Meik Gerhards. Das Wissen des Mythos Die Sintflut. Ringvorlesung: Wissen Kultur Transformation Rostock,

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1 Meik Gerhards Das Wissen des Mythos Die Sintflut Ringvorlesung: Wissen Kultur Transformation Rostock, I) Einleitung II) Die biblische Sintfluterzählung (Gen 6,5-9,17) III) Die Sintflut vom historisch verstandenen Ereignis zum Mythos IV) Das Atramchasisepos als mesopotamischer Mythos V) Umformung des mesopotamischen Mythos in der Bibel VI) Mythos Wissen Gewissheit

2 I ) Einlei tung a) Die Sintflutgeschichte ist ein Mythos. Sie darf nicht als Schilderung eines historischen Ereignisses missverstanden und als solche entweder verworfen oder verteidigt werden. b) Wissen des Mythos deutet an, dass der Mythos etwas mit Wissen zu tun hat. Es geht ja nicht um Wissen über den Mythos, das zweifellos vorhanden ist. In der abendländischen Philosophie besteht eine bis in die Anfänge zurückreichende Tradition, nach der der Mythos durch kritisches Denken überwunden werden muss (W. Nestle: Vom Mythos zum Logos, 1940). Ugs. kann Mythos soviel bedeuten wie verbreiteter, schwer ausrottbarer Irrtum. I I ) Di e biblisch e Sintfluterzä hlung - Gen 6,5-9,17 - Sicher aus zwei Fassungen zusammengesetzt, die ursprünglich verschiedenen Quellenschriften angehörten (Jahwist, Priesterschrift); beide wohl im Babylonischen Exil der Judäer entstanden, die jüngere (priesterschriftliche) Fassung vielleicht auch kurz danach. Das Babylonische Exil: Epoche zwischen der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier (587 v. Chr.) und der Eroberung Babylons durch die Perser (539 v. Chr.), Judäer in Babylon in engem Kontakt mit babylonischer Kultur und Literatur. I II) Die Sintflut vom h isto risch vers t anden en Ereign is zu m Mythos - Kataklysmentheorie: Aufeinanderfolge fossiler Lebensformen durch mehrere Katastrophen und Neuentstehung / Neuschöpfung erklärt (G. Cuvier) - Diluvium (lat. für Überschwemmung ; Sintflut ) als Bezeichnung eines Erdzeitalters (Pleistozän). a) naturwissenschaftliche Einsprüche - Geologischer Aktualismus (C. Lyell, Principles of Geology, 1830); Evolutionstheorie (C. Darwin, On the origin of species by means of natural selection, 1859). b) philologisch-literaturwissenschaftlich-religionsgeschichtliche Einsprüche - Vergleich der biblischen Texte mit Stoffen aus anderen Kulturen, Sintflutgeschichte als Sage oder Mythos erkannt.

3 P. Buttmann, Ueber den Mythos der Sündflut, Berlin 1812 F. Bopp, Die Sündflut nebst anderen der wichtigsten Episoden des Mahâ-Bhârata, Berlin 1829 G. Smith, The Chaldean Account of Genesis, London 1876 Zusatz I: Mesopotamien, Völker und Sprachen - Mesopotamien : Land zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, v. a. heutiger Irak und östl. Syrien - eine der ältesten Kulturregionen der Welt (ca v. Chr. Erfindung der Keilschrift) zwei Kulturvölker: - Sumerer (Sumerisch, mit keiner bekannten Sprache verwandt) - Akkader: 1. Babylonier 2. Assyrer (Akkadisch, semitische Sprache) Zusatz II: Akkadische Literatur - Enuma elisch: Weltschöpfungsepos - Gilgameschepos: Suche des Helden Gilgamesch nach Lebenssinn, schließlich nach dem ewigen Leben, in diesem Zusammenhang Besuch beim Sintfluthelden Utnapischtim - Atramchasisepos: Schöpfung und Sintflut (wie in Gen 1-11) Zusatz III: - Sumerische Flutgeschichte (Sintflutheld Ziusudra) - Sumerische Königsliste (Könige vor der Sintflut regieren Tausende von Jahren) - Atramchasisepos (Sintflutheld Atramchasis) - Gilgameschepos (Sintflutheld Utnapischtim) - Berossos, Babyloniaka (Darstellung der babylonischen Geschichte aus hellenistscher Zeit) (Sintflutheld Xisuthros)

