Gottes Allmacht, gesiegelt und mit Vollmacht der Auftrag. So streckt sich unendlich langsam aus dem Keim ein erstes Blatt. Windhauch streicht über den See gleich dem Bogen über die Saiten der Viola da Gamba. So siegelt der Kuss die Liebe, die er schuf.

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23 22 Vertrauensvoll Auf meine Herzhaut ist der Vertrag geschrieben. Mein Blick weist ihn vor, auch denen, die mir Übel wollen. Ich knüpfe unsere Matte zwischen die beiden Bäume im Paradies. Was schert mich all das Schlangengezisch. Evamarie hat mir einen Ring aus Gras geschenkt. Täglich schreib ich ihr mündlich meinen Brief. Gottes Gebote sind das Flammenschwert, auf das ich traue. Gott bedeckt so viel Feuer mit irdener Gnade. Darauf geht es sich gut. Ich trage das Paradies wie ein Zelt im Rucksack überall mit hin.

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25 24 Zärtlich Das schneidet tief in Mark und Bein. Im Herzen öffnen sich dann Torflügel, und meine Königin schreitet darein. So sehr berührt mich dein Blick. Zärtlichkeit ist ein Pfad auf einem Bergkamm, grasbewachsen, zwischen den Ländern, wo die Fingerkuppen einander begegnen und neu ihre Freundschaft beschwören. Da muss man die Augen schließen, um zu sehen und Blicke auf sich ruhen lassen, als tropfte Regen von Sonnenstrahlen durchwärmt auf die Haut. Tief innen wuchert ein Garten voller Träume und der Klarheit von Gebirgsseen. Dahinein kommt nur, wer ewig warten kann. Worte umkreisen nur, nie sind sie, was sie meinen. Doch nichts ist, ist es nicht gesagt.

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