4 I V ) D as Atramch asisep os al s mesop otami s ch er Myth os Übersetzung von Wolfram von Soden in: Otto Kaiser (u. a.) (Hrsg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments III: Weisheitstexte, Mythen und Epen, Gütersloh 1997, Titelzeile: Inūma ilū awīlū ( Als die Götter Menschen waren, v. Soden: Als die Götter auch noch Menschen waren ): grund-legende Urzeit, nicht mit Mitteln moderner erdgeschichtlicher oder historischer Chronologie festzulegen. Erster Teil: Die Revolte der Igigu und die Erschaffung des Menschen - Anunnaku: Anu; Enlil; Enki u. a. - Igigu Die Anunnaku des Himmels legten die Mühsal auf die Igigu. Die Götter begannen, Flüsse zu graben, Kanäle öffneten sie, Leben für das Land. Igigu revoltieren gegen die Arbeit; Menschen werden geschaffen, um den Igigu die Arbeit abzunehmen. Enki lässt den Gott Geštu e schlachten, und die Muttergöttin Bēlet ilī / Mami / Nintu vermischt Lehm mit dem Blut dieses Gottes, daraus wird der erste Mensch. Zweiter Teil: Das göttliche Einschreiten gegen die Vermehrung der Menschen Nicht vergingen 1200 Jahre, da wurde das Land immer weiter, der Menschen wurden immer mehr. Das Land lärmt wie Stiere; durch ihr lautes Tun geriet der Gott in Unruhe. Enlil hörte nun ihr Geschrei; er sprach zu den großen Göttern: Zu lästig wurde mir das Geschrei der Menschen; infolge ihres lauten Tuns entbehre ich den Schlaf. Enlil schickt nach Beratung mit den übrigen Göttern drei Plagen: - Kältefieber - Dürre - Hungersnot Enki hilft den Menschen jeweils, die Plagen zu überstehen, als letzte Plage schicken die Götter die Sintflut. Enki warnt Atrahasis, er soll ein Schiff bauen, um darin die Sintflut zu überleben. Während der Sintflut bereuen manche Götter den Beschluss zur Sintflut; der Klage der Muttergöttin stimmen andere Götter zu:

5 Die Götter mit ihr weinten über das Land; sie wurde des Jammers satt, dürstete nach Bier. Wo sie sich weinend hingesetzt hatte, ließen sie sich wie Schafe nieder, tranken sich satt an der Rinne. Voll Durst waren ihre Lippen infolge der Verängstigung, infolge des Hungers verkrampften sie sich zitternd. Sieben Tage, sieben Nächte ging nieder der Wolkenbruch, das Ungewitter, die Sintflut. Nach dem Ende der Sintflut bringt Atrahasis ein Opfer dar: Es rochen die Götter den Duft, waren wie Fliegen über dem Opfer versammelt. Enki mahnt, nicht mehr die Menschen insgesamt zu vernichten, sondern Schuldige zu bestrafen und das Wachstum der Menschen einzudämmen durch Unfruchtbarkeit, Kindersterblichkeit ( Es wirke unter den Menschen die Tilgerin, sie packe das Kind auf dem Schoß derer, die es geboren hat ) sowie durch das Zölibat bestimmter Priesterinnen. V ) U mf o rmung d es mesop o ta mi schen Myth os in d er B ibel - Gen 6,5-7* (J) (Eröffnung der Erzählung): 5) Und Jahwe sah, dass die Bosheit der Menschen auf der Erde groß geworden war, und dass alles, was aus den Gedanken ihres Herzens hervorging, nichts als böse war alle Zeit. 6) Da bereute Jahwe, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und er betrübte sich (bc( / c s b II hitp. 1 ) bis in sein Herz hinein. 7*) Und Jahwe sagte: Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche Erdbodens abwischen. - Gen 8,21f. (J) (im Anschluss an das Opfer des Sintfluthelden Noah): Ich will den Erdboden nicht mehr weiterhin des Menschen wegen verfluchen 2, denn, was das Herz des Menschen hervorbringt, ist böse von seiner Jugend an, und ich will nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. Solange die Erde besteht, sollen Saat und Ernte und Frost und Hitze und Sommer und Winter und Tag und Nacht nicht aufhören. In der Bibel wird die Sintflut im Unterschied zum mesopotamischen Epos mit der Schuld des Menschen begründet. Letztlich geht es aber darum, dass Gott es nicht über sich bringt, die schuldige Menschheit zu vernichten obwohl er das Recht und die Mittel dazu hätte. 1 Vgl. dazu }ObfCi( / c is sābōn in Gen 3,16f.; 5,29. 2 Rückbezug auf Gen 3,17.

6 V I ) M y thos Wissen Gew issh ei t W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates, Stuttgart 1940 ( ). O. Kaiser, Der Mythos als Grenzaussage, in: J. Jeremias (Hg.), Gerechtigkeit und Leben im hellenistischen Zeitalter, BZAW 296, Berlin (u. a.) 2001, ( zu Platons Phaidon). R. Brandt / S. Schmidt, Mythos und Mythologie, Berlin O. Marquard, Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie, in: Ders. Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 2000, [ursprünglich in: H. Poser, Philosophie und Mythos, Berlin 1979, 40-58]. H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt / M K. Hübner, Die Wahrheit des Mythos, München Ders., Art. Mythos. Philosophisch, in: Theologische Realenzyklopädie 23,

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